Ein murmelnder, flüsternder Gestus, der einen Sog erzeugt, mithin durch die unzähligen Wiederholungssequenzen. Wort-Spuren, die sich ihrer selbst rückversichern müssen, als glaubten sie an ihre Existenz noch (!) nicht; Stimmen, die sich selbst noch einmal hören müssen, als fürchteten sie das Gefühlte sonst zu vergessen.
Dieter Sperl besuchte Filme, – wir erinnern den einen oder anderen. Er machte sich – während diese liefen –, Notizen und ließ ES sich nachfolgend weiterschreiben.
Das Unterbewusstsein verleibte sich das Erlebte ein, durchdrang es, maß es, wog es und schickte es zurück, als ein anderes und doch wiederkehrendes.
Der Autor überließ sich dem Einfluß von allem, wir lassen diesen lesend zu, wir öffnen uns, wir staunen.
Entstanden sind poetische Abdrücke, Muster, gehalten von zarten, strukturierenden, den Inhalt zeichnenden Linien.
Textil muten viele der Texte an, gewebt, gesponnen, geflochten, versponnen.
Es ist, als wären die Polaritäten aufgehoben, als fänden sich Nähe und Ferne, Hitze und Kälte, Zeit und Ort vereint oder einander durchwirkend, durchleuchtend in einem großen Traumgewebe.
Eine Raffinesse zeichnet den jüngsten Band Ilse Kilics aus.
Eine Präzision und allem voran subtilster Humor.
Die Autorin sucht die Sprache selbst auf und zeitgleich Orte ihres Wirkens. Sie zeichnet den Inhalt jener Schreibanleitungsbücher nach, die unzähligen Schreibenden tagein, tagaus handwerkliche Basisorientierung bieten; Kilic persifliert diese Methoden zur Erstellung von Charakterprofilen, des Ausbaus von Dialogen oder des Umgangs mit dem Plot, um nur einige inhaltliche Brennpunkte zu nennen.
Sie sucht Projektionsflächen für ihre Untersuchungen bzw. Versuchsanordnungen aus den vielfältigsten Kontexten anderer Disziplinen, wie z.B. Physik, Historie oder auch Psychotherapie, und spiegelt den Paradigmenwechsel da wie dort.
Sie entwirft eine Kerngeschichte, anhand der sie höchst spielerisch Eigenschaften und Qualitäten der handelnden Personen untersucht.
Miteinbezogen in diese Auseinandersetzung werden auch die Leser/inn/en. Sie dürfen Aufgaben lösen!
Dergestalt ist dieses Buch poetisches Lehr- und Lernbuch und zugleich Experiment.
Das spezifische Gewicht der Hauptperson, um ein Beispiel zu nennen, wird hier wortwörtlich oder augenscheinlich physikalisch untersucht, deren Temperatur oder auch Zusammensetzung.
Besonders spannend ist jener Anriß, der Übertragung und Gegenübertragung als interagierendes Prinzip zwischen Autor/in und Person behandelt.
Das Buch ist zu empfehlen: unterhaltsam, geistreich, köstlich!
In Art einer Endlosschleife interagieren Noten/Töne und Schriftzeichen in diesem Band, basierend auf den sechs Suiten für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach.
Drei der Suiten liegen als CD bei.
Beide Gattungen, Musik und Literatur, öffnen sich füreinander; was die Leserin liest bzw. hört, schwingt ineinander, fließt ineinander, um in einer gemeinsamen Anverwandlung zu münden und sogleich wieder hinauszutreten und sich zu öffnen für ein nächstes Aufeinanderzubewegen.
Eine ansprechende, schöne Zusammenarbeit des Autors Semier Insayif und des Cellisten Martin Hornstein.
Petra Ganglbauer
Stete akribische Rückversicherungen, perseverierende, genaueste Schreibbewegungen zeichnen Waltraud Seidlhofers Texte aus, Sprachstränge, die präzise zwischen Koordinaten festgemacht sind; Abläufe, die räumlich geortet werden können.
Ein gleichlaufender Rhythmus ist Träger dieser Zeilen, jener unverkennbar kühle Duktus, der insgesamt federführend für die Autorin ist.
Wie für andere Arbeiten Waltraud Seidlhofers ist auch hier ihr Aufenthalt auf Neuseeland ursächlich, unverkennbar somit auch eine topografische Poetizität.
Ich bin von Waltraud Seidlhofers begrifflichen Exkursen, ihrem Aus-schreiten, Aus-schreiben und Aus-denken von urbanen und ruralen Geometrien sehr beeindruckt!
Petra Ganglbauer
Nachtprogramm
Mit Zeichnungen von Gerda Sengstbratl
edition – das fröhliche wohnzimmer
Wien 2005
Runderleuchtet die Welt mit Neusprache
„Narrativ geflüstert, Wortflattertanz, schweigt sie drohend und mundvoll und runderleuchtet die Welt mit Neusprache.“ Was hier am Ende der Göttin zugeschrieben wird, könnte der Autorin gutgeschrieben werden. Denn Petra Ganglbauer erzählt uns die Geschichten von den Göttinnen nicht neu, sondern kreiert einen sprachlichen Mythos, sie macht kein Hehl daraus, dass ihre Texte auf einer „Eigendynamik der Sprache“ beruhen. Die Sprache zeigt sich uns als Schöpfung. Und Schöpfung ist nichts anderes als ein Projekt im virtuellen Raum, und die Ganzheit der Sprache ist eine Utopie, die durch diese Texte angedeutet wird. Kein Zweifel, dass die Überblendung in die Gegenwart gelungen ist, wenn man liest: „Sie schiebt den Karren mit entlaubten Leibern, sie bringt den Krieg nach Hause mit Blumen. Sie schiebt die Erinnerungsbilder, auch Lumpen, hin und zurück. Die liegenden Körper lauschen mit abgeschnittenen Ohren den Lippenstiftbombern.“ „Literarisches Morphing“ nennt die Autorin ihre Methode der inhaltlichen und formalen Verschränkung aus Vergangenheit und Gegenwart. Das Buch, das keine Seitenzahlen hat und also zum Verirren einlädt (denn was soll im Labyrinth von Raum und Zeit noch gezählt werden?), besticht durch „Nichtordnung“. Die Sprache allein ist Ordnungsprinzip, der Text ein vielschichtiges Gewebe. Erstaunlich, wie die vormalige mythische Erzählung hier einen Paralleltext erhält, der zauberisch wirkt, zugleich fragil. Die Göttinnen allesamt, – früher noch hatten sie ihre Namen, die hier nur mehr am Rande erwähnt werden, – verflüchtigen sich zu Figuren, die depersonalisiert ineinander übergehen. Das Scheinbare/Imaginäre wird zurückverwandelt in das Reale der Prosa. Ein „Projekt“ nennt die Autorin ihr Buch, das in sich geschlossen wirkt, durchgearbeitet und trotzdem fragmentarisch. Das, was in der Welt erscheinen kann, erscheint, das andere bleibt im Dunkeln. Das Thema ist das Unausgeführte und Nur-Angedeutete, denn die Gottheit zeigt und entzieht sich im Mythos (der Sprache). Die Zeichnungen von Gerda Sengstbratl sind reduktionistisch, selbstverliebt und ehrlich, Kompositionen aus lächelnden Linien. Eine der Göttinnen wird die „vielfältige Im-Kreis-Lächlerin“ genannt. Und von einer anderen heißt es: „Sie aber sitzt, sie aber in gleichgültigen Kleidern reinster Wäsche ohne Namen.“ Mit sich selbst identisch, gleichzeitig aber auch von sich selbst verschieden. Der Rezensent fühlt in sich ein großes Ausrufezeichen.
edition neue texte
Literaturverlag Droschl
Graz-Wien 2004
Abra Palavra setzt dort an, wo wir die Sprache vor langem verlassen haben, bei der Welt-Wurzel, jener Stelle, an der die Dinge sich – eben entstanden – ihren Namen selbst aussuchen, nach uraltem Gesetz.
Wie wohl tut es, sich scheinbar leichthin durch diesen Dschungel aus poetischen Wortkaskaden und glänzenden Betrachtungen zu bewegen! Traumwandlerisch.
Der rasche, surreale Wechsel der Bilder/ Bildeinstellungen, der Phantasmagorien, läßt das Herz höher schlagen, nein, höher hüpfen, als man glaubt.
Wo Trockenheit und Phantasielosigkeit den innergesellschaftlichen Raum ausdörren, möge sich dieser Band in Szene setzen!
Petra Ganglbauer
Der Text besteht aus zwei Teilen, der erste, längere, ist wiederum zweigeteilt: Auf den jeweils linken Seiten findet sich das Thema von Krieg und Vernichtung durch Katastrophen, auf den rechten Seiten liest man über privates Schicksal, innere Prozesse, Freude, Unglück, meist sind es ambivalente Kindheitserlebnisse. Diese beiden Parameter, das Gesellschaftliche und das Private, sind einander gegenübergestellt; bei der Lektüre wird klar, was beide Seiten verbindet: Es ist die Problematik der BILDER, die uns die Welt verständlich machen, aber auch, wie angedeutet wird, trennend zwischen uns und der Welt stehen. In diesem Buch sind die Worte erklärtermaßen Bilder. Die Poesie stellt sich den Gräueln der Medien entgegen, sie soll den Sieg davon tragen, dies ist das schon auf dem Vorblatt angekündigte Programm. Das letzte Drittel des Buches trägt die Überschrift “Weißes Rauschen”. Und das Thema dieser Seiten ist zweifellos die Verwandlung der Welt durch Poesie. Innen und außen verschmelzen miteinander, etwas, das schon im Hauptteil des Buches anklingt.
Der Krieg und die Katastrophen. Die Autorin lässt keinen Zweifel daran, WIE wir partizipieren am gräulichen durchs Fernsehen vermittelten Geschehen (Bombardierung, Verstümmelung, Vergewaltigung, Deportation, Massenerschießungen, Liquidierung, Folter und Flucht etc.). Wir sind die Voyeure, alles ist ganz realistisch. “Wir sind der Applaus … Wir sind das Echo der Lichtkegel und Brandfackeln, der Explosionsblitze und Leuchtfeuer. Das Echo der Schreie. Der Kopflosen und der Geköpften. Der Körperlosen, wir sind das Publikum im Naturkino. Todeskino. Sind wir”. Die letzten drei Worte des Zitates muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, wenn man die Intention der Autorin verstehen will. Dann spürt man den mehr als bitteren Geschmack, den diese Lektüre hervorruft. Sie enthüllt das Dilemma, das wir kennen. Die Bilder des Fernsehens schaffen eine Identifizierung, die nicht auszuhalten ist. Das Gefühl kippt, und wir realisieren, vor dem Fernseher sitzend, dass wir leben; wir nämlich sind die Überlebenden! Die “klammheimliche Freude an der ästhetisch inszenierten Katastrophe.” Und das alles ist, wenn man dem Text folgt, keine zufällige Verkettung von Umständen. Nein, es hat Methode. Die mächtigen Kriegsführenden verwerten den Krieg medial, sie “fliegen, filmen und steuern”. Die Vertriebenen gehen “in der Hitze der Blitzaufnahmen”. Filmischer Jargon, wie “harter Schnitt”, “ausblenden”, wird auf das Geschehen übertragen. Der harte Schnitt ist der Filmschnitt und also zugleich der Schnitt, der die Toten von den Lebenden trennt. Der Text gibt zu verstehen, dass wir als Zuseher des Grauens die Opfer im Stich lassen. Die Medien berichten nicht nur über die Schlachtfelder der Welt, sondern sie bringen sie in gewissem Sinne hervor. Wie auch immer man dazu steht und ob man es ertragen kann: in unserer vernetzten Welt hat dies zweifellos Logik.
Es gibt keine heile Welt, wenn man die privaten Gegenstücke jeweils auf den ungeraden Seiten des Buches liest. “Über dieser Stadt der große Himmel, ich schneide ihn nicht aus, nicht aus, eine solche schwarze Sprache ist kein Grund zum Atmen”. Doch positive Augenblicke halten dem Schrecken der Kindheit manchmal die Waage. “Es liegt eine Sonne im Schatten der Welt. Dort wurzeln die Sträucher noch tiefer als sonst. Sie wachsen wie Bilder und stehen als Freude im Licht.” Wir lesen von Frauen und Kindern, “die Körbe auf den Köpfen tragen mit Äpfeln rot wie Schnee…” Es wird angedeutet, dass diese Bilderwelt kompensatorisch ist, dass die Phantasie zu blühen beginnt, wenn das Unglück überhand nimmt. Das Kind trägt die “Einbildung von Bienen und jederzeit Honig” in sich. Dann aber genießt es oft nur ein “Scherbenglück”. Immer wieder spricht der Text vom Dilemma dieses Bilderglücks. Die Bilder potenzieren den Schrecken UND die Freuden. Und sie haben die Tendenz, sich in nichts aufzulösen oder überzugehen in weißes Licht. Das Sehen erreicht den blinden Fleck. Aber das ist keine Niederlage. Die Autorin erinnert sich daran, dass sie als Kind mit einem Stift ohne Spitze “weiß auf weiß und ohne Ziel” zeichnete. Und sagt: “Dort dann kann ich sein.” Damit ist der unbestimmten Ort bezeichnet, wohin die Autorin fragt und ruft und woher sie auch Antwort erhält. Es ist ein privat mythologischer Ort, Traum und Kindheit, nicht ohne eine Ahnung des Todes, aber er ist die “Quelle” des Lebens. Im letzten Teil des Buches werden wir davon mehr erfahren. Es ist ein schwieriger Übergang. Denn zugleich ist dies der Ort der Auflösung der Gegensätze, wo das Bezeichnete und das Bezeichnende, Subjekt und Objekt, miteinander verschmelzen, es ist die Zeit der Synästhesien und wunderbaren Paradoxien. Die Qualität des Textes besteht darin, dass er nie philosophisch wird, sondern immer anschaulich bleibt. In diesem Buch gibt es wunderbare Sätze: “Eines Tages verließ ich das Zimmer, aber als Wald. Oder als Tag verließ ich den Wald und war Zimmer. Die Bäume standen am Weg und häuften ihr Lächeln, diese freundliche Abwesenheit des Sturms.” – “Unter meinen Füßen die Erde wie gegipste Sätze oder Textstücke plötzlich plötzlich sehe ich überall.” – “Als Echo Stundenbuch Blau, sei es auch noch so durchsichtig”. Der Autorin gelingt es, das Unsichtbare zu vermitteln durch die poetische Struktur der Sätze und Satzabfolgen. Die Wortwiederholungen im Satz z.B. markieren das Schwinden chronologischer Zeit.
Der Text ist nicht umfangreich, aber gewichtig und prägnant. Die Sätze manchmal bis zum äußersten komprimiert, mitunter durchaus riskant. Leserin und Leser müssen selbst urteilen, ob das Programm aufgegangen ist. Kann die Poesie die Grässlichkeiten der Welt aufwiegen, kann sie Gegengewicht sein zur globalen Bilderhitzung und Bilderschwemme? Jedenfalls ist es das Verdienst dieses Buches, die Konfrontation nicht gescheut zu haben. Und das Verdienst von Petra Ganglbauer, etwas geschrieben zu haben, das unter die Haut geht.
Sylvia Treudl, die engagierte Autorin, Herausgeberin, Mitinitiatorin und Mitbetreuerin des Unabhängigen Literaturhauses Niederösterreich, ULNÖ, hat sich – angesichts des 30. Todestages von Ingeborg Bachmann – ebenso unprätentiös wie sensibel der Autorin und deren gebrochener, vielschichtiger Identität anzunähern versucht.
Ihr Vortrag auf dieser CD ist eine Durchwirkung:
Treudl greift einerseits Versatzstücke aus dem poetischen Fundus der Autorin auf und bezieht andererseits Sprengsel fulminanter wie vernichtender Bachmann-Kritik in ihren Textlauf ein. Sie kontrastriert, stellt in Frage, bedauert, ironisiert und nähert sich so vorsichtig der fragilen Persönlichkeit der Autorin. Immer wieder tritt dabei die persönliche Wertschätzung in den Mittelpunkt der akustischen Betrachtung, die in Teilen zu einem ebenso optischen Genuß wird, etwa dort, wo Treudl Bachmanns physische Präsenz schildert. Die Sonne. Die Katze. Der Balkon. Rom.
Beachtlich der Duktus dieser Lesung, die von den beiden musikalischen Begleiterinnen Cordula Bösze und Monika Drasch gekonnt ergänzt wird.
Alle drei Interpretinnen gemeinsam schaffen einen Wort- und Klangteppich, der gleichermaßen zum Hören wie zum „Sehen“ einlädt.
Dankenswerterweise ist dieses Buch entstanden, eine wunderbare Zusammenschau aus Beiträgen, die anlässlich des 10. Autor/inn/enlabors in der Alten Schmiede in Wien vorgetragen wurden. Ausrichtung. Blickpunkt, Fokus, Festschreibung: Arkadien, jener konsequent bemessene Begriff. Zum einen Sprache und Landschaft, Imaginationsraum, zum anderen gemahnend an jene Qualität, jenes unwidersprochene Maß, das vorgibt, was Dichtkunst zu sein hat.
Dafür sei Marie Thérèse Kerschbaumer an dieser Stelle gedankt, dass sie, die Dichterin, uns stets daran erinnert und nicht ablässt von dieser Vision ästhetischer Sprachfärbung und Stimmführung. Und auch der physische Ort der ästhetischen Auseinandersetzung ist Teil dieser umfassenden Blickrichtung: Die Alte Schmiede. Und nicht zufällig ausgewählt!