Elfriede Kern: Tabula rasa

Jung und Jung
Salzburg 2003

In ihrer unnachahmlichen Sprache führt uns die Autorin wieder höchst eigenwillige und fragile Charaktere nahe, deren Geschlecht vorerst oftmals nicht einzuordnen ist. Menschen zwischen Angst und Verlorenheit, Selbstvergessenheit und blinder Autoaggression. Interessant der sprachliche Duktus, wenn Kern beispielsweise, wie etwa in der Erzählung „Aufbrechen“, den Text im Perfekt schreibt, was eine zusätzlich eigenbrötlerische, naive und hilflose Komponente mit sich bringt.

Konsequent und intensiv: lesenwert.

Petra Ganglbauer

Bodo Hell: Tracht : Pflicht

Lese- und Sprechtexte mit zwei Bildreihen von Hil de Gard

Literaturverlag Droschl
Graz-Wien 2003

Eine anregende Zusammenschau aus urbanem und ruralem Material, Natur und Zeitgeist (oder was man darunter versteht) findet sich in diesem endlosen Textfluß, der formal immer wieder aufgebrochen wird.

Die Liebe zum Detail, zum Kleinen und Winzigsten ist hervorstechend, der Autor ist ein akribischer Wortsammler, seine Versatzstücke sind poetische, mythologische oder geologische Juwelen. Dieses Buch ist ein lebendes Museum; bezeichnend der Verschnitt aus Schlagwörtern und Slogans, das Gebrabbel aus Medien und Werbung, welches jedoch in der opaken Sprachlandschaft durchaus zerstiebt. Ansprechend auch die Gliederung des Bandes je nach Objekt der Auseinandersetzung, wie etwa Natur/Wahrnehmung oder Stichwort Stadt.

Der Leseakt wird zum Springen und Hüpfen mit Augen und Kopf.

Petra Ganglbauer

Günter Brus: Nach uns die Malflut

Ritter Verlag
Wien 2003

13254Poetische Sprengsel, Legenden, Versatzstücke aus Theorie und Praxis, Definitionen, Gattunsgspezifika – all das versammelt der Künstler Brus im vorliegenden Band.

Er äußert sich zu beinahe allem: Kunst, Religion, Dichtung, Gefühlspegel u.s.w.

Wer mehr über die ironischen, dann wieder subtilen Zugänge des Autors – auch zu seiner Kollegenschaft etwa – wissen möchte, ist gut beraten, sich diesen Band zuzulegen, der in schöner Korrespondenz von bildnerischen Arbeiten ergänzt wird.

Petra Ganglbauer

Ilse Kilic: Monikas Chaosprotokoll

Im Dampfkochtopf von Oskars Moral

Ritter Verlag
Klagenfurt-Wien 2003

Noch komplexer, formal differenzierter, mit formalen Umbrüchen versehen ist dieser neue Band der Wiener Autorin. Zwischen Regelwerk und Ludothek angesiedelt, verdichtet, an den Rändern verstärkt und festgezurrt, im Textkörper selbst enger gestrickt, – dieses Buch fordert noch mehr Aufmerksamkeit als seine Vorgänger, holt Kilic doch poetologische Kriterien, Bildmittel, Gedankenmittel herein. Ebenso oszilliert das Projekt zwischen den Gattungen, ist durchwirkt von Transgressionen: eine wahrhafte Anstrengung, Steigerung, nicht mehr ganz so verspielt und fragil wie die anderen bisher im Ritter Verlag erschienenen Bücher der Autorin, eben festgeschriebener!

Eine wunderbare Leseherausforderung!

Petra Ganglbauer

Harald Miesbacher: Werner Schwab

Dossier extra

Droschl Verlag
Graz-Wien 2003

Wer sich mit den formalen Eigenheiten, den skurrilen Besonderheiten, den sprachlichen Konvulsionen Werner Schwabs auseinandersetzen möchte – und dies möglichst genau –, ist mit diesem Buch gut beraten; tut sich doch der ganze wohl recherchierte Fundus Schwabscher Kunstsprache auf, die Mechanik, die Kombinatorik, der Einfall. Schwabs Sprache mutet wie Maschinenlärm an, dann wieder wie Lehrlauf oder philosophischer Exkurs.

Es tut gut, wenigstens nach dem Tod des Autors, die Beschäftigung mit dessen intensivem, wahrhaft brachialem Werk gesichert zu wissen.

Petra Ganglbauer

Helmuth Schönauer: Die Vollbeschäftigung der Sinne

Gefräste Gedichte

Grasl Verlag
Baden bei Wien 2003

Er ist ein Spracharbeiter, der Autor, er siedelt seine Gedichte in unterschiedlichen Räumen an: Gesellschaftsräumen, als da auch medialen Räumen, Kopfräumen.

Das Grauen hält Einzug, und wenn nicht real, so doch immer wieder als Vorstellung: Bilderfeldzüge sind das, scharf geschliffen, mithin poetisch, insistierend, radikale Feststellungen.

Das sind formale Raster aus Faktischem, Festmachungen, – die Sinne, wie der Titel sagt, werden bis zur letzten Konsequenz befasst – kein Entrinnen möglich.

Einer der spannendsten Gedichtbände der jüngsten Zeit.

Petra Ganglbauer

Manfred Chobot: Reisegeschichten

Erzählungen

Bibliothek der Provinz
Weitra 2003

Manfred Chobot, Autor und Reisender aus großer Leidenschaft, versammelt in seinem neuen Buch Erzählungen von Aufenthalten in den unterschiedlichsten Regionen der Erde. Schon das Cover ist ansprechend und zieht uns unweigerlich hinein in das 266 Seiten-Buch:
Indigeñas vor einer Kirche auf der Vorderseite; die „Bodequita del Medio“ in Havanna (Hemingways legendäres Lieblingslokal) auf der Rückseite des Bandes, der sich seinerseits in einem erfrischenden Grün präsentiert.
Chobots Geschichten sind lebendig und gleichermaßen akribisch gestaltet, ergänzt er sie doch durch faktisches Wissen in Sachen Alltagsästhetik, Geschichte oder Politik.

Die Reise führt uns von Rom über New York, um Beispiele zu nennen, nach Hawaii (jahrelang eine Art zweite Heimat des Autors) weiter über Mexiko, Peru oder Kuba nach China, Hongkong und schließlich wieder zurück nach Europa, ins gute, alte Berlin.

Eigentlich hat man es gar nicht mehr notwendig, selbst in Zug oder Flugzeug zu steigen, solange das Buch auf dem Nachtkästchen liegt. Die ansprechend kurzen Texte eignen sich vorzüglich, einzeln gelesen zu werden, ermöglicht diese Art Lektüre doch ein intensives, augenblickliches Verweilen.
Chobot lässt sich sehr genau auf die Destinationen ein, seine Recherchen und Erlebnisse bieten eine ideale Verknüpfung aus Spontaneität und Analyse.

Ein empfehlenswertes Buch für alle Welt- und Kulturhungrigen Leser/inn/en.

Petra Ganglbauer

Noch ein Tip: „entschuidigns“ eine CD von Manfred Chobot und dem palästinensischen Musikkünstler Marwan Abado, die eine Synthese aus Wiener Dialektgedichten und arabischen Melodien herstellt.

Bernadette Schiefer: Kleine Erzählungen am Rande

TRITON Verlag
Wien 2003

Schon das Foto deutet den Kern der vorliegenden Erzählungen an: Kleine unspektakuläre Gesten des Fortgehens und Wiederkehrens, des Weitergehens und Abweichens, des Schweigens und des leisen Sprechens. Sie erzählen vom Leben, von der Liebe, vom Abschied, vom Schwanken.

Die Stimmführung ist eine bewusst zurückgenommene, Bernadette Schiefer erzählt, ohne jenen überlauten, schreienden Duktus anwenden zu müssen, der hinlänglich bekannt ist.

Da und dort jedoch, beispielsweise in „Sappho geht“ , kippt die Sprache jedoch; sie verlässt ihre Spur, ihre Funktion einer langsamen Begleiterin der Protagonist/inn/en und erregt sich selbst, indem sie in einen raschen Abtausch von Wörtern und Exklamationen verfällt. Ein durchaus spannendes Unterfangen!

Das Fragile wie die Flüchtigkeit sind insgesamt Wesenzüge dieser Sprache, ein Prinzip, das durch die wechselnden Topographien noch unterstrichen wird.

Nuancierungen, Grenzgänge und schließlich Bekenntnisse zum Leben, die aus einer einzigen Sicherheit entstehen, nämlich jener, welche die Potentialität von allem gewährt.

Petra Ganglbauer

Gerhard Kofler: Poesie di mare, terra e cielo / Poesie von Meer, Erde und Himmel

Italienisch – Deutsch

Wieser Verlag
Klagenfurt/Celovec 2003

Es ist die Ordnung, die in der vorliegenden Gedichtsammlung besticht, die Ordnung wie die Leichtfüßigkeit, mit der der Lyriker Gerhard Kofler seine poetischen Markierungen setzt. Dieser Band ist eine Ergänzung des im Jahre 2000 erschienenen Bandes „Poesie von Meer und Erde“, neu, angereichert und topografisch ergänzt durch den Empfindungsraum „Himmel“.

Wieder bezieht der Autor Mythen in seine Gedichte ein, etwa in „Rückkehr des Odysseus“, (Poem) oder „Orpheus“ (Poem), jenen streng formal ausgerichteten Zyklen, die im Laufe des Buches ( das – wie sein Vorgänger auch – so ansprechend und enigmatisch gestaltet ist, als ob es ein Geheimnis hüten wollte) auch jenen Kurzgedichten Raum geben, wie sie beispielsweise der Zyklus „Trilogie der Himmel“ enthält.

Bemerkenswert auch immer wieder jene Gedichttitel, die, ihrerseits Metaebenen, den jeweiligen Textkörper ergänzen, als wollte der Autor damit der Leserschaft Flügel wachsen lassen, damit diese besser abheben könne. Zum Beispiel: AUSBESSERUNG DER KRÄHEN oder WIEDERAUFNAHME ZUR WIEDERHOLUNG.

Streng voneinander unterschieden auch die Texturen und Traditionen, wie etwa die „Amerikanischen Fugen“ oder an anderer Stelle die „Sonette“, je nach Örtlichkeit, Zeit oder Bezugspunkt als Formduktus akribisch ausgewählt.

Kofler ist ein mehrsprachiger Lyriker, der sich rückgebunden weiß, an klassiche Vorbilder und Traditionen der Dichtkunst, um sich dort auf Zeit niederzulassen und letztlich zu sich selbst zurückzukehren, in einer Art Wiederantritt!

Petra Ganglbauer

Lisa Spalt: saschaident

Das Fröhliche Wohnzimmer – Edition
Wien 2003

Zunächst saschaident, dann saschaideal – beide Kapitel des Buches sind sehr unterschiedlich komponiert. Methoden werden einer Prüfung unterzogen, um zu erzählen:

In vielfachen Anläufen nähert sich die Autorin der Figur Sascha, zunächst epischer, dann in eruptiven Sequenzen oder Stufen, immer jedoch über die Sprache. Wie Worte Wandlung erfahren, wie Inhalte neu entstehen, wie eine Geschichte eine andere, immer neue ergibt, wie der Duktus sich insgesamt laufend ändert und doch eine ganz bestimmter, richtungsweisender Rhythmus konsequent beibehalten wird: das Buch ist beispielgebend für Sprachspiel und Disziplin, ist anregend und grün wie der Frosch-König, der es auch ziert.

In zehn Folgen mit informativen Fußnoten packt Lisa Spalt ihre gestrenge Stilvorgabe temperamentvoll an: Wie die Sprache sich zunächst führen läßt, dann eigenbewegt und kreisförmig wird, wie trockeneres Episches plötzlich ornamental oder dramatisch daherkommt.
Wie Sprüche geklopft werden!
Dies alles läßt sich gut begleiten. Und wir lassen uns von der Autorin und ihrer Sprachakrobatik gerne an die Leine nehmen.

Petra Ganglbauer