Rudolf Hochwarter: immer wieder taucht ein cowboy auf

Politische Markierungen

edition lex liszt
Oberwart 2019

Layout 1In seinem aktuellen Buch, das Lyrik wie auch Kurzprosa und Collagen enthält, nimmt sich Rudolf Hochwarter, dessen Zugang zur (politischen) Wirklichkeit stets ein kritischer, pointierter, subtiler ist, –  trotz aller Feinsinnigkeit – im besten Sinn kein Blatt vor den Mund.

Irgendwann muss auch der Autor, die Autorin zu härteren inhaltlichen und formalen Maßnahmen greifen, sonst wird er, angesichts der Abstumpfungsmechanismen  in der Gesellschaft nicht mehr verstanden. Heutzutage muss man schreien, grelle Bilder schaffen, in die Tasten hauen! Das tut der Autor mithin und er trifft.  Nicht nur uns als von der zeitgenössischen oder besser ewig gestrigen Politik frustrierte Lesende, sondern er trifft auch die angesprochenen Themen in ihrem Kern.

Dennoch greift er nicht selten zum Sprachspiel, zu chromatischen, metaphorischen oder auch lakonischen Methoden. Oft spielt er mit wenigen Worte „MACHT macht MACHT“ oder Diminutiven (Verniedlichungen): „weiberl und manderl / halten sich am handerl…“, mit Konkreter Poesie: „zackzackzack“, mit Farbe (blau) oder auch mit einem regelrecht drohendem Gestus, der konkrete politische Ansager in Österreich spiegelt.

Ein mutiges Buch, das kongenial mit den Arbeiten der bildenden Künstler Wolfgang Horwarth, Erich Novoszel und Kurt Pieber sowie Grafiken / Collagen von Karl Guttmann korrespondiert.

Petra Ganglbauer

Erika Wimmer Mazohl: Orte sind

edition laurin
Innsbruck 2019

erika wimmer cover Erika Wimmers Gedichte schlagen ein wie Kometen. Das ist an dieser Stelle ausschließlich positiv gemeint, sie sind aufgeladen, poetisch und kommen mit einer Wucht daher, der man sich nicht entziehen kann. Avancierte, rhythmisierte Gedichte sind das, die auch politische, gesellschaftliche Themen aufgreifen aber alles Andere als plakativ sind. Im richtigen Augenblick entziehen sie sich der Materialität der Alltagswirklichkeit und werden wortwörtlich abstrakt.
Es gibt auch Gedichte, die auf Reiseerfahrungen fußen: „Indien hier“.
Der Band ist zudem in mehrere Kapitel gegliedert.
Repetitionen ritualisieren die Gedichte, die sohin zu Gesängen werden, zu Zorn–, Trauer oder auch Stillegesängen: das Kapitel „echoräume“ ist übrigens Georg Trakl gewidmet.

Formal spannt sich der Bogen von sperrigen, etwa mit Schrägstrichen ausgestatteten und breit gebauten Texten (Ostia Antica: „sieht grob behauene Blöcke / und die Straßen aus Stein“) bis hin zu fragilen, teilweise durch Lautpoesie untermalten Gedichten: „der klang des schlagbaums“, „der klang des skalpells“, beide knallharte Auseinandersetzungen mit Gewalt – oder aber auch „der klang des papiers“ – allesamt Gedichte, die Teil eines Zyklus in diesem Buch und demgemäß nummeriert sind.

Erika Wimmers Gedichte erzeugen einen Sog, einen Sturm, in den man gerät sobald man die erste Seite des Buchs aufschlägt!

Petra Ganglbauer

Gertraud Klemm: Hippocampus

Roman

Verlag Kremayr & Scheriau
Wien, 2019

Klemm_hippocampusGertraud Klemm ist eine Meisterin des Hervorkehrens von (trotz der scheinbaren Aufgeschlossenheit unserer Gesellschaft) nach wie vor tabuisierten Themen.
In ihrem neuen Roman geht sie knallhart Bereichen nach, die sich zwischen der Kritik am Literaturmarkt generell und jener aus feministischer Sicht aufspannen.
Doch geht die Autorin auch weit darüber hinaus, denn herein funkt das ganze (Negativ-)Universum von Geschlechterverhältnis, familiären Strukturen und (insgesamt) hierarchischen Gesellschaftsstrukturen.
Anhand der Aufarbeitung von Leben und Wirken der verstorbenen und in ihren letzten Jahren dem Alkohol verfallenen, vom Literaturbetrieb enttäuschten und sohin auch daran gescheiterten feministischen Autorin Helene Schulze, die posthum für den Deutschen Buchpreis gehandelt wird, tobt sich Gertraud Klemm literarisch aus, indem sie sich kein Blatt vor den Mund nimmt.
Elvira, Helenes Freundin und ehemalige feministische Kampfgefährtin, stößt beim Sortieren des Nachlasses und der Utensilien der Verstorbenen auf die unerträglichen Strukturen der Medien- und PR-Maschinerie und wehrt sich, indem sie ein Interview abbricht, das eine Art Nachruf auf die Verstorben sein soll.
Was dann folgt, ist eine Art „Heldinnenreise“ bis nach Neapel, gemeinsam mit dem Kameramann Adrian. Elvira sprengt unterwegs Normen und patriarchalische Muster. Atemlos, pointiert, frech und politisch engagiert erzählt Gertraud Klemm die radikalen Ausritte, welche Elvira unternimmt, um die Biografie ihrer Freundin, ihre Reputation zu zurecht zu rücken.
Gertraud Klemm agiert mit vollem Einsatz: Das Seepferdchen, Hippocampus, wird etwa beispielgebend eingesetzt, weil es das einzige Tier ist, bei dem die Männchen die Jungen austragen und gebären. Ein gelungener Streich, denn Klemm ist selbst auch Biologin. Gegen Ende des Romans, in Neapel, gelingt ein weiterer Geniestreich, als Elvira, da „es ein Fluch ist, als Frau geboren zu sein“, sich unter anderem inmitten all der antiken Kopulationsszenen findet und etwas tut, was bis heute ein „NO GO“ ist!

Wie immer exponiert sich die Autorin, indem sie ihren ungeheuren Sprachfluss mit
kritischen Aspekten anreichert; dennoch ist das Buch von der ersten bis zur letzten Seite spannend und leicht lesbar.
Petra Ganglbauer

Peter Giacomuzzi: mannfrau

Prosa

Gangan Verlag
Sydney 1999 und Stattegg 2019

giacomuzzi-cover-U1Mit Peter Giacomuzzis „mannfrau“ legt der Gangan Verlag nach zwanzig Jahren eine Prosa wieder auf, die 1999 als e-book bei Gangan erschienen war und 2010 von der Zirler Edition BAES unter dem Titel „frann“ nachgedruckt wurde. „mann“, „frau“ und „mannfrau“ – das sind die drei Kapitel der so genannten „novela“. Abwechselnd wird hier aus der „er“- bzw. „sie“- und „ich“- Perspektive erzählt, was zu einer komplexen Verschränkung der schwer fassbaren Figuren im Kopf des Lesers/der Leserin führt.

Der Ort, an dem sich die erzählende Stimme von „mann“ aufhält, ist ein Gasthaus, die Zeit unbestimmt. „eigentlich müsste ich schon längst krepiert sein, eigentlich bin ich schon lange zugrunde gegangen.“ Was diese Figur von sich gibt, ist eine verbal-aggressive Attacke gegen den Zustand der Welt. In seinem Räsonnieren erscheint die Familie als trostlos, sie gibt keinen Halt, alles ist ein Gegeneinander der Geschlechter. „mann und frau, das ging nicht mehr zusammen.“ Die Arbeit ist unbefriedigend und bedeutungslos, der tägliche Gang ins Gasthaus eine lustlose Gewohnheit. Unbemerkt von den anderen löst sich dieses „ich“ / „er“ auf, „fließt“ zu Boden. „die gedanken existierten alleine, die sprache ohne worte, das fleisch ohne formen.“ Diese Figur fühlt sich nicht. Und langsam wird klar: Es ist ein alltägliches Leben, das sich schonungslos ausspricht, mitsamt dem Ekel daran, der sich wortreich und grauslich artikuliert. Mit dieser Figur des Mannes kotzt sich einer gründlich aus. „arbeiten war sein einziger zweck, arbeiten und am abend in die gaststätte gehen.“ Nur das Körperliche gilt ihm als Lebensäußerung. Als seine Frau stirbt, geht er kotzen, um sich zu spüren. Dass sie so einfach eines Morgens tot im Bett gelegen hat, verzeiht er ihr nicht. Eine namenlose, prototypische Allerweltsfigur beleuchtet ihr geheimnisloses Allerweltsschicksal, in dem nichts von Bedeutung geschieht und alles, was geschieht, von der Fadesse der Wiederholung affiziert ist.

Im Kapitel „frau“ destilliert sich aus der kunstvollen Verschränkung der Perspektiven eine weibliche Figur, die einfühlsamer erzählt wird. Diese Frau ist eine Gestalt mit einem ausgeprägten Bewusstsein ihrer selbst, das sie zu den Dingen, Ideen, Wünschen und ihren Vorstellungen in eine Beziehung treten lässt. Sie besitzt Erinnerungen an glückliche Momente ihrer Kindheit, die sie ebenso prägen wie ihre späteren Aufsässigkeiten, und einen Gestaltungswillen, mit dem sie den Dingen um sich herum das ihr gemäße Aussehen verleiht. Es ist bei allem, was sie tut, ein gewisser Experimentalcharakter am Werk, mit dem sie durchs Leben geht. Ohne Vorbehalte, immer rein in die Herrenwelt, schonungsloses Erfahrungmachen, und auch immer gleich wieder weg. Von Ehe und Scheidung erfährt man in einem Satz, scheinbar Bagatellen in ihrem Leben. Diese Frau ist neugierig, ja gierig aufs Leben. „ihre wohnung war sie selbst, und niemand war jemals bis hierher gedrungen. kein telefon, keine adresse, kein briefkasten.“ Namenlos auch sie.

Im dritten Kapitel, „mannfrau“, der Synthese aus „frau“ und „mann“, werden der Mann und die Frau zusammengeführt: Sie finden sich anfangs zu einer belanglosen sexuellen Aktion zusammen. Aus einer Begegnung sexualisierter Körper entsteht die Beziehung zweier Zerflossener, Aufgelöster, die mehrere Leben hinter sich haben. In weiteren Begegnungen der beiden kommt es zu Verletzungen, Erwachsenenspielen zwischen Verliebtheit und der Sucht nach Erniedrigung des anderen. „sie trafen sich, wie alle liebespaare mit erfahrung sich treffen. wie raubtiere, die um die gegenseitige gefährlichkeit bestens informiert sind. offen, selbstsicher, nur keine blößen zeigen, die alle weiteren schritte in eine ungewünschte richtung gelenkt hätten.“ Zum Ende hin wird dieses Verhältnis sehr subtil herausgearbeitet. Gut beobachtet, gut geschrieben, gut gedacht von Peter Giacomuzzi. Ein Text, der sein Alter nicht verrät.

Florian Braitenthaller

LiLiT. Literarisches Leben in Tirol, Rezensionen 2010

Jörg Zemmler: Seiltänzer und Zaungäste

114 Begegnungen

Klever Verlag
Wien 2019

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An den Rändern der Wahrnehmung und des bewussten Umgangs mit dem Leben, dem Alltag bewegen sich Jörg Zemmlers leise und unaufdringliche Prosatexte, die alle als Titel Namen enthalten.
Sie wandern am menschlichen Grat zwischen dem Wollen und der Umsetzung, dem Wünschen und der Wunscherfüllung, der Klarheit und der Gespaltenheit.
Hinter einer bewusst gesetzten Schlichtheit der Inszenierung verbergen sich oft nicht nur Schmerzen, Unerfülltheiten oder Träume, sondern auch ganze Parallelwelten, wie etwa jene Werners, der obgleich Beamter, eine große Passion gegenüber der Vogelwelt hat. Diese Hinwendung lässt ihn über die Überschaubarkeit seines eigenen Lebens hinauswachsen.
Oder Gerhard, dem das Traurigsein das Glück verstellt, und der in einer kurzen Sequenz der Betrachtung seines Gesichts vor dem Spiegel Erlösung im Lächeln findet.
David wiederum, Schriftsteller, dem das „Müssen im Weg“ ist, kann sich nicht über seine Arbeit und deren Resultat freuen, obgleich er bereits eine Verlagszusage hat.

Ein Geheimnis von Literatur, welches die Leserinnen und Leser in Spannung hält, ist stets das Durchqueren der Erwartungshaltung. Genau dies ist bei Jörg Zemmlers neuem Buch der Fall.
Es sind kleinste Wendungen im Verlauf der Geschichten, zudem arbeitet der Autor da und dort mit dem Verdecken von dem wovon die Rede ist.
Er schreibt dann fast geheimnisvoll um eine Sache herum, die nie ausgesprochen wird, etwa im Text „Magda“.

Ein Buch, das (Lebens-) Geschichten enthält, die in ihrer Tiefe den Lesenden als Identifikationsgrundlage dienen können.

Petra Ganglbauer

Bernd Schuchter: Der Braumüller Verlag und seine Zeit

235 Jahre – eine Verlagschronik 1783 – 2018

Braumüller
Wien 2018

braumueller_chronikEs ist viel die Rede von Literatur, es ist oft die Rede von Autorinnen und Autoren bzw. deren Werken, was jedoch Seltenheitswert hat, ist die Auseinandersetzung mit einer Verlagsexistenz über 235 Jahre:
„Am Vorabend der französischen Revolution sucht der aus Salzburg stammende Johann Ritter von Mösle in Wien um eine Konzession für ein Verlags- und Sortimentsgeschäft an, die er am 26. März 1783 auch erhält. Das ist der Beginn einer mittlerweile 235-jährigen Geschichte, auf die der seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts unter dem Namen Wilhelm Braumüller firmierende Verlag zurückblicken kann.“

Der Autor, Verlegen und Historiker Bernd Schuchter hat sich an die akribische und zugleich im besten Sinn unaufdringliche Recherche gemacht und eine mit wunderbaren fotografischen Aufnahmen illustrierte und ästhetisch aufgemachte Verlagschronik zusammengestellt, die einerseits das Gesellschaftsgeschehen über beinahe zweieinhalb Jahrhunderte aufrollt und andererseits eine Schau auf die spezifische Entwicklungsgeschichte des Braumüller-Verlags selbst eröffnet.
Bernd Schuchter zeichnet den Entwicklungsweg des Verlages im Spiegel der jeweils aktuellen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sowie des Literaturbetriebs.

Angesprochen werden auch Tendenzen im Verlagsgeschehen überhaupt:
Beispielsweise „der“ beinahe zeitlose „Kampf der Autoren um eine angemessene Honorarabgeltung“ oder im Speziellen die „wienerische Anbiederung der Verleger an Kunden“, ein Zitat des legendären Gründerzeitverlegers Kurt Wolff, der u.a. Franz Kafka, Georg Trakt oder auch Gottfried Benn herausgab.
Ebenso behandelt werden die technischen Entwicklungen, das je nach politischer Lage wechselnde Leseverhalten, Zensurgehabe, die Auswirkungen der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und schließlich auch die Findigkeit Braumüllers:
„Die Wilhelm Braumüller Verlagsbuchhandlung wurde jedenfalls kurz nach den Revolutionswirren im Jahre 1849 zum alleinigen Buchhändler für die neu geschaffene Akademie der Wissenschaften.“
Die Mechanismen des Nationalsozialismus machten auch vor dem Braumüller Verlag nicht Halt. Der Verlag fand sich „in diesen Jahren in widrigen Gewässern, intellektuell gesehen in stürmischer See.“

Hoffnungsfroh macht die aussagekräftige Schlusssequenz des Buches, in der der Verleger Wilhelm Braumüller fiktiv dem idealen Leser begegnet und zu ihm sagt:
„Es geht am Ende nicht nur um den Verkauf. Es geht um die Leserin, den Leser. Es geht um das Buch.“

Ein empfehlenswertes Buch, das auch aus einem idealistischen Gestus heraus gemacht ist.

Petra Ganglbauer

Ingrid Zebinger-Jacobi: Ich lege mein Herz

Kurzgeschichten

edition keiper
Graz 2019

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Auf eine höchst unprätentiöse und zugleich sensible Weise sind die Kurzgeschichten im vorliegenden Band gebaut. Die Verschränkung aus Schlichtheit und einem ebenso geheimnisvollen wie selbstverständlichen Übergang von der Tagesrealität zur Imagination machen Ingrid Zebinger-Jacobis Buch „Ich lege mein Herz“ zu etwas Besonderem.

Stets unternimmt die Autorin seelische Tiefgänge, Jacobi spricht vom Leben, von unmöglicher, möglicher oder auch imaginierter Liebe oder auch deren Gegenteil – jedoch sie doziert nicht, sie trägt nicht dick auf, sie deutet vielmehr an, setzt raffinierte und pointierte Wendungen ein und lässt die Sprache atmen.

Aus einer liebevollen Zartheit sind diese Geschichten gebaut: „Als du ganz neu warst und unversehrt und die Welt noch aus knallbunten Spielsachen bestanden hat…“

Und etwas weiter im Text: „Dann kam ein Wind auf, blies dich ins Älterwerden, in die Schule und morgendliche Müdigkeit und das Füßestampfen…“

Satzbauspezifika bereichern die Texte, etwa Wortnachstellungen beispielsweise in „Metamorphose“: „…war sie an mir vorübergefahren, die Zeit, hatte mein Leben weit hinter sich gelassen…“

Präzise und zugleich seltsame Bilder verstärken die Wirkung der Texte: „…mein Kreuz schmerzte, mein alter Rücken.“, „…über mir sprang ein Eichhörnchen herum und besah mich wie ein Stück Fleisch.“

Repetitionen verstärken den Nachdruck: „Sie schob es weg, wie immer. Atmete die kühle Luft, schwitzte. Schob es weg.“

Ansprechend ist auch der Titel dieses Buchs, der der Kurzgeschichte „Italienische Reisen“ entnommen ist.

Ein gelungenes Buch!

Petra Ganglbauer

Walter W. Hölbling: Gemischter Satz

Gedichte #13

Gangan Verlag
Stattegg 2019

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„leben – dunkles – lieben – natur – reisen – welt – worte“

7 Abteilungen. Prosagedichte. Hauptsächlich. Voller Zartheit, Vorsicht, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit. Und voll von Weltliebe.

  1. Das Drehen der Dinge in den Händen. Der Abstand in „die welt wird langsamer“ – das Altern. Ein genaues Hinsehen und treffende Bilder wie dieses: „hauchdünne nebelschleier schieben sich/milchzart/zwischen die dinge und mein wollen“. Das hat an sich nichts mit dem Altern zu tun und kennzeichnet dennoch eine Art, sich langsam aus der Welt zu verabschieden. Die „kanten der objekte/werden stumpf und weich“. Es ist (auch) ein Absterben: „worte gerinnen zu abstrakter starre/ in der die dinge ewig unverändert bleiben“, ja, es ist „ein todesahnen/das mir am nacken tastet/und mich für eine weile/des trosts der ständigen veränderung beraubt“. Das Leben entfernt sich „mit weiten schritten“ und „die küchenuhr tickt lauter als gewohnt“ – ein Memento Mori, das „die zeit/von hier bis zu den sternen“ misst. Aber so ist er eben, der ewig gleiche Gang der Zeit. Das Leben ist kurz, die „schleier meiner kurzen ewigkeit“ werden „sanft und bestimmt“ „in die vergangenheit“ geschoben.
    Dieses erste ist ein wunderschönes Gedicht, das den ganzen Gedichtband von Walter Hölbling einleitet – eine ausgezeichnete Einleitung, die das Ganze des Buchs im Voraus umreißt und umfängt. Es leitet zugleich auch den ersten Teil der Gedichtsammlung ein, weise Worte, abgeklärte, übers Leben, über das Leben und den Tod, über Kindheit, Erwachsenwerden, Liebe, Zusammenleben und Scheitern an Beziehungen, Schwierigkeiten in Familienleben und Alltag, oft auch humorvoll, ein wenig an den Stil Eugen Roths erinnernd: „tochter erweist sich als ergebene mutter/vater brät sehr gekonnt den fisch in butter“ – Hölbling macht sogar selbst im Buch auf Parallelen zu Roth aufmerksam, wie zum Beispiel in „lebenswitz“ (Seite 21). Und als (Alters)Weisheit lassen sich Gedichte wie „geborgenheit der täglichen monotonie“ (Seite 17) lesen.
  2. In „dunkles“ geht es um Themen wie Abend (des Lebens), um Alter und Tod, Schatten, Trauer, und da wird es beizeiten bitter, findet sich kein Trost mehr: „im dunkeln der gedanken/verbergen schluchten sich/von bitterem asphalt“. Splitter, Kälte, Eis, Stürme, ein Verstummen, ein eisiges Schweigen, ein Erstarren nimmt Platz – viele Metaphern, die mit Jahreszeiten zu tun haben.
  3. „lieben“ hingegen, da kommen Erinnerungen hoch, die Liebe ist aber kosmisch gemeint. Ewigkeit, Strahlen, ekstatische Explosionen, Traumland, Verzaubertsein, Sehnsucht, die die Ruhe stört und scharfe „dornenranken/tief in meiner seele wände“ gräbt, dabei ist es, wäre es – „so einfach“…
  4. „natur“ – „frühling“: Das sind Assoziationsbilder zur Mutter, während „herbst“ auf einen Winter (Vater?) hinweist und auf ein Schwachwerden und Vergehen der Menschen. „natur“ und ich – sehr schöne Bilder, vom Wind als Freund, dem Regen als Lover, der Sonne als Bruder, dem Mond als ein „anderes“, Verzaubertes, – und wieder eine Metapher vom Gehen, Weitergehen, Vergehen. Als eine Aufforderung zum genaueren Hinsehen, aufmerksameren Schauen lese ich „sommerabend“: „die schönheit der natur/verschwindet oft in den gesprächen/wird zum bloß angenehmen hintergrund/der uns die zunge löst“… Ähnlich: „unsere welt“: „täglich auf jagd nach lügen daten quoten/terminen konferenzen autobussen/vergessen viele auf die welt/die uns all dies erlaubt zu tun“. Hölblings Wintergedichte scheinen mir überhaupt als Mahnung gedacht zu sein, als Nachdenk-Impulse.
  5. „reisen“ berichtet von Plätzen, die etwas ausgelöst haben, Erinnerungen, die hochkommen bei Orten wie Cividale, Cormons, Duino, Triest, Spilimbergo – viel Italienisches also taucht auf, das Friaul, und nur ein einziges Mal, aber das darf nicht fehlen, sogar ein klein wenig aus seiner zweiten Heimat Amerika, „kentucky fried chicken“, – mit einem Augenzwinkern. „die fremden“, „fremd“ – das Nachdenken bleibt jedenfalls nicht aus „über den dingen“.
  6. „welt“, da wird viel nachgedacht und vieles angezweifelt, da gibt es durchaus auch mal Elemente von Wut und Verzweiflung wie in „aus dem lot“: „man wird darob äußerst ergrimmt“, „es läuft“ eben „eine sehr dünne linie/zwischen nachrichten und machtrichten“, und es gibt Aufforderungen zum „besseren Leben“ wie in „blickwinkel“: „betrachte die welt/ mit den augen der liebenden/ nicht der jäger“ und das mahnende „denk an die kinder“. Es handelt sich ganz eindeutig um „dichtung in zeiten der flüchtenden“, schwierige Zeiten eben, und „heimat?“ mit Fragezeichen, eine „schande der welt“, „wenn es eine lüge ist, zu reden,/ und eine andere, zu schweigen/ nicht einfach“. Dieses Kapitel ist übrigens mit Abstand das umfangreichste, hier finden sich 25 Gedichte.
  7. „worte“, Nachdenken übers Schreiben, übers Dichten – auch ironisch, gleich im ersten Gedicht dieses Kapitels „dichterleben“ – sehr witzig übrigens! Also lustig im Sinn von geistreich. Ernster dann schon „dichterworte“. Es sind eben „feuerzeichen“, die gegeben werden sollen, – das Wort als Schwert. Experimentelles aber auch, das Spiel mit Worten in der „seinswelt“, immer aber auch die Kostbarkeit von Sprache, der Muttersprache in „sprache“. Und dann das Gelegenheitsgedicht, „strahlend schön“, und das Gedicht „traumfliegen“, das an das im Buch enthaltene Bild von Ichikawa erinnert oder vielleicht auch davon inspiriert ist. Der Vergleich von Sprechen und Singen mit  Fliegen – sehr beeindruckend! Und dann wie Sand, wie Wind, zerstreut, verflogen… eine „welt ohne mich“. Was da alles passieren kann, Naturmetaphern in der Sprache, eine Konklusio des ganzen Bandes: „wortvorhänge“ und „wortwelten“. Was bleibt? Eine „verzweifelte zwiebel“ – wie in der berühmten Peer Gynt Metapher. Nichts bleibt, vielleicht Tränen… und ein Bild von Ruth Mateus Berr…

Bilder von befreundeten Künstlerinnen, – Hölbling hat ausschließlich Frauen für die bildnerische Ausstattung seines Buches erwählt, – machen das Buch nicht nur zu einem edlen, sondern auch zu einem schönen: Beate Landen („flower of loss“, „orchid blossoms“, „herbst“), Yuko Ichikawa („traumfliegen“, „the brilliance“), Herta Tinchon („some music“) und Waltraud Mohoric („world“) markieren jeden neuen Themenabschnitt  und ihre Bilder, meist Aquarelle, durchziehen das Buch wie Traumfänger, Nebelschwaden. Als würde dieses lyrische Element, diese Farbigkeit, Naturverbundenheit, kreatürliche Allverbundenheit ihm besser passen zu den in diesem wunderbaren Lyrikband angeschlagenen weichen, sanften Tönen. Da kommt keiner mit der Peitsche daher, da baut keiner artifizielle Gebäude, da wird organisch und aus Situationen, Landschaften, Stimmungen und Wetter heraus im wahrsten Sinn des Wortes „gedichtet“.

Danke, Walter – ein zartes, schönes, gehaltvolles, sehr lyrisches Buch!

Andrea Wolfmayr

Petra Ganglbauer: Gefeuerte Sätze

Gedichte

Limbus Verlag
Wien 2019

Auch in ihrem neuen Gedichtband „Gefeuerte Sätze“ mit den Kapiteln „Gewalt Muster“, „Revisited“ und „Blessuren“ geht es Petra Ganglbauer, wie schon der Titel programmatisch verkündet, um Aggression, Angriff, Gewalt, Krieg, Leid: „Immerfremd in diesem Krieg zum Fressen: / Lieb schürfen wir uns aneinander ab. / Unsere unnütz gewordenen Wörter: / Darunter! Unter!  / Der Schicht aus gedrucktem Schwarz / Kehren die Toten ganz in sich zurück. / Bewegen sich auf uns zu  / (Als Kraterdasein)!“ Hinschauen, Erkennen, Aufgreifen, das fordert Petra Ganglbauer (erneut) und die Leserin/der Leser fühlt sich angehalten, bei jedem einzelnen Gedicht inne zu halten (kein gieriges Verschlingen), um stundenlang über dieses nachzudenken, dieses bis in seine Einzelteile zu dechiffrieren.

„Phalanx / Aus gedächtnislosen Wesen“ lautet eine Verszeile, mit der sich die Autorin auf uns (?) bezieht, auf alle, die das Wissen um Verhetzung, Verfolgung, Völkermord beiseite schieben, sich wegdenken (möchten) von den (nackten) Tatsachen, die im Zugeben des Schrecklichen sofort einen Aber-Satz hinterherschieben, Vergleiche, unstatthafte Vergleiche, Gegen- und Aufrechnungen,  nur um das eigene Nichttun zu rechtfertigen, um nichts tun zu müssen. Viele unserer Politiker, gedächtnislose Wesen, alte wie junge: die alten, die – wie es scheint – vergessen haben, dass schon einmal die Wortwahl Ouvertüre war für eine Todesmaschinerie, die jungen, die in fast autistischer Weise sich einer hinterhältigen Wortwahl bedienen, von der sie sehr wohl wissen (und hämisch registrieren), dass bei einem nicht geringen Teil der Bevölkerung die niederträchtigsten Instinkte angetriggert werden (hier sei verwiesen auf den Facebook-Account eines „Herbert Tusch / Innsbruck“, in welchem in bezug auf eine AutorInnenliste zu lesen ist/war: „Super jetzt haben wir eine Liste und wenn es dann soweit ist wissen wir wer abgeholt werden muss.“)

In der Phalanx der gedächtnislosen Wesen stehen aber auch so manche Medien stramm wie beispielsweise jene Gratiszeitungen und Internetforen, welche in ihren Kommentaren zum Zeitgeschehen nicht müde werden, eine (subtile) Hetze zu betreiben und Ressentiments zu schüren. „Die Bezeichnungen verleihen den Dingen / Ihre Macht“, so Ganglbauer und die die IG Autorinnen Autoren konstatiert anlässlich ihrer Generalversammlung im Februar 2019: „Die Verrohung von Sprache ist Leitsymptom für alles, woran die Gesellschaft krankt.“

„Die Stringenz der Verfolgung / (Hinterhalt und Falle!) / Setzt / In Bildreihen fort: / Die Stringenz der Verfolgung / (Hinterhalt und Falle!) / Setzt / In Textreihen fort und gestaltet / Den Raum für Wirklichkeit.“

Ganglbauer fordert uns auf, diesen Raum für Wirklichkeit zu gestalten. Dazu brauchen wir keine Lyrik der Nachtmusik und auch keine dagegen: Anstatt die Lyrikproduktion „hypertrophiert“ zu bezeichnen, und dieser Hypertrophie mit einer Eigenproduktion noch eines drauf zu setzen, wäre manchem Kritiker oder Journalisten ins Poesiealbum geschrieben, in Petra Ganglbauers Lyrik einzusteigen und die Stimme der Grande Dame der österreichischen Gegenwartslyrik zu hören, jener Stimme nämlich, die ernsthaft etwas zu sagen hat.

Erika Kronabitter

Gerald Ganglbauer: Ich bin eine Reise

Eine autobiografische Montage

Gangan Verlag
Stattegg 2014

CoverGeboren als Bleistift in Graz, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Das Zitat am Beginn Ganglbauers autobiografischen Werkes verweist auf die besondere Sicht, die der tief in der steirischen Literaturszene verwurzelte Verleger (perspektive) auf seine Heimatstadt Graz hat. Die eines Auslandssteirers mit Außensicht, der erst 2013 heimgekehrt ist. Der Autor gibt intime Einblicke in sein Leben und seine zahlreichen Reisen. Er schreibt über die Intensität der ersten großen Liebe, den Versuch, sich mit einem Ein-Mann-Betrieb über mehrere Kontinente hinweg den Lebensunterhalt zu verdienen und wie Morbus Parkinson sein Leben verlangsamt hat.

Natalie Resch