Sylvia Treudl: Zug um Zug

Reisenotizen

Milena Verlag
Wien 2002

Nicht oft stoße ich auf ein Buch, welches in mir den Wunsch weckt, es in einem Zug zu lesen; beim vorliegenden war dies der Fall: weil es lebendig, authentisch, humorvoll, mitunter auch kritisch, alles in allem aber völlig unprätentiös geschrieben ist.
Das vorliegende literarische Protokoll, bzw. Tagebuch einer Reise mit dem Literaturexpress 2000, welche – um es auf den Punkt zu bringen – insgesamt etwa 140 Personen, 43 Sprachen und 7000 Schienenkilometer zu verzeichnen hatte, lädt jedoch zur geballten Lektüre ein.

Sylvia Treudl schildert in „Zug um Zug“ nicht nur die atemlose, muntere Abfolge der Destinationen, gruppendynamischen Prozesse, kleineren oder größeren herzhaften wie auch weniger lustigen Vorkommnisse, sondern ebenso liebevoll wie malerisch die Atmosphäre am jeweiligen Ort. Auch die gesellschaftskritische Auseinandersetzung kommt, wie man es von Treudl ohnehin gewohnt ist, nicht zu kurz.
Der Band ist auch durch die Fotobeigaben derart kulinarisch gestaltet, dass man wieder und wieder vermeint, selbst zugegen zu sein, – sei es in Bordeaux, Madrid oder Moskau.

Den vitalen, atmosphärisch dichten Reisebogen quer durch West- und Osteuropa beschließt Treudl mit zwei gesonderten Texten: „Bewegung“ und „Mehr als nur ein Hauch davon“.
Ein stimmiger Ausklang. Am Ende bin ich traurig, aus dem Zug steigen zu müssen.

Das ideale Buch für die Urlaubslektüre!

Petra Ganglbauer

Barbara Hundegger: desto leichter die mädchen und alles andre als das

Gabi Schuster: Grafik am Einlageblatt
Herausgeberin: Petra Nachbaur

reihe mitnichten 4, Das Fröhliche Wohnzimmer – Edition
Wien 2002

Von ungeheurer poetischer Dichte sind die Gedichte von Barbara Hundegger, zudem stets auch durchwirkt von Widerständigem, Widerhaken. Als Leserin reibt man (sie) sich daran mit Kopf und Herz.

Eine gekonnte Zusammenführung starker, aufgeladener Bilder, die sich perseverierend, dann wieder aleatorisch-leicht zur Sprachinszenierung fügen, ist das. Die Themen sind mitunter bekannt und doch und dennoch bewegen sich die Texte fomal weit über das zunächst Erwartete hinaus. „Technische“ Sprachprengsel finden sich hier ebenso wie sprachlich Eigenheiten, die wir aus älteren (mythologischen) Quellen kennen. Das macht den Band sehr reizvoll.
Die Stimme, die anschlägt, ist im besten Sinne auch eigenwillige Kontrollinstanz. Selbst dort, wo sich seelisch Transparentes einstellt, werden energisch Konturen gezogen, Spuren vertieft.
Der Duktus beinhaltet , wie stets bei Hundegger, beides: das Poetische und das Politische. Diese beiden Pole versteht die Autorin auf so gekonnte Weise zu verknüpfen, dass die Laustärke, das Tempo und einzelne Passagen nach der Lektüre noch als gesellschaftskritischer Echoraum hallen.
Barbara Hundeggers Gedichte gehören sicher zu den spannensten unserer Tage.

Petra Ganglbauer

Martin G. Wanko: KEN. A CRIME STORY

edition kürbis
Wies 2002

Einerseits „a crime story“ – mit vielem was dazugehört –, andererseits alles, was sich an den Kipp-Punkten der menschlichen Existenz bewegt: Um Randgänge physischer wie psychischer Art, das Oszillieren zwischen Tag- und Traumbewußtsein, Authentizität und Künstlichkeit wie auch den Kampf um’s Überleben, geht es in diesem ersten Roman des Grazer Autors Martin G.Wanko.

Der Duktus sucht seinesgleichen: Der Protagonist – in wahnsinnigen Empfindungsräumen an der Grenze zur Paranoia unterwegs, – der tote Ken, eine Plastikpuppe, ein Mix aus Trash, Drogenrausch und elementarer Identität.
Dies alles packt Wanko derart brachial und authentisch an, dass die Sprache, stets laut, schrill und direkt, auf einem derart ungeahnt hohen Pegel daherkommen muß, dass man als Leserin, wohl aus der Gewohnheit des Auf und Ab, beinahe einen Absturz fürchtet.

Aber, der kommt nicht.
Statt dessen:
Der wunderbar unprätentiös poetische Satz gegen Ende des Buches:
„Ein Träne, ich spüre so etwas wie eine Träne.“

Denn unter all der Schrägheit wohnt ein empfindsames Bewußtsein, das Wissen um das Dilemma menschlicher Existenz.
Ein spannendes, die Leserschaft in seiner Dichte forderndes Buch!

Petra Ganglbauer

Friedl/Hahn/Janisch/Neuwirth/Silberbauer: Tarot Suite

Roman

Deuticke
Wien-Frankfurt am Main 2001

Literatur ist stets das Zusammenwirken von Disziplinierung und spielerischem Umgang, Struktur und Intuition.
In diesem Sinne entstand auch der vorliegende Roman: Insgesamt fünf Autor/inn/en trafen sich, um sich mit der großen Arkana aus dem Tarot auseinanderzusetzen: Jede/r von ihnen zog eine Karte. 5 Abende folgten, mit Essen und je einer Geschichte, die stets eine andere Person erzählte.
Auflage war, thematisch die gezogene Karte zu behandeln und an Motive, bzw. Charaktere anzuknüpfen, beziehungsweise diese zu unterwandern oder zu unterbrechen; Konvergenzen und/oder Divergenzen zu schaffen.
Dem musikalischen Muster entsprechend, setzt sich die vorliegende „Suite“ aus 5 Sätzen zusammen:
Harald Friedl zog als erster: die „Gerechigkeit“; Norbert Silberbauer folgte mit dem „Einsiedler“; Margit Hahn schrieb den „Tod“; Barbara Neuwirth setzte sich mit dem „Wagen“ auseinander; Heinz Janisch beendete den Reigen mit der „Mäßigung“.

Was entstand, ist ein schön gesponnener Erzählfaden, nuanciert je nach Autor/in und Schreibduktus, bisweilen lauter, mit Zäsuren versehen, dann wieder zarter in der Stimmführung, grundsätzlich aber von einer gewissen stilistischen Übereinkunft:
Ein unterhaltsames und spannendes Gemeinschaftsprojekt – wie auch ein achtsam komponierter Lesegenuss, der sich als Anregung für ähnliche Experimente eignet.

Petra Ganglbauer

Petra Ganglbauer: meeresschnee

Zeichnungen von Armin Guerino

herbstpresse
Wien 2001

„Das Anschauliche ist ein zerfetztes, festgelegt, dann aufgeworfen.“, heißt es an einer Stelle in Petra Ganglbauers Gedichtband „meeresschnee“, was sich wie eine Schlüsselpassage zu ihren Texten liest. Im Mittelpunkt steht bei diesen die Welt der Dinge und Begriffe, die in meist kurzen Gedichten beschrieben wird, in eigenwilligen Sequenzen. Keine Wahrnehmung, keine Anordnung ist endgültig, auch die „Vergessenheit ist ein Vorgang des Vorübergehens: die Frequenz der Stille.“
Bestandsaufnahmen, Bewegungen finden statt, Situationen werden umrissen, überraschende Sequenzen verzahnen sich. Sorgsam auf Sprache bedacht, schildert die Autorin eine konzentrische, poetische Welt aus Bildern und Aussagen, in der das schreibende Ich sich bewegt, ohne zu dominieren.
Im Band sind auch zwei Textvertikalen, wie Petra Ganglbauer sie nennt, vertreten: „Schneehimmel“ und der längere Text „Dschungelgedächtnis“. Begriffe, die dem jeweiligen Titel zugeordnet sind, werden auf einer Mittelachse angeordnet, meist nur ein Wort, mitunter eine Gruppe von Wörtern. Jedes davon fügt dem entstehenden Bild ein weiteres Detail hinzu, die Assoziationsketten verdichten sich, das Geflecht, das im Kopf des Lesenden entsteht, ist von großer poetische Eindringlichkeit.
Zeichnungen, Grafiken von Armin Guerino sind dem Band derart beigegeben, dass sie in ihrer Eigenständigkeit korrespondieren, Bild und Text ergänzen sich in sensiblen Verknüpfungen.

Waltraud Seidlhofer

Waltraud Seidlhofer: Te Anau. Wilderness

Zeilen

Verlag Grasl
Baden bei Wien 2001

Fein ziselierte, dicht gebaute Gitterstrukturen – angesiedelt als Texte, – auf den ersten Blick Gedichte. Definiert als Zeilen:

Zwischen Te Anau, einem Ort auf der Südinsel Neuseelands und Wilderness, einem Ort an der südafrikanischen Garden Route legt die Autorin ihre Fährten, hinterlässt Spuren. Und es entstehen geradezu Tonkörper in mir, wenn ich ihr Zeile für Zeile folge; ich gerate in einen eigenartigen Singsang, werde von einer konsequent strukturierten Welle erfasst. Etwas Stringentes, Nachdrückliches, Singuläres ist Qualität dieser Texte, eine Endlosigkeit, die sich aus dem Buch hinausbewegt, in es hineinwirkt.

Die Geometrie der Landschaft ist federführend; und ihre Ornamente, Brüche, Aufwürfe finden eine beinahe holographische Umsetzung in diesem Band. Was dabei entsteht, ist von achtsam gewobener Konsistenz. Teppiche. Landschaftsteppiche. Textteppiche.

Immer wieder spiegelt sich die Innen- in der Außenwelt, die beiden kontrastieren einander, ergänzen sich, finden sich im steten Abtausch, wie Ebbe und Flut, Sturm und Windstille.

Farben treten hervor, allem voran Grün, das beruhigende Grün dieser Architektur.

Petra Ganglbauer

Ulrike Hutter: Wienfluß

Kriminalroman

edition selene
Wien 2001

Kühl, aber witzig, einem gelungenen TV-Krimi à la Kottan gleich, zeichnet Ulrike Hutter Charaktere und Geschehen in „Wienfluß“.

Eine ebenso geheimnisvolle wie schräge weibliche Person bedient sich der Kleider und Accessoires der in den Donauauen ermordeteten Gerda K.
Als „Wiederauferstandene“ wandert sie in die Stadt hinein und bringt so ziemlich alles durch ihre unorthodoxe Art und ihr auffälliges Aussehen ins Wanken.
Aus vorsprachlicher Befindlichkeit heraus lernt sie leidenschaftlich elementarste Wörter wie „UUUAANHÄUDL“, welche sie aus purer Freude und Selbstbezogenheit den Passanten entgegenplärrt.
An ihrem unkonventionellen Auftreten zerbersten Theaterbesucher und U-Bahnfahrgäste. In die Aufklärungsspirale „ihres“ Todes geraten Kommunalpolitiker, Kriminalbeamte und der Schilfmörder.

Ulrike Hutter läßt die Personen wie Puppen agieren, am Ende droht gar ganz Wien – einem Kartenhaus gleich – zusammenzustürzen. Tag und Traumbewußtsein wechseln einander ab. Formal wie auch inhaltlich setzt sich eine Schleife, ein Kreisel durch, – Zeiten, Personen, Orte sind im Abtausch, es gibt keinen Anfang und kein Ende bei diesem Erzählduktus.

Insgesamt ist das Buch unterhaltsam, gut durchdacht und geistreich komponiert, stets am Schnittpunkt zwischen Künstlichkeit und trivialer Realität.

Petra Ganglbauer

Semier Insayif: über gänge verkörpert

Haymon Verlag
Innsbruck 2001

Ansprechend im Hinblick auf Konzeption, Partitur, Aufbau.
Durchwirkt von Zitatmaterial, das Anlaß für weitere Überlegungen ist.

Die Gedichte des Autors Semier Insayif wissen von genauer Wahrnehmung zu berichten, von Bewegung, den damit verbundenen Abläufen, Strukturen, Standorten, genauer noch, sie sind deren analoge Übersetzung, Entsprechung.

Der Autor setzt die Sprache in Szene, sie ist dann Bewegung und Verlauf, ist Innehalten, Körper. Demgemäß fällt die Inszenierung aus, verschaffen sich die Inhalte Position, etwa, wenn sich „ein-gang-aus-gang“ horizontal daherschreibt.

Onomatopoetisch muten die Zeilen an, je nach Bewegungsduktus, einmal heller, leichtfüßiger, dann wieder dunkler, massiv.

Die Materialität der Sprache und jene des Körpers gehen ineinander über, finden eine gemeinsame Strukturierung.

Insayif besinnt sich präzise auf das Einzelwort und dessen Aktionsradius, um es letztlich der Textarchitektur einzugliedern.

Ein sprachsensibles Unterfangen!

Petra Ganglbauer

Manfred Chobot: Maui fängt die Sonne

Mythen aus Hawaii

Deuticke Verlag
Wien 2001

cover_chobot_deutickeEin Buch voll der wundersamsten Geschichten hat Manfred Chobot da geschrieben und zusammengestellt. Der Autor, selbst seit Jahren begeisterter Hawaii-Reisender, folgte den Spuren hawaiianischer Mythen und sponn daraus unprätentiös gestaltete und ebenso poetische Legenden. Namen von Königen und (Halb-) Gottheiten dringen an unser Ohr, – Dämonen, Gesichter, Landschaften, Szenen, die uns bislang fremd waren und nunmehr von Geschichte zu Geschichte näher rücken, ziehen an unserem inneren Auge vorbei.

Der Autor schafft es, nicht nur für die weit in die Geschichte Hawaiis zurückreichenden Mythen zu interessieren, man gewinnt sie im Laufe der Lektüre regelrecht lieb. Es entsteht eine eigenartige Verbindung, eine Vertrautheit mit den Figuren und den rätselhaften Ereignissen.

Und das ist das Schöne daran: Daß sich ein Kulturkreis erschließt, der zumindest hierzulande literarisch so nicht ausgelotet ist. Dem Autor und seiner Passion für diese Inselwelt sei Dank. Zudem schrieb Chobot einen aufschlußreichen Einleitungstext über Geschichte und Alltagsästhetik, Religion und Sprache Hawaiis.

Allein der Klang, die Musikalität der Namen (Pele, die Göttin des Feuers, Poliahu, die Schneegöttin oder Palila, der Sohn des Königs Ka-lua), ist schon die Lektüre wert.

Petra Ganglbauer

Fritz Widhalm: Warum starb der schöne Mann?

Kein Kriminalroman, von dem ganz Wien spricht

Ritter Verlag
Klagenfurt-Wien 2001

Die Personen in ihrer Unzahl sind, einzeln wie als Gruppe, Schablonen, die gleich wieder abblättern, Statuetten, allerwunderlichste Figurinen, angesiedelt zwischen Alltag, Ortsgebundenheit (Wien) und Phantasie.
Fritz Widhalm versammelt 16 (Haupt-)Akteur/inn/en, davon als Herzstück einen Toten; mitgerechnet auch der Autor selbst.
Um den Toten “zu meinen Füßen” kreist das Buch, aber nur scheinbar, denn in Wirklichkeit wird ständig ab- und umgelenkt.

Die Stimmführung erinnert an Trivialromane, Detektivgeschichten, Mike Hammer, Baumax. Unwillkürlich erinnere ich auch “Twin Peaks” von David Lynch, beispielsweise immer dann, wenn die “Zwergin” auftaucht.
Widhalm gelingt jener eigenwillige Sprachfluß zwischen schräger, deftiger Körperlichkeit, fragiler Poetizität und einem trivialen Krimi/Porno/Science-Fiction/Werbeslang-Singsang.

Und mit den Personen verhält es sich so: sie tauchen auf und weg, um so ganz sicher nicht verstehbar zu werden, um sich jeglicher kausaler Zuordnung zu entziehen. Sie sind in einem Augenblick da, ausgeschmückt und aufgeladen, um sich sogleich blasenartig aufzulösen und dort wieder aufzutauchen, wo man sie nicht vermutet.

Der Autor tauscht sie ab, wie es ihm beliebt, – bisweilen wird der Fokus auf Nebensächliches gelenkt, um es dadurch hauptsächlich zu machen und noch mehr zu irritieren.
Oder aber: Eigentlich existieren nur Nebenhandlungsstränge in diesem Buch; der Hauptstrang könnte allein die Existenz des Toten sein…

Konfusion und Irrfahrt, konsequent gebaut, mit allem, was das triviale wie poetische Herz begehrt: gute Unterhaltung!

Petra Ganglbauer