Ingram Hartinger: Dinge aus Angst

Gedichte

Wieser Verlag
Klagenfurt/Celovec 2015

Eine weit gespannte Zusammenschau aus Innerseelischem, Sprache, Weltbezug und Evokationen (von Referenztexten, Praetexten), die hier bisweilen wie Anspielungen anmuten, meist jedoch in Form von Zitaten in dieses lyrische Werk, das bisweilen wie eine Partitur anmutet, eingearbeitet sind, findet sich hier.

Der ganz große Schmerz, Verstörung, Einsamkeit und psychische Randgänge machen in diesem streng konzipierten Buch, das aus wiederkehrenden formal unterschiedlichen Einheiten besteht, von sich reden:
Da finden sich Prosagedichte, die manchmal wie Bekenntnisse, lebensphilosophische Reflexionen anmuten, dann wieder ein Stück Leben, ein Stück Alltag erzählen.

Ein anderer essentieller Teil des Buchs besteht aus Gedichten, die von weiteren lyrischen Zeilen anderer Schriftgröße ergänzt, kommentiert und um eine persönliche Note erweitert werden.: „Ein neuer Tag. Ein neuer/ Schmerz. Übrig bleibt schiere/ Wortspielerei. Die nicht von/ Ingram stammt – die von Ingram/ stammt. Mein sich zerkugelnder/ haltloser Geist. Wir beide erschrecken.“

Schließlich finden sich noch Gedichte, denen ein Zitat als Motto dient bzw. die jemandem gewidmet sind.

Ein ungeheure existenzielle Kraft durchdringt alle Texte, eine Kraft, die nur dann entsteht, wenn die Wahrnehmung sich fokussiert und befreit ist von allem Überfluss: „In the beginning is the scream…“ – (John Holloway) – so das Schlussmotto.

Petra Ganglbauer

Janko Ferk: Brot und Liebe

Gesammelte Gedichte

styria premium
Wien-Graz-Klagenfurt 2015

Brot und Wein … Brot und Poesie …“Brot und Liebe“.

Die existenziellen Parameter des Lebens geben die inhaltliche Richtung der in diesem Buch versammelten Gedichte vor. Janko Ferk konfrontiert sich mit den extremen Polen des Lebens: Geburt, Liebe, Tod; sie sickern auch in in das Schreiben ein: „ich schieße in das buch/…./anstatt blut/ rote tinte/ alle buchstaben/ sind tot“ heißt es etwa.

Das lyrische Ich teilt sich nicht nur poetisch sondern auch dermaßen authentisch mit, dass wir, die Rezipient/inn/en, uns in vielen der Gedichte wiederfinden.
„So heißt es etwa an einer Stelle: „das ziel/ das kreuz/ das ich mir selbst auferlegt habe“. Der Autor setzt hier wie anderswo in dem Band Zeilenzwischenräume ein, strukturiert formal entschieden mittels Sequenzen, was ermöglicht, dass das Weiß des Papiers nicht – wie oft erlebt – Leere und Raum sondern auch Verlangsamung, im vorliegenden Fall durchaus Mühsal – verkörpert.

Die Sprache in Ferks Gedichtband ist klar mithin, sie verstellt sich nicht; gerade deshalb teilt sich das Gewicht des Lebens und Sterbens unmittelbar mit, überträgt sich die Last, die das Individuum durch seine menschliche Existenz auf sich nimmt, eins zu eins auf die Leserin, den Leser.

Einige Gedichte muten wie ein partielles ABCDarium an und eines der bewegendsten Gedichte, vielleicht auch, weil so sehr inhaltlich auf der Höhe der Zeit befindlich, ist WÖRTERB/R/UCH:
„auf der stadtlichtung/ schärfe ich/ meine lichtheilige sprachgrenze/ die weite des atems/ an den grenzlinien/ ist staatenlos/ die herzwand/ bebt ganz fein/ wegen der weltangst“.

Ein lebensnahes Buch!

Petra Ganglbauer

Jörg Zemmler: papierflieger luft

Gedichte

Klever Verlag
Wien 2015

„Auf Fragen Antworten wir mit Zeit“, schreibt Jörg Zemmler in seinem neuen Lyrikband „papierflieger luft“. Und dass mit dem Gewinnen von Zeit auch Raum einher geht, kann man seinen Texten ansehen: denn sie atmen. Auf viel Papier haben Buchstaben Luft, sie fliegen tatsächlich, schweben auf wenig Raum kraftvoll hin und her. Ein wenig erinnern die hauchigen, fragilen aber sehr präzisen Miniaturen an ein Mobile: sie schweben und verzieren die Leere, bringen das innere Kind zum Staunen.
Dass der 1975 in Bozen geborene Poet eine Affinität zum Klanglichen hat, ist ersichtlich. Seit vielen Jahren arbeitet er übrigens auch als Soundkünstler und Pop-Musiker der besonderen Art.
Das Sprachmaterial des Bandes oszilliert zwischen Poetisch und Banal. Da heißt es mal „sich schleichen“, dann wieder aber verehrt ein ganzer Wald im hohen Ton einen toten Baum. Die Schaukelbewegung zwischen Archaischem und der Poetik des Banalen gelingt dem Dichter, auch – oder vielleicht gerade weil – man ihm beim Balancieren förmlich zuhören kann. Was ist Literatur anderes als ein Drahtseilakt, das Weben von Verbindungsschnüren zwischen Dingen, die scheinbar zusammenhanglos im Raum schweben? Texte sind Papierflieger zwischen Welten – und diese im Besonderen.
Ein hervorragendes Buch.

Sophie Reyer

Norbert Trawöger, Christian Steinbacher, Brigitte Mahlknecht: Luftikusse

Edition Krill
Wien 2015

Spannendes kann entstehen, wenn unterschiedliche Medien sich treffen, überkreuzen, aneinander abreiben. So geschieht es auch in dem neuen, vielschichtig angelegten Band „Luftikusse“ von Norbert Trawöger, Christian Steinbacher und Brigitte Mahlknecht.

Am Anfang steht in gewissem Sinne die Frage: Ein Interview Trawögers mit Virgil Guggenberger eröffnet den großen, schwarzen Band. Wie die meisten Bücher, die die Edition Krill publiziert, hält man auch diese Arbeit gern in der Hand. Es ist ein Buch zum Vor- und Zurückblättern, das dazu anregt, vernetzt zu denken. Auch die lautliche Ebene darf nicht vergessen werden: So liegt am Ende des Buches eine CD bei. Gräulich gekennzeichnete Zitate stehen am linken Rand der Seite, während Steinbachers wie immer sprachkritische, reflektierende Lyrik am rechten Rand abgedruckt ist. Diese beiden Ebenen nähren und ergänzen einander frei assoziativ und werden durch graphische, skizzenartige Bilder auf der linken Seite eher bereichert als kommentiert. Die Zitate entstammen dem geistigen Schatz besonderer Schreibender wie Anja Utler oder Bodo Hell.

„Luft hängt an der Erde“, heißt es in einem der Texte. Und um das Aneinanderhängen unterschiedlicher Materialien geht es auch hier, wobei das Wort „Hängen“ diese Beziehung auch trifft, denn stets bleiben die unterschiedlichen Medien und Formen frei und beweglich, lassen Raum, lassen sich direkt oder auch nur indirekt aufeinander beziehen, ohne einander zu illustrieren. Es bleibt eine Suchbewegung, ein sich und einander hinterfragen. So endet „Luftikusse“ wohl auch bewusst mit einer Frage: „Kennen wir uns?“

Sophie Reyer

Mike Markart: Ich halte mir diesen Brief wie einen Hund

Roman

Edition Keiper
Graz 2014

mike_markart_brief_coverAuf gewohnt eigenwillige, an den schmalen Rändern der Wirklichkeitswahrnehmung befindliche Weise hat Mike Markart auch den dritten Teil seiner »seltsamen, autobiografischen Trilogie« verfasst. Vorangegangen sind »Calcata« (2009) und »Der dunkle Bellaviri« (2013).

Markart gelingt es stets, jene Individuen präzise, authentisch und lakonisch zu zeichnen, die sich von den Vorgaben dieser unserer Gesellschaft (Schnelligkeit, Wettbewerbsverhalten etc.) freiwillig oder notgedrungen absondern und dennoch eine überraschende Selbsteinschätzung aufweisen.

Ruhig, mit Sinn für das Essentielle und nur vordergründig mitteilsam, gebärdet sich der Ich-Erzähler auch in diesem Roman, wiewohl dieser verschiedenste Blickwinkel und Perspektiven auf das Geschehen aufweist.

Randständigkeiten, Bewußtseinsverrückungen sind essentielle Elemente der Handlungen und (gedanklichen) Ereignisse, dennoch arbeiten sich konkrete Inhalte wie etwa die Beziehung des Ich-Erzählers zu Marina heraus; er schreibt einen Brief an sie, den er jedoch nie abschickt. „Marina./ Ich habe nur dein halbes Leben./ Die andere Hälfte ist Dunkelheit./ In jener Hälfte ist all das vermerkt, was du vor mir ver/bergen möchtest.“

Zart sind die Empfindungen gezeichnet, zart und poetisch, auch wenn sie sich an den Rändern tiefster, kohlrabenschwarzer Abgründe auftun.

Ein schönes Buch.

Petra Ganglbauer

Valerie Fritsch: Winters Garten

Roman

Suhrkamp Verlag
Berlin 2015

Einen weit gespannten, dich gewebten, poetisch aufgeladenen Erzählbogen, der sich den globalen und existenziellen Abgründen jeglicher Existenz verschreibt, hat Valerie Fritsch in ihrem aktuellen Buch gespannt.

Die Autorin führt die wesentlichen Parameter „Oben“ und „Unten“, Mikro- und Makrobereich sowie das Detailreiche und die (philosophische) Metaebene souverän zusammen und legt ihr synästhetisches Augenmerk auf Leben und Bedrohung, auf das Florierende ebenso wie das Apokalyptische.

Fritsch befasst sich, wie im übrigen nicht allzu viele zeitgenössische österreichische Autor/inn/en, mit dem Phänomen des Weltuntergangs – und die Stadt, in der der Vogelzüchter und Protagonist Anton Winter die unerwarteten Ereignisse und das uneinschätzbare, aus einer scheinbaren Eigendynamik heraus entstehende Geschehen beobachtet, befindet sich in einer final extremen Lage, der Natur und ihren Gewalten ausgeliefert. Mit ihr verändern sich die Menschen, sie unternehmen letzte verzweifelte Versuche, das Grauen abzuwenden.

Fritsch zeichnet das Dräuen vor dem Weltuntergang – alles ändert sich sichtlich oder auch im feinen, atmosphärischen Bereich. Immer jedoch vertraut die Autorin einer üppigen Sprache, die ab und an rhythmisierter, dann wieder beinahe stoisch daherkommt und gerade da einen gelungenen Kontrast zu den Außen- und innenseelischen Turbulenzen der Betroffenen herstellt.

Die Versuche, die Zerstörung durch zutiefst menschliche Regungen und Eigenschaften aufzuhalten, müssen scheitern.
Ein wichtiges Buch, das nicht nur von äußeren Katastrophen erzählt, sondern ebenso eine Kartografie innerseelischer Prozesse und Entwicklungen ist.

Petra Ganglbauer

Erika Kronabitter: Endlich Alles Richtig

Edition Taschenspiel
Verlag beim Augarten, Wien 2015

Lakonisch, bisweilen bewusst frech, in jedem Fall voll Selbstironie gibt sich das neue Buch von Erika Kronabitter, welches die Autorin in thematisch wiederkehrende Module gegliedert hat.

Die (Selbst)erkenntnisse umkreisen das Älterwerden mit seinen Begleiterscheinungen, das Leben und Wohnen, das Reisen, die Architektur, das Beobachten, das Schreiben und das Nichtschreiben; mittels insistierender Schleifen werden diese Themen „aufgezogen“ und mit ihnen auch die Figuren in diesem Buch, etwa die Wohnungsnachbarn der Protagonistin, welche die Autorin lediglich mit ihrem Anfangsbuchstaben namentlich erwähnt, ein Kunstgriff, der sie fernhält, der sie – trotz ihrer individuellen Eigenheiten – schemenhaft erscheinen lässt.
Da gibt es die unfreundliche und arrogante Nachbarin oder den überfreundlichen Nachbarn.
Sie alle werden jedenfalls genauestens beobachtet und auf einen leichtfüßige Art analysiert.

Mitteilsam, lebendig, humorvoll und bunt kommen die Themen in diesem Buch daher, wenngleich es durch seine Ordnung einen straffen Rahmen hat; bisweilen verdichten sich Passagen, indem die Autorin listenartige und serielle Raffungen inmitten des Erzählens vornimmt.

Ein kurzweiliges, konsequent geschriebenes Buch, das auch seinen Unterhaltungswert hat!

Petra Ganglbauer

Friedrich Hahn: Der Setzkasten. Oder: Erwin und die halben Luftballons.

edition keiper
Graz 2015

Merkwürdig und eigenwillig entrückt zeigt sich der Protagonist „Einer“ in diesem skizzenhaften, aufgebrochenen Roman, dessen Form der Innenwelt des Mannes kongenial entspricht.
„Einer“ will, dass nichts zu Ende geht, er lebt abgesetzt von seiner Vergangenheit, die gewissermaßen gelöscht ist und nur punktuell im Kopfkino „Einers“ aufblitzt, etwa als der vermeint, seiner noch blutjungen Mutter zu begegnen. Er setzt sich mit philosophischen Fragen auseinander, hat „Merkprobleme“, unzählige Projekte, verschickt leere Kuverts, „wenn er Mitteilungen zu machen hat“ oder schaut Filmfiguren ihre Verhaltensweisen ab.
Seine mehr oder weniger einzige Bezugsperson ist Gisela, deren kryptisches Vorleben er beinahe bis zum Ende des Romans nicht kennt.

Friedrich Hahn ist es gelungen, mit dieser Figur ein mehrschichtiges Psychogramm anzulegen, welches hinter der Figur des „Einer“ noch Facetten eröffnet, die weit ins Gesellschaftspolitische und Soziale hineinreichen. Er hält die Eigenart des Protagonisten, welche sich auch in seiner Sprachreflexion äußert, profiliert durch – dieser erfährt auch gewisse Wandlungen. Gegen Ende des Romans ergibt sich schließlich eine unerwartete Dynamik, die „Einer“ jedoch wieder ganz „zurückwirft“ auf das Potentielle, Unfertige, Fragliche.
Hahn unternimmt am Ende des Buches noch einen Kunstgriff: Die Druckerschwärze verblasst, der Raum zwischen den Zeilen wird größer. Eine schöne Zusammenschau aus Inhalt und Form!

Ein komplexes, empfehlenswertes Buch!

Petra Ganglbauer

Sissi Tax: vollkommenes unvollkommenes

Prosa

Literaturverlag Droschl
Graz 2014

Richtungsweisende (Meta-)Sätze, entschiedene Anläufe der Sprache gegen das Vergehen, ein atemloses und doch konzentriertes immer neues „Den-roten-Faden-Aufgreifen“, assoziativ, voll von Implikationen, sprachspielerischen Kunstgriffen mithin, so gestaltet sich der neue Band von Sissi Tax, der sich in den methodischen Kontext der voran gegangenen Publikationen fügt.

Tax setzte Markierungen, Haltepunkte, Stationen – Anreize für die reflexive Spracharbeit, für die lebendige Auseinandersetzung mit dem Generieren von Texten, dem Herstellen von Texten aus Texten.
Ebenso streng wie fließend, rhythmisch wie präzise sind diese Spracharbeiten! Und doch und dennoch ist dieser Gestus unterhaltsam und humorvoll.

Empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Elfriede Czurda: Buch vom Fließen und Stehen

ÜBERSCHREIBUNGEN

Edition Korrespondenzen
Wien 2015

Auf der einen Seite artikuliert sich eine Suada, voll von lebensnahen, scheinbar praktischen Ansagen und erfahrungsreichen Redewendungen – Anläufe (auch menschliche Irrläufe vielleicht), Aussagen voll begrenzter Wertigkeiten.

Auf der anderen Seite – und weitaus ausgesparter im Duktus – setzen sich allgültige, „ewige“ Aussagen, voll absoluter, weit über das Menschliche hinaus reichender Wertigkeiten durch, die, obgleich zentriert und leiser tönend, den kleinen menschlichen Kosmos aus einer zentrierten Position heraus sprengen.

Elfriede Czurda schreibt – ohne einem simplen Übersetzungsversuch zu unternehmen – den Bildwirklichkeiten und Konzeptionen des Daodejing von Laozi folgend, dieses legendäre Werk neu.

Eine schöne Herausforderung auch für die Leserinnen und Leser.

Petra Ganglbauer