Mike Markart: Der dunkle Bellaviri

Roman

Edition Keiper
Graz 2013

markart_bellaviriWie in seinen bisherigen Büchern unternimmt Mike Markart auch diesmal die mutige und riskante Gratwanderung an der Schnittstelle zwischen Identitäten und deren Brüchen, Rollen und deren Zerfall, Tag und Nachtbewusstsein und inszeniert auf diese Weise einen Roman, in dem die Figur(en) multipel angelegt (ist) sind. Der Erzähler erzählt dem (Findelkind) Garetti sein Leben. Dieses wiederum evoziert das Erscheinen Bellaviris.

Innenschau, absonderliche Empfindungen und Verstörungen sind kennzeichnende Merkmale der Bücher des steirischen Autors, der in diesem Roman – wie auch schon zuvor – Italien mit all seinen (Empfindungs)räumen heranzieht, indem der Erzähler mit Phantasiegestalten umzugehen sucht, obgleich er sie loswerden möchte. Er komponiert schließlich Geschichten, die diese eigenartigen Gestalten auflösen.
Ein komplexes, literarisches Unterfangen!

Der Duktus in Mike Markarts Büchern ist ein äußerst konsequenter, die „strange“ Gefühlsqualität spiegelnder, (analog zu den Gefühlsakkumulationen) stark rhythmisierter, der die Eindinglichkeit der Empfindungen noch manifester macht.

Ein von Seelen(an)spannung erzählendes, empfehlenswertes Buch!

Petra Ganglbauer

Andrea Zámbori: HERZBAU

Edition CH
Wien 2014

Das Buch als Kontaktaufnahme, als Verständigungsmittel, als Angebot für eine Korrespondenz: so ist der vorliegende, trefflich bildnerisch umgesetzte Band Andrea Zámboris zu verstehen. Er öffnet das Herz und eröffnet die Kommunikation mittels Wort und Bild!

Eine literarisch und künstlerisch umgesetzte Form jener kleinen Büchlein, die wir gerne auf dem Nachtkästchen liegen haben, ist das – ein Wegbegleiter!
Das vorliegende Buch steckt voll liebevoller Aufforderungen: „spring eventuell in einen großen sockenberg hinein.“

Von Günter Vallaster, dem Verleger des Bandes, wissen wir, dass er immer wieder Motive verschiedenster Publikationen aufgreift und vernetzt: der Sockenberg in realiter war Gegenstand einer Lesung, die Blätter des Zeitbaums, ein weiteres Motiv, finden sich auf einer Einladung!

Ein schönes Buch!

Petra Ganglbauer

Margret Kreidl: Einfache Erklärung

Alphabet der Träume

Edition Korrespondenzen
Wien 2014

Dieses Mal: Träume.
Rund 360 Traumtexte, alphabetisch geordnet. Jeder Traum hat eine Überschrift und eine „Einfache Erklärung“.
In dieser strengen formalen Ordnung spielt sich‘s ab: Kuchenessen, Krebsgeschwüre, spritzende Milch aus Kuheutern, der Tahrir-Platz, bunte Blumen, Spinat, verfilzte Haare, Thalgau, Kofler, Nagellack, Snowden, ägyptische Ratten, saftige Schwänze, Graz, Rühm, Buchstaben, Kilic, japanische Flüche, Gretchenprosa, Gezi Park, I-Künstler.
Geträumt wird in der Gegenwart der Autorin.

Margret Kreidl greift um sich: In ihr „Traumtagebuch“, in ihre Notate, in ihre Traumdeutungslexika; Sigmund Freud wird herangezogen, tradierte Traumdeutungen, triviale Traumdeutungsratgeber. Lapidar, lakonisch, komisch, aberwitzig, skurril, beklemmend: Die einfachen Erklärungen.

Die Traumtexte in Prosa, Dialogen, Listen, Gedichtform, Fragmentarischem, bis hin zu nur einem Wort sind fein gesponnen, scharf ziseliert. Große Würfe, herangezoomte Mikrokosmen.

Traumtitel, Text, einfache Erklärung stehen nebeneinander, suggerieren Kausalität.
Die Träumerin ist nicht zu stören, die Leserin kommt den Träumen nicht aus.
Eine gelungene Untersuchung der Bandbreite der Traumdeutung.
Ich habe dieses Buch bis zum Ende gelesen, fertig bin ich nicht.
„Einfache Erklärung: Fragen halten uns wach.“

Hannah Sideris

Lucas Cejpek: Unterbrechung. Burn Gretchen.

Sonderzahl Verlag
Wien 2014

cejpek_unterbrechungLücken, Freiräume, weiße Stellen oder auch Pausen im Realen wie in der Literatur sind Inszenierungselemente im jüngsten Buch von Lucas Cejpek.

Wie seine vorangegangenen Werke, setzt sich auch dieses, konzeptuell angelegt aus Modulen, Versatzstücken und Montagesprengseln – allesamt aus dem großen Weltenfundus – zusammen. Intertextualität, Bezüge zu fast allen Wissensbereichen wirken herein, Verweise also, Zitate, Listen, Aufschriften: im Zentrum die Unterbrechung.
Der spielerische und wahrnehmungstechnische Zugang ist evident.

Unterbrechung impliziert stets auch Entwicklung; insofern ist das vorliegende Buch ein Buch in und der Bewegung. Es ist zudem Stellvertreter für eine Arbeits- und Lebenshaltung, für eine Zusammenschau philosophischer, literarischer oder auch lebenstechnischer Art, denn in diesem Buch wirken auch essentielle Erfahrungen des Autors selbst, unausgesprochen wie ausgesprochen.

„Burn Gretchen“ ist ein nicht ganz exaktes Anagramm von „Unterbrechung“, – Gretchenvariationen also auch ­– kulturhistorisch gesehen.

Dieses Buch ist eine spannende Herausforderung für die Leserschaft!

Petra Ganglbauer

Günter Vallaster, Hrsg.: RÄUME FÜR NOTIZEN

edition ch
Wien 2014

Der Herausgeber und Autor Günter Vallaster, legt seit langem trans- und intermediale Fährten in der (nicht nur) österreichischen Literatur- und Kunstlandschaft. Einmal mehr ästhetische und gattungsspezifische Sprengkraft enthält das jüngste Elaborat in der edition ch, der Band Nummer 8 des „Raum(s) für Notizen“.

Ausnehmend schön ist dieses Buch geworden, das den Raum für Notate, Transgressionen, Intermediales mittels Andockstellen freihält und somit eine ursächliche, eine grundsätzliche Potentialität eröffnet.

Dementsprechend vielgestaltig wiewohl konsequent wurde die Auswahl der Beiträge getroffen um eine überzeugende Zusammenschau, eine Aufbereitung und Aufarbeitung zeitgenössischer Tendenzen auf Zeit festzumachen.
Vom Essay bis zur visuellen Poesie findet sich in diesem Buch so manches, das jene Nischen besiedelt, die zwischen den scheinbar finalisierten Kunst-Produkten entstehen. Das Dazwischen ist die Essenz dieser Arbeiten, es leuchtet, ist aufgeladen, zündelt, ist poetischer Kern.

Beiträge von u.a. Erika Kronabitter, Herbert J. Wimmer, Juliana V. Kaminskaja, Thomas Havlik, Christian „Yeti“ Beirer.

Sehr empfehlenswert; mit einem konzisen, informativen Vorwort ausgestattet!

Petra Ganglbauer

Manfred Chobot: Mich piekst ein Ameisenbär

Weltgeschichten

Löcker Verlag
Wien 2013

Voll von trockenem Humor sind die „Weltgeschichten“ von Manfred Chobot.

Sie spiegeln auf gekonnt ironische und bewusst unaufdringliche Art den in Teilen schelmischen Blick auf menschliche Unzulänglichkeiten und Eigenheiten und sind zugleich eine treffende „Analyse“ der Auswüchse des Spätkapitalismus, der Bürokratie und des Medienzeitalters.

Unterhaltsam, humorvoll und spannend sind diese lakonisch erzählten lebensnahen Begebenheiten und Ereignisse, die ziemlich explizit, manchmal auch überhöht zutiefst menschlichen Schwächen aufdecken; ganz gleich, ob es sich nun um Geschichten, die infolge einer unterbrochenen Telefonleitung nicht fertig erzählt werden können, Zufallsbegegnungen, die eine eigenwillige Wende nehmen oder höchst seltsame Reisende handelt.

Ein in seinem Duktus typisches Chobot-Buch! Empfehlenswerte Erzählungen!

Petra Ganglbauer

Johannes Tröndle: Urgroßvater, Das Zeitmesser

Audio CDs

Audiobeans
Wien 2013

Starke atmosphärische Aufladungen schaffen die beiden Hörspiele Johannes Tröndles, die in relativ kurzer Zeit nacheinander erschienen sind. Beiden gemeinsam sind die Themenbereiche Fremdbestimmung und Manipulation manchmal bis hin zur Gewalt, zur Auslöschung.

„Urgroßvater“ ist ein Stück, das einem einmal als Text, dann wieder als Gesang begegnet, – dies bewirkt die Stimmführung des Autors, der den Text gezielt mit Retardierungen, Tönungen und Akzenten liest; überdies kommen sparsam und wirkungsvoll Geräusche und Klänge zum Einsatz, die mit dem Inhalt des Hörspiels interagieren, diesen aber nie überlagern.
Das Echo totalitärer Strukturen und des Machtmissbrauchs findet sich in der familiären Struktur, in Settings und Sequenzen des Alltags; Deutschtümelei färbt die Landschaft, die Tiere, die Gesten der Menschen mit Gewalt und schwappt schließlich – modifiziert und dennoch analog – als massenmedialer Einschnitt auf ganze Terrains über. Dazwischen findet sich der Bub, der das Dräuen, das Lauernde einer reaktionären und brachialen Gefahr nicht wirklich verarbeiten kann und diesem seelisch ausgesetzt ist.

Das auf mehrere Stimmen verteilte Hörspiel „Das Zeitmesser“ reißt in Schnitten, Sequenzen Etappen des Kindseins an und Zeitfenster auf.

Die Familie ist klein und lebt in einem Holzhaus. Tröndle schafft mit einfachen Methoden Kulissen und Settings und erreicht damit, dass die Hörerin, der Hörer sich unmittelbar im Raum des Erzählten findet.
Ganz nahe an das Kind rücken die Phrasen der Einflüsterer, die Ge- und Verbote, die Aufforderungen an das Kind, den Buben, der sich manchmal verloren aber stets rückgebunden an die eigene Phantasie in sich selbst zurückzieht und dergestalt kleine „Abzweigungen“ nimmt. Zwischen Erinnerung, Traum- und Realität sind die einzelnen Abschnitte angelegt; und einmal – das Kind ist krank – scheint es die Zeit verloren zu haben, hat es die Zeit verloren.

Beide Hörspiele sind politisch und setzen dort an, wo das Grauen beginnt.
Empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Ilse Kilic: Wie der Kummer in die Welt kam

Ritter Verlag
Klagenfurt-Graz 2013

Das Interagieren von Autorin und Romanfigur sowie die Reflexion über das Komponieren von Romanen insgesamt stehen im Mittelpunkt dieses sinnlichen und ansprechenden, mit zahlreichen Zeichnungen der Autorin und weiterem dokumentarischem Bildmaterial ausgestatteten Buchs.

Figuren werden von Werk zu Werk ab und an wiederverwertet, das wird offensichtlich; oder sie finden sich von selbst ein, entwickeln ein Eigenleben, verweigern sich jedoch allenthalben auch ihrer Einbindung.
Soviel wird in dem für die theoretische Auseinandersetzung mit dem Entstehungsprozess von Romanen vorliegendem exemplarischen Werk, das die Figur Ria Monika Glomp (sie hatte bereits mehrere Auftritte im Werk von Ilse Kilic) einleitet – und welches wie ein Buch im Buch anmutet –, evident.
Rund um ein mysteriöses Paket werden spannende erzählerische Exkurse unternommen…Thrill garantiert!

Ilse Kilic versteht es, Literatur- und Schreibtheorie auf lockere, anspruchsvolle und unterhaltsame Art zu beleuchten. Text-Variationen und Genrezugänge werden durchgespielt: Enzyklopädisches, Briefe, Zitate von anderen Autor/inn/en, Textanalysen klingen an.
Ein spannendes Kapitel Schreibforschung ist dieses Buch zudem, ein Buch mit Seltenheitswert, das sich inhaltlich freilich in die Publikationen der Autorin aus den letzten Jahren gut einreihen lässt.

Petra Ganglbauer

Gerhard Jaschke: Allerweltsgedichte

Art Science
St. Wolfgang 2013

Weltausschnitt, Zeitenlauf und Seelenspiegel verkörpern die vorliegenden Gedichte des Autors, Herausgebers und langjährigen Literaturdozenten Gerhard Jaschke – schnittige, dynamische Anläufe voll (Selbst)Ironie und Sprachspiel. Klingende, lautmalerische Kürzesttexte ebenso wie nachhaltig schwingende Abgesänge, die in Memoriam einiger Autor/inn/en entstanden sind, finden sich darunter.

Und ist es nicht so, dass das Humorvolle neben der Trauer, das Subtile, Sensible neben dem Deftigen, Heftigen seinen Platz haben darf im Leben? Insofern ist das Buch auch Trost, Bestärkung und Rückversicherung für die Leserinnen und Leser!

Der erfrischend grüne (!) Band ist in Kapitel geteilt, die mit „Zugpferde“, „Erinnerungsgedichte“ oder auch „Sonntagsgedichte“ überschrieben sind und für sich bereits ein Klima des jeweiligen Kapitels erzeugen.
Zudem ist das Buch mit trefflichen Zeichnungen des Autors versehen!

Ein Genuss!

Petra Ganglbauer

Irene Suchy: Litanei gottloser Gebete

Gedichte

Bibliothek der Provinz
Wien 2013

Wenn das Leben durch den Filter der Sprache noch einmal und einmal mehr und heftiger in all seiner Unausweichlichkeit und Schärfe, in seiner Erbarmungslosigkeit offenbar wird wie im vorliegenden Buch, dann packt solch ein „Buch als Leben“ auf exzessive und explizite Weise ebenso die Leserin, den Leser.

Irene Suchy beleuchtet in ihrer – immer wieder auch an die Mutter adressierten – lyrischen Autobiografie Kindheit und Jugend und im Besonderen die Beziehung zu einer Frau, die nicht zärtlich sein konnte, deren Sprache vom Sollen und Müssen beherrscht war und die, indoktriniert von den in der Zeit des Nationalsozialismus üblichen Dogmata, ihre Kälte, innere Enge und Frustration vor allem an der Tochter abreagierte.
Spürbar und evident ist die grenzenlose Einsamkeit, die das Kind und später auch die erwachsene Frau durchmacht; eine Einsamkeit, die sich aus der unausgesetzten Auseinandersetzung mit einer Mutter, die dem Kind keinerlei Nähe, Unterstützung und Wärme zukommen lässt, speist.
Die Hoffnung auf das Gute jedoch blitzt da und dort ebenso auf: „Dass ich manchmal/ Gast sein darf auf dieser Welt“ oder „Eirene – dass der Name auch Liebe-voll besteht“.

Stark aufgeladene, atmosphärische Gedichte sind das; unwillkürlich drängt sich in diesem Zusammenhang einmal mehr Else Lasker-Schülers Bezeichnung für das Drama als „schreitende Lyrik“ auf.

Die Autorin zieht viele formale Register:
Listen, Modalverben, Komposita, serielle Imperative und Negationen oder auch optische Kunstgriffe wie die Rechtsbündigkeit mancher Texte kommen zum Einsatz.

Ein sehr persönliches, aufwühlendes Buch, das – auch durch die Schwarz-Weiß-Fotografien – ein wichtiges Zeitdokument und zugleich Milieustudie ist!

Petra Ganglbauer