Ebenso fragil wie berührend ist der Roman von Erika Kronabitter. Er verkörpert Teil drei einer Romantrilogie, deren Teile Mona Liza und Viktor dem nun vorliegenden Buch vorangingen.
Abgesehen davon, dass das neue Buch im Kern thematisch um Geschwister, die zunächst sehr unterschiedliche Wege gehen, um das Aufarbeiten und Erinnern einer Kindheit und das Spannungsfeld von Nähe und Distanz zum eigenen (Er)Leben oder auch um Neubeginn kreist, wendet die Autorin formal spannende Methoden an:
So gibt es immer wieder „lyrische Intros“, kursiv geschrieben, die etwas Dramatisches und Spannungsgeladenes an sich haben, die also inhaltliche Steigerungen aufweisen: Diese Sequenzen machen das seelisch Verschüttete mithin transparent.
(Hat nicht Else Lasker-Schüler vom Drama als „schreitende Lyrik“ gesprochen?!)
Zudem wechselt Erika Kronabitter den Erzähl-Duktus.
Da finden sich bedrohliche Satzraffungen “Anordnung. Drohend“ ebenso wie politische oder kulturhistorische Exkurse (in Spanien), Tagebuch(-ähnliche) Einträge und zahlreiche dialogische und szenische Sequenzen zwischen Nora und ihrem Bruder, die jeder für sich und gewissermaßen auch gemeinsam vor der Vergangenheit geflohen sind.
Beispielgebend für das Leben so mancher Frau ihrer Generation, muten Leben und letzte Tage im Dasein der Paula Nebel an.
Eva Jancak setzt ihrer Erzählung einen Passus voran, der impliziert, dass es sich inhaltlich dabei lediglich um Ähnlichkeiten mit der Realität handle. Die Figuren sind frei erfunden.
Erinnern wir uns: „Nebel“ ist die buchstäbliche Umkehrung von „Leben“. In beidem ist manches unscharf und gewissermaßen unaussprechlich. Im Leben selbst so manches auf Jahre verschüttet.
Kleinste Alltagsereignisse, Erinnerungen und Begebenheiten lassen die ehemalige Psychologin Paula Nebel noch einmal auf Personen aus ihrem Leben treffen.
Eva Jancak setzt jedoch auch – wie stets in ihrer Arbeit – auf höchst aktuelle gesellschaftspolitische Fakten, wie die Anhebung des Pensionsalters oder auf unausgesetzt aufzuarbeitende Tatsachen, wie die Geschehnisse am Ort des Grauens „Spiegelgrund“. Diese werden mit den kleinen alltagsspezifischen Ereignissen verknüpft.
Ein anregendes, jedoch unaufdringliches und gerade deshalb ansprechendes Buch!
Wo setzt Fremdbestimmung ein? Wo Manipulation? Fernsteuerung?
Was ist öffentlich, was privat? Wodurch kommt einer (einem) das Recht auf Urheberschaft abhanden? Gemeint ist jene generelle Urheberschaft, die uns zu eigenverantwortlichen Individuen macht!
In ihrem aktuellen Buch kehrt die Autorin bezeichnenderweise typologische Strukturen der uns auferlegten Wirklichkeit hervor, zeigt die damit verbundenen (Neben)wirkungen auf den einzelnen Menschen auf, Wirkungen, die hart an die Grenze der Existenz gehen.
Phänomenlogisch und syntaktisch einmal mehr die Illusion einer Linearität oder auch Kontinuität in der Selbstwahrnehmung wie der Wahrnehmung von Wirklichkeit generell unterminierend, zeigt das Buch zahlreiche Brüche und Löcher, die sich zwischen den Menschen und in jedem von ihnen auftun: der Mensch registriert seine körperlichen und emotionalen Irritationen, beschreibt sie akribisch einer Maschine gleich, einen – vor einiger Zeit noch vorhandenen – eingebildeten Überblick über das Leben gibt es längst nicht mehr; jeder Satz, jeder Gedanke, jeder Ausspruch fällt – abgesondert von den übrigen – in einen Abgrund, der sich zwischen den Menschen, in der Sprache selbst also der Welt auftut. Fragmentierung.
Dies unterstreicht die different, nämlich handschriftlich gestaltete jeweils rechte Buchseite.
Die in diesem Buch angelegte Wahrnehmung lässt sich auf diese unsere sich selbst überholende Gesellschaft übertragen, deren Individuen bereits längst ihr induziertes Parallelleben führen!
Ein wichtiges Buch auf der Höhe der Zeit und darüber hinaus!
Petra Ganglbauer
„Rückgebunden“ an den Raum der Musik vollzieht Gertrude Maria Grossegger poetische Setzungen und Markierungen in ihrem neuen Lyrikzyklus, indem dieser aus 13 Sätzen gebaut ist. Die knappen, aufgeladenen und zugleich durch die ihnen immanente Leere weithin schwingenden Sequenzen kreisen um (Garten)mystik und Innerseelisches, um Schmerz, der den Wesenheiten implementiert ist ebenso wie um Beziehungsfelder.
Die Sprache mutet mitunter wie Geflüster an, rhythmisierte, gewisperte Wirklichkeit, die an den Rändern von Sein und Nicht-Sein gesprochen wird. Manche der Verszeilen bestehen aus lediglich ein, zwei Worten – gerade dies macht die Textur so fragil, als ob sie ziseliert wäre oder als ob sie das Leben in seiner ganzen Verletzlichkeit spiegle.
Das Vegetabile zieht sich durch den Zyklus wie das Meer es tut – und auch der Stein verkörpert das ganze Gewicht des Lebens in diesem durch ausnehmend stimmige, weil nicht abbildende Bilder von Günter Egger ergänzte Werk.
Empfehlenswert!
Die gesammelten Notizen, Skizzen, Fotos und Abbildungen, Listen, Gedichte, Notate wurzeln im Aufzeichnen und beseelen die Dinge des Alltags und des Lebens generell – sie werden zu „exerzitien“, zu „ingredienzien“ – das vorliegende Buch ist Extrakt eines unausgesetzten Rituals.
Da finden sich Spickzettel mit Überschreibungen, Fehldrucke, Serielles, Rechnungen etwa – wir hätten also Bild und Schrift! Aber die Künstlerin und Autorin erweitert ihre Arbeit um noch eine Dimension: wir hören (!) die Schrift, vielmehr den Schreibvorgang samt Werkzeug: die „feder“ „knackt“ oder „quietscht“ heißt es da. Diese Anmerkungen erinnern an Regieanweisungen. Damit hätten wir also gleich noch eine Gattung!
Die Form-, Gattungs- oder auch Material-Ansätze verschränken und überlappen sich, sie werden zu einem offenen System, zu einem oszillierenden Stück Schreibforschung!
Mit Bildern von Ilse Kilic & Fritz Widhalm.
wohnzimmers buntes lyrikheft 3.
das fröhliche wohnzimmer – edition
Wien 2013
Bunte Wörter, Zeilen, Gedichte, Skizzen! Bilder – aus dem Leben gegriffen und authentisch, (selbst)ironisch, mitteilsam. Ein wundervolles Büchlein, das die Leserin (der Leser) immer wieder gerne zur Hand nimmt! Diese Kunstwunderpille besteht aus Wortwerk von Gerhard Jaschke, das sich gegen die Strömungen des Alltags richtet.
Herzhafte Zeichnungen von Ilse Kilic und Fritz Widhalm wiederum ergänzen den Text. Die Lektüre ist reine Freude!
Mit seinem jüngsten Buch erweist sich Manfred Chobot einmal mehr als Autor, der vom ernsten bis zum lakonischen oder sarkastischen Duktus alles beherrscht. Gerade hinsichtlich der vorliegenden Themen erweisen sich die stilistischen und Genre-Wechsel als den Inhalt verstärkende Instrumentarien.
„Lebenslänglich“ sind wir den Mechanismen der immergleichen gesellschaftlichen und kleinbürgerlichen Rituale ausgesetzt bzw. gestalten diese mit – der Autor unternimmt einerseits sachliche, andererseits humorvolle Diskurse zu den Themen Müll (Entsorgung) oder Shopping, die Donau, Strandbaden oder auch Vereinsmeierei.
Zudem sind die jeweiligen Titel ausgesprochene Impulsgeber: „MÜLL – EIN ANFALL UND EINE ABFUHR“ heißt es beispielsweise.
Chobot spiegelt äußerst treffend Banalitäten, Unausweichlichkeiten und festgefahrene Muster von Durchschnittsmenschen und deren Aktionsradius, die kleinen Passionen, Fallen und Verführungen. Der Autor entwirft dabei auch ausgesprochene Typologien von Menschen.
Ein empfehlenswertes Buch, das aufzeigt, wie humorvoll und spannend der Alltag und seine kleinen Abgründe in dieser unserer urbanen spätkapitalistischen Wirklichkeit sein können.
Wie sich später herausstellte, kannte ich den Vater des Künstlers recht gut, aber es war absoluter Zufall, dass ich auf der Suche nach jemand anderem in jenen Ausstellungsraum des Literaturhauses hineinplatzte, wo Gerald Hartwig gerade die Original-Blätter seiner frisch erschienenen Graphic Novel aufhängte. Da ich nun einmal drin war, schaute ich mir die vielen Zeichnungen genauer an und glaubte auf einer Heinz Hartwig zu erkennen, was mir der zunächst irritierte Künstler mit dem Satz „Das ist mein Vater“ bestätigte. Danach ging alles schnell, vorstellen, Hände schütteln, plaudern, Buch bestellen, ein Blatt ankaufen (ohne den Preis zu kennen) und die gemeinsamen Freunde in Berlin aufzählen.
Nun ja, der erste Absatz dieser Rezension könnte eigentlich auch als Teil einer Graphic Novel gezeichnet werden. Triviale Geschichten mit viel Sex an der Grenze zur Pornografie, das ist eine Kunstform, die authentisch und unterhaltsam ist, was nicht von allen zeitgenössischen Ausdrucksformen gesagt werden kann. Ich habe deshalb auch gleich das Original jener Sexszene käuflich erworben, die im Buch mit dem spärlichen Text “JAAA FICK…” über die Doppelseite 62/63 läuft, der erst auf Seite 64 mit “… MICH” und fünf Rufzeichen abgschlossen wird. Aber keine Sorge, es geht in “Chamäleon” um weit mehr als nur um Sex. Unser Held, jetzt Ende 30, lebt in Berlin als sein Vater stirbt. Daraufhin erinnert er sich seiner Reise nach (wohin sonst?) Los Angeles um ins Filmgeschäft einzusteigen und erlebt in zehn Jahren, die er dort lebt und studiert, zahlreiche Abenteuer, die Gerald (Jerry) Hartwig sorgfältig in Federzeichnungen illustriert und sparsam mit Worten ausgeschmückt. Die Homepage des Künstlers – www.zeichenstrich.de – ist eine gelungene Visitenkarte.
Der Luftschacht Verlag hat sich des Erstlings das 1973 in Graz geborenen Gerald Hartwig liebevoll angenommen und ein schönes, aufrichtiges, freches, 264 Seiten dickes Buch aus dem “Chamäleon” gemacht, das man zwar zunächst am Klo liest, es aber dennoch zur Literatur ins Bücherregal stellt.
Dass Landschaft etwas mit seinem Bewohner, seiner Bewohnerin macht, zeigt der neue Lyrikband von Petra Ganglbauer. In „Ringhörig“ sammelt sich Lyrik, welche aufgrund eines HALMA Stipendiums in Irland und Bulgarien (2010) sowie eines Aufenthalts in Sizilien (2012) entstanden ist. „Ringhörig“, hellhörig, ringhörig/hellhörig zu sein, ist Programm in diesem Band: Analog zu Ringvorlesungen an Universitäten, an denen sich verschiedene Dozenten verschiedener Fachbereiche zu einem bestimmten Thema äußern, erhalten hier verschiedene Landschaften durch eine einzige Autorin ihre Ausdrucksmöglichkeit. Durch das ringförmige Aneinanderreihen der poetischen Weltspiegelungen entsteht die Möglichkeit, der Vielfalt der entstehenden Eindrücke in kreisender Beobachtung näher zu kommen. Es entwickelt sich sozusagen eine Stimmenversammlung (wobei die inneren und äußeren, vielleicht auch die feinstofflichen, sowie auch die gegenwärtigen und vergangenen Stimmen gemeint sind) zu einem bestimmten Themenkomplex. Das Subjekt, in verschiedene Landschaften gestellt, nimmt den Ton der jeweiligen Umgebung auf, lässt die Eindrücke einwirken, um sie – in Sprache übersetzt – auszuloten und den gewonnen Eindruck poetisch zu formulieren.
Das Buch besteht aus drei Zyklen. Die Irland-Gedichte „ALL IRELAND DANCING FEET“ evozieren Wildheit und Auflösung in einem: Von gefetztem Glück (9) ist die Rede, von scharfer Luft, blindem Schlittern (15) und springenden Sätzen (22) zum einen, zum anderen begegnet uns die wässrige Inselauflösung im zerregneten Gesichtersims (9), im Mond, in dessen Wasser gelesen wird (16), die Autorin schreibt von der Ichfernen Zone und thematisiert Schreiben und Sprachsetzung als Forsten, Suchen und bis an die Grenze gehen (20, 21, 22) bis zum Durchstich.
Mit „Steinerner Subtext“ ist der Bulgarien-Zyklus übertitelt, Wortsetzungen werden zu unverrückbaren Sprachbildern, die mit/in dieser anderen Landschaft eine neue Dynamik entwickeln, fern der wasserluftigen Inselvermessung der vorangehenden Lyrik-Kontemplation.
Fünf Gedichte beinhaltet das sizilianische Kapitel „Katastrophales Vergessen“. Ohne zu benennen, dominiert der Aetna, die Kraft seiner Lavamassen: „Die Leidenschaft drängt den/Berggeschmack ins Meer:/ Heiße Fußnoten umspült und verdeckt/…“ (82), der Schrecken, das Erschrecken, das der Insel innewohnt. Ein katastrophales Vergessen, das der Vulkan mit seinem Aschengeheimnis bereitet hat (82). Es wäre auch ein katastrophales Vergessen, auf diese früheren Katastrophen, die unweigerlich als Drohung in die Zukunft reichen, zu vergessen. Die Kraft des Berges schlägt sich nieder im Wort, rast in das Sprachbild, die Sprache erhält eine Eigendynamik, wird Poesiefluss, „Blitzzeichen, Kapazunder und springende Disteln“ (84). Erinnerung an eine Urweltkulisse wird evoziert.
Petra Ganglbauer lotet den Wirkungskreis der Sprache im Spiegel der Natur, der Elemente, des Wassers – und wie im letzten Zyklus – des Feuers aus und versucht, eine andere Sprache zu finden, um herkömmlichen Beschreibungen zu entgehen. Dadurch entsteht ein Energiefeld, das Raum lässt für die Beziehung von inner- und außersprachlicher Wirklichkeit, von existenziellen und innerseelischen Prozessen. Petra Ganglbauers Lyrik ist ringhörig, die hellhörig macht: Ein Kreisen um den innersten Kern der Sprache, ja um Existenz überhaupt. Lyrik, die in Erinnerung bleibt.
Gewidmet hat die Autorin diesen Gedichtband all jenen, die sie bis jetzt begleitet und in ihrer Arbeit unterstützt haben – ringhörig auch dies.
Eine gelungene, kurzweilige und äußerst achtsam zusammengestellte „Werkschau“ ist das vorliegende jüngste Buch des Autors und Herausgebers Günter Vallaster. Was wir darin finden ist konzeptuelle und visuelle Poesie in ihrer feinsten Art.
Neben seriellen Arbeiten, wie sie die poetisch aufgeladenen, zündelnden Socken-Miniaturen verkörpern – Insidern noch gut bekannt von einer performativen Wiener Sommerlesung – finden sich visuell poetische und äußerst ästhetische, buchstäblich ziselierte Umsetzungen des Alphabets. Oder die Bildgeschichte „EINE WELT VOLLER ANGST“, – Text auf Deutsch, Russisch und Englisch mit beeindruckenden Zeichnungen: eine Zusammenschau, die ihr nachhaltiges Echo zurück lässt.
Der Autor hat für die Umsetzung dieses Buchs die ungarische Künstlerin Andrea Zámbori (Bilder) sowie die beiden Übersetzer/innen (ins Russische) Juliana V. Kaminskaja und (ins Englische) Mark Kanak hinzugezogen.
Metaphorisch etwa mutet „AM RANDE EINES“ (sapphisch) an und erweitert den gattungsspezifischen Radius der Arbeit des Autors. Auch dieser „Gesang“ ist übersetzt, diesmal ins Englische; wie überhaupt eine, über die Arbeiten hinausreichende, zusätzliche Qualität in diesem Buch ins Treffen geführt wird, nämlich jene der Vielsprachigkeit. Polylog, auch ein Begriff, den man aus dem Arbeitskontext Günter Vallasters kennt!
Ein wohldurchdacht gemachtes, schönes und empfehlenswertes Buch!