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Seit November 2014 empfehle ich Bücher für die Büchergilde Gutenberg – im Print-Magazin einmal im Quartal, und auf der Facebook-Seite zweimal im Monat, in meiner #Buchsprechstunde.
Vera, Bloggerin bei Glasperlenspiel13 und ebenfalls für die Büchergilde aktiv, stellte mir ein paar Fragen über mein Lesen, Bloggen, Schreiben… und die deutsche Blogger-Szene:
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Du beschäftigst dich auch beruflich viel mit Büchern und Literatur. Gibt es überhaupt noch eine Grenze zwischen privater und beruflicher Lektüre?
Stefan: Als Kritiker, Blogger, Autor lese ich am liebsten Bücher, die noch fast niemand kennt… aber die möglichst viele Menschen kennen lernen sollten: Fundstücke und Geheimtipps, Neuheiten und Underdogs, Überraschungen und vergessene Klassiker.
Gängige Erfolgsromane sind bereits so bekannt… sie brauchen von mir keine große Hilfe oder Unterstützung: “Arbeit und Struktur” oder Margaret Atwoods Zukunfts-Trilogie will ich irgendwann unbedingt lesen. Nur bloß nicht: heute. Ich suche lieber Neuland. Entdeckungen!
Und was liest du privat am liebsten?
Stefan: Ich mag kluge Frauen, verkorkste Familien, komplexe Gefühle. Bücher, die mich fragen: “Was ist ein gutes Leben? Was ist Glück?” Und ich liebe Superman, Wonder Woman. Phantastik!
Unsere Blogs unterscheiden sich sehr: Wie ist dein Selbstverständnis als Blogger? Welche Möglichkeiten bietet dir dein Blog?
Stefan: Wenn ich mit Freunden und Fremden über Bücher sprechen will, gehe ich auf Facebook: Kommentare, schnelle Dialoge, ein waches Hin und Her. Doch nach zwei Wochen rutscht jeder Beitrag so tief fort, dass er nie wieder gefunden, gelesen wird. Also sammle ich seit 2011 Listen, Fundstücke und längere Texte hier auf meinem Blog, stefanmesch.wordpress.com
Journalismus, Rezensionen… das will ich für Zeitungen machen. Bezahlt. Professionell. Aber Listen, Experimente? Bonusmaterial? Dafür liebe ich den Blog: ein Archiv, so offen und öffentlich wie möglich.
Was hat dich veranlasst, auch englische Beiträge auf deinem Blog zu veröffentlichen?
Stefan: Von 2009 bis 2013 lebte ich je drei Monate im Jahr in Toronto, seit 2013 will ich regelmäßig nach New York. Ich übersetze aus dem Englischen, ich habe viele Freunde in Nordamerika, ich liebe die Comics, Belletristik, Netzkultur dort: München oder Berlin sind mir viel fremder.
Du gibst regelmäßig Empfehlungen zu ganz unterschiedlichen Genres und Themen, auf Facebook und im Blog. Wo und wie findest du all diese Bücher?
Stefan: In einer Buchhandlung oder Bibliothek öffne ich fast jedes Buch und lese ein, zwei Seiten, stundenlang. Die Neuerscheinungen. Die Klassiker. Das Abseitige und die US-Fundstücke: zwei, drei Tage im Monat mache ich nichts anderes, notfalls nur online, mit Amazon-Leseproben. Etwa 10,000 Bücher habe ich vorsortiert – in “angelesen: nichts für mich”, “angelesen: klingt gut” und “vorgemerkt: bald Leseprobe finden!” Den Überblick behalte ich mit Goodreads: einer tollen Katalog- und Wertungs-Website für Bücher.
Auf welchen Kanälen außer Facebook bist du noch zu finden und welcher gibt dir den meisten Mehrwert?
Stefan: Wer Illustrationen, Kunst, Visuelles (oder: Pornografie!) liebt, muss zu Tumblr: Nirgendwo wird mein Auge so schnell gereizt, gekitzelt, überflutet.
Twitter ist mir zu schnippisch und abgehackt. Aber ich mag die vielen Fundstücke dort.
Drei Websites, die alles besser machen: TV Tropes, Graph TV und, bei allen Fragen und Gesuchen, Reddit.
Ich bekomme oft zu hören: Blogs, Facebook, Twitter & Co ist doch alles online, so anonym. Du bewegst dich seit Jahren in dieser „Szene“. Wie empfindest du das?
Stefan: Mal lebe ich in Berlin, mal auf dem Land bei Heidelberg. Mal in Amerika. Drei Viertel aller Leute, die mir wichtig sind, erreiche ich nur online, weil wir fast jeden Tag ganz weit entfernt voneinander sind. Lesen macht oft mehr Spaß als Spaziergänge. Schreiben geht schneller als ewiges Gerede. Ich kann im Netz SO viel fragen, zeigen, quatschen, probieren… und falls es stört, klickt Leute eben weiter. Wäre ich unter Menschen so aktiv wie online… man würde mich knebeln und wegsperren!
Was verbindest du mit der Büchergilde und wie bist du zu ihr gekommen?
Stefan: Ich liebe Felix Scheinberger und seine tollen Illustrationen zu “Tod in Venedig” von 2005. Im Büchergilde-Programm erwarte ich Mut, Sorgfalt, Witz und Eigensinn: Bücher, die zwei oder drei entscheidende Schritte weiter gehen.
Im Facebook-Account der Büchergilde bietest du eine regelmäßige #Buchsprechstunde an. Welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?
Stefan: “Mein Sohn ist 7 und alle Bücher langweilen ihn!”, “Ich suche Jugendbücher mit nicht-weißen Erzählerinnen oder Erzählern.”, “Kennst du gute Schreib- und Roman-Ratgeber?”: Ich liebe diese Fragen, Überraschungen… und wünsche, dass noch viel mehr Aufträge, Kommentare kommen. Geschenktipps, Dialoge, Anfragen: Lasst uns zusammen Bücher finden!
Letztes Jahr hat die Büchergilde 90jähriges Jubiläum. Wo siehst du sie zu ihrem 100. Geburtstag?
Stefan: Mein Lieblings-Buchhändler, Frithjof Klepp bei Ocelot, musste Insolvenz anmelden. Meine liebsten Superhelden-Comics haben kaum noch Leser. Schon heute steht fast jedem Stück Buchkultur, vielen Verlagen und Autoren das Wasser bis zum Hals. Wenn dir jemand wichtig ist: Hilf. Unterstütze. Heute gleich. Sonst fehlt es bald.
Drei Blog-Tipps von dir?
Stefan: Buzzaldrins.de, We read Indie und die Newsletter von Lesenmitlinks.de und Buchkolumne.de
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weitere Interviews, Gespräche, Fragebögen?
Hallo Stefan und auch Vera,
ein sehr schönes Interview von euch beiden, kurz, knackig und prägnant. Dein Pensum Bücher zu selektieren ist der Wahnsinn, aber ich glaube nur so finden sich die richtig guten Bücher, die keiner kennt. Bei der Büchergilde habe ich von der Sprechstunde schon gehört, habe sie aber noch nicht verfolgt. Deine Beiträge, die im Magazin erscheinen lese ich mit Freude und bin immer wieder über deine Tipps erstaunt, die den Mainstream gar nicht berühren und den Horizont erweitern.
Gruß
Marc