Star Wars – das Expanded Universe. [Empfehlungen für Deutschlandradio Kultur]

Star Wars extended Universe, Stefan Mesch

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Am 27. Oktober (Dienstag) ab 10.07 Uhr morgens spreche ich bei Deutschlandradio Kultur über das „Expanded Universe“ von „Star Wars“.

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„Star Wars“ kam 1977 in die US-Kinos: die erste Trilogie lief von 1977-83, die zweite (die Handlung spielt 30 Jahre vor der ersten) 1999-2005. Schon in den 70ern und 80ern gab es ergänzende offizielle Romane, Comics, später Videospiele, die Figuren und Elemente aus den Filmen aufgreifen und ausschmücken/weiterspinnen: das „Expanded Universe“, EU.

1991 bis 93 erschien eine Bestseller-Trilogie namens „Erben des Imperiums“, die erzählt, was Hauptfiguren wie Han Solo, Luke Skywalker usw. nach ihrem letzten Filmauftritten erleben: Geschichten über ihre Kinder und Kindeskinder, später (nach 1999 und „Episode 1“) auch viel über ihre Väter und Großväter. Es gibt zahllose (oft: aufeinander aufbauende) Romane/Spiele/Comics usw. sehr verschiedener Qualität und Ausrichtung: Jugend- und Kinderbücher, Kriegsromane, Detektivgeschichten.

2012 kaufte Disney die Rechte an „Star Wars“ und kündigte eine neue Trilogie an: Der erste Teil dieser dritten Trilogie, „Star Wars: Episode 7: Das Erwachen der Macht“ spielt über 30 Jahre nach Teil 6 und zeigt Harrison Ford, Carrie Fischer, Mark Hamill und eine neue Generation von Heldinnen und Helden mehrere Jahrzehnte nach dem Tod Darth Vaders. Das Imperium ist immer noch nicht vollständig besiegt. Zusätzlich zur neuen Trilogie sind auch mehrere Einzelfilme geplant, u.a. über Han Solo.

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Mit dem ersten neuen Film (Kinostart: 17. Dezember) wird das bisherige „Expanded Universe“ hinfällig: offiziell/“wirklich passiert“ sind nur noch die bisherigen sechs Filme sowie zwei Kinder-Animationsserien, „The Clone Wars“ und „Rebels“.
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Dazu erscheinen seit Frühling immer neue Romane, Comics und bilden ein neues „Expanded Universe“, das dem alten widerspricht/das alte ersetzt: es gibt neue Comics von Marvel Comics, es gibt Romane verschiedener Genres… und diese Bücher haben neue Dringlichkeit und finden breiteren Anklang als seit Jahren, denn sie „sind offiziell“ und „zählen“: Wenn in den Marvel-Comics Han Solos (Ex-)Ehefrau vorgestellt wird, könnte diese Frau auch in den neuen Kinofilmen auftauchen.
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Ich habe dieses neue Expanded Universe gelesen/geschaut/besucht in den letzten Wochen (das alte kenne ich auch, von früher) und mir angesehen, wo der Reiz liegt.
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vader extended universe 5
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Sind das wichtige Geschichten? Oder nur Beiwerk und Ausschmückungen? Eine Nebenfigur (aus ‚Darth Vader‘ von Kieron Gillen), weiß, dass sie keine große Rolle spielt, und sagt (als schöner Meta-Kommentar): „My blood is doodling in the margins of a story worth telling.“
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Die meisten Geschichten aus dem „Expanded Universe“ spielen in diesen Margins/Randspalten.
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meine Beobachtungen:
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  • „Star Wars“ hat kaum Frauenfiguren, wenige nicht-weiße Hauptfiguren und bisher in den Kinofilmen auch nur mutmaßlich heterosexuelle Figuren. Die neuen Geschichten mischen das auf. So sehr, dass in JEDEM neuen Comic/Buch z.B. drei, vier kämpferische Frauen vorkommen.
  • weil das Kinoplakat des neusten Films eine Frau in den Mittelpunkt stellt, reden Rassisten in den USA davon, dass „Star Wars“ für einen „White Genocide“ wirbt und Weiße diskriminiert. Tatsächlich werden die neuen Filme zeitgemäßer und multikultureller. Die EU-Geschichten noch einmal VIEL mehr: Im „Leia“-Comic z.B. waren fast alle Männer Beiwerk.
  • alle neuen EU-Bücher sind Ausschmückung und Bonus-Material: Die Geschichten sind kein Muss sondern, im schlechten Fall, Geschäftemacherei und Cross-Platform-Storytelling, dessen Einzelteile für das Gesamtbild kaum Belang haben. Unter der Marke „Star Wars“ werden Geschichten erzählt, die für die große „Star Wars“-Handlung nicht wichtig sind.
  • WEIL die Geschichten nicht sehr wichtig sind, haben die Autor*innen der jeweiligen Romane und Comics viel Freiraum, einen eigenen Ton zu finden. „Kanan“ ist ein wunderbar kluger politischer Coming-of-Age-Comic, „Servants of the Empire“ handelt von Hackern, Datenschutz und Teenagern, die sich politisieren, Militär-Experte Greg Rucka schreibt in „Shattered Empire“ eine für ihn typische Militärgeschichte…
  • …das zeigt, wie bunt der „Star Wars“-Erzählkosmos ist und auf wie viele Arten er bespielt werden kann: clevere Variationen und Versuche. Mir missfällt, dass die besten Erzähler/Künstler/Unterhaltungsautoren mittlerweile immer wieder unter dem Dach solcher großer Marken/Franchises erzählen müssen: „Star Wars“, Disney, Marvel, DC… immer wieder die selben Medienwelten und Figurenkabinette, von Konzernen bewacht und reglementiert.
  • und: die großen Kinofilme werden weiterhin Abenteuer/Verfolgungsjagden/Ritter und Prinzessinnen zeigen. Aber je kleiner die Zielgruppe, je enger der Fokus, desto mehr Freiheiten, Farbe und Eigensinn bewahren sich die EU-Bücher: Als Appetithappen oder Teaser für den neuen Kinofilm haben mich die Bücher nicht überzeugt. als Werkschau aber, wie WILD z.B. ein Darth-Vader-Comic sein kann oder wie politisch ein Jugendbuch über Nebenfiguren aus der „Rebels“-Kinderserie… überzeugen mich die Bücher. Eine Erzähl- und Experimentierfreude und Bandbreite, mit der ich nicht gerechnet hätte!

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Dkultur star wars

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Was genau habe ich gelesen/gesehen, und wo spielt es? Eine kurze Timeline:
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  1. Star Wars 1: The Pantom Menace
  2. 10 Jahre später: Star Wars 2: Attack of the Clones
  3. EU, kurz darauf: Kinder-Trickserie „Star Wars: The Clone Wars“
  4. Star Wars 3: Revenge of the Sith
  5. EU, kurz darauf: der Kinder-Comic „Kanan: The last Padawan“ (über eine Figur aus „Rebels“)
  6. EU, 15 Jahre später: Kinder-Trickserie „Rebels“ und der (sehr gute) Jugendroman „Servants of the Empire“
  7. 4 Jahre später: Star Wars 4: A New Hope [der erste, klassische Film von 1977]
  8. EU, kurz darauf: die Marvel-Comics „Star Wars“, „Darth Vader“, „Lando“, „Princess Leia“, der Han-Solo-Jugendroman „Smuggler’s Run“ und der Liebesroman „Lost Stars“[beginn vor „Rebels“, endet ca. zwei Jahre nach „Return of the Jedi“]
  9. kurz darauf: Star Wars 5: The Empire strikes back
  10. kurz darauf: Star Wars 6: Return of the Jedi
  11. EU, kurz darauf: der Marvel-Comic „Shattered Empire“
  12. fast 40 Jahre später: der Kinofilm 2015, „Das Erwachen der Macht“, der Beginn einer neuen Trilogie

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insgesamt sind gerade knapp 25 EU-Bücher und -Comics erhältlich. Ich habe ca. 10 davon gelesen – alle aktuell erhältlichen Comics, und vier Romane. Liste hier:
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star wars rebels
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  • Die Kinder-Animationsserie „The Clone Wars“ hat tolle Kritiken – aber ich habe mich nie zwingen können, eine komplette Folge auszusitzen: hölzerne Figuren, billige Animationen, eine träge Kameraführung… sogar die Lichtschwertkämpfe sind langweilig.
  • „Rebels“ zeigt eine Gruppe (großteils: jugendlicher) Widerstandskämpfer vier Jahre vor Episode IV: der Pilotfilm langweilte mich noch ähnlich wie die Vorgängerserie „The Clone Wars“, aber das Finale der ersten Staffel, „Fire across the Galaxy“ hat Schwung, Witz, Tempo und anspruchslosen Charme: mit 11 hätte mich das mitgerissen und begeistert. Die „Star Wars“-EU-Geschichte, die bisher am meisten klassische „Star Wars“-Atmosphäre und -Euphorie vermittelt. Empfehlung!
  • „Kanan“ (Comic, geschrieben von Greg Weisman) ist nachdenklicher, düsterer, verkopfter als „Rebels“ – aber bringt mich einer interessanten Figur – einem jugendlichen Jedi-Padawan, auf der Flucht vor dem Imperium – sehr nahe: intelligent, solide gezeichnet, gute Unterhaltung auch ohne, dass man „Rebels“ kennen muss.
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star wars servants lost stars
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  • die vierbändige Jugendbuchreihe „Servants of the Empire“ von Jason Fry zeigt eine Randfigur aus „Rebels“: Zare Leonis, der mit 15 eine Elite-Ausbildung des Imperiums durchlaufen will, aber dabei heimlich seine verschwundene Schwester sucht – und seine Freundin Merei Spanjaf, eine Hackerin („Slicerin“), die sich in Straftaten verstrickt: super-politische, beklemmende, sehr intelligente und süffige Jugendromane über Datenschutz, Überwachung, Engagement und Kompromisse, hat mich so mitgerissen und begeistert wie einige „Harry Potter“-Romane. Aber: Ich habe nur Band 3 und Band 4 gelesen (ohne Mühe verständlich); Band 1 und 2 haben schlechtere Kritiken. Alles in allem: die schönste Überraschung/Entdeckung dieser Liste!
  •  eine politische Young-Adult-Romanze im Star-Wars-Universum, 550 Seiten dick? „Lost Stars“ von Claudia Gray hat überragende Kritiken und erzählt zwei Schicksale zwischen Imperium und Rebellion mit Wucht, Pathos und Kitsch von „Vom Winde verweht“. Die weibliche Hauptfigur hat mich nicht überzeugt, und an vielen Stellen wirkt die Handlung etwas bemüht/konstruiert – aber stilistisch ist es toll, die politischen und moralischen Fragen sind großartig, das Buch ist SO viel ambitionierter, anspruchsvoller, länger, beherzter, als es sein müsste: Wer Young-Adult-Dystopien liebt, wird hier auf hohem Niveau unterhalten und zum Nachdenken gebracht.
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star wars vader han solo marvel
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  • „Smuggler’s Run“ ist ein munterer Unterhaltungs-Kurzroman von einem meiner Lieblings-Comic- und Thrillerautoren, Greg Rucka. Eine simple Abenteuergeschichte, aber sehr charmant und liebevoll erzählt und auch für 11- bis 15jährige problemlos verständlich: einfache Bücher, die Menschen fürs Lesen (und die Figuren) begeistern? Überzeugt mich.
  • Kieron Gillen ist einer der originellsten, aber auch selbstverliebtesten und quatschigsten Comic-Talente, die ich kenne. Sein „Darth Vader“-Comic überzeugt mich psychologisch kein Stück: Hier werden nur absurde und überraschende „Schaut her, wie originell ich bin!“-Momente aneinander gereiht. Das Tolle aber: Sie SIND originell, und sie machen Spaß. Eine verspielte, humorvolle Prahlerei: irgendwie toll, aber irgendwie doof… aber eben doch: toll!
  • Der offizielle Marvel Star Wars-Comic von Jason Aaron spielt kurz nach Episode IV, ist der meistverkaufte US-Comic des Jahres… und wirkt wie durchgepaust, abgekupfert, aufgegossen: eine lustlose, steife Geschichte, bei der ich – anders als bei den anderern Titeln – die ganze Zeit nur dachte „Geldmacherei!“ und „Diese Geschichte ist unnötiges Beiwerk.“ Solide inszeniert – aber… seelenlos. Keine Empfehlung.
star wars leia lando shattered empire
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  • „Princess Leia“ von Mark Waid ist wie viele, viele Superheldencomics von Mark Waid, die mich frustrierten: gut gemeint, mit viel Herz und Liebe zu den Figuren erzählt… aber halb durchdacht, voller kleiner Logiklöcher und Unklarheiten, unfertig, fadenscheinig. Ich fühlte mich gut unterhalten – aber je länger ich über die Figur, ihre Psychologie und die Geschichte nachdenke, desto trauriger werde ich: herzig – aber halbgar.
  • Exzellent gezeichnet, solide geschrieben… aber Charles Soules „Lando“ geht nach zwei Kapiteln die Puste aus: eine erwartbare Geschichte erstreckt sich über 100 Seiten, und kleine Twists und Überraschungen (schwule Figuren! Gender-nonconforming Außerirdische! etc.) verpuffen viel zu schnell: ein lebenslustiger, schneller, cleverer Mann… in einer schleppenden und witzlosen, zu langen Kurzgeschichte. Fuchtbar.
  • Der handwerklich schönste Star Wars-Comic (Zeichnungen: Marc Checchetto), geschrieben von Greg Rucka, der wirklich schon Dutzende tolle, kluge, faszinierende Frauen in Uniform in seinen Comics und Thrillern schrieb… aber hier wirkt es witzlos und nebensächlich: In „Shattered Empire“ hat eine Pilotin/Soldatin der Rebellion kurze, episodenhafte Missionen kurz nach Ende von Episode 6. Nichtssagende, substanzlose Kurzgeschichten. Die Figur ist interessant – aber hier wurde sie nicht genutzt, und „Lost Stars“ hat ähnliche Blickwinkel VIEL sinnlicher, klüger, packender erzählt.

12 Kommentare

  1. Ich habe eine ganze Weile EU-Romane und später Comics gelesen. Viele der Charaktere dort hab ich lieb gewonnen, etwa Mara Jade oder Corran Horn. Bisher habe ich noch keinen Wunsch verspürt, mich auf eine neue Parallelwelt einzulassen. Als würde man alte Freunde verraten *schnief*

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