‚wie von selbst‘ – Prosa für #fil15, das Orbanism-Festival (Berlin), Stefan Mesch & Felicitas Pommerening

Felicitas Pommerening, Stefan Mesch auf der 'Leizpig küsst Berlin'-Lesung im Raum B, Berlin - Foto: Sophie Sumburane

Felicitas Pommerening, Stefan Mesch auf der ‚Leizpig küsst Berlin‘-Lesung im Raum B, Berlin – Foto: Sophie Sumburane

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Am 28. und 29. November 2015 setzt das Kulturfestival Orbanism: Falling in Love 2015 Zeichen für eine offene Kultur. Organisiert von Christiane Frohmann und Leander Wattig lesen, diskutieren, performen, sprechen, feiern Künstler*innen, Autor*innen, Kulturschaffende und Interessierte an über 20 Orten in Berlin.

Zur Festivaleröffnung, am 27. November, habe ich bei Christiane Frohmanns „Katersalon“-Reihe im Kater Blau über Sehnsuchts-Figuren, Traumfrauen und -Männer, Projektionsflächen und Pornografie bei Tumblr gesprochen. Ich mache eine Druckversion des Vortrags fertig – für den Blog von Edel & Electric, im Dezember.

Am 28. November las ich Prosa/eine… Erzählung (?) in der Lese- und Performancereihe „Leipzig küsst Berlin“, veranstaltet von Sarah Berger (Twitter: @milch_honig) und Sebastian van Roehlek (Twitter: @van_roehlek).

Ich schreibe selten Erzählungen/Kurzgeschichten

…und habe, passend zum „Orbanism“-Konzept, in diesem Text etwas Anderes, Neues probiert.

(Auflösung/Erklärung/Kontext weiter unten.)

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fil15 wie von selbst .

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wie von selbst

von Stefan Mesch, 2015

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1:

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„Ich glaube nicht, dass wir noch Freunde sein können.“

Sie schwiegen eine Weile. Fin setzte sich neben sie. Auf Augenhöhe.

Auf der Bühne lud der Galerist jetzt ein, durch die Ausstellung zu gehen. Wieder wurde geklatscht. Langsam lösten sich Menschen vom Podium, verteilten sich im Raum.

„Wenn du jemanden brauchst, kann ich zu dir kommen. Ich will nicht, dass du das allein durchmachst.“

Wollte er ihr bei ihrem Liebeskummer beistehen? Liebeskummer über ihn?

„Tut mir leid, dass ich weg bin. Ich wollte anrufen, aber wusste nicht, was ich sagen soll.“

Durch die offene Tür konnte sie Menschen sehen; versuchte, das als beruhigend zu empfinden. Sie wusste nicht, ob sie traurig sein sollte. Fin fasste sich an die Stirn, legte die Hand in den Nacken.

„Ich muss kurz weg.“

In wenigen Minuten würde sich die Tür auch für nicht geladene Gäste öffnen.

„Ich habe da zu viel reingesteckt, Fin – da hängen auch andere dran. Wir machen das jetzt! Danach können wir reden.“

Er räusperte sich. Lief zum Galeristen am Sektausschank, beugte sich herunter. Sagte ein paar Worte.

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2:

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„Warum habt ihr euch getrennt?“

Leila sah zu Marie. Sprach von ihrer eigenen Kindheit, Jugend, von ihren Plänen und Träumen, die sich auch nicht erfüllt hatten. Sie fand, das sei normal. Marie war nicht sicher, was sie traurig machte. Ihre Vergangenheit? Erinnerungen? Das, was aus ihr geworden war?

„Alles okay?“ Leila legte den Arm um ihre Schulter. Marie konnte nichts sagen.

„Als meine Schwester draußen stand und gehänselt wurde, war ich drinnen in der Kirche und habe meiner damals besten Freundin selbstgemachten Schmuck gezeigt. Wir haben überlegt, mit welcher Kette ich wohl besser aussähe. Ich hätte draußen sein, mich vor meine Schwester stellen sollen.“

Draußen wies nichts mehr darauf in, dass vor einer Woche noch Schnee gelegen hatte.

„Du hast eine Affäre mit einem verheirateten Mann. Ein Jahr lang. Du machst alles nach Bauchgefühl!“

„Im Urlaub hast du gesagt, das sei toll an mir. Du hast gesagt, ich soll nicht so anspruchsvoll sein.“

„Du willst mir nicht erklären, dass du meinetwegen mit dem zusammen bist?“

Sie lief zum Sessel; stellte sich dahinter – als bräuchte sie ein Bollwerk.

Marie stand allein neben dem Esstisch.

Kurz danach fiel die Wohnungstür ins Schloss. Fin kam ins Zimmer. „Kann ich mit dir reden?“

„Du hast keine Ahnung, auf was für Dinge sich Frauen einlassen, aus Blindheit. Ahnungslosigkeit. Verliebtheit. Ich finde, wir leben in einer Zeit, in der man sich immer neu erfinden kann.“

Marie musste an die Mädchen denken, die zu Schulzeiten verkündet hatten, bestimmt eine Drei geschrieben zu haben. Nur um dann eine Eins zu bekommen und überrascht zu tun.

Er hatte ein blaues Hemd übergezogen. Sie hatte vor Monaten gesagt, wie gut er darin aussah. Jetzt konnte sie keine Haltung finden. Sie traten auseinander.

„Ich geh mal…“, sagte sie. Er nickte. Sie lief an ihm vorbei.

„Ich habe mir vorgenommen, ehrlich zu sein.“

„Ehrlichkeit ist das ungeliebte Stiefkind der Wahrheit. Verschwiegenheit mag sie lieber. Das lässt sie besser aussehen.“

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3:

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Ann stand an der Arbeitsplatte, schlug ein Ei auf. „Das ist die Essigreduktion. Für die Soße.“

„Machst du ein Chutney?“

„Nein. Sauce bernaise“. Sie ließ den Inhalt von einer Hälfte der gebrochenen Schale in die andere rutschen. Etwas musste schiefgegangen sein. Marie wollte irgendwie die Situation verändern.

„Es ist alles ein bisschen viel im Moment. Beim Tennis kann man nicht nachdenken. Hat Salzmann immer gesagt, beim Training. Uns interessiert nur der Ball, der jetzt kommt. Kein Gestern und kein Morgen. Ich habe so viel nachgedacht. Am liebsten würde ich Tennis spielen gehen.“

„Was ist mit Fin?“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Starrte auf den Boden. Farbige Orientierungsstreifen liefen auf ihm entlang: Gelb in die Chirurgie, Rot in die Kinderklinik, Blau irgendwo anders hin. Sie hatte sich geduscht, die Zähne geputzt, Haare geföhnt, sich angezogen. Sie hatte gegrüßt, sich gesetzt, ihren PC hochgefahren und Kaffee geholt, sie hatte Mails gelesen, gelöscht, beantwortet und archiviert. Jetzt ging sie an ihr Fach, holte ihre Post. Wichtige Infos rechts, Werbung direkt in den Müll. Wie eine Maschine.

„Du siehst fertig aus. Warum humpelst du?“

„Ich bin umgeknickt. In eine Pfütze getreten.“

Sie wollte sich nicht hinsetzen. Woher nahm sie den Optimismus, dass alles gut enden würde?

Fins Wohnung war nur um die Ecke von hier. Sie wollte nicht nach Hause. Sie wollte zu ihm.

Neben dem Regal hingen Masken an der Wand. Wo andere den Fernseher hätten, hing ein Kruzifix. Vor sich sah sie ein hohes Regal mit Klassikern und Sachbüchern. Der Spiegel. Die FAZ. Draußen fing es an zu regnen.

„Das wird den Schnee wegspülen.“

„War doch eh nur Matsch hier in der Stadt.“

Sie humpelte in den Flur. Zum Glück wohnte er im Erdgeschoss.

Sie saß in der U5 stadtauswärts. Handläufe. Sichelförmige Sitzreihen aus hellem Holz. Man konnte sich vorstellen, ganz woanders zu sein. Morgen nach der Sitzung würde Martina fragen, ob sie mit nach Berlin kommen würde. Sie hatte keine Ahnung, was sie antworten sollte.

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4:

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Fin nahm einen Stein vom Boden. Seine Daunenjacke machte unglaublichen Lärm. Er hatte sie überrascht.

Und er sah plötzlich anders aus. Alles, was er sich für die Zukunft überlegt hatte, war vom Tisch. Sie knöpfte den Stehkragen zu. Igendwann würde er seinen Ärger überwinden. Ihr helfen, aufzustehen. Und dann?

Sie lief ihm hinterher, blieb aber kurz vor der Tür stehen.

„Es tut mir leid“, sagte er. Merkte gleichzeitig, dass das nicht stimmte.

„Du möchtest nur das Kind. Du willst ja nicht mit mir zusammen sein.“

Fin guckte in den Raum.

„Ich habe nachgedacht.“ Hinter ihm lagen Blaupausen – der Grundriss. Daneben der Kaufvertrag und alle Gutachten, die er hatte kriegen können. Er hatte einen Tapeziertisch aufgestellt. Sie lief herum, sammelte ihre Sachen.

Vorsichtig drückte sie gegen die gläserne Tür. Sie war offen und gab sofort nach.

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5:

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Wenn sie mit dem Kopf woanders war, las sie zwar Text, aber nahm nichts auf. Sie hatte über die Haarmasse im Abfluss, über Milch und Einkäufe, volle Mülleimer, Pfandflaschen nachgedacht – und plötzlich stöhnte er laut und hilflos, hörte auf, sich zu bewegen.

Sie warf einen Seufzer in den Raum, um nicht unbeteiligt zu wirken.

Nach den Feuerwerken hatte Leila sich verabschiedet. Sie war enttäuscht vom Abend. Seit einer halben Stunde wurden die Böller draußen lauter.

„Ich war ein halbes Jahr in Quito“, sagte Lukas.

„Ecuador?“, fragte sie, als wisse sie das nicht.

„Um Leuten beim Umgang mit Kleinkrediten zu helfen.“

Sie spielte das Mädchen. Lukas hatte gesagt, er würde auf der ersten Party zu ihr und Leila stoßen. Er hielt Wort. Seit drei Stunden hielt er Wort.

„Hier ist gerade so viel in der Schwebe. Und wenn ich gehe, ist das alles weg.“ Sie malte mit der Fußspitze einen Halbkreis.

„Du… bleibst also.“

Sie steckte die Hände in die Taschen. Sie würde bleiben. Wohl wegen ihm. Oder nicht? Eine Weile liefen sie stumm weiter, vorbei an Einfamilienhäusern.

Wie von selbst bogen sie nach links.

„Das können auch Autisten: für jede soziale Interaktion den passenden Satz lernen und ihn dann runterrattern. Ich biete dir eine Hyposensibilisierung. Wie diese Spritzen bei Heuschnupfen. Bis du immun wirst – und deine Allergie verlierst.“

Auf der Straße war nichts los. Er klatschte in die Hände, als gäbe es jetzt Holz zu hacken.

Schon war Van Morrison weg, stattdessen sangen Tegan und Sara Where does the Good go – ohne den nervigen Teil in der Mitte. Dann kam Creed ohne Gitarrensolo. Maroon 5 ohne Rap-Einlage. Beethovens Neunte ohne die ersten siebenundfünfzig Minuten. Der Übergang klang gut. Finn hatte sich Mühe gegeben.

Auf dem Stick ist Musik. Ein Soundtrack für dein Leben. Lieder, von denen du gesagt hast, sie wären perfekt, wenn nicht der Refrain, wenn nicht das Ende… aus jedem Lied habe ich das, was du schlecht findest, rausgeschnitten. Ich wünschte, ich könnte das mit deinem Leben machen.

Marie zog das Post-it ab. Noch bevor sie den Absender sah, erkannte sie die Handschrift. Sie setzte sich auf den Boden, direkt im Flur.

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6:

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Lukas trug ein weißes Hemd und einen Pullunder, dazu eine Anzughose, Herrenschuhe. Wieder kam er ihr erwachsen vor und sie sich klein. Sie trafen sich im Rischart am Marienplatz.

Was wäre die Alternative? Jetzt nur noch Baby, Baby? Kein Partner mehr – bis das Kind aus dem Haus war?

„Wie geht es dir?“

Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie machte den Mund auf und wieder zu.

Die Wohnung lag still vor ihr. Ihr wurde sofort heiß in Winterjacke, Schal und Mütze. Der Wind pfiff über den Bahnsteig. Im Zug schloss sie die Augen. Im Winter war es noch schwieriger, hier auszusteigen. Das Gleis, die Berge in der Ferne. Zu wissen: Hier fängt das an. Verena war nach Osnabrück gefahren, Leila nach Köln, Fin in die Berge.

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7:

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„Wenn du magst, kann ich dir meine Kytta-Salbe geben“, sagte Ann. „Ist so was Pflanzliches, wie Arnika.“ Die Jungs, die mit Fin am Kamin saßen, blickten hoch. Ann lächelte zu Finn. Sie war schon mehrfach allein für ihren Mund gebucht worden – für Lippenstiftwerbung, Zahncreme, Call-Center-Fotos.

Unter den Carvern knirschte es. Das war die schwierigste Piste des Gebiets, und heute, mit den Wolken vor der Sonne, konnte man die Beschaffenheit des Schnees besonders schlecht erkennen.

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8:

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„Ich will nicht mit Fin zusammen sein. Er hat nichts von dem, was ich in einem Partner suche.“ Verena roch nach Kirsch-Pulmoll, Schurwolle, Allergikerseife. In der Kaffeeküche hing ein Adventskalender.

Sie erstellte Listen, kurze Texte; jedes Szenario.

Wie würden sie das Finanzielle klären? Welchen Nachnamen würde das Kind tragen? Würden sie alle Entscheidungen zusammen treffen? Momentaufnahmen. Ausgebreitete Arme, ein zahnloses Lachen… und jemand im Hintergund. Undefiniert, wie ein Schatten.

„Du solltest den Job annehmen. Du denkst darüber nach, die Sache mit dem Baby zu machen? Statt Berlin?“

Sie war nie gut darin gewesen, jemanden abzuschütteln. Sie holte ihr Handy raus, rief Fin an. Er ging nicht dran.

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9:

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„Fin, ich bin’s“. Eine Frauenstimme. Fin fuhr sich über den Nacken. Vor drei Tagen war er beim Friseur gewesen. Eine normale Herrenfrisur. Da gibt’s jetzt nicht mehr viel zu variieren. Er zog an seinem Pullover, fand keine Position, in der er sich wohlfühlte.

„Man sollte sich überlegen, ob man ein Kind bekommt. Weil das Kind dann da ist. Es wird alles ändern. Für immer. Wenn andere Dinge auf der Strecke bleiben – und das werden sie – muss die Freude am Kind groß genug sein, um zurechtzukommen.“

Schwangere im Supermarkt, Schwangere im Bus. Babys im Kinderwagen, im Tragetuch, auf Schultern, Armen. Fin wurde das Gefühl nicht los, etwas Falsches gesagt zu haben.

„Kein klassisches Familienmodell. Ich finde das nicht schlimm.“

„Aber keine intakte Familie.“

„Wie wirst du es finden, jahrelang aus dem Leben auszutreten? Aus dem Beruf, aus allem?“

„Wir wären kein Paar, wir wären nur Eltern.“

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10:

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Rund um die Holzhütte lagen Pfandflaschen und Werkzeuge. Klaus‘ Parzelle lag am Ende der Anlage und wirkte vergleichsweise unordentlich. Die Sauberkeit der Wege, die Fahnenstangen, Mülltonnen, Hinweisschilder.

„Ich lege jetzt das Handy weg und lösche dich aus meinen Kontakten“, schrieb sie.

Der Bruch, die Einsamkeit. Kein Kampf.

Keine Notwendigkeit, sich klar zu ihr zu stellen.

Vielleicht würden sie sogar noch miteinander schlafen. Er hat keine Versprechungen gemacht. Was kann sie sagen? Welches Recht hat sie, wütend zu sein?

Sie straffte die Schultern. Bekomm halt keine Kinder mit irgendeinem Deppen.

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11:

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„Du glaubst, dass er seine Frau nicht verlassen wird.“

„Nie.“

„Und es nie wollte.“

„Genau.“

Sie las den Text viermal. Dann legte sie das Handy weg. Verena hatte ein Foto ihrer Arbeit im Kinderdorf gepostet. Leila fragte, ob sie auf eine Party wolle. Zwischen den Platanen rannten Kinder hin und her. Versuchten, sich gegenseitig zu fangen. Sie drehte das Autoradio an. Wie viele Tassen Kaffee kann man jemandem bringen?

Vor zwei Jahren war Fin von einem Jeep erfasst worden. Sein rechtes Bein musste mehrfach operiert werden. Er redete nicht viel darüber. Marie faltete die Karten zusammen.

„In meinem Alter sind nur noch Loser allein. Single ist man vor und nach dreißig, nicht mittendrin.“

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12:

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Fin blieb direkt hinter der Tür, Hände in den Hosentaschen, das Gewicht auf beide Beine verteilt. Seit sie ihn kannte, imitierte er Vorbilder, folgte irgendwelchen Vorgaben. Vielleicht sollte sie nach Hause gehen.

„Es war die richigite Entscheidung.“

„Wenn du das sagst.“

„Das sage ich. Wir treffen uns nicht mehr.“

Mit dreizehn ging sie ständig auf Demos, protestierte gegen die Kompetenzerweiterung der Bundeswehr, klebte sich WWF-Sticker auf den Ranzen und wäre bestimmt auch auf den nächsten Kraftwerk-Schornstein geklettert, hätte es in der Umgebung Anlass gegeben.

Sie schrieb für die Schülerzeitung, war Klassen-, später Schulsprecherin, organisierte Projektwochen.

„Jetzt habe ich was zum Drübernachdenken.“

Fin war überrascht, dass sie nicht emotionaler war.

„Ally McBeal ist immer unglücklich. Nein – unzufrieden. Am Ende haben sie das so gedreht, dass sie einfach aufhört, ihr Glück in einer Zweierbeziehung zu suchen. Stattdessen hat sie eine Tochter und sagt, die Leere, die sie immer gefühlt hat, ist jetzt weg. Also braucht sie keinen Mann mehr. Fernsehen halt.“

Fin biss sich auf die Lippe. „Du sagst, du willst Familie. Du sagst, du suchst einen Familienmensch, der nichts über dich und eure Kinder stellen wird. Aber du magst Männer, die intellektuell sind, beruflich erfolgreich, engagiert und interessant.“

„Na und?“

„Möchtest du ein Bier?“

„Hast du noch von deinem Ammoniak?“

Er lachte. „Armagnac. Sofort.“

Sie wollte irgendwohin, wo es ihr besser gehen würde.

Kälte hätte ihr jetzt gut getan, vielleicht sogar Regen, der hätte jetzt gepasst.

Aber nein. Es war natürlich warm.

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Tatsächlich ist mein Text, „wie von selbst“, keine Erzählung.

Sondern ein Cut-Up: ein Schwerpunkt des Orbanism-Festivals / das Thema der „Leipzig küsst Berlin“-#fil15-Lesung war: Remix und Remix-Kultur, und schon seit Wochen haben Künstler*innen auf der Orbanism-Website Texte, Bilder, Filme, Audiodateien zur Verfügung gestellt, aus denen – im Rahmen des Festivals – neue Inhalte entstehen konnten.

Autorin Felicitas Pommerening hat „Freunde fürs Lieben“ zur Verfügung gestellt – einen über 300 Seiten langen Liebesroman, erschienen 2015 im Berlin Verlag:

„Marie und Fin sind beste Freunde. Schon seit der Grundschule. Bei Fin kann Marie sich ausheulen, wenn mal wieder einer ihrer Beziehungsversuche missglückt ist. Und bei Marie kann Fin er selbst sein, und muss sich nicht für seinen Freiheitsdrang rechtfertigen. Sie könnten sich nie ineinander verlieben, und das macht die Freundschaft so perfekt. Doch eines Tages macht Fin einen unglaublichen Vorschlag: Er möchte ein Kind haben, ohne sein Single-Leben aufzugeben. Und das am liebsten mit Marie. Sie fällt aus allen Wolken. Eine absurde Idee! Oder könnte das ungewöhnliche Modell vielleicht doch funktionieren?“

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Buch kaufen? (Link)

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Lesungsfoto: Sophie Sumburane, Buchcover: Berlin Verlag

Lesungsfoto: Sophie Sumburane, Buchcover: Berlin Verlag

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Ich habe den Roman rückwärts gelesen – Seite für Seite, als ebook…

…mir Lieblingssätze markiert…

…und diese Sätze dann – ohne, ihre Reihenfolge zu ändern oder Worte hinzuzufügen…

…zu einer neuen Geschichte montiert:

Die Münchner Journalistin Marie, 32, hat im Roman eine Affäre mit einem verheirateten Mann, trennt sich auf Seite 1, fährt mit ihrem besten Freund Fin in den Urlaub und überlegt sehr lange, was sie von Fins Vorschlag halten soll, ein Kind zu zeugen und gemeinsam aufzuziehen – als Freundes-Duo, nicht als romantisches Paar. Marie flirtet mit Lukas, Fin trifft ein Model namens Ann-Kathrin, der Roman erzählt eine Annäherung, folgt den Gedanken einer ledigen, nicht-schwangeren Frau.

Mein Remix-Text erzählt eine Trennung und die Ängste einer Schwangeren.

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Kurzgeschichten leben oft von Lücken, Ellipsen. Möglichst vielsagenden… Auslassungen.

Aber lädt sich jeder Halbsatz mit Bedeutung auf? Reichen kurze, widersprüchliche Szenen, Schlaglichter, Fragmente – und aus direkter, erzählender Prosa wird „suggestive“, verrätselte Literatur?

Ich merke beim Schreiben von „Zimmer voller Freunde“: Kürzungen helfen. Fast immer.

Aber ich weiß auch, nach fünf Jahren „Kreatives Schreiben“ in Hildesheim: Vage Kurzsätze kann JEDER aneinander reihen. „wie von selbst“ klingt wie… fünftes Semester Schreibschule. Ein „suggestiver“ Text? Ein Windbeutel!

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Felicitas Pommerening, geb. 1982, lebt mit ihrem Mann, ihrer Tochter und dem kleinen Sohn in Mainz. Nach dem Studium hat sie jährlich den Job und den Wohnort gewechselt, bis sie keine Lust mehr dazu hatte. 2011 hat sie ihre medienwissenschaftliche Doktorarbeit abgeschlossen.

Zur „Raum B“-Lesung war sie Überraschungsgast:

Nach meinem Remix-Text las sie selbst aus „Freunde fürs Lieben“… und antwortete/erzählte mir und dem Publikum viel über die Arbeit am Roman, ihre Ziele als Autorin und das eigene Schreiben.

Ich habe mich irrsinnig gefreut, mit ihr zu sprechen.

Und ich habe es sehr genossen, zwei Tage lang durch ihren Roman zu streifen, mit ihren Worten, ihrer Sprache zu arbeiten.

Danke, Orbanism. Danke, Raum B. Danke, Felicitas!

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