Autor: stefanmesch

Writer. Book Critic. Journalist.

Japanliteratur: Die besten Bücher aus und über Japan

brooklyn botanical gardens japanese garden.

Einmal pro Monat stelle ich 20 unbekannte oder neue Bücher vor.

heute: Bücher aus und über Japan.

viele davon gefunden bei „Japanliteratur.net“, einer übersichtlichen, toll gestalteten, sehr gut informierten Magazin von Friederike Krempin.

20 Titel – angelesen, gemocht und vorgemerkt:

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01: SAIICHI MARUYA, „Die Journalistin“ / „A Mature Woman“ 

Die Journalistin

02: MORIO KITA, „In Nacht und Nebel“

Lidé z rodu Nire

03: TERU MIYAMOTO, „Kinshu: Autumn Brocade“

  • 208 Seiten, 1982.
  • Briefroman über ein Ex-Liebespaar, das sich zehn Jahre später in einem Onsen in den Bergen wiedersieht.

Kinshu: Autumn Brocade

04: MINATO KANAE, „Confessions“

  • 240 Seiten, 2007.
  • Rezension bei Japanliteratur.net (Link)
  • Monolog einer Lehrerin und Mutter, die der Schulklasse, die sie unterrichtet, die Schuld am Tod ihrer Tochter gibt und sich an den Kindern rächen will. Etwas trashiger (?), aber mitreißender Thriller.

Confessions

05: YUKIO MISHIMA, „Runaway Horses“

Runaway Horses

06: HIROMI KAWAKIMI, „The Briefcase“ / „Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß“

The Briefcase

07: NATSUKI IKEZAWA, „A Burden of Flowers“ / „Schwere Blumen“

A Burden of Flowers (Kan Yamaguchi Series)

08: ALAN BOOTH, „Looking for the Lost: Journeys through a vanishing Japan“

  • 340 Seiten, 1995.
  • Um Noh-Theater zu lernen, zieht Booth mit 24 nach Japan. Er bleibt 33 Jahre lang, bis zu seinem Tod – und schreibt hier über seine Wanderungen und Reisen durch die japanische Provinz.

Looking for the Lost: Journeys Through a Vanishing Japan

09: OSAMU DAZAI, „The Setting Sun“

  • 175 Seiten, 1947.
  • Als ihre verwitwete Mutter krank wird, muss eine unverheiratete Frau mit ihr aufs Land ziehen: Nachkriegsroman über soziale Kälte und Abstieg.

The Setting Sun

10: MAXENCE FERMIN, „Snow“

  • 112 Seiten, 1999.
  • verknappter, poetischer Roman über einen jungen Haiku-Autor im 19. Jahrhundert, seinen blinden Lehrer und eine Hochseilartistin aus Frankreich, in die er sich verliebt. Könnte schlimmer Kitsch sein – aber stilistisch macht es Spaß.

Snow

11: YASUNARI KAWABATA, „First Snow on Fuji“

Beauty and Sadness

12: FLORENT CHAVOUET, „Tokyo on Foot. Travels in the City’s most colorful Neighborhoods“

  • 206 Seiten, 2009
  • Reisebericht, Visual Guide, Graphic Novel, illustriertes Geschenkbuch: ein harmloser, aber wunderschöner Reiseratgeber von einem Illustrator, der mehrere Bücher zu beliebten Reiseziele in Japan macht(e).

Tokyo on Foot: Travels in the City's Most Colorful Neighborhoods

13: SAWAKO ARIYOSHI, „The River Ki“

  • 243 Seiten, 1959.
  • drei Generationen von Frauen, vom Ende der Edo-Zeit bis zum zweiten Weltkrieg, und ihr Leben an einem Fluss in der Provinz.
  • von der selben Autorin angelesen und gemocht (wirkt aber etwas didaktisch und Biopic-artig): „The Doctor’s Wife“ (1978)

The River Ki

14: SHUSAKO ENDO, „The Sea and Poison“

The Sea and Poison

15: EIJI YOSHIKAWA, „Musashi“

  • 970 Seiten, 1935
  • historischer Schmöker über einen Schwertkämpfer, Samurai und Feldherrn im 17. Jahrhundert: viele dieser Bücher sind schleppend – besonders in der Übersetzung. Dieses hier hat mich schnell gepackt.
  • ähnliche Mainstream-Titel, angelesen und gemocht: „Shogun“ (James Clavell, 1975), „Hiroshima“ (John Hersey, 1946)

Musashi

16: BEATE SIROTA GORDEN, „The only Woman in the Room: A Memoir of Japan, Human Rights and the Arts“

  • 176 Seiten, 1998
  • Beate, Tochter russischer Juden, hilft direkt nach dem 2. Weltkrieg beim Aufsetzen der japanischen Verfassung: ruppige, etwas überdrehte Lebenserinnerungen einer streitbaren und selbstbewussten Frau.

The Only Woman in the Room: A Memoir of Japan, Human Rights, and the Arts

17: NATSUME SOSEKI, „And then“

  • 248 Seiten, 1909
  • Ein junger Idealist wird immer tiefer ins Leben seines besten Freundes und dessen labiler Frau gezogen.
  • Klassiker vom selben Autor: „Kokoro“ (1914)

And Then

18: SAYO MASUDA, „Autobiography of a Geisha“

  • 185 Seiten, 2003.
  • Rezension auf Japanliteratur.net (Link)
  • abseits vom Arthur-Golden-Kitsch erzählt eine Geisha von ärmlichen, schwierigen und verstörenden Jahren in der Provinz.

Autobiography of a Geisha

19: YASUSHI INOUE, „Die Eiswand“

  • 415 Seiten, 1956
  • Zwei Freunde und Bergsteiger-Rivalen kämpfen um die selbe Frau.
  • Ich liebe Inoues „Meine Mutter“ und empfehle es oft. Niemand in meinem Freundeskreis kann viel damit anfangen. Freundin L. nahm es mit in den Strandurlaub und sagte danach: „Ich war gelangweilt. Aber meine 80jährige Oma fand es, glaube ich, nicht schlecht.“
  • andere Titel von ihm, die ich angelesen habe und mochte: „Schwarze Flut“, „Bullfight“, „Amore“ (1950)

Die Eiswand

20: HIKARU OKUIZUMI, „Das Gedächtnis der Steine“

  • 158 Seiten, 2000 oder früher (hier der Amazon-Link)
  • Rezension auf Japanliteratur.net (Link)
  • Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, nach dem Tod seines Sohnes, stellt sich ein inzwischen Erwachsener Familienvater seiner Kriegstraumata und verdrängten Ängsten.

japanliteratur stefan mesch

Klassiker, angelesen und gemocht:

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Nip the Buds, Shoot the KidsmThe Makioka SistersYabu No Naka The Chrysanthemum and the Sword: Patterns of Japanese CulturemTattoo Murder Case

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Expat- und US-Literatur, angelesen und gemocht:

The Japan Journals: 1947-2004m Lost Japanm36 Views of Mount Fuji: On Finding Myself in JapanmMy Year of MeatsmTokyo Fiancée

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sympathische Unterhaltungsromane:

The Yokota Officers ClubmWarten auf die SonnemWingshootersmSchnee im AprilmAll She Was Worth

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underdog literature october 2014

gelesen – und sehr gemocht:

Ich habe alle Haruki-Murakami-Bücher gelesen… und empfehle besonders (in absteigender Reihenfolge):

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fünf Manga, denen ich das größte denkbare Publikum wünsche:

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fünf Japan-Romane, die ich empfehle:

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verwandte Posts:

und:

1 book. 1000 texts about death. partake in the #1000deaths project!

writing a thousand deaths twitter

full info / exposé here [Link, Dropbox]

Update: the final deadline for submissions is August 30th, 2015

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have you ever been affected by a death?

do you want to write about it?

submit a personal text…

…to Christiane Frohmann’s #1000deaths project!

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One of my favorite German Cultural Studies writers, Christiane Frohmann, is publishing a collection titled „Writing A Thousand Deaths „. It’s an ebook with a professional editing process, available on Amazon and many European, alternative platforms. her full proceeds go to charity.

The #1000deaths project wants to collect 1000 brisk, smart and moving personal narratives.

The first 350 text are published already: The ebook will update itself several times until 1000 texts are completed. These first 350 texts were written by German-speaking authors, mostly. Now, for the fourth update / edition of the book, the project will open up for people writing in all other possible languages. We are looking for morticians and clergy people, doctors and grief therapists… and all kinds of other voices who want to approach the topic.

Forms like poetry, fiction, essays, personal texts, letters etc. are possible and encouraged.

Please forward this to anyone who might be interested, and…

…by March 3rd, email your submissions to verlag@cfrohmann.com

There will be a professional editing process. The dropbox document (link) will give you all further information.

there are additional exposés in

If you have any questions, please get in touch! Share the exposé, invite writing classes, friends, academics, poets and all kinds of experts and amateurs… and visit the „Writing a Thousand Deaths“ Facebook page for further information.

The book has been covered in „Wired“ (German edition, Link) and the Neue Zürcher Zeitung (Swiss, Link), and there’s a Goodreads page, too (Link).

So far, from 350 texts, only a select few have been written in English:

Tricia Callahan (text 249), Marika Keblusek (text 083), Chloe Zeegen (text 091), AE Rutherford (text 103), Michaele Taschek (text 150), Lola Gruenthal (text 188), Kristoffer Patrick Cornils (text 227), Joey Juschka (text 273), Angela Lahee (text 280), Richard Weber (text 284), Roxanne Kent-Drury (text 347)

Let’s help expand this list…

…and produce a stunning, rich and emotional collection of 1000 texts about a taboo topic!

Writing a Thousand Deaths, Frohmann Verlag

1000Tode / „Tausend Tode Schreiben“: mein Text… und Update 3

„Inventar“

von Stefan Mesch.

erschienen in: „Tausend Tode Schreiben“, Frohmann Verlag 2014 / 2015

Tausend Tode Sterben Christiane Frohmann .

Mach eine Liste aller Menschen, die dir fehlen.

Sprich aus, was du konkret – an jedem einzelnen – vermisst.

Steck alle Verluste ab, spezifisch, nur für dich: ideell, materiell, sozial/alltäglich, kulturell.

Eine Inventur deiner Zäsuren, Brüche.

Aller plötzlichen Nie-Wieders und Dann-doch-nichts und Zu-Späts.

Öffne ein Register für alles, was ein Tod dir nahm.

Stahl?

Verschenktes Potenzial. Falsche Aufschübe. Verlorene Zeit, Unmöglichkeiten.

Sei egoistisch, hungrig, leg dich fest – bis runter zum kleinsten, albernsten regret.

Und dann dreh um. Mach eine Liste über deinen eigenen Tod.

Aus Sicht der anderen.

//

Am Check-in jedes Fluges wünschte ich, Verena hätte die Liste meiner Passworte: Gmail, der GMX-gesendet-Ordner, WordPress, Facebook, das Passwort meiner 2000 Seiten Tagebuch auf der externen Festplatte, 1997 bis 2004. Mein digitaler Nachlass, mein Vermächtnis – falls ich und mein Computer heute ins Meer stürzen, verstummen. Keine weiteren Worte in die Welt lassen dürfen.

// .

Mach eine Bucket List, wenn du nicht anders kannst.

Und klar – Patientenverfügungen, Organspende. Formalia.

Aber das meine ich nicht:

Es gibt genügend Online-Listen mit 1000 Dingen, die du tun musst, ehe du stirbst. (Bürokratie!)

Es gibt genügend Online-Listen mit 1000 things to see before you die. (Tourismus!)

Ich will ein Inventar aller Dinge, die du geben kannst:

ideell, materiell, sozial/alltäglich, kulturell.

Dazu die Liste aller Menschen, denen etwas fehlen würde – zwischen deinem Tod und ihrem.

Und einen Plan:

Was du hinterlässt.

Für wen genau.

Und wer – womit genau? – was anzufangen wüsste. .

//

Als sie mit 14 ihr erstes Testament schrieb, mailt Julia, legte sie die Rangfolge fest, in der ihre Freunde das Zimmer betreten durften, „um sich eine Sache auszusuchen. Mein Nachttisch durfte aber nicht aufgemacht werden!“ Braucht, will oder trösten jemanden meine Comics (Richard? Jakob?), Romane (Maria?), Kleider (…?!), Festplatten, Daten (Frank, Simone, Lino? Und Jule und Jan: Könnt ihr notfalls mein Buch beenden)…? Wie finden die richtigen Hinterlassenschaften die richtigen Hinterbliebenen? Was von dem Zeug, das ich besitze, schreibe, weiß, zu sagen habe, hat einen Wert – Glücks- und Erkenntnispotenzial? Für wen?

//

Mach Ablageorte.

Mach dir bewusst, dass deine Ablageorte später Fundorte werden.

Mach Sicherungskopien, Fotos.

Keep your old love letters. Throw away your bank statements.

Mach einen Stammbaum und zähl 20 Dinge auf über jeden Namen im Geäst..

//

Roy hat die Schlüssel zu M.s Wohnung, damit er Pornos löschen, Fenster putzen, alles Unvernünftige verschwinden lassen kann in den kurzen Stunden zwischen einem Unfalltod von M. und einer Anreise und Wohnungsinventur durch M.s Mutter. „Meine Tante verließ ihren Mann: Er soff sich dann zu Tode, allein. Die letzten Tage schaffte er es nicht mehr bis zum Klo. Meine ganze Kindheit lang habe ich nichts Gutes über ihn gehört. Der Dreck in seiner Wohnung. Die Ecke, in die er pisste. Das haben alle behalten. Sonst nichts.“ Roy hat den Wohnungsschlüssel, um zu verhindern, dass M., falls er überraschend stirbt, am Zustand seiner Zimmer gemessen und erinnert wird.

//

Hast du eine Geschichte? Schreib sie auf.

Hast du alles gesagt?

Genug?

Hast du die wichtigen Menschen alles Wichtige wissen lassen?

Hast du etwas gesehen, erlebt, das mit dir stirbt?

(Muss es das?)

Dreh kurze Filme. Nimm deine Stimme auf.

Lass Karten hier, die uns zu deinen Schätzen führen.

Trete Spuren. Halt dich fest.

Mach Nacktbilder – für die Person, die das zu schätzen weiß oder wüsste.

Ich will die Liste aller Orte, an denen du zwei Nächte verbrachtest – oder mehr.

Ich will die Liste aller Menschen, mit denen du zwei Nächte verbrachtest – oder mehr.

Ich will deine Lieblingssongs und -filme. Deine Favoriten. Deine Perlen.

Ich will Kultur, in der du dich erkennst.

Entdeckungen – die mehr über dich verraten.

Ich will das Inventar der Dinge, die du teilen kannst – sobald du stirbst.

Und ich will, dass du Wege findest, das Teilen vieler Dinge nach vorne zu verlegen:

Sobald du kannst – lass uns gleich teilen.

Heute.

Wozu erst warten, bis einer von uns fehlt? .

Stefan Mesch

..

…heute erscheint Version 3 von „Tausend Tode Schreiben“:

. alle Infos zur Teilnahme, Einsendefristen u.a. finden sich hier:

.…das Buch selbst ist unter anderem bei Minimore.de erhältich (Link) .

Texte aus Version 1, die ich besonders mochte, kamen von Alan Posener (Text 002), Michael Brielmaier (003), Anne Kuhlmeyer (004), Gesa Füßle (008), Clemens Setz (010), Jan Fischer (016), Falk Schreiber (017), Judith Sombray (023), Johanna Straub (034), Daniela Seel (037), Jannis Plastargias (039), Sibylle Luithlen (040), Lew Weisz (042), Angelika Maisch (059), Roman Held (071), Johanna Peil (073), Gabriel Yoran (079), Zoe Beck (081), Zora Debrunner (086), Mario Sixtus (090), Stanislaw Bastian (097), Florian Voß (101), AE Rutherford (103), V.S. Wagner (112), Christian Huberts (116), W. (122), Auguste von Blau (123) und Karola Sasse (Text 130).

Texte aus Version 2, die ich besonders mochte: Fabian Thomas (138), Natalia Kauz (143), Meike Rensch-Bergner (145), Uwe Kalkowski (156), Iris Hakelberg (161), Tania Witte (162), Joachim Göb (167), Doris Lautenbach (176), Inga Sawade (183), Lola Gruenthal (188), Marianne Landré Goldschneider (189), Sabrina Sailer (194), Susanne Becker (198), Leopold Faltin (215), Anthea Rubin (216), Jessica Mancuso (220), Claudia Wiedow (222), Kristoffer Patrick Cornils (227), Maximilian Buddenbohm (231), Amaot Wurst (233), Kinderdok (240).

Das neue Update, Version 3, umfasst knapp über 100 neue Texte.

Ich empfehle besonders:

248 Jules Heuser
251 Annette Horn
255 Ingrid Walter
269 @achthirsch
275 Stephanie Jaeckel
283 Bianca Pohlmann
285 Sandra Burkhardt
288 Christina Striewski
297 Katja Kulin
299 Thomas Merz
305 Marianne Labisch
306 anonym
316 Achim Reibach
337 Renesmee Farnbauer
348 @ickemich

und, aus Version 4 (Update):

361: Pierre Vlcek (@henscheck)
362: Luan J. Kreutschmann
371: Tine Mothes
372: Nicole von Horst
375: Der Narkosearzt
380: @patzillasaar
388: Der Emil
401: Thomas D. Föller
419: Peter Gleason

.D

Das Niveau bleibt hoch und ich lese die Texte weiterhin mit großem Gewinn… doch ich merke nach 350 Texten, wie viele Auorinnen und Autoren (ich selbst auch, unbedingt!) die Erfahrungen, Gefühle und Lebenswelten einer Mehrheit beschreiben:

Für Version 4 hoffe ich auf weitere / viel mehr Stimmen und Perspektiven, die andere Kulturen und Familien, Rollen und Hoffnungen, Abschiede und Identitäten und Gefühle und Sexualitäten zeigen: Sterben, Abschied, Trauer, Alter und Verlust sind universelle Themen. Aber das Drumherum (Wem passiert das? Woran glauben, worauf hoffen, wen lieben diese Menschen?) kommt mir an vielen Stellen gerade gleichförmiger vor, als es sein müsste.

Vielleicht durch die Ballung. Vielleicht, weil ich zu viel am Stück gelesen habe und Muster, Wendungen, Metaphern wieder und wieder erkenne. Noch 650 Texte sollen für dieses Projekt gesammelt werden und erscheinen. Ich glaube, viele Farben, Themen, Aspekte wurden bisher kaum gestreift.

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tolle Reportagen, guter Journalismus: Empfehlungen, #textdestages 02

November Sunday Cherry Leaves Stefan Mesch WordPress.

ein Text pro Tag.

deutschsprachig, hintergründig, zeitlos:

seit Neujahr sammle ich Blogposts, Reportagen, Essays, Interviews unter dem Hashtag #textdestages auf meinen Facebook-Profil.

hier sind Texte 11 bis 20. große Empfehlung! markante Stimmen. interessante Thesen. Qualitätsjournalismus, den ich gerne las – und teilen will!

Teil 1, Text 01 bis 10, sind hier [Link]

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020. Schauspieler, Seifenopern, Arbeitslosigkeit:

„Der Serientäter: 14 Jahre Seifenoper – wie verändert das einen Menschen?“

Tobias Haberl portraitiert Sven Thiemann, der zwischen 23 und 37 in der ARD-Soap „Marienhof“ den gutmütigen Klempner Charly Kolbe spielte. Erst mit Ambitionen. Dann bald: resigniert und routiniert. Was tun, nachdem die Serie abgesetzt wird? (Portrait, Süddeutsche Zeitung 2012)

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019. Kulturindustrie, Weltekel, Kinderkanal:

„Bernd das Brot über schlechte Laune: ‚Ich glaube, ich hasse Sie'“

Maria Rossbauer interviewt Bernd das Brot, „Deutschland am schlechtesten gelaunte Fernsehfigur“. Tolles Misanthropen-Comedy-Gespräch im Stil Adornos und Thomas Berndhards. (Kulturkritik / Interview, taz 2014)

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018. Depressionen, Familiengründung, „Problemkinder“:

„Psychologe Andrew Solomon: Jeder vererbt etwas Schwäche“

Julia Prosinger interviewt den Autor und Psychologen Andrew Solomon: Für sein Buch „Weit vom Stamm“ sprach er mit 300 Familien, deren Kinder aus dem Rahmen fielen. Sprechen Depressionen, Behinderungen, Armut gegen die Gründung einer Familie? (Interview, Tagesspiegel 2015)

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017. Behinderung, Selbstbestimmung, Inklusion:

„Raul Krauthausen: Ich bringe der Volkswirtschaft mehr, als ich koste.“

Lea Hampel interviewt den Glasknochenbesitzer und „Sozialhelden“ Raul Krauthausen über das Leben mit Behinderung, seine erfolgreichen Initiativen, Startups und Buchprojekte… und sein Erwachsenwerden in Deutschland und Kolumbien. (Interview, Süddeutsche Zeitung 2014). Ein älteres Interview über Mobilität, von Annett Heide hier (Link, Berliner Zeitung 2014)

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016. Steuerschlupflöcher, US-Konzerne, Ausbeutung:

„Starbucks und die Steuer-Clique. Die großen Konzerne drücken ihre Steuerlast, wo es nur geht.“

Thorsten Schroeder erklärt, wie Starbucks, Apple, Amazon Steuern sparen – und warum Widerstände, Proteste und politischer Druck in Europa kaum helfen. (Wirtschaft, ZEIT 2014)

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015. China, Gewalt durch den Staat, Festnahmen:

„Pressefreiheit: Sie haben Miao“

Angela Köckritz‘ Assistentin Zhang Miao verschwindet nach einer Recherchereise zu Protesten in Hongkong: Chinesische Behörden haben sie fest genommen – und über Tage versucht Köckritz, ihrer Freundin zu helfen: Wie kann die ZEIT ihrer chinesischen Mitarbeiterin helfen? (Reportage, ZEIT 2015)

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014. Mütter, Landleben, Sackgassen:

„Alleinerzehende und Hartz IV: Alltagskampf bis zur Erschöpfung“

Wibke Bergemann portraitiert Mütter, aleinerziehend und im sozialen Abseits: Was macht Hartz IV aus einer Kleinfamilie? (Reportage / Portrait, Deutschlandradio Kultur 2014)

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013. Jobcenter, „Fördern und Fordern“, soziale Teilhabe:

„Zehn Jahre Hartz IV: Immer den Staat im Nacken. Die Teilnahme am normalen Leben ist für Millionen Betroffene fast unmöglich geworden“

Hans von der Hagen und Benjamin Romberg treffen eine studierte Chemikerin, die aus Altersgründen keine Anstellung mehr findet. Vom Jobcenter fühlt sie sich schikaniert, überwacht, entmündigt und entmutigt. Eine Hürde statt einer Hilfe? (Reportage / Portrait, Süddeutsche Zeitung 2015)

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012. Reichtum, Steuern, Abstiegsangst:

„Ab wann ist man reich? Ein Spitzenverdiener spricht.“

Mona Jaeger trifft einen jungen Familienvater im reichen Taunus, der sich selbst nicht reich fühlt: Wo fängt „Wohlstand“ an? Und wieso haben selbst Spitzenverdiener das Gefühl, ihre Familie habe wenig Spielraum? (Portrait, FAZ 2014)

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011. Verbrechen, Justiz, Nahtoderfahrung:

„Jugendgewalt: Der Überfall. Drei Jugendliche ziehen raubend und prügelnd durch die Großstadt. Unsere Autorin hat den Ausbruch der Gewalt knapp überlebt.“

Susanne Leinemann wird auf offener Straße überfallen und bewusstlos geschlagen. Zwölf Tage später werden die Täter gefasst – und Leinemann schreibt über den Prozess. (persönliche Reportage, ZEIT 2010)

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automatische Literatur: 0x0a, Google-Texte, Montage via Algorithmus. [Hannes Bajohr, Gregor Weichbrodt; Frohmann Verlag]

weihnachten 2012 Stefan

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Es ist zu spät, um alle Dinge aufzuzählen, die uns so quälen. Es ist zu spät, um an einen sicheren Ort zu fahren – das Jucken ist inzwischen zu einem scharfen Brennen geworden. Es ist zu spät, um mich jetzt zu lieben. Es ist zu spät, um zu bremsen oder auszuweichen. Es ist zu spät, um Charlottes Netz zu reparieren. Es ist zu spät, um weg zu rennen. Es ist zu spät, um nicht zu schlafen. Es ist zu spät, um Clubs oder so was beizutreten. Es ist zu spät, um die Konverter herauszubeamen. Es ist zu spät, um makellos zu sein. Es ist zu spät, um aufzuzählen, was an dieser Logik alles falsch ist. Es ist zu spät, um mir noch eine Variante zum abgedroschenen Begrüßungssatz auszudenken, den ich im Geist ständig wiederhole.

Wir müssen anfangen, grundlegend anders von Gott zu reden. Wir müssen anfangen, den anderen so zu sehen, wie er ist und darauf vorbereitet sein, enttäuscht zu werden, wenn unser emotionales Kind einen Mangel an Gemeinsamkeit empfindet. Wir müssen anfangen, zu kommunizieren! Wir müssen anfangen, darüber zu sprechen, welche Menschenrechte wir eigentlich durch unsere Angst verhindern. Wir müssen anfangen, und zwar umgehend. Wir müssen anfangen, den Menschen tatsächlich eine Alternative zu bieten. Wir müssen anfangen, Frauen ein gutes Feedback zu geben, auf das, was sie tun. Wir müssen anfangen, unsere Papilloten aus den Haaren zu drehen, denn der Starttermin rückt unaufhaltsam näher.

Unser Leben muss wie das Weizenkorn in die Erde fallen und ersterben. Unser Leben muss auf einem Fundament ruhen, das sich mit dem Tod nicht in Luft auflösen kann. Unser Leben muss auf ein höheres Niveau umgestellt werden. Unser Leben muss sich wieder zwischen Zahnschmerzen und Übergewicht einspielen. Unser Leben muss gefährlicher werden. Unser Leben muss nicht geopfert werden in einem ausweglosen Kampf in der Matrix einer künstlichen Welt. Unser Leben muss wieder gelernt werden. Unser Leben muss beweisen, dass es einen besseren Weg gibt. Unser Leben muss ziemlich unangenehm sein, wenn wir so viele Gelegenheiten für Vergnügen finden müssen.

Das einzige Problem ist, dass man sich nicht unter Kontrolle hat. Das einzige Problem ist, dass Excel führende Nullen entfernt. Das einzige Problem ist eine möblierte Wohnung oder wenn die Katze Freigänger ist. Das einzige Problem ist, dass leider noch nicht so viele Personen eine Webcam besitzen, aber das wird sicherlich noch kommen. Das einzige Problem ist eigentlich das Geld. Das einzige Problem ist, dass Bücher keine Fragen beantworten können. Das einzige Problem ist der Kampf ums Futter. Das einzige Problem ist momentan Humangenetik. Das einzige Problem ist bereits gelöst. Das einzige Problem ist nur noch, dass ich nicht mehr die Seiten wechseln kann.

Am Ende wird ein schmerzhafter Kompromiss stehen. Am Ende wird sogar wieder geschunkelt. Am Ende wird das Werk dem Brautpaar feierlich überreicht. Am Ende wird die Demokratie siegen. Am Ende wird jemand Weltmeister, der nicht Deutscher ist. Am Ende wird alles gut? Am Ende wird es nur darum gehen, welche Seite mit geringeren Blessuren den Versuch einer konzertierten Aktion überlebt. Am Ende wird abgerechnet. Am Ende wird der Konflikt gelöst, indem alle schwächsten Völker aus der Region entfernt werden. Am Ende wird das Vaterunser getippt. Am Ende wird erst rechts in Richtung Erkelenz und nach ca. 200 m links abgebogen. Am Ende wird die Wurst verspeist, der Slibowitz getrunken.

„Stichwort: Volltextsuche“
Stefan Mesch, März 2005.
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In der Reihe 0x0a – genuin digitale Literatur verlegt Netzfreundin und Digitalverlegerin Christiane Frohmann [mehr hier] Textcollagen, Listen, Montagen und literarische Mash-Ups, die mit Hilfe von Algorithmen und Suchfunktionen gesammelt wurden:

„Als erster genuin digitaler Titel im Frohmann Verlag bringt Hannes Bajohrs konzeptueller Roman Durchschnitt das Höchste, Größte, Beste der deutschen Literatur auf seinen Mittelwert und handliche 200 Seiten.

Für Durchschnitt wurden alle Bücher aus Der Kanon. Die deutsche Literatur: Romane, herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki, 20 Bände, Frankfurt am Main: Insel, 2002, als Textkorpus verwendet, mit Python dessen durchschnittliche Satzlänge bestimmt (18 Wörter), alle Sätze anderer Länge aussortiert und das Ergebnis anschließend alphabetisch geordnet.“

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Ich las Hannes‘ Auszug / Montagetext in „Tausend Tode Sterben“, Version 2… und dachte an drei Dinge:

eins: Supercuts wie z.B. hier:

The View: A „Back-to-the-Camera Shot“ Montage from Plot Point Productions on Vimeo.

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zwei: Benjamin von Stuckrad-Barres läppisches, kindisches, grandios unterhaltsames „Google-Suchanfragen erklären mir die Welt“-Montagebuch „Was.Wir.Wissen.“ von 2005.

Was.Wir.Wissen.

drei: der obige Text von mir von 2005, nie veröffentlicht.

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Ich mag Collagen, Montagen, Aufreihungen, Listen, empirische Textauswertung, Quatsch mit Google… und bin gespannt, welche 0x0a-Projekte noch folgen. Bisher sind zwei Bände erschienen:

„Gregor Weichbrodt und ich“, schreibt Hannes Bajohr,  „haben ein Textkollektiv gegründet – es heißt 0x0a. 0x0a ist der Hexcode für den Zeilenumbruch. Es ist ein Zeichen, das es im Analogen nicht gibt, nicht gesprochen werden kann und nur als “Steuerzeichen” existiert – und damit ideales Symbol für den Versuch, genuin Digitale Literatur zu produzieren.

0x0a soll ein Workshop, Labor, Schaufenster und eine Anlaufstelle für digitale konzeptuelle Literatur werden und die Diskussion über diese Literaturform in Deutschland anregen. Wir laden ein, mitzudiskutieren und selbst Texte einzureichen, und hoffen, dass wir in Zukunft die Autorenliste erweitern können.“

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Langeweile, Müßiggang, Herumhängen: 27 Buchtipps für ‚IDLE – Salon und Journal‘

idle buchtipps stefanmesch

 

Rumhängen. Abhängen. Durchhängen:

Stefan Mesch, Literaturkritiker für u.a. ZEIT Online und Deutschlandradio Kultur, empfiehlt 27 Bücher über Menschen, die nicht von der Stelle kommen.

Straffe, spannende Lektüren…

…über Stillsteher, Trödler, Abgehängte, Taugenichtse, faule Hunde und dekadente Schnösel.

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01: faul, krank, lieblos – zwei Schlaffis in New York

Gabe verkauft Bücher. Eliza studiert Kunst. Sie turteln durchs New York der 90er: Ein seichtes Pärchen-Idyll wie aus „Friends“. Doch Gabe war früher Dealer; Eliza hat bis heute wahllosen, schlechten Sex. Je besser sich die beiden kennen lernen, desto weniger sympathisch sind sie sich. Aber nochmal Schluss machen? Extra umziehen? Alleine dastehen schon wieder? Gabe und Eliza sind zu träge, zu enttäuscht und zu arm, um ihr Leben umzukrempeln: Sie müssen sich entscheiden, was feiger ist – weiter zusammen rumdümpeln? Oder weg rennen, in neue Sackgassen?

Ein Großstadt- und Verfallsroman über müde, nicht mehr junge Menschen und ihre dreckigen Kompromisse im Job, im Bett und in der Kunst. Ein großes und überraschend ergreifendes Buch über eine nicht-sehr-große Liebe.

Joan Silber: „Lucky Us“ (2001)

Lucky Us

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02: jung, plump, festgefahren – eine Mörderin versackt in der Provinz

Ihr Vater ist im Ruhestand, ihre Schwester eine alte Jungfer, und die junge Adrienne hat einen langweiligen Sommer vor sich. In Liebesromanen stürmt an dieser Stelle ein fescher junger Mann ins Dorf und trägt die Heldin in ein neues Leben. Aber niemand kommt – also steigert sich die gelangweilte Adrienne in eine unerwartete Liebe zu einem Arzt aus der Nachbarschaft hinein. Als ihre Familie herausfinden will, was sie so aus der Bahn wirft, kommt es zu einem Streit. Am nächsten Morgen wird Adrienne von der Haushälterin geweckt: am Fuß der Treppe liegt die Leiche ihres Vaters.

Julien Greens Debüt, verfasst mit 27, zeigt das stumpfsinnige Leben einer Tochter aus gutem Hause und die Ungeduld, die an ihr nagt. Überraschend beschleunigt der Roman und wird zum schnellen, bedrückenden Duell zwischen einer unzufriedenen Frau und ihrer Umwelt: Spannend, quälend, klaustrophobisch – Adrienne könnte Emma Bovarys böse kleine Schwester sein.

Julien Green: „Adrienne Mesurat“ (1927)
Adrienne Mesurat

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03: einsam, verknallt – und Kidnapper aus Langeweile

Vladimir Nabokov schrieb tolle Romane über Missbrauch… und Langeweile: Lolita fläzt sich über weite Teile ihres Buchs in Autos oder Motelzimmern und quengelt. Ada und Van, ein dekadentes Inzest-Liebespaar, hat sechs oder sieben Jahrzehnte lang nur an sich selbst Interesse. Doch weil Nabokov Kalauer und Bildungsquatsch, elegante Sprache und obskure Worte liebt, kalauern, schillern und schwafeln auch seine Figuren. Langweilig liebt, denkt, mißbraucht und spricht dort niemand.

John Brandons „Citrus County“ spielt im schwülen Florida, und den Figuren fehlen Eleganz und Charisma, Stil und Selbstbewusstsein. Ein unsympathischer Dussel-Junge verliebt sich in eine steife Mitschülerin. Und entführt dann – nur, um zu sehen, was passiert – ihre kleine Schwester. Er sperrt das Kind in einen Bunker im Wald, geht los… denkt nicht gern weiter nach… und hat die nächsten Tage lang Dates, Schulstress und die üblichen Fänger-im-Roggen-Konflikte. Während im Off ein Kind langsam verhungert: Ein atemloses High-School-Buch, das Grausamkeiten nicht überspitzt und damit aufpoliert. Sondern in grausamer Seelenruhe zeigt: auch Menschen ohne Charisma und Witz können ihre Welten zertrümmern. Nebenbei. Aus Langeweile.

John Brandon: „Citrus County“ (2010)
Citrus County

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04: faul, wütend, überreizt – eine abgehängte, ekelhafte Frau

„Ich habe Claude verlassen, diese Ratte aus Frankreich“, schreit Ich-Erzählerin Harriet schon zur Begrüßung: Sie ist mitteljung, mittelklug, ohne Geld… und endlich, endlich wieder frei und ungebunden. Also zieht sie durch New Yorks Pensionen und Hotels und genießt ihre Tage als umschwärmter Single. Sie lädt sich auf fremde Parties ein, will von Fremden hofiert und ausgeführt werden und hofft auf ein paar glänzende, luxuriöse Jahre. Immer lächeln. Zwinkern. Trinken. Dann kommt der Mann und das gute Leben… oder?

So versucht Harriet, die pampigste Schachtel seit Helga aus „Hey Arnold“, das wütendste Wrack seit Jessa aus „Girls“, über 200 Seiten lang, Lesern, Männern und sich selbst einzureden, dass sie nirgendwo lieber wäre als allein und ohne Geld, auf dem Weg ins Abseits, mitten in New York. Tatsächlich geht ihrer Tirade schnell die Luft aus. Viele Fremdschäm-Szenen laufen ins Leere: Man kann das Buch nach 40 oder 60 Seiten weg legen. Was zählt, ist die Stimme dieser ätzenden Ich-Erzählerin. Laut. Bräsig. Passiv-aggressiv. Ein blödes Huhn, das man abwechselnd in den Arm nehmen will… und einfach stehen lassen.

Iris Owens: „After Claude“ (1973)

After Claude

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05: desinteressiert, verwöhnt, egozentrisch – ein Journalist ohne Engagement

Guy Delisle zeichnet autobiografische Comicreportagen über Krisengebiete, Diktaturen, komplexe politische Räume: Burma und China, Nordkorea und Israel. Als Ehemann einer einer Ärztin bei Médecins sans Frontières sitzt der Kanadier seit Jahrzehnten in Gäste- und Mietwohnungen auf der ganzen Welt, versorgt zwei Kinder und erkundet fremde Kulturen: ihre Supermärkte und Kinderspielplätze, ihre Eisdielen und Schwimmbäder. Wo kann man faulenzen? Wo ist das Essen billig, wo nerven keine Fremde, Bettler oder Touristen?

Delisle ist der Christian Kracht der politischen Graphic Novels: Abgründe tun sich auf. Kulturen zerbrechen. Ideologien fressen Orte und Menschen. Doch zwischendrin stehen käsig-weiße Trottelbubis mit Kakihosen und Sonnenstich und suchen einen schönen Liegestuhl oder den perfekten Pinsel. Aggressiv apolitischer politischer Journalismus: die wütenden, klugen, schlimm witzigen Reiseberichte einer matten, faulen Socke.

[„Aufzeichnungen aus Birma“ ist am besten – aber „Jerusalem“ hat die meisten Gammel- und Faulenz-Szenen.]

Guy Delisle: „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ (2008)
Aufzeichnungen aus Jerusalem

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06: feige, grausam, unbeliebt – ein Schaumschläger und Schulversager 

1996 warb RTL 2 mit dem Gesicht von Oliver Petszokat und einem einzigen Satz  – „FRITZ ist eine faule Sau“ – für die neuen Seifenoper „Alle zusammen – jeder für sich“. Zur selben Zeit wiederholte der Sender viele frühen Filme von Leonardo DiCaprio, Monat für Monat – auch das Ich-und-mein-Stiefvater-Melodram „This Boy’s Life“ über einen verkrachten, feigen, unsicheren, ungeliebten und also typischen Jungen in unsicheren Verhältnissen (50er Jahre! Geschiedene Mutter! Tiefstes Provinznest! Alkohol!)

Tobias Wolffs Autobiografie zeigt nur die ungeschicktesten, unsympathischsten Jahre seines Lebens. Ein halbstarker Schwätzer, der sich viel Ärger verdient und aus dem nichts zu werden scheint. Ein selbstkritisches, kluges Buch über Problemkinder; eine richtig faule Sau, über die man seitenlang die Augen rollt… bis man bemerkt: Huch. Jetzt ist er mir doch ans Herz gewachsen, der pubertäre Tropf. [Jeanette Walls‘ „The Glass Castle“ beschreibt ein ähnliches Milieu und Kinder in ähnlichem Chaos, aber bleibt dabei süßlicher, unreflektierter.]

Tobias Wolff: „This Boy’s Life: Das Blaue vom Himmel“ (1982)

This Boy's Life
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zehn Klassiker, die ich außerdem empfehle:

07: „Ghost World“, Daniel Clowes (1998) …weil hier zwei beißend kluge Loser-Mädchen grandios dummes Zeug erzählen und ausprobieren – aus schierer Langeweile.

Ghost World

08: „Mrs. Bridge“, Evan S. Connell (1958) …weil hier eine geistig träge, einfalls- und fantasielose Hausfrau, die immer nur dazugehören und alles richtig machen will, alles, alles falsch macht.

Mrs. Bridge

09: „Glamorama“, Bret Easton Ellis (1998) …weil „American Psycho“ verboten viel Spaß bringt Echte Langeweile, echter Ennui und Wohlstandsekel, echten Widerwillen gegen Ellis gibts nur in diesem schlaffen, freudlosen 500-Seiten-Klotz.

Glamorama.

10: „Der Zauberberg“, Thomas Mann (1924) …weil sich Figuren hier zu Tode langweilen – aber Leser*innen 1000 Seiten lang die Augen verdrehen und hämisch lachen. Ein überraschend leichter, spöttischer Roman.

Der Zauberberg

11: „Geschlossene Gesellschaft“, Jean-Paul Sartre (1944) …weil hier zwei Frauen und ein halbes Hemd aus Langeweile, Selbsthass, Weltekel und Frustration kämpfen, sticheln, schreien und lieben.

Geschlossene Gesellschaft

12: „Jakob von Gunten“, Robert Walser (1908) …weil ich nach drei Wochen auf dieser Wiener Knabenschule gerufen hätte: „Ziehen wir bitte, bitte lieber raus und führen einen Weltkrieg? Bitte?“

Jakob von Gunten (SZ-Bibliothek, #96)

13: „Der salzige Fluss“, Jan Bauer (2014) …weil mich Reise- und Rucksackkitsch langweilen – aber mir diese schlichte deutsche Graphic Novel über Backpacking in Australien zum ersten Mal plausibel machen konnte, was man gewinnt, wenn man in einer Landschaft ohne Reize und Stimulation auf sich selbst zurück geworfen wird.

Der salzige Fluss

14: „Schimmernder Dunst über CobyCounty“, Leif Randt (2011) …weil Leif Figuren zeigt, denen nichts fehlt und fast nichts passiert: Menschen in der Wellness-Oase, deren größte Angst bleibt, nicht lässig und effortless genug zu wirken.
Schimmernder Dunst über Coby County

15: „Das Artefakt“, Andreas Brandhorst (2012) …weil ich bis heute nicht über den Antiklimax dieses fast 700 Seiten dicken, sehr vielversprechenden Science-Ficton-Epos‘ hinweg komme: Die Hauptfigur muss so schnell wie möglich die Polarregion einer fremden Welt erreichen. Als das sehr schnelle Raumschiff sabotiert wird, wechselt sie auf ein nicht-sehr-schnelles-Schiff, dann auf einen langsamen Frachter, dann auf noch simplere Verkehrsmittel… und kurz vor knapp tuckert sie schließlich mit einer altmodischen, altersschwachen Eisenbahn: ein Hard-Sci-Fi-Thriller wie eine verwirrte Schildkröte  der sich selbst runter bremst aufs Tempo von „Die schönsten Bahnstrecken Europas“.

Das Artefakt

16: „1000 neue Dinge, die man bei Schwerelosigkeit tun kann“, Jenni Zylka (2003) …weil es hier trotz tollem Titel keine einzige Idee für gelangweilte Astronauten gibt. Das enttäuschendste Buch seit „To Kill a Mockingbird“.
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homer mockingbird

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elf Titel, vorgemerkt… aber noch nicht selbst gelesen:

17: „How to be idle“, Tom Hodgkinson (2004) Fast 300 Seiten über die Vorteile und Freuden des Nichtstuns, in Bereichen wie „sleep, work, pleasure, relationships“.

18: „Big Ray“, Michael Kimball (2012) Nach dem Tod seines übergewichtigen Vaters denkt ein Mann über dessen letzte Jahre nach: Zeit, die Big Ray vor allem im Lehnsessel verbrachte.

19: „Oblomow“, Iwan Gontscharow (1859) Ein antriebsloser russischer Aristokrat dämmert auf seinem Gutshof dahin, über Jahrzehnte. Aufstehen? Handeln? Oder doch lieber liegen bleiben?

20: „There but for the“, Ali Smith (2011) Totale Verweigerung? Ein Krimi? Während eines Abendessens unter Freunden schließt sich ein fremder Gast im Schlafzimmer ein… und weigert sich, jemals wieder zu gehen.

21: „The Sound of a wild Snail eating“, Elizabeth Tova Bailey (2010) Eine bettlägerige Schriftstellerin beobachtet eine Schnecke und vertief sich in das Tier und seine Geschichten: Naturwissenschaft, Memoir und Reflektion zu Müßiggang, Beobachten und Bremsen.
How to Be Idle . Big Ray . Oblomow . There but for the . The Sound of a Wild Snail Eating

22: „Muße: Vom Glück des Nichtstuns“, Ulrich Schnabel (1908) Ich las diesen Artikel / Auszug über Nichtstun und Kreativität. Stilistisch reißt mich das nicht mit. Trotzdem kein schlechter Text: Link.

23: „For her own Good: Two Centuries of Expert’s Advice to Women“,Barbara Ehrenreich, Deirdre English (1976) Effektiv leben? Alles richtig machen? Sich selbst optimieren? Das Buch erzählt, wie Frauen mit Gesundheits- und Expertentricks gegängelt wurden…. „zu ihrem eigenen Besten“.

24: „An Attempt at ehausting a Place in Paris“, Georges Perec (1975) Georges Perec setzt sich ein Wochenende lang an eine Straße und notiert nur die langweiligen und uninteressanten Dinge, die er dort zu Gesicht bekommt.

25: „Codex Seraphinianus“, Luigi Serafini (1981) Surreale und unsinnige, absichtlich zweckfreie Diagramme, Illustrationen und Schaubilder.

26: „Double Game“, Sophie Calle und Paul Auster (2000) Paul Auster macht eine reale Performance-Künstlerin zur Vorlage für eine Romanfigur. Die Künstlerin liest den Roman und macht die Performances der erfundenen Kopie zur Vorlage für neue, eigene Performances. Ein Spiel um Identität, Experimente und Alltag, neu erlebt.

Muße: Vom Glück des Nichtstuns . For Her Own Good: Two Centuries of the Experts' Advice to Women . An Attempt at Exhausting a Place in Paris . Codex Seraphinianus . Double Game

27: „She got of the off the Couch and other Heroic Acts from Mooreland, Indiana“, Haven Kimmell (2005) Eine Comedy-Autorin erinnert sich an ihre behäbige Mutter.

She Got Up Off the Couch: And Other Heroic Acts from Mooreland, Indiana

erst 250 von 1000 Texten: Christiane Frohmann, „Tausend Tode schreiben“, Version 2.

1000tode frohmannFoto: #1000tode-Lesung im Leise-Park, Berlin

1000 Autoren schreiben 1000 kurze Texte über den Tod.

Stil und Ton sind frei wählbar.

Version 2.0 mit insgesamt 250 Texten erscheint heute – am 16. Januar.

Ver.

Christiane Frohmann ist Verlegerin, Kulturwissenschaftlerin und einer der wachsten, umtriebigsten und euphorischsten Digital-Expertinnen, die ich kenne. Seit August 2014 sucht sie Autorinnen und Autoren für ein irrsinnig ambitioniertes E-Book-Projekt:

„Eine erste Version des E-Books mit 135 Texten erscheint am 1. Dezember 2014. Die Versionen 2 bis 4 mit 500… 750… 1000 Texten erscheinen dann im Abstand von etwa einem Monat, die komplette 4. Version kommt zur Leipziger Buchmesse [im März 2015].

Die jeweils neuere ersetzt die ältere Version, wer einmal gekauft hat, bekommt die neuen umsonst. Zusätzlich wird das E-Book vom Indiehändler Minimore angeboten: Das E-Book wird für EUR 4,99 verkauft. Der gesamte Herausgeber- und Autorenanteil, das sind 50 Prozent des Nettoreingewinns, wird an das Kindersterbehospiz Sonnenhof in Berlin-Pankow gespendet.“

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Einer meiner besten Freunde aus Toronto nahm sich im Juni das Leben.

Ich schreibe einen Roman über Leerstellen und Verlusterfahrungen von Teenagern.

Kaum etwas macht mir wacher, nervöser, als Worte zu Verlust und Tod zu finden. Ich bin dankbar für jeden, der es versucht, und ich merke, wie viel mir diese Texte geben.

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Ich selbst schrieb für „Tausend Tode Schreiben“ einen Text über digitalen Nachlass und die Frage, wie die richtigen Gegenstände, Fotos, Erinnerungsstücke und Texte nach dem eigenen Tod zu den richtigen Menschen finden. [e-Book hier kaufen]

Zur Sendung am 21. Dezember lud mich Christiane zu reboot.fm ein und wir sprachen eine Stunde lang in ihrer Radio-/Podcast-Reihe „Generator“ über Trauer, Abschied und Bewältigung im digitalen Raum. Die Sendung ist u.a. hier zu hören:
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Version 1 habe ich am Erscheinungstag, am 1. Dezember 2014, im Blog vorgestellt (Link).

Texte aus Version 1, die ich besonders mochte, kamen von Alan Posener (Text 002), Michael Brielmaier (003), Anne Kuhlmeyer (004), Gesa Füßle (008), Clemens Setz (010), Jan Fischer (016), Falk Schreiber (017), Judith Sombray (023), Johanna Straub (034), Daniela Seel (037), Jannis Plastargias (039), Sibylle Luithlen (040), Lew Weisz (042), Angelika Maisch (059), Roman Held (071), Johanna Peil (073), Gabriel Yoran (079), Zoe Beck (081), Zora Debrunner (086), Mario Sixtus (090), Stanislaw Bastian (097), Florian Voß (101), AE Rutherford (103), V.S. Wagner (112), Christian Huberts (116), W. (122), Auguste von Blau (123) und Karola Sasse (Text 130).

Mit Version 2 verdoppelt sich der Umfang des Buchs: Ich las die Texte 136 bis 250 heute Abend Korrektur, und freue mich, dass das Buch auch mit diesem Update nie monoton oder schleppend wird.

Besonders empfehlen möchte ich – aus Version 2:

138 – Fabian Thomas
143 – Natalia Kauz
145 – Meike Rensch-Bergner
156 – Uwe Kalkowski
161 – Iris Hakelberg
162 – Tania Witte
167 – Joachim Göb
176 – Doris Lautenbach
183 – Inga Sawade
188 – Lola Gruenthal
189 – Marianne Landré Goldschneider
194 – Sabrina Sailer
198 – Susanne Becker
215 – Leopold Faltin
216 – Anthea Rubin
220 – Jessica Mancuso
222 – Claudia Wiedow
227 – Kristoffer Patrick Cornils
231 – Maximilian Buddenbohm
233 – Amaot Wurst
240 – Kinderdok

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  • sehr viele neue Autorinnen und Autoren aus Version 2 sind keine Berufs-Autoren. Stattdessen haben sie beruflich oder privat mit dem Tod zu tun, manchmal eine komplizierte oder dramatische Familiengeschichte, meist eigene, interessante und komplexe Verlusterfahrungen. Viele dieser neuen Texte sind unmittelbarer, härter und direkter.
  • gleichzeitig wird stilistisch viel probiert: bei Version 1 schrieben alle Beitragenden Texte, ohne das Gesamtprojekt zu kennen. Version 2 hat Listen und Dialoge, Textmontagen und kulturwissenschaftliche Register… und 10, 15 Prosatexte, Schauermärchen, Erzählungen, Monologe. Autor*innen fabulieren. Probieren sich aus. Wollen überraschen. Das meiste davon gelingt; nur der Mini-Trend „Ich bin ein frecher junger Mensch, treffe auf Gevatter Tod und geige ihm in einem witzig-melancholischen Dialog meine Meinung“ ermüdet und nervt mich.
  • besonders wichtig und interessant erschienen mir die vielen Texte, die über den Abschied von einem nicht-geliebten Menschen sprachen: Wie trauert man um eine jähzornige, kalte Mutter? Eine verbohrte Großmutter? Schwierige Klassenkameraden, Psychatrie-Mitbewohnerinnen, verkrachte Zufalls-Weggefährten?

Ich will in den kommenden Wochen tatsächlich volle 1000 Texte lesen – und ich bin unsicher, woher die 750 Autorinnen und Autoren kommen sollen, die fehlen, um das Projekt „korrekt“ zu Ende bringen.

Ein genaues Exposé, das die Texteinreichung, Termine und das Projekt erklärt, ist hier (Link – ein Update für Version 3 wird folgen).

Auch internationale Texte in anderen Sprachen sind erwünscht: für nicht-deutschsprachige Autorinnen und Autoren ist besonders die Facebook-Seite „Writing A Thousand Deaths“ (Link) eine gute erste Anlaufstelle. Ein Exposé auf Englisch wird folgen.

Klar wäre das „1000 Tode“-Projekt auch ein Erfolg, falls nur 350 oder 500 Texte zusammenkommen, am Ende. Tatsächlich aber lese ich die bisherigen Einreichungen mit so viel Gewinn und Begeisterung… ich will nicht aufhören.

Es GIBT Menschen mit interessanten Erfahrungen und Texten.

Es GIBT dieses Buchprojekt.

Und es gibt uns, als Leser*innen, Autor*innen, Multiplikator*innen: 

Meldet euch bei verlag@cfrohmann.com.

Sprecht mit den Menschen um euch herum, die als Mitleser, Mitschreiber denkbar sind.

pia ziefle 1000tode
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Christiane Frohmann (Hg.)

Tausend Tode schreiben. 1000 Texte über den Tod.

EUR 4,99

erhältlich bei Minimore.de.

Die besten Bücher 2015: erste Favoriten und Empfehlungen

romane 2015 wordpress.

Jeden Winter suche ich Romane / Neuerscheinungen und mache eine erste Liste für die Bücher des Jahres:

Eine erste Auswahl der literarischen Neuerscheinungen, die ich bis Ende des Jahres u.a. für ZEIT Online (an-)lesen, sichten, sortieren will.

Hier meine Auswahl für 2015. Ergänzungen / Empfehlungen sind willkommen – vielen Dank! Im Lauf der nächsten Wochen kommen noch ca. 200 weitere Titel.

Freundin W. hat die wichtigsten auf Deutsch erscheinenden Bücher 2015 hier aufgelistet – in einem Ranking bei Goodreads: Link.

Ich selbst habe im Dezember Buchcover 2015 gesammelt und nach Trends sortiert, hier.

Wo steckst du, Bernadette?

Focus

Umweg nach Hause, besser aber: Alles Über Lulu

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angelesen und gemocht:

Update, Frühling 2015. weitere Empfehlungen hier (Deutschlandradio Kultur, Link):

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01: CHIGOZIE OBIOMA, „Der dunkle Fluss“ / „The Fishermen“

  • Nigeria: Als ihr Vater plötzlich verschwindet, wollen zwei Brüder vom Fischfang leben.
  • Literarischer Thriller aus Sicht eines Neunjährigen.
  • 313 Seiten, 13. Februar 2015, Aufbau Verlag [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Der dunkle Fluss

02: JAN HIMMELFARB, „Sterndeutung“

  • Arthur Segal, Jude und Überlebender des Holocaust, lebt als Autohändler in der Ukraine: Anfang der 90er Jahre blickt er zurück auf sein Leben.
  • 394 Seiten, 19. Januar 2015, C.H. Beck [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Sterndeutung

03: MICHAEL FEHR, „Simeliberg“

  • Literarische Adaption eines Grimm-Märchens als Schweizer Hinterwäldler-Noir-Thriller in Versen und Mundart. (Wow.)
  • 144 Seiten, Februar 2015, Der gesunde Menschenverstand [Amazon | Leseprobe | Goodreads]

Simeliberg

04: TERÉZIA MORA, „nicht sterben“

  • Poetikvorlesungen einer meiner deutschsprachigen Lieblingsautorinnen.
  • 160 Seiten, 23. Februar 2015, Luchthand [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Nicht sterben

05: FAVEL PARRETT: „Der Himmel über uns“ / „When the Night Comes“

  • Atmosphärischer Mainstream-Roman über ein junges Mädchen in Hobart, Tasmanien, das sich mit einem Seefahrer befreundet.
  • (..die früheren Bücher Parretts haben noch bessere Kritiken.)
  • 220 Seiten, 14. Februar 2015, Hoffmann und Campe [Amazon | Ocelot | Goodreads]

When the Night Comes

05: NICOLAS BREUEL, „Schlossplatz, Berlin“

  • Ein nervöser, naiver (?) Bundestagsabgeordneter denkt während einer Zwangspause an der Nordsee neu über seine Ziele und Werte nach.
  • 280 Seiten, 1. März 2015, dtv [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Schlossplatz, Berlin

06: MARC DEGENS, „Fuckin‘ Sushi“

  • Coming of Age in Bonn: eine Schülerband schafft den Durchbruch. Zu welchem Preis?
  • 320 Seiten, 18. Februar 2015, Galiani [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Fuckin Sushi

07: LINUS REICHLIN, „In einem anderen Leben“

  • Ein Kunstfälscher in Berlin trifft auf die Jahrzehnte alten Lebenslügen seiner Eltern und seiner Jugend. Dick aufgetragen – aber sympathisch.
  • 384 Seiten, 29. Januar 2015, Galiani [Amazon | Ocelot | Goodreads]

In einem anderen Leben

08: DIETMAR SOUS, „Roxy“

  • Außenseiter- und Schulversagerroman über die 70er Jahre.
  • 144 Seiten, 13. Februar 2015, Transit [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Roxy

09: XIFAN YANG, „Als die Karpfen fliegen lernten: China am Beispiel meiner Familie“

  • Xifan Yang, in Deutschland aufgewachsen, schreibt über ihre Eltern und Großeltern.
  • 335 Seiten, 23. Februar 2015, Hanser Berlin [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Als die Karpfen fliegen lernten: China am Beispiel meiner Familie

10: LÁSZLÓ KRASZNAHORKAI, „Die Welt voran“

  • Kurzgeschichten, Sprachexperimente, Verwirrspiele: experimentelle Prosastücke des ungarischen Avantgarde-Erzählers.
  • 416 Seiten, 19. Februar 2015, S. Fischer [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Die Welt voran

11: SIFISO MZOBE, „Young Blood“

  • Young-Adult-Literatur aus Südafrika: ein junger schwarzer Schulabbrecher wird zum Kriminellen.
  • 274 Seiten, 16. Februar 2015, Peter Hammer [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Young Blood

12: TOM DRURY, „Das stille Land“ / „The driftless Area“

  • Eine Affäre in der Provinz, eine allein lebende Nachbarin und eine Kette aus Zufällen… oder geheimen Plänen?
  • 216 Seiten, 31. Januar 2015, Klett-Cotta [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Das stille Land

13: ARNO GEIGER, „Selbstportrait mit Flusspferd“

  • Nach einer Trennung verbringt ein Veterinärsstudent einen Sommer mit der Pflege eines Zwergflusspferdes. Schönes Sommerbuch? Oder Kitsch?
  • 288 Seiten, 2. Februar 2015, Hanser [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Selbstporträt mit Flusspferd

14: DAGNY GIOULAMI, „Alle Geschichten, die ich kenne“

  • Schrulliger, leichter Südosteuropa-Roman über eine junge Frau aus Zürich, die spontan nach Griechenland reist.
  • 160 Seiten, Februar 2015, weissbooks [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Alle Geschichten, die ich kenne: Roman

15: SIBYLLE KNAUSS, „Das Liebesgedächtnis“

  • Eine Schriftstellerin wird im Alter dement… und schreibt gegen den eigenen Verfall an.
  • 192 Seiten, 9. Februar 2015, Verlag Klöpfer & Meyer [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Das Liebesgedächtnis

16: MICHÉLE BERNSTEIN, „Alle Pferde des Königs“

  • Hipster-Literatur, im Original erschienen 1960:
  • Bernstein, eine junge Situationistin, parodiert den psychologischen Roman Frankreichs so geschickt und erfolreich, dass ihr (ironisches?) Buch als großer Jugend- und Beziehungsroman gefeiert wird.
  • 128 Seiten, 25. Februar 2015, Edition Nautilus [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Alle Pferde des Königs

17: SEMJON VOLKOV, „Idiotenbus“

  • der Alltag eines jungen Mannes mit geistiger Behinderung in einer Werkstatt.
  • Rollenprosa, ein bisschen gewollt-drollig / lesebühnenhaft.
  • 200 Seiten, 12. Januar 2015, Verlag tredition [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Idiotenbus

18: FLORIAN GANTNER, „Trockenschwimmer“

  • Ein junger, melancholischer Versager in Österreich blickt zurück auf seine Alltags-Niederlagen… und ein (kleines) Verbrechen.
  • 192 Seiten, 12. Februar 2015, Edition Laurin [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Trockenschwimmer

19: RICHARD McGUIRE, „Hier“ / „Here“

  • der selbe Bildausschnitt, immer neu über ganze Epochen hinweg gezeigt:
  • Graphic Novel über Zeit und Wandel.
  • 300 Seiten, 10. Dezember 2014, Dumont [Amazon | Ocelot | Goodreads]

Hier

Die Belagerung von Krishnapur

Butcher's Crossing

The Blazing World

We Are All Completely Beside Ourselves

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neue deutsche / deutschsprachige Titel:

  • Daniel Kehlmann: „Kommt, Geister“, Poetik-Vorlesungen in Frankfurt 2014. (Rowohlt, 224 Seiten, 6. März 2015.)
  • Stefan Gärtner: „Putins Weiber“, Werbetexter mit kriselnder Beziehung besucht alle Frauen seiner Vergangenheit: ‚the ones that got away‘. (Rowohlt Berlin, 256 Seiten, 24. April 2015.)
  • Killen McNeill: „Am Fluss“, 1968 verbringen vier Jugendliche einen Sommer an der Donau. Jahrzehnte später treffen sich die Überlebenden: McNeill lebt in Deutschland und schrieb bisher meist Krimis. (ars vivendi, 288 Seiten, 30. April 2015.)
  • Volker Hage: „Die freie Liebe“, Student aus Lübeck verliebt sich im München der 70er Jahre in seine Mitbewohnerin: „‚Jules et Jim‘ in Schwabing“ (Luchterhand, 160 Seiten, 11. Mai 2015.)
  • [Hildesheim-Absolventin / Freundin] Vea Kaiser: „Makarionissi, oder: Die Insel der Seligen“, episch-skurriler Familienroman „von Griechenland bis Niedersachsen, von den Fünfzigerjahren bis in die Gegenwart“ (Kiepenheuer & Witsch, noch keine Seitenzahl angekündigt, 11. Mai 2015.)

Makarionissi oder Die Insel der Seligen

  • Ralf Rothmann: „Im Frühling Sterben“, zwei siebzehnjährige Freunde aus Norddeutschland werden 1945 zur Waffen-SS zwangsrekrutiert und landen in Ungarn (Suhrkamp, 200 Seiten, 9. Mai 2015.)
  • Ruth Schweikert: „Wie wir älter werden“, Familienroman über das Alter aus wechselnden Perspektiven dreier Generationen (S. Fischer, 256 Seiten, 21. Mai 2015.)
  • Christiane Neudecker: „Sommernovelle“: An Pfingsten 1989 fahren zwei junge, idealistische Freundinnen an die Nordsee, um auf einer traurigen Beobachtungs-Station für Vögel auszuhelfen. (Luchterhand, 160 Seiten, 25. Mai 2015.)

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vielversprechende Übersetzungen – neu auf Deutsch:

Herrlichkeit

Der Junge, den es nicht gab

Egenmäktigt förfarande: En roman om kärlek

The Thrill of it All

Wenn der Wind singt / Pinball 1973

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Übersetzungen – mit schlechten Kritiken:

  • Boris Razon: „Palladium“, junger Journalist in Paris „erkrankt am Guillain-Barré-Syndrom, einer lebensbedrohlichen Nervenentzündung, die zur vollkommenen Lähmung führen kann“ (Ullstein, 336 Seiten, 8. Mai 2015. Goodreads: 3.23 von 5)

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angelesen – und nicht gemocht:

How It All Began

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interessante Auslandstitel, noch ohne Wertung:

  • Michail Ossorgin: „Eine Straße in Moskau“, wiederentdeckter Montage-Roman über Moskau, 1914 bis 1920 (Die Andere Bibliothek, 500 Seiten, 20. Juli 2015.)

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verwandte Links:

und, jeden Monat neu:

Underdog Literature: 15 unbekanntere Bücher (Link; monatlich neu)

„neue Bücher 2015“-Listen anderer Blogs:

…gesammelt von Muromez (Link)

guter Journalismus, tolle Texte: Empfehlungen

Underdog Literature WordPress December 2013.

ein Text pro Tag.

deutschsprachig, hintergründig, zeitlos:

seit Neujahr sammle ich Blogposts, Reportagen, Essays, Interviews unter dem Hashtag #textdestages auf meinen Facebook-Profil.

hier sind die ersten zehn. große Empfehlung! markante Stimmen. interessante Thesen. Qualitätsjournalismus, den ich gerne las – und teilen will!

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010. Familie, Altersarmut, Väter:

„Altern und Würde. Bitte, Papa.“

Marlene Halser über ihren Vater, allein auf dem Land, verschuldet, trotzig und stolz. (persönliche Reportage, taz 2014)

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009. Depression, Trauerarbeit, Effizienz:

„Verlust eines lieben Menschen: Nach zwei Wochen Trauer ist aber bitte Schluss!“

Andrea Freund über Trauer als Krankheit, kollektive Bewältigung und die Ungeduld von Arbeitgebern und Nicht-Betroffenen. (Kulturkritik, FAZ 2014)

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008. Neukölln, Verdrängung, Widerstand:

„‚Freies Neukölln‘ muss schließen: ‚Das ist nicht mehr mein Berlin'“

Annett Heide und Susanne Lenz interviewen den Kneipier Matthias Merkle, dem Neukölln nach 8 Jahren zu teuer wird. (Interview, Berliner Zeitung 2014)

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007. Romantik, Ehe, Kitsch:

„Egoistische Zweisamkeit: Ersatzreligion Liebe“

Markus Günther über Paare, die romantische Liebe zum Lebenszweck überhöhen. (Essay / Kulturkritik, FAZ 2014)

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006. Muße, Abschalten, Inspiration:

„Hirnforschung. Warum Nichtstun uns die besten Ideen beschert“

Ulrich Schnabel erklärt neurologisch und kulturwissenschaftlich, woher gute Ideen kommen und wie Pausen dem Hirn nutzen. (Wissenschaft, ZEIT 2010)

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005. Nachtruhe, Reichtum, bürgerliches München:

„Spätkauf in der Innenstadt: München hat jetzt auch einen Späti“

Lena Schnabl trifft Franz Huemer – den Betreiber des ersten Nacht-Kiosk in Münchens Innenstadt. Ein toller Vergleich zwischen Kunden in München und Berlin. (Portrait, Berliner Zeitung, 2014)

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004. Rassismus, Identität, Kindergarten:

„Perspektivwechsel. Warum ich für meinen Sohn Weihnachtsfiguren mit dunkelbrauner Hautfarbe bestelle“

Tupoka Ogette wünscht sich, dass ihr Schwarzer Sohn empowernde Erfahrungen macht – auch im Kindergarten. (Essay / persönliche Kolumne, Migazin 2014)

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003. Big Data, Werbung, deutsche Provinz:

„Marktforschung in Haßloch. Das ist Deutschland“

In einer Kleinstadt in der Pfalz werden neue Produkte getestet: Ist Haßloch das „typisch“ deutsch? Wie wird dort gewohnt, konsumiert… und geforscht?, fragt Gerhard Waldherr. (Reportage, brand eins 2014)

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002. Behinderung, Freak Shows, deutsche Provinz:

„Besuch in der Kleinstadt. In einem Freizeitpark in Rheinland-Pfalz wurden kleinwüchsige Menschen bis in die Neunzigerjahre ausgestellt wie Märchenfiguren.“

Till Krause fragt sich, was aus den Bewohner*innen der „Liliputaner-Stadt“ im Holiday Park (Haßloch in der Pfalz) wurde, die er als Kind bestaunte. (Reportage / Portraits, Süddeutsche Zeitung 2013)

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001. Männlichkeit und Konsum – unfreiwillig komisch:

„Steak unter Würstchen. Prophet der Mannwerdung: Frank Hofmann, Chefredakteur von ‚Men’s Health'“

Lutz Kinkel schreibt ein grandios beobachtetes absurdes Portrait über die Männerzeitschrift ‚Men’s Health‘, ihre ‚Philosophie‘ und den damaligen Chefredakteur. (Portrait / Kulturkritik, ZEIT 2000)

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ich bin freier Journalist – und Literaturkritiker. Buchtipps und Empfehlungen u.a. hier (Link)

PEGIDA, Verbote, Charlie Hebdo: „Nimmst du das hin? Lässt dich das kalt?“

turtles issue 291Heft 29 von „Teenage Mutant Ninja Turtles“, Cover von Ross Campbell, mehr hier..

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In China kann man Schildkröten kaufen – als Schlüsselanhänger. Lebende Tiere, in Plastik eingeschweißt, ohne viel Bewegungsraum in bunt gefärbtem Wasser: Verhungern sie? Ersticken sie? Wer kauft sie – und wer schweißt sie ein? Gibt es eine Nachfrage, einen Markt? Tausende Abnehmer? Lebt dort ein einziger zynischer Händler, irgendwo? Oder eine ganze Industrie? Millionen Kunden? Und jetzt, wo ich das weiß: Weiß ich damit auch “etwas über China”? Oder nur über eine einzelne, traurige Randfigur?
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Um das zu wissen, müsste ich Links öffnen und Texte lesen. Nachfragen stellen, deutsche und englische Quellen vergleichen – am besten gleich: chinesische Freunde fragen.
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Denn fast jeder kennt die Fotos, sah kurz die Meldungen auf der GMX-Startseite oder im “Vermischtes”-Teil von Plattformen wie Focus oder Stern. Vielleicht auch im persönlichen Newsfeed auf Facebook: Ich bin recht sicher, dass gut ein Drittel meiner Freunde seit zwei, drei Jahren von diesen Schildkröten-Anhängern wissen – und immer weiter davon hören, immer wieder, nebenbei. Höre ich selbst “Schildkröte” oder “Schlüsselanhänger” mittlerweile, denke ich: “China”! Sagt jemand “Straßenhändler”, denke ich sofort an sterbende Tiere – und zynische Asiaten.
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Tiefer aber reicht mein Wissen nicht. Denn tiefer reicht mein Interesse nicht: Auch in einer Welt, in der Schildkröten laminiert werden, muss ich aufstehen, essen, mich über Wasser halten, schlafen. Tierrechte sind mir nicht wichtig genug, als dass mich solche Meldungen aus der Bahn stoßen würden. Ich halte das aus, mental. Ich sehe weder Handlungsbedarf – noch Handlungsmöglichkeit. Ich sehe mich nicht mal in der Pflicht, mich eigenständig und besser darüber zu informieren.
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Mein großes Glück: Ich bin nicht hilflos, unglücklich, frustriert darüber, dass ich gern handeln würde… aber keine Optionen finde: Mich lähmt das nicht. Mich schmerzt das kaum. Werden Fotos dieser Schildkröten durch meine Medienwelt gespült, dann sehe ich Schildkröten. Nicht: Belege meiner eigenen Hilfs-, Macht- und Wirkungslosigkeit.
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“Nimmst du das hin? Lässt dich das kalt?” fragen Medien und laden uns ein, immer wütender zu werden: über globale Ungerechtigkeiten – und über einzelne Sätze, Ansichten, Entscheidungen und Marotten einzelner Menschen. Über eine Frau (in China!), die junge Kätzchen tottrampelt in hochhackigen Schuhen. Über blöde Leute auf Twitter, bornierte Redner im TV, Nicht-Freunde mit anderen Meinungen in meiner Timeline, Unsympathen auf der Straße. So vieles sehe ich anders. So vieles gefällt mir nicht.
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Als Leser, Social-Media-Nutzer und Medienkonsument werden mir täglich Hunderte Schnipsel gezeigt, zu denen ich mich positionieren soll. Alles wird mir vorgelegt, oft mit der Einladung, zu kommentieren, abzustimmen, zu unterstützen oder mich zu empören. Ich soll eine Meinung entwickeln. Mehr noch: eine echte Haltung. Und dann die Konsequenzen ziehen aus dieser Haltung – als Leser, als Nachbar, als Fan, als Kommentator, als Konsument, als Wähler.
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15.000 Menschen gehen in Dresden auf die Straße, gegen die “Islamisierung des Abendlandes”. 12 Redakteurinnen und Redakteure der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo werden hingerichtet – wegen Karikaturen und Satire. In meiner Facebook-Timeline versuchen Freundinnen und Freunde seit Stunden semi-öffentlich, ihre Gedanken zu ordnen. Eine Haltung zu finden. Sich weiter zu informieren und Zeugnis abzulegen: “Nehme ich das hin? Lässt mich das kalt? Seht her: DAS macht es gerade mit meinem Kopf, meinem Herzen und meinen Haltungen. Und mit euch? Lasst uns reden!”
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Die Welt ist fairer, offener, humaner als vor 2000 Jahren. Vor 80 Jahren. Oder auch nur vor 20! Für viele von uns wuchsen die Möglichkeiten, sich auszudrücken, zu vernetzen, zu sprechen, sich zu informieren. Überall sind Widersprüche, Ungerechtigkeiten – Dinge, die mich wütend machen. Oder wütend machen sollten. Oder, wie die Schildkröten – verstören, weil ich nicht weiß, wie viel Wut angemessen ist, und was aus dieser Wut, Empörung, Überforderung, Hilflosigkeit erwachsen sollte.
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Obwohl Verbrechensraten fallen, setzen die meisten Zuschauer von Nachrichtenmagazinen Gewalttaten und Chaos als immer alltäglicher und erwartbarer voraus. Die Welt erscheint kaputter, haltloser, willkürlicher, unerträglicher – weil uns bei jedem Klick ein Dutzend neuer Belege dazu vor Augen stehen. Meine Wut- und Traurigkeits-Reserven kommen nicht mit bei all den Angeboten, die mir Journalismus, Aktivisten und Freunde zehnmal pro (Online-Lese-)Stunde machen. Trauer? Wut? Fassungslosigkeit? Überall spülen genug Dinge durch, die uns solche Gefühle abnötigen wollen. Und die unser Mitleid, unsere Empörung unbedingt “verdienen”.
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Vielleicht bin ich ganz gut im Ab- und Umschalten und Mich-aufs-Wesentliche-Konzentrieren. Vielleicht bin ich verroht, stumpf, egozentrisch. Vielleicht habe ich nur Glück: Wut liegt mir eher fern. Trotzdem verstehe ich PEGIDA-Demonstrant*innen, Kommentarschreiber*innen, “Wutbürger”, denen sich die Welt nicht mehr als Spektrum darstellt, als Raum und Ort für Stimmen und Kulturen und die verschiedensten Kontexte, Lebensentwürfe, Widersprüche. Sondern als Lawine und kreischiges Durcheinander aus Tabubrüchen, Willkür, Angst und Chaos. “Lässt Sie das kalt? Nehmen Sie das hin? Finden Sie das etwa richtig hier? Stimmen Sie jetzt ab!”
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“Du schreibst zu viel auf Facebook”, warnte mich Freundin S. vor Weihnachten: “Damit tust du dir keinen Gefallen!” – “Das sind oft tolle Gespräche Ich mag diese Debatten!” – “Du machst dich angreifbar, Stefan: Positionierst dich viel zu sehr. Du schaffst dir mindestens so viele Feinde damit wie neue Freunde.” Für jede Person, die irgendwo “gefällt mir” drückt, gibt es auch jemanden, der mit den Augen rollt und denkt: “DAS sehe ich ganz, ganz anders!”
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Mich begeistert, dass keine Schildkröte mehr irgendwo in China laminiert werden kann, ohne, dass Aktivisten oder Whistleblower, Politiker und engagierte Privatpersonen, Medien und besorgte Freunde helfen, diese Schildkröte sichtbar zu machen.
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Aber mich beklemmt, dass jeder Schritt, den jeder Mensch für sich nehmen darf (und wirklich: so viel Handlungsspielraum und Eigenwirksamkeit bleibt eh den wenigsten!) global als Einladung zu einer Pro-und-Kontra-“Debatte” verstanden wird: Nehme ich das hin? Finde ich das richtig? Verschleierte Frauen? Kurze Röcke? Dicke Kinder? Jagd auf Singvögel? Leihmutterschaft und Social Freezing? Nicken wir das ab? Winken wir das durch? Können wir ertragen, in einer Welt zu leben, in der Menschen andere Prioritäten setzen, andere Vorstellungen haben von Gerechtigkeit, Selbstverwirklichung, Freiheit und Glück? Wo wird es uns zu fremd? Zu bunt?
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Ich lese Artikel und private Reaktionen auf die Attentate in Paris, seit heute Mittag. Ich sehe Freunden zu, wie sie seit Wochen semi-öffentlich versuchen, eine Haltung zu PEGIDA zu finden: Entfreunden oder im Gespräch bleiben? Verlachen oder streiten? Zeichen setzen? Wie?
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Habe ich nur Glück? Dass tote Schildkröten mir keinen Schlaf rauben? Ich stelle mir Leserinnen und Leser vor, seit 10 und mehr Jahren online, die jeden Tag 20, 50 Dinge sehen, die sie verstören: Mormonen dürfen mehrere Frauen heiraten. Konzerne dürfen Kinder Schuhe, Kleidung, Fußbälle nähen lassen. Politiker akzeptieren Spenden aus der Industrie, Menschen ändern ihr Geschlecht und ihren Namen, Leute demonstrieren – gegen dich und deine Kultur und Journalisten, Satiriker, “Eliten” machen sich lustig über die Art, wie du dich kleidest, wohnst und sprichst. Was sich gehört, was gut und richtig ist, wer Erfolg hat, wer aufsteigt entscheiden andere.
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Du stehst im Aus. Deine Mails und Bankbewegungen werden überwacht. Das Job Center droht mit Sanktionen. Du darfst nur draußen rauchen. Leute lachen über deine Frisur, deine Kinder, deine Musik. Man trägt dir nach, dass du trinkst. Oder nicht trinkst. Dass du viel billiges Fleisch kaufst. Oder kein Schwein isst. Immer wieder werden Worte, Ausdrücke plötzlich verboten. Viele alte Witze sind tabu. Alle um dich herum berufen sich auf ihre Befindlichkeiten und Rechte, ihre “Geschichte” und “Kultur” – nur du sollst bitte schweigen, aussterben, verschwinden. Und vorher lebenslang auf Leute Rücksicht nehmen, die sich eh alles erlauben dürfen.
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Nie waren globale Ungerechtigkeiten sichtbarer.

Nie wurde ich eingeladen, mehr und schneller zu urteilen. Über alles.

Nie hatte jeder Einzelne mehr Möglichkeiten, sich auszudrücken.

Nie hatte jeder Einzelne mehr Pflichten, sich öffentlich zu positionieren.

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Und nie herrschte trotz dieser dauernden Positionierungs-Tänze und -Zwänge weniger Bewegungsraum: Wir werden pausenlos eingeladen, wütend zu werden. Über Dinge, die wir kaum verstehen und selten ändern können. Wir fühlen uns machtlos, überstimmt, abgehängt und furchtbar schlecht informiert. Leben in der Angst, dass jederzeit tausend furchtbare, willkürliche Dinge entschieden werden können. Gleichzeitig werden alle von allen kontrolliert. Beobachtet. Bewertet. Jeder steht unter sozialem Druck. Die falsche Meinung, Haltung kann entlarven, ausgrenzen, ruinieren.
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Ich habe noch keine “Haltung”, keine abschließende, kluge These zu PEGIDA und dem Anschlag auf Charlie Hebdo. Wütend bin ich heute Abend vor allem auf eine Medienlandschaft, die mich 20, 50 Mal pro Tag fragt: “Nimmst du das hin? Lässt dich das kalt? Bist du dafür oder dagegen?” und dabei nur Empörung, Wut aufpeitschen will. Ein Flüchtlingsheim – bei uns? Nebenan? Eine Zeitung – die meine Religion verspottet? Islamisten – die Europa bedrohen? Flüchtlinge – die an den Grenzen Europas sterben? Eine Frau – verschleiert? Eine Frau – zu dick? Eine Frau – mit 18 Kindern? Eine Schildkröte – in Plastik eingeschweißt? Ein Veggie-Day? Ein Rauchverbot?
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Und jetzt? Wie fühlst du dich? Soll das so sein? Soll das so bleiben? Stimm ab! Schimpfe los!

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Stefan Mesch, geboren 1983 bei Heidelberg, schreibt für ZEIT Online, Deutschlandradio Kultur, den Berliner Tagesspiegel und das Magazin Kulturaustausch. Er empfiehlt Bücher bei Büchergilde Gutenberg und monatlich im Blog, war Finalist des 20. Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin und 2012 Preisträger des Dietrich-Oppenberg-Sonderpreis der Stiftung Lesen.

Best Books of the Year: My personal Top 20

stefan mesch best books 2014

(After a popular list last year [Link] and earlier in 2012 [Link] and 2011 [Link]…)

…here are the 20 very best books I’ve read in 2014:

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20: HEIDE KOEHNE, „Der Buchladen“, German novel, 2011.
Der Buchladen

19: BRIAN WOOD, „The Massive“, Books 1 to 5, Graphic Novels, 2013 and 2014.
The Massive, Vol. 1: Black Pacific The Massive, Vol. 2: Subcontinental The Massive, Vol. 3: Longship The Massive, Vol. 4: Sahara The Massive, Vol 5: Ragnarok (The Massive #25-30)

18: TIM WISE, „White like me. Reflections on Race from a Privileged Son“, Nonfiction / Memoir, 2004.
White Like Me: Reflections on Race from a Privileged Son

17: HARUKI MURAKAMI, „Von Männern, die keine Frauen haben“, Japanese Short Stories, 2014. (I liked his most recent novel, too.)
Von Männern, die keine Frauen haben

16: STEWART O’NAN, „Der Zirkusbrand“, Nonfiction, 2000.
Der Zirkusbrand

15: CHRISTIANE FROHMANN, „Tausend Tode Schreiben“, German anthology, 2014: 135+ personal texts about dying and loss […more here].
Tausend Tode schreiben

14: GREG RUCKA, “Lazarus”, Books 1 and 2. Graphic Novels, 2014.
Lazarus, Vol. 1: Family Lazarus, Vol. 2: Lift

13: ED BRUBAKER, “Velvet”, Book 1. Graphic Novel, 2014.
Velvet, Vol. 1: Before the Living End

12: MARTIN HATZIUS, „Alles fragen, nichts fürchten“, book-length interview with my favorite German living writer, Dietmar Dath, 2011.
Dietmar Dath: Alles fragen, nichts fürchten

11: SIGRID NUNEZ, „A Feather on the Breath of God“, Memoir, 1995.
A Feather on the Breath of God: A Novel

10: ARTHUR MILLER, „Focus“, Novel, 1945.
Focus

09: MEIKE WINNEMUTH, „Das große Los“, German Travelogue, 2012.
Das große Los

08: JAN BAUER, „Der salzige Fluss“. German Graphic Novel Travelogue, 2014.
Der salzige Fluss

07: NORA WICKE, „Vierstromland“, German novel, 2014.
Vierstromland

06: G. WILLOW WILSON, „Ms. Marvel“, Book 1. Graphic Novel, 2014.
Ms. Marvel, Vol. 1: No Normal

05: TSUGUMI OHBA, „Bakuman“, Books 2 to 20. Manga series, 2009 to 2012.
Bakuman, Volume 2: Chocolate and Akamaru (Bakuman, #2) Bakuman, Volume 3: Debüt und Ungeduld Bakuman, Volume 4: Phone Call and the Night Before (Bakuman, #4) Bakuman, Volume 5: Yearbook and Photobook Bakuman, Volume 6: Recklessness and Guts

04: ROBERTO AGUIRRE-SACASA, „Afterlife with Archie“, Book 1. Graphic Novel, 2014.
Afterlife with Archie Book 1: Escape from Riverdale

03: VALERIAN TORNIUS, „Zwischen Hell und Dunkel“, German novel, 1932.
Zwischen Hell und Dunkel. Ein Rembrandt-Roman

02: LIANE DIRKS, „Vier Arten meinen Vater zu beerdingen“, German novel, 2002.
Vier Arten meinen Vater zu beerdigen

01: ÁGOTA KRISTÓF, „The Notebook“, „The Proof“, „The Third Lie“, Hungarian Trilogy, 1986 to 1991.
The Notebook, The Proof, The Third Lie: Three Novels

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For a complete list of books I’ve read in 2014, please go here [Link].

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In comics, I’ve also enjoyed book 3 and 4 of Brian K. Vaughan’s „Saga“ space opera [Link], Year 1 and (to a lesser degree) Year 2 of Tim Taylor’s „Injustice: Gods among us“ [Link], Bryan Q. Miller’s still solid „Smallville“ [Link], the Marvel books „She-Hulk“ [Charles Soule, Link] and „Hawkeye“ [Matt Fraction, Link].

I enjoyed the first six „New 52“ DC comic books featuring Wonder Woman [Link] and started reading lesser-known series like „Promethea“ [Link], „Nailbiter“ [Link], „Rat Queens“ [Link], „Mind MGMT“ [Link] and „The Private Eye“ [Link]. I’ve also enjoyed Daniel Clowes‘ „David Boring“ [Link].

Mark Millar’s „Jupiter’s Legacy“ had a great start – but I will have to wait until 2015. [Link]

Here’s a big collage of the graphic novels I’ve discovered in 2014:

graphic novels stefan mesch 2015
Have a great 2015! More to come!

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Related Posts:

and:

and, earlier:

 

Die besten Buchcover 2015: Titelbilder, Design

buchcover 2015 wordpress

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heute nochmal länger, und auf Deutsch:

„Der Buch-Blogger und Kulturjournalist Stefan Mesch hat auf BuzzFeed die Zehn großen Trends“ der Covergestaltung des kommenden ersten Halbjahres 2015 enthüllt; eine spannende Übersicht“

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In meiner Kindheit waren Bücher Männersache: Unser Pfarrer hatte eine Bücherwand, mein Grundschulrektor las „Der Herr der Ringe“, im Fernsehen blätterten zerstreute alte Herren wie Papa Schlumpf durch dicke Zauberbücher.

Heute werden meist ältere Frauen bedient: Duftkerzen und Badesalz, Elke Heidenreich und Wolfgang Herles, ein Flut „ergreifender, zarter“ Bücher fürs Gänsehaut- und Taschentuch-Publikum.

Ich suche jeden Winter durch Verlagskataloge und, weil es bequem und online ist, auch durch Amazon-Register… und merke mir Bücher vor, die ich meinem ZEIT-Redakteur vorschlagen kann: zur Rezension oder für Autoren-Interviews auf ZEIT Online.

Seit 2011 mache ich diese Listen interessanter Neuerscheinungen auch gleich öffentlich – in meinem Blog.

Ich lese fast 100 Romane im Jahr, blättere durch fast jede literarische Neuerscheinung, zu der ich Online-Leseproben finde, und will in fünf, zehn Jahren gerne selbst solche Elke-Heidenreich-Empfehlungen geben, möglichst öffentlich:

Ich will Bücher entdecken, die noch fast keiner kennt – aber die möglichst viele Leute mit Gewinn lesen können.

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Letzte Woche fragte Tine Maria Winther, Redakteurin der Literaturbeilage von Poltiken (Dänemark), ob ich ihr als Deutschland-Experte einige Sätze zu den Büchern, über die in Deutschland 2015 gesprochen werden wird, schicke.

Meine Blogger-Kollegin Mara Giese sagt: der Frühling 2015 gehört J.D. Salinger, mit neu veröffentlichten Stories und mehreren Biografien und Memoirs.

Ich selbst schaute durch 500 Frühjahrs-Titel und fand vor allem bemerkenswerte Cover.

„Sinnliche“, farbstarke, gefilterte Fotos. Bildstarke, kräftige Motive. Titel, die Lebenswelten vermitteln. Stimmungen. Buchcover 2015, das heißt sehr oft: Atmosphäre!

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Kurz nach Mitternacht hatte ich 500 Amazon-Seiten offen. Gegen 2 Uhr fing ich an, Buchcover nach Motiven zu sortieren, nach Moden, Trends, Dopplungen und heimlichen Zwillingen. Erst wollte ich die Cover nur auf meinem eigenen Blog sammeln, https://stefanmesch.wordpress.com/

Dann dachte ich nach, ob ich für ZEIT Online oder den Berliner Tagesspiegel einen Buchcover-Artikel pitchen soll. Aber oft sprechen die Bilder und Zusammenstellungen, die ich die Nacht lang ordnete, für sich: Es braucht nicht viele Worte. Ich will nur kurz meine Favoriten zeigen. Ein paar kuriose Dopplungen. Ein wenig Trash und ein halbes Dutzend verunglückte Fotomontagen:

In einem Online-Feuilleton wäre das eine reine Klickstrecke. In meinem Blog gehen solche kurzen, spaßigen Listen manchmal unter.

Ich melde mich um 4 bei Buzzfeed an. Lade meine Fotos hoch. Schreibe ein paar kurze Teaser und Halbsätze – auf Englisch, damit die Bücher das denkbar größte Publikum erreichen, und auch Nicht-Deutsche mitreden und stöbern können. Und schon um halb 6 morgens bin ich fertig: der Artikel steht. Ein Spielerei, ein Nebenbei-Projekt, eine spontane Liste, perfekt für eine Website, die fast nur Bilder und spontane Listen sammelt.

In knapp sechs Tagen öffneten 2000 Menschen den Buzzfeed-Artikel. Das sind Zahlen, die ich oft auch im eigenen Blog erreichen kann. Ich bin nicht sicher, ob es sich für mich als Journalist hier lohnte, unbezahlten Gratis-Content auf diese Riesen-Plattform zu stellen. Bei Amerikanern oder dem breiten Publikum hat die Buchcover-Liste noch nicht gezündet.

Aber Verlags- und Autoren-Freunde sprachen auf Facebook lange über die Cover und meine Kategorien. Eine Freundin bei Hanser bedankte sich und sagte, sie habe meine Sammlung an Peter Hassiepen, den Hanser-Gestalter, weiter geleitet. Niemand im Netz ruft sofort „Toll! Lasst uns jetzt stundenlang über Buchcover reden!“ Aber, immerhin: Verlage selbst freuen sich, diese Cover gesammelt zu sehen, Rückmeldungen zu lesen, Stimmmungsbilder einzuholen.

Ich selbst bin recht zufrieden mit den Buchcovern 2015: Noch vor zwei Jahren waren auf jedem dritten, vierten KiWi-Roman Rosenblüten, Blumenranken, Apfelknospen, in matten Farben und im Stil von Omas Häkeldecke. Floral, lauwarm, tantig. Buchcover, zu denen ich mir keine jungen Leserinnen und Leser vorstellen kann und kaum männliche Käufer.

2015 wird das besser: viele Bücher sehen aus wie Plattencover oder Indie-Filme, viele Erwachsenen-Titel sind so kantig, markant und selbstbewusst gestaltet wie sonst nur amerikanische Young-Adult-Titel. Viele Bücher 2015 wirken jung. Sinnlich. Unisex. Gefühlsstark. Erlebnisse. Lebenswelten. Eine intensive Erfahrung, zwischen Buchdeckel gepresst.

Das sind nicht die Bildungsbürger-Schwarten meiner Kindheit. Das spricht auch Käufer an, die keine zartrosa „Brigitte-Bibliothek“ suchen.

Wir reden selten über Bücher. Verlage haben nicht viele Inhalte, die online leicht besondere Beachtung finden. Viele Buchcover 2015 aber können sich sehen lassen – auch international. Deshalb war mir wichtig, sie zu zeigen. An möglichst zentraler Stelle.

Meist bin ich klassischer Kritiker und Kulturjournalist. Manchmal bin ich Blogger. Aber hier will ich vor allem Multiplikator sein. Zeigen: deutsche Bücher haben Stil. Deutsche Cover werden besser. Trotz aller Krisen: Hier bewegt sich was!

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Trend 1: tolles Licht

buchcover 2015 - tolles Licht

Fotos. Starke Kontraste. Licht!

Falls diese 2015er-Bücher nur halb so atmosphärisch sind wie ihre Cover… werden sie grandios!

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Trend 2: Amerika, traurig

buchcover 2015 - sad america

US-Autor*innen haben immer noch große deutsche Fangemeinden. Mich freut, dass Titel wie “California” und “We are not ourselves” schon 2015 auch bei uns erscheinen. Aber:

Viele dieser Cover wirken ziemlich… trist. Ist das Amerika, von dem wir am liebsten lesen / hören, Amerika in der Krise?

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Trend 3: Kontrast vor schwarzem Hintergrund

buchcover 2015 - schwarz und eine starke Farbe

Mir gefällt besonders das Cover von Tom Liehr, „Nachttankstelle“. Außerdem bin ich froh, dass die Augen des Wolfs auf dem „Wolfsland“-Cover nicht künstlich zum Leuchten / Strahlen gebracht wurden.

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Trend 4: Riesenstadt, Riesen-Typo

buchcover 2015 -  typography geography global novels

Ich hoffe, da kommt noch mehr: wuchtige Gebäude und wuchtige Buchstaben passen sehr, sehr gut zusammen!

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Trend 5: schrullige Retro-Frauen

buchcover 2015 - fashionable retro women, all slightly unsettling

Charmant! Ich hoffe, die Frauenfiguren in diesen Büchern sind so markant wie die Abbildungen auf den Covern: schrullig, eigensinnig, selbstbewußt und ein wenig verstörend. Mich ärgert nur, dass das deutsche Cover von Maria Semple’s grandiosem “Where did you go, Bernadette?” einen pinken Hintergrund erhielt. Das Original ist deutlich nüchterner.

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Trend 6: kleine, fröhliche Punkte

buchcover 2015 - small happy dots

Erzählerischer Schwung. Optimismus… mit einem Schuss Melancholie: Ich mag diese Punkte. Und offenbar reichen schon drei Orangen (und das runde Aufbau-Logo), um verspielte Stimmung zu schaffen.

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Trend 7: große, bedrückende Punkte

buchcover 2015 - big dots

Schwer, drückend, wie auf Leinwand oder auf einer Flagge: All diese Punkte haben fast die selbe Größe. Gibt es ein ideales Größenverhältnis für Kreise auf einem Buchcover?

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Trend 8: Vögel und Sterblichkeit

buchcover 2015 - sterblichkeit und vogelschwärme

“Du wirst sterben. Dein Vermächtnis und die Erinnerungen, die du in anderen Menschen hinterlassen hast, werden in alle Richtungen stieben – wie ein Schwarm Vögel.“ …war das die Überlegung hinter diesen Covern?

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Trend 9: seltsame Tiere

buchcover 2015 - goofy animals

Seltsame Tiere scheinen ein Versprechen zu sein: „Achtung: hier kommt ein eigensinniges Buch, mit ganz eigenem Ton.“ Mir gefällt besonders die absurde „Muschelrose“… und der Widerspruch zwischen „Monster“ und dem abgebildeten Seehund.

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Trend 10: Understatement.

buchcover 2015 - understatement, sepia

Schwere Sachbücher und historische Romane benutzen oft solche Pergament- und Off-White-Töne. Aber mir gefällt, wie selbstbewusst und „klassisch“ diese neuen Coverentwürfe anmuten – in Kontrast zu all ihren lauten, überladenen, bunten Konkurrenten.

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außerdem: Cover im Instagram-Look

buchcover 2015 - instagram look

Bücher im Instagram-Look… für eine junge Zielgruppe?

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„Sexy“ Cover…

buchcover 2015 - sexy or... or cheap

Hier sind fünf der wildesten (oder: billigsten?) Cover 2015, die ich fand.

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„Little Boxes“:

buchcover 2015 - little boxes

Viele Wohnungen. Viele Figuren. Schon kapiert: die Traurigkeit und Anonymität der Moderne.

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Wellen! Schwimmer! Das Meer!

Kein Trend zu 2015. Denn, keine Frage: JEDES Buch verkauft sich besser, wenn es mit dem Meer zu tun hat. Leser*innen lieben Wasser… und Bücher mit Sehnsuchts-Settings.

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Photoshop-Desaster (?)

Verlage? Ich… rolle die Augen. Aber andererseits war ich wohl eh kein Teil der Zielgruppe für diese sechs Titel.

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Asien-Klischees:

buchcover 2015 - Asian visual clichès

Machen wir das immer noch? Muss das sein? Wirklich? 😦

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“Die Online-Omi muss in Reha“:

buchcover 2015 - online-oma hüfte

Perfekt. DAS wird Deutschlands Buch 2015.

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und…

starke Farben, klare Typografie:

meine Lieblingscover

buchcover 2015 - lieblingscover. bold typography, popping colors. my personal favorites.

„Palladium“ und „Verlust“ haben recht schlechte Kritiken. Schade: optisch spricht mich all das sehr an!

2014 / 2015: die besten Bilderbücher und Kinderbücher (Empfehlungen!)

kinderbuchtipps stefan mesch kindergarten vorschule weihnachten

Einmal pro Monat stelle ich 20 unbekannte oder neue Bücher vor.

Im Dezember:

Bilderbücher für Kinder zwischen 3 und 8 Jahren.

Viel Bild. Wenig Text, zum Vor- oder Selber-Lesen.

Statt 20 beinahe 30 Titel: viel Tolles gefunden!

Ich bin Literaturkritiker und verschenke privat sehr viele Bücher; auch oft und gerne an die Kinder meiner Verwandten und Freunde. Wichtig: Ich bin kein Pädagoge oder Experte. Ich saß lange in der (großartig sortierten, hellen, sympathischen) Kinder- und Jugendbibliothek der Berliner Amerika-Gedenkbibliothek und habe geblättert, gelesen, sortiert.

Hier sind die Titel, die mir besonders gefallen.

„Die besten Kinderbücher“? Die vorerst besten, die ich kenne. Ich freue mich über weitere Tipps und Kommentare! Einige Titel sind Neuerscheinungen. Viele sind älter. Einige wenige sind vergriffen und nur noch antiquarisch / gebraucht erhältlich.

Ich linke, falls vorhanden, auf die Website des jeweiligen Verlags und, als Link zum Kaufen: zu meinem Lieblings-Indie-Buchhändler mit kostenfreiem deutschlandweitem Versand, ocelot – not just another bookstore. Für Bücher, die man nur gebraucht kaufen kann und/oder die nicht über ocelot.de verfügbar sind, linke ich zu Amazon.

Die kleine Bildvorschau unter den jeweiligen Titeln führt zu Goodreads. Dort sind (meist: englischsprachige) Kurzkritiken.

Wer Empfehlungen und Bücher sucht, für sich selbst oder als Geschenk, aktuell, zeitlos oder fast vergessen, Literatur, Comics, Thriller oder Genre:

  • Anfragen zu persönlichen Empfehlungen und Geschenk-Tipps können mir gerne auch direkt geschickt werden, als Nachricht via https://www.facebook.com/smesch

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01: ØYVIND TORSETER, „Das Loch“

  • 64 Seiten, Gerstenberg Verlag – hier bestellen.
  • ein Loch in der Wand? ein Loch in der Wohnung? ein Loch im Buch, das durch alle Szenen wandert! elegante Zeichnungen, charmante/kunstvolle Erzählung.
  • fühlen (haptisch), staunen, lachen

The Hole

02: EVA MUGGENTHALER: „Als die Fische spazieren gingen. Erzählbilder.“

  • 32 Seiten, mixtvision Verlag – hier bestellen.
  • auf jeder Doppelseite ein großes Wimmel-, Such- und Panoramabild mit überraschenden, oft surrealen Tier-, Natur- und Alltagsszenen. kein Text: die Geschichten können sich Kinder und Vorleser*innen selbst überlegen.
  • staunen, suchen, phantasieren

Fish On A Walk

03: TOR FREEMAN, „Olivia und das große Geheimnis“

  • 32 Seiten, dtv – hier bestellen.
  • junge Tiere in der großen Pause: Olivia wird ein Geheimnis anvertraut. kann sie es für sich behalten? und was, wenn es immer weitere Kreise zieht? [erhobener Zeigefinger und recht einfallslose Rollenbilder. aber: charmant gestaltete Figuren, ansprechend erzählt.]
  • mitfühlen, lachen, spekulieren

Olive and the Big Secret

04: COLIN THOMPSON, „Bücher öffnen Welten“

  • 40 Seiten, Lappan Verlag – hier bestellen.
  • ein Junge sucht ein geheimnisvolles Buch namens „Für immer leben“ und reist dabei durch fantasievolle, atmosphärisch dichte Buch-, Lese- und Bibliothekswelten.
  • staunen, philosophieren, über Potenzial und Sinn von Büchern sprechen

Bücher öffnen Welten

05: TRACEY CORDEROY, „Schufti Verdufti und Mopsfinger Sam“

  • 32 Seiten, Langenscheidt – hier bestellen.
  • zwei Ganoven-Hunde in der Großstadt: um ihre Freunde auszurauben, tarnen sich Schufti und Sam als Konditoren und eröffnen einen Cupcake-Laden. bald stellt sich die Frage: sind sie noch Gangster? oder schon Bäcker? charmante Zeichnungen, schöner Konflikt. aber: sehr amerikanisch.
  • lachen, über Moral und persönliche Ziele / Eigenheiten sprechen, US-typische Schnörkel-Cupcake-und-Kuchen-Bildchen bestaunen

Shifty McGifty and Slippery Sam

06: WALTER WICK, „Ich finde was… in der Schatzkiste“

  • 40 Seiten, Kosmos Verlag – hier bestellen.
  • riesige Such- und Wimmelbild-Foto-Installationen zum Thema Werkzeugkiste, Trödel, Spielzeug, Rumpelkammer, sympathisch kitschfrei.
  • suchen, staunen, entdecken

Can You See What I See?: Cool Collections: Picture Puzzles to Search and Solve

07: ANNE GUERY, OLIVIER DUSSUTOUR, „ABC der Kunst“

  • 60 Seiten, Deutscher Kunstverlag – hier bestellen.
  • 26 Doppelseiten für jeweils einen Buchstaben… und ein Gemälde / Kunstwerk vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, in dessen Farben, Flächen sich der Buchstabe versteckt: ein entspanntes, sympathisches Such-Kunstbuch für Vorschüler und Schüler.
  • suchen, entdecken, spielerisch mit Kunst in Berührung treten

Alphab'art

08: PETER SPIER, „Menschen“

  • 48 Seiten, Thienemann Verlag – hier bestellen.
  • ein großformatiges Wimmel- und Statistikbuch über die Lebensverhältnisse, Kulturen, Geschichte, Mode und Schmuck und Eigenheiten verschiedener Volksgruppen: sehr einfache Zeichnungen, deshalb ein bisschen ethno-kitschig / folklorisierend. aber: eine tolle Möglichkeit, Kindern zu zeigen, dass die westliche Welt nur EIN Kulturraum unter vielen ist.
  • staunen, lernen, suchen / entdecken

People

09: LUCIA SCUDERI, „Wie fühlst du dich heute?“

  • 28 Seiten, Hueber Verlag – hier bestellen.
  • ich fühle mich eifersüchtig wie ein Rabe…? auf jeder Doppelseite wird ein Gefühl bildhaft mit Tieren illustriert, jeweils zweisprachig: das Buch ist in Deutsch-Italienisch, Deutsch-Türkisch, Deutsch-Russisch etc. erhältlich und macht Lust, eigene Gefühle zu benennen… und Sprachbilder, interessante Vergleiche für diese Gefühle zu suchen.
  • Emotionen benennen, Sprachbilder bauen, Sprachen lernen

Se io sento...

10: JOAN STEINER, „Ich sehe was, was du nicht siehst… im Winter“

  • 32 Seiten, Esslinger Verlag – hier bestellen.
  • etwas kitschige, weihnachtliche Miniatur- und Modelllandschaften, gebaut aus (unpassenden? überraschenden!) Alltagsgegenständen: ein Spiel- und Suchbuch, das Lust macht, Objekte mit neuen Augen zu sehen.
  • staunen, suchen, zum-Basteln-inspiriert-werden

Look-Alikes Christmas: The More You Look, the More You See!

11: NASRIN SIEGE, „Wenn der Löwe brüllt“

  • 32 Seiten, Peter Hammer Verlag – hier bestellen.
  • melancholisches Kinderbuch über zwei Straßenjungen, die sich mit Diebstählen über Wasser halten, einen sicheren Ort zum Schlafen suchen und den „Löwen“ namens Hunger zum Schweigen bringen wollen.
  • mitfiebern, mitfühlen, Empathie für andere Lebensverhältnisse entwickeln

Wenn der Löwe brüllt

12: MARTIN WADDELL, „Ist dieses Tier nützlich hier?“

  • 32 Seiten, Sauerländer – hier gebraucht bestellen.
  • konventionelle, aber sehr sympathische Nonsens-Geschichte über einen Jungen, der einen Elch im Haushalt belassen will, in Reimen erzählt.
  • lachen, reimen, über den fragwürdigen „Nutzen“ vieler Haustiere spekulieren

What Use Is A Moose?

Die folgenden Bücher sind nicht weniger empfehlenswert. Sie haben nur keine Vorschau-Bilder bei Goodreads:

13: ANTJE VON STEMM, „Unser Haus“

  • 64 Seiten, Gerstenberg Verlag – hier gebraucht bestellen.
  • der Alltag in sechs Mietwohnungen, als Klapp- und Wimmel-Bilderbuch, vom Morgen bis in die Nacht.
  • suchen, entdecken, verschiedene Alltagswelten verstehen

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14: SONJA BOUGAEVA, „Wie Frau B. so böse wurde“

  • 32 Seiten, Atlantis – hier bestellen.
  • eine kinderfeindliche, gehässige alte Frau hilft einem Mädchen, sich auf dem Kinderspielplatz zu behaupten: ruppig, toll gezeichnet, schwungvoll und sympathisch!
  • Empathie zeigen, lachen, lernen

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15: KARSTEN TEICH, „Wir sind 1 a“

  • 32 Seiten, Carlsen – hier bestellen.
  • vier Erstklässler werden durch ihren Tag begleitet, in comichaften, sehr energischen, ausdrucksvollen Zeichnungen. dabei wird klar, dass alle vier Gemeinsamkeiten haben… und charakterliche Unterschiede.
  • mitfühlen, lachen, Bildwitze und amüsante Details entdecken

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16: JOKIN MICHELENA, PATRICK K. ADDAI, „Ein Adler bleibt immer ein Adler“

  • 40 Seiten, Adinkra – hier bestellen.
  • tolle ghanaische Fabel über Stolz und Identität: in den meisten Geschichten über Außenseiter-Tiere wird das missverstandene Tier integriert und gelobt. hier bleibt ein Adler, von einem Bauern gefangen und mit Hühnern eingesperrt, stolz, würdevoll und… fehl am Platz.
  • mitfühlen, philosophieren, hinterfragen

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17: BARBARA HAIDUCK, „Wo ist bloß das Chamäleon?“

  • 32 Seiten, Sankt Michaelsbund – hier bestellen.
  • künstlerisch anspruchsvolle, überraschend vielseitige Collagen, auf denen jeweils an Chamäleon gesucht und entdeckt sein will.
  • suchen, Kunst bestaunen

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18: ELISABETH STEINKELLNER, MICHAEL ROHER, „Papilios Welt“

  • 32 Seiten, Picus Verlag – hier bestellen.
  • ein junger Tagträumer stellt sich eine offene, gewaltfreie, faire, inklusive, nicht-homophobe und nicht-xenophobe Gesellschaft vor. ist eine solche Welt machbar? denkbar, zeigt das Buch, ist sie auf jeden Fall!
  • philosophieren, nachdenken

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19: MICHAEL ROHER, „Fridolin Franse frisiert“

  • 32 Seiten, Picus Verlag – hier bestellen.
  • ein kurzes, fantasievolles über eine Kundin beim Friseur, in deren schwarzweißes, wogendes Haar (ein über 20 Seiten langes durchgängiges Bild) allerlei absurde Welten, Motive und Gegenstände einfrisiert werden: versponnen, kurz, extrem charmant.
  • lachen, suchen, phantasieren

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20: MARY HOFFMANN, ROS ASQUITH, „Du gehörst dazu. Das große Buch der Familien“

  • 40 Seiten, Fischer – hier bestellen.
  • Sachbilderbuch, das verschiedene Familienformen, Lebensverhältnisse, Kulturen und Patchwork-Welten entspannt und positiv nebeneinander stellt.
  • lernen, nachdenken, verstehen

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21: FRANZ-JOSEPH HUAINIGG, VERENA HOCHLEITNER, „Jakob & das Rote Buch“

  • 32 Seiten, Wiener Dom Verlag – hier bestellen.
  • ein Junge im späten Grundschulalter, der in einer Pflegefamilie aufwächst, kann seine leibliche Mutter nur selten sehen und befürchtet, dass sie kein Interesse an ihm hat (…eine Möglichkeit, die das Buch durchaus in Betracht zieht und nicht kitschig entkräftet). er legt ein Buch über seine Herkunft, seinen Alltag und seine Eigenheiten an, das ihm hilft, alle Facetten seiner Herkunft / Familie / Identität besser zu verstehen.
  • nachdenken, Empathie entwickeln, schwierige Familienverhältnisse verarbeiten

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22: KRISTIN ROSKIFTE, „Zoom den Hut“

  • 32 Seiten, Sauerländer – hier bestellen.
  • Bilderbuch, das kleine Alltagsszenen immer weiter (oft: surreal und überraschend) aus-zoomt: überraschende Perspektivwechsel, sympathische Gestaltung.
  • staunen, Motive erraten, Dinge aus neuen Winkeln sehen

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23: BERND KOHLHEPP, JENS RASSMUS, „Drachen erziehen ist leicht“

  • 30 Seiten, Sauerländer – hier bestellen.
  • ein Junggeselle hat ein Drachenei in der Wohnung, erzieht den jungen Drachen und lässt ihn schließlich in die Freiheit: charmante, unglaublich rührende Geschichte über alleinerziehende Väterfiguren, die Kinder anregt, sich (zur Abwechslung) kurz in die Rolle des Erziehenden zu denken.
  • mitfühlen, lachen, gerührt sein

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interessante Titel… die mich nicht restlos überzeugten:

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Empfehlungen von Freunden:

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underdog literature october 2014

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und:

Stefan Mesch… bei Büchergilde Gutenberg: persönliche Empfehlungen

 stefan mesch. foto von jacqueline schulz.

Foto: Jacqueline Schulz, eine tolle freie Fotografin im Raum Berlin / Brandenburg.

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Ab Frühling 2015 empfehle ich Literatur für Mitglieder der Büchergilde Gutenberg:

Wer Empfehlungen und Bücher sucht, für sich selbst oder als Geschenk, aktuell, zeitlos oder fast vergessen, Literatur, Comics, Thriller oder Genre:

  • jeden ersten und dritten Freitag im Monat, von 12 bis 14 Uhr, kommentiere und antworte ich bei Facebook (…der Link führt direkt zur richtigen Seite). Buchtipps aus dem Büchergilde-Programm und anderen Verlagen, für Mitglieder und für Nicht-Mitglieder. Um up-to-date zu bleiben, empfehle ich, die Beiträge der Büchergilde-Facebookseite (kostenlos) zu abonnieren. Aber: Man muss kein Mitglied (oder Facebook-Fan) der Büchergilde sein… und meine Empfehlungen stammen aus allen denkbaren Verlagen. Nicht nur aus dem Programm der Büchergilde bzw. des Verlags „Edition Büchergilde“.
  • Anfragen zu persönlichen Empfehlungen und Geschenk-Tipps können mir gerne auch direkt geschickt werden, als Nachricht via https://www.facebook.com/smesch

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Am kommenden Freitag, dem 5. Dezember, teste ich die „Buchsprechstunde“ auf der Facebook-Seite der Büchergilde Gutenberg, von 12 bis 14 Uhr. Empfehlungen, Kommentare, Gespräche: Ich bin gespannt, an welchen Büchern besonderes Interesse besteht, wer Anfragen stellt und, wie die Empfehlungen am besten geteilt und gelesen werden können. Schon jetzt dürfen gerne auch direkte Anfragen gepostet oder gesendet werden.

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Stefan Mesch Buchtipps Zeit Online 2

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Vor drei Wochen, Anfang November, habe ich die Lektor*innen und Herausgeber der Büchergilde in Frankfurt besucht, viel Zeit im Verlagsarchiv verbracht und lange über das Konzept der Buchgemeinschaft, ihre Geschichte und Ansprüche gesprochen.

Ich selbst bin seit zehn Jahren Kritiker und Literaturjournalist für die ZEIT, den Berliner Tagesspiegel und Literaturkritik.de. Meine Texte, Buchtipps und Essays erscheinen u.a. bei Deutschlandradio Kultur, den Literaturzeitschriften Edit und BELLA triste und im Magazin Kulturaustausch. Seit 2009 lebe ich drei Monate im Jahr in Nordamerika (Toronto oder New York); 2012 gewann mein Essay über Buchtipps und Lesekultur im Internet den mit 1000 Euro dotierten Dietrich-Oppenberg-Förderpreis der Stiftung Lesen.

Auf meiner Facebook-Seite (Freund werden!) und in meinem Blog finde ich vergessene Bücher, Neuheiten und gebe Lese- und Geschenktipps.

Außerdem arbeite ich an einem ersten Roman.

Zum Einstieg, heute:

20 Büchergilde-Titel, aktuell für Mitglieder erhältlich, die mein Interesse weckten.

Eine Auswahl für Büchergilde-Mitglieder und -Interessenten.

Viel Spaß!

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01: HENRI ALAIN-FOURNIER, „Der große Meaulnes“

  • 336 Seiten, Frankreich 1913 – hier bestellen.
  • Verwöhnte Privatschüler treffen einen Fremden, der ihr Leben erschüttert.

The Lost Estate (Le Grand Meaulnes)

02: ANA PAULA MARIA, „Krieg der Bastarde“

  • 224 Seiten, Brasilien 2012 – hier bestellen.
  • ein Wettlauf zwischen Ganoven und Kleindealern: Thriller und Underdog-Roman.

Krieg der Bastarde

03: CHIMAMANDA NGOZI ADICHIE, „Americanah“

  • 608 Seiten, USA 2013 – hier bestellen.
  • Junge Nigerianer erfinden sich im Ausland neu. Zu welchem Preis?

Americanah

04: GAVIN EXTENCE, „Das unerhörte Leben des Alex Woods“

  • 480 Seiten, Großbritannien 2013 – hier bestellen.
  • Coming-of-Age-Roman über einen Außenseiter und überraschende Freundschaft.

The Universe Versus Alex Woods

05: MORTEN RAMSLAND, „Hundsköpfe“

  • 480 Seiten, Dänemark 2005 – hier bestellen.
  • sarkastische, überbordende skandinavische Familiensaga

Hundsköpfe

06: GYÖRGY DALOS, „Der Fall des Ökonomen“

  • 192 Seiten, Ungarn 2012 – hier bestellen.
  • Der Sohn eines Holocaust-Überlebenden stolpert durch einen absurden Betrug.

Der Fall des Ökonomen

07: PATRICIA HIGHSMITH, „Der talentierte Mr. Ripley“

The Talented Mr Ripley  (Ripley, #1)

08: VERONIQUE OLMI, „Meeresrand“

  • 96 Seiten, Frankreich 2001 – hier bestellen.
  • Eine Mutter nimmt ihre Kinder mit ans Meer, auf eine geheimnisvolle Reise…

Meeresrand

09: SYLIVA KABUS, „Weißer als Schnee“

  • 224 Seiten, DDR 1987 – hier bestellen.
  • Hoffnung und Selbstbehauptung einer jungen Frau in der DDR.

noch keine Titelbild-Vorschau

10: JASON, „Lost Cat“ (englische Ausgabe)

  • 160 Seiten, Norwegen 2013 – hier bestellen.
  • Intelligenter und verspielter Kult-Comic voller Krimi-Ideen.

Lost Cat

11: NAVID KERMANI, „Ausnahmezustand: Reisen in eine beunruhigte Welt“

  • ca. 250 Seiten, Deutschland 2013.
  • literarische Reportagen über Krisen und Umbruch von Palästina bis Nordafrika.

Update: …über Nacht wurden die letzten Exemplare der Büchergilde-Ausgabe verkauft. Schade!

Ausnahmezustand: Reisen in eine beunruhigte Welt

12: GIOVANNI PAPINI, „Der Spiegel auf der Flucht“

  • 136 Seiten, Italien vor 1958 – hier bestellen.
  • unheimliche, phantastische Erzählungen in der Tradition von Edgar Allan Poe.

El espejo que huye

13: SOR SARA SIERRA JARAMILLO, „Das blutende Herz. Religion der Straße“

  • 216 Seiten, Kolumbien 2006 – hier bestellen.
  • Fotografien und Texte über Glaube und Religion von Obdachlosen in Südamerika.

noch keine Titelbild-Vorschau

14: DAVID SIMON, „Homicide: Ein Jahr auf mörderischen Straßen“

  • 831 Seiten, USA 1991 – hier bestellen.
  • Baltimore, USA: US-Reporter und -Serienschöpfer („The Wire“) David Simon lebt für ein ganzes Jahr zwischen Polizisten, Politikern und Drogenkriminellen.

Homicide: a Year on the Killing Streets

15: SAUL BELLOW, „Herzog“ (englische Ausgabe)

  • ca. 340 Seiten, USA 1964 – hier bestellen.
  • Ein nervöser Schriftsteller schreibt sich in privaten Briefen an Freunde, Feinde und Liebschaften um Kopf und Kragen.

Herzog

16: JOHN WYNDHAM, Three Novels (englische Ausgaben)

John Wyndham: Three Novels

17: JOSEPHINE TEY, „The Franchise Affair“ (englische Ausgabe)

  • ca. 300 Seiten, Großbritannien 1948 – hier bestellen.
  • Krimi-Klassiker über der Verschwinden einer jungen Frau in der Provinz.

The Franchise Affair (Inspector Alan Grant, #3)

18: GEOFFREY HOUSEHOLD, „Rogue Male“

  • ca. 200 Seiten, Großbritannien 1939 – hier bestellen.
  • Ein Auftragsmörder wird zum Gejagten. Thriller-Klassiker.

Rogue Male

19: KAZUO ISHIGURO, „The Remains of the Day“ (englische Ausgabe)

  • ca. 240 Seiten, Großbritannien 1988 – hier bestellen.
  • Ein Landsitz, zwei Bedienteste… und eine sanfte, traurige große Liebe.

The Remains of the Day

20: HARPER LEE, „To Kill a Mockingbird“ (englische Ausgabe)

  • ca. 340 Seiten, USA 1960 – hier bestellen.
  • Eine mutige Schülerin und ihr Vater, ein Anwalt, geraten in einen Justiz- und Bürgerrechtsskandal in den US-Südstaaten.
  • …eins meiner wichtigsten Lieblingsbücher!

To Kill a Mockingbird

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…mehr Buchtipps von mir und auf Anfrage auch persönliche Empfehlungen in Zukunft also regelmäßig bei Büchergilde Gutenberg (Facebook).

büchergilde gutenberg stefan mesch

Schmutz und Schund? Ich selbst mag Genre-Literatur, Unterhaltung, Science Fiction.

1924, direkt nach ihrer Gründung, musste sich die Büchergilde schnell von der Konkurrenz absetzen: den Kolporteuren. Darum das – heute: albern aggressive, elitäre – „Kampfzeichen“. 

 

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und:

Tausend Tode schreiben – ein Buch über den Tod, mit 1000 Beiträgen.

frohmann verlag 1000 Tode schreiben

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1000 Autoren schreiben 1000 kurze Texte über den Tod.

Stil und Ton sind frei wählbar.

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Was für ein Projekt. Was für ein Irrsinn!

„Eine erste Version des E-Books mit 135 Texten erscheint am 1. Dezember 2014. Die Versionen 2 bis 4 mit 500… 750… 1000 Texten erscheinen dann im Abstand von etwa einem Monat, die komplette 4. Version kommt zur Leipziger Buchmesse [im März 2015].

Die jeweils neuere ersetzt die ältere Version, wer einmal gekauft hat, bekommt die neuen umsonst. Zusätzlich wird das E-Book vom Indiehändler Minimore angeboten: Das E-Book wird für EUR 4,99 verkauft. Der gesamte Herausgeber- und Autorenanteil, das sind 50 Prozent des Nettoreingewinns, wird an das Kindersterbehospiz Sonnenhof in Berlin-Pankow gespendet.“

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Christiane Frohmann ist Verlegerin, Kulturwissenschaftlerin und einer der wachsten, umtriebigsten und euphorischsten Menschen im Netz, die ich kenne: Im Herbst 2013 war ich in New York, saß Freitagabends allein in einem Coffee Shop und öffnete ein deutsches Ebook. Christiane und mein Hildesheimer Professor für Kulturjournalismus, Stephan Porombka, hatten sich einen ganzen Abend lang vor Publikum über Online-Katzenfotos unterhalten: Grumpy Cat, Nyan Cat oder Choupette, die Katze von Karl Lagerfeld.

Internetkatzen: Ein Gespräch über Cat Content (kaufen bei Minimore)

Cat Content: Ein Gespräch (generator)

Das Katzenthema klang banal. Doch für zwei Stunden saß ich mit iPad am dunklen Fenstertresen, sah auf die Kerzen und die nasse Straße und staunte, wie viel Erkenntnis, Überraschung, Geist und Esprit zwei kluge, großartig gelaunte Menschen aus ein paar Katzen-gifs und Memes herausholen konnten: Christiane und ich wurden Netzfreunde – und sahen uns im Mai 2014, nachdem sie einem langen Text von mir und meiner Arbeit als Journalist / Blogger gelesen hatte,

…und mich als Podiumsgast zu einer „Katersalon“-Gesprächsrunde im Roten Salon der Volksbühne nach Berlin einlud.

Seit August weiß ich von ihrem größten, vorerst ambitioniertesten (Quatsch: angenehm megalomansten!) Verlags- und Buchprojekt:

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„Ich habe Autor*inn*en angesprochen und Menschen, die beruflich oder privat mit dem Tod zu tun haben. Viele dieser Menschen haben weitere Mitwirkende dazugeholt. Wer von den Leser*inne*n dieses E-Books selbst einen Text zum Tod geschrieben hat oder in sich trägt, kann diesen ebenfalls zu „Tausend Tode schreiben“ beitragen.“

In den letzten 4 Monaten schlug ich Autorinnen und Autoren vor, sprach Freunde an (schreibende und eigentlich-nicht-professionell-schreibende) und versuche, Menschen aus meiner Welt und meiner Ecke des Internets (Freund werden!) für „Tausend Tode schreiben“ zu gewinnen.

Einer meiner besten Freunde aus Toronto nahm sich im Juni das Leben.

Ich schreibe einen Roman über Leerstellen und Verlusterfahrungen von Teenagern.

Kaum etwas macht mir wacher, nervöser, als Worte zu Verlust und Tod zu finden. Ich bin dankbar für jeden, der es versucht, und ich merke, wie viel mir diese Texte geben: Viele Autor*innen, die ich Christiane vorschlug, mailten mir, dass sie beim Schreiben große Mühe hatten, Entwürfe löschten, nicht ausdrücken können, was sie sich gerne zu sagen wünschen.

Umso glücklicher bin ich über die ersten 135 Texte – heute (1. Dezember 2014) erschienen und u.a. bei Minimore erhältlich [DRM-frei].

Ich selbst schrieb einen Text über digitalen Nachlass und die Frage, wie die richtigen Gegenstände, Fotos, Erinnerungsstücke und Texte nach dem eigenen Tod zu den richtigen Menschen finden.

Andere Autor*innen schrieben über Großeltern, Eltern.

Über eigene Kinder und Enkel.

Entfernte Onkel und beste Freunde. Nahtoderfahrungen. Telefonate.

Krankenhaustage.

Noch-einmal-Davonkommen.

Das Buch sammelt Lyrik und Fragenkataloge, Ein-Satz-Beiträge und lange literarische Texte, Verspieltes, Journalistisches, eine Handvoll Texte auf Englisch von Native Speakers und Deutschen, Protokolle, Notate. Ich habe erst heute alles lesen lesen können, zusammen mit den anderen Beitragenden, und habe fast jeden Text mit Gewinn gelesen:

Drei, vier Texte waren mir zu spielerisch: Sie kamen mir vor wie Ablenkungs- und Ausweichmanöver. Witzeleien. Vielleicht, weil die Autor*innen Sentimentalitäten, Pathos-Fallen oder Selbstmitleid entgehen wollten.

Tatsächlich aber merkt man jedem einzelnen Text an, wie viele Gedanken und Mut er kostete und was er den Schreibenden abverlangt: Ich las 135 Texte, zwischen drei Uhr morgens und kurz nach Mitternacht – und wünschte, ich könnte gleich die restlichen 865 Texte anschließen.

Besonders empfehlen möchte ich:

002 – Alan Posener
003 – Michael Brielmaier
004 – Anne Kuhlmeyer
008 – Gesa Füßle
010 – Clemens Setz
016 – Jan Fischer
017 – Falk Schreiber
023 – Judith Sombray
034 – Johanna Straub
037 – Daniela Seel
039 – Jannis Pastargias
040 – Sibylle Luithlen
042 – Lew Weisz
059 – Angelika Maisch
071 – Roman Held
073 – Johanna Feil
079 – Gabriel Yoran
081 – Zoe Beck
086 – Zora Debrunner
090 – Mario Sixtus
097 – Stanislaw Bastian
101 – Florian Voß
103 – AE Rutherford
112 – V.S. Wagner
116 – Christian Huberts
122 – W.
123 – Auguste von Blau
130 – Karola Sasse
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Bei jedem Text steht der Name von Verfasserin / Verfasser erst ganz am Ende.

Das macht meine Empfehlungs-Liste objektiver… und subjektiver.

  • objektiver, weil ich mich selbst bei mehreren Texten fragte: „Wer schreibt das? Ich will mit ihm befreundet sein!“ …und erst am Ende merkte: Das war Freund Jan. Oder Zoe Beck. Oder Clemens. Großartig!
  • subjektiver, weil ich bei fünf, sechs Texten dachte „Das ist sympathisch!“ und dann merkte: Huch. Ich kenne diese Leute – und ich glaube, sie können noch mehr, erzählerisch / literarisch. Zu vielen Texten wünsche ich mir Langversionen, Director’s Cuts oder einfach ein persönliches Gespräch und etwas Ruhe.

Deshalb: Nicht enttäuscht sein, dass ich sortiere, empfehle: Ich bin kein Lektor des Projekts und kein Richter. Das Buch ist kein Wettstreit. Mir war nur wichtig, darüber zu Bloggen, und schon beim Lesen wollte ich meine 10 Lieblingstexte benennen und markieren. Doch als ich bei Text 135 angelangt war, merkte ich, dass ich keine 10 Lieblingstexte markiert hatte… sondern ganze 28.

Was für ein Irrsinn. Was für ein Projekt!

buchmesse 2014 klein
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Christiane Frohmann (Hg.)

Tausend Tode schreiben. 1000 Texte über den Tod.

EUR 4,99

erhältlich bei Minimore.de.