eBooks gegen Bücher: Wird Literatur verdrängt?

Wird das Buch nur als teures Luxusprodukt überleben?

…fragten Klaus Sander, Verleger beim supposé Verlag, Verlegerin Antje Kunstmann und Hanns-Josef Ortheil, mein Hildesheimer Literaturprofessor, gestern Abend im Hamburger Bucerius-Kunst-Forum.

„Wie ist Ihre Meinung [über die Zukunft des Buches]?“, wollte (der Verlag) Antje Kunstmann am selben Tag auf seiner Facebook-Fanpage wissen.

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Meine Prognose, in einem Satz?

Bücher, die Bücher sein wollen, werden Bücher bleiben.

Und warum? Mir leuchtet ein medienphilosophisches Konzept sehr ein, bekannt als ‚Riepl’sches Gesetz‘ (Link zu Wikipedia):

Mit Einführung des eBooks stirbt das gedruckte Buch nicht aus… aber: alle Inhalte, die sich im Medium eBook „wohler fühlen“, werden abwandern/umziehen.

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Cory Doctorow beschreibt diese Verdrängungs- und Abwanderungsmechanismen detailliert in diesem (lesenswerten) Essay (Link)

…und – in allen Konsequenzen und mit beachtlichem Tiefgang – in dieser (SEHR lesenswerten) Essay-Sammlung (Link), „Content“. (Text auf Englisch, aber als Gratis-Download in mehreren Dateiformaten.)

Ich selbst habe Doctorow 2010 für die ZEIT zu seinen Thesen interviewt: (Link)

Details zu „Content“ auch hier: (Link)

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Also? Wie hilft das Riepl’sche Gesetz bei der eBook-Debatte?

Nach Riepl wird nur das, was digital einfacher und besser funktioniert – aber: trotz all der bekannten Nachteile / Probleme von eBooks, z.B. der schlechten Haptik – fortan vor allem digital zu finden sein.

Inhalte aber, die gebundenes Buch sein WOLLEN, werden auch zukünftig gebundenes Buch bleiben.

Die Analogie, die mir privat am meisten einleuchtet, ist Youtube:
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Bevor es einen Ort für bunte, kurze Zehn-Minuten-Videoschnipsel gab, auf den jeder zugreifen konnte, mussten alle Inhalte, die PERFEKT als Zehn-Minuten-Videoschnipsel funktioniert hätten, im Kino oder im Fernsehen in eine andere, längere Form und einen (meist mindestens: halbstündigen) Programmrahmen gefügt werden. (Bei Sketchen waren das z.B. Formate wie „Switch“ oder „Mad TV“).
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Erst heute, seit 2005, können diese Clips zu Youtube abwandern.
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Im Fernsehen bleiben nur noch DIE Formate, für die Fernsehen der nach wie vor sinnvollste, beste Rahmen ist (z.B. Samstagabend-Shows).
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So ähnlich hat die Erfindung des Kino das Theater nicht aussterben lassen – sondern nur jene Inhalte „mitgenommen“/“übertragen“, die von Anfang an besser als Film funktioniert hätten. Es gibt Songs, die wollen/müssen Songs in einem Album sein. Aber viele brauchen diesen Rahmen – das Album – eigentlich nicht. Und sind jetzt, als MP3s… ‚freier‘.

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Entsprechend werden eBooks und digitale Bücher den Sachbuch-, Selbsthilfe- und How-to-Markt an sich reißen. Es gibt viele Inhalte, die man sich nicht (jahrelang, aufwendig gestaltet und gebunden) ins Regal stellen muss.

Diese Inhalte haben jetzt, als eBook, ein neues Vehikel/Vessel/Medium gefunden.

Der Rest aber – alles, was als (physisches, gebundenes) Buch glücklich war – wird auch weiterhin gedrucktes Buch bleiben.

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Eine – spezifisch deutsche – Komplikation ist dabei allerdings die Buchpreisbindung:

„Aktuell orientieren sich die Preise für elektronische Bücher am günstigsten Verkaufspreis. In der Regel sind E-Books dabei circa zehn bis zwanzig Prozent günstiger als die gedruckte Ausgabe. Daraus ergibt sich ein Preisvorteil von zwei bis drei Euro bei gebunden Ausgaben und etwas weniger bei Taschenbüchern. Zu wenig, sagen viele Käufer. Schließlich lasse sich das erworbene Produkt weder weiterverkaufen noch an Freunde verleihen.“

Der vollständige Artikel hier: http://www.zeit.de/digital/mobil/2010-09/ebooks-preisbindung-ereader

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…und dann ist da noch – wie Freund S. bei Facebook einwarf – der Faktor ‚Eitelkeit‘:

„Ich glaube ja, wenn man ehrlich mit sich selbst ist, besitzt man viele Gegenstände, gerade Kulturprodukte, zu einem guten Maß aus Eitelkeit. Weil man sich über seine drei Meter Schallplatten definiert sehen möchte und die guten Bücher im Regal.

Klar, da spielt noch viel mehr mit rein: man lädt Bücher mit Emotionen auf, umgibt sich gerne mit schönen Gegenständen. Aber ich glaube, zu einem guten Teil hat man zu Büchern ein fetischisiertes Verhältnis, das viele Bücher gar nicht rechtfertigen.

Für Leute wie uns, die einen starken Bezug zum Schreiben haben, liegt die Sache vielleicht noch mal ein bisschen anders. Und jeder hat ja ein Recht auf seine Leidenschaften. Aber höchstwahrscheinlich führen ebooks einfach dazu, dass die gedruckten Bücher, die übrig bleiben, schöner werden. Konkurrenz ist ja oft hilfreich. Dann wäre allen geholfen.

Bin ich naiv?“

Nein, eigentlich nicht.

Nur bleibt eine wichtige Frage offen:  Werden Verlage den eBook-Markt so routiniert und souverän beherrschen können wie den Handel mit gedruckten Büchern?

Oder werden Raubkopien die Gewinne (und Käufer) schmälern, bis sich Printausgaben in fünf bis zehn Jahren nicht mehr lohnen?

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mehr:

2 Kommentare

  1. Die nackte Wahrheit est: pBooks (konventionelle Buecher) werden praktisch komplett aus dem Alltag entschwinden und ihr weiteres Leben in kleinen kultigen Nischen, in Museen und als Forschungsgegenstand begehen … erst langsam, zoegernd, dann immer schneller …

    wie gehabt …

    Insofern halte ich alle aufgefuehrten Ansichten fuer ausweichendes Rumgebastel oder freundlicher: die Akklimatisation mit dem Unausweichlichen durch vage hoffendes Insistieren auf friedliche, vermeintlich gleichberechtige Sinn-Nutzungs-Koexistenz …

    Emotionalien also …

    _

    Schlagzeilen der Zukunft …

    „Totgesagte leben laenger! Wer dachte, das gute alte Buch gaebe es nicht mehr … neuer urbaner Trend … Lesungen in trauter Runde blaetter sich durch richtige Buecher …“

    „… in der Welt von Heiner Mustermann scheint die Zeit stehengeblieben … hoch ragen Regale voller alter Buecher … liebevoll blickt er auf die gesammelten Werke von XYZ … “

    _

    Ein zu starker Fokus auf die durch stete Veraenderung eintroepfelnden Verluste des Lebens, gern auch mal mit dem Verlust der eigenen Jahre assoziiert, truebt den Blick auf das wesentlichere: es hat doch was genau in der Zeit zu leben, in der es einen solchen Wechsel des Mediums gibt. Die Zwischenwelt zwischen Altem und Neuem sollte man geniessen, sie ist ungemein lebendig. Alle moeglichen Empfindungen treten deutlicher zutage …

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