Wer braucht… Kultur? [Eine Debatte auf Facebook]

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Manchmal (Link) entspinnen sich auf Facebook Dialoge in einer Länge und/oder Tiefgang, die einen zweiten, längeren Blick lohnen.

Heute Abend über Kulturförderung, Zielgruppen, Theater-Subventionen… und die – erschreckend schwammige – Frage, wo „Kultur“ anfängt und aufhört.

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Hier also – copy’n’paste, aus meinem privaten Facebook-Account – eine schnelle, wilde Debatte, ursprünglich zu DIESEM Zeit-Artikel (Link) über die Kulturarbeit des deutschen Goethe-Instituts im Ausland.

Gestern Nachmittag postete ich den Link auf Facebook. Und schrieb:

Stefan: „Politikfreunde? Helft mir mal: Für die Grünen ist Kultur(förderung) keine Priorität, höre ich ab und zu, weil… Joschka Fischer vor zehn Jahren das Goether-Institut „kaputtsparen“ wollte.

Auch hier [im Artikel] stehts wieder. Und daran interessiert mich weniger: das Goethe-Insitut und die Debatten DARÜBER…

‎…als die Frage: Stimmt das? Sind die Grünen desinteressiert bis feindselig, wenn’s um Kultur geht?“

Freund M.: „Grüne? Nie gehört.“

Freund M.: „ach ernsthaft: das klingt als wäre die darstellung zu simpel unverkürzt. und politische parteien… sogar die grünen… sind etwas komplexer.“

Stefan: „Ja, natürlich. darum frage ich ja: Hat jemand Informationen für mich?“

Freund S. …postete daraufhin einen Link zum Parteiprogramm der Grünen.

Meine – zynische – Antwort: „ALLE Informationen. Direkt von der Quelle. Tolle Sache! 🙂 „http://www.deutschebp.de/g​enericsection.do?categoryI​d=2012227&contentId=704395​6

Freund S.: „Freut mich, wenn man helfen kann, lieber Stefan. :-)“

Freund S.: „Aber: Ich habe immer so ein Problem mit offiziellen Quellen von Parteien. Wenn ich von den Grünen (auf jede andere Partei übertragbar) etwas lese, dann klingt es ja immer irgendwie gut. Die schießen sich ja nicht in’s eigene Bein. Und gerade Kultur – da verscherzt sich’s ja kaum wer, ist schließlich ein Thema, was jeder irgendwie gut findet, selbst wenn man weder produziert noch viel rezipiert.

Kulturinstitutionen abschaffen ist generell böse, auch wenn man sich selbst nicht mit ihnen auseinandersetzt.

Was ich damit sagen will: Natürlich haben die Grünen ein großes, positives Statement zur Kultur. Alles andere würde ihnen schaden. Wie komplex jedoch das ausgearbeitete Konzept ist und was die eigentlichen Taten in diesem Bereich sind, zählen tausendfach mehr als dieses ‚Thesenpapier‘.“

Stefan: „Volle Zustimmung, ja.“

Anschließend postete Freundin T. den Youtube-Clip einer Bundestagsrede der grünen Abgeordneten Agnes Krumwiede (Link) und wir sprachen kurz über Krumwiedes Auftritt.

Richtig zufrieden war ich mit den Links jedoch noch nicht.

Stefan: „Leute – die Diskussion macht Sinn. Und sie interessiert mich. Aber ich hatte gehofft, von euch mit Links bombardiert zu werden über konkretes Kulturzeugs aus den letzten Jahren: „Grüne retten das Theater in Unna.“, „Grüne: Subventionen für Suppenkuche… aber nicht für Rundfunkanstalt“, ‚Grüner Bürgermeister: Integration ist wichtiger als Oper‘ usw..“

Freund S.: „Es ist tatsächlich schwer etwas zu dem Thema zu finden.“

und Freundin S., abschließend: „dass eine partei heute ein statement wie „Integration ist wichtiger als Oper“ bringt ist recht unwahrscheinlich, ums mal euphemistisch auszudrücken. und auf den offiziellen bekenntnis-Seiten zu schauen.. da muss man wohl durch die archive. hilft dir jetzt zwar nicht unmittelbar, ist aber so.

daher kann ich dir trotz zeitmangels eine kleine einschätzung geben, die die kurzrecherche im diz ergab, da es mich selbst interessiert hat: die landeskoalitionen, in denen die grünen vertreten sind, sind im zuge der sparpakete des bundes natürlich auch oft auf kulturkastration, aber die frage, wer da die schlimmsten heuchler sind.. schwierig.

augenmerk auf die letzten heißen felder: hamburg (klar), vor allem altonaer museum und die theater.. und bonn. aber die theater: sie machen im ganzen land zu, da sind sich ausnahmsweise die parteien in ihrer richtung mal einig.“

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hier beginnt der interessante/grundsätzlichere Part:

Ich postete heute Abend einen Link zur Maslow’schen Bedürfnispyramide (Link) und erklärte:

Stefan: „Kultur… ist wichtig? Oder nicht? Ich bin heute aufgeschmissen, und brauche eure Meinung/Expertise:

Die Vorgeschichte ist mein Post von gestern, über die Grünen. Ich wollte von meinem Facebook-Freundeskreis wissen, ob Kultur für die Grünen Priorität hat, und wie sich diese Haltung zur Kultur in der grünen Tagespolitik niederschlägt: Würden die Grünen für ein Stadttheater kämpfen? Ist ihnen öffentlich-rechtlicher Rundfunk wichtig usw.?

Als Antwort bekam ich in den ersten paar Stunden aber nur einen Link zur offiziellen grünen Kulturpolitik: Ein Text, den ich als ziemlich schwammig/nutzlos empfand, weil JEDE große Partei so ein .pdf irgendwo liegen hat. Keine Volkspartei würde öffentlich sagen: „Kultur ist NICHT wichtig.“

Grade sprach ich mit einer Freundin, die meinen Post und meine gestrige Frage absurd fand. „Stefan? Warum hast du gefragt, ob Kultur eine Priorität für die Grünen ist? Was soll denn so eine Frage?“

Sie sagt: Kultur – jedenfalls ‚ästhetische Kultur, z.B. Theater und die ’schönen Künste‘ – sind sehr weit oben auf Maslows Bedürfnispyramide: Menschen müssen satt sein. Menschen müssen sich sicher fühlen. Erst DANN kann über Bedürfnisse wie „Selbstverwirklichung“ nachgedacht werden. Insofern ist Kultur ein… Riesenluxus, den sich die westliche Welt zu fördern leisten kann. Aber: Nichts, von dem eine Volkspartei sagen dürfte: „Ja, klar hat das für uns Priorität.“

Ich sage: Aber Kultur ist doch überall! Mir geht es nicht [nur] um Theater: Dinge wie… Seifenopern sind auch Kultur. Alle medialen Inhalte sind Kultur.

Sie sagt: Das meiste, ja. Also, wenn du noch ‚Unterhaltung‘ dazu nimmst… sicher. Das kann auch Kultur sein. Die künstlerische Seite eben – aber nicht z.B. Nachrichten.

Ich sage: Doch. Natürlich! Nachrichten sind doch auch Kultur. Aber unbedingt. Das wird von Redakteuren geordnet, beschrieben und erklärt. Das sind… Kuratoren, die Informationen für uns aufbereiten. Auf jeden Fall ist das Kultur.

Sie sagt: Die Nachrichten kommen von Nachrichtenagenturen. Dort wird gesammelt, was wichtig ist. Das ist kein künstlerischer Akt – das sind neutrale Sammler, die ihre Meldungen weiterleiten… und dann kommen ALLE Tageszeitungen/Medien und übernehmen diese Meldungen. Da wird nicht mehr viel ‚kuratiert‘.

Ich sage: Aber hallo! Die Welt, die… ‚Die Welt‘ zeichnet, ist doch eine grundsätzlich andere Welt als die Welt, die ‚Der Spiegel‘ zeichnet. Oder der ‚Focus‘.

Sie sagt: In einer ’normalen‘ Zeitung werden Meinungen von Nachrichten getrennt. In Lokalzeitungen gibt es SO viele Seiten, in denen NUR Sachverhalte geschildert werden… das ist Informationsmanagement. Nicht aber ‚Kultur‘.

Ich sage: Künstler suchen Inhalte… und verdichten sie dann in einer dazu passenden Form. Dasselbe tun Nachrichtenagenturen doch auch: Da sitzen Kuratoren – mit einem Weltbild, Prioritäten, kulturellen Werten usw. – und entscheiden, was berichtenswert ist. Und was nicht.

Sie sagt: Nein. Da sitzen Menschen und sagen: ‚Ein Flugzeug ist in das World Trade Center geflogen.‘ DAS ist die Nachricht. DAS kommt von der Nachrichtenagentur.

Ich sage: Und dieselbe Agentur sagt doch auch: ‚Ein Big Brother-Starlet präsentiert ihren neuen Dildo auf der Reeperbahn.‘ Wer entscheidet denn, das DAS eine Nachricht ist? Die Kuratoren und Kulturschaffenden IN diesen Agenturen.

Sie sagt: Promi-News ist eher eine Form der Politik. Im Moment finden 50 Kriege statt – aber wir hören nur höchstens von einem oder zweien in den Nachrichten. Warum? Weil die Poltik ein echtes Problem damit hätte, wenn Leute wirklich ALL den Irrsinn sehen, der durch unseren Konsum / unsere globale Ausbeutung verursacht wird. Es ist ja… staatstragend, wenn die Medien dort wegsehen.

Ich sage: Ja und nein. Ich glaube nicht, dass der Staat die Nachrichtenagenturen kontrolliert… aber es IST staatstragend, ja. Deshalb ist es ja auch Kultur.

Sie sagt: Nein – deshalb ist es Politik. Und jene Aktivisten, die sich GEGEN solche Verheimlichungen und Zensuren stellen – Julian Assange zum Beispiel – sind doch keine ‚Kulturschaffenden‘. Sondern Bürgerrechtler.

Ich sage: Wenn sie etwas veröffentlichen, SIND sie Kulturschaffende, doch. Aber genauso sind die PR-Experten und Spin Doctors der Parteien Kulturschaffende. Unbedingt.

Sie sagt: Stefan – wäre ALL das Kultur, dann gäbe es doch gar keine Partei, für die (deine komische Art von Allgemein-)’Kultur‘ KEINE Priorität hatte. ALLE Parteien haben doch PR-Berater.

Ich sage: Ja. Und all diese PR-Berater prägen die Kultur. Genau wie jeder… Industriedesigner. Und jeder, der ein Stück Seife entwirft.

Sie sagt: Aber die meiste Seife WIRD doch gar nicht ‚entworfen‘. Wo ist denn Gallseife ‚entworfen‘? Das sind wirtschaftliche Gesichtspunkte. Fragen der Fertigung. Form follows function.

Ich sage: Aber auch Gallseife kommt in einer Verpackung. Und auch diese Verpackung wird von jemandem entworfen. Und um DIESE Leute geht es mir – das sind nicht furchtbar viele: Gestalter, Kuratoren… alle Menschen, die einen Inhalt in eine Form geben. Das ist ein künstlerischer Akt. Und immer auch ein Stück Weltbild… ein politischer Akt.

Sie sagt: Ich bin Lehrerin. Wie viele Menschen präge ICH? T. ist Krankenpfleger: Wie viele Menschen prät ER? Das sind doch keine Kulturschaffenden! Und das ist nichts, das man explizit fördern oder nicht fördern kann. Das gehört dazu. Rechte Parteien fördern rechte Kultur. Linke Parteien fördern linke Kultur.

Ihre abschließende Haltung: Wundere dich nicht, dass gestern niemand deine Frage nach der Kulturpolitik der Grünen gut beantworten konnte. Dir scheint ja selbst nicht klar zu sein, ob es dir um die Förderung von Opernhäusern geht… oder um diese ‚Allgemeinkultur‘. ICH finde, Opernhäuser dürfen für KEINE Volkspartei die Priorität sein. Und dieses andere – die Allgemeinkultur – das ist dann eher Öffentlichkeitsarbeit, (Bildungs-)Politik und die Vermittlung der jeweiligen Werte, die eine Partei hat. Bei den Grünen z.B. die Protestkultur.“

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die Antworten, Reaktionen, Kommentare:

Freund J. schreibt: „das heisst ja erstmal nur, dass kultur eine art von luxusgut ist, sehr weitgefasst: wenn ich alle meine grundbedürfnisse befriedigt habe, erst dann ist es für mich wichtig, herauszufinden, warum genau ich diese grundbedürfnisse eigentlich befriedigt habe, was es eigentlich heisst, für mich, als person, grundbedürfnisse zu haben, herauszufinden, wie die welt um mich herum funktioniert, und was noch so alles geht.

oder anders gesagt: diese venus von willendorf (Link).

[Das ist] so wichtig, genau wie felszeichnungen, us. usf., weil sie anzeigen, dass da etwas passiert, das über das hinausgeht, was ich brauche, um zu überleben.

aber leben und überleben sind ja zwei paar schuhe. also: kultur ist wichtig.“

Freundin N.: „Klar ist Kultur wichtig. Und diese Diskussion um erst essen und dann Kultur hatte ich auch mal.

In den Niederlanden übrigens fördern Rechte Parteien keine Kultur. Sie schaffen sie ab. Es muss gespart werden und da spart man am Liebsten an den 1% des kompletten Budget, das für Kultur draufgeht, weil bestimmte Formen von Kultur eben keine messbaren, schnell Sichtbaren Ergebnisse bringt. Aber stimmt, Design ist in und Creative Industries sind in … aber fördern muss man sich trotzdem selber.“

Freundin J.: „So, ich habs jetzt nicht alles gelesen, das Ende nur überflogen. Aber was deine Freundin über die Nachrichtenagenturen bzw. Zeitungen sagt, ist absoluter Quatsch, und ich muss es wissen, weil ich alle Nachrichtenagenturen (die allesamt schon Nachrichten kuratieren und darstellen – es gibt zum Beispiel christliche Nachrichtenagenturen, die völlig andere Meldungen tickern als bzw. DPA) mitlese. Man kann keine Nachricht neutral darstellen mit allen Hintergründen, schon die Agenturen wählen aus und stellen verschieden dar. So, dann wird nochmal in den Zeitungen in den Konferenzen ausgewählt, welche Meldung für die spezifische Leserschaft Relevanz hat und wie groß und wie prominent diese Meldung gebracht wird. Deswegen ist ja die Gesellschafts- und Klatschseite immer weiter hinten in der Zeitung als Politik und Wirtschaft.“

…und fügt hinzu: „Und die Grünen rechnen Kultur zu dem Grundrechten und fordern eine Kulturflatrate – vor allem für Kinder aus kulturfernen Haushalten.

Was Dir als schwammig erschien, ist der Schutz davor, dass den Grünen vorgeworfen wird, sie seien eine Besserverdienerpartei.

Und Kultur (vor allem: Opernhäuser) wird in Hamburg übrigens aus ganz blöden Gründen gefördert – als Standortfaktor. Weil: Fachkräfte ziehen nur in Städte, wo ihnen etwas geboten wird.

siehe: Richard Florida.

http://de.wikipedia.org/wi​ki/Kreative_Klasse (Link)

[Freund J.] hat Recht. Leider ist es so, dass irgendjemand mal entschieden hat, was förderungswürdig (also anspruchsvoll und bedürftig) ist und welche Kultur sich selbst finanziert.

Lies das mal, Stefan: Das fasst Politik und Stadtförderung [in Hamburg] zur Zeit am besten zusammen.

http://nionhh.wordpress.co​m/about/ (Link)

…und zu meiner Beschreibung der Grünen Haltung: Das ist natürlich jetzt etwas sehr zusammengefasst. Aber die haben schöne Konzepte entwickelt, vor allem von Stadtteilskultur.“

Freund J.: „nun ja, solange es genug förderer gibt, die unterschiedlichste sachen fördern, ist ja alles in butter.

aber ich habe ein problem mit diesen leuten, die sich dagegen wehren, als standortfaktor bezeichnet zu werden, oder als marketinginstrument, obwohl sie das sicher aus den richtigen gründen tun – aber ich kann ja andererseits nicht rumlaufen und sagen, hui, ich mache jetzt kultur, aber keiner kommt, weils keinen interessiert. dann habe ich zwar ein paar nette bilder gemalt, oder wasauchimmer, aber kommuniziert habe ich mit niemandem. das kanns dann ja auch nicht sein.

schwierig.“

Freundin J. antwortet ihm: „Da hast Du total Recht, ihnen gehts es nur darum, dass sie sich fühlen, als würden sie wie Zootiere gehalten. So nach dem Motto: Wenn ihr hierher zieht und hier Geld ausgebt, bekommt ihr eine seltene Art zu sehen, die halten wir nämlich hier, extra für euch.

Es geht um das Problem mit den goldenen Käfigen und das die Ecken, die sie sich mal selbst gesucht hatten, abgerissen wurden für Bürobauten.“

Freund J. antwortet zurück: „ja, ich überflog den blog gerade. wobei ja gerade die flora sich auch in dieser gegenkultur-rolle gefällt, und sich darüber definiert. und das ja auch muss, und damit ja nicht unrecht haben. ich bin ja der erste sagt, dann asst doch den ganzen kram verwahrlost und billig, das wird besser, als alles, was sich irgendein stadtplaner oder marketingmensch ausdenken kann, mit sicherheit.“

Freund T.: „was parteien in einem kulturprogramm meinen, ist wahrscheinlich das, was die zeit diese woche als „hochkultur“ bezeichnet (übrigens wird da ein ähnlicher diskurs verhandelt: warum nochmal fördern wir opern, theater, museen, die auf dem freien markt keine woche überleben würden?). die allgemeinkultur dagegen.. verkörpern parteien einfach. alles andere wäre ja auch völliger irrsinn. du kannst 16 jahre kohl natürlich im damaligen industriedesign ablesen, aber wenn die cdu die richtlinien in einem grundsatzprogramm hätte festhalten wollen, wäre sie nie zum mauerfall gekommen. was ich nicht verstehe: warum soll keine volkspartei opernhäuser in die prioritätenliste aufnehmen dürfen? was spricht dagegen, einen weiten kulturbegriff zu haben, und trotz der selbstrentablen seifenoper auch puccini bewahren zu wollen?

hochkultur vs. allgemeinkultur vs. protestkultur. ick bin überfordert.“

Freund J.: „vergiss nicht: freie marktwirtschaft gegen – wie heisst das in der kultur? planwirtschaft?“

Stefan: „Freund T? Meine Freundin sagt, wir haben einfach größere Probleme. Und ich glaube, sie fände es auch sehr schäbig von mir, wenn ich eine ‚Künstlerpartei‘ für mich suche, die sich um MEINEN Vorteil schert. Schließlich wählt sie auch keine Mütter- oder Beamten-Partei.“

Freund T.: „oh, das führt alles ziemlich weit – aber ich glaube, dass kultur kein überflüssiger luxus ist, sondern eine komplexe kommunikationsform, die sogar zwingend notwendig ist, dafür, dass es vorwärts geht. und ob „vorwärts“ nun heißt, dass wir irgendwann nicht mehr in erste und dritte welt zerfallen, oder vielleicht auch nur, dass wir unseren demokratiebegriff mal wieder einer prüfung unterziehen: kultur ist wenigstens ein zentrales reflexionsmedium solcher diskurse. als solches politisch unentbehrlich. außerdem: hey. natürlich wähle ich die eine künstlerpartei, der hotelbesitzer wählt auch die fdp. wir haben beide unsere gründe.“

Stefan: „Zur ‚Planwirtschaft‘ noch: Als mir Freundin J. 2004 das Wort ‚Mischkalkulation‘ erklärte, hat sich in meinem Weltbild ALLES verändert. 🙂

Also, ernsthaft: Die Idee, dass Verlage nicht mit jedem einzelnen Titel Profit einfahren wollen, sondern es hinnehmen/fördern, wenn die großen Erfolge die Finanzierung von kleinen, unrentableren Nebenprojekten erst möglich machen.“

Freundin J: „Das machen die Verlage aber auch nur, weil sie nicht vorher wissen können, ob ein kleines, wahrscheinlich unrentables Buch voll die Bombe wird. Weil: Aller Mainstream entsteht auch Umbrüchen, daraus, dass mal jemand was gewagt hat, was erstaunlicherweise erfolgreich wurde und was dann totkopiert wird. Siehe neue deutsche Welle in der Musik. Ein Paradebeispiel. Trios Plattenfirma hat auch nicht aus gutem Willen DA DA DA rausgebracht, sondern weil sie die Hoffnung hatten, dass das ein Burner wird. Wurde es. Finanziert durch Schlagerplatten, die es schon vorher gab und die das Label finanziert haben. Mischkalkulation.“

Stefan: „und zu Freund Ts Idee – dass Kultur (besser: die ’schönen Künste‘) uns ‚vorwärts bringen‘?

Was entgegne ich jemanden [das ist jetzt Polemik, kein Zitat meiner Freundin!], der sagt: ‚Eine Turnhalle ist wichtiger als ein Theater.‘ oder ‚Der Markt wird das schon regulieren: Wozu Schreibern noch Geld geben?‘ oder ‚Die breite Masse konsumiert keine Kultur. Das sind doch nur Eliten, die durchgefüttert werden wollen?‘ Ich meine… Richard Florida klingt erstmal nett. Aber die Thesen sind recht umstritten – und ob Hamburg eine schillernde Metropole ist oder nicht, ist 700 Kilometer weiter südlich auch nicht mehr sooo wichtig. :-)“

Freundin J.: „Ich halte Floridas Ansatz auch für gefährlich – man darf nicht immer alles eins zu eins aufrechnen. Und man kann Kultur nicht dem Markt unterwerfen, weil sich das nicht selbst regulieren kann, weil schon der Einblick und Zugang nicht bei allen gegeben ist. Das heißt: Wenn Du ein kluges neues Format bei RTL plazierst, hat jeder die Chance, dass irgendwie mitzubekommen. Aber wenn im Theaterhaus ein kluges Stück gespielt wird, bekommen davon vielleicht 10 % der Hildesheimer mit und haben überhaupt die Wahl, reinzugehen.

Aber deswegen darf man das Angebot doch nicht kappen.“

Stefan: „Vielleicht brauche ich kein ‚kluges Stück‘ aus dem Theaterhaus? Und 90 Prozent der Menschen auch nicht?“

Freundin J.: „Deswegen, und da sind wir wieder bei grüner Politik, wollen die Grünen, wenn ich das richtig verstanden habe zu meinen Zeiten, als ich mich mehr damit beschäftigt habe, Kultur dadurch fördern, dass sie Zugang ermöglichen für alle.“

Freundin S. stößt neu zu uns: „dieses der-markt-wird-das-schon-regeln-argument hat ja mit der ganzen diskussion von kulturförderung nichts zu tun. es geht doch darum zu „fördern was es schwer hat“. es werden ja bewusst genau die bereiche des kulturbetriebs gefördert, die ohne förderung „aussterben“ oder gar nicht erst entstehen würden. also es gibt seit gefühlten 30 jahren cats, was sich wohl für irgendwen rentiert, braucht man daher nicht fördern und es gibt z.b. die performance-kunst die kein so breites publikum erreicht und genau deshalb gefördert werden muss. es gibt also zwei wege kultur zu finanzieren, entweder über massentauglichkeit und rentabilität oder eben über staatliche förderung. zum glück gibt es beide wege, denn ich will weder dass allein die politik, noch dass allein die wirtschaft ALLEIN darüber entscheidet was auf der bühne (der leinwand, dem papier, dem bildschirm) passiert.

@ stefan: dann brauchen es [das „kluge Stück im Theaterhaus“] 90% der menschen halt nicht, aber demokratie heißt ja angeblich auch immer minderheitenschutz. hab ich so gehört“

Freundin J.: „S? Super, danke. Besser hätte ich es nicht auf den Punkt bringen können.“

Freundin S.: „und zum glück sitzen zumindest bei den großen geldtöpfen für kulturförderung (und eigentlich auch bei den kleineren) keine politiker mit ihren machtinteressen, sondern WIR. die beiräte, die die verteilung der gelder regeln sind alle KollegInnen, die im betrieb sind und häufig wissen was sie tun. die haben natürlich auch ihre meinungen, einstellungen, vorlieben und manchmal auch parteinähe, aber meistens sind sie als reine expertInnen berufen und handeln dabei auch so.

deswegen muss ich auch freund j. widersprechen, ich würde nie nur fördern was ich mag, sondern auch darauf achten was es besonders schwer hat und dabei die vielfalt nicht vergessen. aber wieviel geld es zu verteilen gibt, dass bestimmt halt leider die parteienpolitik.“

Stefan: „aber dass es ‚große Geldtöpfe‘ gibt, das findest du angemessen?“

Freundin S.: „natürlich nicht! ich finde die töpfe niemals groß genug!“

Stefan: „ganz ehrlich: ich auch nicht. Ich hab durch die Kultur so viele Werte, Informationen, Bilder usw. vermittelt bekommen, SEIT meiner Kindheit und immer spottbillig bis umsonst, die man mir OHNE Kultur/Kunst nicht hätte zeigen können. (Und schon gar nicht: Auf RTL.) :-)“

Freundin S.: „aber schön, dass du auf’s fernsehn kommst! das rundfunksystem ist doch auch sowas. natürlich schimpfe ich auf rundfunkgebühren, aber ich kann doch nicht ohne das öffentlich rechtliche fernsehn sein, dass weniger darauf angewiesen ist durch werbung finanzierten, massentauglichen schrott zu senden. gleichzeitig fände ich es aber auch erschreckend, wenn es nur sender gebe, deren vorstände/intendantInnen nach parteibuch ausgesucht würden. dieses system erschwert eine monopolbildung in der verbreitung von meinungen.

ich würde nie auf die privatsender verzichten wollen. das wäre total elitär. ich kann nicht von jedem erwarten, dass er sicht gut genug im internet zurechtfindet und gut genug englich kann, um sich amerikanische serien im netz anzuschauen. dafür brauchen wir pro7 und rtl :-)“

Freund T.: „schön wäre, wenn das öffentlich-rechtliche dann auch gar nicht versuchen würde, den quoten der privatsender hinterher zu hecheln, indem sie fast jeden unsinn ein halbes jahr später, schlechter und mit einer grotesken anzahl fauler kompromisse nachproduzieren würden.

sie könnten alles mögliche mit dem riesenbudget an gebühren machen, das sie bekommen – sich als (hoch-)kultur-vermittler verstehen, serien produzieren, die hbo-standards erreichen, das spannendste aus dem europäischen kino kaufen. irgendwas jedenfalls, das mir nicht das gefühl gibt, dafür auf keinen fall zahlen zu wollen (eindringlich ausgenommen natürlich nachrichten und ein paar der politischen talk-formate).

und: ich glaube nicht, dass es bei der förderung marktuntauglicher kunstsparten um minderheitenschutz geht. die 90%, die lieber rtl gucken als la traviata, haben ja witzigerweise trotzdem eine extrem hohe meinung von allem, was kein trash-tv ist.

den kultur-teil der steuerabgaben möchte nur ein verschwindend geringer anteil der bevölkerung kürzen. warum der rest nicht in die museen, theater und literaturhäuser strömt, ist eine andere frage. aber die möglichkeit muss erhalten bleiben. über vermittlungsangebote, schnittstellen zur populärkultur, über imagewandel, eroberungsstrategien und ein „was-haben-wir-eigentlich-​wirklich-zu-sagen“ kann man sich dagegen gar nicht genug gedanken machen.“

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Ich glaube nicht, dass unser Polylog damit am Ende ist…

…aber breche, für heute, ab.

Ich weiß nicht, wie *andere* Leute Facebook benutzen…

…aber mich selbst macht es irrsinnig froh: diese offenen, mäandernden, kritischen, wirren, vielstimmigen Gespräche.

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