Update / zuerst lesen:
- „Spiele im SPIEGEL“: Benedikt Plass-Fließenkämper über den Spiegel 3/2014.
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Der Spiegel vom 13. Januar 2013 will erklären, „warum Computerspiele besser sind als ihr Ruf“.
„Spielen macht klug: Warum Computerspiele besser sind als ihr Ruf:
Das ist… ein bisschen traurig und kommt zehn oder zwanzig Jahre zu spät. Dass die selben Leute, die ein Medium seit Jahrzehnten pathologisieren, jetzt sagen „Eigentlich dachten wir ja alle: Das ist reiner Schund. Oder sogar: schädlich! Aber… vielleicht… vielleicht ist ja DOCH was dran…“
…regt Gamer / Spielewissenschaftler / Journalisten / denkende Menschen in meiner Facebook-Blase auf. Und ich verstehe, warum.
trotzdem kurz an diese Gamer:
Ich verstehe, dass Videospiele viel (!) schlimmeren Anfeindungen ausgesetzt sind als alles, was ich selbst – als Fan oder Autor oder Kulturwissenschaftler – spannend finde:
Bücher. US-Serien. Superheldencomics. Netzkultur usw. usw.
Die Medien, Formate, Erzählungen, die ich mag, werden nicht SO pauschal und feindselig als Ramsch aussortiert. Ich selbst denke nicht nach jeder Schießerei und jedem Amoklauf: „Oh nein. Was macht DIESE Nachricht aus meinen Hobbies?“
Obwohl mich selbst solche Schund-, Jugendgefährdungs-, Gewalt-, Verblödungs- und Kommerzdebatten auf MEINEN Kulturfeldern VIEL weniger angreifen, bin ich selbst schon genervt, wenn dreimal im Monat irgendein Dösel-Germanist in der FAZ schreibt:
„Jahrzehntelang wussten wir alle: TV-Serien, das ist Schema F und Verdummung. Doch heute können frische, mutige Produktionen wie ‚The West Wing‘, ‚The Wire‘ und ‚Breaking Bad‘ sogar mit einem Charles-Dickens-Roman mithalten.“
Also: Schnösel-Autoren und Moral Guardians, die ein Medium durch den Dreck ziehen… und dann stolz verkünden: „Wir haben, unter all dem Schund, jetzt DOCH noch eine Perle gefunden. Hurra.“
Das macht mich müde. Strengt mich an. Schadet den Zeitungen. Insofern: Doch. Ich kann verstehen, dass die Videospielwelt nicht geschlossen jubelt „Hurra! Endlich erhalten sogar WIR den Segen des wichtigen ‚Spiegel‚!“
Trotz allem aber, an meine Spielwissenschaftler-Freunde: Bei einem Spiegel-Titel wie „Lest mehr Bücher! Es lohnt sich!“ oder „Superman: interessanter als gedacht“ wäre ich selbst, glaube ich, erstmal… beklommen und nervös. Weil… 9 von 10 Büchern, 9 von 10 Superheldencomics, 9 von 10 Dingen ÜBERALL halt Schund sind. Und keinen Spaß bringen. Und, aus meiner Sicht, nicht „mehr Aufmerksamkeit verdient haben“… sondern tatsächlich am besten: vergessen werden sollten.
Als Gamer würde ich bei einem solchen Spiegel-Titelbild nicht denken „Na endlich kapiert es auch der bornierteste Print-Spiegel-Redakteur: Videospiele sind clever! Wird Zeit, dass das im Bewusstsein deutscher Spiegel-Leser ankommt.“
sondern: „Oh. Der Spiegel kennt kluge Spiele [gute Bücher / tolle Superman-Comics]…? SO viele kluge Spiele [Bücher / Comics] kenne ich, als Experte, eigentlich nicht. Und fast keine, die einen Spiegel-Titel wert wären.]
Ist mein… Unbehagen verständlich? Klar mag ich… mein Bett. Aber würde der Spiegel titeln: „Stefan Meschs Bett: DORT sollte jeder hin. DAS ist einen Blick wert! Befassen Sie sich damit! Kommen Sie rein. Stoßen Sie dazu! Es lohnt sich!“
…hätte ich vor allem Angst.
Gibts wirklich so viele kluge Spiele, die jederjederjeder Spiegel-Leser kennen sollte, mit Gewinn spielen würde usw. usw.?
Gute Bücher (als Bücher-Experte) oder gute Comics (als Comic-Fan) könnte ich jedenfalls nicht nennen – mit einer „DAS interessiert die gutbürgerliche Best- Ager-/General-Interest-und-Studienrats-Leserschaft des Spiegel“ -Selbstsicherheit.
Ein… servicesorientiertes Nachrichtenmagazin wie Focus hätte wohl getitelt „Die Deutschen spielen sich schlau: Die 99 besten Spiele, die verhindern, dass IHR Kind auf eine Hauptschule kommt, sozial abstürzt und auf dem Schulhof von rumänischen Schlägerbanden verprügelt wird“ usw. usw.
Der „Machen-Spiele-klug?“-Satz auf dem Spiegel-Cover ist – klar! – nicht automatisch das Versprechen „Spiegel nennt Ihnen 99 Spiele, die auf JEDEN Fall JEDEN Menschen klug und glücklich machen und ALLEN Ansprüchen gerecht werden.“
Wahrscheinlich interviewen sie eine Psychologin, einen Neurowissenschaftler und irgendwen, der viel Geld verdient, aber trotzdem ab und zu auf dem iPhone ein Sudokurätsel löst.
Insofern ist meine „Oha: Ob der Spiegel wirklich SO viele gute Spiele kennt? Ich könnte jedenfalls nicht genug US-Serien, Bücher, Heldencomics nennen, um eine entsprechende Spiegel-Titelstory zu rechtfertigen!“-Sorge vermutlich eh am Thema vorbei.
Morgen erscheint die Ausgabe. Ich bin… gespannt. Wobei der konkrete Text für mich wohl zweitrangig bleiben wird. Wichtiger ist die Signalwirkung des Covers:
Der Print-Spiegel gibt „digitalen Spielen“ den Segen. Eine große Sache. Immer noch.
Freund M. schreibt auf Facebook: „In meinem Bett würde ich auch nicht alle Welt begrüßen wollen. Aber es wäre ja schonmal schön, wenn nicht immer gesagt werden würde, da stinke es und man hole sich ja eh nur Läuse.“
Spieleforscher und Kulturwissenschaftler-Freund Christian Huberts schreibt:
„Mir geht es gar nicht darum, dass es seit Jahren nur negative Berichterstattung gibt und „jetzt plötzlich/endlich“ einen Artikel mit positiven Aspekten, den ich nicht erstnehmen kann, weil vorher alles so negativ war. Nein, nein, ganz im Gegenteil. Der Spiegel schreibt schon immer recht positiv (und auf SPIEGEL ONLINE geradezu brauchbar) über Computerspiele. Gerade im Print-Bereich ist es aber jedes mal der selbe positive Artikel. Seit 10 – 20 Jahren erscheinen mehr oder weniger glaubhafte Studien zu positiven Aspekten von Computerspielen und JEDES MAL erscheint darauf hin der gleiche, lahmarschige „Computerspiele machen schlau!“-Artikel, z.B. 2004:
… JEDES MAL! Mein Problem ist nicht zu viel kritische Berichterstattung. Es gibt einfach keine gute/brauchbare Kritik. Nur faules nachplappern von Studien und veralteten Allgemeinplätzen. Und mich ermüdet diese Anbiederung an den Gegenstand, die eigentlich nur ein passiv-aggressives neues Vorurteil ist: Computerspiele sind dann gut, wenn sie einen NUTZEN erfüllen. Sie sind jedoch – Kulturgut-Geschwafel hin oder her – keine Kultur, solange nur darüber nachgedacht wird, was sie kognitiv-pädagogisch für uns leisten können.
Wenn ich eine negative Comic-Rezension in einer Zeitung lese, steht da was von platten Charakteren, sexistischen Stereotypen, Plotlöchern, blassen Zeichnungen und anderen, besseren Comics. Wenn ich einen negativen (von Rezension möchte ich da gar nicht reden) Text über Computerspiele lese, steht da was davon, dass ALLE „Ballerspiele“ kathartische Unmoralfantasien sind und man besser schlechte Comics lesen sollte. Über das Computerspiel erfahre ich nichts. Ich erfahre immer nur etwas über die Vorurteile und kulturellen Vorlieben der Autoren.
Ich WILL Kritik an Computerspielen. Vernichtende, erhellende, lückenlose und großartig recherchierte und belegbare Kritik. Aber ich bekomme immer nur „Ich mag Filme/Bücher/Theater lieber“- ODER „Computerspiele machen schlau/helfen bei Traumata/sind jetzt eine Sportart/können jetzt auch Geschichten erzählen“-Texte. DAS ist ermüdend und ärgerlich!
Was der Spiegel-Titel (und die Vorschau die ich gelesen habe) nahelegen ist nicht, dass die Redakteure da keine Ahnung haben und ich viel schlauer bin, viel mehr coole Spiele kenne. Nein, der aktuelle Spiegel legt nahe, dass die Redakteure seit 10 – 20 Jahren keine Ahnung von Computerspielen haben WOLLEN bzw. es gar nicht für notwendig halten (es gibt ja Studien!), lieber aus Distanz kritische Positionen simulieren. Und das ist auch meine Erfahrung, wenn ich Journalisten anbiete, etwas aktuelles, kritisches, relevantes zu Computerspielen zu schreiben. Dann bekomme ich angeboten, doch besser etwas über eSports, Serious Games oder World of Warcraft zu schreiben, als wäre das gerade gestern erst virulent geworden und als gäbe es nicht schon längst neuere, relevantere und auch für Nicht-Spieler nachvollziehbare Diskurse.“
mehr zum Spiegel-Titel, nochmal Christian Huberts, hier [lesenswert / viele Links!]
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und, via Philip Steimel (beginnt langsam und flach… aber stellt, gegen Ende, ein paar großartige und wichtige Fragen):
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