Grundwissen: Schweiz

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Für Ausgabe 17 von Exot – Zeitschrift für komische Literatur, erschienen im Juli 2014 und u.a. hier erhältlich, habe ich einige Wochen auf- und mitgeschrieben, was man über die Schweiz lernen kann. Aus Kinofilmen. Im Fernsehen. In Literatur.
Ich bin kein Schweiz-Experte. Aber die wichtigsten Fakten über die Schweiz erfährt man, zum Glück, ganz nebenbei:

 

Grundwissen: Schweiz. Was man über Schweizer weiß und lernt. In Kino, Fernsehen, Popkultur.

 

von Stefan Mesch

In Folge 77 von „Sliders – Das Tor in eine fremde Dimension“ (30. Juli 1999, „Eine heiße Story“) sliden die vier Sliders auf eine Erde, auf der Amerika nur noch Klatschblätter liest. Als Maggie dem Präsidenten in die Arme stolpert, nutzt die US-Regierung die Gerüchte: Ein Sexskandal im Weißen Haus lenkt vom großen Krieg ab, den die USA gerade verliert. Ihr Gegner? Die Schweiz.

In Folge 10 von „Grey’s Anatomy – die jungen Ärzte“ (23. September 2005, „Ein klarer Schnitt“) ist Meredith betrunken und verstört: Der Hirnchirurg, mit dem sie seit neun Folgen schläft, verheimlichte ihr, dass er verheiratet ist. Am selben Tag wird klar, dass ihre beste Freundin Cristina ein Kind abtreiben will… das sie vor fünf Folgen mit dem Herzchirurgen zeugte. Trotzdem verbittet sich Cristina alle Vergleiche: „Weil [du und der Hirnchirurg] nämlich eine Beziehung habt!“ – „Ach. Und das mit [dir und dem Herzchirurgen] ist…?“ – „Die Schweiz. Neutrales Territorium. Und sehr schöne Uhren!“

Im dritten James-Bond-Film, „Goldfinger“ (1964), reist James Bond in die Schweiz, um Goldfingers Goldschmuggel aufzudecken.

In George S. Kaufmans Musical „Strike up the Band“ (1927) will ein US-Käsefabrikant, um seine Herrschaft über den US-Käsemarkt zu sichern, einen Krieg gegen die Schweiz lostreten.

Im sechsten James-Bond-Film, „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ (1969), reist James Bond in die Schweiz, um zu verhindern, dass Ernst Stavro Blofeld zehn junge Patientinnen unter dem Vorwand einer Allergie-Therapie zu Schläferinnen eines globalen Biowaffen-Anschlags macht.

Unzufrieden mit der Handlung von „Strike up the Band“ (1927) ersetzte George Gershwin vor der Broadway-Premiere den bösen Käsefabrikanten durch einen bösen Schokoladenmogul.

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Im zweiten James-Bond-Film, „Liebesgrüße aus Moskau“ (1963)
, in „Der Spion, der mich liebte“ (Bond 10, 1977), „In tödlicher Mission“ (Bond 14, 1985) und „GoldenEye“ (Bond 17, 1995) reist niemand in die Schweiz – doch Schweizer Drehorte doubeln für andere Länder.

Walt Disney kannte Zermatt aus Ski-Urlauben und ließ nach Produktion seines Schweizer Kletter-Familienfilms „Der dritte Mann im Berg“ (1958) das Matterhorn im Maßstab 1 zu 100 in Disneyland nachbauen: Bis heute klettern Disney-Angestellte mit Lois-Trenker-Hut täglich Richtung Gipfel.

Privatschul-Schnösel Victor reist in der Bret-Easton-Ellis-Verfilmung „The Rules of Attraction“ (2002) als Backpacker durch Europa, spricht über alle Stationen – doch sagt zur Schweiz nur, dass er sprachlos war: „I took the Glacier Express up the Schilthorn [bekannt als Gehirnwäsche-Luxus-Sanatorium aus „Im Geheimdienst ihrer Majestät“], which is beautiful in a way I can’t describe.“ Im Video dazu streckt er den nackten Hintern Richtung Fels.

In deutschen Soaps spielen einige Schweizer Darsteller – nur fast nie Schweizer Rollen: DJane Lona Dee („Unter Uns“, ab 1995) zog 2000 zurück nach Basel. Zeitgleich kam Alex Behrend in die „Lindenstraße“, schlief mit Mutter Beimers Tochter und übernahm 2010 das Beimer-Reisebüro (heute: „Träwel und Iwends“). 2005 gewann „Verbotene Liebe“ als weltweit beste Soap die Rose d’Or von Montreux – und einige von-Lahnstein-Kinder (Rebecca, Hannes) besuchten seitdem Schweizer Internate.
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Von 1925 bis 1970 veröffentlichte Elinor Brent-Dyer Internatsromane
über patente britische Pädagoginnen, die eine „Chalet School“ in Tirol gründen, vor den Nazis auf Guernsey flüchten, in Herefordshire und Wales neue Schulen öffnen und endlich ab den 50er Jahren im Berner Oberland unterrichten. [„Chalet“? Sennhütte / Berghaus. Doch auch das triste „Wienerwald“-Äquivalent Kanadas, eine Imbisskette für Hühnchen-Formfleisch und Pommes, heißt „Swiss Chalet“.]

Auf den bewohnten drei Planeten des Urwyzden-Sonnensystems in der „Star Trek“-Novelle „Reservoir Ferengi“ (2010) gibt es Schnee, Berge, Banken und kleine, pazifistische Leute, die alle Konflikte meiden – bis die Ferengi-Händler Brunt und Gaila allen drei Welten Waffen liefern. Ein Bürgerkrieg bricht aus und das ganze Volk vernichtet sich selbst.

Wer einen Zweikampf in „Super Smash Bros. Melee“ (2001) gewinnt, ohne den Gegner anzugreifen oder verletzt zu werden, bekommt eine Gutschrift von 12.000 Pazifismus-Bonuspunkten namens „Switzerland“.

In „Popeye meets William Tell“ (1940) hat Popeye Landgang in der Schweiz – und wird von einem arroganten Pimpf namens Wilhelm Tell beschossen. „Aber nicht DER Wilhelm Tell? Wo ist Ihr Sohn?!“ Tell schämt sch sehr: Er hat ihn letzte Woche erschossen, „from under an apple“.
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In „Axis Power Hetalia“ (Manga, ab 2003) wird die Zeit zwischen den Weltkriegen als Pausenhof-und Schuljungen-Komödie mit über 40 Staaten-als-Schulkindern erzählt. Schweiz ist 18 Jahre alt und lebt als Einsiedler im Gebirge. Er liebt seine kleine Schwester Liechtenstein und tritt neutral auf – aber trägt eine Flinte. Hat für Vatikan als Söldner gearbeitet. Und ist der größte Waffenfabrikant der Welt.

Wolfsmund“ (Manga, ab 2010) erzählt vom St. Gotthard-Pass im 14. Jahrhundert – und einer Festung, in der die Habsburger jeden Reisenden in die Zange nehmen. Tatsächlich kämpften die Schweizer Eidgenossen von 1291 bis 1474 gegen Habsburger Kontrolle.

Im Mittelalter und noch „bis 1848 verdienten viele Schweizer ihren Lebensunterhalt als Söldner [„Reisläufer“] in fremden Armeen“ (Wikipedia), und Reiche wie Spanien, England, Polen, Österreich und Venedig finanzierten Schweizer Gardetruppen. Auch Lady Oscar, fiktive Leibwächterin von Marie Antoinette und Befehlshaberin des königlichen Garderegiments („Die Rosen von Versailles“, Manga, 1972), kommandiert eine Truppe Schweizer.

Heimweh („Nostalgia“) galt bis ins 19. Jahrhundert als Krankheit, beobachtet bei Schweizer Truppen in der Fremde – und als „Mal du Suisse“ / „Schweizerheimweh“ von Doktorand Johannes Hofer 1688 in Basel beschrieben. Noch Heidi (1880 / 81) wird in Frankfurt zur Schlafwandlerin – aus Sehnsucht nach der Schweiz.
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Wir Kinder vom Berghof“ (Anime-Serie, 1983) zeigt den Alltag von Dorfkindern in Rossiniére im späten 19. Jahrhundert. „Blazing Alpen Rose“ (Manga, 1983; Anime-Serie 1986) folgt Lundi und seiner Ziehschwester Jeudi – zwei Landkindern, die 1939 in Bern nach Jeudis wahrer Familie suchen.

In den 90er und frühen 2000er Jahren wurden bis zu 40 Bollywood-Filme pro Jahr in der Schweiz gedreht“, schreibt Arno Meili. Doch seitdem sinkt die Zahl. Denn: „Indische Filmfans kennen die Schweiz mittlerweile fast gleich gut wie ihr eigenes Land.“

Die Kampfszenen aus „Power Rangers“ (USA, seit 1993) stammen aus japanischen „Super Sentai“-Serien, die seit 1975 immer andere Ranger-Teams vorstellen. In der US-Bearbeitung stecken in den Zwischenszenen amerikanische Schüler unter dem Helm – im Original aber Japaner. Bis auf die Frauen: Erst 1980 gab es einen in Japan geborenen Pink Ranger. Vorher kämpften die FBI-Agentin Diane Martin („Miss America“), Drogenfahnderin Karen Mizuki („Heart Queen“) und, als erste weibliche Heldin, Peggy Matsuyama, eine 18jährige Sprengstoff-Chemikerin und Waffen-Entwicklerin mit Schweizer Vater.

Auch James Bonds Mutter Monique Delacroix ist Schweizerin. Bonds Vater ist Schotte – und geboren wurde Bond 1920 in Wattenscheid im Ruhrgebiet. Vielleicht hat deshalb auch Tara Chace, MI-6-Agentin in Greg Ruckas (grandiosem!) „Queen & Country“ (Comics und Romane, ab 2001) eine Schweizer Mutter, Annika Bodmer-Chace – und lebte, bis sie aufs Internat nach England musste, in Genf.

Baron Viktor von Frankenstein ist Schweizer – doch sein Monster wurde aus den Leichen toter Bayern gestückelt, in Ingolstadt.

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Arnim Zola, ein Schweizer Chemiker im Dienst der Nazis, klont und korrumpiert in den „Captain America“-Comics (seit 1977) und -Kinofilmen (2011 und 2014). Für „Spider-Man: Turn off the Dark“ (Broadway, 2011 bis 2014) wurde eine Nicht-Schweizer Schurkin namens Swiss Miss erfunden: mit Kegelbrüsten, im Stahlkostüm und Klingen als Tütü – halb Mensch, halb Taschenmesser. Auch in „The Tick“ (1995, Episode 14) kämpfen Schweizer Super-Schurken mit riesigen Swiss Army Knives.

Ein Football-Spiel (Oakland Riders vs. New York Jets, 17. November 1968) ging als „Heidi Bowl“ in die TV-Geschichte ein, als NBC pünktlich um 19 Uhr, eine Minute und eine Sekunde vor Spielende, die Live-Übertragung abbrach, damit ihr „Heidi“-TV-Film pünktlich startete. Alle Hotlines brachen zusammen – und Konkurrent CBS verriet später in den Abendnachrichten das offizielle Spielergebnis: „Heidi hat den Ziegenpeter geheiratet.“

In der Fantasy-Spielwelt von „World of Warcraft“ (seit 2004) gibt es viele Käsesorten: Darnassian Bleu, Dalaran Sharp, Alterac Swiss… „Wait a minute!“, fragt TV Tropes. „Alterac Swiss? How did Swiss cheese end up in Azeroth?“

Brechts „Mutter Courage“ (1941) nennt ihren jüngsten Sohn „Schweizerkas“.

und letzte Woche, in der aktuellsten Folge „Grey’s Anatomy“ (1. Mai 2014, „We are never ever getting back together“) dozierte Cristina auf einem Symposium in Zürich – und sah den Herzchirurgen, dessen Kind sie 206 Folgen zuvor verlor (Eileiterschwangerschaft) und der sie 2006, am Tag der Hochzeit, sitzen ließ: Er leitet das Schweizer Krankenhaus. Zeigt stolz 49 Bio-3D-Drucker. Und bietet ihr den Posten an – damit sie Glück und Frieden findet in der Schweiz. Und dort das allererste menschliche Herz ausdruckt.

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Stefan Mesch, *1983, lebt bei Heidelberg und schreibt seinen Roman über Fernsehen und die 90er, „Zimmer voller Freunde“. Er bespricht Bücher für ZEIT Online, Comics für den Berliner Tagesspiegel und war Redakteur bei BELLA triste in Hildesheim.

Seit 2009 lebt er drei Monate pro Jahr in Toronto – einer Stadt, die Peter Ustinov 1987 beschrieb als „New York, run by the Swiss“.

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