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Ich spreche am 12. Januar bei „Lesart“, dem Literaturmagazin von Deutschlandradio Kultur über Buch-Vlogger auf Youtube: ab kurz nach 10 Uhr, live im Radio und zum Nachhören.
Auf der Deutschlandradio-Website gebe ich ein paar begleitende Empfehlungen.
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Ich schreibe u.a.: Etwa 80 Deutsche stellen aktuell mehrmals im Monat Bücher in eigenen „BookTube“-Videos vor. Mit den Werbeeinnahmen und Karrieren der Schmink- und Mode-, Gaming- und Comedy-Stars lässt sich die kleine, vernetzte Nische nicht messen. Trotzdem sind viele Vlogger vor allem für Jugend- und Fantasy-Verlage wichtige Multiplikatoren. Und Vorbilder? Buch-Botschafter? Ansprechpartner?
„Ich weiß, dass wir ‚BookTuber‘ von den ‚hohen Literaten‘ oft schief angeschaut werden. Dazu gab es ja bereits mehrere Medienberichte“, erklärt Andrea „Kossi“ Koßmann, mit 15.000 Abonennten eine der erfolgreichsten deutschen Stimmen. „Mich bringen solche Berichte eher zum Schmunzeln. Ich weiß, dass ich kein Literaturkitiker bin und mich auch nicht so darstelle. Wie die anderen Booktuber eben auch.“
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„Blog“ ist die Kurzform von „Weblog“. Menschen wollten ihre Routen und Fundstücke durch ein Thema öffentlich festhalten – ein Fahrtenbuch durchs Internet. Dabei zeigen sie zwangsläufig auch ein Stück von sich. Bei Vlogs, Video-Blogs wird das verstärkt: Die BookTuber, die mich genug fesseln, um ihnen fünf, zehn Minuten meiner Zeit zu schenken, fielen mir nicht durch Buchauswahl, Argumente oder druckreife Sprache auf.
Sondern durch Witz, Tempo, Charisma, Verschrobenheit. Stimmen, die ich gern quasseln, schwärmen und erzählen höre. Menschen, die glauben, sie zeigen vor allem Bücher. Aber die – wie Elke Heidenreich, Irisch Radisch – dabei auch eine Menge von sich selbst verraten. Sechs Empfehlungen:
- Andreas Dutter, Brividolibro
- Peachgalore
- Buchhändler Hauke Harder
- Leseeule Theresa
- Der Buchtoaster: Nick
- [Update, 20. Januar] Heymann.TV
…und „Herbert liest“, Herbert Grieshop
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Es gibt Deutsche, die auf Youtube Geld verdienen; viele werden mittlerweile von deutschen TV-Studios oder professionellen Agenten/Agenturen vertreten und vermarktet. Sie sind keine Einzelkämpfer/Amateure mehr.
[toller Text über den Abschied von Y-Titty: Link]
Ein guter Text über Erfolg auf Youtube: „Famous and broke. The sad Economics of Internet Fame“
Die bekanntesten deutschen Booktuber sind Andrea Kossmann [ca. 3000 Views pro Video] und die Beauty-Bloggerin Sara Bow [ca. 5000 Views]. Bow wurde im Sommer 2015 auch kritisch in der SZ portraitiert; Buchblogger Thomas Brasch schrieb eine Untergang-des-Abendlandes-Polemik über ihren Erfolg als Symptom eines allgemeineren Kulturverfalls.
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Wie gesagt: „Blog“ kommt von „Weblog“. Ein Reise-, Log- und Fahrtenbuch eines Menschen durch ein bestimmtes Thema. Deshalb denken wir bis heute, dass bei Blogs das THEMA im Vordergrund steht. Bei Vlogs/Videos aber sind Haltung, Duktus, Ausstrahlung des Menschen viel präsenter: Es geht VIEL weniger um „Was habe ich gelesen? Ist es gut oder schlecht?“ als um „Wie sieht ein Mensch aus, der liest? Wie du, vielleicht? Erkennst du dich in mir?“
Booktuber geben solcher… Leseleidenschaft, Bücherfans und oft auch Jugendbuch- und Fantasy-Fangirls und -Boys ein Gesicht. Wir können uns auf Youtube mit Menschen gemein machen, die Bücher lieben. Können sie beobachten. Uns selbst in ihnen finden. Codes, Sprache dieser Bücher-Begeisterung üben. Lesen wird attraktiv, weil/falls wir die Lesenden attraktiv finden.
[Texte im Feuilleton sind oft ähnlich voll mit Jargon und Ausschlüssen; identitätsprägend fürs ältere Bildungsbürger-Publikum. Doch es gibt wenige Feuilleton-Figuren, die älteren Lesern immer wieder spiegeln: „Schaut! So sieht ein Buchliebhaber aus! Ganz ähnlich wie du. Leben mit Büchern ist attraktiv!“ Elke Heidenreich? Christine Westermann? In der E-Literatur ist das ein Teilaspekt. Bei Booktube/Vloggern Dreh- und Angelpunkt.]
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Probleme/Kritik:
„Es geht nur ums Geldmachen“:
Nein. Fast niemand kann von BookTube-Videos leben. Wie Buchblogger sind auch Vlogger oft unkritischer als Feuilleton, schwärmen sehr – und freuen sich über fast jedes Leseexemplar, viele Marketingkampagnen eines Verlags. Viele BookTuber reden über Glitzer-Schriftarten, packen riesige Second-Hand-Buchpakete aus („unboxing“-Videos), einiges wirkt irrsinnig unkritisch. Aber: das ist Fan-Verhalten. Keine Dauerwerbesendung. Die Dauer-Begeisterung ist anstrengend, einseitig, oft langweilig. Aber sie kommt von Herzen!
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„Es geht nicht um Literaturkritik“:
Andrea Kossmann: „Ich lese halt zum ‚Abschalten‘ und zur Unterhaltung und nicht, um nach dem Lesen eines Buches eine Doktorarbeit zu schreiben. Deshalb halt auch immer nur der Griff zur Unterhaltungs- und nicht zur ‚hohen‘ Literatur.“
Als Kritiker glaube ich, dass hier gerade etwas aus dem Ruder läuft: Vor etwa drei Jahren wurde eine Qualitätsdebatte um Literaturblogs (nicht -vlogs) geführt – und viele Blogger verteidigten sich mit: „Ich bin kein Kritiker – und will keiner sein. Kritiker haben Kriterien. Ich schreibe einfach auf, was ein Buch mit MIR macht.“
Dieses Argument ist mittlerweile in zu vielen Debatten mutiert zu: „Ich weiß nicht genau, was Kritiker sind. Im Feuilleton bewerten ältere Männer Bücher nach einem komplexen, objektiven Kriterien-Katalog, den ich nicht kenne, weil ich nicht Germanistik studiert habe. Kritiker sind immer objektiv. Ich rede über meinen Eindruck. Das ist völlig verschieden.“
Als Literaturkritiker wird man von Blog-Freunden behandelt, als sei man Mitglied einer geheimen Elite-Loge. Ein Druide mit okkultem Germanistenwissen. Mir sind die meisten BookTube-Videos zu langsam, schleppend, verplappert. Vor allem vloggende Frauen wirken oft, als würden sie sich unwohl fühlen vor der Kamera. Viele benutzen – aus Unsicherheit? – zu viele Floskeln: Begrüßungen klingen oft wie bei Tanten, die fremde Kinder aufheitern wollen. Ein künstliches Lächeln. Phrasen und Worthülsen. „Huhu, meine Lieben. Heute gibt es wieder etwas gaaaaanz… Besonderes!“
Umgekehrt lasse ich mich immer wieder von Vloggern begeistern, weil ich ihnen gerne zuhör: laute, energische, manchmal boshaft-überspitze Menschen. Energiebündel. Leute, mit denen ich gern Zeit verbringen würde. Es sind nicht die Inhalte/Bücher, die mich fesseln. Sondern immer das Charisma und Tempo der Sprechenden.
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BookTube wächst, weil es immer mehr und bessere Kameras gibt und wir uns alle z.B. durch Skype daran gewöhnen, vor Kameras zu sprechen. Doch Vlogs über Videospiele, Drogerieprodukte oder Comedy wie „Ich frage meine Oma, was ‚Sexting‘ und ‚Shitstorm‘ bedeutet“ können 200.000 Zuschauer erreichen. Buch-, Literatur- und Bestseller-Themen nicht.
Ich sehe wenig Wachstum: Einzelne BookTuber können Vertraute werden, glaubwürdige Empfehler, gefragte Testimonials. Falls ich Kossis Buchgeschmack liebe, liefert mir meine „Netz-Freundin“ Kossi regelmäßig Tipps. Das wissen Verlage. Und Andrea Koßman. Doch das ist keine Industrie, kein Massenphänomen – sondern Empfehlungen, geteilte Begeisterung zwischen ein paar wenigen, gut vernetzten Liebhabern und Buchfreaks.
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Die Feuilleton- und E-Literatur-Menschen, die mit größerem Produktionsaufwand oder redaktioneller Vorbereitung online über Bücher sprechen wollen, merken schnell: Auf 3sat etc. erreicht das mehr Zuschauer. Aufwand und Ergebnis stehen in keinem Verhältnis: Warum „Kulturzeit“-ähnliche Fomate für Youtube produzieren… so lange es noch „Kulturzeit“ gibt?
Sehr guter und interessanter Bericht! Dankeschön dafür 🙂
Das ist nett von Dir, dass Du diesen Beitrag zu Sara Bow aufgreifst. Ich hatte ihn aber nicht in der von Dir beschriebenen Absicht verfasst. (Buchblogger Thomas Brasch schrieb eine Untergang-des-Abendlandes-Polemik über ihren Erfolg als Symptom eines allgemeineren Kulturverfalls.) Ich schrieb ihn damals, weil mich nervte, dass die Mehrheit in meinem Netzwerk der Auffassung war, dass ihre Form der Literaturvermittlung völlig ok sei. Und das fand und finde ich eben nicht.
Von kulturellem, bildungsbürgerlichem Niedergang des Abendlandes wirst Du bei mir nichts lesen. Im Gegenteil: https://thomasbrasch.wordpress.com/2014/11/12/die-invasion-der-barbaren/