
„My brother’s Husband“, Manga von Gengoroh Tagame, ausgestellt im Schwulen Museum
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Seit 2008 lese ich Graphic Novels und Superhelden-Sammelbände; gelegentlich auch Manga. Ich gebe aktuelle Empfehlungen, schreibe fürs Comic-Ressort des Berliner Tagesspiegel und spreche bei Deutschlandradio Kultur. Mich freut, dass ich 2008 nur zum Vergnügen, vor allem beim Bahnfahren, „Superman“-Comics las – doch heute die Feuilletons und Redaktionen, für die ich arbeite, immer wieder sagen: „Spannendes Thema! Mehr davon.“
- schwule und lesbische Comic-Tipps für Teenager (2012)
- schwule und lesbische Jugend- und Young-Adult-Romane (2015)
- Frauen in Comics: Empfehlungen (2015)
- Batwoman & Renee Montoya – meine lesbischen Lieblings-Superheldinnen. (Empfehlungen, 2012)
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SuperQueeroes – Unsere LGBTI*-Comic-Held_innen
„Zum ersten Mal widmet sich in Deutschland ein Museum dem vergleichsweise neuen Thema „queere“ Comics: also Comics mit LGBTI*-Charakteren. Der Fokus liegt dabei auf „Superheld_innen“, womit nicht nur die gängigen Supermänner und -frauen gemeint sind, die im US-amerikanischen Mainstream-Comic in den letzten Jahren Coming-out-Geschichten erlebt haben. Vielmehr geht es auch darum zu zeigen, wie heroisch Alltags-Storys von LGBTI*-Menschen sein können, die sich in einer heteronormativen Welt – auch einer von Zensur und Codes dominierten Comic-Welt – durchsetzen mussten bzw. immer noch müssen.
[…die Ausstellung zeigt] sowohl in Europa bekannte Künstler_innen wie Tom of Finland, Alison Bechdel, Ralf König, Wolfgang Müller, Gengoroh Tagame, Nazario oder Howard Cruse, als auch Künstler_innen wie Megan Rose Gedris, Erika Moen und Kylie Summer Wu.
Kurator_innenteam: Michael Bregel, Kevin Clarke, Natasha Gross, Hannes Hacke, Justin Hall, Markus Pfalzgraf, Mario Russo. Ausstellungsdesign: Matthias Panitz“
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Am Montag stellte Kurator und Politikjournalist Markus Pfalzgraf in einem knapp einstündigen Vortrag große Pioniere, persönlichere Fundstücke und internationale aktuellere Cartoons, Projekte und Reihen vor:
Pfalzgraf ist Autor von „Stripped: The Story of Gay Comics“ (Bruno Gmünder, 2012)
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Ein sympathischer, ausgewogener, gut präsentierter Querschnitt. Pfalzgraf sprach recht nüchtern-kuratorisch – als Literaturkritiker dachte ich an vielen Stellen: „Sag nochmal laut, wie toll, komplex oder blöd-sexistisch viele dieser Titel sind. Mehr Leidenschaft, mehr Wertung, mehr Kritik!“ Wir haben unterschiedliche… Betriebstemperaturen.
Ich bin gewohnt, dass immer wieder „Wer will das lesen?“-Debatten ausbrechen um queere Figuren, Minderheiten, Repräsentation, Sichtbarkeit im Mainstream: Jede Woche lese ich neue Essays und Artikel über… einen schwarzen Spider-Man, eine muslimische Ms. Marvel, Frauen in Videospielen und „Star Wars“, transsexuelle Figuren in US-Serien, schwarze Preisträger*innen bei den Oscars. Immer wieder fragen Laien, Freunde, konservative Kritiker*innen: Was ändert das? Wem hilft das? Warum ist das wichtig?
Ich bin gewohnt, dass jede nicht-weiße, nicht-heterosexuelle Figur eine solche Grundsatzdebatte eröffnet – und war überrascht, dass Vortrag und Ausstellung im Schwulen Museum stattdessen recht nüchtern zeigen: Früher gab es kaum queere Figuren. Heute langsam immer mehr.
Die Hintergründe, Debatten, Marktmechanismen, Widerstände, die großen Sinnfragen – „Was ‚bringt‘ eine lesbische Batwoman?“, „Warum wandten sich Superhelden-Comics lange Zeit vor allem an weiße, junge, heterosexuelle Männer?“ etc. – sind für mich täglich so präsent… ich wünschte, die Ausstellung würde mehr über Protest und (Selbst-)Zensur, Angst und Widerstand, Verlage und Zielgruppen erzählen.
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Vielleicht passiert das während Führungen. Die nächsten Termine:
- Samstag, 13. Februar um 16 Uhr Führung zu „Superqueeroes“
- Donnerstag, 18. Februar um 18 Uhr
- Samstag, 27. Februar um 16 Uhr Führung zu „Superqueeroes“
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Ich kenne das Schwule Museum seit letztem Sommer und einer Lesung von Freund, Autor, Disability-Experte Kenny Fries. Helle Räume, engagierte Mitarbeiter. Das „SuperQueeroes“-Veranstaltungsplakat stieß mich ab: amateurhafte Figuren, 90er-Jahre-Copy-Shop-Ästhetik. Doch die Ausstellung selbst ist einladend, professionell.
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kuratorischer Text zum Mainstream-Superhelden-Bereich der Ausstellung […alle Schilder und Beschriftungen sind zweisprachig.]
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nur kurz, als Liste:
LGBT-Graphic-Novels, die ich empfehlen kann:
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ALISON BECHDEL: „Fun Home“ (autobiografische Graphic Novel, 2006)
HOWARD CRUSE: „Stuck Rubber Baby“ (autobiografische Graphic Novel, 1996)
JUDD WINNICK: „Pedro and Me“ (autobiografische Graphic Novel, 2000)
SARAH LEAVITT: „Tangles: A Story about Alzheimer’s, my Mother, and me“ (autobiografische Graphic Novel, 2010. Deutscher Titel „Das große Durcheinander“)
DAVID SMALL: „Stitches“ (autobiografische Graphic Novel, 2009)
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GREG RUCKA: „Gotham Central: Half a Life“ (Batman-Comic mit lesbischer Polizistin)
…und die „Batwoman“-Reihe: Band 1 bis 4 sind besonders gelungen. Band 0 war etwas hakelig/mühsam.
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solide, aber mit deutlichen Schwächen:
NICOLE J. GEORGES: „Calling Dr. Laura“ (autobiografische Graphic Novel, 2013)
ELLEN FORNEY: „Marbles: Mania, Depression, Michelangelo and me“ (autobiografische Graphic Novel, 2012)
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überbewertet, keine Empfehlung:
TERRY MOORE: „Strangers in Paradise“ (halb Thriller, halb Seifenoper, viel Comedy: zwei ungleiche Freundinnen und ihre ständig wechselnden Gefühle füreinander)
MATT FRACTION: „Sex Criminals“ (heterosexuelles Paar merkt, dass sie beim Sex die Zeit anhalten können: sympathischer Comedy-Thriller – doch nicht halb so alternativ, originell oder tiefgreifend, wie sich Autor Matt Fraction das wohl wünscht/vorstellt.)
JULIE MAROH: „Blue is the warmes Colour“ (platte Figuren, einfallslose Konflikte: wirkt wie aus den 80ern.)
NOELLE STEVENSON: „Lumberjanes“ (Kinder-Comic über junge, teils queere Pfadfinderinnen und allerlei Geheimnisse. Viele Fans, aber einfallsloser und oft sehr kitschiger magischer Realismus, viel seichtes „Girl Power“-Gerede)
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heterosexuelle Figuren – aber ein recht queerer, alternativer Blick auf die Welt:
YUKI KODAMA: „Sakamichi no Apollon“ (Manga-Reihe, 10 Bände, 2008 bis 2012, längere Empfehlung hier)
DANIEL CLOWES: „Ghost World“ (Graphic Novel, 1998)
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Snapshots der anderen aktuellen Ausstellungen im Schwulen Museum:
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