
Am 31. August durfte ich bei Deutschlandfunk Kultur über eine neue Sitcom/Comedyserie in der ZDF-Mediathek sprechen:
Gespräch mit mir: 6 Minuten (Audio, Link)
Zusammenfassung des Gesprächs (Text nicht von mir, Link)
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Frausein als Taktik
Die ZDF-Sitcom „The Drag and Us“ findet Gender lästig
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Franziska leitet einen Schlossereibetrieb und zieht allein zwei Söhne groß: Freddy ist noch Kind und hat einen Online-Kanal für möglichst brutale Video-Streiche. Nikki ist fast erwachsen, will statt zur Klassenfahrt heimlich in ein Wellness-Hotel, und als ihm nicht gelingt, Franziska 300 Euro abzuluchsen, vermietet er sein Zimmer unter – an Christian, der sein Geld mit Auftritten als Drag Queen „Catherine“ verdient. Acht kurze Folge zeigt die ZDFneo-Comedy von u.a. Tom Gerhardt („Hausmeister Krause“, „Ballermann 6“), wie die pragmatische Mutter an einem unreifen, selbstverliebten und aggressiven schwulen Mann verzweifelt, der wahllos Perücken trägt, „sie“ genannt werden will – und sich in ihrem Leben einnistet: eine Drag Queen, die, so der Pressetext, „nicht so ganz zwischen der Bühne und dem echten Leben unterscheiden kann.“
Drag ist nicht ganz das selbe wie Travestie – bei der sich Leute „im Fummel“ als Show und Performance als beliebige Geschlechter, oft als prominente Diva oder Ikone, verkleiden. Drag Queens dagegen haben einen festen Namen (hier eben: Catherine), sind weibliche Kunstfiguren – und laden mit überspitzten Aussagen und sarkastischen Statements ein, Geschlechterrollen und Sexismus zu hinterfragen. „The Drag“, „die Drag“ wie hier in der Serie hörte ich noch nie jemanden sagen (es heißt „the Queens“), und wo Christian endet, Catherine beginnt, wirkt völlig undurchdacht, beliebig (und zu oft: transfeindlich). Figuren sagen „er, sie, es“ und „die Transe“, und als Franziskas Exmann mit Catherine schlafen will (bis er die Hoden sieht!), freuen sich die Söhne über peinliches Videomaterial und überlegen, ob Papa weiß, „dass SIE ein ER ist.“ Christian ist nicht trans, sondern performt nur eine Frauenfigur – doch so lange auch trans Menschen mit den selben Sätzen entwertet und als Täuschung, Trick, falsche Behauptung diffamiert werden sollen, ist solche „Comedy“ ein Schlag ins Gesicht.
TV über Drag-Performances holpert fast immer: RuPauls Netflix-Dramedy „AJ and the Queen“ wirkte zweitklassig. Im deutschen Format „The Diva in me“ sollten Drag Queens gestresste Alltagsmenschen (und Boulevard-Promis wie Claudia Obert) zu mehr Mode und Ego ermuntern. Der ProSieben-Drag-Wettbewerb „Queen of Drags“ setzte auf Heidi Klum und Bill Kaulitz. Auch beim international wichtigsten Drag-Format, „RuPauls Drag Race“, sind die Debatten, Essays und Grundsatzfragen drumherum oft wichtiger, progressiver als die Sendung selbst: Es gibt trans Frauen, die Drag machen. Es gibt nichtbinäre Drag-Figuren und nichtbinäre Menschen, die Drag Queens oder Drag Kings darstellen. Bei „Drag Race UK“ darf 2021 zum ersten Mal eine Frau, die nicht trans ist, als Drag Queen antreten: Victoria Scone.
Solche Fragen sind dem bieder erzählten, bieder inszenierten ZDF-Klamauk egal: Christian/Catherine hat nichts Tieferes zu sagen über Geschlecht als Performance, über Queerfeindlichkeit und über die große Hoffnung vieler Menschen, dass Weiblichkeit, Mann-Sein, Geschlecht endlich nichts mehr sind, das irgendwer von außen, institutionell, über eine anderen Menschen pfropfen und bestimmen darf: nur noch man selbst, für sich. Weil „The Drag and Us“ Familie und Kinder zeigt und so simpel, geradlinig gefilmt ist wie viele Kinder-Sitcoms auf z.B. Nickelodeon und dem Disney-Channel, weckt Folge 1 die Hoffnung: Hier können Acht- bis Zwölfjährige viel über Gender lernen. So, wie im echten Leben Drag Queens oft in Kindergärten und Bibliotheken Vorlese-Stunden halten – auch, um Kinder bei Kleidung, Schmuck und Stil zu eigenen Wegen zu ermutigen.
„The Drag and Us“ denkt Catherine, ihr Selbst und ihre Positionierung in einer meist queer- und frauenfeindlichen Welt nicht durch. Nicht einmal über Franziska, die als „burschikos“ beschrieben wird und sich an Catherine interessant reiben könnte, haben die acht Folgen viel zu sagen: Die Drag Queen ist wie ALF. Ein Fremder, der sich in einem Haushalt eingenistet hat, kaum Rücksicht nehmen kann/will und alles läppisch durcheinander bringt. Im Pressetext klagt die Autorin Gabriele M. Walther, dass Kollege Tom Gerhardt im fünften Stock wohnt und eine Drag Queen ihn bat, ihren Koffer nach oben zu tragen. „Ich habe meine schwere Tasche wieder allein hochgetragen“, erklärt sich Walther, „und dachte mir: Irgendwas mache ich falsch. Diese Begegnung hat mich nachhaltig beschäftigt.“
Nach dieser Logik zeigt „The Drag and Us“ gehässige, freudlose, gierige Figuren, die um ein Bett, ein Zimmer, schnellen Sex oder ums Prellen der Zeche streiten und jeden billigen Trick nutzen. „Ich bin eine Frau“ ist der billige Trick, den Christian nutzt: Geschlecht als Vorwand, um sich Extrawürste zu sichern, und queere Menschen als Eindringling, Last, Stolperstein (und bunter Schoßhund). Ein trostloses, un-witziges Tauziehen – etwa, wenn „Catherine“ dem Hausmeister sagt, sie sei eine Lady und kann darum auf keinen Fall die Mülltrennung einhalten: Schmutz sei zu schlecht für ihre Maniküre! Was solche Plots genderqueeren Leuten antun, trans Frauen und eigentlich allen, die gern mal ihre Fingernägel machen? Ist das ignorant – oder schon bewusst reaktionär?
„The Drag and Us“
eine Serie von Martin Duffy, Gabriele M. Walther und Tom Gerhardt
Regie: Franziska Meyer Price
8 Folgen, je ca. 25 Minuten
ab 31. August wöchentlich auf ZDFneo und in der ZDF-Mediathek
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großteils vernichtende Kritken auch bei:
TV Wunschliste (Gregor Löcher)
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meine Notizen zum Gespräch:
Der Produzent Tom Gerhardt hatte in den 90ern eine Serie namens „Hausmeister Krause“ – und das hier hat den selben Ton; fühlt sich an wie fast 30 Jahre alt. Es gibt Gelächter vom Band. Simple Kulissen. Figuren, mit GANZ dickem Pinsel gemalt.
Das ist erstmal nicht schlimm – es gibt noch heute viele Kinder-Sitcoms (auf z.B. dem Disney Channel), die genau so aussehen und erzählen. Deshalb dachte ich in Folge 1: Das ist schlicht, simpel – vielleicht richtig gut für neun- oder zehnjährige Kinder. In dem Alter sah ich ja auch „ALF“.
Und ALF liegt hier echt nahe… weil auch hier eine fremde und „exotische“, exotisierte Figur einen ordentlichen Haushalt und eine Familie stört. Im echten Leben gibt es viele Drag Queens, die z.B. in Kindergärten oder Bibliotheken vorlesen – weil diese Künstler*innen, diese Kunstfiguren Kindern Mut machen wollen: Probiert euch mit Mode aus. Schaut, was zu euch passt. Traut euch! Deshalb hier anfangs meine… Euphorie:
Vielleicht ist das gut für Kinder!
Klingt, als wäre die Euphorie dann schnell verflogen…
Ja. Es ist krass transfeindlich.
Und das muss man erstmal hinkriegen – bei einer Serie, in der gar keine trans Figuren vorkommen:
Drag Queens – das sind Leute, die auf Bühnen, als Kunst/oder zum Geldverdienen im Club feminine Kunstfiguren darstellen (wie „Travestie“ – nur, dass eine Drag Queen immer den selben Namen hat, und Travestie oft mehr so ist: Heute bin ich als Madonna unterwegs, morgen spiele ich wen Neues.)
Gar nichts damit zu tun haben erstmal Crossdresser: Das sind Leute, die – aus allen möglichen Gründen – gern Kleidung tragen, die nicht ihrem Geschlecht entspricht („Transvestit“ ist da nicht mehr das gängige Wort).
Und trans Leute (und oft: Intersex-Leute) haben nicht das Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde („Transgender“).
All diese – oft sehr verschiedenen! – Gruppen werden oft entwertet und angegriffen in exakt der selben Sprache – und wenn eine ZDF-Serie wörtlich sagt:
– ich sage jetzt das transfeindliche Wort –
„Tr*nse“
schmeißt sie das zusammen und trifft sie das ALLE.
Was ist das denn genau für ne Hauptfigur, dieser Christian, bzw. Catherine?
Christian ist – anders als alle realen Drag Queens, von denen ich je hörte – nicht: Christian der schwule Mann, der aus dem Haus geht und eine Performance macht.
sondern „die Drag“, die einfach daheim oder zum Feiern usw. fast immer „im Fummel“ ist, mit „sie“ angesprochen wird und mit allen Männern flirtet. Wenn dann in der Serie ein Mann drauf einsteigt, lachen die anderen Figuren und sagen „Ha, ob unser Papa überhaupt weiß, dass SIE ein ER ist?“, und dann merkt der Papa aber: „Uff, die Catherine hat ja Hoden. Oh, da wurde ich fast böse verarscht!“
…und das ist einfach DAS typische transfeindliche Szenario:
Der Vorwurf, trans Frauen „verkleiden“ sich als Frau, um Männer zu täuschen, oder sich in Frauenhäuser, Schutzräume zu schmuggeln – und Catherine/Christian tut das als… Fetisch? Trick? Egoismus? Spaß? Man weiß es nicht.
Doch es ist ein SEHR kalter Blick auf eine SEHR rücksichtslose Figur.
Was ist denn das Anliegen hier? Was für ne Idee steckt hinter dieser Geschichte?
Die Folgen sind alle wie ein Schwank, eine Farce, eine Posse. Also: ulkige Verwechslungen. Alle verarschen sich.
Das ZDF selbst sagt dazu: Das ist „eine Drag Queen, die nicht so ganz zwischen der Bühne und dem echten Leben unterscheiden kann.“
Eine Autorin der Serie, Gabriele Walther, sah eine Drag Queen – mit einem Koffer im Flur. Tom Gerhardt trug den Koffer dann hoch in den fünften Stock.
Die Autorin sagt, sie dachte sich: Was mache ich als Frau falsch – dass DIE das getragen kriegt, ich nicht. Das ist das Weltbild dieser Serie: Theatrale queere Menschen schaffen es, dass die Mehrheitsgesellschaft ihnen Extrawürste bietet und auf sie eingeht.
Sie tun das aus Gier, Faulheit, Geltungssucht – weil sie nie erwachsen wurden und „nicht ganz unterscheiden können“.
Dabei gibt es ja mittlerweile schon einige Formate, oder? Die da bisschen genauer hinschauen und Drag eben als Kultur und Kunstform erzählen.
Ich höre Drag Queens am liebsten direkt zu, auf ihren Kanälen – schreibt z.B. Bambi Mercury einen Text, lerne da immer was.
Den wichtigsten Drag-Wettbewerb, „RuPauls Drag Race“, kann man auf TVNow kucken. ProSieben hatte nen deutschen Abklatsch, „Queen of Drags“ mit Heidi Klum – da haben alle zurecht gefragt: Warum moderiert das keine Drag Queen?
1994 gabs im Ersten eine Serie über zwei Männer, die ein Restaurant führen und ein Paar sind, „Durchgehend warme Küche“. Kam Nachmittags, sah ich mit 10, war keine große Kunst – aber eben: normal. Und so weit waren öffentlich-rechtliche Sender schon mal.
„The Drag and Us“ ist nicht in jeder Szene: unterste Schublade. Doch auf jeden Fall: unterste Schublade dafür, was ich vom ZDF erwarte.
