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am 18. März 2022 sprach ich bei Deutschlandfunk Kultur über zwei neue Serien über Unternehmen, Gier und Hype:
Gespräch mit mir (Link: Audio, 6 Minuten)
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„WeCrashed“ und „The Dropout“
Wie Apple sich über Apple-Fans erhebt
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Im Juni 2007 steht Elizabeth Holmes (23) für Stunden vor einem kalifornischen Apple-Store und wartet auf die Chance, Geld für ein erstes iPhone ausgeben zu dürfen. Menschenmassen sehen zu, wie erste Apple-Fans ins Geschäft und an die Kasse dürfen. Jemand mit Brille, der als erstes Einlass fand, stürzt auf die Straße, hält das Gerät zum Himmel, jauchzt und jubelt. Ein großer Moment. Alle klatschen. Think different!
In acht meist 50 Minuten langen Folgen erzählt „The Dropout“ (ab 20. April 2022 auch auf Deutsch bei Disney+) von Unternehmerin Elizabeth Holmes – im Januar 2022 wegen Betrugs verurteilt. Als Teenager hängt sie sich Steve Jobs als Poster übers Bett und sucht recht wahllos eine große Idee, um irgendwie die ganze Welt zu formen. Ein schickes Gerät in jedem Haus, das Blutbilder erstellt – mit einem einzigen Tropfen Blut? Und damit also die Chance, Krankheit viel früher zu erkennen – daheim, ohne größere Blutproben und Termine in Praxen?
„The Dropout“ ist keine Satire oder Comedy – auch wenn Schöpferin Elizabeth Meriwether, die vorher 146 Folgen der Comedy „New Girl“ verantwortete, oft schrullige, absurde Momente liebt. „The Dropout“ fragt, was Medien und Technologiekonzerne in den Nuller- und Zehnerjahren falsch machten. Wie Gier und Startups, PR und journalistische Texte über „Wunderkinder“, viel Hype und halbgare Geschäftsmodelle halfen, Figuren we Elizabeth Holmes groß zu machen – und, warum Holmes als Eigenmarke und „Girl Boss“ viel erfolgreicher funktioniert, sobald sie lernt, dauernd in einem schwarzen Rollkragenpulli aufzutreten. Genau wie Steve Jobs!
Die bisher fünf in den USA gesendeten Episoden sind bissig und pointiert: weil jede Szene auf größere Gesellschafts-Trends verweist und sich kritisch am jeweiligen Zeitgeist abarbeitet. Weil Hauptdarstellerin Amanda Seyfried als Stanford-Studienabbrecherin (Englisch: Dropout) mit 21 überzeugt – und Schritt für Schritt zur Hochstaplerin und Kriminellen Ende 30 wird, deren Firma (Theranos) sich nicht rechnet und deren Bluttest-Maschinen nie richtig funktionierten. Eine kurze Büro- und Machtmenschen-Serie, wie „Mad Men“ für die Gegenwart. Schade nur, dass Holmes‘ reale Geschichte zuvor schon bei Disneys ABC-Sendern journalistisch aufbereitet wurde. Danach als Podcast „The Dropout“. Und von der Konkurrenz HBO als Doku-Film „The Inventor“: eine Verwertungs- und vielleicht auch Verkitschungs-Kette, die einen realen Fall immer flotter und süffiger neu erzählen will.
Seit 18. März läuft auf Apple TV+ eine zweite Serie nach dieser Formel: Auch „WeCrashed“ war zuerst ein Podcast. Auch hier scheitert ein junges Unternehmen (Adam Neumanns weltweite Coworking-Bürokette WeWork) an Gier, unternehmerischer Hybris und der (falschen oder leider wohl waren?) Idee, dass schlechte Löhne, große Versprechen, schöne Büros, tausend strikte Design-Regeln und despotische „Visionen“ eine Firma besonders begehrlich erscheinen lassen. Bereits die Doku „WeWork“ (Disney, 2021) erzählte nach, wie ein grenzenlos selbstbewusster Adam Neumann und seine etwas esoterische Frau Rebekah vom Aufsichtsrat gefeuert werden – doch erst die Apple-Serie hat schönste Aufnahmen, eine strikt designte Bildsprache und zwei oscarprämierte Stars.
Anne Hathaway kriegt viel Raum, zu blinzeln, zu schaudern, sich auf die Lippe zu beißen und ein komplexes Innenleben anzudeuten – doch ihre plakative Figur Rebekah redet nur Quatsch. Jared Leto kriegt unendlich viel mehr Raum noch, mit aufgesetztem israelischen Akzent und voller Großmann-Gesten eine Mischung aus Vertreter und Möchtegern-Rockstar zu spielen, die kein „Nein“ je gelten lässt, nichts lernt, keine Entwicklung durchmacht und wie eine boshafte, toxische, vielleicht auch antisemitische Karikatur des realen Adam Neumann wirkt: ein junger Emigrant, der allen anderen Figuren alles wegnehmen will, ein gieriges und rücksichtsloses Schreckgespenst.
Beide Serien, das schmissige „The Dropout“ und das viel quälendere, bleierne „WeCrashed“, liefern den Look, die Floskeln, die Milieus und die Themen, die Apple-Fans lieben. Doch solche Hochglanz-Unternehmenskulturen als Mogelpackung zu entlarven, das wird selbst rasch zur erzählerischen Mogelpackung: „Viele Unternehmen sind mehr Schein als Sein“, diese Binse trägt keine achtstündige Serie. Erst wenn (wie in „The Dropout“) auch die vielen Opfer und Profitierenden Raum kriegen und – genau hier sind Dokus und Journalismus oft besser als Dialoge und Drama-Szenen – gezeigt wird, warum wer wann was wusste, doch entschied, das Kartenhaus zu stützen statt es einstürzen zu lassen, können solche Serien mehr aussagen als: „Achtung. Vieles, das so tut, als wäre es das nächste Apple, hat nur Gejubel und Design und Fans. Doch keine Substanz!“
„WeCrashed“: 8 Folgen, ab 18. März 2022 wöchentlich auf Apple TV+
„The Dropout“: 8 Folgen, ab 20. April 2022 auf Disney+
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„WeCrashed“ ist eine erzählende, gescriptete Serie – will aber authentisch zeigen, was in einem realen Start-Up-Unternehmen schief lief: mit echten Namen?
Ja. Das ist das Ende einer journalistischen Verwertungskette. Die reale Vorgeschichte hier ist: Zuerst braucht eine Firma Investor*innen und Kapital, also gibt es Artikel: „Adam Neumann, das Wunderkind, das in ganz New York Büroflächen anmietet – für die Gemeinschaftsbüros der Coworking-Kette WeWork.“ dann gab es viel Journalismus über Neumanns Skandale und Gerichtsprozesse. Dann kam ein Podcast, der das alles nochmal nacherzählt – „WeCrashed“, den Podcast gibt es auch auf Deutsch. Und jetzt wird also die… journalistische Arbeit des Podcasts zu einer teuren Hochglanz-Serie mit Hollywood-Stars.
Filme in diesem Stil gibt es ja oft über Adlige, Sportler*innen, Promis oder über Verbrechen. doch eine ganze Serie über ein inkompetentes Unternehmer-Ehepaar…
Ich finde das übergriffig. Weil: das Milieu ist ist erstmal toll. So viele Leute schuften in Agenturen, in Startups, in Ausbeutungsverhältnissen: Die Firma, auf die du setzt, ist noch jung. Die Geschäftsidee klingt wild. Die Banken sind skeptisch. Viele warten, dass das Kartenhaus einstürzt. Doch du bleibst im Büro und hoffst auf den Börsengang – denn DANN hat es sich vielleicht gelohnt. Ausbeutung, Gier, Selbstvermarktung…. im seelischen Alltag von Angestellten. Nur: Davon handelt „WeCrashed“ nicht genug: es geht fast nur um das Liebespaar an der Spitze.
Adam Neumann und seine Frau Rebekah. der Untertitel ist: „Eine Liebesgeschichte, 47 Milliarden Dollar wert.“ Was steckt in dieser Liebesgeschichte, dass sie so im Fokus steht?
Jared Leto und Anne Hathaway gewannen Oscars – und die Kamera gibt ihnen viel Raum, zu zeigen, was sie können. Ich schaue also 2 Stunden auf jedes Blinzeln von Anne Hathaway und denke: „Hathaway tut gewichtig – doch ist diese Rolle echt SO platt? Glaubt Rebekah den Esoterik-Quatsch, den sie redet, selbst?“ und ich schaue 4 Stunden lang Jared Leto zu, wie er kein „Nein“ gelten lässt, immer die selben Sprüche schreit, immer BEINAHE auf die Nase fällt… und das mit einem israelischen Akzent – eine Holzhammer-Darstellung, bei der mich nicht wundert, falls Leute sagen ’nein, das ist rassistisch‘ oder: antisemitisch.
Jared Leto ist über 50, hat eine halb so alte Freundin, es gibt eh so viele Leute, die Leto nicht mögen; und jetzt spielt er diesen penetranten Gernegroß ohne jeden Charme. nur: online gibts Videos mit dem realen Adam Neumann, und der mag scheußlich sein als Chef und als Mensch – doch er hat viel mehr Humor, Charme, klingt viel nachdenklicher. und dann kommt Apple und sagt: hey Jared Leto – spiel mal diesen Mann, als Karikatur, in unserer süffisanten Serie. mich stößt das ab.
Es gibt eine zweite aktuelle Serie, die als Alternative…
ja – genau das selbe Konzept, doch über die Firma Theranos… und insgesamt frischer, witziger, besser: Ende April startet „The Dropout“ auf Deutsch auf Disney+ – auch acht Folgen, auch nach einem Podcast, ich sah die ersten 5 und lerne da zehnmal mehr:
es geht um Elizabeth Holmes, die 2003 eine Firma für Bluttests gründete. ganz intensiv und gewitzt gespielt von Amanda Seyfried: Adam Neumann von WeWork wird uns als toxischer Schwätzer erzählt. Elizabeth Holmes hat viel mehr kriminelle Energie: das Testgerät gab falsche Ergebnisse aus, kranke Menschen kriegten falsche Blutbilder, sie wusste das: eine Hochstaplerin, die diesem Ideal des „Girl Boss“ entsprechen wollte. die Serie „The Dropout“ hat viel weniger Hochglanz, doch will deutlich mehr zeigen und erklären, kontextualisieren: über Systeme, über Gier…
Apples „WeCrashed“ kann man sich sparen, Disneys „The Dropout“ macht Spaß?
selbst bei „The Dropout“ denke ich: eine Serie im „Mad Men“-Stil ist einfach kein so gutes Format, um einen Skandal zu erklären… dessen Welt und Figuren wir ja eh schon sehen und kennen durch viele PR und Journalismus. 8 Folgen lang sehen, wie die WeCrashed-Eheleute immer das selbe tun und viel zu lang damit durchkommen, weil alle viel in sie investiert haben… hat sich für mich sinnlos angefühlt. US-Fans sagen, das sind „Schadenfreude-Shows“, doch ich empfinde da nichts.
Auch Amanda Seyfried in „The Dropout“ hat dauernd Fremdschäm-Momente. doch es sind immerhin dauernd andere, neue, denn das ist eine flexiblere Figur. manchmal tut sie das Richtige. doch es ist eben auch: eine reale verurteilte Kriminelle… deren Leben jetzt IRGENDWIE und UNGEFÄHR auf Pointe getrimmt nacherzählt wird, von der Macherin der Comedy-Serie „New Girl“. von allen Menschen auf der Welt, über deren Entscheidungen man 8 Stunden fabuliertes TV-Drama machen könnte sind das für mich: ziemlich die letzten.
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