Georgia made by Characters: Pressereise / Influencer-Reise nach Tiflis, für die Frankfurter Buchmesse 2018 #fbm18

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Hier kommt der „kleine“, persönlichere Blogpost zur Reise.

Der faktensatte, ausführlichere ist hier (Link).

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Georgien ist 2018 Gastland / Ehrengast der Frankfurter Buchmesse.

Das Georgian Book Office, die Buchmesse Frankfurt und die Agentur 2508 luden ca. 10 (Print- und TV-) Journalist*innen, Literaturkritiker*innen sowie sieben Blogger*innen / „Influencer“ zu einer viertägigen Reise nach Tiflis / Tbilisi:

23. bis 27. Mai 2018.

2016 wurde ich auf eine Pressereise durch Flandern und die Niederlande (damals: Ehrengastregion der #fmb16) eingeladen – doch konnte nicht mit, wegen Deadlines und Verpflichtungen.

Mir für Georgien Zeit zu nehmen, war eine der besten Entscheidungen seit Monaten: Die Reise war schnell, eng getaktet. Ich verbrachte selten *so* intensive Tage, in einer *so* freundlichen, professionellen, mitreißenden Atmosphäre. Viel gesehen, viel gelernt, irrsinnig viel gesprochen, fotografiert, interagiert.

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Bis zur Buchmesse im Oktober werde ich georgische Literatur sichten, sortieren und, falls Redakteur*innen anbeißen, sicher auch besprechen und kritisieren, z.B. für Deutschlandfunk Kultur, vielleicht auch Spiegel Online oder im Freitag.

Ein längerer Blogpost mit konkreten Texten, Informationen, Links, Details zur Reise braucht noch einige Tage Zeit: Ich werde ca. Montag länger bloggen.

Bis dahin empfehle ich die vier Blogposts von Matthias Warkus bei 54books [Text 1, Text 2, Text 3, Text 4] und die Instagram-Stories von @buchkolumne Karla Paul.

Heute, hier im Blog: Fotos, die Atmosphäre, Stimmung unserer Tage in Tiflis gut vermitteln; gegen Ende auch Gruppenbilder der Mitreisenden.

Mein „richtiger“, faktensatter Text zur Reise: online in ca. 5 Tagen.

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Die Teilnehmenden unserer Blogger-/Influencer-Gruppe:

Angie Martiens_„Litaffin“

Alexandra Stiller_„Bücherkaffee“ | Instagram

Karla Paul_„Buchkolumne“ | Instagram

Florian Valerius_„Literarischer Nerd“ | Instagram

Annabelle Stehl_„Stehlblüten“ | Instagram | Youtube

Matthias Warkus_„54books“ | Twitter

…und ich selbst: Stefan Mesch (Bio) | Twitter | Instagram

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kurz notiert: Christian Krachts Poetik-Vorlesungen und „Text + Kritik“

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Wenn ich im Radio spreche, schicke ich Moderator / Moderatorin und der Redaktion meist vorbereitend einen Leitfaden:

Die wichtigsten Links, Stichpunkte, Gedanken und Fragen, die ich bei der Recherche eines Themas fand.

Manchmal sind die Leitfäden knapp. Doch meist sind sie so lang und ausführlich, dass ich sie, mit ein paar Bildern etc., als öffentlichen Blogpost teile.

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Am Mittwoch war ich Gast beim Abendmagazin „Fazit“ (Deutschlandfunk Kultur), und sprach über Christian Kracht.

Am Freitag war ich Gast bei „Kulturzeit“ (3Sat), weil eine Redakteurin mein „Fazit“-Gespräch gehört hatte und gut fand.

In beiden Fällen gab es – anders als sonst – keine wochenlange Recherche.

…und deshalb keinen ausführlichen Leitfaden.

Trotzdem teile ich heute kurz Links und Notizen zum Thema:

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Seit 1959 gibt es an der Goethe-Universität Frankfurt halbjährlich / einmal pro Semester Vorlesungsreihen, in denen je ein(e) Schriftsteller*in versucht, Wechselwirkungen von Gegenwart, Werk, Biografie etc. zu zeigen: die Frankfurter Poetik-Vorlesungen.

Ich selbst mag aus den letzten Jahren z.B. Terézia Mora und Andreas Maier (…Monika Maron war furchtbar banal).

Meist werden die Poetik-Vorlesungen auch als Buch veröffentlicht.

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Gestern – am 15. Mai – hielt Christian Kracht die erste von drei Vorlesungen.

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Er sprach davon, dass Klaus Theweleit in „Männerfantasien“ fragt, wie der Faschismus Männer in ihrem Selbstbild und Auftreten verformt hat, und zieht Parallelen zum eigenen Werk – das sich meist um sehr grausame, sehr ahnungslose, privilegierte, ästhetisierende Boys / Bubis dreht:

„Ausformungen der menschlichen Erniedrigung, und dann ein gewisser Ästhetizismus“

„Der Akt des Schreibens selbst, die Gewalt, die Erniedrigung, die Grausamkeit, der körperliche Ekel und die fetischisierte, oft verlagerte männliche Sexualität sind Topoi meiner Arbeit, deren ich mir erst jetzt bewusst werde, die aber sozusagen mit der ersten Zeile von ‚Faserland‘ alles bestimmt haben.“

Die FAZ paraphrasiert Kracht: „Auch er selbst weise Eigenschaften auf, die Klaus Theweleit am faschistischen Mann entdeckt habe: hochfunktional, gesichert durch seelische und körperliche Panzer, erworben durch Disziplin.“

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Der Schweizer Autor, geboren 1966, debütierte 1995 mit „Faserland“ – einem satirischen Roman im Stil von Bret Easton Ellis, in dem ein verwöhnter Ex-Internatsschüler von Sylt bis Zürich reist und dabei a) seine eigenen Defizite und seine Wut darüber, dass ein Freund nichts von ihm will, kaum selbst versteht oder ausdrücken kann und b) eine Art… Schneise der Verwüstung schlägt: aus Hochmut, Langeweile, sozialer Kälte, Dekadenz, Unreife/Armseligkeit/Verdrängung etc.

Fast alle Kracht-Romane haben *irrsinnig* selbstbezogene, tragikomische Figuren, die ihre Privilegien nicht sehen. In „1979“, meinem Lieblings-Kracht-Roman, wird ein schnöseliger schwuler Kunstsammler in ein chinesisches Arbeitslager eingeliefert, ernährt sich nur noch von Maden, die er auf menschlichem Stuhlgang züchtet und sagt: „Na ja – andererseits ist das auch eine Chance, endlich seriously abzunehmen.“

Mit diesem zynischen Tonfall etc. nahm Kracht schon 2001 viel der Menschenfeindlichkeit vorweg, die Lifestyle-Welten heute… oft nah ans Totalitäre rückt: ein Gulag und Instagram, bei Kracht ist das kein sehr weiter Weg.

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Ende 2017 sollte Prince Andrew ein Taufbecken stiften im Namen eines 2009 verstorbenen kanadischen Paters, Keith Gleed: Gleed war Kaplan an einem Internat/College in Ontario. Doch über 30 Ex-Schüler meldeten sich und gaben an, von Gleed sexuell misshandelt worden zu sein.

Erst durch diese Meldung wurde Christian Kracht, der Ende der 70er Jahre das Internat – Lakefield College – besuchte, klar, dass er sich eine Begegnung, in der Gleed ihn mit dem Gürtel schlug und hinter seinem Rücken masturbierte, nicht ausgedacht hatte.

Die halb-verschüttete Erinnerung floss in verschiedene Romane ein, z.B. in „Imperium“.

Die FAZ fragt: „Was bestimmt das Denken und Schreiben von Christian Kracht?“ Ich finde es verkürzt und boulevardesk, zu titeln, als „bestimme“ dieser Missbrauch, über den Kracht gestern erstmals sprach, „das Denken und Schreiben von Christian Kracht“.

Andererseits aber ist die Frankfurter Poetikdozentur genau DER Rahmen, in dem Autor*innen erzählen, was ihr Denken und Schreiben bestimmt.

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Für Kracht ist diese Wortmeldung besonders ungewöhnlich, weil…

a) er, wie Christoph Schröder bei ZEIT Online schreibt „Der Mann [ist], der bei seinen raren Lesungsauftritten geradezu panisch darauf bedacht ist, dass ihm kein Zuhörer eine Frage stellen darf.““

b) seine Romane und besonders die Reportagen mit Biografismen, Autofiktion spielen.

c) ganz lange z.B. Krachs Wikipedia-Foto ein Bild war, das OFFENSICHTLICH ein Selfie war – doch als dessen Fotograf ein „Anthony Shouan-Shawn“ angegeben war, ein „bekannter Industriedesigner“, dessen [inzwischen gelöschte] Website aber ebenfalls wie eine Kracht-Inszenierung wirkt: Gibt es diesen Menschen?

Als Kracht dann d) die Regisseurin Frauke Finsterwalder heiratete, war mein erster Gedanke: „Frauke Finsterwalder? Ist das WIEDER eine Kracht-Kunstfigur?“

Die Artikel um Krachts Vorlesung sind misstrauisch und fragen sich, wie immer bei Kracht, wie wir als Leser*innen der Romane mit dieser neuen Information umgehen sollten:

_die Welt schreibt: „Geständnis“, „Kracht beginnt mit einem furchtbaren Geständnis“ #täteropferumkehr

_Spiegel Online: „Die Ruhe, mit der Kracht diese Sätze vorträgt. Ausgerechnet er. Angestarrt wird er. Wie muss das aussehen für ihn, all diese fremden Augen?“ [uff. und was heißt „ausgerechnet er“.]

_Spiegel Online: „…was bedeutet das für ihn als Autor und somit für die Interpretation seines Werkes?“

ich erinnere mich, dass wir im Studium (Kreatives Schreiben, Hildesheim, 2003 bis 2008) immer wieder über Kracht sprachen als jemand, der es geschafft hat, eine Persona zu etablieren:

Was ist seine Masche? Wie funktioniert diese Masche, was ist an ihr so faszinierend? der ironische Dandy, der von FDP-Bubis geliebt wird UND von allen, die FDP-Bubis verachten etc.

Als Mitherausgeber der Zeitschrift „Der Freund“ gab Kracht damals Katmandu als Redaktionssitz an, und mir ist bis heute nicht klar, ob Kracht damals in Katmandu lebte, ein paar Jahre. [Edit: Kracht schrieb auch einen Reiseführer zu Katmandu; er lebte länger in Südasien und aktuell in LA. Ich habe keinen Grund mehr, Katmandu anzuzweifeln.]

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2012 fragte sich SPIEGEL-Kritiker Georg Diez, ob Krach faschistoid ist – weil der Ich-Erzähler in „Imperium“, ein (Amateur-)Kolonialherr im deutschen Kaiserreich durchgängig, ohne Brechung rassistisch und erniedrigend etc. handelt. ich fand die Gleichsetzung von Autor und Figur völlig absurd, unsachlich, ad hominem und… peinlich für Diez.

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Ich selbst „freue“ mich sehr, wenn Christian Kracht offen oder persönlich spricht – und finde enttäuschend, wenn man bei „Ich wurde missbraucht“-Aussagen groß öffentlich fragt: „Was bezweckt er / sie damit? Warum jetzt? Ist das ein Trend, will er/sie sich interessant machen?“ etc.

Klar ist das ein… außergewöhnlicher und wichtiger Schritt:

Dass einer der verschlossensten und diskretesten Autoren der letzten 20 Jahre direkt sagt: Teile meines Schreibens lassen sich auch aus einer Missbrauchserfahrung heraus erklären, kontextualisieren.

Dahinter sofort wieder eine Masche, ein Spiel mit Erwartungen etc. zu vermuten, finde ich respektlos, boulevardesk und… auch literaturwissenschaftlich KRASS fragwürdig/arm.

Ein Mann, der mir persönlich als Autorenpersona oft viel zu weit weg, viel zu distanziert, viel zu vage blieb, macht diese Autorenpersona bewusst und absichtlich greifbarer, verletzlicher, menschlicher. Ich selbst möchte mich für diesen Schritt am liebsten bedanken.

Auch, weil ich z.B. unerträglich fand, dass Kracht DIE Galionsfigur für „anspruchsvolle schwule deutschsprachige Gegenwartsliteratur“ war seit 1995 – und ich mich immer fragte: Ein Autor, mit einer Frau verheiratet, der kaum über sich selbst spricht, lässt Ich-Erzähler, die ihr eigenes schwules Begehren meist verdrängen, ungeschickt und armselig durch die Welt holpern. DAS ist das „beste“ „schwulste“, das wir als Kultur haben?

Und: ein Autor, der nicht auf Twitter ist, keinen Blog hat, kaum sichtbar ist als öffentliche Person [Edit: Krachts Instagram-Account ist einen Blick wert!], schreibt über Pop, Gegenwart, Jetztzeitigkeit – doch nimmt eben kaum an öffentlichen Debatten teil? Bleibt so vage, dass Leute wie Diez sich ernsthaft fragen können: „Ist das ein Rechter, der den Kolonialismus liebt?“

Ich habe KEINE Ahnung, wer Christian Kracht – als Mensch – ist. Doch ich bin froh und dankbar, dass er mit diesen Vorlesungen konkreter, sichtbarer wird.

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Kracht authentisch

Inszeniert sich Kracht? Gutes Essay von Thomas Wegmann, in „Text & Kritik: Christian Kracht“

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Statement von mir, transkribiert:

„Christian Kracht war bisher nie jemand, der sich eingemischt hat, oder der Position bezogen hat, und dass so jemand, nachdem wir 20 Jahre lang diese Bücher oft sehr einseitig, in Schwarz und Weiß gelesen haben, ausgerechnet bei der Poetikdozentur, also dem Ort, wo literaturkritisch noch mal alles in ein neues Licht gerückt werden kann, sagt, ‚Leute, ich möchte euch etwas sagen und ich sage das auch, damit ihr meine Romane anders lest, damit ihr die in einem anderen Licht seht‘, ich finde schon, dass das die ganze Rezeption verändert, und ich bin ein bisschen froh drum, weil wir jetzt 20 Jahre lang doch eher auf der Stelle traten.“

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Es gibt mehrere Texte, die ich empfehle:

„Der Autor will seinen Interpreten, den Journalisten, Literaturkritikern und -wissenschaftlern seine Texte aus der Hand nehmen. Genug habe er von den ständigen Zuschreibungen, vom Popliteratur-Schmäh, den unzähligen Dandy- und Camp–Analysen. Seine Poetikvorlesung steht ganz im Zeichen der Wiederaneignung des eigenen Werkes. Nur konsequent erscheint so, dass Kracht zum Abschluss seines Vortrags die letzten Seiten aus Faserland vorlas, als wollte er dem Publikum vorführen, dass kein Text mehr derselbe sein wird nach diesem Abend. Eine werkbiographische Zäsur ist markiert. Ab sofort gibt es eine prä- und eine post-Frankfurt-Lesart Christian Krachts. Obwohl der Autor jeder offiziellen Video- und Ton-Aufzeichnung widersprochen hatte und sich zu einer Publikation der Vorlesungen bislang nicht geäußert hat, wird seine Biographie in Zukunft unzählige Kracht-Lektüren prägen. Vor biographistischen Lesarten, die Krachts Texte beflissentlich nach Traumaspuren absuchen, graust uns bereits. Wie die Literaturwissenschaft allerdings mit Krachts biographischer Entblößung umgehen wird, ist mit Spannung zu erwarten.“

…schreiben Miriam Zeh und Kevin Kempke bei „Merkur“

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Literaturwissenschaftlerin Lena Vöcklinghaus postet einen wichtigen, öffentlichen Facebook-Kommentar über Privilegien und Sichtbarkeit:

„Vor zwei Tagen saß ich in einem Hörsaal der Goethe Universität in Frankfurt am Main und habe Christian Kracht dabei zugehört, wie er vor rund neunhundert Menschen einen erlittenen sexuellen Missbrauch und seine Folgen beschrieb. Er beschrieb, wie er in den letzten Monaten verstanden hatte, dass der Missbrauch und das ständige Anzweifeln der Erinnerungen seine Entwicklung und auch sein Schreiben in großem Maße beeinflussten. Die Finesse, die Kraft und der restliche Inhalt dieses Vortrags wurden an vielen Stellen sehr schön beschrieben. Ich weiß, das weil ich seit Dienstag die Berichterstattung gebannt verfolge. Ich hatte Angst vor den Artikeln, die entstehen würden, und ich bin dankbar, dass sie zwar den offensichtlichen Aufhänger ausschlachten, aber das auf so eine behutsame Art und Weise tun. Sie loben zu Recht, was an dem Vortrag literarisch und in Bezug auf Krachts Poetik beeindruckend und bewegend war. Aber noch fehlt mir eine Dimension in den Berichten. Sie fehlt wahrscheinlich, weil sie wenig mit Kracht selbst zu tun hat, wenig mit seinem Vortrag und überhaupt nichts mit seiner Literatur; und weil sie für eine ganz andere Zielgruppe wichtig ist als für die Leserinnen und Leser, Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler, die sich ab jetzt mit dieser Vorlesung auseinandersetzen werden.

Kracht hat ein Tabu gebrochen. Er hat eine Geschichte, die zuhauf erzählt wird, weil sie zuhauf stattfindet, an einen Ort getragen, an dem sie so noch nie erzählt wurde. Er hat die Verletzung, die bei ihm zurückblieb, als ein vertrauter Erwachsener ihn missbrauchte und niemand ihm glaubte, und das späte, viel zu späte Verstehen dieser Verletzung in die Worte des Kanons (Walter Benjamins, seine eigenen) gefasst. Er erzählte eine Geschichte, für die es Ratgeberliteratur gibt, die verschämt im Versandhandel bestellt wird, für die es therapeutische Angebote gibt, die unauffällige Namen und Türschilder tragen, und für die es einige wenige gute und viele kitschig-verklärende fiktionale Selbthilfekrücken gibt. Eine Geschichte also, die überall sonst außer in der Hochkultur zuhause ist. Er erzählte sie Professorinnen und Professoren, dem Dekan der Universität, Geldgeberinnen und Geldgebern der Poetikdozentur, Studierenden und der Presse. Er konnte sich sicher sein, dass einige die Erlebnisse, von denen er berichtet, nur allzu gut kennen. Er konnte sich aber genauso sicher sein, dass die wenigsten in diesen Räumen die Freiheit haben, über solche Erlebnisse offen, gar öffentlich zu sprechen.

Kracht konnte das tun, weil Kracht Kracht ist. Weil Kracht die Sprachmacht besitzt, die Effekte einer solchen Schilderung durch seine Wortwahl weitestgehend zu gestalten. Weil Kracht dieses Werk hat, längst fest im Kanon der Gegenwartsliteratur sitzt, weil Kracht es sich leisten kann, sich dem öffentlichen Interesse zu entziehen, und trotzdem verkauft wird, gebucht wird, geehrt wird. Aber dass Kracht seine privilegierte Stellung nutzt, um öffentlich den eigenen Missbrauch zu erzählen, ist nicht selbstverständlich. Selbst Kracht, sogar Kracht geht mit einer solchen Schilderung ein Risiko ein. Es war so still im Saal während der Vorlesung, weil der Vortrag so gut gemacht war. Aber es war auch so still, weil Kracht etwas riskiert hat. Nicht literarisch, diesmal. Aber menschlich.

Kracht hat an dem denkbar unwahrscheinlichsten Ort auf denkbar unwahrscheinlichste Art #metoo gesagt. Er hat dann noch ein bisschen aus Faserland gelesen, als sanften Ausklang der Vorlesung, sich dann bedankt und ganz kurz in den Applaus hinein verbeugt. Es gab Standig Ovations, einige sogar von Trägern wichtiger Funktionen in Frankfurt. Kracht war da längst wieder an seinem Platz und hat in seiner Tasche gekramt, ich bezweifle, dass er sie gesehen hat. Aber ich bereue trotzdem, nicht aufgestanden zu sein. Ich habe heute Morgen tatsächlich überlegt, den ersten Leserinnenbrief meines Lebens ausgerechnet an Christian Kracht zu schreiben. Jetzt habe ich stattdessen diesen Post geschrieben, weil ich nicht aufhören kann, dankbar zu sein. Ich bin diesen Menschen um ihre Standing Ovations dankbar. Ich bin den Journalistinnen und Journalisten um ihre behutsamen Berichterstattungen dankbar. Aber vor allem bin ich Christian Kracht dankbar, seine Position auf diese Weise genutzt zu haben.

Annie Ernaux schreibt: „Zu jedem Moment gibt es neben dem, was als normal gilt, all das worüber die Gesellschaft Schweigen bewahrt und so all jene, die diese Dinge empfinden, sie aber nicht benennen können, zu Einsamkeit und Unglück verdammt. Eines Tages wird das Schweigen dann gebrochen, ganz plötzlich oder allmählich, endlich bekommen die Gefühle einen Namen, endlich werden sie anerkannt, während darunter neues Schweigen entsteht.“

Dienstag war für mich einer dieser Tage. Danke, Christian Kracht.“

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Ist es ein Versuch, sich und sein Werk zu erklären?

Mit dieser Annahme wäre ich vorsichtig. In der Berichterstattung geht unter, dass er mit dem Bekenntnis nicht die ganze Vorlesung ausgefüllt hat. Das war nur ein Moment, aber sicherlich ein Schockmoment.

Es war der Anfang der Vorlesung. Kracht ist damit eingestiegen.

Genau. Aber er selbst hat es nicht als Skandal präsentiert. Er hat es im Grunde als einen Baustein in der Genese seiner Existenz als Schriftsteller präsentiert.

Er erzählt von einer Erinnerung, von der er lange geglaubt hat, es wäre eine falsche Erinnerung oder bloss eine Erzählung, die ihm jetzt als Wahrheit erscheint. Kracht ist jemand, der sehr gut weiss, wie man auch etwas so Furchtbares erzählt. Doch selbst da schimmert durch, dass er sich durch die Worte vor diesen Ereignissen schützt.

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Miriam Zeh und Kevin Kempke, als Besucher*innen der Vorlesung:

„Mit der Handreichung dieser Fülle von Referenzen wird Krachts Poetikvorlesung bei allem Eingeständnis von Verletztlichkeit und Schwäche auch eine Geste der Souveränität. Der Autor will seinen Interpreten, den Journalisten, Literaturkritikern und -wissenschaftlern seine Texte aus der Hand nehmen. Genug habe er von den ständigen Zuschreibungen, vom Popliteratur-Schmäh, den unzähligen Dandy- und Camp–Analysen. Seine Poetikvorlesung steht ganz im Zeichen der Wiederaneignung des eigenen Werkes. Nur konsequent erscheint so, dass Kracht zum Abschluss seines Vortrags die letzten Seiten aus Faserlandvorlas, als wollte er dem Publikum vorführen, dass kein Text mehr derselbe sein wird nach diesem Abend. Eine werkbiographische Zäsur ist markiert. Ab sofort gibt es eine prä- und eine post-Frankfurt-Lesart Christian Krachts.“

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ein unangenehm süffisanter Text über die zweite Vorlesung (taz, Arno Frank):

„Licht ins Dunkel sollte die zweite Vorlesung bringen. So richtig brechend voll, mit Leuten im Schneidersitz auf den Gängen und Zuspätgekommenen an den Wänden, so richtig brechend voll ist es nicht – und doch ist das auf 1.200 Plätze ausgelegte Audimax am Campus Westend beinahe voll ausgelastet. In den vorderen Reihen hat sich geschlossen das Feuilleton der Republik versammelt, dazu Prominenz aus dem Verlagswesen, man kennt sich, grüßt familiär. Ist gespannt. Wird er den Bluff auflösen? Die Erzählung weiterspinnen?“

Warum steht hier „Bluff“?

Heißt das: Frank (…und all die Leute, denen Frank unterstellt, dass sie alle wegen dieser „Bluff“-Frage gekommen sind?“), warten darauf, dass Kracht sagt, der Missbrauch sei ein Bluff?

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Zur Vorbereitung der Gespräche….

  • …sah ich „Finsterworld“ von Frauke Finsterwalder (Drehbuch: Christian Kracht) und war angetan. Ein unerwartet optimistischer, abwechslungsreicher, charmanter Episodenfilm, bei dem ich a) an die Serie „Fargo“ denken musste und b) an den tollen Comic „Ghost World“, den eine der Figuren liest. Wer Kracht nicht kennt und einen mühelosen, schwungvollen Einstieg in seine Themen sucht: Empfehlung!

    [irritierend nur, dass es schon *wieder* ums Essen von Körperteilen ging.]

  • …ließ ich mir die E-Book-Version des hundertseitigen „Text + Kritik“-Bandes über Christian Kracht von 2017 schicken. Der Band ist recht teuer und ein Tick zu kurz (gern noch vier, fünf weitere Beiträge; v.a. auch mehr Texte von Frauen!) Doch kein einziger Beitrag war spöttisch, eitel, verblasen, kulturpessimistisch oder schlimm-am-Thema-vorbei: zweieinhalb Stunden Lesezeit, die sehr helfen, Kracht zu kontextualisieren, zu greifen.
  • ein Problem: Dass trotz 100 Seiten Platz niemand noch einmal genauer durch Krachts Briefwechsel mit David Woodard schaut, veröffentlicht als „Five Years“. Georg Diez nimmt 2012 in seiner Kracht-ist-rechts-Attacke im Spiegel „Five Years“ als Basis, stärkste Indiziensammlung für seine Thesen. Ich habe „Five Years“ nicht gelesen und wünsche mir jemanden, der dieses Buch fachkundigt vermittelt. [Aber: Dass Kracht kein Fan des Totalitären, Faschistoiden ist, „beweist“ mir z.B. das warmherzige „Finsterworld“.]

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zum Abschluss: Passagen aus „Text + Kritik“, die ich aufbewahren und teilen will:

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Kracht schwul

Krachts Romane als „queere Literatur“? Isabelle Stauffer & Björn Weyand

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Kracht Steckdose

Steckdose?!

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Kracht Kleinschmidt

Ironie? Pop? Ein Bluff?

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Kracht 3

Thomas Wegmann zu Krachts „übercodierten“ Romanen

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Daniel Kehlmann Faserland

…und Daniel Kehlmann zu Krachts Debüt, „Faserland“

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Kulturzeit 3sat Stefan Mesch

ein Stil-Problem von Mainstream-Heldencomics…

die Batcave, gezeichnet von Greg Capullo

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„Die Bat-Höhle sieht jedes Mal anders aus.“

DC veröffentlicht gut 50 monatliche oder zweiwöchige Heftreihen. Jede Reihe hat ein, manchmal zwei oder drei Zeichner*innen.

…und jeder dieser Leute zeichnet Lois Lane eine etwas andere Frisur. Lex Luthor manchmal grüne, manchmal blaue Augen usw.

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Ich sagte das neulich meinem besten Freund.

Er war enttäuscht, dass es auch für die bekanntesten, grundlegendsten Figuren und Orte oft so viel Spielraum gibt.

So viele Widersprüche. Auch in Heften, die gleichzeitig spielen und im selben Monat erscheinen.

Ich selbst finde es nicht mehr dramatisch – doch ich lese Heldencomics seit 2008; habe mich an vieles gewöhnt.

TV Tropes: Art Shift | Art Evolution

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die Batcave, gezeichnet von Jim Lee

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Nur kurz aber – um zu zeigen, wie weit die Zeichenstile, Charakterdesigns und Handschriften auseinander gehen:

die Nebenfigur „Arcade“ aus dem Marvel-Universum, und ihre Auftritte in den letzten Jahren, in verschiedenen Heftreihen, von jeweils anderen Zeichner*innen:

Das ist *immer* die selbe Figur, und immer in der selben „Wirklichkeit“ / Continuity. All diese Geschichten passieren gleichrangig:

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Avengers Arena 16. Zeichner: Karl Moline

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Hellcat 6. Zeichnerin: Natasha Allegri

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Gwenpool 12. Zeichner: Gurihiru

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Avengers Undercover 10. Zeichner: Tigh Walker

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Avengers Arena 07. Zeichner: Allessandro Vitti

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Elektra 02. Zeichner: Juan Cabal

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America 06. Zeichner: Juan Villalobos

Frauen im Science-Fiction-Comic [Gasteintrag ‚Binge Reader‘]

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Ich bin kein Fan von „Paper Girls“: dem aktuell beliebtesten Science-Fiction-Comic in deutschsprachigen Buchblogs.

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In bisher vier Sammelbänden stranden vier zwölfjährige Schülerinnen aus Cleveland, die 1988 auf Fahrrädern Zeitungen austragen, in einem Krieg unter Zeitreisenden. Portale und Flugsaurier, Soldaten und Verschwörungen.

Ich liebe die ausdrucksstarken, schlichten Zeichnungen Cliff Chiangs. Autor Brian K. Vaughan gehört seit fast zwanzig Jahren zu den fähigsten Comic-Erzählern. Doch er schrieb auch für „Lost“ – eine Serie, die ich erst mochte, der Figuren wegen…  doch schnell zu hassen lernte, als all diese Figuren zu immer flacheren Spielsteinen wurden. Weil sie nur flüchteten, rannten, Fallen entkamen: In tausend hektisch-öden Standard-Action-Szenarios blieb kaum Raum für Dialoge, komplexer als „Wir müssen zum Frachter! Schnell!“

„Paper Girls“ ist die selbe Sorte flach-naive Schnitzeljagd: Vier Heldinnen, bei denen ich nach fast 500 Seiten noch immer nur ein, zwei Charaktereigenschaften nennen kann, sind auf mehreren Zeitebenen einzig damit beschäftigt, zu laufen, nicht getrennt zu werden und Soldaten, Monstern, Robotern zu entkommen. Ein professioneller Comic? Ja. Doch als Story um Klassen schlechter als „Stranger Things“. Die Figurentiefe? Flacher als in „My Little Pony“.

Toll, vier junge Frauen in der Hauptrolle zu sehen. Doch das geht besser, tiefer!

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Sabine Delorme bloggt als „Binge Reader“ [Buchblog, Link] und sammelt aktuell Gastbeiträge über Feminismus und Science-Fiction unter #womeninscifi

Es geht u.a. um:

Ich selbst bloggte auf „Binge Reader“ über Science-Fiction-Comics mit Frauen in der Hauptrolle (und manchmal: auch von Frauen gezeichnet und geschrieben).

Heute cross-poste ich den Eintrag noch einmal hier bei mir im Blog, mit ein paar zusätzlichen Bildern.

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Frauen in SciFi-Comics: 7 Favoriten

 

Twin Spica | in 16 Sammelbänden abgeschlossen

Text und Zeichnungen: Kou Yagunima

9781939130945Die ersten „Harry Potter“-Bände? Als alle neu in Hogwarts sind – und jeden Tag überrumpelt, überrascht werden?

„Twin Spica“ erzählt von einer Schülerin im selben Alter, die Astronautin werden will. Alltag (und viel Sense of Wonder!) in der Akademie. Eine traurige Familiengeschichte. Etwas magischer Realismus. Und die Frage, welche Ziele sich Menschen setzen, die viel verloren haben. Verlust gegen Hoffnung. Zuversicht trotz Trauma. Wer die Optik von 70er-Trickserien wie „Heidi“ mag, findet hier eine emotional komplexe, viel erwachsenere Geschichten im selben Stil. Ich las bis Band 6 von 16. Und bin fasziniert, wie harmlos ein existenzieller, reifer Comic aussehen kann.

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Dept. H | in 4 Sammelbänden abgeschlosen
Text und Zeichnungen: Matt Kindt
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Mias Vater ist Tiefseeforscher, Umweltaktivist – der Jacques Cousteau Südasiens. Mia forscht im All, nicht unter Wasser. Bis ihr Vater an Bord seiner Station ermordet wird: Jemand aus der kleinen Crew muss Täter sein; Mia will ihn vor Ort überführen. Doch die Station wird sabotiert… und damit zur Falle. Ein Kammerspiel mit unvergesslichen Figuren, viel Psychologie, trügerisch schlichten Zeichnungen, absurd warmherzigen Rückblenden und einer Spannungskurve wie in den größten Horror- und Thriller-Klassikern: technisch, menschlich, literarisch ist „Dept. H“ der reifste aktuelle Comic, den ich kenne.
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Lazarus | bisher 5 Sammelbände und der recht nichtssagende Kurzgeschichten-Band „Lazarus X+66“

Text: Greg Rucka, Zeichnungen: Michael Lark
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Konzerne regieren die Welt. Jedes große Familienunternehmen herrscht über ein Terrain, wie im Feudalismus. Die Bevölkerung lebt in zwei Gruppen: als wertloser „Waste“ oder als Dienerklasse, „Serf“. Und diplomatische Konflikte werden meist unter Elite-Kampfkräften der Clans ausgetragen. Manchmal durch Krieg, Terrorismus, Spionage. Oft aber in rituellen Duellen: Jede Familie hat einen „Lazarus“.
Clan Carlyle herrscht über die Südwestküste der ehemaligen USA. Tochter Forever Carlyle wurde ihr Leben lang als Lazarus trainiert. Machtspiele, Samurai-Drama, Biotech und tolle Nebenfiguren aus den unteren Klassen: Rucka ist mein Lieblings-Comicautor. „Lazarus“ sein durchgängig packendstes Werk.
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Shade | 2 Sammelbände, dann das Crossover „Milk Wars“, dann die Reihe „Shade, the Changing Woman“
Text: Cecil Castellucci, Zeichnungen: Marley Zarcone
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Eine depressive Vogelfrau vom Planeten Meta stiehlt ein Artefakt, mit dem sie in den Körper des komatösen US-Schulmädchens Megan springt. Megan war hasste sich selbst – und ihre Nicht-Freunde und Mobbing-Opfer Megans fragen sich, warum sie plötzlich spricht wie ferngesteuert. „Shade“ bringt 90er-, Indie- und David-Lynch-Atmosphäre ins DC-Universum; fragt nach Gender, Identität, Körperbildern und Agency. Grandios koloriert, unverwechselbar gezeichnet.
Feministisch, komplex, verspielt, überraschend. Die originellen Bilder, Layouts und Wendungen machen so viel Lesefreude: ein Gegengewicht zu den düsteren Frauen-Leben.
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Squirrel Girl | bisher 8 Sammelbände; besonders empfehlenswert ist der Sonderband „The unbeatable Squirrel Girl beats up the Marvel Universe“
Text: Ryan North, Zeichnungen: Erica Henderson
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Ich brauchte 100 Seiten, um den Tonfall zu verstehen: Eine Eichhörnchen-Superheldin Anfang 20, die im ersten Semester Computerlinguistik studiert – und sich die gute Laune nie verderben lässt? Sollen wir mit ihr lachen… oder über sie? Doch wer Doreen Green drei, vier Bände lang folgt – schrullige Dialoge, grimmiger Optimismus, zu viele hyper-theoretische, absurde Zeitreise- und Doppelgänger-Storylines, die immer fünf, sechs Seiten zu lang dauern, immer mehrere pedantische Gedankenspiel-Wendungen mehr als nötig nehmen – wird die Figur und ihren Blick nie vergessen. Ein unvergleichlicher Marvel-Comic, albern, kantig, schlau. Lernte Ryan North von Terry Pratchett?
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Wandering Island | bisher 2 Sammelbände
Text und Zeichnungen: Kenji Tsuruta
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Mikura, eine junge Pilotin mit Wasserflugzeug, liefert an der japanischen Küste als privater Kurierdienst Pakete aus. Die selbe Prämisse wie in „Käptn‘ Balu und seine tollkühne Crew“ – doch erzählt in ruhigen, detaillierten Flug- und Landschaftsbildern. Auch Mikuras Großvater war Pilot: Sein Archiv sammelt Indizien, dass eine mechanische, schwimmende Insel vor der Küste treibt. Sind die Mentoren und Vorbilder in Mikuras Leben wirklich tot – oder verstecken sie sich in einem Steampunk-Exil? „Wandering Island“ zeigt eine absurd schlanke, oft nackte junge Frau, über Seekarten gebeugt. Trotz dem sexistischen Blick und arg dünnem Plot: große Zeichenkunst, tolle Atmosphäre!
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Unstoppable Wasp | in 8 Kapiteln / 2 kurzen Sammelbänden abgeschlossen
Text: Jeremy Whitley, Zeichnungen: Elsa Charretier
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Mädchen und MINT-Fächer? Nadia Pym ist Tochter des verstorbenen Forschers und Avengers Hank Pym: Ant-Man. Die junge (und: lesbische?) Osteuropäerin erbt sein Labor – und fragt sich, weshalb im S.H.I.E.L.D.-Ranking der intelligentesten Menschen so wenige Frauen stehen. Oder Bobbi Morse als Super-Spionin bekannt ist, doch kaum als Wissenschaftlerin. Und, wie solche Probleme strukturell, institutionell, politisch lösbar sind. Ein schwungvoller, farbenfroher, optimistischer Comic für alle ab 11 mit einer idealistischen, hochbegabten, doch nie kitschig-perfekten Heldin.
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5 Mainstream-Superheldinnen:

Thor. 11+ Sammelbände; von Jason Aaron (Text), Russell Dauterman u.a. (Zeichnungen):
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2010 nannte ich „Green Lantern“ das „vielleicht letzte große triviale Epos im Comic“: eine wuchtige Space Opera, blutig, überbordend, warmherzig. Seit 2011 schreibt Jason Aaron „Thor“, im selben Stil: Erst geht es vier Sammelbände lang um Odins Sohn. Dann um eine geheimnisvolle Frau, die Thors Hammer übernimmt. Eine Reihe, die immer schneller, facettenreicher, melodramatischer wird. Allergrößte Oper!
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Invincible Iron Man. Bisher 2+ Bände, dann das Crossover „The Search for Tony Stark“; von Brian Michael Bendis (Text), Stefano Caselli (Zeichnungen):
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Tony Stark ist fort. Doch sein Bewusstsein hilft, als A.I.-Programm, der brillanten Schülerin Riri Williams beim Bau einer eigenen Iron-Man-Rüstung. Brian Michael Bendis, Erfinder von Jessica Jones, ist einer der wichtigsten (und: feministischsten) Marvel-Autoren. Mit „Invincible Iron Man“ und der (leider: viel schlechteren) parallelen Serie „Infamous Iron Man“ verabschiedet er sich aus dem Marvel-Universum und wechselt zu Konkurrenzverlag DC. Riris Hefte? Young-Adult-Spaß mit allen Figuren, die schon in den Iron-Man-Kinofilmen überzeugten (Pepper Potts etc.) – und Spider-Mans Tante May!
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Runaways [Neustart]. Bisher ein Sammelband; von Rainbow Rowell (Text), Kris Anka (Zeichnungen)
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Ein Comic-Erfolg ab 2003, seit 2017 auch als TV-Serie: Fünf Jugendliche denken, ihre Eltern seien alte Geschäftsfreunde. Tatsächlich sind sie ein Schurken-Geheimbund. In Rainbow Rowells Neuauflage verging Zeit: Fast alle kriminellen Eltern sind besiegt, die Runaways gehen eigene Wege. Dann gelingt es zweien, eine verstorbene Freundin via Zeitreise in die Gegenwart zu retten. Start einer langsamen, dialoglastigen, gefühlvollen, oft „Buffy“-haften Young-Adult-Reihe über Freundschaft und Entfremdung. Vorwissen über die früheren „Runaways“-Hefte? Kein Muss.
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Batwoman. Greg Rucka (Text), J.H. Williams III (Zeichnungen, ab Band 2 auch Text)
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Kate Kane, Bruce Waynes lesbische, jüdische Cousine, wollte Elite-Soldatin werden. Jetzt kämpft sie gemeinsam mit ihrem Vater, einem Colonel, gegen meist übersinnliche und okkulte Bedrohungen in Gotham City. Eine unverwechselbare Frau in düster-märchenhaften Urban-Fantasy-Abenteuern, oft ebenso unverwechselbar gezeichnet, inszeniert. Die ersten fünf Sammelbände? Die beste DC-Serie seit 2011. Auch James Tynions „Detective Comics“, über Kate als Bat-Team-Chefin, machen Spaß.
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Moon Girl. Bisher 5+ Sammelbände; Amy Reeder (Text), Brandon Montclare (Zeichnungen)
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Ein Comic für Kinder ab 8 – über die begabteste Person im Marvel-Universum: eine schwarze Drittklässlerin in Midtown, mit liebevollen Eltern und einem bodenständigen Alltag. Lunella Lafayette lernt einen tumben Saurier kennen, versteckt ihn im geheimen Labor unter der Schule. Ich liebe, dass die Serie viel süßlicher, harmloser sein könnte – doch immer wieder komplizierte Abenteuer und Konflikte entwickelt; und dass Lunella oft atemberaubend arrogant, unterfordert, frustriert sein darf. Eine kindgerechte Kinder-Heldin – mit Profil und Abgründen.
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6 Sci-Fi-Tipps, in denen Frauen zentral sind – doch nicht die einzige Hauptfigur:

Saga. Bisher 8+ Sammelbände; von Brian K. Vaughan (Text), Fiona Staples (Zeichnungen)
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Eine Soldatin verliebt sich in einen Mann der gegnerischen Spezies. Die beiden zeugen ein Kind – und flüchten, vor beiden Nationen. Vaughans brutale, aber sehr zärtliche Weltraum-Odyssee zeigt markante, originelle Welten, Wesen; und liebt irre Cliffhanger, Zeitsprünge, dramatische Ironie. Der beste Comic des Jahrzehnts, mit vielen interessanten Frauenfiguren – einige auch queer und/oder trans.
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Injection. Bisher 3+ Sammelbände; von Warren Ellis (Text), Declan Shalvey (Zeichnungen)
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Fünf britische Genies – zwei Frauen, drei Männer – setzen eine künstliche Intelligenz in die Welt. Doch das Programm glaubt, wachsen zu können, indem es prüft, ob es Übersinnliches, fremde Dimensionen, okkulte Wesen gibt – und diese kontrollieren kann. Ein Mystery-Comic im Stil von „Akte X“, „Fringe“ oder „Torchwood“, mit Figuren, inspiriert von „Dr. Who“, James Bond und Sherlock Holmes. Autor Warren Ellis liebt Technologie, Literatur, Mythologie – und spielt hier kongenial mit britischen Pulp-Nationalmythen.
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Invisible Republic. Bisher 3+ Sammelbände; von Gabriel Hardman (Text und Zeichnungen), Corinna Bechko (Zeichnungen)
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Die Menschheit hat ein fremdes Sonnensystem besiedelt – doch der Mond Avalon wurde durch Bergbau, Korruption und einen Stellvertreterkrieg zur Militärdiktatur. Ein junger Partisane und seine Cousine wollen das Regime stürzen. Mit welchen Mitteln? Auf zwei Zeitebenen zeigt Hardman Geopolitik, Kolonialismus, linke Debatten; und fragt nach der Rolle von Whistleblowern und Presse. Ein realistischer, manchmal grauer Geheimtipp, der optisch an Osteuropa in den 70ern erinnert. Eine TV-Version? Kommt sicher bald. Perfekte Vorlage!
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The Vision. In 2 Sammelbänden abgeschlossen; von Tom King (Text), Gabriel Hernandez Walta (Zeichnungen)
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Ein Android mit Sehnsucht nach Menschlichkeit baut sich eine Kleinfamilie, zieht in die Vorstadt… und erlebt, wie in einem magischen Norman-Rockwell-Herbst alles vor die Hunde geht: „The Vision“ beginnt als „domestic drama“ im satirischen Retro-Look. Doch in Band 2 tauchen auch andere Avengers, Victor Mancha, die Scarlet Witch auf – und aus einer „Mad Men“-artigen Parabel wird ein Helden-Thriller. Nerdig, menschlich, überraschend. Und, wie immer bei Tom King: voller Motivketten, formaler Spielchen und erzählerischer Tricks. Souverän!
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Black Hammer. Bisher 3+ Sammelbände sowie mehrere Spin-Off-Comics; von Jeff Lemire (Text), (Zeichnungen)
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Eine Gruppe Superhelden, wie wir sie aus den 50ern und 60ern kennen, dem „Golden“ und dem „Silver Age“ der Heldencomics, ist seit Jahrzehnten gestrandet – in einem künstlichen Retro-Dorf. Kanadier Jeff Lemire liebt Groschenheft-Klischees. Und ehrliche, tiefe Provinz-Melancholie. „Black Hammer“ ist ein neues, eigenes Erzähl-Universum, das klassische Figuren wie Mary Marvel, Lex Luthor und Martian Manhunter neu denkt. Liebevoll, morbide, intelligent.
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Darth Vader. In 4 Sammelbänden und dem Crossover „Vader Down“ abgeschlossen; doch fortgesetzt in der (schwächeren) Serie „Star Wars: Doctor Aphra; von Kieron Gillen (Text), Salvador Larroca (Zeichnungen)
Dr. Aphra ist Archäologin (und lesbisch) – und hat keine Skrupel, fürs Imperium zu arbeiten. In klugen Polit- und Action-Dramen, die alle zwischen Episode IV und V spielen, kämpfen Vader und Aphra mit- und gegeneinander. Sie überlisten Rebellen. Verbündete. Und alle, die versuchen, sie zu verraten. Ein Comic voll zynischer Figuren – der jedoch selbst nie menschenfeindlich, respektlos wird. Sondern zeigt, wie im totalitären Imperium jeder leidet – unter jedem anderen.
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15 Comics, auf die ich mich freue:

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Hawkeye Kate

tolles Panel aus: „Hawkeye: Kate Bishop“, Vol. 2

Die besten Comics 2018: Empfehlungen zum Gratis-Comic-Tag #gct2018

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Am Samstag, den 12. Mai 2018 ist Gratis Comic Tag [Infos: hier].

In teilnehmenden Comic-Shops, Buchhandlungen, Zeitschriftenläden darf man aus 35 je ca. 40 Seiten langen Gratis-Comics wählen; so lange der Vorrat reicht. Ein Radar zum Finden aller Stores: hier im Link.

Als Kritiker und Journalist stelle ich u.a. bei Deutschlandfunk Kultur und im Berliner Tagesspiegel Comics vor und gebe regelmäßig persönliche Empfehlungen hier im Blog [2017 | 2016 | 2015 | Mangas]. 2017 und 18 schrieb ich die Programmtexte zur Manga Comic Con der Leipziger Buchmesse. 2014 und 2015 übersetzte ich zwei Versionen eines „Avengers“-Lexikon vom Englischen ins Deutsche.

Zum Gratis Comic Tag ließ ich mir alle 35 Titel zur Rezension schicken. Hier im Eintrag stelle ich sie vor.

Hier im Blogpost: Ausschnitte, [gekürzte, teils präzisierte] Klappentexte und etwas Literaturkritik / Einordnung von mir.

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Unerschrocken. Portraits außergewöhnlicher Frauen

Reprodukt | Pénélope Bagieu

Reprodukt_GCT2018_Unerschrocken„Vorreiterinnen, Querdenkerinnen. Jede eine Heldin auf ihre ganz eigene Art. Diese Frauen fanden ihre Bestimmung: Insgesamt 30 beeindruckende Persönlichkeiten porträtiert Pénélope Bagieu in den beiden Bänden von “Unerschrocken”, darunter bekannte Namen wie die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim und noch zu entdeckende Persönlichkeiten wie die Vulkanologin Katia Krafft. Sie alle führen und führten ein selbstbestimmtes Leben und haben die Welt verändert. Das Heft zum Gratis Comic Tag zeigt drei spannende Biografien: Sonita Alizadeh, Rapperin aus Afghanistan; Autorin und Zeichnerin Tove Jansson; und Mae Jemison – die erste schwarze Frau im Weltall.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Reprodukt | Goodreads

Empfehlung: Drei politische, inspirierende, packende Kurzbiografien, je 6 Seiten lang – die ich nie vergessen werde.

Schwächen? Über einen großen Mann schreiben Menschen eine Monografie. Doch wegweisende Frauen landen dauernd in Büchern, die 15, 20, 30 von ihnen sammeln. „Unerschrocken“ begann als Zeitungsprojekt und wirkt weniger wie ein Comic als eine illustrierte Info-Seite. Didaktisch, textlastig, visuell nie besonders reizvoll. Aber: Pénélope Bagieu ist SEHR gut darin, Relevantes auszuwählen und pointiert, kurzweilig zu präsentieren. Für mich sind diese Biografien Einladungen, zu googeln, mich selbst weiter zu bilden. Bagieu macht Lust, mehr zu erfahren!

und dann? Narrativere, literarischere Comics über Frauen- und Bürgerrechte, z.B. „Stuck Rubber Baby“ oder „Ooku – the inner Chambers“; Tove Janssons wunderbares „Sommerbuch“

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Q-R-T

Reprodukt | Ferdinand Lutz

Reprodukt_GCT2018_Q-R-T_CVR_web„Q-R-T sieht aus wie ein normaler Junge, doch ist schon 122 Jahre alt. Er kommt vom Planeten Rzzz, auf dem man sein Leben lang Kind bleibt. Mit seinem tollpatschigen Haustier Flummi, das jede beliebige Gestalt annehmen kann, zieht er in eine Plattenbausiedlung, um das Verhalten der Erdlinge zu studieren. Die scharfsinnige Nachbarin Lara lässt nicht locker und stellt unangenehme Fragen. Ferdinand Lutz’ liebevoll-schräge Comics erschienen 2011 bis 2016 monatlich im Kindermagazin “Dein SPIEGEL”.“

Details: Reprodukt| Goodreads

Empfehlung: Kurze, kindgerechte Episoden. Jedes Panel zeigt schöne Charakter-Momente oder einen Grund, zu lachen. Lara wirkt etwas banal / nebensächlich, und die Atmosphäre (mit Kehrwoche etc.) erinnert mich an eine Kindheit der 80er, nicht an heute. Trotzdem: So einladend, leicht verständlich, schwungvoll… ein gutes Geschenk; und eine Figur, die Kinder anspricht. (Plus: kluges Kurzinterview des Zeichners/Autors.)

Schwächen? Ein Ensemble wie aus einer typischen 80er-Jahre-Sitcom („ALF“, „Mein Vater ist ein Außerirdischer“); viele Witze wirken etwas gestrig.

und dann? „Kiste“ von Patrick Wirbeleit. Solider Erstleser-Comic ab 6. Und, wie immer: mein Lieblingscomic für alle Grundschüler*innen, „Yotsuba!“

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To your Eternity

Egmont Manga | Yoshitoki Oima

02_GCT2017_Manga_ToYourEternity„Allein in der Tundra: Der letzte Überlebende eines Dorfes ist dem Tode nahe. Doch er bekommt Gesellschaft: Ein unsterbliches Wesen ist auf der Welt gelandet und kopiert den Körper seines sterbenden Wolfshunds. Eine fantastische Geschichte voll Leid, Schmerz, Freundschaft, Liebe der Zeichnerin von ‚A Silent Voice‘.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads | Egmont

Empfehlung: Ein stiller, sofort verständlicher, märchenhafter A-Boy-and-his-Dog-Manga, der mich mühelos in die Geschichte zieht, neugierig macht.

Schwächen? Die Mangaka schrieb auch „A Silent Voice“: eine Manga-Reihe, in der eine gemobbte, gehörlose Schülerin Nebenfigur ihrer eigenen Geschichte blieb. Selbsthass und Tristesse, kein Empowerment. Ich mag, dass „To your Eternity“ ganz andere Figuren zeigt, eine ruhigere Grundstimmung. Doch ich traue dieser Autorin nicht zu, viel Kluges zu sagen über z.B. Nomadenvölker, oder die Psychologie jahrelanger Hunger-, Survival- / Überlebenskampf-Konflikte.

und dann? Viel besser gezeichnet? „Young Bride’s Story“, über Alltag an der Seidenstraße im späten 19. Jahrhundert. Großes, märchenhaftes Survival-Kino? „Nausicaä – Prinzessin aus dem Tal der Winde“. Auch die Manga-Vorlage will ich endlich lesen.

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Schattenspringer

Panini | Daniela Schreiter

Schattenspringer-GCT-Cover-500x„’Wer einen Autisten kennt, kennt genau EINEN Autisten‘, sagt sich Daniela Schreiter im dritten ‚Schattenspringer‘-Band und macht sich auf, andere Betroffene zu interviewen. Wie immer kombiniert sie dies mit ihren eigenen Erfahrungen. Und schafft erneut, wundervoll unterhaltend über ein scheinbares Tabuthema aufzuklären, ohne belehrend zu wirken. Schreiter wurde im wilden Berlin der 1980er Jahre geboren.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Panini  | Goodreads

Empfehlung: Eine Künstlerin mit Asperger-Autismus zeigt ihren Alltag – in didaktischen, einladenden Sach-Comics. Ich mag das Figurendesign, die klare Sprache und, wie verhältnismäßig tief, komplex hier auf wenigen Seiten über Themen wie „Warum stört mich, dass mir Partner beim Kochen helfen?“ oder „Warum brachte mich Gruppenarbeit an der Uni aus dem Konzept?“ gesprochen wird. Durchgängig lehrreich, lesenswert!

Schwächen? Ich war SO enttäuscht, dass der Mittelteil des Comics plötzlich nur Schwarzweiß zeigt. Und ich bin gespannt, wie tief Daniela Schreiter z.B. über Sexualität spricht, in ihren drei Büchern: einerseits gibt es eine „Nacktszene“. Andererseits spielt in den langen Passagen über die Dynamik in Partnerschaften Körperlichkeit *gar keine* Rolle.

und dann? Ich liebe den Pädagogik-Manga „With the Light: Raising an Autistic Child“. Tolle Sach-Comics über Neurodiversität oder Krankheit habe ich HIER im Link gesammelt. Ich folge Schreiters Kollegin und Freundin Sarah Burrini auf Twitter – und glaube, sie haben ähnliche Zielgruppen.

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Snoopy

Carlsen | Charles M. Schulz

CarlsenComics_Cover_Peanuts-500„‚DIE PEANUTS‘ gehören zu den großen, zeitlosen Comics: seit Jahrzehnten von Kindern und Erwachsenen geliebt. Bei Carlsen erscheinen deshalb Bücher für unterschiedlichste Zielgruppen, wie die 26-bändige, bibliophil ausgestattete Gesamtausgabe. Und die Reihe „Peanuts für Kids“ für die jüngsten Leser. Dieser Gratiscomic enthält farbige Comicstrips, Zeichenanleitungen und Rätsel.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Carlsen | Goodreads

Empfehlung: Sympathische, solide Snoopy-Comics, selten ganz-, meist halbseitig. Gewitzt, warmherzig, für jede Altersgruppe geeignet.

Schwächen? Keine. Snoopy ist nicht meine „Peanuts“-Lieblingsfigur. Das Heft dreht sich fast nur um ihn. Persönlich wäre mir ein Band über z.B. Patty, Linus oder Schröder lieber.

und dann? Ich frage mich oft, welche erwachsenere Serie den „Peanuts“-Tonfall am besten aufgreift. „Scott Pilgrim“ und „Honey & Clover“ sind recht schrullig, idiosynkratisch, melancholisch.

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Der freie Vogel fliegt

Chinabooks | Jidi & Ageng

chinabooks_der_freie_vogel_flie„China in den 90er Jahren: Lin Xiaolu besucht eine Mittelschule mit Schwerpunkt Kunst und Gestaltung. Als Scheidungskind lebt sie mit ihrer Mutter in der westchinesischen Stadt Chengdu. Sehr realistisch erfährt man von seelischen Nöten und Sorgen: erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, erste Liebe und Liebeskummer, die Sprachlosigkeit zwischen Heranwachsenden und ihren Eltern. Es werden auch schwierige Themen angepackt wie der enorme Schuldruck und Prüfungsstress.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Chinabooks | Goodreads

Empfehlung: Pastellfarben, gefällig, illustrativ. Ein sympathischer Comic mit interessanten Zwischentönen. Im Grundschulalter z.B. freut sich die Hauptfigur, dass ihre Eltern sich trennen und Partner suchen, die besser passen. Mir fehlen längere Szenen mit mehr Sprechblasen, Dynamik: Oft schreibt die Ich-Erzählerin drei, vier Sätze über ihr Innenleben, und auf der Bild-Ebene gibt es dazu eine nette, doch nie besonders originelle visuelle Umsetzung. Ein braver, statischer Comic. Klappentext und Erzähltext sind zudem seltsam trocken, akademisch: Ich kann kein Chinesisch. Doch vermute, dass hier an vielen Stellen unnötig abstrakt, verlabert übersetzt wurde.

Schwächen? Hätten die Nebenfiguren mehr Raum und mehr szenische Auftritte – die Geschichte wäre dynamischer, vielleicht authentischer.

und dann? „The Nao of Brown“ erzählt im selben Zeichenstil von einer Angststörung, deutlich klüger. „Punpun“ ist psychologischer (…und gegen Ende leider platt nihilistisch), zieht mich tiefer rein. Der tolle Anime „Your Name“ ist ähnlich illustrativ & pretty. Und Thi Buis „The Best we could do“ zeigt, dass es keine makellosen Bilder braucht, um Zwischentöne der Pubertät toll zu schildern. Auf meinem bald-Lesen-Stapel: Yoshihiro Tatsumis Künstler-Biografie „A Drifting Life“

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Black Hammer

Splitter | Jeff Lemire, Dean Ormston

Splitter_Black_Hammer_GCT_Cover„Das goldene Zeitalter der Superhelden ist um: Abraham Slam und seine Gefährten waren einst die Beschützer von Spiral City, doch nach einem Gefecht gegen ihren Erzfeind finden sie sich in einem gottverlassenen Nest im Nirgendwo wieder. Dort müssen die Helden sich häuslich einrichten, denn aus der Kleinstadt gibt es kein Entkommen. Jeff Lemire, Spezialist für ausgefallene Stories mit Tiefgang, schafft eine Hommage an die großen Comic-Helden, bei der die Liebe zum Genre aus jeder Seite strahlt.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Splitter | Goodreads

Empfehlung: Ich empfahl „Black Hammer“ schon mehrmals. Zuletzt mit folgendem Kurztext: Eine Gruppe Superhelden, wie wir sie aus den 50ern und 60ern kennen, dem „Golden“ und dem „Silver Age“ der Heldencomics, ist seit Jahrzehnten gestrandet – in einem künstlichen Retro-Dorf. Kanadier Jeff Lemire liebt Groschenheft-Klischees. Und ehrliche, tiefe Provinz-Melancholie. „Black Hammer“ ist ein neues, eigenes Erzähl-Universum, das klassische Figuren wie Mary Marvel, Lex Luthor und Martian Manhunter neu denkt. Liebevoll, morbide, intelligent.

Schwächen? Heft 1 ist männerlastig und recht trostlos. Die Erzählwelt wird bald bunter, feministischer, reicher. Nicht zuletzt durch z.B. Gastzeichner David Rubin.

und dann? James Robinsons „Starman“, Jeff Lemires „Royal City“ und „Essex County“, vielleicht auch Darwyn Cookes „The New Frontier“ (über das Silver Age, nicht das Golden Age); auch der direkte Vergleich zwischen „Watchmen“ und „Black Hammer“ lohnt sich.

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American Gods

Splitter | Neil Gaiman, P. Craig Russell, Scott Hampton

Splitter_American_Gods_GCT_Cove„Kaum hat Shadow seine Haftstrafe abgesessen, erfährt er, dass seine Frau einen tödlichen Unfall hatte. Darum hält ihn nichts davon ab, auf das Jobangebot des jovialen Mr. Wednesday einzugehen und dessen Leibwächter zu werden. Die Personen, die Mr. Wednesday auf seinen Reisen quer durch die USA besucht, sind ebenso undurchschaubar. Shadow steckt mitten in einem uralten Konflikt von wahrhaft göttlichem Ausmaß.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Splitter | Goodreads

Empfehlung: Neil Gaimans Romanvorlage? Eins meiner Lieblingsbücher. Die aktuelle HBO-Serie? Solide Kritiken. Der Comic irritiert: Ich mag, wie viel Platz jede Seite lässt, um Neil Gaimans Prosa Wort für Wort zu erhalten. Doch damit wirkt das Heft recht steif. Bildaufbau und Figuren (nach Models gezeichnet: Photo Referencing?) kommen mir vor wie aus den 90ern; und ich habe kein Vertrauen, dass jemand diese Seiten liest und daran sieht, was Comics als eigene, distinkte Kunstform können. Trotzdem: tolle Geschichte, schön koloriert, kompetent adaptiert. Und: sympathisch, dass eine der wagemutigsten Szenen im Roman – ein Mann wird von einer Vagina verschlungen – direkt hier im Heft zu finden ist.

Schwächen? Women in Refrigerators: Frauen, die sterben, damit die männlichen Helden Antrieb haben, zu handeln. Wäre ich kein Gaiman-Fan, würde mir dieser Start keine Lust machen, mehr von ihm zu lesen.

und dann? Ich bin kein Fan von Grant Morrisons und Dave McKeans „Arkham Asylum“, doch glaube, wer die „American Gods“-Ästhetik mag, wird den Klassiker lieben. Ich selbst empfehle den (schrulligen, auch toll verfilmten) Comic „Wild Palms“ von Bruce Wagner.

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Die drei ??? und das Dorf der Teufel

Kosmos | Christopher Tauber, Ivar Leon Menger, John Beckmann, Asja Wiegand

Kosmos_GCT2018_DDF_print-1-500x„Auf der Suche nach einem vermissten Freund des Chauffeurs Morton landen die drei ??? in Redwood Falls. Die Bewohner lehnen Fortschritt ab. Schon bald überschlagen sich die Ereignisse und das Dorf der Teufel zeigt sein wahres Gesicht.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Kosmos | Goodreads

Empfehlung: Drei schnöselige Jungs in Abenteuern, die mir wenig über Kalifornien zeigen/verraten. In meiner (Nicht-Bildungsbürger-)Kindheit las man das prollige, rassistische „TKKG“, nicht die drei Fragezeichen. Auch hier wachsen mir die drei Stock-im-Arsch-Boys und ihr Junge-Liberale-haftes Siezen nicht an Herz. Die Geschichte (oder: der Ausschnitt des Bandes, auf den sich das Gratis-Heft beschränkt) ist durchschaubar, klischeehaft, hat ein offenes Ende. Eine frustrierende Rahmenhandlung macht nichts besser. Doch die Zeichnungen?! Das Heft ist zeichnerisch – keine Übertreibung! – Weltklasse, und erzählerisch gut genug, dass ich… begeistert wäre, falls das ???-Team US-Horror-Lieblings-Comicreihen wie „Afterlife with Archie“, „Harrow County“ übernehmen würde.

Schwächen? Massig. Egal: Feiert dieses Heft; gebt den Künstlern Geld, Jobs, künstlerische Freiheiten. Erste Liga!

und dann? „Harrow County“ und „Afterlife with Archie“. Außerdem: Alles von Seth (Link), einem kanadischen Comiczeichner, der oft im selben Stil und mit den selben Farbkombinationen arbeitet. Und: Der aktuelle, lesenswerte Matt-Ruff-Roman „Lovecraft Country“ hat die selben Themen, Atmosphäre, den selben „Look“.

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Batman: Metal

Panini | Scott Snyder, Jim Lee, Andy Kubert, John Romita Jr

DBATME001CT_cover_RGB-500x714„Starautor Scott Snyder taucht tief ein in die Vergangenheit der Familie Wayne und die Ursprünge des DC-Kosmos ‒ und präsentiert die Schrecken des Schwarze-Materie-Universums! Batman und Helden wie Wonder Woman, Superman, Aquaman und Flash kämpfen ums Schicksal der Welt. Das DC-Mega-Event, das niemand verpassen darf!“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Wikipedia | Goodreads

Empfehlung: Die ersten beiden „Batman“-Bände von Scott Snyder, „Court of Owls“ und „City of Owls“, sind einsteigerfreundlich, packend. Dann wurden Snyders Comics esoterischer, barocker: überspannt. Oft toll eigensinnig. Oft einfach: Trash und Fan-Wank für ein Nischenpublikum. Ein DC-Autor dagegen, der auch Nischen-Themen toll mainstreamfreundlich erzählen kann? Geoff Johns. 2016 deutete Johns an, dass der Joker keine Einzelperson ist, sondern drei verschiedene Entitäten. In „Batman: Metal“ erzählt Snyder (der dafür wirklich GAR kein Talent bewies bisher) eine Geschichte im Johns-Stil, u.a. über den Joker. Die Kritiken sind großartig, der Start macht Spaß (ich las bisher erst 100 von fast 400 Seiten). Aber, Warnung: Das hier…

Schwächen? …ist ein DC-Comic für Menschen, die nachts wach liegen und sich fragen „WAS ist eigentlich mit Hawkman?“ oder „Welche Plastic-Man-Comics sind weiterhin ‚offiziell passiert‘, und welche kosmischen Zauber, Dimensionswechsel, Neustarts etc. haben die Figur verändert: inwiefern?“

und dann? Die meisten DC-Serien sind ab 2016 recht zugänglich, einsteigerfreundlich. Ich empfehle „Superman“ und „Action Comics“, „Detective Comics“, „Super Sons“ und das barocke, doch einladende, süffige „Injustice 2“.

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Die Nektons: Abenteurer der Tiefe

Dani Books | Tom Taylor, James Brouwer

dani_books-GCT-2018-Die-Nektons„Die wagemutige Meeresforscherfamilie Nekton reist mit ihrem High-Tech-U-Boot „Arronax“ in die Tiefe! Als es nach einem Erbeben vor der Küste Grönlands vermehrt zu Berichten über Monstersichtungen kommt, machen sich William und Kaiko Nekton gemeinsam mit ihren Kindern Fontaine und Ant (sowie natürlich Ants Haustier, dem Fisch Jeffrey) auf, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Werden sie aus Versehen aufgefressen? Wird es Ant gelingen, einem Fisch das Stöckchenholen beizubringen? Das Comic zur beliebten Super-RTL-Trickserie von Tom Taylor („Injustice: Gods Among Us“, „All-New Wolverine“).“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Serie bei TV Tropes | Goodreads | Dani Books

Empfehlung: Australier Tom Taylor, einer der witzigsten, schwungvollsten, zugänglichsten US-Heldencomic-Autoren, hat eine Kinderserie? Drei Staffeln? Auch in Deutschland erfolgreich? Ich bin bei Unterwasser-Serien (wie „Seaquest“) schnell nervös – weil oft nach wenigen Episoden die Ideen ausgehen. Die Rollenverteilung in der Familie Nekton ist konventionell, und noch bevor etwas Originelles geschieht, Ausmaß und… Tiefgang des Konflikts absehbar werden, hört der Gratis-Comic auf. Trotzdem: für 8- bis 12jährige wartet hier kompetente Mainstream-Unterhaltung eines Comic-Profis, dem ich seit ca. 2012 vertraue.

Schwächen? Seit Jahren sensibilisieren mich Freund*innen, dass Worte wie „dumm“, „irre“, „bescheuert“ ableistisch sind. Beim dritten, vierten „Du bist ein Idiot!“ unter den Geschwistern hier im Comic war ich gelangweilt, genervt.

und dann? Mein Tiefsee-Favorit (für Erwachsene) ist Matt Kindts „Dept H“. Die Nektons wirken auf mich noch zu sehr wie „The Incredibles“ (Pixar). Trotz guter Kritiken konnte ich mit den Abteuer-Grundschul-Comics „Amulet“ und „Avatar: Herr der Elemente“ wenig anfangen (die „Avatar“-Trickserie mag ich sehr).

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Super Mario Adventures

Kazé | Kentaro Takekuma, Charlie Nozawa

Kaze_SuperMario_COVER_UNVERBIND„Prinzessin Peach wird vom teuflischen Halunken Bowser entführt. Doch die Super-Klempner Mario und Luigi sind mit ihrem neuen Freund Yoshi schon auf dem Weg. Können sie den Koopa-König aufhalten, bevor er Peach zur Heirat zwingt und das Pilzkönigreich an sich reißt? Exklusiv für das offizielle Magazin ‚Nintendo Power‘ entstand von Januar 1992 bis Januar 1993 eine Reihe von Comic-Strips. Diese Comics folgten nicht der Storyline eines bestimmten Spieles, vielmehr erzählten sie neue Abenteuer der bekannten Helden – und führten sogar neue Figuren ein. Der Sammelband Super Mario Adventures bündelt erstmals und vollständig auf Deutsch alle Comics. Zum Gratis Comic Tag gibt es die Kapitel 1 bis 3 zum Schnuppern.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Kaze | Goodreads

Empfehlung: Die Super-Mario-Trickserien von 1989 („Super Mario Bros Super Show“), 90 („Super Mario Bros 3“), 91 („Super Mario World“) sind atemberaubend schäbig, geistlos, schlecht. Umso toller, wie viele skurrile Ideen, Bildwitze, Wortspiele und Details dieser Werbe-Comic von 1993 aus dem selben Stoff holt. Man merkt dem Comic sein Alter deutlich an – Luigi nahm ich z.B. in modernen Spielen nie als faulen Vielfraß wahr. Doch Mario ist eine SO populäre Figur, über die es SO wenig interessante Texte, Geschichten gibt: Ich bin hingerissen! (Schaut z.B. oben: Bowser hat sogar DEN SCHREI VERSTEINERT!)

Schwächen? Ein Toad-Masseur, der über Chi spricht, eine halbe Seite lang auftaucht, sieht aus wie die typische rassistische Karikatur eines Chinesen.

und dann? Sagt es mir! Der „Sonic“-Comic hat oft gute Kritiken, doch bisher war ich von jeder Leseprobe gelangweilt. TV Tropes hat eine kurze Liste mit Comics, die auf Spielen basieren.

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Grandville

Schreiber & Leser | Bryan Talbot

schreiberleser_Grandville_cover„Wie sähe die Welt aus, wenn Napoleon bei Waterloo gewonnen hätte? Vielleicht wäre die Sozialistische Republik Britannia ein kleiner, unbedeutender Staat, über die Kanalbrücke verbunden mit dem Empire Frankreich. In dieser Parallelwelt wird die Leiche eines britischen Diplomaten aufgefunden. Selbstmord? Detective Inspector LeBrock und sein Assistent Roderick Ratzi ermitteln in der Grandville Paris, der Stadt der Lichter. Bryan Talbot, u.a. bekannt durch ‚Sandman‘, verneigt sich mit dieser Steampunk-Serie vor Meistern wie J.J. Grandville, Albert Robida, Sir Arthur Conan Doyle und Quentin Tarantino.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Schreiber & Leser | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. Ein Dachs, der spricht wie Sherlock Holmes, erlebt recht hölzern und steif geschriebene und gezeichnete Steampunk-Krimi-Abenteuer mit erwartbaren Nebenfiguren, Wendungen. Ich mag die detailverliebten Zeichnungen, die Alternate-History-Ideen und, wie erkennbar tief und leidenschaftlich sich Autor Bryan Talbot literarisch in die Tropen, Stimmungen, Themen des viktorianischen Zeitalters einarbeitete. Außerdem: Paradoxe wie „In Paris scheißen die Hunde auf die Straße“. Sprechen wir von anthropomorphisierten Hunden? Oder haben die anthropomorphisierten Hunde im Grandville-Universum Hunde als Haustier? Ich glaube, dass z.B. Disney mit diesem Stoff mehr machen könnt. (Oder – hey: Die Spanier, die in den 80ern „Um die Welt mit Willy Fog“ animierten!)

Schwächen? Im ganzen Heft: amateurhafte Computereffekte, Kolorierung. Trotzdem ist der Comic innen deutlich einladender als das triste Titelbild. Unbedingt aufschlagen, blättern!

und dann? Um Welten besser gezeichnet, stilsicherer inszeniert: die „Blacksad“-Comics.

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Usagi Yojimbo

Dantes Verlag | Stan Sakai

Dantes-Verlag-GCT-2018-Usagi-Yo„Die Saga um Usagi Yojimbo [wörtlich: „Leibwächter Hase“] entfaltet sich im teils fiktiven Japan am Ende des 16. Jahrhunderts. Die historische Schlacht von Sekigahara wurde am 21. Oktober 1600 geschlagen: Sie beendete die Zeit der Bürgerkriege und etablierte die Shogunatsherrschaft. Die Samurai bilden im ganzen Land die herrschende Klasse. Sie folgen einem strengen aber ungeschriebenen Kodex an Verhaltensregeln, dem bushido [„Weg des Kriegers“], und müssen in der neuen Ordnung erst noch ihren Platz finden. Es ist eine Zeit unruhiger Geschäftigkeit und politischer Intrigen. Durch diese Welt wandert ein herrenloser Samurai: Miyamoto Usagi. Im Comic „Ein welkes Feld“ trifft er auf Nakamura Koji, einen in die Jahre gekommenen, vollendeten Schwertkämpfer.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Dantes | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. Das kluge Vorwort des Gratis-Comics zeigt: Der Dantes-Verlag brennt für diesen Comic, will die historischen Hintergründe vermitteln. Ich liebe Holzschnitte von u.a. Hasui Kawase, bewundere Sakais elegante, fachkundige Zeichnungen. Emotional stieg ich trotzdem aus – als die Hauptfigur 16 Samurai tötet, ohne Gedanken. Mir sind fast alle Samurai-Manga zu gefühlskalt – und ich komme mit der Mischung „Funny Animal-Figuren & Seppuku“ nicht zurecht, emotional.

Schwächen? Moderne „Turtles“-Comics werden oft für ihre Psychologie, Deepness gelobt – doch bisher las ich keinen, der mich tatsächlich packte. „Usagi Yojimbo“ ist etwas tiefer, melancholischer, psychologischer – doch auch hier wünsche ich mir mehr Innenleben. Die Hauptfigur blieb mir teils ekelhaft fremd.

und dann? Hier im Link merkte ich mehrere Samurai-Manga vor. MÜSSTE ich einen lesen, wäre es „Jin“ von Motoka Murakami (ein Arzt in der Edo-Zeit). „Blade“ und „Vagabond“ sind zu nihilistisch; „Shigurui“ fand ich absurd und, in seinen Gewaltdarstellungen, pornografisch. Trotzdem war’s ne Lektüre, die ich nie vergaß.

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Ekhö

Splitter | Christioge Arleston, Alessandro Barbucci

Ekhoe_01_GCT_Cover-500x714„Als ihre Linienmaschine vom Blitz getroffen wird, landet die junge Studentin Ludmilla auf dem Rücken eines Flugdrachen in New York landet. Doch ist dies überhaupt noch New York? Es gibt keinen Strom oder Autos, dafür aber jede Menge Fabeltiere. Im Hintergrund der bizarren Parallelwelt Ekhö halten die Preshauns die Fäden in der Hand: scheinbar putzige, etwas pedantische Wesen, die Eichhörnchen ähneln. Im Flugzeug krallte sich Ludmilla an ihrem Sitznachbarn Juri fest, der ihr nun auf Schritt und Tritt folgen muss. Gelegentlich wird sie von ruhelosen Geistern kürzlich Verstorbener besessen, die erst von ihr ablassen, wenn ihr ungeklärter Todesfall gelöst ist.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. In jedem Sammelband erkundet Ludmilla (mit Juri?) eine andere Stadt der Spiegelwelt. Warum sie dabei zusätzlich „Ghost Whisperer“-artige Fälle löst? Mir scheint das unfertig, überfrachtet. Hintergründe, Design des Comics: Weltklasse. Die Geschichte? Recht banal, schleppend. Allerwelts-Fantasy!

Schwächen? TV Tropes nennt Ekhö einen „Young Adult“-Comic; vom Zeichner der („Sailor Moon“-artigen) Kinderserie „WITCH“. Ludmilla wirkt wie Cassie Sandsmark, Wonder Girl in… (noch) pornös(er). Für mich ist Ekhö vorbei, weil a) Ludmilla auf jede Gefahr mit einem dümmlich-erstaunten Porno-Gesichtsausdruck reagiert, b) jedes Panel die übergroßen Brüste zeigt, c) zwei Stripperinnen ihre Brustwarzen schwenken, seitenlang. Nicht, weil sich  Erotik und Young Adult widersprechen. Sondern, weil hier zwei super-talentierte Männer, die sich auf jeder Seite endlos gestalterische Mühe geben, mit schmierigem Male Gaze alles verderben. Selbstsabotage. Selbst-Verramschung.

und dann? Der schönste aktuelle Parallelwelt-Comic, den ich kenne: Matt Kindts „Ether“. Doch tatsächlich sind die „Ekhö“-Zeichnungen besser. Sehenswert: Simon Spurriers „The Power of the Dark Crystal“

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Lucky Luke: Billy the Kid

Egmont | René Goscinny, Morris

03_GCT2018_Comic_Lucky_Luke_37-„Der einsame Cowboy kommt nach Fort Weakling. Das einst lebhafte Städtchen ist wie ausgestorben und wird von Billy the Kid terrorisiert. Lucky Luke will Billy dingfest und aus den verschüchterten Einwohnern wehrhafte Bürger machen.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads zur Reihe | Kritiken zum Einzelband

Empfehlung: Bedingt. Ein Comic von 1961 – mit markantem Figurendesign, viel Humor, seiner Zeit voraus. Mich langweilte „Lucky Luke“ als Kind, Anfang der 90er, und ich bin unsicher, wen diese Comics ansprechen: europäische Western-Klischees, alles sehr normiert – auch z.B. durch die engen, rigiden Panels. Wer die Figur mag, findet hier eine komplette Geschichte. Ich selbst habe keine Lust, mehr zu lesen.

Schwächen? Kaum Frauen. First-Nation-Figuren als übliches rassistisches Klischee.

und dann? Ich glaube, ich lese gar keine Western – und merke oft, dass andere Formate als Western konzipiert wurden (z.B. Staffel 4 von „Fear the Walking Dead“), ohne, dass mir diese Strukturen auffallen. Der Weltraum-Westerncomic „Copperhead“ ist brav, gemächlich, aber sympathisch. „Westworld“ ist toll – aber kein Western.

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Battle Angel Alita

Carlsen | Yukito Kishiro

battle_angel_perfect_edition_GC„Neuausgabe in vier Sammelbänden im Großformat, frisch digitalisiert und mit neuen Farbseiten – rechtzeitig zum Kinostart der von James Cameron produzierten Hollywood-Live-Action-Verfilmung. Auf dem Schrottplatz unterhalb der Himmelstadt Zalem findet der Mechaniker Ido den Kopf eines weiblichen Cyborgs, dessen Gehirn noch intakt ist. In seiner Werkstatt baut er dem Wesen einen reizvollen mechanischen Körper und gibt ihm den Namen Alita…“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Carlsen | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. 2017 legte ich den „Ghost in the Shell“-Manga (1989) zur Seite, weil mich die Optik „detailverliebte Technik, puppenhafte Kindfrauen mit Riesenbrüsten und Männer, im Funny-Stil gezeichnet“ abstieß. „Alita“ stammt aus der selben Ära (1991), hat etwas luftigere Layouts, ist flüssiger zu lesen. Doch ich mag a) keine Pinoccio-Plots, b) keine Mangas über Mädchen als Kampfmaschinen wie „Saikano“ und „Home sweet Home: Die fünfte Stunde des Krieges“. Durch „Westworld“ bin ich komplexe, feministische Geschichten gewohnt über künstliche Frauen, von Männern instrumentalisiert. „Alita“ ist, fürchte ich, schlichter. Im Gratis-Heft werden Prostituierte ermordet. Allen Figuren ist das Schicksal dieser Frauen recht egal. Bestimmt wird „Alita“ noch etwas tiefsinniger. Doch ich will SciFi lesen, in denen ALLE Frauen wertvoll sind. Nicht nur die eine: die mit dem Puppenmund und den Riesenbrüsten.

Schwächen? Hier gilt die umgekehrte Frage. Kann ich etwas, das handwerklich solide wirkt, nach ca. 40 Seiten aussortieren? Ich WILL das nicht lesen. Doch einen zweiten Blick ist es sicher wert.

und dann? „Westworld“, wie gesagt.

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Courtney Crumrin

Dani Books | Ted Naifeh

dani_books-GCT-2018-Courtney-Cr„Courtneys Eltern wollen fortan im alten Spukhaus des gruseligen Großonkels Aloysius wohnen. Courtney muss sich mit hochnäsigen Klassenkameraden und seltsamen zwielichtigen Besuchern herumschlagen, die oft bei ihrem Onkel vorbeischauen. Statt der Kinder aus der Nachbarschaft sind nun grausige Ghule und gräuliche Geister ihre einzigen Freunde.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Wikipedia | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. Ein Horror-Comic mit langweilig konventionellem Figuren-Design und Plot – an dem nur die bizarr unsympathischen Nebenfiguren auffallen: Courtneys Eltern sind ignorant, eitel; die Mitschüler prügeln, wenn Courtney kein Taschengeld auszahlt. Ein freundlicherer Schüler wird von ihr verachtet, dann von Monstern verspeist – ohne, dass sich Courtney oder der Erzähler daran stören. „Courtney Crumrin“ will etwas literarischer, „Coraline“-hafter sein als z.B. „Emily the Strange“ und „Monster High“ – doch wirkt wie ein freudloser, fader Nachklapp, zehn Jahre zu spät. [Edit: Nein. Der Comic erschien im Original 2002. Er wird nur absurd spät übersetzt!]

Schwächen? Der Klappentext gilt fürs komplette Buch, nicht fürs Gratis-Comic-Heft – und erwähnt, dass Courtney mit Geistern befreundet ist. Ich hoffe, einer dieser Geister ist der tote Kumpel. Falls nicht, ist mir das Menschenbild hier zu… garstig, kalt, gehässig für eine Geschichte, die ca. Elfjährigen gefallen soll.

und dann? Die warmherzige, makabre, schwungvolle Horror-Reihe „October Faction“ von Steve Niles! Unterkomplexe Plots. Doch viel enthusiastischere Helden! Oder meine Lieblings-Comicreihe überhaupt, „Locke & Key“. Auch der Middle-Grade-Grusel-Comic „Anya’s Ghost“ ist solide.

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Sigurd

Ewald Verlag | Hansrudi Wäscher, Angel B. Mitkov

Cover-Becker-Comic-etc„Zwei Kurzgeschichten des ritterlichen Helden Sigurd. Im von Hansrudi Wäscher gezeichneten Abenteuer „Im Tal der Schatten“ nimmt Sigurd es gegen eine Bande auf, die als sagenhaften Werwölfe Angst und Schrecken verbreiten. „Gefährliche Hilfe“, gezeichnet von Angel B. Mitkov, ist ein Auszug aus der aktuell geschaffenen Fortsetzung des 1968 abgebrochenen Abenteuers: wobei streng darauf geachtet wurde, dass Wäschers markanter Zeichen- und Erzählstil beibehalten wurde.“[Klappentext, gekürzt.]

Details: Wikipedia

Empfehlung: Bedingt. Ich glaube, man kann aus „Sigurd“, seiner Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte viel lesen über Deutschland in den 50ern, und ich bin froh um jeden Satz, der diese Comics kontextualisiert, erklärt. Lesespaß? Nein. Eine farblose Hauptfigur, keine Frauen, zu viel Der-Erzähler-erzählt. Immerhin spielen die Comics nicht im apolitischen „Gummibärenbande“-Märchenbuch-Mittelalter. Sondern setzen voraus, dass ihre Leser z.B. wissen, wie Wilderei funktioniert oder, was Lehnsherren sind.

Schwächen? Ich dachte, die Panels, die ich oben fotografierte, stammen aus den 50ern. Doch sie sind moderne Hommagen: „echte“ Sigurd-Comics waren noch hölzerner.

und dann? Ab 1905 zeichnete ein Amerikaner „Little Nemo“. Ab 1940 zeichnete Will Eisner „The Spirit“. Deutschland feierte DAS hier?

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Aposimz: Land der Puppen

Manga Cult | Tsutomu Nihei

GCT2018_MangaCult_Aposimz_Cvr_rDas neue Meisterwerk von Tsutomu Nihei (Blame!, Knights of Sidonia): Vor 500 Jahren verloren die Menschen des künstlichen Planeten Aposimz den Krieg gegen den Kern des Planeten und somit auch das Recht, im Inneren von Aposimz zu leben. Seitdem kämpfen sie auf der eiskalten Oberfläche des Planeten ums Überleben. Sie verstecken sich in den Ruinen einer längst vergangenen Zeit, um der Unterdrückung durch die aggressiven Cyborgs (oder Puppen) des Kernes zu entgehen… während sie eine mysteriöse Krankheit einen nach dem anderen selbst in Puppen verwandelt.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Cross Cult | Wikipedia

Empfehlung: Nur für a) Menschen, die durch „Blame!“ und „Knights of Sidonia“ schon Vertrauen in den Mangaka haben oder b) Menschen, die „Alien“-Designer H.R. Giger so toll finden, dass ihnen auch eine fade Schwarzweiß-Hommage des Looks (ohne besondere eigene Ideen) sehenswert scheint. Ich mag, wie absurd weit in der Zukunft alles spielt und hoffe, im Planetenkern sind komplexere, futuristischere Dinge verborgen (Hard Sci-Fi!). An der Oberfläche gibt’s erstmal nur Survival-, Soldaten- und Zombie-Klischees.

Schwächen? Das Manga-Kapitel hat Überlänge, das Gratis-Heft nicht: Die Handlung bricht mittendrin ab.

und dann? Der postapokalyptische Sci-Fi-Manga, auf den ich mich freue? „Desert Punk“. Liste mit weiteren Mangas des Genres: Link, TV Tropes.

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Kultgeschichten

Kult Comics | Michael Mikolajzak, Sascha Dörp, Holger Klein, Andreas Möller

KultComics_kultgeschichten_GCT1„Zum ersten Mal ist Kult Comics beim Gratis Comic Tag dabei, mit drei Geschichten: »S.C.U.M.« gezeichnet von Sascha Dörp, »Königinnen« von Holger Klein und »Wurzeln« von Andreas Möller. Alle Stories wurden von Michael Mikolajczak geschrieben. Spannende [70er-Jahre-]Geschichten über starke Frauen, Wahnsinn, Verzweiflung, Rache, Familienbande und Mord.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Kult Comics

Empfehlung: Bedingt. Ich schlage 35 Comics auf. „Unerschrocken“ (Platz 1) und „Kult Comics“ sind die einzigen, in denen Schwarze Frauen und queere Figuren nennenswerte Rollen spielen. Wer 80er-Jahre-Underground-Comics im Stil von „V for Vendetta“ mag, findet hier drei literarische, visuell halbwegs interessant inszenierte Episoden: Comics über die 70er, erzählt wie in den 80ern.

Schwächen? „Comics über die 70er, erzählt wie in den 80ern“ war kein Lob. Jeder von uns hat fünf, sechs Facebook-Freunde, die Zeug posten wie „Nach Led Zeppelin gab es keine nennenswerte Musik mehr!“ oder „‚Der Pate‘? Bester Film, seitdem gehts nur bergab“. Die „Kultgeschichten“ erzählen von Emanzipation, queere Politik (Valerie Solanas, Andy Warhol), Selbstermächtigung. Im Ton von Onkel Wolfgang.

und dann? Keine Ahnung – ich fand auch Reinhard Kleists „The Secrets of Coney Island“ schlimm gestrig, altbacken: Bin ich bei deutschen Amerika-Comics überkritisch? Aber: Warum nicht Schwarzen Künstler*innen direkt zuhören? In z.B. „Atlanta“.

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Garfield

Egmont | Jim Davis

03_GCT2018_Comic_Garfield-500x7„1978 erblickte der fett, faul, filosofische Kater das Licht der Welt. Das feiern wir mit einem Best-of aus 40 Jahren Garfield Comic-Strips.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Goodreads

Empfehlung: Ästhetisch, sprachlich, „zeitgeistig“ blieb „Garfield“ in den späten 70ern. 2017 las ich einen klugen, leidenschaftlichen „Squirrel Girl“-Comic von Jim Davis; bin deshalb umso enttäuschter, wie einfach er es sich sonst macht. „Garfield“ ist „Garfield“ ist „Garfield“. Nicht weniger. Aber: Ein bisschen wäre schön gewesen, in 40 Jahren!

Schwächen? Die längeren Farb-Strips, einer pro Doppelseite, sind origineller, witziger als die Drei-Panel-Shorts, die drei Viertel des Hefts einnehmen. Krass auch, dass kaum Frauen vorkommen.

und dann? „Calvin & Hobbes“ (dort sind die kurzen Schwarzweiß-Strips besser als die farbigen, mir immer etwas zu langen Sunday Strips). Oder, klar: „Garfield minus Garfield“!

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The Tale of the Wedding Rings

Kazé | MAYBE

Kaze_WeddingRings_Cover_NEU-500„Seit Jahren ist Sato schon in seine Nachbarin Hime verknallt. Doch als er den Mut aufbringt, ihr diese Liebe zu gestehen, eröffnet sie ihm, dass sie fortgehen wird – für immer. Seine Angebetete die Prinzessin eines magischen Königreiches und die letzte Hoffnung ihres verzweifelten Volkes. Um ihre Welt zu retten, muss Hime unbedingt heiraten, denn ihre Hochzeitsringe bergen ein mächtiges Geheimnis…“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Wikipedia | Goodreads

Empfehlung: Ich scheitere am Timing. Sato und Hime waren jahrelang Nachbarn – doch stellten sich die wichtigsten Fragen nie? Ein 08/15-Schulboy. Eine brave, gewissenhafte Standard-Schulmädchen-Figur. Auf den letzten Seiten ein Standard-Fantasy-Königreich. Ich sehe hier literarisch, gestalterisch, psychologisch keine Lust, keinen Ansatz, etwas Neues zu probieren. Eine Erzählwelt, so Schema F, dass ich aussteige.

Schwächen? „Sato ist von nun an der Ringkönig, dessen Aufgabe es ist, die Prinzessinnen der fünf verschiedenen Völker zu ehelichen. Jede Prinzessin besitzt einen Ring, mit dem man über ein Element gebieten kann.“ [Wikipedia] Urks.

und dann? Fantasy-Königreiche im Comic? „Monstress“, vielleicht die neue Reihe „Isola“.

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Wayne Shelton

All Verlag | Jean Van Hamme, Christian Denayer, Thierry Cailleteau

GCT2018-All_Verlag_v1-1-500x714„Vietnam-Veteran Wayne Shelton ist Mann für heikle Missionen, in Diensten finanziell potenter Auftraggeber ein. Der exzentrische Milliardär Horace T. Quale bietet Shelton stattliche Summen, um einem französischen Fernfahrer, der in der fiktiven ehemaligen Sowjetrepublik Kalakschistan in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzt, zur Flucht zu verhelfen. Shelton schart ein Team bewährter Mitarbeiter um sich. Ein Meisterwerk des modernen Abenteuercomics, geschaffen vom belgischen Erfolgsautor Jean van Hamme und seinem Landsmann Christian Denayer.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads | Wikipedia

Empfehlung: Nur für Menschen, die z.B. „The Italian Job“, alte Bond-Filme und „Ocean’s Eleven“ sehen können, ohne, dort Frauenfiguren, Vielfalt, Repräsentation zu vermissen. Ich las „Wayne Shelton“ und dachte „Oha. SO sahen die 80er aus. Angestaubt, altbacken – aber ECHT stilsicher.“ Dann merkte ich: Der Comic ist von 2001.

Schwächen? Am liebsten würde ich eine diverse Gruppe 17jähriger bitten, alle Sprechblasen und Texte neu zu schreiben. „Wayne Shelton“ ist ein Cliché Storm, altmännerhaft und provinziell, über den ich lachen, heulen könnte. Kunstvolle Zeichnungen, detailverliebtes Ambiente. Und: Es ist kein *böse* reaktionäres Comic. Sondern einfach: kurz gedacht, gedankenlos, langweilig.

und dann? Ed Brubakers „Velvet“ liebt 70er-Jahre-Dekor; Band 3 endet leider banal. 60er-Jahre-Bildwelten? Darwyn Cookes „Hunter“-Comics.

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Der Janitor

Schreiber & Leser | Francois Boucq, Yves Sente

schreiberleser_Janitor_cover-1-„Zwölf Janitoren bilden die geheime Elite-Schutztruppe des Vatikan. Als Nummer Drei ausfällt, muss jemand nachrücken: So wird aus dem jungen Pater Vince, der sich bereits als Leibwächter bei Sondereinsätzen bewährte, Janitor Trias. Doch Vince, weltlichen Genüssen nicht abgeneigt, quält sich mit Zweifeln über seine klerikale Berufung.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Schreiber & Leser | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. „Janitor“ hat keine dramatischen Schwächen, Angriffsflächen, Probleme – doch leider auch keine besondere Dramatik. Ein souveräner, gemächlicher Polit-Thriller, der im Original als großformatiges Album erschien und dessen kleine Schriftart hier als Heft alles noch träger macht. Fahrzeuge, Hintergründe sind detailverliebt, atmosphärisch inszeniert. Die Hauptfigur bleibt blass.

Schwächen? Keine interessanten Frauen. Um Welten zeitgemäßer als „Wayne Shelton“. Doch während Shelton Trash-Charme hat, ist mir der „Janitor“ einfach sehr egal.

stattdessen? Die aktuellen James-Bond-Comics haben maue Kritiken – und auch dort schnarchte ich jedes Mal, wenn ich mehr als zehn Seiten las, weg. Ich liebe Greg Ruckas „Queen & Country“-Spionage-Polit-Thriller.

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ASH – Austrian Superheroes

Contentkaufmann | Andi Paar, Harals Havas, Martin Frei, Jan Dinter u.a.

ASH_LDH_GCT_Cover-500x714Die Comicserie wurde 2015 durch Crowdfunding finanziert und 2016 gestartet. Seit 2017 erscheinen die Hefte regelmäßig alle zwei Monate. Das Ziel? Ein eigenes europäisches Mainstream-Superhelden-Universum. Seit Herbst 2017 wird ASH durch eine zweite Serie namens „LDH – Liga deutscher Helden“ ergänzt. Dahinter stehen über 20 Zeichnerinnen und Zeichner, österreichische bei ASH, deutsche bei LDH. Sowohl von den Storys und dem Artwork her als auch dem qualitativ hochwertigen Druck versucht das Team, denselben Look und Feel zu bieten wie die großen amerikanischen Vorbilder. Und denselben Spaß!“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Website | Goodreads

Empfehlung: Nein. Ich teile die Kritikpunkte von Lara Keilbart im Tagesspiegel (Link, zum Spinoff „LDH“): „Das Gesamtbild wirkt älter, wie ein Comic aus den 60er Jahren. […] Einerseits möchte es keine Parodie sein, andererseits sind die Protagonisten auf allen Ebenen wandelnde Klischees. Vor allem der alberne Jeck und der grobschlächtige Gamsbart irritieren mit Dialektsprache und unangebrachten lockeren Sprüchen. Die Dialoge sind dabei hölzern und die Formulierungen wirken oft peinlich verkrampft auf vermeintliche Epik getrimmt.“

Die burschikos-rustikale Lady Heumarkt ist eine witzige Figur. Und: toll, dass deutschsprachige Profis versuchen, mit der US-Szene mitzuhalten. Dass das Ergebnis so sehr nach Regionalliga klingt / aussieht, liegt für mich vor allem an der Idee, lokale Held*innen müssten „Captain Ethnic“-Klischees erfüllen. Ein lokaler Held sein? Heißt für mich nicht, sich zu kostümieren und zu benennen, als sei man Lokalmarketing; ein Maskottchen vom Fremdenverkehrsamt!

Schwächen? Mein größter Wunsch an diese Reihe: WENN euch so wichtig ist, Wien etc. zu zeigen, zeichnet bitte detailliertere, liebevollere Hintergründe. Und, hey: Für mich ist Österreich ein Land, das RIESIGE Probleme mit Fremdenhass, reaktionären Stimmen, Rechtspopulismus hat. Kämpfen die ASH-Leute dagegen? Oder steht die Heimattümelei dieser Comics für die Sehnsucht nach einem „Wir sind wieder wer!“/“Wir sind genau so gut! Sogar unsere Heldencomics“…?

stattdessen? Ich bin kein Fan der (humorvolleren, satirischen) Justice-League-Comics von Keith Giffen. Und: Bezeichnend, dass der einzige professionelle US-Comic, der mir zu ASH einfällt, eine Reihe von 1987 ist.

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Star Wars Abenteuer

Panini | Landry Q. Walker, Chris Eliopoulos, Allessandro Ferrari, Jordie Bellaire, Derek CHarm u.a.

StarWars_GCT_2018_Cover-500x714„Neben einer Leseprobe zur Junior Graphic Novel zum Filmhit ROGUE ONE enthält dieses spannende Heft zwei abgeschlossene Droiden-Kurzgeschichten, eine davon exklusiv nur in diesem Heft. Ein Highlight für junge Star Wars-Fans.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Star Wars Adventures in Deutschland: je 80 Seiten, bei Panini

Empfehlung: Nein. Drei von vier Gratis-Comics von Panini 2018 scheitern, weil sich statt einer packenden Geschichte viel zu knappe Vignetten ins Heft quetschen. „Star Wars“-Comics sind seit 2015 oft großartig: Kieron Gillens „Darth Vader“, „Kanan“, „Poe Dameron“. Ich mag die TV-Jugendserie „Rebels“, ich LIEBE Jarson Frys „Rebels“-Romanreihe „Servants of the Empire“. Doch ich las bisher keinen guten Comic der Jugendreihen „Star Wars: Adventures“ & „Forces of Destiny“ (Sympathisch? Die deutsche Zeichnerin Eva Widermann). Mich langweilen Landry Q. Walkers dialogfreie Druiden-Comics. Und der simple Zeichenstil lässt alle Figuren naiv, zu harmlos wirken.

Schwächen? Erst eine Nicht-Geschichte, in der C-3PO anreißt, wie viel er erlebte. Dann banale Druiden. Am Ende der Start der Kindercomic-Adaption von „Rogue One“. Nichts davon: unprofessionell. Doch als „Geschichte“ qualifiziert sich keine der drögen Szenen.

stattdessen? Ich suche selbst: abgeschlossene Graphic Novels für ca. Zehnjährige werden wichtiger, populärer (Liste für 2018, Link). Doch eine Heftreihe für die Altergruppe? Mit SciFi, Abenteuer? „Princeless: Raven the Pirate Princess“ war… okay.

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Werner: Wat Nu!?

BröseLine Verlag | Brösel

broesline_werner_13_gct_cover_1„Werner ist wieder da! Und zeigt der Fracking-Lobby, Donald und sonstigen Spinnern wo die Wuäss wächst! Die Essenz aus Alt und Neu. Gute Unterhaltung!“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads

Empfehlung: Nein. Ich mag, dass Werner eine Blue-Collar-Figur ist; Brösel wirklich *immer* mitdenkt, was das bedeutet: Auf dem Land zu leben, Handwerker zu sein, in vieler Hinsicht abgewertet und ausgeschlossen. Und ich mag, dass die ersten Seiten des Comics von Fracking handeln (und eine spätere Doppelseite vom Endlager Gorleben): Brösel ist politisch, hat Anliegen, Haltung. Doch Fracking wird sich nicht aufhalten lassen, indem Werner nach Hannover fährt und einen Anzugträger anbrüllt. Und dieser Comic – an vielen Stellen: charmant koloriert – hat nichts zu sagen, nichts zu erzählen, bei dem ich denke: „Whoa! Werner und Werners Macher gehören ins Jahr 2018.“ Ein peinlicher Comicstrip von 1982 verdirbt mir das Heft noch mehr: Eine übergewichtige Frau fragt einen Verkäufer nach einem knappen Bikini. Ihr Ehemann kriegt bei der Vorstellung, seine Frau darin zu sehen, das Kotzen.

Schwächen? Gestrig, müde, stehen geblieben. Die Comics erscheinen im Selbstverlag. Ich wünschte, jemand würde Brösel sagen: „Sei Punk. Sei unbequem. Sag klügere Dinge über Arbeit, Strukturwandel, Provinz!“

stattdessen? Walter Moers‘ „Das kleine Arschloch“?

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Is it wrong to try to pick up Girls in a Dungeon?

Kazé | Kunieda, Fuhino Omori

Kaze_IsItWrong_Cover-500x714„In den Tiefen des Dungeons lauern Monster, Schätze – und süße Mädchen! Doch wie soll ein Hänfling wie Bell nur die Aufmerksamkeit einer so talentierten Schwertmeisterin wie Aiz erwecken? Da hilft nur eins: Bell muss stärker werden. Also geht er fleißig weiter im Dungeon trainieren – und macht dabei schnellere Fortschritte, als er sich selbst je zugetraut hätte. Ohne sein Wissen schlummern in Bell besondere Fähigkeiten. Der Anime- und Light-Novel-Hit jetzt auch als Manga: aufgebaut ganz nach den Regeln japanischer Rollenspiele, inklusive Statuswerten und besonderen Skills, die den Helden von ihren Schutzgöttinnen auf den Rücken tätowiert werden.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads | TV Tropes

Empfehlung: Nein. „Sword Art Online“ hat viele Probleme typischer Shonen-Animes (endlose Superlative und Steigerungen; die Hauptfigur als Messias; Durchhalte- und Streng-dich-an-dann-klappt-schon-alles-Moral; naive Technikkritik & Körperbilder); doch dort geht es um E-Sport, Fantasy-Duelle, Rollenspiel und DUTZENDE interessanter, fähiger Frauenfiguren. „Is it wrong…?“ ist eine drittklassige, sexistischere, einfallslose Geschichte für die selbe Zielgruppe: ein Harem-Manga mit uninteressanten, sinnlos servilen Frauen und einer langweiligen, planlosen Hauptfigur.

Schwächen? Eine Figur in einem MMORPG (?) hinterfragt die Logik ihrer fadenscheinigen Welt. Alle zwei Seiten sehe ich Ballonbrüste an Mädchen, gezeichnet, als wären sie 12. Nach der „Ich bin die brave Bäckerin und schenke dir ohne Grund mein Essen!“-Szene verlor ich mein Vertrauen, dass hier noch etwas kommt, das meine Zeit wert ist.

stattdessen? Noelle Stevensons „Nimona“, vielleicht auch „The Guild“

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Avengers: Attack on Titan

Panini | Babs Tarr, Brenden Fletcher, Gail Simone, Phil Jimenez, Hajime Isayama, Jim Zub, Jason Aaron u.a.

Avengers-AttackOnTitans-GCT_cov„Als die Titanen Manhattan angreifen, stellen sich die Marvel-Helden den Giganten aus einer anderen Dimension. Das ultimative Crossover zwischen Attack on Titan und Avengers. Inhalt: ‚Attack on Titan‘-Kurzgeschichten von Gail Simone und Brenden Fletcher; Attack on Avengers; eine Szene aus Avengers K; und eine kurze Wolverine/Logan-Szene aus ‚Marvel Legacy'“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads zum über 200 Seiten langen US-Sammelband | Wiki zur Originalserie 

Empfehlung: Nein. Ich lese „Attack on Titan“, finde die Serie an vielen Stellen so zynisch, dass es faschistoid wird – doch freue mich, wie viele Wendungen sie nimmt und dass es mittlerweile, in Band 24+, um VÖLLIG andere Machtkonstellationen und politische Probleme geht. Die beiden AoT-Kurzgeschichten hier Heft sind banal. Brenden Fletcher, dessen ersten „Batgirl“-Band ich mochte, liefert bizarren, tumben Trash; Gail Simone eine fade Klischee-Geschichte. Alle fünf Storys im Heft sind viel zu kurz, oberflächlich, unnötig brutal – und falls ich nichts über die Avengers und / oder AoT wüsste, wäre mein Fazit nach 40 blutig-pubertär-zusammenhanglos-freudlosen Seiten: Beides kann ich mir sparen.

Schwächen? Überall, ja. Flechters Geschichte würde ich gern in einem Gender-Seminar besprechen: kurz gedachte „Girl Power“. Lichtblick: Ich mag Zeichner Phil Jimenez, doch finde seine Panels oft überfrachtet. Hier, in Gail Simones Geschichte, sind sie toll koloriert und wirken deshalb großzügiger, luftiger, eleganter als sonst.

stattdessen? G. Willow Wilsons „Ms. Marvel“ und Jason Aarons „Thor“ sind seit über vier Jahren die besten Marvel-Reihen.

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Oblivion Song

Cross Cult | Robert Kirkman, Lorenzo de Felici

GCT2018_CrossCult_ObivionSong_C„Der neue Comic-Hit von Erfolgsautor Robert Kirkman (The Walking Dead): eine actiongeladene Reise durch Raum und Zeit – fiese Aliens inklusive. Vor [10] Jahren tauchte in Philadelphia plötzlich eine Dimension auf, die fast die Hälfte der Stadt mit einem neuen Ökosystem überzog. Fast 20.000 Menschen verloren dabei ihr Leben. Nach der Katastrophe finden Wissenschaftler heraus, dass die fremde Welt nicht einfach in Philadelphia erschien, sondern den Platz mit einem Teil der Stadt tauschte. Neue Technologie ermöglicht nun die Reise zwischen Erde und der Oblivion genannten Dimension. In diese werden Rettungsteams geschickt, um die Überlebenden des echten Philadelphias in Oblivion zu finden und zu retten.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: GoodreadsCross Cult

Empfehlung: Nein. Ich las zwei Bände „The Walking Dead“, zwei Bände „Invincible“, doch scheitere an Robert Kirkmans Dialogen: In jeder Sprechblase stehen ein, zwei Sätze mehr als nötig. Seine Figurensprache ist deprimierend redundant. Er sagt das selbe mehrmals, direkt hintereinander. Es gibt zu viele Wiederholungen. Ich bin gelangweilt, dass seine Figuren oft den selben Punkt in der selben Sprechblase erneut machen. Ich will nichts lesen, das klingt, als gäbe es keinen Lektor. Kirkmans Sprache dreht sich im Kreis. Mich macht ungeduldig, wie oft er sich wiederholt.

Schwächen? Der selbe Kirkman-Bla wie immer. Dazu: eine einfallslose Erzählwelt und klischierte Figuren. Eine Prämisse, so frisch wie Roland Emmerich, „Sliders“, „Revolution“, „FlashForward“ etc.

stattdessen? Brian Wood denkt solche Stoffe politischer und persönlicher: Ich mag „DMZ“ und das etwas schwächere „The Massive“.

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Deadpool

Panini | Robbie Thompson, Mark Bagley, Gerry Duggan, Scott Koblish, Fred van Lente, Dalibor Talajic, Damion Scott

DEADPL023CT_cover-1-500x714„Deadpool, der Söldner mit der großen Klappe macht Jagd auf Cable, den Mutanten aus der Zukunft. Inhalt: The despicable Deadpool #287; Kurzgeschichten aus Deadpool #900 (II, III)“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Panini setzt auf diese Figur

Empfehlung: Nein. Ich sah den „Deadpool“-Kinofilm noch nicht. Das kann schon klappen: ein ultrabrutaler, fast unsterblicher Söldner, der mit dem Publikum spricht, alle Gegner überlistet. Halb Till Eulenspiegel, halb GTA-Avatar, der nur bösen Quatsch macht. Doch alle (5?) „Deadpool“-Comics, die ich las, erschienen mir wie: Der erstbeste Autor lässt Deadpool die erstbesten Dinge sagen. Dann wird jemand erschossen. Geist-, freud-, witzlos.

Schwächen? Mein Verdacht: Die Figur klappt, wenn mehrere Leute an ihr arbeiten, sich alle Beteiligten anstacheln. „Geht das gewitzter? Origineller?“ Die Comics hier im Band sind ein Armutszeugnis. Erzählerischer Bankrott. Menscheinfeindlicher Müll.

stattdessen? „Gwenpool“ zeigt die Comic-Leserin Gwen Poole – die plötzlich im Marvel-Universum erwacht. Begreift, dass sie in einem Comic steckt. Und mit Fan-Wissen Figuren manipuliert. „Gwenpool“ bringt mich zum Lachen. Und Weinen! „Deadpool“ könnte das. Doch versagt hier komplett.

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Dragons – Die Reiter von Berk

Cross Cult | Simon Furman, Stephen Downey, Sara Richard, Arianna Florean

GCT2018_CrossCult_Dragons_Cvr_r„Gleich drei irrwitzige Kurzgeschichten aus der Welt der Drachenreiter – bekannt aus TV und Kino. 1) Rotzbakke merkt, dass es gar nicht so einfach ist, als Babysitter auf einen Haufen Jungdrachen aufzupassen. 2) Ein verstauchter Flügel ihres Drachen Sturmpfeil zwingt Astrid zur Landung auf einer einsamen Insel. 3) Kann das Feuer der Drachen beim Schmieden helfen?“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Wiki | Goodreads | Cross Cult

Empfehlung: Nein. Seit mich „Ice Age“ und „Shrek“ anödeten, konnte ich mich zu keinem DreamWorks-Film aufraffen – das „How to Train your Dragon“-Universum ist mir fremd. Hier sehe ich: naive, eindimensionale Figuren in Geschichten, viel zu kurz und ohne Pointe. Ich mag den Zeichenstil in Astrids Geschichte (Bild oben). Und: Nichts an diesen professionellen Comics ist besonders amateurhaft, zweitklassig. Doch es sind jene Sorte Kurzgeschichten, die z.B. gratis in einer Cornflakes-Packung liegen, und sie machen mir *null* Lust auf Berk und seine Bewohner. Das hier liest sich wie KNAX: der fade Gratis-Comic der Sparkasse.

Schwächen? Vielleicht kann Cross Cult mit der Lizenz anspruchsvollere Erwachsenen-Comics querfinanzieren? Ich sehe: Storys, die mich schon als Kind schlimm gelangweilt hätten.

stattdessen? Viele aktuelle Kinderserien trauen sich a) anspruchsvolleres Design, b) schrulligere, teils auch  queere Figuren. Der „SpongeBob“-Comic ist oft überraschend gut. Auch „Adventure Time“-, „Stephen Universe“-, „Gravity Falls“-, „Wander over Yonder“-Comics würde ich sofort lesen.

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Micky Maus

Egmont | Gail Renard, Tom Anderson, Ferioli, Francois Corteggiani, Daan Jippes u.a.

02_GCT2018_Comic_Mickey_Maus-50„Jeder liebt Micky Maus! Die Comic-Ikone schlechthin feiert am 18. November 2018 90. Geburtstag! Zu diesem Anlass haben wir vier der besten Maus-Comics ausgewählt.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Comicforum

Empfehlung: Nein. In welchem Jahr erschien die längste Geschichte hier im Heft, von Gail Renard und Tom Anderson, ursprünglich: Anfang der 90er? In Deutschland haben die Disney-Enten viel mehr Fans als Micky. Sowohl die klassische Schabernack- und Unruhestifter-Maus aus den frühen Cartoons (hier im Heft: eine Comic-Version von „Micky’s Trailer“) als auch Detektiv- und Bürger-Micky der europäischen Comics sind umstritten. Ich selbst mag den seriösen Micky sehr, z.B. in „Das verzögerte Telefonat“. Hier im Comic aber: zwei banale Kurz-Strips, je eine Seite lang. Die blasse „Micky’s Trailer“-Adaption. Und eben: ein durchschaubarer, langweiliger Detektiv-Micky-Comic, ca. 25 Jahre alt.

Schwächen? Das Problem ist nicht, dass diese blassen, ramschigen, banalen Comics verschenkt werden. Sondern, dass sie unter dem Label „vier der besten Comics“ vermitteln sollen, was spannend ist an einer bekannten, doch oft nicht sehr beliebten oder greifbaren Figur. Hier versagt das ärgerliche, uninteressante Heft völlig.

stattdessen? Die neue „DuckTales“-Serie ist exzellent. Meine Lieblings-Comics aus den Lustigen Taschenbüchern habe ich u.a. hier gebloggt. Und Carl Barks ist so toll, wie alle sagen: Believe the Hype!

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Splatoon

Carlsen | Sankichi Hinodeya

GCT-2018_carlsen_Splatoon_U1-1-„Vorbild für die Mangaserie sind die Nintendo-Games auf Wii-U und Switch – ein Riesenspaß für Kids und alle Zocker! Bis an die Zähne bewaffnet mit Klecksrollern, Schwappern, Pinseln oder am besten gleich als Tintenfisch muss Farbe verteilt werden: Das Team, das das größte Gebiet in Inkopolis einfärbt, gewinnt! Das blaue Dussel-Team rund um den Inkling Goggle mischt das CoroCoro-Turnier auf. Was kann dieses Team, das voll neben der Kappe steht, den Konkurrenten entgegensetzen?“[Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Goodreads

Empfehlung: Nein! Ein Videospiel, in dem es NUR darum geht, auf den ersten Blick zu sehen „Liegt hier mehr Blau oder z.B. mehr Grün?“ als lustloser, banaler Schwarzweiß(!)-Manga voll „Deine Hose steht offen!“-Witzeleien. Ich lerne nichts über die Erzählwelt, die Inklings, einzelne Figuren. Nur, dass alle „dumm“ oder „peinlich“ sind. Bevor das erste Duell richtig beginnt, bricht das Heft ab. Armselig, drittklassig, langweilig.

Schwächen? NUR Schwächen.

stattdessen? Die Hauptfigur sieht aus wie Beast Boy aus „Teen Titans Go!“. Ähnlicher Tonfall – aber temporeich und witzig. Die Comics zur Serie sind solide.

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Bild unten: noch mal „Der freie Vogel fliegt“

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GCT2018

Marlon Bundo, John Oliver, Mike Pence und… schwule und „ideologisierte“ Kinderbücher

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morgen – Mittwoch, 21. März, gegen 14 Uhr im Kulturmagazin „Kompressor“ – spreche ich auf Deutschlandfunk Kultur über zwei konkurrierende Kinderbücher:

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John Oliver ist Comedian und hat seit 2014 eine wöchentliche Late-Night-Polit-Show auf HBO, „Last Week Tonight“. Er ist 40, Brite, und war seit 2006 Außenreporter / Correspondent bei Jon Stewarts Polit-Comedy „Tonight Show“.

US-Vizepräsident Mike Pence, 58, wuchs streng katholisch auf und saß ab 2001 im Repräsentantenhaus für Indiana (Midwest, Red State). Für seine Frau Karen konvertierte er in eine Freikirche. Die beiden haben drei Kinder.

Karen war Grundschullehrerin und malt mit Wasserfarben, vor allem Gebäude und Landschaften. Eine gemeinsame Tochter, Charlotte, ist 24. Charlotte hat Film studiert und kaufte für ein Filmprojekt einen Hasen.

mehr zu Charlotte: Link, Heavy.com

Charlottes Hase heißt Marlon Bundo – weil Charlotte ihn via Craigslist kaufte und sich beim Kauf ein „Was wollen Sie dafür?“-Dialog entspannt, der sie an eine Dialogzeile Marlon Brandos in „Der Pate“ erinnerte. Charlotte Pence ist u.a. auf Twitter aktiv und möchte Abtreibungen unter Strafe stellen – Retweet zum „March for Life“-Auftritt ihres Vaters (Link).

Sie hat unter 3000 Follower und ist keine sehr öffentliche Person.

Doch Marlon Bundo hat einen Instagram-Account mit über 20.000 Followern: Link

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Seit Oktober 2017 steht fest, dass Mutter und Tochter gemeinsam ein Kinderbuch produzieren – über Marlon Bundo, „BOTUS“ [Bunny of the United States], der seinen „Grampa“ Mike Pence durch den Tag begleitet, u.a. ins Weiße Haus.

Karen Pence zeichnet, Tochter Charlotte schreibt die Texte (simple Verse in Reimen, jeweils vierzeilig).

Ziel des Buchs ist, zu vermitteln, wie der Arbeitstag des Vizepräsidenten aussieht.

Hier im Video, bei der Nachmittagstalkshow „The View“ mit u.a. Whoopie Goldberg, erzählt Charlotte, „proud mother of Marlon“ [uff. kein Witz: steht in ihrer Autorinnen-Bio] ein wenig: Link

Mike Pence unterstützt bis heute „Focus on the Family“ – eine christliche Lobby-Organisation, die u.a. gegen Queerness und Homosexuellenrechte protestiert und deren Gründer glaubt, Homosexualität sei heilbar.

Pence sagt, dass queere Menschen im US-Militär nichts zu suchen haben. Als Gouverneur von Indiana erließ er ein Gesetz, das Gewerbetreibenden erlaubt, queere Leute „aus religiösen Gründen“ nicht zu bedienen, den „Religious Freedom Restoration Act“. Erst seit einem Amendment 2015 kann/darf das Gesetz kein Vorwand mehr sein, um gegen queere Menschen zu diskriminieren: Link

Charlotte Pences Buch erschien am Montag: „Marlon Bundo’s Day in the Life of the Vice President“. Ein typisches US-Bilderbuch mit ca. 32 Seiten Textteil.

Am Abend zuvor verkündete John Oliver in einem 20-Minuten-Beitrag über Mike Pences Homophobie, dass er ein eigenes Buch über Marlon Bundo produzieren ließ – ebenfalls ca. 32 Seiten, im selben Look und für die selbe Zielgruppe (Kinder ab ca. 3): „A Day in the Life of Marlon Bundo“ (Text: Jill Twiss, Zeichnungen: E.G. Keller)

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Im Oliver-Buch ist Marlon Bundo schwul, verliebt sich in einen anderen Hasen, Wesley, will ihn heiraten…

…was eine Stink Bug / Baumwanze, die aussieht wie Mike Pence, verbietet. Die Stink Bug ist „in charge“, deshalb müssen die anderen Tiere (u.a. eine Schildkröte, eine Maus, ein Igel, ein Dackel) gehorchen. Die Stink Bug sagt, „different“ sei schlecht, und „Boy Bunnies marry Girl Bunnies. Girl Bunnies marry Boy Bunnies. This is the way it has always been.“ – doch die anderen Tiere finden, jede*r von ihnen sei „different“, auf seine Art, und beschließen, eine Wahl abzuhalten, mit den Wahlmöglichkeiten „Who’s in Charge? A: The Stink Bug, B: Not the Stink Bug“. Als alle außer der Stink Bug für B stimmen, kann die Hochzeit gefeiert werden: eine lesbische Katzen-Pfarrerin traut die beiden Hasen.

Die Überraschung: Das Oliver-Buch ist *richtig* gut.

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Keine Verse/Kinderreime, sondern kurzer, sympathischer Fließtext, und anthropomorphisierte, ausdrucksstarke Figuren wie in u.a. „Zoomania“ und anderen Disney-Filmen. Es gibt ein paar Popkultur-Anspielungen wie Cameos der CNN-Moderatoren Anderson Cooper (als Hase) und Wolf Blitzer (als Wolf). Menschen tauchen nur am Rand auf: Wir sehen die Hosenbeine von Politikern („very boring meetings with very boring people“); dass Marlon im Haus von „Grampa“ Mike Pence lebt, spielt keine große Rolle: „This story isn’t about him, because he isn’t very fun. This story is about me, because I’m very, very fun.“

Es gibt eine Audio-Version des Buchs, bei dem schwule Stars wie Jim Parson („Big Bang Theory“), Jesse Tyler Ferguson („Modern Family“) und RuPaul Rollen einsprechen. Der Erlöse werden vollständig ans Trevor Project gespendet – einer Hilfsorganisation, die queere Jugendliche vor dem Selbstmord bewahren soll – und an AIDS United.

Marlon trägt im Buch eine bunte Fliege: Charlotte Pence hatte den Hasen an Halloween verkleidet und mit Fliege auf Instagram gepostet.

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Das Original-Buch ist nüchterner: Ich-Erzähler Marlon ist ein naturalistischer Hase ohne besondere Mimik oder Ausdruckskraft, der, wie ein Hündchen, „Grampa“ Mike Pence passiv durch den Tag folgt. Auch hier werden Menschen nur als u.a. Arm oder Hosenbein gezeigt.

Fokus liegt auf der Architektur, Lichtstimmung und Geschichte der verschiedenen Büros, Verwaltungsräume und Einrichtungen, die Pence (mit Marlon im Schlepptau) besucht: Das Haus, in dem der Vice President lebt, gehört der US Navy und hat ein eigenes Teleskop/Observatorium: Pence lässt Marlon durchs Fernrohr sehen. Pro Doppelseite gibt es eine Zeichnung, die jeweils Architektur/Umgebung zeigt… und irgendwo am Rand hoppelt unmotiviert ein kleiner, etwas trostloser Hase: Das Buch sieht aus, als habe Karen Pence Fotos aus Knöchelhöhe geschossen und die dann – künstlerisch recht uninspiriert – abgetuscht.

Das Buch ist keine Katastrophe – aber IRRSINNIG random: Wir erfahren nichts über Mike Pence‘ Charakter, Stärken oder Familiendynamik, und auch nur die oberflächlichsten Abläufe seines Jobs: Er fährt hierhin und dorthin, und zu jedem Ort gibt es ein, zwei Stücke beliebiger Trivia. Zum Beispiel, dass Mitglieder der US Navy Pence den guten-Morgen-Kaffee kochen. Oder, dass in der Einfahrt eine digitale Zeitanzeige im Gebüsch steht. Oder, dass in Pences Büro im weißen Haus ein Bild eines Landschaftsmalers aus Indiana, T.C. Steele, hängt.

Der einzige „Witz“ im Buch ist eben Marlons „BOTUS“, für „Bunny of the United States“ [der US-Präsident wird oft POTUS genannt].

Am unsympathischsten: Die Behauptung, dass Pence jeden Abend (gemeinsam mit dem Hasen) aus der Bibel liest und betet.

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Es gibt fünf Seiten Fußnoten / Appendix, die ich recht interessant finde – die aber KEIN drei- bis fünfjähriges Kind interessieren werden. Nichts an diesem Buch erklärt seine Existenz / schafft eine Existenzberechtigung.

Eine Freundin nennt die Amateur-Kunst reicher Frauen „Arztgattinnenkunst“: Karen Pence zeichnet in einem solchen Ist-doch-okay-für-einen-Amateur-Stil, Charlotte Pence schreibt lieblose, drittklassige Reime. Ein Teil des Erlöses wird kranken Kindern gespendet, und einer Organisation, die sich gegen Menschenhandel einsetzt.

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Mein Fazit: Bilderbücher in den USA wollen oft Erwachsene ansprechen. Sie sind raffinierter, witziger, eleganter als deutsche Kinderbücher, und oft verkaufen sich Titel, nur, weil Eltern sie witzig finden, z.B. „Get the Fuck to Sleep“. Zu meiner Überraschung ist Olivers „Better Bundo Book“ KEIN solches Buch – sondern tatsächlich ein ernst zu nehmendes, lohnendes, sehr professionelles und lesenswertes Plädoyer für Vielfalt, Demokratie und Selbstbewusstsein. Ich bin etwas genervt, dass Marlon seinen Wesley schon nach EINEM Tag Bekanntschaft heiraten will.

Und ich glaube, dass John Olivers Polemik einen falschen Eindruck vermittelt: „Buy it for the children, for any child you know… or please: Just buy it because you know it would annoy Mike Pence. You’d be doing a nice thing in a really dickish way.“

Mike Pence hat noch nicht auf Oliver reagiert; er tweetete nur, dass er stolz auf seine Tochter ist. Charlotte Pence tweetete, dass sie sich freut, dass Olivers Buch für einen guten Zweck ist.

[Beide Bücher sind in Deutschland als E-Book erhältlich; und beide erschienen in „echten“ Verlagen: Das Oliver-Buch bei Chronicle Press, und das Pence-Buch in einem konservativen Verlag, der u.a. mit Sarah Palins Büchern Geld macht, Regnery. Die Print-Erstauflage des Oliver-Buchs ist ausverkauft – weil alle vom Erfolg recht überrascht sind.]

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Zur Buchmesse erschien im rechtskonservativen Wutbürger-Magazin „Cicero“ ein dummer Artikel darüber, dass Grüne etc. Kinder indoktrinieren wollen, durch Kinderbücher über z.B. Veganismus oder Flucht. Der „Cicero“ wünscht sich, dass es z.B. auch Kinderbücher gibt, in denen gezeigt wird, wie sich ein deutsches Dorf fürchtet durch all die Geflüchteten und fragt sich, warum die AfD keine Stiftung hat, die Kindern Buchtipps gibt.

Ich werde den Artikel nicht verlinken – mir ist das zu hasserfüllt und kurz gedacht.

Stattdessen fragte ich auf Facebook, welche deutschen Bilderbücher mit queeren Figuren empfohlen werden können.

Freund Linus empfiehlt aktuell des trans-Bilderbuch „Teddy Tilly“. Ich finde es zu konfliktfrei und hätte mir mehr Tiefe gewünscht (z.B., mindestens, ein Gespräch über Pronomen!):

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Ich mag „Du gehörst dazu. Das große Buch der Familien“ und „Der verliebte Koch“. Aber in beidem spielt Homosexualität keine RICHTIG große Rolle: Sie ist selbstverständlich, aber eine Nebensache.

  • Jo im roten Kleid
  • Zwei Papas für Tango
  • König & König
  • Komm ich zeig dir meine Eltern
  • Joscha und Mischa, diese zwei
  • Luzie Libero und der süße Onkel
  • („…und wahrscheinlich gibt es noch einige andere. Auffällig finde ich das fehlen von weiblicher Homosexualität im Bilderbuch“, schreibt ein Freund).

Freundin P. ergänzt: „In „Das Zebra unterm Bett“ von Markus Orths hat Hanna zwei Väter, was nicht alle in ihrer Schule so einfach akzeptieren können. Geht wahrscheinlich nicht als Bilderbuch durch, fällt mir gerade auf, wird aber auch schon von Vierjährigen geliebt.“

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Die besten Jugendbücher: Deutschland, 2018 – Vortrag am Literarischen Colloquium Berlin

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Am 13. März darf ich am Literarischen Colloquium Berlin sieben aktuelle Jugendbücher meiner Wahl vorstellen, denen ich ein internationales Publikum wünsche. 35 Übersetzer*innen aus 29 Ländern hören zu.

Seit 2009 lese und mag ich Jugendbücher: Ich schreibe einen Roman über Teenager, „Zimmer voller Freunde“, und war unsicher, sobald Agent*innen etc. fragten, ob das Young-Adult-Literatur sei. Kann ich aus YA-Literatur für mein Erzählen, Schreiben lernen? Soll mein Buch in dieser Ecke der Buchhandlung liegen? Ich las YA – um mich zu positionieren und, weil mir die Sparte schnell ans Herz wuchs.

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„Jugendbuch“ in Deutschland heißt meist:

ein Buch, geschrieben für Leser*innen ab ca. 10.

Auf dem US-Markt wird zwischen „Middle Grade Novels“ und „Young Adult“ unterschieden: Bücher für Tweens (10 bis ca. 12) und dunklere, anspruchsvollere, komplexere Bücher für Teenager auf der High School. Der deutsche Jugendbuchmarkt scheint mir, insgesamt, auf Jüngere fixiert: Ich finde kaum ein Buch, das explizit erst ab 14 bis 16 empfohlen wird, über 300 Seiten hat oder sich, im Young-Adult-Stil, bemüht, ein Problem-Thema besonders tief und intensiv zu bearbeiten.

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Young-Adult-Literatur, die ich mag:

  • …hat meist eine Hauptfigur, der wir möglichst nahe kommen sollen. Oft als Ich-Erzähler*in.
  • Die Figur kann sehr eigen sein in Sprache oder Verhalten; sie kann unsympathisch sein oder ein komplexes Krankheitsbild, einen komplizierten Background etc. haben. Doch Ziel ist fast immer, dass wir der Figur und ihren Problemen so nah wie möglich kommen. Die Welt aus ihren Augen sehen.
  • Oft gibt es EIN zentrales Thema im Buch, z.B. „Loslassen“, „Vertrauen fassen“, „zu sich selbst Stehen“ etc., und alle Figuren, alle Subplots etc. behandeln Facetten und Aspekte dieses zentralen Themas.
  • (Mein Roman hat drei Hauptfiguren, ein halbes Dutzend Perspektiven, Sprünge. YA-Leser*innen wären irritiert, wie viel Distanz durch solche Wechsel entsteht: Um die YA-Zielgruppe anzusprechen, müsste ich mich viel entschiedener, empathischer auf die Seite einer oder zweier Figuren stellen.)

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Deutschsprachige Jugendbücher sind weniger normiert als US-Titel.

Leider haben sie dafür oft auch weniger Formgefühl: Sie sind amorpher, labbriger erzählt. Ich frage mich oft: „Autor*in? Wie viele Jugendbücher hast DU bisher gelesen? Was genau tust du da, für wen?“ Die Bücher sind kürzer. Und: meist jünger, optimistischer, harmloser. Sprachlich und psychologisch weniger komplex.

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Zwei Probleme bei meiner Auswahl: Auch, weil viele der erfolgreichsten Klassiker auf dem deutschen Markt Märchen- und Fantasy-Elemente enthielten, gibt es aktuell eine Flut von Prinzessinnen-, Elfen- und Zauber-Romanen, meist „nur für Mädchen“. Sowie irrsinnig viele Jugend-Dystopien, die ich als schwache Kopie von „Hunger Games“ etc. lese. Beides: oft sexistisch, abgedroschen, klischiert.

Mir fehlen männliche Autoren, die ausschließlich Jugendbücher schreiben: Ich finde Jugend-Krimis von Krimi-Autoren, Jugend-Sci-Fi von Sci-Fi-Autoren, Jugend-Thriller von Thriller-Autoren. Die Jugendbücher dieser Männer kommen mir oft vor wie Nebenbei- oder Light-Projekte. Mein Erfahrungswert: Je hauptberuflicher, desto ambitionierter und intelligenter ist das Jugendbuch..

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Sieben Favoriten, die ich gern übersetzt sähe:

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STEFANIE HÖFLER, „Mein Sommer mit Mucks“

  • Jugendbuch ab ca. 11 | Ich-Erzählerin ist ca. 12
  • Mädchen trifft einen exzentrischen Jungen im Schwimmbad; sie werden Vertraute.
  • Beltz & Gelberg, 140 Seiten, 2015
  • PerlentaucherGoodreads, Amazon

„Zonja besitzt eine unbezwingbare Neugier, weshalb die meisten in ihrer Klasse sie für eine Spinnerin halten. Egal. Zonja mit Z liebt es, im Schwimmbad Leute zu beobachten und Statistiken aufzustellen, und so fischt sie an diesem Tag einen Jungen – grüne Badehose, dünn wie eine junge Birke, abstehende Ohren – aus dem Wasser, weil der nicht schwimmen kann. Seltsam. Sie spielen Scrabble, beobachten den Sternenhimmel und essen viele Pfannkuchen – eigentlich ist Mucks der erste Mensch seit Jahren, der ihr Freund werden könnte. Doch irgendwas stimmt überhaupt nicht mit ihm, und es dauert diesen einen Sommer, bis sie weiß, warum er im Regen tanzt und was es mit den blauen Flecken und dem Pfefferspray auf sich hat.“ [Klappentext, ungekürzt]

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Ein pubertäres, idealistisches Mädchen im Stil von Lisa Simpson (talentiert, aufgeweckt, doch ziemliche Scheuklappen) mit harmonischen Eltern, liebevoller Oma, hübschem Garten etc… in einer nicht-sehr-großen, wohlhabenden (süddeutschen?) Stadt. Ein introvertierter, aber liebenswerter Junge aus einfachen Verhältnissen, dessen Vertrauen sie gewinnt. Ein Handlungsraum und Tonfall, in dem auch kleine Schritte (nachts die Sterne beobachten; den Mut fassen, an einem fremden Wohnblock in einer „schlechten“ Nachbarschaft zu klingeln usw.) angemessen dramatisch erzählt werden:

„Mein Sommer mit Mucks“ ist das schönste, wärmste, liebevollste, zugänglichste Jugendbuch, das ich seit Jahren las. Genug Tiefgang und eine intelligente Grundfrage – Wie weit kann man gehen, um jemandem zu helfen, der sagt, er brauche keine Hilfe? – um sich als Schullektüre zu empfehlen. Und so frei von Zeit-, Medien- und Gegenwarts-Bezügen, dass es in jeder Sprache funktioniert und für fast jede Altersgruppe: Stefanie Höfler hätte das Buch auch 1996 schreiben können, oder spielen lassen.

Als Autorin macht sie mir das eher unsympathisch – weil für mich Social Media, Serien, Kino etc. zu Jugend und Alltag gehören. Und, Grundproblem: Fehlen Jugendbücher mit dem Plot (A) „Bürgerliches Mädchen mit idyllischem Umfeld hat kurz Sorgen, wegen einem sozial schwachen Jungen“? Oder (B) „sozial schwacher Junge kennt nur häusliche Gewalt, Armut und Frauenhass“? (B) wäre mutiger. Und ginge tiefer.

Schwächen:

  • Betuliche, altbackene Sprache… die zwar zur sehr behütet aufwachsenden Erzählerin passt, doch auf mich arg saturiert, provinziell, bieder, tantig wirkt: Stefanie Höfler ist eine irrsinnig sympathische Erzählerin. Als Stilistin finde ich sie gestrig.
  • Wenige Illustrationen – die der Geschichte nichts vermitteln/hinzufügen.
  • Plot und Figuren sind großartig universell, zeitlos. Das heißt auch: Der spezifische Handlungsort, die Zeit etc. bleiben vage. Das Buch aus dieser Auswahl, dem Gegenwärtigkeit & „Sense of Place“ am egalsten sind, und das am wenigsten über Deutschland erzählt.

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STEFANIE HÖFLER, „Tanz der Tiefseequalle“

  • Jugendbuch ab ca. 12 | Ich-Erzähler und Ich-Erzählerin sind ca. 12
  • angepasstes Mädchen traut sich nicht, freundlich zu einem übergewichtigen (und: exzentrisch-schrullig-selbstverliebten) Jungen zu sein.
  • Beltz & Gelberg, 190 Seiten, 2017
  • Perlentaucher, Goodreads, Amazon

„Manchmal ist es diese eine Sekunde, die alles entscheidet: Niko, der ziemlich dick ist und sich oft in Parallelwelten träumt, rettet die schöne Sera vor einer Grapschattacke. Sera fordert Niko daraufhin zum Tanzen auf, was verrückt ist und so aufregend anders, wie alles, was in den nächsten Tagen passiert. Vielleicht ist es der Beginn einer Freundschaft von zweien, die gegensätzlicher nicht sein könnten – aber im entscheidenden Moment mutig über ihren Schatten springen.“ [Klappentext, ungekürzt]

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Niko ist für mich eine Kunstfigur: ein optimistischer, tagträumender, onkelig-altklug-distanzierter Nerd, der davon träumt, mit schrulligen Erfindungen den Alltag aller Menschen zu verbessern. In altkluger, künstlicher Sprache schreibt er über Klassenkameradin Sera – die er langsam aus der Reserve lockt und von der er hofft, sie sei anders als die vielen oberflächlichen Kinder, die ihn mobben.

Auch Sera ist Ich-Erzähler: In jedem zweiten Kapitel wägt sie ab, was es für ihren Status auf dem Schulhof bedeutet, wenn sie mit einem Außenseiter lacht und Zeit verbringt. Auf einer Klassenfahrt versucht Sera, für Niko Flagge zu zeigen – doch alles geht schief, und die beiden trampen, getrennt von ihrer Klasse, nach Hause.

Schwächen:

  • Sera ist ein Archetyp, den ich in der Schulzeit oft sah – doch kaum kenne, verstehe: ein Mädchen, das nicht auffallen will. Nicht als Pathologie oder große Charakterschwäche. Sondern einfach, weil das leichter ist. Was widerfährt so vielen Mädchen ab ca. 12, bis/dass sie glauben, es sei lebenswichtig, unter dem Radar zu bleiben? Ich hätte mir von Höfler mehr Tiefgang, bessere Antworten gewünscht.
  • Nikos schrullige und altbackene Sprache passt gut zu Höflers eigenem, meist biederem Stil. An zu vielen Stellen aber klingt Niko komplett artifiziell. Ein Junge voller Selbsthass wäre mir lieber gewesen als jemand, dessen drollige Exzentrik deutlich mehr Raum nimmt als die… Body Issues.
  • Niko ist großherzig, charmant und entspannt. Tatsächlich aber tragen die meisten gemobbten Jungs den Hass, den sie erfahren, an z.B. die Mädchen, in die sie sich erfolglos verlieben, weiter: Ich kann mir eine MENGE ca. 14jähiger Arschloch-Jungs vorstellen, die das Buch lesen, sich sagen „Auch ich wurde von einer dummen Fotze in die Friendzone gesteckt. Dabei bin ich so ein netter Kerl!“ Niko ist für mich eine Ausnahme, eine Fiktion.

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ANKE STELLING, „Erna und die drei Wahrheiten“

  • Jugendbuch ab ca. 11 | Ich-Erzählerin ist 11
  • Soll Erna einen scheußlichen Mitschüler verpetzen, unter dem alle leiden? Alle in der Gemeinschaftsschule mahnen: Nein – nimm bitte immer Rücksicht!
  • cbj, 240 Seiten, 2017
  • Perlentaucher, LovelyBooks, Amazon

„Warum steckt in „Gemeinschaft“ auch „gemein“? Solche Fragen interessieren Erna Majewski, 11. Sie besucht eine Gemeinschaftsschule und lebt, wie ihre Freundinnen Liv und Rosalie, im gemeinschaftlichen Wohnprojekt. Dass das ganze Gemeinschaftsgetue ungerecht und sogar verlogen sein kann, erleben Erna und ihre Freundinnen, als nach dem Schulfasching jemand mutwillig die Klos ruiniert hat: Weil der Täter sich nicht meldet, sollen jetzt alle dafür büßen. So eine Gemeinheit! Liv lässt das kalt, aber Erna ermittelt. Und sie findet heraus, was passiert ist. Aber soll sie es auch verraten? Schließlich gibt es laut einem Sprichwort drei Wahrheiten – deine, meine und die Wahrheit. Und wer kann die schon ertragen?“ [Klappentext, ungekürzt]

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2015 war Anke Stellings (Erwachsenen-)Roman „Bodentiefe Fenster“ auf der Longlist des deutschen Buchpreis‘: Eine Ich-Erzählerin mit Kindern und lapidarem Ehemann, zunehmend verzweifelt in einem Gemeinschaftswohnprojekt im Prenzlauer Berg. Linke Idealisten und Kreative, die sich Eigentumswohnungen bauten; doch deren Freundschaften während endloser Öko-, Achtsamkeits-, Bio-Debatten im Plenum starben. Ich mochte das Buch… doch wurde beim Lesen müde: Ist das Satire? Rollenprosa einer irr zergrübelten, analytischen, gehemmten Mutter – privilegiert und trotzdem prekär? Die Grübel-Ich-Erzählerin war so unentschieden, stellte ihre Gefühle so schnell in Frage, relativierte jeden Gedanken… Der Roman verlor Schwung. Jeden Gedanken mit einem Gegen-Gedanken zu kontern und dabei immer schneller zu pendeln… das wurde, gegen Ende, freudlos und zerquält. Ohne, dass ich noch sagen konnte: „Klug hinterfragt!“

„Erna und die drei Wahrheiten“ spielt im selben Milieu. Mit einer elfjährigen Hauptfigur, genauso zergrübelt, fragend, nervös. Aber: Das Jugendbuch ist kürzer, spitzer, schärfer, witziger und zieht sich, anders als „Bodentiefe Fenster“, nicht ständig selbst durch Über-Analysieren den Boden unter den Füßen fort.

Ein oft brillanter Ton, der die maximal unbequemen Fragen in den witzigsten Momenten stellt – kindgerecht, doch für jedes Alter empfehlenswert. Den Erwachsenen aus „Bodentiefe Fenster“ wollte ich zurufen: Trennt euch! Zieht aus! Tut irgendwas und zieht es durch! Ihr habt alle Möglichkeiten!“ Erna, 11, hat keine Optionen. Das macht ihr Buch so dringlich, intensiv, klug. Ein Tonfall wie in den besten „Peanuts“-Strips: melancholisch, clever… und trotzdem irr süffig, lebenslustig, leicht!

Schwächen:

  • Erna liebt seltene Worte, hat immer ein etymologisches Wörterbuch dabei. Das ist, im Rahmen des Buchs, okay. Doch mich langweilt, dass DREI von sieben Kinder-Ich-Erzähler*innen hier auf der Liste seltene Worte sammeln, über die Schönheit von Vokabeln philosophieren. Ein Bildungsbürger-Kinderbuch-Klischee – das nochmal doppelt nervt, falls Figur und Autor dann auch noch Youtube, Whatsapp usw. ostentativ egal sind. [Erna schimpft immerhin, dass sie kein eigenes Tablet hat; und sie mag schlechte High-School-Filme.]
  • Ein abruptes Ende. Ich glaube, Ratlosigkeit und ein gewisses Sich-Abfinden sind Stellings Markenzeichen: Über Probleme mit klarer Lösung schreibt sie erst gar nicht.
  • Erna hat die zweit-dicksten Oberschenkel der Stufe. Ich mochte, dass das recht spät im Buch zum Thema wird – weil Erna selbst ihren Körper mag, nur unter den abschätzigen Kommentaren leidet. Doch wenn der Verlag Erna zeichnen lässt, will ich beim Blick aufs Buch-Titelbild bitte nicht denken: „schlaksiges, dünnes Mädchen“.

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DORIT LINKE, „Jenseits der blauen Grenze“

  • Jugendbuch ab ca. 13 | Ich-Erzählerin ist ca. 12 bis 16 (Rückblenden) / 17 oder 18 (Flucht)
  • Hanna und Andreas aus Rostock schwimmen über die Ostsee – weil sie in der DDR keine Zukunft sehen.
  • Magellan, 304 Seiten (TB), 2014
  • Goodreads, Amazon
  • Link zu geschichtlichen Hintergrund: „Die Ostsee – eine gefährliche Fluchtroute“

„Die DDR im August 1989: Hanna und Andreas sind ins Visier der Staatsmacht geraten und müssen ihre Zukunftspläne von Studium und Wunschberuf aufgeben. Stattdessen sehen sie sich Willkür, Misstrauen und Repressalien ausgesetzt. Ihre einzige Chance auf ein selbstbestimmtes Leben liegt in der Flucht über die Ostsee. Fünfzig Kilometer Wasser trennen sie von der Freiheit – und nur ein dünnes, verbindendes Seil um ihr Handgelenk rettet sie vor der absoluten Einsamkeit …

‚Ergreifend wird hier das Bild einer sozialistischen Jugend zwischen Aufmüpfigkeit und Resignation, Leistungssport und politischer Agitation gezeichnet. Hanna und ihre Freunde finden mit sicherem Instinkt die Brüche im System. Dorit Linke hat die Charaktere glaubwürdig und berührend gezeichnet und eine untergegangene Welt dem Vergessen entrissen.‘ Karen Duve“ [Klappentext, ungekürzt]

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Hanna, Andreas (…und der alberne, naive, eindimensionale „Sachsen-Jensi“) hadern seit der ca. 7. Klase mit gehässigen Lehrern, Drill, angepassten Kameraden. Jensi hat West-Verwandtschaft: Er darf nach Hamburg ausreisen. Andreas wird vom Vater geschlagen. Er rebelliert, landet im Jugendwerkhof und versucht, sich umzubringen. Ich-Erzählerin Hanna hat einen depressiven/umnachteten Vater. Eine Mutter, die sich nur wünscht, dass Hanna Zöpfe und Röcke trägt. Und einen renitenten Opa, der jedes Schulfest und jede Feier mit staats- und frauenfeindlichen Sprüchen sprengen will. Nach einem Scherz von Opas wird Hanna und Andreas das Abitur verwehrt – und Andreas beschließt, im Neoprenanzug ca. 50 Kilometer in den Westen zu schwimmen. Hanna, die als Sportlerin aussortiert wurde, trainiert in der Schwimmhalle. Auch, weil sie glaubt, dass Andreas unvorbereitet und schwach ist, und ohne sie sterben wird.

Alle ca. 8 Seiten wechselt das Buch von Rückblenden aus der Schulzeit (oft: schleppend, mit recht durchschaubaren Figurenkonflikten) zur Gegenwart: toll recherchierte, dramatische Survival-Action auf der Ostsee, blendend geschrieben. Hanna spricht und entscheidet extrem pragmatisch: Ich musste an „Hunger Games“ denken – denn wie Katniss liebt auch Hanna ihren Survival-Partner… doch hält ihn für leichtsinnig, zu weich, einen Klotz am Bein.

Eine sehr erwachsene, oft rhythmische Sprache. Eine Autorin, die ihr Milieu *sehr* genau kennt. Ein actionreiches, beklemmendes, oft erwachsen-unsentimentales Buch – ambitioniert, literarisch auf hohem Niveau. Passt auf den US-Markt, wo Action-Historien-Titel wie „Code Name Verity“ zu YA-Bestsellern wurden.

Schwächen:

  • Unmengen an DDR-Jargon? Das öffnet eine fremde Welt. Dass sich Vieles erst im Kontext erschloss? Kein Problem. Doch ich hatte den Eindruck, dass besonders in den dialog-intensiven Rückblenden auf jeder Seite fünf bis acht Idiome, Sprüche, Floskeln, Markennamen etc. aus der DDR gehäuft wurden. Als würde die Autorin eine Liste abarbeiten. Auf Kosten des Erzählfluss‘.
  • Am störendsten: Sachsen-Jensi und Opa erzählen gern Witze, manchmal drei oder vier am Stück. Auf 300 Seiten gibt’s 40, 50 (?) sehr zeit-spezifische Ost-Kalauer. Alle wären lost in translation. Mich haben sie beim Lesen gebremst: Sie nervten, in ihrer Monotonie.
  • „Sachsen-Jensi“ ist wie eine noch dümmere, feigere, faulere Version von Ron aus „Harry Potter“: eine eindimensionale Figur mit dümmlichen Slapstick-Problemen wie zu kleiner / zu großer / gerissener / hässlicher Kleidung.
  • Eine Übersetzung bräuchte Fußnoten, ein ausführliches Glossar – oder viele ergänzende Halbsätze wie „Wir gingen in den Intershop, wo man nur mit Fremdwährung einkaufen konnte.

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CHRISTIANE NEUDECKER, „Sommernovelle“

„Ein Sommer, wie es ihn nur in der Kindheit oder Jugend gibt: In den Ferien arbeiten zwei 15-jährige Schülerinnen auf einer Vogelstation direkt am Meer. Sie streifen über die Nordsee-Insel und lauschen den Trillergesängen der Austernfischer, zählen Silbermöwen am Himmel und führen Kurgäste durch das schillernde Watt.

Pfingsten 1989: Lotte und Panda wollen die Welt verändern. Es ist die Zeit kurz vor der Wende, in der es für Jugendliche in der BRD vor allem Nord und Süd gab, nicht aber Ost und West. Deutschland liegt noch im Schatten der Wolke von Tschernobyl und jedes Gewitter bringt sauren Regen. Die beiden Freundinnen sind sich einig: Sie wollen handeln. Gemeinsam mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe aus Rentnern und Studenten leisten sie ökologischen Dienst in einer skurrilen Vogelstation. Da ist etwa Hiller, der vogelbesessene Pensionär, der Panda in sein Herz schließt und ihr beibringt, das Meer zu deuten und den Himmel zu lesen. Lotte nähert sich dem attraktiven Julian an, der sie für erwachsener hält, als sie tatsächlich ist.“ [Klappentext, gekürzt]

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Ich hasse, wenn Zyniker Kinder- und Jugendliteratur als Schwundstufe, Light-Version von E-Literatur begreifen. Ich zweifle, dass es einfacher, leichter ist, ein gutes Jugendbuch zu schreiben – und halte Jugendbuchautor*innen nicht für verkrachte Autor*innen zweiter Klasse. Trotzdem kann ich in Jugendbüchern – besonders bei Ich-Erzähler*innen gibt – besser mit Figuren leben, die nicht alles zu Ende denken. Ich las „Sommernovelle“ 2015… und fand das Buch zu harmlos, kurz, plätschernd unentschieden: Christiane Neudecker findet einen liebenswerten Ton. Schafft eine überzeugende Atmosphäre und eine Erzählerin, die man gern begleitet. Besonders tief, dramatisch, hässlich, verstörend oder klug-verdichtet sind die melancholischen Sommer- und Insel-Anekdoten nicht.

Doch übersetzt, und als Jugendbuch vermarktet? Die Ich-Erzählerin kommt mir nah (perfekt bei Jugendbüchern!), funktioniert als Einladung, Identifikationsfläche… doch ist trotzdem so charmant prototypisch-nostalgisch-spezifisch fürs 80er-Jahre-Bürgertum, dass z.B. eine etwas versnobte 40jährige Kanadierin, die sich für übersetzte Literatur interessiert, *sehr* viel wieder erkennen und mögen wird.

Ähnlich gelungen finde ich hier im Buch Sylt: Eine Kulisse, harmlos und einladend genug, dass das Buch als Sommer-, Strandlektüre und Middle-Brow-Novel funktioniert. Doch detailliert und fachkundig genug beschrieben, dass jeder sagen wird: „In diesem sehr deutschen Buch über Deutschland wurde mir eine attraktive deutsche Ecke in schöner Sprache einladend beschrieben.“

Überzeugendes, charmantes, publikumswirksames Zeit- und Lokalkolorit!

Schwächen:

  • Ich glaube, je mehr man denkt „Das hier will allergrößte Literatur sein“, desto enttäuschter ist man von diesem sanften, lapidaren Buch.
  • „Sommernovelle“ handelt von Jugendlichen, die nicht wissen, wie viel sie erwarten dürfen. Fast alle Erwartungen werden enttäuscht. Deshalb wirkt das Buch etwas… antiklimatisch.
  • (Aber: meine Lieblings-Jugendserie, „Willkommen im Leben“/“My so-called Life“, hat das selbe Grundthema. Ich finde tröstend, wenn Jugendliteratur, statt künstlicher Dramatik, zum Thema macht, wie wenig oft passiert.)

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CHRISTIAN DUDA, „Gar nichts von allem“

  • Jugendbuch ab ca. 10 | Ich-Erzähler ist 11
  • Der Vater schlägt. Die Mutter vertuscht und entschuldigt. In einem Tagebuch wird Magdi die eigene Machtlosigkeit bewusst.
  • Beltz & Gelberg, 140 Seiten, 2017
  • Perlentaucher, Amazon

„Der 11jährige Magdi ist glühender Fan des Boxers Mohammed Ali. Denn Ali ist stark, fair und einfach unbesiegbar. Ganz anders als Vater. Der buckelt nach oben und tritt nach unten. Unten, da stehen Magdi und seine drei Geschwister. Und Mutter. Was den arabischen Vater und die deutsche Mutter eint, ist der Wille, »gebührliche« Kinder großzuziehen. Bloß nicht unangenehm auffallen! Deshalb müssen Magdi und seine Geschwister besser sein als die anderen. Und wenn sie nicht besser sind, dann hilft Vater nach.“ [Klappentext, ungekürzt]

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Ein Tick zu kurz, zu schlicht. Doch dafür: Das Buch hier in meiner Auswahl, das ich jedem noch-so-lesefaulen Elfjährigen in die Hand drücken will. Zugänglich, pointiert und mit zwei, drei markanten Gedanken, Szenen oder Witzen pro Seite. Duda nutzt Sarkasmus, um einem 11jährigen in hoffnungsloser Lage Stimme, Agency, Mut, Spielraum zu zeigen: Im Schreiben versteht Magdi die Dynamiken seines (oft unerträglichen) Alltags.

Ob „Gar nichts von allem“ gefällt/gelingt, hängt an den eigenen Maßstäben: Alles könnte tiefer greifen. Viel länger sein! Geschwister, Nebenfiguren bleiben kaum genutzt. Dass Magdis Mutter als Enablerin / Vertuscherin genauso gefährlich ist wie der gewalttätige Vater, deprimiert mich. Realistisch, dass die Familie in ihrer Dynamik bleibt. Doch schade, dass (außer: Tagebuch-Führen) für keines der Kinder eine Lösung sichtbar wird: Magdi wünscht sich, dass sein Vater stirbt. Ein Wunsch, auch für uns Leser deprimierend verständlich.

Lieblingsstelle: Eine Fußballmanschaft gewinnt ein wichtiges Spiel. Die autoritäre, böse Lehrerin steht auf dem Hof und schreit völlig enthemmt „Sieg! Sieg!“, „als hätte sie das schon mal irgendwo geübt.“ ❤

Schwächen:

  • Hier im Buch ist das Meta-Gewäsch über den Zauber der Sprache und die empowernde Macht des Schreibens am stärksten: Magdi ist ein scharfsinniger, gewitzter Ich-Erzähler, genießt das Tagebuchschreiben sichtlich, wird als Figur plausibel. Doch fünf, sechs „XY ist SO ein verrücktes Wort, wenn man genauer darüber nachdenkt…!“-Passagen hätte ich streichen lassen.
  • Kleine Illustrationen, die aussehen wie Schmierereien und Tintenkleckse eines nervösen Elfjährigen: Sie passen gut ins Buch – doch fügen dem Text nichts hinzu, und die Motive sind nicht originell.
  • Das Buch spielt Mitte der 70er in einer Industriestadt (Ruhrgebiet?); der Klappentext rückt Mohammed Ali in den Mittelpunkt. Tatsächlich sind Plot und Milieu nicht besonders detailliert / zeitspezifisch. Ein halbes Dutzend recht verständlicher, doch nicht sehr origineller Popkultur-Anspielungen werden in einem witzigen, charmanten Glossar kurz erklärt.
  • Rezensent Hartmut el Kurdi „rechnet dem Autor hoch an, dass dieser die Probleme nie ethnisiert oder kulturalisiert und die Durchschnittlichkeit einer multikulturellen Identität ebenso thematisiert wie deren Besonderheit. Nicht zuletzt lobt El Kurdi den „authentischen“ Erzählton dieses lesenswerten Buches“. Ich stimme zu. Warne aber: Über den Alltag muslimischer Familien in Deutschland erfährt man hier deshalb eben… relativ wenig.

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TANYA LIESKE, „Mein Freund Charlie“

  • Jugendbuch ab ca. 11 | Ich-Erzähler ist 12 oder 13
  • Ein Sommer in Düsseldorf, damit Niks‘ Vater auf dem Bau Geld machen kann. Niks, allein in der Wohnung, wird in den Bandenkrieg der russischen Nachbarn verwickelt.
  • Beltz & Gelberg, 170 Seiten, 2017
  • Perlentaucher, Bücherkinder, Amazon

„Niks lernt Charlie kennen, als er mit seinem Vater Mahris für mehrere Wochen von Riga nach Deutschland kommt. Während Mahris Arbeit sucht, streunen die Jungen durch die Stadt und Charlie zeigt Niks, was er besonders gut kann: sich unsichtbar machen. Egal, ob in einer Menschenmenge oder in einem Geschäft, manchmal ist Charlie einfach weg. Oft sind dann auch Portemonnaies, Skateboards oder anderes Zeugs verschwunden. Niks ist fasziniert von Charlies Talent.“ [Klappentext, ungekürzt]

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Das schwächste Buch dieser Auswahl: Ich freue mich, dass eine deutschsprachige Autorin versucht, die Stimme eines jungen Letten einzunehmen. Psychologisch klappt das gut – für mich handelt Niks nachvollziehbar und authentisch. Stilistisch, sprachlich klappt es kaum: Tanya Lieske benutzt viele Floskeln und Sprachbilder aus den ca. 60ern. Das Buch klingt IRRSINNIG altbacken [aber: genau solche Dinge kann eine gute Übersetzung ja ausbügeln/ausgleichen].

Drei Viertel des Romans glücken für mich: Niks, allein in einer deprimierenden Mietwohnung, lernt von seiner Zufallsbekanntschaft Charlie die Kunst des Taschendiebstahls, doch muss dann für dessen Familie in ein Hehler-Haus klettern, damit Charlies russische Hehler-Familie ihre Rivalen, zwei deutsche Hehler-Brüder, bestehlen können. Viel Action. Eine vernünftige, gewinnende Hauptfigur – und ihr liebevoller, hilflos optimistischer Vater: ein Duo, eine Familiendynamik, die mir sehr gefiel!

Leider läuft alles auf einen Klimax hinaus, in dem Figuren entführt werden, Schüsse im Mietshaus fallen, verkleidete Männer Lassos (!) in einer Sozialwohnung schleudern etc. – ein Finale, in dem sich Abgründe auftun, die dann aber – völlig misslungen! – binnen zwei, drei Seiten geklärt sind. Wenn Lieske erklärt, dass eine ganze Mietskaserne den Atem anhält, gafft, die Helden beobachtet… DANN in einer kleinen Wohnung ein Schuss fällt… doch nie jemand nachschaut, nachfragt, die Polizei ruft etc. …bin ich raus.

Schwächen:

  • Freund Charlie hat kaum Persönlichkeit, Tiefe, Kontur.
  • Seine Verwandten/Geschwister bleiben noch blasser: ein Buch ohne nennenswerte Frauenfiguren.
  • Lieske bedankt sich bei einer Kommissarin, die „viel weiß über Bandenkriminilität, Wohnungseinbrüche und Kinder, die in diesem Milieu aufwachsen. Die Wirklichkeit ist um etliches düsterer, als in meinem Roman dargestellt.“ Ich wünschte, der Roman hätte sich näher an dieser Wirklichkeit orientiert, statt…
  • …die Geiselnahme zu beenden, indem Niks‘ reicher Onkel aus Amerika maskiert ins Zimmer stürmt und mit Zirkus-Tricks und Lassos zwei Hehler überrumpelt. Auch, dass Niks‘ nicht wusste, dass sein Vater und Onkel im Zirkus erwachsen wurden, schien mir aufgesetzt/hanebüchen.
  • Lieske bedankt sich bei einer lettischen Autorin, die ihr viel über Lettland erklärte, und den Jugendkrimi „Spelés Meistars“ schrieb. Im Roman ist „Spelés Meistars“ Niks‘ Lieblingsbuch, wird oft erwähnt – doch an keiner Stelle erfahren wir, worum es geht oder, was das Buch besonders, wichtig macht für Niks. Das wirkt für mich wie… albernes Product-Placement. Oder: eine schlecht durchdachte Gefälligkeit unter Kolleginnen.
  • Nachdem wir über 150 Seiten sahen, dass Mahris ein liebevoller, doch finanziell / lebenspraktisch oft inkompetenter Vater ist, sich kaum über Wasser halten kann… eröffnet er einen Zauber- und Artistik-Shop in Riga und wird damit mühelos erfolgreich? Ein Ende, das allem, was zuvor gezeigt wurde über Nöte, Pragmatismus, schmutzige Kompromisse… ins Gesicht spuckt.

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