„Die Gewalt lebt davon, dass sie von Anständigen nicht für möglich gehalten wird“ – Jean-Paul Sartre. Gespräche mit ACR (Teil 2)

Aus dem Blogpost „Ein Herz für Kinder!? Oder: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch…“, entwickelte sich ein sehr persönlicher Austausch mit Angela Charlotte Reichel. Gemeinsam haben wir entschieden, unsere Gespräche hier in Fortsetzungen öffentlich zu machen. Ich unterhalte mich mit Charlotte über ihre Erfahrungen als schwer misshandeltes Kind und Jugendliche, über die Folgen und wie wichtig es ist, dass Anständige erfahren, dass es so etwas doch gibt …

.

Teil 2:  „Halt durch, du bist bald groß.“

 Sehnsucht ist wie Sonnenschein, / ich will es nicht bestreiten. / Woher nehm‘ in tiefer Nacht ich Sonne?“ heißt es in deinem Gedicht „schlaflos“. Wo kam Sonne in deiner Kindheit her?

Im Grunde hatte ich schon als kleines Kind mit mir so etwas wie einen Geheimbund geschlossen. Ich hatte früh erkannt, verlassen kann ich mich nur auf mich; und ich muss jeden Tag neu überleben. Nachts bin ich relativ sicher, weil meine Mutter auch mal schlafen muss. Aus meiner heutigen, erwachsenen Sicht, weiß ich, es hat für mich drei feste Haltepunkte gegeben, mit deren Hilfe ich über meine Jahresberge gekrochen bin.

Magst du über deine Stützpunkte sprechen?

Erstens, ich hatte das Glück, meine „eigene Sonne“ in mir zu haben, ein nicht zu beschreibendes Vertrauen zu mir selbst. Das ist (für mich) etwas vollkommen anderes als das, was gemeinhin mit Selbstvertrauen bezeichnet wird. Ich denke, ich bin wahrlich ein innerliches Sonnenkind (gewesen). Zum Beispiel habe ich mir, besonders nach ganz schlimmen Erlebnissen, nachts selbst Freude geschenkt. Ich habe mich gelobt, was ich alles aushalten kann. („Na siehste, das letzte Mal hast du noch gedacht, daran stirbst du und dieses Mal war es schon nicht mehr sooo schlimm.“) Ich konnte das, indem ich einfach nur dagelegen und auf meine Atemzüge gehört habe und jeder Atemzug ist ein Wort gewesen. Unausgesprochen zwar, aber es war, als würde auch mal jemand etwas Liebes zu mir sagen. Und wenn es auch nur meine innere Stimme gewesen ist. Das Allerallerschönste ist gewesen, wenn ich irgendwas zum Naschen hatte. Nachts unter der Bettdecke heimlich lesen und etwas essen, war für mich die Schwelle zum Himmelreich.

Zweitens habe ich mir immer wieder vorgenommen, ein besseres Mädchen zu werden. Ein Kind glaubt das, wenn die Mutter immer sagt, wie böse, schlecht, missraten es ist. Braver, artiger, lieblicher wollte ich werden. Die allmächtige Forderung: Änderst du dich endlich! Wirst du dich wohl endlich bald bessern! Das große Versprechen: Ja, ich werde mich ändern. Ja, ich werde mich bessern. Darin steckt alles, vor allem die schleichende Zerstörung jedweder kindlichen Vertrauensbasis. Zu sich selbst, zu anderen, nichts ist mehr fass- und erfassbar.

Nicht allein das Vertrauen geht verloren, auch die Persönlichkeit und Identität des Kindes wird dadurch zerstört …

Also. Alles von meiner Mutter Angemahnte wollte ich werden, ohne genau zu wissen, was das sein soll und mich so lange ändern, bis sie mich lieben kann. Das ist im Grunde eine Lebensaufgabe gewesen. Ein Kind ist zu weitgehender zeitlicher Abstraktion gar nicht fähig. Mit 6 Jahren hatte ich schon eine richtig lange Geschichte. Mir vorzustellen, alles gehe noch mal so lange weiter, ist ein Graus gewesen. Dann aber meine Mutter zu sehen, die viel älter war als ich, und mir klar zu machen, vielleicht hört es erst auf, wenn ich so „groß“ bin wie sie? Unvorstellbar! Wirklich unvorstellbar für ein kleines Kind.

Was hast du unternommen, damit dich deine Mutter lieb haben kann?

Weißt Du, Gesine, ganz oft habe ich wirklich mein kleines Kinderhirn zermartert, um endlich dahinterzukommen, was ich denn genau machen muss, um mich zu ändern, zu bessern. Meine allerersten Änderungsversuche liegen in der frühsten Kindheit, ich denke, ich war 5, auf jeden Fall noch kein Schulkind. Ich hatte mir vorgenommen, so lange die Luft anzuhalten, bis ich tot bin, um schön still und lieblich zu werden. Es ist eine meiner frühesten Enttäuschungen über mich selbst daraus geworden – also ich war so frustriert, so unglaublich enttäuscht von mir selbst, weil ich es eben nicht geschafft habe, nicht mehr zu atmen. Einfach keine Luft mehr holen, selbst dazu bin ich zu dumm gewesen.

Atem holen, das konntest du zumindest bei deinem Vater …

Charlotte 1955 © ACR

Charlotte 1955 © ACR

Ja, er ist mein dritter Haltepunkt gewesen. In ihm hatte ich so etwas wie einen Schatz, einen Kraftspender, Mutmacher. Wie reiner Sauerstoff. Ich bin süchtig danach geworden und gleichzeitig hat es mich wohl hauptsächlich in die Lage versetzt, durchzuhalten. Mein Hoffnungsträger, mein Papa schlich sich manchmal nachts heimlich zu mir, hat seine Hand auf meine Wange oder meine Stirn gelegt und geflüstert: „Halt durch, du bist bald groß.“ Dann ist er leise wieder fortgeschlichen. Auf diesen Trost habe ich jede Nacht gewartet. Sobald ich seine Schritte gehört habe, ist es mir schon besser gegangen. „Mein Papi liebt mich“, lautete die Botschaft. Ich habe nur selten gezeigt, dass ich es höre und meist so getan als wenn ich schliefe. Ich wollte ihn in seiner Hilflosigkeit nicht beschämen. Vielleicht habe ich auch gefühlt, sobald ich mehr ersehne als eben diesen nächtlichen Hoffnungsstern, wird er ihn mir nicht mehr geben können. Viel später erst, mit Mitte 40, habe ich mir endlich eingestehen  m ü s s e n , er hat mich damit weder beschützt noch befreit.

Hast du eine Erklärung dafür finden können, warum dich dein Vater damals nicht besser beschützt oder gar befreit hat?

Kurz und direkt, ohne mir etwas vorzumachen, muss ich sagen: Er war zu feige. (Mir dieses einzugestehen und es laut auszusprechen, nur für mich, hat Jahre gedauert und gekostet.) Er ist gewissermaßen nicht bereit gewesen, sich zu opfern, um mich zu retten. Konfliktunfähigkeit würde ihm heute wohl jeder Spezialist bescheinigen. Inzwischen gibt es für so etwas richtige Diagnosen und Therapien. Aber damals? Was wusste man denn schon, außer dass er überlebt hat. Den Krieg, Stalingrad. Ich kann ja noch von Glück sprechen, dass mein Vater das nicht auch in Gewalttätigkeit verarbeiten musste. Trotzdem, trotzdem, trotzdem denke ich heute, ein Vater, und sei er noch so verletzlich, kann auch sein Kind schnappen und in Sicherheit bringen. Und wenn er mit ihm zur Polizei geht, egal, Hauptsache weg von der Zwangslage. Schweigendes Wissen ist eine Sauerei und macht schuldig. Es ist egal, ob Mutter oder Vater: Wissendes Schweigen kommt Schuld gleich.

Bekam dein Vater die Gewalttätigkeiten deiner Mutter ebenfalls ab?

Ja, ihre Gewalt ist auch gegen ihn gegangen. Manchmal hat sie nach ihm gehauen. Er ist ausgewichen, jedenfalls wenn ich es gesehen habe. Ich fühlte, er hat Mitleid mit ihr. Mein Vater wollte sich nicht wehren. Er hat hingenommen. Ihre Gewalt ist ihm gegenüber sowieso vor allem psychisch ausgeprägt gewesen. Diese Frau war ein Phänomen. Sie konnte von Samstagmittag nach Feierabend bis Montag früh 6:00 Uhr ununterbrochen toben, meckern, lamentieren, schreien. Sie muss unbeschreiblich voll von Verzweiflung und Hass gewesen sein. Ich wundere mich, dass sie nicht regelrecht auseinandergeborsten ist. Ist sie eingeschlafen, hat sie nach dem Aufwachen an genau der Stelle, an der sie aufgehört hatte, wieder begonnen. Kam ein Sonntagsspaziergang dazwischen, dann vollendete sie den letzten Satz von vor zwei Stunden unmittelbar nach unserer Rückkehr … und machte weiter. Ich habe das als Kind beobachtet. Sie hatte ein enormes Gedächtnis. Und ihre Stimme, durchdringend, harsch, böse, oft auch verzweifelt, wirklich herzzerreißend unglücklich. Ich denke, sie konnte über zwei Oktaven ihre Armseligkeit, ihre Wut, ihre Bedürftigkeit, ihre Zerrissenheit hinaus schreien. Mein Vater hat in diesen Augenblicken genauso gelitten wie ich. Es ging ungefähr genausooft gegen ihn wie gegen mich. Das hat uns irgendwie zusammengeschweißt. Wir saßen sozusagen gemeinsam in einem Boot und meine Mutter war der Steuermann. Sie bestimmte: Gute Zeit oder schlechte Zeit. Das Schlimme daran, es ist ihr selbst zu allen Zeiten sicherlich trotzdem nicht ein einziges Mail wirklich gut gegangen.

Deine Mutter scheint eine tickende Zeitbombe gewesen zu sein. – So du magst, sollten wir demnächst auch über deine Eltern, ihre Herkunft und Sozialisation, ihre Erlebnisse reden …

Ja machen wir. Weißt Du, meine Mutter hat in unregelmäßigen, aber immer kürzer werdenden Abständen – ich erinnere mich an Abschnitte von zwischen zwei Wochen und zwei Tagen –Unüberwindlichkeiten in sich gespeichert. Bildhaft vergleichbar mit einem riesigen Ballon, der bis kurz vorm Bersten, mit Druck aufgeblasen wird. Heute denke ich, wenn sie zwischendurch nicht geschlafen hätte, wäre sie geplatzt. So aber hat sie sich selbst auch dadurch entlastet, indem sie „es“ im Schlaf etwas abließ. Wir kennen das, „eine Nacht drüber schlafen“ in andere Zusammenhängen ja auch. Allerdings wird dieser Ballon immer und immer grösser und praller. Und dann kommt der Moment, da es außer Platzen nur noch einen Weg gibt, nämlich den Pfropfen ziehen. Und dann? Pfffffff !!! Der Ballon scherbelt alles um, rauscht planlos und unlenkbar durch die Gegend. Da ist nichts mehr von dem übrig: Ich habe mir dieses Kind so sehr gewünscht und wollte immer eine gute Mutter sein.

Sie hat die Kontrolle verloren?

Ich weiß nicht, ob ich manchmal einfach nur Glück hatte oder sie dann und wann mehr Kontrolle über ihr Ventil hatte. Mitunter, vollkommen überraschend, schoss sie mir eine, sagte beiläufig, dies sei für „letztens“ gewesen und wand sich unvermittelt dem wieder zu, was sie vorher gemacht hatte. Bis ich mich aufgerappelt hatte, füllte sich bei ihr der Ballon schon wieder. Ist der Ballon erst einmal geplatzt, bin ich eindeutig in Lebensgefahr gewesen. Ich denke, das hat sie auch gewusst, nicht selten hat sie mich dann in den Keller gesperrt und erst rausgelassen kurz bevor mein Vater heimkam. Redeverbot! Ist klar! Frag nicht, wieso er nicht gesehen hat, was mit mir geschehen sein musste. Dafür hatte er seinen Satz: „Halt durch, Du bist bald groß.“

Und früh morgens gingen sie dann zusammen zur Arbeit – mich in der Mitte an ihrer Hand. Ich wurde zum Kindergarten gebracht, als wären wir eine heile, glückliche Familie …

Innen Krieg, aber nach Außen stellen deine Eltern ein idyllisches Familienbild zur Schau?

Ich glaube, sämtliche Werte sind in dieser Nachkriegszeit komplett durcheinander gewesen. Waisen, Witwen, Witwer, Heimkehrer, Versehrte, ich erinnere mich an ganz viele Beinamputierte in unserem Städtchen, und die vielen Vermissten und Verschollenen, nach denen gesucht wurde … Im Vergleich dazu waren wir eine hübsch anzusehende Familie. Und noch dazu komplett! Vater, Mutter, Kind. Alles da. Kein Bein fehlt, kein Arm. Ab meinem 10. Lebensjahr sogar eine Familie mit zwei Kinder. Verstehst Du, das war als hätte man den Krieg wenigstens ein bissel gewonnen …

Jedenfalls erinnere ich mich deutlich: Umgaben uns fremde Leute, dann musste ein hübsch ordentliches Bild gewahrt werden. Die heile Welt, die es in Wirklichkeit nicht gab. Hinzu kommt, dass die Kinder damals, glaube ich, auch so etwas wie Aushängeschilder gewesen sind: „Schau, wie gut es uns geht“. Ende der 50er Jahre in der DDR. Sogar in unserem kleinen sächsischen Beamtenstädtchen noch Ruinen. Und ich? Ich hatte sogar schon einen Petticoat.

Das Kind als Trophäe: Wir haben überlebt! Und zugleich als ein Symbol für eine andere, bessere Zeit …

Ja, das meine ich. Kleine Kinder fungierten wie Schau-, Schmuckstücke. Immerhin sind sie ein Wahrzeichen für Liebe und Fruchtbarkeit. Nach dem Kriegselend, mit dem Durcheinander in den Köpfen der Menschen, hatten Kinder einen sozialen Wert, der nicht nur etwas mit Aufbau und Altersversorgung zu tun hatte. Sie stellten ein Teil der heilen Welt in der Welt dar, die endlich wieder heile werden sollte nach all‘ den Schrecken. Ich weiß nicht, ob mir die Worte reichen, das überhaupt bildhaft darzustellen? Die Nachkriegszeit ohne uns 50er Kinder? Stelle dir die Trostlosigkeit und Armseligkeit der damaligen Zeit vor. Niedliche, kleine Kinder brachten da etwas Glanz herein. Vielleicht sind gerade wir Kinder, um derentwillen es wieder weiter und aufwärtsgehen sollte, auch ein Alibi dafür gewesen, dass man sich nicht mit der Vergangenheit beschäftigt hat.

Dazu fällt mir Ernst Toller „hoppla, wie leben!“ ein …

Das war genauso. „Hauptsache wir leben noch und haben was zu essen.“ Es gab keinen Erwachsenen, den ich das damals nicht auf die eine oder andere Art habe sagen, seufzen oder beten hören. Ein Sonntagspaziergang, auswärts essen, Radio hören oder – ganz wichtig – Einkaufen gehen, dann war die Welt schön, heil und friedlich. Das war auch mein Maßstab. Insbesondere IN den Geschäften fühlte ich mich absolut sicher, praktisch unzerstörbares Friedensgebiet. Ich habe immer etwas bekommen, eine Scheibe Wurst oder eine Wiener– gleich in die Hand fürs hübsche Kindchen. (Da gibt es heute eine Werbung mit einem Sportler beim Metzger. Also wirklich, ich bekomme jedes Mal Gänsehaut und freue mich riesig, weil es bei mir so viel gute Erinnerung weckt.) Ich habe Eis bekommen, diese Kugeln auf einer spitzen Waffeltüte. Blumen und Schleifchen fürs Haar. Meine Mutter war unglaublich geschickt und hatte auch bei Handarbeiten ausgefallene Ideen. Und mein Kinderverstand hat mir vorgegaukelt, mein Leben wird immer so schön und friedlich sein, wenn ich mich endlich so geändert habe wie mir meine Mutter das einbläut.

Charlotte, lass‘ uns nächste Woche weitermachen. Vielleicht reden wir dann über deine Eltern?

Das machen wir so.

________________________________________________________________________________________________________

Zum meinem Gespräch mit Charlotte am 21. Februar 2013 geht es hier

Steglitz stellt Anne-Kathrin Weber und Jessica Wilzek mit „lesErLeben“ vor

Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.

Der Vorschlag, mehr über Anne-Kathrin und Jessica und deren Literaturclub /-blog lesErLeben zu erfahren, kommt von Christiane Nowak, die vorgelesen pflegt.

Euer Steckbrief in Stichworten …

lesErLeben ist ein Literaturclub mitsamt Blog. Unsere Themen sind Literatur und Engagement sowie die Verknüpfung dieser beiden Themen. Wir sind zurzeit acht Mädels, die sich regelmäßig treffen und über Bücher diskutieren – und einige von uns bloggen auch aktiv auf lesErLeben.

Seit wann, warum und wo  bloggt ihr?

Wir bloggen seit Mai 2011 mit blogspot. Das schien uns damals am einfachsten und machbarsten. Der Blog sollte zunächst eine Ergänzung zu unseren Literaturclub-Treffen sein. Wer nicht teilnehmen kann oder weit weg wohnt, sollte so über unsere Aktivitäten auf dem Laufenden bleiben und die Möglichkeit zum Mitdiskutieren bekommen. Mittlerweile hat sich der Blog aber auch weiterentwickelt. Wir veröffentlichen beispielsweise auch Rezensionen zu Werken, die wir nicht im LitClub gemeinsam lesen, interviewen unsere Blog-LeserInnen – und vor allem teilen wir unsere Gedanken zu Engagement und Literatur.

Eure Themenschwerpunkte …

Wir verbinden mit lesErLeben Engagement und Literatur. Das geschieht auf ganz unterschiedliche Weise, z.B. lesen wir im Literaturclub engagierte Literatur – zurzeit mit dem Schwerpunkt Europa, aber das kann sich noch ausweiten. Außerdem engagieren wir uns mit und für Literatur: Wir haben in einem Seniorenheim vorgelesen und mehrere Diskussionen zu unterschiedlichen Büchern oder literarischen Themen in Gießen veranstaltet. Diese Aktionen reflektieren wir dann wieder auf dem Blog.

Was treibt euch in der Literaturszene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?

Da wir im lesErLeben-Literaturclub europäische engagierte Literatur lesen, beschäftigt uns das Problem, an gute Übersetzungen zu kommen. Bei vielen kleineren Nationalliteraturen ist es generell schwierig, Übersetzungen ins Deutsche zu finden. Bei der größeren mangelt es manchmal an der Qualität. In der Auswahl der Bücher, die übersetzt werden, steckt letztendlich auch ein ökonomisches Kalkül: Übersetzungen werden finanziert, wenn die Bücher den vermeintlichen Erwartungen der LeserInnen entsprechen. Das schränkt die Auswahl an Büchern – gerade auch für Literaturen außerhalb Europas, z.B. arabischsprachigen Ländern – extrem ein. Und es vermittelt den LeserInnen ein verzerrtes Bild der jeweiligen Literaturen, die in den übersetzten Büchern nur ihre eigenen Erwartungen an das jeweilige Land bestätigt finden. Wir wünschen uns eine sehr viel breitere Förderung von Übersetzungen!

© LeserLeben

© LeserLeben

Ganz gespannt verfolgen wir außerdem zurzeit die Entwicklungen zum Einfluss der LeserInnen bei der Entstehung eines Buches! Projekte, bei denen AutorInnen ihren Schreibprozess offenlegen und die LeserInnen daran beteiligen, z.B. bei der Figurenauswahl, eröffnen eine ganz neue Perspektive auf den Schreib- und Leseprozess.

Ein aktuelles Thema, mit dem wir uns erst kürzlich auseinandergesetzt haben, ist die Debatte um Rassismen in Kinder- und Jugendbüchern. Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, wie man damit umgehen kann, ohne die Texte zu zensieren, aber sie gleichzeitig auch den veränderten gesellschaftlichen Realitäten anzupassen.

Wie machst ihr euer Blog und eure Beiträge bekannt?

Durch unsere Veranstaltungen kommen wir mit vielen Leuten in Kontakt und so wird natürlich auch der Blog bekannter. Wir haben außerdem Postkarten mit unserem Logo und dem Link in unserer Stadt verteilt.

Eine Zeit lang hatten wir auch die für viele Blogs übliche Facebook-Seite, mit der wir regelmäßig auf die Beiträge aufmerksam gemacht haben. Allerdings konnten wir beobachten, dass wir über Facebook nicht viel Zulauf zum Blog hatten; im Gegensatz zu vielen anderen Blogs hatten wir auf lesErLeben sehr viel mehr Klicks am Tag als „Likes“ auf unserer Facebook-Seite. Das war der eine Grund, die Seite wieder zu schließen. Der andere Grund war der, dass wir einfach Prioritäten setzen mussten – da wir nur in unserer spärlichen Freizeit bloggen. Ohne großen Mehrwert der Facebook-Seite haben wir die freigewonnene Energie dann lieber wieder in den Blog reinvestiert.

Was sollte ein Blogger besser sein lassen?

Das ist eine schwierige Frage, weil der eigene Blog es einem ja erlauben soll, sich kreativ sehr frei zu entfalten. Ansonsten gilt für uns: Wer Angst vor „Shitstorms“ hat, der sollte polarisierende Meinungen unterlassen; wer keine Lust auf rechtliche Konsequenzen hat, sollte sich auch als juristischer Laie gut mit dem Urheberrechtsschutz auskennen.

Welche Hürden muss ein Blogger nehmen?

Für uns war es eine große Hürde, tatsächlich online zu gehen und sichtbar zu werden. Wir hatten schon einige Zeit vor unserem ersten Post mit dem Gedanken gespielt, unsere Ideen auch zu veröffentlichen. Allerdings kannten wir uns überhaupt nicht mit dem Bloggen aus – und so war es für uns wirklich ein großes Abenteuer, uns eines Abends gemeinsam hinzusetzen und den Blog zu designen. Und dann tatsächlich auf „Veröffentlichen“ zu klicken! Heute ist das fast gar nicht mehr nachvollziehbar, weil das Bloggen sehr einfach zu machen ist. Um anderen die Angst vorm Bloggen zu nehmen, bieten wir im Frühjahr an der Volkshochschule Gießen übrigens einen Kurs an, mit dem Titel „Der erste eigene Blog!“ …

Euer schönstes Erlebnis beim Bloggen…

Auf jeden Fall das positive Feedback der LeserInnen und die stetig wachsende Zahl an LeserInnen. Was uns auch immer sehr freut, sind Klicks aus anderen Ländern. Wir haben viele LeserInnen in Frankreich, den USA und Georgien, obwohl wir ja nur auf Deutsch posten.

Wie gehst ihr damit um, wenn euch Verlage, Agenturen oder Autoren Rezensionsexemplare anbieten?

In der Regel fragen wir bei Verlagen nach Rezensionsexemplaren von Büchern, die wir auch wirklich gern rezensieren wollen. Unser Blog ist kein rein literaturkritisches Forum. Rezensionen sind nur ein Teil dessen, was wir veröffentlichen. Daher werden wir immer eine Auswahl treffen und nicht alles Angebotene rezensieren können.

Und wie würdest ihr damit umgehen, wenn euch Self-Publisher ihre Titel zur Rezension anbieten?

Das ist bislang noch nicht vorgekommen. Wenn wir denken, dass der Self-Publisher-Titel zu unserem Profil passt, hätten wir nichts dagegen einen zur Rezension anzunehmen. Allerdings bilden Rezensionen nur einen Teil unserer Posts und wir müssen daher immer eine Auswahl treffen.

Wie haltet ihr es mit dem E-Book?

Wenn wir ehrlich sind, hat bisher kein lesErLeben-Mitglied einen E-Book-Reader… Aber das soll nun nicht heißen, dass wir diese Geräte generell ablehnen. Die Vorteile – insbesondere für VielleserInnen – sind bekannt: Man kann unglaubliche viele Bücher auf einmal mitnehmen, wenn man viel unterwegs ist und auch in sekundenschnelle ein neues Buch kaufen. Angebote wie Online-Bibliotheken oder der kostenlose Download von Klassikern sind auch ein dickes Plus. Der E-Book-Reader sollte allerdings nicht an einzelne Online-Buchläden gebunden sein. Und die E-Books sollten legal „ausgeliehen“ werden können. Großer Nachteil des E-Books: Es fehlt das Knistern der Seiten beim Umblättern…

Welche anderen Blogs empfehlt ihr(max. 5). Und welcher bibliophile Blogger sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Als Literaturblogs lesen wir gern mit vorgelesen von Christiane Nowak, die sich hier ja bereits vorgestellt und uns netterweise auch für dieses Interview vorgeschlagen hat! Eine weitere sehr gute Seite für Kinder- und Jugendbücher ist jungesbuch. Außerdem empfehlen wir noch lesewelle von Buechermaniac , die hier bereits auch schon zu Wort gekommen ist, und die Seite der Initiative Gefangenes Wort, die auf die Situation von SchriftstellerInnen weltweit aufmerksam machen will. Weitere Lieblingsblogs, die nicht primär mit Literatur zu tun haben, sind Mädchenmannschaft und Denkschablone, die einen Austausch über aktuelle Themen der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften anregen .

Da dir unsere LieblingsbloggerInnen bereits Rede und Antwort gestanden haben, würden wir dir für ein Interview gern die Aktiven von jungesbuch.de vorschlagen.

Danke euch beiden, auch für die interessanten Blogpreziosen, da ist ja manche Perle dabei, die in der Gesprächsreihe bisher keine Erwähnung fand.

___________________________________________________________________________________________________

Zuletzt stellte sich Kid37 mit Das hermetische Café vor. Sein Wunsch-Interviewpartner war der Betreiber von coderwelsh/sychron. – Eine Übersicht, wer bereits alles Rede und Antwort stand und welche Blogs in den jeweiligen Gesprächen empfohlen wurden, findet sich hier

„Die Gewalt lebt davon, dass sie von Anständigen nicht für möglich gehalten wird“ – Jean-Paul Sartre. Gespräche mit ACR (Teil 1)

Aus dem Blogpost „Ein Herz für Kinder!? Oder: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch…“, entwickelte sich ein sehr persönlicher Austausch mit Angela Charlotte Reichel. Gemeinsam haben wir entschieden, unsere Gespräche hier in Fortsetzungen öffentlich zu machen. Ich unterhalte mich mit Charlotte über ihre Erfahrungen als schwer misshandeltes Kind und Jugendliche, über die Folgen und wie wichtig es ist, dass Anständige erfahren, dass es so etwas doch gibt …

.

Teil 1: „Ich habe nicht überlebt, um mir hernach selbst das Leben zu versauen“

Der Blogpost „Ein Herz für Kinder!? Oder: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch …“ hat dich berührt. Magst du uns sagen, warum?

das Taufkind 1953 © ACR

das Taufkind 1953 © ACR

Kinder, und was Erwachsene ihnen geben und nehmen, und wie Kinder miteinander umgehen (lernen), ist für mich wie das Leben unter einem Mikroskop betrachten. Wann auch immer mir solch‘ ein Thema begegnet, muss ich die ganz bewusste Entscheidung treffen, wie ich an dem Tag zu der Stunde damit umgehe. Will ich meinen Tag behalten wie er ist, oder gehe ich das Risiko ein, mich in meine Vergangenheit zurücktrümmern zu lassen!?

Es macht mich jedes Mal aufs Neue fassungslos (im Sinne des Wortes – ich verliere die Fassung), wie lange Kindheit wirkt; immerhin bin ich vor ein paar Tagen 60 geworden. Und gerade auch durch diesen Blogpost ist mir klar geworden, ich werde bis zum letzten Atemzug meines Lebens die Last eines psychisch und physisch misshandelnden Kindes in mir tragen.

Das heißt, du bist dir deiner leidvollen Erfahrungen in der Kindheit sehr bewusst. Gab es auch Phasen der Verdrängung?

Nein. Ich konnte Erlebtes nicht verdrängen. Ich wollte das auch gar nicht. Meine Angst, so zu werden wie meine Mutter, ist sehr groß gewesen. Ich habe sogar bis Mitte 40, sie war längst tot, beinahe täglich mit ihr ein stummes Zwiegespräch geführt und ihr immer wieder das gesagt, was ich als Kind und Jugendliche nicht sagen durfte und konnte. Es ist eine große Befreiung gewesen, mit diesen innerlichen Gesprächen aufhören zu können. Aber auch erst von da an ist mir bewusst geworden: Ich werde in der Lage sein, mit meiner Mutter einen Frieden zu machen. Das habe ich mittlerweile längst auch.

Aus deinen Worten spricht so gar kein Hass. Wie kommt das?

Nein, ich hasse nie und niemanden. Hass macht nicht heile. Hass bringt keine Ruhe. Hass ist Stagnation, lässt keine Verarbeitung zu. Darin steckt man dann selber lebenslang fest.

Allein die Nutzung dieses Wortes ist für mich nur in einem analytischen Zusammenhang nötig. Es gibt allerhand solcher Ausdrücke, die ich bewusst nicht in einem gedanklichen Zusammenhang mit Menschen verwende.

Darf ich kurz erklären?

Na aber sicher doch …

Schau mal in den Spiegel, hole ganz ruhig Luft und sage das Wort: Hass. Was siehst Du?

Nun stell Dir jemanden vor, der von sich sagen muss, es sei Hass gegen den oder das in ihm vorhanden. Meist reicht es dann nicht mal, einfach nur Hass zu sagen, sondern es sind lange Sätze mit harter Stimme und Steigerungsformen oder Vergleichen. (… wie die Pest o.ä., ich könnte …)

Solche Gefühle in einem Menschen? Da braucht’s Kompensation, sonst zerfressen sie den, der hasst. Es kann einen solchen Druck erzeugen, dass ein Ventil nötig wird. Und was kann das sein? Depression? Gewalt? Dauernde Rachepläne schmieden? Was soll das für ein Leben sein? Der Gehasste hingegen führt sein Leben einfach weiter. Oder denkt wirklich jemand, es reiche, einen anderen zu hassen, damit der so wird, wie gewünscht?

Nein, ich kann nicht hassen. Ich habe nicht überlebt, um mir hernach selbst das Leben zu versauen.

Kann man sagen, dass die Auseinandersetzung mit deiner Mutter auch ein Bestandteil deines Heilungsprozesses gewesen ist?

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich meiner Mutter zu viel Bedeutung zumesse. Oftmals habe ich versucht, aus dem Verhältnis auszusteigen. Immerhin war sie schon tot als ich noch fortwährend mit ihr geredet habe. Manchmal habe ich mir sogar selber unterstellt, meiner Verantwortung für mich nicht gerecht zu werden. Ich habe mich dann immer angemahnt: ‚Ab irgendeinem Punkt ist es unerlässlich, nicht nur körperlich, sondern auch in seiner inneren Konsequenz erwachsen zu werden. Das bedeutet, lass die Vergangenheit los.‘ Dann aber entdeckte ich, nur die gradlinige und ungeschönte, ja schonungslose Auseinandersetzung mit meiner Geschichte, also mit meiner Mutter, IST die Basis für meine Heilung. Der wesentlich schwerere Schritt ist gewesen, mich mit meinem damals ebenfalls schon toten Vater auseinanderzusetzen.

Du hast ja nicht nur innere Monologe mit deiner verstorbenen Mutter geführt – du hast auch Gedichte geschrieben …

Schwer. Schwer, mehr Worte zu finden als in den gesparten eines Gedichtes zu verstecken sind. Das Denken und Fühlen eines Kindes in erwachsenen Worten. Genau das hat mich bisher hauptsächlich abgehalten, überhaupt offen darüber zu sprechen. Es gibt kaum eine Handvoll (lebender) Menschen, die mein Kinderleben kennen.

Ist das Scham oder Furcht? Warum schweigen Gewaltopfer so häufig?

Darüber denke ich oft nach. Vielleicht wirkt da eine umgekehrte Verhältnismäßigkeit. Umso schlimmer die Erlebnisse empfunden werden, umso weniger glauben Betroffene, so etwas erzählen zu können. Eine Tat beschreiben, bedeutet auch, Worte finden zu müssen. Zum Beweis tot zu sein ist leichter als lebend zu erklären, warum man nicht gestorben ist.

Wie meinst du das?

Was ich damit sagen will klingt absonderlich, aber ich habe mehr als mehrmals vollkommen fassungslos erlebt, wie in Frage gestellt worden ist, was Erwachsene über ihr Kinderleben erzählen. Wird aber ein totes Kindchen aus einem Blumenkübel gebuddelt, geht man nicht davon aus, es habe deutlich übertrieben. Das hat einen besonders tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Und hauptsächlich aus diesem Grund, habe ich mich kaum geäußert. Die Möglichkeit, zum Beispiel in Gedichten sprechen zu können, ohne Einzelheiten zu erzählen, ist eine kleine Möglichkeit, den Mund doch nicht halten zu müssen.

Mir gegenüber nimmst du kein Blatt vor den Mund …

Ob ich das Thema tatsächlich einmal ungeschminkt ansprechen werde, wusste ich bis zu unserer Begegnung noch nicht. So viele Jahre nach der Kindheit fordern beinahe auf, endlich mit all dem abzuschließen. Ich habe mir immer vorgestellt, da komme ich altes Weib daher und will glaubhaft über eine längst vergangene Zeit reden. Dabei hatten wir Kinder, die in den 50er Jahren geboren sind, so ziemlich alle das gleiche Schicksal.

Und so sind die Jahre einfach zusammengekommen. Zuerst wollte ich meinen Vater schützen. So lange er gelebt hat, wäre ich lieber verrückt geworden, als darüber zu reden. In den letzten Wochen seines Lebens, sagte er einmal zu mir: „Ich bitte dich für alles um Verzeihung.“ Ich habe ihn umarmt und gesagt, er habe mich gerettet mit seinem Satz: ‚Halte durch, du bist bald groß.‘ Ich denke nicht, dass er mir geglaubt hat.

Mit meiner Mutter habe ich reden wollen. Da bin ich schon erwachsen gewesen. Einmal nur sagen können, wie ich mich als ihr Kind gefühlt habe. Schon nach dem dritten Satz stürzte sie sich auf mich wie ein Berserker und warf mir vor, herzlos, nachtragend, unfair und schlecht zu sein. Sie schleuderte mir einen Aschenbecher an den Kopf. Irgendwann ist es vielleicht auch die Sehnsucht nach Ruhe; und Schweigen wird damit verwechselt.

Reden kann aber doch auch heilen, oder?

Ja, das ist die Krux. Die Sehnsucht nach Ruhe wird mit Schweigen verwechselt. Ruhe erlangen, bedeutet das Un- von Unruhe abzuarbeiten. Aber wenn der Mensch durch seine prägendsten Lebensjahre, nämlich durch Kindheit und Jugend nicht frei und neu-gierig und froh und voller Vertrauen gegangen, sondern hindurchgepeinigt worden ist, woher bitte soll der daraus gewordene Mensch denn wissen, dass Reden gut ist?

Später hast du aber doch versucht, dich einigen Menschen zu öffnen. Wie hast du dich dabei gefühlt?

Zu unterschiedlichen Zeiten ist das jeweils unterschiedlich gewesen und hat letztendlich auch dazu beigetragen, dass ich mich für das Schweigen entschieden habe. Hinzu kommt, trifft ein geschlagenes Kind als Erwachsener auf „Ehemalige“ ist es ganz schwierig. Jeder befindet sich in einer anderen Phase der Verarbeitung. Wer zum Beispiel selbst gerade verdrängt, will wirklich nicht erinnert werden. Und: Ich glaube, die häufigsten Aufforderungen zum Reden sind sehr pauschal. Alle wissen, reden ist gut, aber es muss eben auch jemanden geben, der zuhört. Wir haben doch alle einen mobilen Rucksack voll mit Unvergesslichkeiten auf dem Rücken. Ich kann gar nicht beschreiben, wie oft ich aus dem Reden ins Zuhören gedrängt worden bin. Hernach bin ich mit noch schwererer Last zurückgekommen, da ich das Schicksal des anderen auch noch in mir hatte.

Eine andere Erfahrung von mir ist, denke ich, typisch für unsere oberflächliche und schnelllebige Zeit. Ich bin mir vorgekommen, wie wenn mir jemand zuwinkt und ruft: „Na, wie geht`s Dir?“ und ich antworte erleichtert: „Ich bin froh, dass Du mich fragst, denn ich habe so lange schon eine schwere Last auf der Seele.“ Nach ein paar Sätzen habe ich gespürt, die Frage, wie es mir ginge, ist nur ein erweiterter Gruß gewesen. Diejenige hätte nur „Hallo“ sagen können, mehr nicht. Und ich habe mich ob meiner Mitteilsamkeit schrecklich geschämt. Halt. Nein, geschämt nicht, es war mir peinlich.

Und wie wurde auf dich reagiert, wenn du versucht hast, darüber zu sprechen?

Alles in allem sind allerhand Versuche, darüber zu reden, daran gescheitert, weil so etwas wie Schuldgefühle im Spiel sind. Eine ehemalige Nachbarin sagte mir Anfang der 80er, meine Eltern lebten beide nicht mehr, sie habe sich immer gewundert, wieso meine Mutter so oft unglaublich laut Radio gehört hätte. Es sei echt frech gewesen, vor allem, weil sie wusste, andere arbeiten im Schichtsystem. Was sollte ich sagen? Ich sah sie nur an und lächelte. Plötzlich wurde sie unhöflich: „Na, was haben wir denn gewusst, was die mit Dir gemacht hat? Das kannst Du mir ja nun nicht vorwerfen!“ Ich antwortete: „Ich habe doch gar nichts gesagt, was ist denn los?“ Und sie fauchte mich im Weggehen an, mein Blick hätte schon alles ausgesprochen und außerdem sei ja auch lange nicht sicher, ob das alles so wahr wäre …

Es ist in allem, was einem Kind wiederfahren ist, wahrscheinlich eine Klage gegen Erwachsene enthalten. Intuitiv fühlt wohl jeder Erwachsene seine Schutzfunktion. Was ihn davon abhält, sie auch einzusetzen, ist sehr subjektiv.

Und da stehst Du nun, Du ehemaliges Kind, hast gelitten und bist selber schuld, dass Du noch lebst. Als totes Kind im Blumenkübel, wärest DU der Beweis gewesen, dass es Dir wirklich übel ergangen sein muss.

Gab es wirklich niemanden, dem du so vertraut hast, um ihm ungeschönt aus deiner Kindheit erzählen zu können?

Aber hallo! Ich habe mit meinem, inzwischen geschiedenen, Mann sehr offen gesprochen. Er hat meine Mutter noch persönlich kennengelernt und mir jedes Wort geglaubt. Wobei ich auch ihm nicht alles erzählt habe.

Mein Liebster, der Mann, mit dem ich inzwischen zusammenlebe, kennt am meisten von mir. Er macht es mir leicht. Er verfügt über eine ausgesprochen hohe Sozialkompetenz und reflektiert, sieht mich nicht als das Opferkind, sondern die erwachsene Frau. Er glaubt mir nicht nur, dass es mir nicht darauf ankommt, eine Opferrolle einzunehmen, sondern er versteht, dass die zu mir auch nicht passt.

Lassen wir es für heute gut sein, Charlotte.

Ja, lass uns eine Pause machen.

______________________________________________________________________________________________________

Zum zweiten Teil „Halt durch, du bist bald groß“ geht es hier. Ab 11. März 2013 setzen wir den Autausch hier fort

Steglitz stellt Kid37 mit „Das hermetische Café“ vor

Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.

Von @Anousch, die ihr gleichnamiges Blog Anousch betreibt, kam der Vorschlag, dass wir Kid37 etwas näher kennenlernen sollten, der Das hermetische Café betreibt.

Dein Steckbrief in Stichworten …

Geboren in Wuppertal – seit Mitte der 90er in Hamburg – wohnt am Wasser und kann zum Einschlafen Boote zählen – schreibt seit neun Jahren ins „Hermetische Café“ – macht „was mit Medien“

Seit wann, warum und wo bloggst du?

© Das hermetische Café

© Das hermetische Café

Eine schöne Bescherung: Nach ersten Versuchen anderswo blogge ich seit Heiligabend 2003 bei Blogger.de. Die Plattform galt damals als „kleiner Bruder“ vom einst legendären Antville, das ähnlich wie Twoday auf derselben Software basiert. Das Hermetische Café begann dann als eine Mischung aus Schreibtherapie und experimenteller Kleinkunstbühne, wo ich doof, albern, traurig und schräg sein konnte, allerdings nach der Show ohne Tomaten nach Hause gehen musste. Ich mochte von Anfang an die Idee, die unterschiedlichsten, konträrsten Dinge im Zickzack in ein Blog stellen zu können, wie in eine Wunderkammer. Nachts lange wach sitzen, hoffen, dass der Server nicht abstürzt und mit anderen das Netz vollschreiben.

Deine Themenschwerpunkte …

Lange Zeit schrieb ich nur über wirklich wichtige Dinge im Leben: Ringelstrümpfe, tote Tiere und andere skurrile Funde links und rechts der Wegstrecke. Heute bin ich etwas entspannter und schreibe auch schon mal über Quatsch. Mittlerweile habe ich auch eine Reihe autobiografischer Fiktionen aufgezeichnet, über Leben, die ich nie gelebt habe. So ein Blog ist ja wie ein Kamin, vor dem man sitzt und Fäden spinnt.

Was treibt dich in der Literaturszene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?

Ich mache ab und an bei Lesungen mit, zuletzt meist bei den Hamburger Kaschemmenlesungen, die Isabo und Herr Buddenbohm veranstalten. Das unterhält mich und manchmal auch andere. Spannend finde ich, wie viele Blogger mittlerweile Bücher veröffentlichen. Darunter sind bewundernswert talentierte Leute. Ich selbst rede lieber über Romane, die ich hätte schreiben können. Man kann das auch einen Mangel an Disziplin nennen. Andererseits glaube ich, dass „Bloggen“ als Kulturphänomen nach wie vor unterschätzt wird, wie Comix früher oder Computerspiele. Wir sind noch in der Stummfilmphase, aber ab und an schaut bereits Kafka vorbei und weint.

Wie machst du dein Blog und deine Beiträge bekannt?

Wir besuchen uns alle regelmäßig gegenseitig. Mit Kaffee und Kuchen, und ich hab das dann alles ausgedruckt.

Was sollte ein Blogger besser sein lassen?

Blogs sind eine gar nicht mal schwache, unabhängige Stimme. Drei Akkorde, und raus auf die Bühne! Ich finde es schade, wenn Blogger allzu leicht diese ganz eigene Stärke aus der Hand geben, sich schwach machen. Werbung für große Konzerne zum Beispiel ist bei anderen Medien sicher besser aufgehoben. Interessanterweise sehen das manche anders – das macht Blogs so irre aufregend.

Welche Hürden muss ein Blogger nehmen?

Ich hatte nur schöne Erlebnisse beim Bloggen. Und alles war ganz leicht.

Dein schönstes Erlebnis als Blogger?

Ich habe durchs Bloggen sehr interessante, sehr liebenswerte und häufig sehr faszinierende Menschen kennengelernt. Solche, die für eine Sache oder eine Idee brannten. Und manchmal brannte man auch für einander.

Wie gehst du damit um, wenn dir Verlage, Agenturen oder Autoren Rezensionsexemplare anbieten?

Das trauen die sich nicht.

Und wie würdest du damit umgehen, wenn dir Self-Publisher ihre Titel zur Rezension anbieten?

Ich suche mir meine Themen eher selbst, und bei Geschenken sage ich Danke. – Manchmal rührt mich was, manchmal entdecke ich etwas sehr hübsches, indem man mich darauf stupst.

Wie hältst du es mit dem E-Book?

Es macht Spaß, alte, teils obskure Werke in der Public Domain zu finden. Oder sich welche dieser Independent-Magazine als PDF herunterzuladen. Und liegt man krank auf dem Sofa, ist ein E-Book-Reader ein tapferer Geselle. Mein Gerät liest sogar mit einer Angst einflößenden Computerstimme vor. Man wird sofort gesund! Einmal habe ich ein aktuelles E-Book gekauft. Das war von der wunderbaren Anousch, die mich an die junge Isabelle Huppert erinnert, und die die schönsten Tweets schreibt.

Welche anderen Blogs empfiehlst du (max. 5)?

Mek Wito mit mitquito (später wird alles trübe) – weil er Hamburg zwar abtrünnig geworden ist, aber immer noch mit wilden Abenteuern und singenden Texten begeistert. Madame Modeste – weil sie seit Jahr und Tag mit feiner Ironie und ehrlicher Zuneigung die Zumutungen und Freuden dieser chaotischen, großen Stadt beschreibt, die im Osten von Hamburg liegt. Miss Wurzeltod – weil sie eine prall gefüllte Wunderkammer mit obskuren, makabren und überaus sinnvollen Kunstschätzen gefüllt hat (leider aber ein wenig pausiert). Und Unter Geiern – weil dort jemand mit Hingabe und reicher Kenntnis Kultur und Reise und Alltag so mischt, dass man ohne den Schreibtisch zu verlassen viele Schritte mitgetan hat.

Und welcher bibliophile Blogger sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Auf jeden Fall Herr Fabe, dessen Blog coderwelsh/sychron. eines der ersten war, die ich regelmäßig las. Er schreibt kleine, schräggestrickte Vignetten, ganz unaufgeregt und leider zu selten.

Es hat zwar ein Weilchen gedauert bis ich dich an der Angel hatte. Wohl war es mir dann ein doppeltes Vergnügen … Danke sehr, auch für die besonderen Blogpreziosen, die du uns ans Herz legst.

_________________________________________________________________________________________________________

Zuletzt stellten sich die Herren sandhofer und scheichsbeutel mit litteratur.ch vor. Deren Wunsch-Interviewpartnerin war die Betreiberin von Bleisatz. – Eine Übersicht, wer bereits alles Rede und Antwort stand und welche Blogs in den jeweiligen Gesprächen empfohlen wurden, findet sich hier

„Dabei will ich nur Bücher schreiben.“ ACR über Schreiben, Selfpublishing und den Literaturbetrieb

Der Blogpost „Statt Schriftsteller ist man Schreibmaschine“, in dem zwei Autorinnen über haarsträubende Erfahrungen mit Verlagen berichteten, treibt seit seinem Erscheinen im Juli vergangenen Jahres um. Immer wieder erreichen mich dazu Kommentare, Stellungnahmen und Erfahrungsberichte. So von Angela Charlotte Reichel, deren Erfahrungen ich hier teilen möchte. – Ich danke Charlotte für ihre Offenheit.

.

© ACR

© ACR

„Durch den Artikel „Ein Herz für Kinder!? Oder: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch“ bin ich auf diesen Blog gekommen. Seitdem lese ich und finde viele Zusammenhänge – im Sinne von – es berührt, betrifft, geht (auch) mich etwas an. (Geht mich auch etwas an – trifft ebenso zu.)

Es ist – wie wenn ich die Wehrbrücke meiner Burg herunterlasse und erstmals ins Freie gehe … nach langer Zeit.

„Selbst schuld“, brummt meine innere Stimme, während ich kopfnickend: ‘Siehste!‘ denke und weiterlese und weiter lese. Da wird ausgesprochen/aufgeschrieben was ich schon lange vermute, denke, fühle und mich nicht traue, zu sagen.

Zwei Gründe für meine Zurückhaltung: Ich habe gedacht, ich bin zu unbekannt für eine Stimme und ganz nebenbei macht der „Markt der Etablierten“ (auf mich) pausenlos den Eindruck, unter ihm sei der Weisheit und des Erfolges Schatz bereits verteilt.

Nun finde ich hier zwar wieder zwei etablierte Schriftsteller(Innen), dass sie sich allerdings anonym halten, macht mir Mut.

Wenn also einen Namen haben, die „Stimme nimmt“, bin ich regelrecht beschenkt mit meiner Stimme „ohne Namen“.

Also sag‘ ich was!

Und damit beginnt es schwierig zu werden. Ich mag die „Verkaufsgeschichten“ nicht. Ich mag nicht diese Reißer: „Am eigenen Leib gespürt und nun der Welt mit auf den Weg gegeben!“

Und – weil ich sie nicht mag, scheue ich sie und prüfe in sensiblen Zeiten sogar jede meiner Zeilen, ob sich da irgendwo etwas hinter der Formulierung verbergen könnte, „was auszusehen schiene“ wie eine versteckte Werbemasche.

Dabei will ich nur Bücher schreiben.

Ganz stimmt das nicht. Ich will Romane schreiben.

Und auch das trifft es nicht, denn ich will immer besser werden. Ich will Literatur machen, anspruchsvoll und die Sprache als Instrument für: Leben beschreiben … Lebensbilder malen …

Wieso? Soweit ich zurückdenken kann… ich will schon immer Bücher schreiben … schon immer.

© ACR

© ACR

Die dunkelsten Stunden meiner Kindheit habe ich auch deshalb überlebt, weil ich nachts unter der Bettdecke heimlich gelesen habe. Es gab nicht viele Kinderbücher, ich habe Erwachsenenbücher aus dem Regal meiner Eltern stibitzt und Hauptmann, Seghers, Mann und andere gelesen. Und mir kleinem Mädchen haben diese Bücher die Hoffnung mit ins Leben gegeben: „Manchmal ist es ganz schwer zu leben, aber es gibt auch gute Erwachsene; und es gibt sogar mutige Erwachsene; und es gibt zusätzlich auch gute und weise Erwachsene, und die, die das aufschreiben können, nützen der ganzen Welt.“

Und weil eben so ein kleines Kind nichts anderes hat als sich selbst, habe ich mir vorgenommen: „Wenn ich mal groß bin, schreibe ich auch solche Bücher.“ Ja, ich hatte schon als Kind eine recht erwachsene Sprache. Ich weiß nicht, ob es gut oder weniger gut ist, wenn ein Kind sich neue Worte selbst erklärt. Mir hat das nicht geschadet. Lesen prägt – es bildet nicht nur.

Nun wäre es ein Leichtes gewesen, Feder und Papier und losgelegt, sobald das Alter dafür erreicht gewesen ist.

Gehindert hat mich nicht nur meine Mutter, die in der Tatsache, mich zur Welt gebracht zu haben, das Recht an meinem Leben behauptete. Nein, intuitiv hatte ich wohl auch der Realität in der DDR zu leben, allerhand zugeordnet. Ich hätte es vielleicht zu einem anerkannten FDJ- Schreiber bringen können, aber was ich damals wollte und gekonnt hätte, kam im Sozialismus offiziell gar nicht vor. (Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – ich bin kein Freiheitsheld gewesen, ich wollte nur schreiben, wie ich will.)

Schreiben. Es ist wie atmen können, wie fliegen, wie weinen, schreien, wie leben, sterben, wachsen, schmelzen, auferstehen, wie … alles was mich ausmacht. Demnach habe ich viele Jahre nur für die Schublade geschrieben.

Anfänglich heimlich. Meine Mutter suchte nach meinen Machwerken, zerriss sie … und mich. Sie hatte nichts gegen Schreiben, sie wollte nur nicht, dass ich es kann. Beinahe meine ich, sogar das Talent von ihr geerbt zu haben. Die Kämpfe, etwas zu nutzen oder zu verbannen, was aus oder von ihr kommt, habe ich hinter mir.

In meinen besten Jahren, also in denen die allgemein so genannt werden, kam die Wende. Die Mauer fiel und ich hatte gedacht, nun kommt meine Zeit, ich werde beginnen zu schreiben, ernsthaft zu schreiben. Da kamen – fast über Nacht – die „Wendebücher“.

Diese: „Mir sind 40 Jahre meines Lebens gestohlen worden“ Geschichten habe ich nicht erzählen wollen, zumal es dafür ausreichend viele „35Jährige“ gegeben hat. Jedoch waren die Verlage zu dieser Zeit darauf geeicht, endlich die Ostdeutschen ins Bild zu bekommen. Das wollten damals alle lesen oder es sollten damals alle lesen. Was weiß ich, wie diese Politik gemacht wird. Egal. Wenn wir aus dem Osten was ganz gut können, ist es warten und improvisieren.

Also warten; ich wartete auf „meine Zeit“.

Mit Mitte 50, an einem Donnerstagmorgen gegen 3 Uhr habe ich den ersten Satz meines ersten Romans geschrieben. Ich konnte nicht mehr warten, in mir brannte alles was geschrieben werden musste, wollte, sollte, konnte, durfte …

Durfte? Hach! Ich bestimme was ich schreibe! Punkt!

© ACR

© ACR

Den Fortgang dessen habe ich in meinem Blog unter: „Kommen Sie hierher! Kommen Sie ran! Hier bekommen Sie´s billiger als nebenan.“ (Teil 1 und Teil 2) angerissen. Dazu habe ich mich entschlossen, nachdem viele meiner Facebookfreunde mir zu meinem Gedichtband gratuliert und versichert hatten, sie laden es sich auf jeden Fall herunter, sobald ich eine Kostenlosaktion mache. Ich solle sie nur unbedingt ankündigen.

Gleichzeitig habe ich sofort so etwas wie schlechtes Gewissen entwickelt – was kümmert es die Welt, wie ich mich fühle, wenn fast jeder denkt, es gibt mich kostenlos? Bei der aktuellen Werbung im TV kann ich ja noch froh sein, nicht unter „schön billig“ eingestuft zu werden. Sollte ich nicht lieber in meiner „Burg“ bleiben und machen, was ich wirklich will – schreiben.

Und doch, immer mal wieder piekt es mich an. Es trifft mich, wenn wir Autoren – also viele von uns – wie Deppen in der Verlags- und Self Publishing Landschaft behandelt werden.

Erst vor ein paar Tagen hat mir in praxi der Administrator eines Forums erklärt, ich möge mich vom Acker machen und könne gerne wiederkommen, sofern mich ein namhafter Autorenverlag veröffentlicht, schließlich wäre dies allein die Garantie für Qualität.

Jene, auf enorm hohem Rosse reitende Dame (die gendertechnisch einwandfreie weibliche Bezeichnung für Admin kenne ich nicht und die, von der ich annehme, sie stimmt, klingt albern), hat das zwar konzilianter geschrieben, die Tonlage ist unverschämt hochtrabend gewesen.

Abgesehen davon, bin ich nur in diesem oben genannten Forum gelandet, weil mir Google eine Rezension angezeigt hat, die dort liegt und ich mich, ein bissel kindlich, gefreut habe und sie »in echt« sehen wollte.

Den Tenor der Allgemeinheit vertritt dieser Fachmann (oder nennt sich das Fachfrau?) jedoch ganz deutlich. Scharfer Wind, sogar aus den eigenen »selbst auch durchgeblasenen« Reihen, herrscht überall. Manches mutet wie der Versuch an, jeden vom Tellerrand zu jagen.

Diese Hatz lenkt mich von dem ab, was ich will und so zähle ich gern zu den Einzelgängern, die sich dem Becken der hohen Wellen nur selten nähern.

Meist bin ich stabil. Es ficht mich nicht an. Meinen Gewinn fahre ich durchs Schreiben ein. Das ist die Quelle meiner Lust am Leben. Zugegeben das Gelesenwerden ist das Salz in der Suppe, alles andere eher das im Kaffee.

© ACR

© ACR

Was mich wundert? Wieso sich diese Zuschussverlage noch halten.

Was bieten sie heute Unersetzbares? Was können oder könnten wirklich nur sie? Was machen sie nicht, wofür sie sich aber bezahlen lassen?

Was ist so unersetzlich bemerkenswert an einem sogenannten namhaften Verlag? Ich muss jetzt einfach mal aussprechen, wie sehr mich erschüttert, dass sich die Häupter des Suhrkamp öffentlich versuchen gegen selbst errichtete Mauern zu schlagen.

Und bitte sage mir doch mal jemand, welcher Lektor heutzutage noch das ist, was – von mir aus altmodisch und althergebracht – aber eben wirklich fruchtbar ist? Niemand kann sich mehr um einen Autor kümmern, damit dessen Muse sich nicht abwende. Wie auch, die Butter fürs Brötchen und sei es noch so klein, will bezahlt sein.

Ergo: Das Wesentliche muss ohnehin vom Autor geleistet werden. Auf sich aufpassen. Bewahren, was er wirklich will. Sich vervollkommnen. Bin ich weltfremd, wenn ich denke, es muss mir beim Schreiben gut gehen, damit – was ich schreibe – gut ist?

Bestimmt wirklich Geld was wie wann geschrieben wird?

Ich kenne die Antwort – aber bitte, ich will das nicht wissen!

Mit dem Wissen soll ich erfolgreich das machen, was mich von keinem Unternehmer abhebt, Öffentlichkeitsarbeit, Werbung fürs eigene Produkt? Irgendwie kann ich das nicht.

Ich will es auch nicht, denn ich habe keine Chance. Und ich habe sie nicht, weil das Vorurteil der Unfähigkeit auf mir lastet, solange mich kein Verlag druckt.

Ist es nur Mundpropaganda oder nehmen Rezensenten tatsächlich Self Publisher „nicht in die Hand“? Ist es nur der Anflug eines arroganten Scheins oder lesen Journalisten wirklich keine entsprechenden Hinweise auf Neuveröffentlichungen von „namenlosen Alleinproduzenten“?

Ich bin nach meinem Ausflug in den Schein der Verlagswelt von ihr geheilt – oder abgestoßen, jedenfalls habe ich mich weder bei Rezensenten noch Journalisten in die Reihe geschummelt.

„Wer ohne mich lebt, lebt mit Verlust“, lache ich so manchem Tag ins Gesicht.

Es stellt sich (mir) an den restlichen Tagen die Frage, auf welche Weise unterscheiden wir uns – die, in einem renommierten Autorenverlag unter Vertrag stehenden Autoren, bei einem BoD, bei einem Fair, bei einem eBook, Self Publishing – generell?

Ich möchte wirklich nicht unbelehrbar gelten, deshalb behaupte ich nicht, sondern stelle anheim, es gibt keinen Unterschied. Unsere Werke müssen wir alle selber an die Leser bringen, ausgenommen jene, die sich in allerhand TV-Formaten tummeln oder einen solch‘  überzeugend leistungsstarken Namen haben, dass sie auf Vorbestellungslisten und in Werbekonsolen feste Plätze generieren.

Die Vermutung, renommierte Verlage schürften nun im Wildpark der Selbstverleger nach güldenem Einzelglanz, wird von Ereignissen, wie in der eBook Plagiatswelt erlebt, nicht unbedingt unterstützt.

Mir scheint eher, da stünden einige am Ufer und warteten auf nützliches Treibgut, welches nur noch herausgefischt und ins bereits vorhandene Boot gehoben werden muss.

Was also bitteschön, frage ich mich gelegentlich, macht die Überheblichkeit des Marktes aus, die den Autoren der renommierten Verlage mehr Können bescheinigen als so manchem Self Publisher?

Folgende Antworten kenne ich:

1. Finanzielle Sicherheit

2. Lektorat

3. Covererstellung

Diese Punkte sind für mich nicht relevant. Finanzielle Sicherheit haben die wenigsten Autoren durchs Schreiben, und ich bin nicht auf ein „Schreibeinkommen“ angewiesen. Einem Lektorat werde ich mein ganzes Leben lang nie wieder vertrauen und mein Cover mache ich sowieso immer selber.“

Mit freundlicher Genehmigung © Angela Charlotte Reichel, der ich an dieser Stelle – sie weiß, warum – auch gratulieren möchte

Steglitz stellt die Herren sandhofer und scheichsbeutel mit „litteratur.ch“ vor

Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.

Es dauerte ein ganzes Weilchen, bis ich die Köpfe ausfindig machen konnte, die hinter litteratur.ch stehen. Der Vorschlag, dass wir sie etwas näher kennenlernen sollten, kam von Giesbert Damaschke , der u.a. die Echtzeit-Blogs zum Schiller-Goethe-Briefwechsel und zu Eckermanns Gesprächen mit Goethe pflegt.

Euer Steckbrief in Stichworten …

sandhofer: Zuerst vielen Dank für die Einladung zum Interview. Wie Du siehst, gibt es uns durchaus…

sandhofer erblickte das Licht der Welt vor ca. einem Dutzend Jahren als e-mail-Adresse. (Weshalb sandhofer bis heute Wert darauf legt, dass sein Name mit kleinem ’s‘ beginnt!) Zwei oder drei Jahre später mutierte sandhofer zum nom de plume (oder nom de guerre – wie man will) in verschiedenen Foren, seit kurzem auch in einem sog. Blog. Der Mensch hinter „sandhofer“ ist der Meinung, genügend uninteressant zu sein, dass sein Name und sein Werdegang weggelassen werden können. Außerdem ist er der Meinung, dass es das Recht jedes Menschen sein sollte, im Internet unter Pseudonym unterwegs sein zu dürfen. Dabei ist er allerdings auch nicht so verbissen wie z.B. der Mann, der hinter „Atze Schröder“ steckt. Er weiß durchaus, dass sich sein Klarname finden lässt, so man sucht.

scheichsbeutel: Österreicher mit Hang zur Anonymität, im Grunde dadurch motiviert, dass – wie mein Vorredner bereits bemerkte – der Name hinter den Beiträgen von nachrangiger Bedeutung ist.

Seit wann, warum und wo bloggt ihr?

sandhofer: sandhofer hat sich jahrelang in Foren herumgetrieben. Als Mitglied, als Moderator, als Administrator – bis eines Tages bei zwei weiteren und ihm das Bedürfnis entstand, ein eigenes Forum zu verwirklichen, wo nach unsern Vorstellungen diskutiert werden konnte. Erste Versuche bei einem Forenhoster waren wegen dessen Unzuverlässigkeit im Erbringen seiner Dienstleistungen recht unbefriedigend. Also kam der Gedanke auf, auf einer eigenen Domain ein eigenes Forum zu betreiben. Dass dies dann in der Schweiz geschehen sollte, war reiner Zufall, da wir alle drei aus verschiedenen Ländern stammen. Allerdings fand sandhofer einen guten und trotzdem nicht teuren Anbieter, der auch schon unsere Lieblings-Forensoftware vorinstalliert hatte, SMF. Mittlerweile haben wir die Dritte im Bunde, die einzige Frau, verloren. Ganz einfach verloren. Eines Tages war sie weg, so, wie eines Tages Herkules plötzlich aus dem Kreise der Argonauten verschwunden war. Ich hoffe, dass sie wirklich einfach wie Herkules zu eigenen Heldentaten unterwegs ist. Wir zwei verbleibenden Argonauten schiffen unterdessen alleine weiter.

der Lesevogel © litteratur.ch

der „Lesevogel“ © litteratur.ch

Schon bald kam bei den Betreibern von litteratur.ch der Gedanke auf, dass die eine oder die andere Notiz auch etwas hervorgehobener erscheinen sollte, als dies in einem Forum möglich ist. Die Frage der technischen Möglichkeit behinderte uns allerdings etwa zwei Jahre lang. Ich weiß nicht mehr, wie viele Datenbanken ich installiert und deinstalliert habe, wie viele CMS wir getestet haben. Selbst an den Aufbau einer eigenen Datenbank dachten wir. Für mich war von Anfang an klar: Kein Blog, ich will kein Blog. Als ich dann endlich begriff, dass eine Blogging-Software auch nur eine Spezialform eines CMS ist, war mein Widerstand allerdings gebrochen. WordPress war bei meinem Host ebenfalls vorinstalliert; als einfachstes in Bezug aufs Handling wurde es dann aktiviert. So haben wir nun vor kurzem das Ein-Jahres-Jubiliäum des Blogs gefeiert. Dennoch lässt sich der Fori nicht verdrängen und bis heute fasst sandhofer sich nicht als Blogger auf. Die Antwort-Funktion in unserm Blog war zuerst komplett deaktiviert, und noch immer muss man angemeldet sein, um einen Kommentar hinterlassen zu können. Ich bin auch der Meinung, dass die Blogging-Software keine Diskussionen ermöglicht in der Art, wie dies ein Forum tut.

scheichsbeutel: Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Außer, dass ich früher auf antville auf ein eher privates Blog mit eingeschränktem Zugang unterhalten habe.

Eure Themenschwerpunkte …

sandhofer: Ich zitiere der Einfachheit halber von unserer Startseite. „Wir lesen alles – aber erfahrungsgemäß sind nicht alle Texte gleichermaßen in der Lage, interessante Diskussionen zu entfachen. Daher das “falsche” ‘t’ in „Litteratur“, ein Hinweis auf das Faible für Klassiker, oder besser gesagt ein Faible für jene Zeit, in der in Anlehnung an das lateinische “littera = Alles Geschriebene” dieses zweite ‘t’ noch verwendet wurde.“

scheichsbeutel: Tatsächlich alles, denn über Einfältiges lässt sich Intelligentes sagen (und vice versa). Wobei mein Interesse sehr stark in Richtung Philosophie geht …

Was treibt euch in der Literaturszene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?

sandhofer: Umtreiben … umtreiben … Ich denke, das ist das falsche Wort, denn das würde bedeuten, dass ich wegen einer Sache schlaflose Nächte verbringe. Dem ist mitnichten so, aber ich verfolge interessiert die Bemühungen von SteglitzMind so etwas wie einen Verhaltenscodex der mit literarischen Texten beschäftigten Blogs zu definieren. Ebenfalls fasziniert mich im Moment der „Shitstorm“ um ein paar Wörter, die ein Verlag in einem alten Kinderbuch geändert hat. Und last but not least (und à propos „Shitstorm“) die immer wieder aufflackernden Flame-Wars, wenn mal wieder ein Blogger sich traut, ein Buch zu besprechen, das er bekennender Weise nicht zu Ende gelesen hat.

scheichsbeutel: Mich treibt kaum etwas um – im Gegenteil: Ich bin froh, in keinster Weise in den Literaturbetrieb involviert zu sein.

Wie macht ihr das Blog und eure Beiträge bekannt?

sandhofer: Kaum. Hin und wieder ein Eintrag bei Google+. Noch seltener einer bei Facebook. Ich bin kein genuiner Blogger, und mein Ziel sind nicht möglichst viele „Follower“ oder Blogger, die auf litteratur.ch Kommentare hinterlassen. Viel interessanter finde ich, dass wir – je nach Ländereinstellung – bei gewissen Suchbegriffen für Google unterdessen auf der ersten Seite auftauchen. Dafür braucht es eine gewisse Regelmäßigkeit im Publizieren, vielleicht sogar eine gewisse Qualität der Beiträge – und geschickt gewählte Tags in WordPress.

scheichsbeutel: Gar nicht. Ich bin ein schlechter Apostel meiner selbst.

Was sollte ein Blogger besser sein lassen?

sandhofer: Nichts. Nichts in doppeltem Sinn: Einerseits kann ich mir nichts vorstellen, das ein Blogger sein lassen müsste. Es gibt sicher Dinge, die machen, dass ich das Blog nicht lese – aber das ist ein kleiner Teil der Welt, den der Blogger deshalb verliert.

Nichts tun andererseits bedeutet den Tod eines jeden Blogs. Wenn längere Zeit nichts Neues erscheint, wird der Leser (und wird Google!) das Interesse verlieren. Wie viele Blogs gibt es nicht, die voll Enthusiasmus begonnen wurden, und die nun seit Monaten, Jahren brach liegen.

scheichsbeutel: Wenn ihm an mir als Leser gelegen ist: Keine Videos oder Fotoserien. Ich bin an Texten interessiert, nicht an visuellem Allerlei.

Welche Hürden muss ein Blogger nehmen?

sandhofer: Ich blogge in meiner Freizeit und aus Spaß. Hürdenlauf würde mir keinen Spaß machen. Insofern habe ich beim Bloggen offenbar keine Hürden gefunden …

scheichsbeutel: Dem kann ich nur zustimmen. Die Freude am Schreiben und Lesen ist der alles bestimmende Antrieb. Wenn dieser nicht mehr vorhanden wäre, würde ich alles Bloggen sofort sein lassen.

Euer schönstes Erlebnis als Blogger …

sandhofer: Als ich das erste Mal realisierte, dass Google uns prominent zur Kenntnis nimmt. Und natürlich das Lob, das uns Giesbert Damaschke erteilte, als er litteratur.ch zu seinem Nachfolger in deiner Interview-Reihe erkor.

scheichsbeutel: In meinem ersten Blog eine kurze Antwort, die aber ein tiefes Verständnis für das Geschriebene vermuten ließ. Mit Recht, wie sich herausstelle. Derlei ist selten.

Wie geht ihr damit um, wenn euch Verlage, Agenturen oder Autoren Rezensionsexemplare anbieten?

sandhofer: Das ist bisher erst einmal passiert. Und leider waren es E-books – die ich nicht lesen kann und will. Also habe ich die Anfrage ignoriert, da sich der betreffende Kleinverlag offenbar nicht die Mühe genommen hat, mein Profil sorgfältig genug zu erstellen.

scheichsbeutel: Ist früher einige Male passiert. Ich warne dann die Betreffenden vor den zu verfassenden Rezensionen.

Und wie würdet ihr damit umgehen, wenn euch Self-Publisher ihre Titel zur Rezension anbieten?

sandhofer: Self-Publisher? Das hieß früher „Eigen-Verlag“, ja? Keine Ahnung – so etwas ist bisher noch nicht passiert.

Wie haltet ihr es mit dem E-Book?

sandhofer: Gar nicht. Erstens stört mich der aktuell immer noch herrschende Formate-Wirrwarr. Zweitens mag ich nicht, dass ich einen elektronisch aufbereiteten Text offenbar nur zur Verfügung gestellt bekomme und nicht besitze. Drittens finde ich die theoretische Möglichkeit, dass der Zur-Verfügung-Steller den Text jederzeit wieder auf meinem Lesegerät löschen kann, gelinde gesagt, störend. Man stelle sich so etwas bei einem Papierbuch vor! Viertens sind alle Lesegeräte, die ich bis jetzt gesehen habe, Ausbünde an Hässlichkeit. Mit so etwas in der Hand würde ich mich nie in der Öffentlichkeit sehen lassen. Nicht einmal im Schlafzimmer vor meiner Frau…

scheichsbeutel: Reizvoll der vielen alten, nicht wieder aufgelegten Bücher wegen (etwa Philosophen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts). Solange allerdings die Geräte weitgehend proprietäre Formate darstellen, warte ich mit der Anschaffung. Für die Zukunft aber sicher ein wertvoller Zusatz.

Welche anderen Blogs empfehlt ihr (max. 5). Und welcher bibliophile Blogger sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

sandhofer: Drei der meiner Meinung nach wichtigsten Blogs zur Literatur sind hier ja bereits zu Wort gekommen: die von Christian Köllerer, Marius Fränzel und Giesbert Damaschke. Die muss ich nicht mehr empfehlen, die Drei haben sich hier ja bereits vorgestellt. Das „Leipziger Bücherlei“ auch nicht, es wurde bereits empfohlen. So, wie es aktuell aussieht, hat es Kolbeck aber mal wieder vom Netz genommen. Nun, wird schon wieder…

Zu den Empfehlungen also: Da ist einmal das ziemlich junge Blog Alles nicht so wichtig von Papyrus. Wie ihr Pseudonym sagt, sind ihre Themenschwerpunkte das Buch und Ägypten. Das einzige Blog, zu dem wir von unserm her verlinken (außer Damaschke und Köllerer) ist Literatur mit mArtinus. Er schreibt mittlerweile lieber selber, als über Texte zu schreiben. Zwischen den Seiten von BigBen wäre sehr interessant, wenn der Kerl nur nicht zu faul wäre, um regelmäßig zu posten. Ich weiß nämlich, dass er nach wie vor regelmäßig liest und auch regelmäßig sehr interessante Texte liest. yeRainbow and its world and its world leidet unterm selben Defizit.

Blog N° 5, das ich empfehle, ist Bleisatz. Zwar liest die Betreiberin dieser Seite praktisch nur Krimis, und ich praktisch selten welche, aber sie gehört zu den wenigen Bloggern + Foris, die korrektes und gutes Deutsch schreiben können. (Mein eigenes ist mehr oder minder korrekt, aber nicht gut!) Das ist auch die Seite (bzw. das Blog, sie hat eines dort!), von der ich möchte, dass du sie mal vorstellst – und sei es nur, weil sie sich diebisch gefreut hat, dass ich mich hier bei Dir outen soll…

scheichsbeutel: Erinnert mich eigentlich nur daran, dass ich kaum noch Blogs lese. Das letzte war vague., das ich häufiger besucht habe. Scheint aber den Weg alles Irdischen gegangen zu sein; dass ausgerechnet der letzte Eintrag ein youtube-Link war, ist angesichts meiner diesbezüglichen Abneigung paradigmatisch.

Danke sehr, die Herren. Stoff genug, um neuerlich über einen „Verhaltenskodex der mit literarischen Texten beschäftigten Blogs“ zu sinnieren … Und: im Übrigen, Bettina von Bleisatz hakte auch bei mir nach, wo denn euer Porträt bliebe.

______________________________________________________________________________________________________________

Zuletzt stellte sich Sophie mit Literaturen vor. Ihr Wunsch-Interviewpartner war der Betreiber von Muromez. – Eine Übersicht, wer bereits alles Rede und Antwort stand und welche Blogs in den jeweiligen Gesprächen empfohlen wurden, findet sich hier

Ein Herz für Kinder!? Oder: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch…

Im Zusammenhang mit einer Neuerscheinung habe ich mich mit Gewaltopfern, insbesondere den Folgen von Gewalt für Kinder beschäftigt. Bei den Recherchen kam mir verschiedentlich der Gedanke, auf vermintem Gelände unterwegs zu sein, an Tabus zu rühren. Offenbar markiert der jüngste Eklat beim Versuch, den Missbrauchsskandal im bayerischen Kloster Ettal aufzuklären, lediglich die Spitze eines Eisberges. Viele Fakten und Daten, die ich zu Tage förderte, waren mir so nicht bekannt.

Groß war insbesondere mein Erstaunen, dass der Anspruch auf eine gewaltfreie Erziehung in der Bundesrepublik eine relativ junge Errungenschaft ist. So galt hier das Recht des Lehrherrn, Lehrlinge züchtigen zu dürfen, bis 1951. „Man bringt ein Kind schon in den ersten zwei Jahren zum Verbotsgehorsam. Falsch ist es, den Verbotsgehorsam erreichen zu wollen durch Zureden, durch Erklärungen oder durch zartes Weggleiten der Hand von der beabsichtigten Tat. Der schmerzende Schlag aber bleibt ihm in Erinnerung. Man könnte gewiss mit einer Nadel oder einem elektrischen ‘Erziehungsstab’ den Schmerz verursachen und die Rute war ja auch ein solches Erziehungsinstrument. Die Mutter gebe die Schläge lieber nicht, denn sie schlägt gewöhnlich nicht kräftig genug.“ Die Empfehlung stammt nicht, wie man meinen könnte, aus einem Erziehungsbuch aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, sondern aus dem Ratgeber „Über den Umgang mit Kindern“, der 1952 erschienen ist.

die Kindheit ist ein lieblicher Traum ... © GvP

die Kindheit ist ein lieblicher Traum … © GvP

Als das Gleichberechtigungsgesetz für Frauen 1958 in Kraft trat, erhielten auch die Mütter das Züchtigungsrecht. Noch in den späten 1960er Jahren meinten 85 Prozent aller westdeutschen Eltern, dass die Prügelstrafe eine angemessene Erziehungsmethode sei. Schulische Körperstrafen wurden in der BRD umfassend erst 1973 verboten. Zwar wurden 1980 im Bürgerlichen Gesetzbuch die „elterliche Gewalt“ durch „elterliche Sorge“ ersetzt und „entwürdigende Erziehungsmaßnahmen“ verboten, aber Politik und Gerichte billigten den Eltern weiterhin eine „angemessene körperliche Züchtigung“ aufgrund „herrschender sittlicher Auffassung“ zu. Vor allem CDU und CSU hatten sich gegen entsprechende Initiativen der SPD, des Deutschen Juristinnenbundes und der Grünen lange gesperrt und gewehrt. Der Gesetzgeber habe „bewusst darauf verzichtet, einen bestimmten Erziehungsstil verbindlich vorzuschreiben“, beharrte der parlamentarische Staatssekretär de With am 19. März 1982 in der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Opposition zum „Verbot der Gewalt gegen Kinder“. Dies ging so weit, dass noch 1986 der Bundesgerichtshof das Schlagen eines Kindes mit einem Wasserschlauch nicht als entwürdigende Erziehung bezeichnete.

1992 ratifizierte die Bundesrepublik die UN-Kinderrechtskonvention, womit der Druck wuchs, Kinder besser vor Gewalt zu schützen. „Körperliche und seelische Misshandlungen“ erklärte das Bürgerliche Gesetzbuch allerdings erst 1998 für unzulässig. Und erst zwei Jahre später, nämlich im November 2000, wurde das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. In der Neufassung des Paragrafen 1631 Absatz 2 Gesetzbuch heißt es: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Vorausgegangen war ein jahrzehnter währender Streit. Und das neue Kinderschutzgesetz, das erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gesetzliche Grundlagen dafür geschaffen hat, Kinder besser vor Vernachlässigung, Misshandlungen und sexueller Gewalt zu schützen, wurde im Januar vergangenen Jahres verabschiedet. Im Januar 2012! Abermals nach Jahren langem Ringens und wiederum gegen erhebliche Widerstände.

Unzählige Studien über die Verbreitung von verschiedenen Formen von Gewalt gegen Kinder belegen, dass weltweit Kinder, die keine Gewalt durch ihre Eltern oder Erziehungsberechtigten erleben, nicht die Regel, sondern die Ausnahme sind. Aktenkundige Fälle wie Kevin aus Bremen, Lea-Sophie aus Schwerin oder die neun Monate alte Jasmin aus Speyer sind keine Einzelfälle. Jährlich werden in Deutschland rund 150.000 Kinder unter 15 Jahren gezüchtigt. UNICEF geht davon aus, dass wöchentlich je zwei Kinder an den Folgen von Misshandlung und Vernachlässigung sterben. Rund 30.000 Kinder eines Jahrgangs wachsen in Hochrisikofamilien auf. Täglich 50 misshandelte oder missbrauchte Kinder, das ist die erschreckende Bilanz einer Statistik des Bundeskriminalamtes, die im Mai 2012 veröffentlicht wurde. – Und die Dunkelziffer liegt viel höher.

„Die Geschichte der Kindheit ist ein Albtraum – aus dem wir gerade erwachen“, so der Forscher zur Geschichte der Kindheit Lloyd de Mause. Zwar propagieren laut Deutschem Kinderschutzbund heute 90 Prozent der Eltern eine gewaltfreie Erziehung, schlagen tun sie ihre Kinder dennoch – wenn auch inzwischen mit schlechtem Gewissen. In der Forsa-Umfrage der Zeitschrift „Eltern“, die im März 2012 vorgestellt wurde, gaben 40 Prozent der Befragten an, ihren Kindern einen „Klaps auf den Po“ zu verpassen. Zehn Prozent der Eltern verteilen Ohrfeigen. Zu harten Körperstrafen wie „Hinternversohlen“ greifen vier Prozent. Immerhin scheinen Stockhiebe endgültig der Vergangenheit anzugehören. 100 Prozent sagten in der Umfrage dazu „niemals“.

_____________________________________________________________________________________________

Aus diesem Beitrag entwickelten sich Gespräche mit ACR. Wir unterhalten uns über ihre Erfahrungen als schwer misshandeltes Kind und Jugendliche, über die Folgen und wie wichtig es ist, dass Anständige erfahren, dass es so etwas gibt …

Steglitz stellt Sophie mit „Literaturen“ vor

Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.

Der Vorschlag, dass wir etwas mehr über Sophie und ihr Blog Literaturen – ein Streifzug durch die Welt der Literatur und ein bisschen mehr – erfahren sollten, kam von Katarina Liest, die im literaturaffinen Netz als Die Bücherphilosophin bekannt ist.

Dein Steckbrief in Stichworten …

  • ziemlich chaotisch
  • Auszubildende im Buchhandel
  • leidenschaftliche Schreiberin/Zeichnerin
  • pathologischer Sherlock-Holmes-Fan
  • spiele sehr gern in (bisher) Mini-Rollen Theater
  • musikalisch in den 60ern hängengeblieben

Seit wann, warum und wo bloggst du?

Ich blogge seit Mai 2011, von Anfang an bei WordPress, weil die Bedienung auch für den Laien nahezu selbsterklärend ist. So ganz genau weiß ich gar nicht  mehr, wie das eigentlich begonnen hat und warum. Ich schätze, es lag daran, dass ich in meinem Umfeld wenige Menschen hatte, mit denen ich mich über Literatur austauschen konnte und ich hoffte einfach, dadurch mehr an literarischen Diskussionen teilhaben zu können. Das hat ja sogar geklappt. Außerdem wollte ich mir eine Möglichkeit schaffen, das Gelesene Revue passieren zu lassen, um es mir vielleicht auch ein paar Wochen später nochmal durch den Kopf gehen zu lassen.

Deine Themenschwerpunkte …

Im Augenblick ist das vermutlich zeitgenössische Belletristik. Aufgrund meines Jobs muss ich mich einfach viel um das kümmern, was gerade neu auf dem Markt ist oder auf den Markt kommt. Klassiker verkaufen sich nicht mehr, hat man mir damals schon bei meinem Vorstellungsgespräch gesagt. Obwohl da durchaus meine Leidenschaft liegt. Außerdem bin ich ein großer Liebhaber von Graphic Novels und würde in diesem Bereich gern noch viel mehr schreiben, mich fasziniert einfach die Verschmelzung von Bild und Text, bei einigen Werken ist das wirklich enorm beeindruckend. Bei Will Eisner und Art Spiegelman, zum Beispiel.

Was treibt dich in der Literaturszene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?

Sophie © Literaturen

Sophie © Literaturen

Ich schätze, es ist das Gefühl, dass der Markt von so viel Belanglosigkeit überschwemmt wird. Ich will gar nicht behaupten, dass es keine guten Bücher mehr gibt, aber zwischen all dem Leichtverdaulichen finden sie oftmals gar keinen Platz mehr. Ich arbeite nun auch noch in einem Laden, der sehr auf die Bestsellerlisten ausgerichtet ist und so habe ich quasi jederzeit Zugang zu den neuen Zugpferden der Branche. Neulich erst habe ich gelesen, dass sich die Buchbranche immer mehr dahin entwickelt, dass ein Großteil des Umsatzes von ein paar wenigen Titeln gemacht wird, mit so etwas wie „Shades of Grey“ oder allem, was danach folgt und auf derselben Welle mitschwimmt. Wenn man sich wirklich für Literatur begeistert, tut es einem manchmal weh, was man da verkaufen muss. Und noch mehr tut es dann weh, zu sehen, wie gut es sich verkauft. Und da scheint es einem ein bisschen so als würde all das, was man selbst so an Literatur schätzt, zugunsten der literarischen Popcornunterhaltung im Meer der Neuerscheinungen über SMS von letzter Nacht verschwinden. Noch schlimmer ist es dann, wenn man feststellen muss, dass man es sich als Buchhandlung gar nicht leisten könnte, ein paar gehaltvolle Titel im Sortiment zu haben, wenn man nicht mit den anderen Sachen die Basis schafft. Ich bin nun seit 2010 – anfangs auf Praktikumsbasis – im Buchhandel beschäftigt und bisweilen kommt es schon jetzt vor, dass ich mich diesen Entwicklungen gegenüber sehr hilflos fühle.

Wie machst du dein Blog und deine Beiträge bekannt?

Anfangs habe ich tatsächlich nur die Beiträge auf WordPress veröffentlicht, aber habe schnell bemerkt, dass das vermutlich nicht ausreicht, um Leben in die Bude zu bringen. Ich habe dann also eine Facebookseite für meinen Blog eingerichtet, nachdem ich sehr sehr lange mit mir gehadert habe. Es war mir irgendwie peinlich, so plakativ Werbung für etwas zu machen, was ich tue. Ich versuche, regelmäßig auf anderen Blogs präsent zu sein. Nebenbei schreibe ich eigene Texte, die ich gelegentlich auf blogexternen Seiten veröffentlichen kann. Neulich habe ich das erste Mal ein Video gedreht, ich probiere viel aus im Augenblick und strecke so ein bisschen meine Fühler aus.

Was sollte ein Blogger besser sein lassen?

Seinen Blog zu breit anzulegen (also nebenbei am besten noch Kochrezepte und Videos über Shoppingtouren veröffentlichen oder so, alles schon gesehen) und das Lesen als Tätigkeit zu dokumentieren, statt tatsächlich zu lesen. Ich finde es wichtig, dass man es irgendwie schafft, mit dem eigenen Blog etwas Individuelles auf die Beine zu stellen. Etwas, was andere wirklich animiert, wieder auf die Seite zu gehen und dort zu lesen. Wenn man sich mal durchs Internet klickt, finden sich zahllose Rezensionsblogs, sehr viele, die sich mit Fantasy und der sogenannten Chick-Lit beschäftigen. Zahllose Challenges werden da dokumentiert, SUBs und RUBs präsentiert und das Lesen, der Inhalt des Gelesenen, geraten völlig in den Hintergrund. Man sollte versuchen, sich ein Profil zu schaffen und gute Ideen einzubringen – warum mache ich das? Warum sollten die Leute lesen, was ich tue? Warum sollten sie wiederkommen? Dass man natürlich auch nicht bei anderen abschreibt, versteht sich von selbst.

Welche Hürden muss ein Blogger nehmen?

Für sich allein zu bloggen, kann schon deprimierend sein. Das wurde hier in dieser Interviewreihe ja auch schon mehrfach erwähnt. Es bedarf also eines gewissen Durchhaltevermögens, dennoch weiterhin Rezensionen zu posten, auch wenn darauf wochenlang keiner reagiert. So erging es mir ja auch am Anfang, so ging es wahrscheinlich jedem. Sicherlich kann auch das (notwendige) Engagement eine Hürde sein. Bloggen ist zeitintensiv, jedenfalls, wenn man es regelmäßig und auch für andere Menschen tun will. Man sollte auf anderen Seiten präsent sein und kommentieren, man muss die eigenen Artikel schreiben, eventuell social-media-lastige Werbung machen, je nachdem, was man anstrebt. Da bin ich schon hier und da an meine Grenzen gestoßen bei einem Vollzeitjob. Ich kam auch ab und an nicht einmal zum Lesen, dementsprechend gab’s auch nichts zu rezensieren. Aus dieser Not heraus habe ich dann so einige rezensions“fremde“ Kategorien eingeführt, um den Blog nicht womöglich wochenlang brachliegen zu lassen, bloß weil ich zu kaputt zum Lesen bin.

Dein schönstes Erlebnis als Blogger …

Oh, ich glaube, die Anfrage für dieses Interview steht schon ganz weit oben. Schön war auch eine Rückmeldung eines Verlages via E-Mail, ohne, dass ich so etwas überhaupt beabsichtigt hatte. Generell summiert sich das aber. Nette Kommentare, Komplimente, überhaupt das Besuchen meines Blogs. Man muss ja immer bedenken, dass ich das alles ganz laienhaft und privat mache. Da ist es schon jedes Mal eine Freude, wenn ich sehe, dass andere Gefallen daran finden. Und da ich so ein ganz extremer Selbstzweifler bin, tut mir diese Resonanz einfach, ganz abgesehen davon, dass es inhaltlich sehr erfüllend ist, an manchen Tagen nochmal doppelt so gut.

Wie gehst du damit um, wenn dir Verlage, Agenturen oder Autoren Rezensionsexemplare anbieten?

Das ist bisher nicht vorgekommen. Nun bin ich als Buchhändler natürlich auch noch in der speziellen Situation, ohnehin ständig Zugang zu Leseexemplaren zu haben, da würde ich mir also schon genau überlegen, was ich noch zusätzlich dazu annehme und was nicht. Und es gibt auch Themen/Bücher, die auf meinem Blog vermutlich nicht stattfinden werden. Kein Fantasy, keine halbseidenen Liebesromane, keine Historienschnulzen, das interessiert mich einfach nicht, auch nicht, wenn es mir von einem Verlag angeboten würde.

Und wie würdest du damit umgehen, wenn dir Self-Publisher ihre Titel zur Rezension anbieten?

Ich schätze, das käme auf den Titel an. Für mich ist Self-Publishing ein sehr zweischneidiges Schwert. Ich habe in der Buchhandlung schon öfter Self-Publisher erlebt, die ihre Exemplare zur Ansicht gebracht haben und wenn man da einen Blick hineingeworfen hat, stellten sich einem sämtliche Nackenhaare auf. Und man sah sofort, weshalb die bei keinem Verlag untergekommen sind. Andererseits veröffentlichen viele Verlage trotz des entsprechenden Fachpersonals so viel – pardon – Müll, dass ich nicht grundsätzlich sagen möchte, alles, was im Self-Publishing-Bereich veröffentlicht wird, ist per se qualitativ minderwertig, während die Absegnung von einem Verlag eine gewisse Qualität garantiert. Ich würde mir genau ansehen, was mir da angeboten wird und dann entscheiden. Aber auch das ist noch nicht vorgekommen.

Wie hältst du es mit dem E-Book?

Gar nicht. Ich habe keinen Reader und ich habe auch nicht vor, mir in naher Zukunft einen anzuschaffen. Ich sehe die Vorteile, kann sie auch nachvollziehen, aber für mich wäre es einfach unnötig. Ich schleppe mich lieber mit Büchern ab als bloß so einen kleinen Minilesecomputer mit mir herumzutragen. Ich will die Seiten anfassen, ich will dran riechen, ich will drin blättern. Bisher unternehme ich auch keine Langstreckenreisen oder irgendwas sonst, wo eine Menge Bücher zu transportieren total unpraktisch wäre. Nö. Nichts für mich.

Welche anderen Blogs empfiehlst du (max. 5). Und welcher bibliophile Blogger sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Puh, schwierig jetzt, hier jemanden zu erwähnen, der noch nicht genannt wurde. Ich lese regelmäßig bei buzzaldrin, der Bücherphilosophin, der Klappentexterin, Ada Mitsou und SchöneSeiten. Ich denke, ich gebe den Staffelstab an Muromez weiter. Der bloggt – so wie ich das gesehen habe – noch nicht so lange, aber sehr ambitioniert und interessant! Soll ja auch ein bisschen darum gehen, die kleineren Blogs ein Stück von ihrem Schattendasein zu befreien.

Kleinere Blogs aus ihrem Schattendasein zu befreien – eine Intention, die ich als Initiatorin dieser Gesprächsreihe dick unterstreichen möchte. Auch dafür danke, Sophie!

______________________________________________________________________________________________________________________

Zuletzt stellte Stephan Waldscheidt mit seiner Schriftzeit vor. Sein Wunsch-Interviewpartner war Oliver Koch, der den Gedankenzirkus hütet. – Eine Übersicht, wer bereits alles Rede und Antwort stand und welche Blogs in den jeweiligen Gesprächen empfohlen wurden, findet sich hier

„Solche Windstöße sind gut, die Düsterheit der deutschen Buchhändelei aufzuklären.“ (Goethe)

B. Claus DeFuyard erinnert sich: an die Erlebnisse eines Autoren, der in den literarischen Betrieb auszogen war, um dort das Fürchten zu lernen. Aus seinen Erfahrungen mit Neppern, Schleppern, Literaturkritikern und Juroren zog er den Schluss: „Man muss sich um sich selber kümmern.“ Womit der Grundstein für den Zeitlichkeitverlag gelegt war. Hier erscheint u.a. das Un-Periodikum „Der Kulturflüchter“, aus dem ich in der Rubrik „Der Kulturflüchter auf SteglitzMind“ in loser Folge Beiträge und Textauszüge vorstelle.

Vom Uhu, Meisen und großen Leuchten. Erinnerungen von B. Claus DeFuyard. Von wem sonst?

Es gibt Geschichten, mit denen sich Verleger immer schwer getan haben. Dokumente des Alltäglichen sind zur Genüge auf dem Markt. Mehr war nicht erwünscht. Hier jedoch geht es um eine Geschichte, in der ein Unberufener in der Einfalt seines Denkens unter die Räder eines Bezahlverlages geriet. Das war einmal. Auf sich gestellt, hatte er keine andere Wahl. In einem „rezessiven Markt“ wäre die Lieferbarkeit eines „vorfinanzierten Buchbestands“ die einzige Lösung – behaupteten sie. Das äußerliche Blendwerk, mit dem etliche Verleger ihr Sammelsurium von Sinn und Unsinn bezeichnen. Vom Image eines Nepper-Schlepper-Autorenfängers in den Abgrund pauschaler Nichtachtung gestürzt, drohte dem Autor lebenslänglich. Quasi für falsches Parken.

„Solche Windstöße sind gut, die Düsterheit der deutschen Buchhändelei aufzuklären.“, so der Jot Wolfi Goethe.

Eine Literaturkritikerin drückte sich in angeborener hochnotpeinlicher Zurechtweisung aus: „Ich fürchte“, schrieb sie, „das Buch kommt nicht in Frage, weil wir Bücher aus Bezahl- oder Zuschussverlagen nicht wahrnehmen.“ Man beachte demnach Gammelfleisch, pöbelnde Politiker, Dummheit an sichindes, nichts wahrzunehmen ist wahrlich der Höhepunkt schlaffer Inkompetenz. „Ihr Schreiben“, antwortete der gedemütigte Autor, „hat mich sehr getroffen. Ich bin nicht der Verleger, vor allem nicht der Verleger, wenn wir beide denselben meinen. Ich habe mit ihm nichts gemein. Ich bin nur verzweifelt.“

So besehen ist die Geschäftsphilosophie dieser Art von Verlegertätigkeit die reinste Rosstäuscherei, ein Hütchenspiel. Zum Mythos gehört, dass diese Spezies in ihrem verdammt Bisschenleben an anderen herumfummeln dürfen und ’Löcher in sie schlagen’. „Große Lichter sind die wahrlich nicht, nur große Leuchter. Sie handeln mit anderer Leute Meinungen.“ (Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbuch 1793)

irgendeinen Vogel hat jeder! Uhu oder Meise ... © Dierk Arnold / Der Kulturflüchter

irgendeinen Vogel hat jeder! Uhu oder Meise … © Dierk Arnold / Der Kulturflüchter

Auf dem Flohmarkt, wo früher mit rostigem Hausrat und Sperrmüll gehandelt wird, mit Resten von Goethe, Schiller und Schopenhauer, den Memoiren begnadeter Spaßmacher – beantwortete auch der Autor die Sinnfrage: „Man müsse sich um sich selber kümmern“, mit einem melancholischen Seitenblick auf Buch und Titel: ein Uhu vor einer alten Eiche, an deren Ästen Menschen hängen. „Der Uhu“, erklärt der Autor, „ist für den Unfug in den Köpfen des Menschen verantwortlich. Sag bloß“, so eine beiläufig Interessierte und staunte. „Der Mensch – ein Uhu? „Na ja – einen Vogel hat jeder“, antwortet der Autor, „alle hätscheln und tätscheln ihn – allein die Größe des Vogels hängt von der Bedeutung seines Besitzers ab – Meise oder Uhu.

Eine nicht sehr massenkompatible Geschichte und die meisten haben doch schon ein Buch. Und neuerdings das iPad – sie benötigen das Buch nicht. Die auf das aktuelle Geschehen reduzierte Nachrichtenprosa, macht Schreiben an sich schon zu einem Umweltdelikt.

Doch zurück zu damals: Ein Literaturkritiker – Mitglied einer Zunft, ein Wortrichter und der Kunst des Urteilens verpflichtet – dem der Namenlose sein Manuskript entgegen streckte, pflegte dann auch im Sinne einer buchstabendeutenden Zeichensetzung das Skript erst vom Moder und Staub zu befreien: „Der Text sei wie nicht sauber gespültes Geschirr …“, lautete die inquisitorische Metapher. Die einzige zulässige Rechtfertigung wäre: Autoren seien eben keine Menschen. Ringen mit ihren Visionen. Verzweifeln an der Buchmacherei. So kommt es, dass manche Autoren eine unglückliche Verrückung durchmachen, unablässig darüber nachdenken, in welcher Nische sie überdauern können, stets ums eigene Ich kreisen, zu dem oft nichts Ausreichendes zu vermelden ist, um sich vorbehaltlos darüber zu äußern.

Dennoch: Der Autor, dem Auditorium schließlich zum Fraß vorgeworfen, stand wie unter Hypnose. Er las. An der Stelle, als der Protagonist seiner Geschichte den Abhang herunter in ein schwarzes Loch plumpst, verabschiedete man den Autor vor laufender Kamera und trieb ihn derart öffentlich ab. „Ich sage Ihnen“, lächelte einer der Juroren, „was ich nicht sagen sollte, aber sagen muss – und nicht einmal weiß, ob jeder Mensch die Wahrheit verträgt, die natürlich nur meine Wahrheit ist: dem Urheber des soeben erledigten Textes, sollte das Handwerk gelegt werden. Er verbreitet Angst und Schrecken.“ Applaus. Gelächter.

Der Deuter der Autoren Not nennt Literatur Leben, das Leben Wahrheit, die Wahrheit Lüge, die Lüge Wirklichkeit und die macht sich über uns lustig. Er beschreibt die Veränderung des Verlagswesens, die in gewisser Hinsicht den Autoren am liebsten das Schreiben verbieten möchte. Und dann auf einmal das Internet. Dies irae – dies illa – der Tag des Zornes, die Antwort der Moderne auf das Weltgericht. Nur, wie es ausgeht, wissen wir noch nicht.

Der Autor erinnert sich: Gleichsam geteert und gefedert, beherrscht er seine Betroffenheit bis zum Grad der Selbstverleugnung. Er wurde verabschiedet, erhob sich – er, der vor der Lesung noch euphorisch verkündete, er habe vom Auditorium bis zum Podium dreißig Schritte gezählt und dafür ganze dreißig Jahre benötigt. Dann flüchtete er. Es blieb ihm, sich selbst zu subventionieren. Jetzt ist es soweit. Vom Regen in die Traufe.

Es obsiegte die Zierde der Literatur – eine liebliche Buchstabengestalt – für ihr Erstlingswerk: „Redundanz“. Die eigentliche und uneigentliche Bedeutung des Wortes ist: Überfluss – der Roman einer fiebrigen Spermatologin. Sie erhielt den Preis und ein illustres Blumengebinde. Die Literatur trieb Blüten. Und Blüten ihre Triebe. Mit viel buntem Staub an Ideen und Träumen. Es lebe der Uhu, der Urvogel in uns allen, der starke Vogel ohne Stimme, der immer nur seufzt. Es ist jedoch nicht das Ende der Geschichte.

Gerechtigkeit – Allerweltshure – Ankündigung mit Anspruch – nur, wer viel davon spricht, sorgt für das Scheitern von Gerechtigkeit. Wollen mal sehen … was aus uns noch werden kann, wenn die unsinnigen Gesetze weiterhin Beachtung finden. Spitzenkräfte auswandern. Ehrgeiz bestraft, Besitz verteufelt wird. Gott hat sich verlaufen. Das Sagen haben die Versprecher und Versager. Stillstand ist Fortschritt. Die Langsamen fressen die Schnellen.

Und jetzt wird das „Schreiben von Büchern ein kollektives Abenteuer: Das Publikum mischt mit.“ (Leser mach’s dir selbst, in: ZEIT ONLINE 31.01.2013)

© 2013 Der Kulturflüchter N° 1

Nachzulesen sind DeFuyards Erinnerungen „Vom Uhu, Meisen und großen Leuchten“ in: Der Kulturflüchter N° 1. Das Un-Periodikum erscheint im Zeitlichkeitverlag, Herausgeber ist B. Claus DeFuyard. “Der Kulturflüchter” präsentiert sich in Bälde auch mit einem Blog