Der Blogpost „Statt Schriftsteller ist man Schreibmaschine“, in dem zwei Autorinnen über haarsträubende Erfahrungen mit Verlagen berichteten, treibt seit seinem Erscheinen im Juli vergangenen Jahres um. Immer wieder erreichen mich dazu Kommentare, Stellungnahmen und Erfahrungsberichte. So gestern von einer Autorin, die ungenannt bleiben möchte. – Ich danke ihr für einen Bericht, der unter die Haut geht.
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So, jetzt habe ich diese ganze Artikelserie gelesen und lange überlegt, ob ich auch was schreiben soll. Letztendlich bin ich zu der Auffassung gekommen, dass es wohl gut ist, wenn ich auch etwas dazu sage, damit die Zahl derer, die den Mund aufmachen ein bisschen größer wird.
Also ja: Hiermit reihe ich mich ebenfalls in die Liste der Autoren ein, die vorsichtshalber ihren Namen nicht nennen, denn im Großen und Ganzen kann ich alle Punkte bestätigen, die ich hier gelesen habe.
Ich selbst schreibe seit über 20 Jahren. Etwa 10 Jahre davon habe ich gebraucht, um gut schreiben zu lernen. Weitere 10 Jahre hat es gedauert, ehe ich das ganze Elend mit Bewerbungen und Ablehnungen überstanden hatte und mein erstes Buch von einem “echten” Verlag gedruckt wurde. Inzwischen sind es drei Verlage, zwei davon namhaft, einer nicht ganz so.
Der Erfolg, also das “Verlegt werden” an sich, ist in meinem Fall noch recht jung. Aber ich kann jetzt schon sagen, dass sich vieles daran falsch anfühlt. “Die Seele und das Herz bitte an der Garderobe abgeben – auf der Bühne spielen die Verkaufszahlen.” Dieses Motto spürt man schnell, wenn man die heilige Grenze zum Verlag erst einmal übertreten hat. Sicher, alle sind freundlich zu mir, alle lieben meine Bücher und wahrscheinlich meinen sie es wirklich so. Aber mein Herz und meine Seele habe ich längst verkauft. Für einen Dumpingpreis, denn leben kann ich bei Weitem nicht davon. Man könnte auch sagen, ein durchschnittlicher Verdiener verdient im Monat soviel wie ich im ganzen Jahr. Das Geld bringt also mein Mann in die Familie. Ich “verwirkliche nur mich selbst”. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich selbst das nicht mehr tue, seitdem mir die Verlage sagen, was ich schreiben soll, wie lang es sein darf, für welche Zielgruppe ich es zurechtschustern muss und wann der Abgabetermin ist. Der Titel, das Cover und der Klappentext werden festgelegt, bevor das neueste Buch auch nur einen Satz lang ist, also zu einem Zeitpunkt, zu dem es nur aus einer Idee besteht, die ich in einem Exposé formuliert habe. So etwas ist wirklich, WIRKLICH unheimlich!!! Alles Mögliche könnte in der Zwischenzeit passieren. Was, wenn ich mit meinen Figuren nicht warm werde? Wenn die Geschichte nicht funktioniert? Wenn ich in eine Sackgasse laufe und das Buch nochmal umschreiben muss? Wenn ich einfach mal krank werde oder etwas anderes dazwischenkommt und deshalb der Zeitplan platzt? Wenn irgendwas davon passiert, dann müsste ich stümpern und tricksen und das Buch würde trotzdem gedruckt und ich bekomme die Dresche von den Lesern, weil “natürlich” der Autor verantwortlich für sein Buch ist.
Zum Glück vertraue ich mir und meinem Können. Ich weiß, dass ich dieses Buch schreiben kann, auch unter dem gegebenen Druck und in der vorgegebenen Zeit. Was das betrifft, bin ich also froh, dass ich zwanzig Jahre Vorlauf hatte, um mich und mein Können zu entwickeln. Ich habe inzwischen eine Routine, die ich jetzt dringend brauche, und zum Glück gehöre ich auch zu denen, bei denen die Ideen nur so hervorsprudeln.
Aber dennoch. Ich bin immer noch schockiert darüber, wie es hier (in der glitzernden Verlagswelt) läuft. Ich dachte immer, ein Buch müsste perfekt sein, die Figuren, die Sprache, die Atmosphäre. Ich habe Werke in meiner Schublade, an denen ich mit unendlicher Geduld geschrieben und gefeilt habe, die von zahlreichen Testlesern und anderen Autoren gegengelesen wurden, bis ich alle konstruktive Kritik in den Text eingearbeitet hatte. Aber solche Bücher werden jetzt nicht einmal geprüft, von keinem meiner Verlage. Und warum? Weil sie zufällig ein Thema behandeln, das auf dem Markt gerade gefloppt ist.
Also muss ich neue Bücher schreiben, für die ich wenig Zeit habe, so wenig Zeit, dass sie kaum ein Testleser zu Gesicht bekommt, bevor sie auch schon in den Druck müssen. Aber sie haben das richtige Thema, oder sagen wir mal, das Thema, von dem die Marketingabteilung glaubt, es könnte das richtige sein.
Ganz ehrlich, immer, wenn ich darüber nachdenke, kann ich spüren wie eine kleine Wunde in meinem Herz aufreißt und anfängt zu schmerzen. Ich musste mich und meine Seele verkaufen, um dabei zu sein. Und jetzt kämpfe ich Tag um Tag darum, sie zurückzubekommen. Ich tue alles dafür, mir die Geschichten zurückzuerobern und sie trotz all der Vorgaben und Beschränkungen wieder zu einem Teil von mir zu machen. Und ich bange und hoffe, darauf, dass sich meine Bücher irgendwann so gut verkaufen, dass ich wieder die Regeln bestimmen darf.
Aber im Moment stehe ich noch ganz unten in der Rangordnung. Selbst der Gang in den Buchladen ist meistens deprimierend. Meine Bücher müssen wohl irgendwo im B oder C-Programm laufen (auch wenn meine Lektorinnen immer davon schwärmen, wie gut mein Buch überall ankommt). Ich aber jedenfalls finde sie trotz namhafter Verlage meistens nicht, wenn ich in einen Buchladen komme. Oder ein einzelnes Exemplar steht einsam und verloren irgendwo im Regal, wo nur hartgesottene Fans nach ihm suchen werden. Manchmal hole ich solch ein einsames Buch heraus, trage es ein bisschen mit mir herum und lege es dann liebevoll und wie zufällig irgendwo auf den Tisch. Aber wahrscheinlich findet es die Buchhändlerin dann doch vor dem Leser und stellt es in seinen Regalplatz zurück.
Offensichtlich hat für mich also noch niemand einen Stapelplatz bei Thalia gekauft. Warum auch. Ich bin jung und neu am Markt. Ich muss mich erst einmal beweisen.
Und so organisiere ich bis jetzt auch noch viel zu viel selbst. Wenn ich eine Lesung halten will, muss ich mir selbst einen Ort suchen und das Publikum am besten gleich mitbringen, von einem Lesungshonorar mal ganz zu schweigen. Wenn ich ein bisschen Pressewirbel will, dann toure ich selbst durch das Internet, pflege meine Sozialforen und streichele meine Leser mit liebevollem Smalltalk. Tatsächlich sind das oftmals die besten Momente. Meinen Lesern bin ich manchmal am Nächsten, obwohl ich nur ein paar geschriebene Worte von ihnen habe, in denen sie ihre Leseeindrücke schildern. Ich bin also wirklich gerne “bei meinen Lesern”. Aber der Verkaufserfolg steigt wohl nur wenig durch diese 1:1 Zuwendung und meine neuesten Bücher werden dadurch auch nicht gerade schneller fertig.
Stattdessen geht fast die Hälfte der Zeit dafür drauf, alles selbst zu organisieren. Mir ist es noch nie so schwer gefallen, mich auf mein aktuelles Manuskript zu konzentrieren, weil die Tage ständig zwischen dem einen und dem anderen zerrissen werden. Wenn ich einen schlechten Tag habe, aktualisiere ich manchmal häufiger den Verkaufsrang bei Amazon, als ich beim Schreiben meines neuesten Werkes auf die Returntaste drücke. Nicht etwa deshalb, weil bei Amazon so viele Bücher über den Tisch gehen würden, nein, wohl eher deshalb, weil ich mir das so sehr wünsche.
Es ist also alles andere als eine heile Welt, die dort hinter den Verlagstüren herrscht. Und wir Autoren sind in dem “Geschäft” die ärmsten Säue von allen. Wir machen unseren Job ja gerne, hundert andere stehen Schlange, um unseren Platz einzunehmen, also muss man uns weder fair bezahlen, noch fair behandeln.
Meine Agentin fand dafür den treffendsten Begriff: Wir sind Schreibsklaven. Genau so fühle ich mich oft. Aber verflucht nochmal, ich mache meine Job so gerne, dass ich ihn trotzdem nicht aufgeben würde, dass ich das alles mitmache und lächele und nach außen hin den Schein wahre – und nur dann den Mund aufmache, wenn mein Name nicht darunter steht.
Manchmal denke ich, wir Autoren müssten mal streiken, alle auf einmal, die Kleinen und die Namhaften. Wir müssten uns alle verabreden und unsere neuesten Manuskripte einfach nicht pünktlich zum VÖ-Termin abliefern. Aber das Problem ist wohl, dass es auch unter uns zu viele Streikbrecher geben würde – und noch mehr Autoren, die nur darauf warten, dass mal ein Programmplatz freibleibt. Im Notfall würde sich auch noch eine Auslandslizenz finden, die man schnell ins Programm schieben kann.
Also muss ich mich wohl damit abfinden, dass ich nur eine Nummer auf dem Markt bin. Und alles, was ich hoffen kann, ist, dass sich die Qualität meiner Bücher irgendwann durchsetzt und mich zu einer größeren Nummer macht, bis ich irgendwann vielleicht tatsächlich Geld verdiene. Nur so viel wie man zum Leben braucht. Das würde mir ja schon reichen.
Tja, jetzt habe ich so viel geschrieben und frage mich gerade, was die Moral von der Geschichte ist. Im Grunde ganz klar: Wenn ihr es könnt, wenn ihr nur irgendwie die Möglichkeit habt, auf andere Weise glücklich zu werden, dann lasst die Finger vom Schreiben! Diese Welt mag glänzen, aber auch das Schlachtermesser glänzt, bevor es dem Schwein die Kehle aufschlitzt.
Doch wie auch immer. Ich für meinen Teil werde weiterkämpfen. Ich weiß schon lange, dass ich nur glücklich bin, wenn ich schreibe, also könnte ich es wohl nie sein lassen. Selbst wenn ich wollte 😉
Liebe Grüße
Eure Schreibsklavin!