Steglitz stellt Ilja Regier mit „Muromez“ vor

Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.

Mit Ilja, der Muromez ins Leben rief, kommt heute der Wunsch-Interviewpartner von Sophie zu Wort, die Literaturen pflegt.

Dein Steckbrief in Stichworten …

Empathisch. Genießerisch, Kritisch. Kulturinteressiert (Literatur, Kinematographie, etc.).

Master-Student (irgendwas mit Medien). Kind der 80er.

Seit wann, warum und wo bloggst du?

Muromez ©  Ilja Regier

Muromez © Ilja Regier

Der Stein wurde im Sommer 2010 zum Rollen gebracht. Damals, anders als heute, widmete ich mich dem Thema Fußball und seiner Kultur. Hatte allerdings Perioden, in denen ich gar nichts aufs (digitale) Papier bringen wollte oder konnte. Füllte einen gewissen Druck, jede Woche etwas kommentieren zu müssen, Spiele zu sehen und nicht „up to date“ zu sein. Es gab Phasen von Monaten, als mir gar nichts gelang, ich zu viel verpasste, andersherum, die ich voller Elan anging. Da die gewünschte Resonanz ausblieb, ein Teufelskreis sich entwickelte, entschloss ich mich das Blog irgendwann einzustellen. Merkte auch, dass ich mit Medien, die sich professioneller damit beschäftigen, aus Zeit- und Kostengründen nicht mithalten konnte. Mir vielleicht die Kontakte fehlten. Nur über das „Runde ins Eckige“ zu schreiben, limitierte ebenso.

Von Fußball zur Literatur?

Da mich stets Literatur beschäftigte – meine Eltern besitzen eine kleine, private Bibliothek – versuchte ich mich etwas anderem zu widmen. Bisher bereue ich nichts. Im September 2012 wurde mein Literatur-Blog gegründet – bin quasi noch ein Frischling unter den Literatur-Bloggern. Neben dem Lesen ist das Schreiben ebenfalls eine große Passion, die sich eher in den Printmedien im Journalismus bestätigt füllt.

Plattform ist WordPress. Versuchte zwar schon alles auf eigenen Server zu legen, aber das Ganze war dann eher dank meiner Programmier-Fähigkeiten zum Mäuse melken. Ein von WordPress gehostetes Blog reicht derweil vollkommen für meine Aktivitäten aus.

Deine Themenschwerpunkte …

Rezensionen/Buchbesprechungen. Lese querbeet eigentlich alles, insofern es mich anspricht. Finde den Kontrast wichtig, nach schwerer Literatur, die man tapfer gemeistert hat, auch mal etwas Leichteres in die Hand zu nehmen. Bisweilen experimentiere ich ebenso rum. Schreibe „Gedankenströme“ auf, die mir irgendwann nach Geisterstunde plötzlich beim Rauchen auf dem Balkon kommen oder verarbeitete zum Beispiel eine Metamorphose Das Nichtbegreifen begreifen können, die ich beim Besuch der Gedenkstätte Auschwitz fühlte, als ich die Ehre hatte, mit Zeitzeugen zu sprechen, die die Völkermorde überlebten.

Was treibt dich in der Literaturszene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?

Naja, bemerke stetig, dass die Liebe zu Büchern im Literaturbetrieb abnimmt. Zahlen sind das Wichtigste, einerseits verständlich. Aber ehrliche Meinungen in einer Buchhandlung? Die bekommt man fast nie. Alles wird in den Himmel gelobt. Bestseller taugen, weil sie eben Bestseller sind. Manchmal aus Jux und Dollerei, ich weiß, ein wenig gemein, schnappe ich mir eine Händlerin („ich habe es bereits ANgelesen!“) und lasse sie mir irgendein Bestseller-Werk erklären, meist geschieht das in höchsten Tönen. Das Material konsumierte ich allerdings bereits, lache mir ins Fäustchen, was da gerade für ein Quatsch mit Soße erzählt wird, wie Tatsachen verdreht werden. Sicherlich, sind das subjektive Empfindungen, aber dennoch…

Ob Bücher in den Läden ausgestellt sind, die weniger sinnvoll oder gar kokolores sind? Das wird man von keinem Verkäufer, zu hören bekommen. Niemand bietet dir auch offensichtlich ein Auto an, das nach einem Monat mit einem Motorschaden zur Reparatur müsste. Die Realität sieht dennoch anders aus. Mit Griffen ins Klo verbunden. „Alles ganz toll und wunderbar!“ Dieses Heuchlerische nervt, Ideen wie man etwas ändern könnte? Schwierig! Mittlerweile habe ich allerdings ein kleines Lädchen gefunden, dem ich (meist) Vertrauen schenke. Ansonsten schaue ich mich bei unabhängigeren Betrachtern wie eben Bloggern nach Material um – was ja das Wunderbare daran ist –, die Mehrheit macht das allerdings sicherlich nicht.

Überhaupt finde ich es wichtig, dass solche kleinen Geschäfte in der komplizierten Zeit der Digitalisierung und Globalisierung überleben. Heißt für mich, dass ich meine Faulheit ständig besiegen muss. Statt auf die Amazon-Bestellung, die schon am nächsten Morgen da ist, zu warten, lieber eben bei kleinen Offline-Stores bestellen. Unvorstellbar, wenn diese irgendwann mal aussterben sollten!

Wie machst du dein Blog und deine Beiträge bekannt?

Facebook und Twitter. Ansonsten versuche ich auch, Bekannte davon zu erzählen, wenn sie mich fragen, was ich gerade gelesen habe und empfehlen kann.

Was sollte ein Blogger besser sein lassen?

Ständig zu nehmen, statt zu geben. Vernetzungen treiben jeden Blogger voran. Sich nicht zu schade zu sein, mal bei anderen zu schauen, zu kommentieren. Weniger gut kommen ebenso längere Auszeiten an, die man manchmal leider nicht ändern kann, wenn die Hände gebunden sind. Ansonsten sicherlich der Blogger-Ehrenkodex (falls es so etwas tatsächlich gibt): C+P tunlichst vermeiden.

Welche Hürden muss ein Blogger nehmen?

Sah bei anderen Blogs, dass sie keine Verrisse mehr anfertigen, nur noch die Perlen präsentieren wollen. Kann ich einerseits verstehen. Ich meine, wer sind wir schon, innerhalb von vielleicht zwei Stunden, die Arbeit mehrerer Monate/Jahre infrage zu stellen, sie für Müll zu erklären? Der Regisseur Detlev Buck, kurz vor der Premiere seines Films „Die Vermessung der Welt“, meinte dazu, dass er sich wünsche, dass die Feuilletonschreiberlinge doch etwas rücksichtsvoller allgemein mit ihren Kritiken umgehen sollten. Zwischen den Zeilen lesend, fragte ich mich, ob sein Werk tatsächlich eklatante Schwächen aufweisen würde, wenn er schon so einen Aufruf startet.

Die Schwierigkeit bei solchen Verrissen ist, dass man schnell despektierlich werden kann. Wiederum denke ich mir, dass ich, sollte ich alles positiv bewerten, genau wie die beschriebenen Händler wäre. Alles voller Blumen und Sonnenschein wäre. Ist es allerdings bekanntlich nicht…

Ferner, so denke ich, behalte ich weiter meine Meinungsfreiheit bei. Manchmal kann es auch Spaß machen, irgendwas in Schnipsel auseinanderzunehmen und es für Dleck (wie die Asiaten sagen würden) zu erklären. Das klingt hart. Aber warum sollte ich etwas nicht kritisieren dürfen, wenn es mir ebenso mehrere Stunden oder Tage Zeit gekostet hat, ich dafür 20 Euronen auf den Tisch gelegt habe? Alles in allem ist das ein schmaler Grat. Eine gesunde Mischung ist die Lösung.

Dein schönstes Erlebnis als Blogger …

Mehrere kleine, die das Bloggen an sich zu einem großen Erlebnis machen. Am Ende auf „veröffentlichen“ drücken. Zu sehen, dass die Mühe nicht umsonst war. Dass irgendwer damit etwas anfangen kann. Dass irgendwer einen Kommentar abgibt. Das sind die schönen Momente und sicherlich auch die Ehre haben zu dürfen, hier mal neben renommierteren Kollegen als Grünschnabel zu Wort zu kommen.

Wie gesagt, ich bin ja noch relativ neu in diesem „Geschäft“, aber umgeben von wahnsinnig gemeinschaftlichen Bloggern. Bisher durfte ich noch nie so einem Kreis im Web 2.0 begegnen, weil viele eben mit einem Tunnelblick durchs Netz gehen.

Wie gehst du damit um, wenn dir Verlage, Agenturen oder Autoren Rezensionsexemplare anbieten?

Passiert jetzt nicht so regelmäßig. Aber es muss schon das Gesamtpaket stimmen, damit ich es annehme.

Und wie würdest du damit umgehen, wenn dir Self-Publisher ihre Titel zur Rezension anbieten?

Noch nicht vorgefallen, bezweifle allerdings, dass ich mich damit beschäftigen würde. Jeder intensive Leser kennt sie, die unendliche Liste der noch zu lesenden Bücher – diese hat Vorrang!

Wie hältst du es mit dem E-Book?

Niente. Verteufle mp3s, wähle stattdessen lieber die alte Schallplatte oder CD. Verteufle E-Zeitungen und damit sich der Kreis schließt, verteufle ebenso E-Books. Oldschool!

Die Digitalisierung macht vieles einfacher, aber nicht unbedingt besser. Ich hasse es, abends auf einen lieblosen Bildschirm blicken zu müssen, nachdem ich schon vorher die ganze Zeit auf einen Rechner, mein Smartphone oder sonst was geblickt habe.

Welche anderen Blogs empfiehlst du (max. 5). Und welcher bibliophile Blogger sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Regelmäßig unter anderem als Besucher unterwegs bei Literaturen, Buzzaldrins, aus.gelesen, Ada Mitsou und Philea’s Blog, die sich hier allesamt bereits vorgestellt haben. Und zu Wort kommen sollte hier mal: Frintze.

Danke sehr Ilja. Nicht allein dein realtiv junges Blog, auch deinen Bericht über deinen Aufenthalt in Auschwitz-Birkenau und die Begegnung mit Zeitzeugen möchte ich den Lesern unseres Gespräches ans Herz legen …

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Zuletzt stellte sich Bettina Schnerr-Laube mit Bleisatz. Ihr Wunsch-Interviewpartner war Ludger Menke, der u.a. den  Krimiblog betreibt. – Eine Übersicht, wer bereits alles Rede und Antwort stand und welche Blogs in den jeweiligen Gesprächen empfohlen wurden, findet sich hier

10 Kommentare zu “Steglitz stellt Ilja Regier mit „Muromez“ vor

  1. Pingback: Literaturblogger Muromez über Literaturblogs in der Krise - litnity

  2. Schönes Interview. Ich habe früher auch gedacht, ich könne nicht kritisieren. Ich merkte bei mir eine Scheu, die wohl aus verschiedenen Quellen gespeist wurde. Einerseits wollte ich niemandem weh tun, weder dem Schreibenden noch den Verlagen. Dann traute ich wohl auch meiner Meinung zu wenig, weil ich dachte, das ist ja nur meine Meinung, wer bin ich, die so vernichtend zu präsentieren? Dann aber kann man auch sagen: Wer bin ich, dass meine Meinung die reine Wahrheit sein soll? Es ist meine Meinung und mein Blog und genau das soll doch da stehen: Was ich denke, fühle, lese, wenn ich ein Buch vor mir habe. Und so bin ich dazu über gegangen, auch die Bücher zu beschreiben, die ich nicht mag – oder die Stellen in Büchern zu benennen, die mir nicht gefielen. Wenn mir ein Buch aber gar nicht zusagt, lese ich nicht mal mehr fertig und das erscheint dann selten in meinem Blog.

    Was mir weh tut, das merkte ich grad kürzlich, wenn einer meiner Lieblingsverlage – und ja, ich habe solche – ein Buch rausgibt, mit welchem ich kämpfe. Da fällt es mir irgendwie schwer. Ich bin wohl doch einfach ein Sensibelchen 😉

    Der Satz wegen der abnehmenden Bücherliebe ging mir nach. Ich liebe Bücher. Als Bücher mit Papier und Gerucht. Ich habe die Kindle-App zwar auf meinen Elektrospielzeugen drauf, aber lesen tue ich da selten, auch wenn ich Bücher geladen habe. So gesehen sitzt hier die ganz grosse Buch als Buch Liebhaberin. Nur: Was ist es, was eigentlich zählt? Ist es wirklich die Form? Nicht eher der Inhalt? Ist Schrott auf Papier mehr Wert als hohe Kunst auf Elektronik (mal sehr plakativ gefragt)? Ist es nicht viel mehr das Lesen, das verbindet und weniger das Medium, das die Lektüre vermittelt? Früher waren die Taschenbücher der Schund, Hardcover das Elitäre. Mir scheint fast, die Dualität hat sich verschoben nun.

    Dies ein paar Gedanken aus einem chaotisch abendmüden Lesehirn 😉

  3. Ein tolles Interview! 🙂 Ich freue mich sehr, dass ich vor einiger Zeit deinen Blog entdeckt habe, Muromez und freue mich schon sehr auf weitere Beiträge von dir. Deine Eindrücke des Besuches in Auschwitz habe ich auch immer noch sehr eindrücklich Erinnerung.

    Liebe Grüße
    Mara

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