„Die Gewalt lebt davon, dass sie von Anständigen nicht für möglich gehalten wird“ – Jean Paul Sartre. Gespräche mit ACR (Teil 3)

Aus dem Blogpost „Ein Herz für Kinder!? Oder: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch…“, entwickelte sich ein sehr persönlicher Austausch mit Angela Charlotte Reichel. Gemeinsam haben wir entschieden, unsere Gespräche hier in Fortsetzungen öffentlich zu machen. Ich unterhalte mich mit Charlotte über ihre Erfahrungen als schwer misshandeltes Kind und Jugendliche, über die Folgen und wie wichtig es ist, dass Anständige erfahren, dass es so etwas doch gibt …

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Teil 3: „Charlotte, magst du mir von deinen Eltern erzählen?“

Charlotte, was weißt du über die Entwicklung deines Vaters?

Mein Vater, 1916 oder 1917 geboren, ist Berliner. Er kommt aus einem Beamtenhaushalt. Liebevoller Vater, sehr dominante Mutter. Mein Vater hat zwei Brüder. Im Grunde ein durchaus übliches Bild. Mutters abendliches Lamento über die ungehorsamen Jungs, sorgt ab und an dafür, dass die Drei antreten müssen. Vater fragt: „Wer war das?“ Alle drei treten vor. Der Gürtel des Vaters tut manchmal wirklich weh. Und manchmal zeigt sich der „alte Herr“ milde (die Burschen sollten ja nur ordentlich jammern) und lässt den Gürtel aufs Sofa knallen. Hernach dürfen sie in seiner Joppe aus jeweils einer Tasche eine Überraschung ziehen. (Die gab es täglich, das wurde Hasenbrot genannt.) „Weil wir uns nie gegenseitig in die Pfanne gehauen haben“, erinnere ich mich an die Begründung meines Vaters, wenn er solche Geschichten erzählt hat.

Er hat geheiratet. Dann kam der Krieg. Mein Vater zieht gen Osten, landet in Stalingrad, berittene Truppe, Pioniere. Sehr schwer verwundet, gehört er zu den Letzten, die noch ausgeflogen werden. Aufgrund einer Notlandung kommt er in Gefangenschaft. Lazarett der Russen. Seine Rettung ist ärztliche Kunst für diese Zeit. Ich glaube, er kam 1949 zurück. Geschult für die Zukunft. Genosse.

Als überzeugter Kommunist und mit dem Parteibuch der SED in der Hand?

Ja.

Wurde bei euch zu Hause über den Krieg, Stalingrad und die Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft gesprochen?

Ja, damit bin ich groß geworden. Das waren zwischen meinen Eltern Themen. Die Erlebnisse ihrer Kindheit und Jugend, die Bombenangriffe, Straßenkämpfe, dann die „Befreiung“, mein Vater an der Ostfront. Stalingrad war wie ein Passwort bei uns. Fiel dieses Wort war sogar meine Mutter plötzlich still. Und mein Vater erzählte. Ausgerechnet dann ist Frieden in meine Welt eingekehrt. Ist das nicht unglaublich? Da erzählt mein Papa vom Krieg und der Tag bekam dadurch für mich eine friedliche Note …

Die Kinder im Krieg hätten Tage und Nächte in Todesangst in Kellern sitzen müssen oder wären ins KZ gekommen. So etwas erzählte mir meine Mutter, wenn sie mir vorhielt, wie gut es mir im Vergleich zu ihr ginge.

Wie ging es mit deinem Vater und seiner ersten Ehefrau nach dessen Rückkehr aus russischer Gefangenschaft weiter?

Charlotte 1955 © ACR

Charlotte 1955 © ACR

Seine Ehefrau war ihm fremd geworden, sein Sohn unbekannt, aber wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie arbeiten an ihrer Ehe. Sein Betrieb wird von Berlin nach Sachsen verlegt. (Werkzeugmacher, später Meister. Eine Persönlichkeit. Er ist beliebt bis zu seinem Tod und darüber hinaus.) Er geht mit. Seine Frau löst in Berlin alles auf, zieht mit Sohn nach. So landet die kleine Familie in einem sächsisches Beamtenstädtchen, Bombenschäden, kaum Männer, aber viele Frauen ohne Männer. Mein Vater ist ein schöner Mann.

Und hier kommt meine Mutter ins Spiel. Ein schöner Mann, mit – inzwischen öffentlich bekannt geworden – angeknackster Ehe. Da wollte nicht nur meine Mutter sehen, was möglich ist.

Sie hat ihn sich geangelt?

Ja, sie hatte nichts und wollte wenigstens eine eigene Familie. In der kleinen Stadt sind fast keine Männer und die, die da sind, sehen so aus wie das letzte Aufgebot des Krieges eben aussehen kann. Da entdeckt sie meinen Vater. Sie konnte besser kochen als die anderen und war schlauer, nämlich bald von ihm schwanger. Das war ein Triumph für sie. Scheidung, Heirat, meine Geburt – relativ kurzfristig hintereinander. Na und als sie ihn hatte, war sie die Siegerin und ich der Beweis dafür, dass sie sich einen geangelt hat, der potent ist. Keinen Kriegsversehrten!

Es sollen sie eine Menge Frauen dafür gehasst haben. „Geh‘ doch zu den andern Ziegen, die gedacht haben, sie schnappen dich mir weg!“, schreit sie später oft meinen Vater an. So erinnerte sie sich und ihn an ihre Siegesstunde.

Erzähle mir ein wenig über deine Mutter …

Meine Mutter, 14 Jahre jünger als mein Vater, ist in Leipzig geboren. Stiefvater, ich hörte das Wort unehelich nur ein einziges Mal in dem Zusammenhang. Ihre Mutter ist ohne Liebe, sehr dominant, viele Prügel. Ihre Mutter wirft ihr oft vor, mit Prügel und trocken Brot großgezogen worden zu sein und sie bekomme sogar Milch.

„Du hast es besser als ich“, das hat dir deine Mutter ebenfalls immer wieder vorgehalten …

Ja. Der Krieg machte jedenfalls alle ihre Träume kaputt. Meine Mutter ist wirklich hochtalentiert gewesen, wahrscheinlich hochbegabt, unglaublich eloquent, sie konnte glasklare Gedankenstränge bilden, rhetorisch kreuzgeschickt, Fremdsprachen muss sie nicht lernen, sie hört und kann sie, so wie manch‘ Wunderkind Klavierspielen lernt. Sie erfasst mit den Augen, begreift durch anfassen, kann irgendwie alles, ist Autodidaktin. Sie ist schön, lebhaft, klug.

Eine Kindheit im Krieg; und zwar sowohl innen, innerhalb der Familie,  und außerhalb in Leipzig …

Sie überleben zweimal Bombenangriffe auf Leipzig und verlieren jedes Mal alles. Beim zweiten Mal findet sie ihre Puppe in den Trümmern, die ihre Mutter ein paar Tage später für den Tabak des Stiefvaters eintauscht. Verlust scheint sie zu prägen. Immer wieder erzählte sie mir solche Schlüsselerlebnisse, wenn sie mir später mein gutes Kinderleben vorwarf…

Wie kam die Familie deiner Mutter in jenes sächsische Beamtenstädtchen, in das dein Vater später versetzt wurde?

Flucht vor den Bomben, weg aus Leipzig; jenes kleine Städtchen war das zugewiesene Ziel. Inzwischen muss sie die sehr kranke Mutter pflegen, ernähren. Und dazu den Stiefvater, der mehr raucht als es Tabak gibt, und erst viele Jahre später wieder arbeitet. So hat sie keine Seidenstrümpfe, riecht aber den Tabak.

Genau in den Jahren jedenfalls, die das Fundament für das berufliche Leben bilden, gab es für meine Mutter nichts, was sie mutig hätte in die Zukunft tragen können: Kein Studium, keine Kunst, nichts mit Sprachen, kaum Bücher, sondern ungelernt in die Stanzerei. Bleche stanzen. Später in einem anderen Betrieb anderes. Immer ungelernt.

Was weißt du über ihren Stiefvater, deinen Opa?

Ich weiss nicht mehr, warum er nicht an der Front gewesen ist. Meine Mutter hat ihm immer Feigheit vorgeworfen. Ich erinnere mich an meinen Großvater nur als Gehbehinderten und weiß, er hatte starkes Rheuma. Ihm ist in den 60er Jahren sogar ein Knie versteift worden, deshalb. Nach der Flucht ist er daheim geblieben, bis die Registrierung erfolgt ist, dass er arbeiten muss. Dann war er als Betriebsschutz, heute würde man Pförtner sagen, in dem Betrieb, in dem auch meine Eltern gearbeitet haben.

Wie hast du deinen Opa erlebt?

Ich habe ihn lebhaft in Erinnerung, auch die Mutter meiner Mutter noch sehr gut. Ich erinnere mich an meine Vorschulzeit: Die Beziehung zwischen meinem Opa und meiner Mutter war auffällig von Wut, Zorn und Hass geprägt. Ich habe nur hasserfüllte Seitenhiebe, keine Gespräche zwischen meiner Mutter und ihm gehört. Meist saß er dann einfach nur still da oder lachte mit schräg verzogenem Gesicht und verließ das Zimmer. Nur einmal, in einem Wutanfall schrie meine Mutter plötzlich verzweifelt etwas von ‚Dieses Schwein hat mich angedatscht‘. Schlägt wild auf mich ein und ich wusste in dem Moment, sie schlägt eigentlich meinen Opa …

Hier haben wir diesen „Kreislauf der Gewalt“, der sich über Generationen fortsetzen kann, so man nicht die Kraft aufbringt, den Teufelskreis zu durchbrechen. – Deine Mutter gab ihre Erfahrungen an dich weiter; anders: sie ließ sie an dir aus …

Ja, so kann man das sehen.

Was ist mit ihrer Mutter, deiner Oma?

Meine Oma? Ich kenne sie nur als schwerkranke Frau. Sie lachte nie. Ihre Stimme war hart, unbewegt. Sie drohte oft mit Schlägen, war allerdings zu unbeholfen für die Praxis, sie saß meist. Jede Bewegung oftmals unter enormer Atemnot. Sie musste häufig ins Krankenhaus. Gesine, ich weiss nicht, wie ich es erklären soll. Ich war in den letzten beiden Jahren ihres Lebens tagsüber die Aufsicht meiner Oma. Meine Mutter gab mich dort ab und ich blieb den ganzen Tag bei meiner Oma. Es gab Dinge, die ich zu erledigen hatte. Klappte das nicht mit meinen kleinen Kinderhänden, schlug sie mit der Fliegenklatsche nach mir. Ging es ihr schlechter, (ich wusste, worauf ich diesbezüglich zu achten hatte), musste ich zum Betrieb laufen, meinem Opa, der am Tor Aufsicht hatte, Bescheid sagen. Der rief meine Mutter raus und die hetzte mit mir zu meiner Oma zurück. Lag meine Oma dann einmal wieder im Krankenhaus, konnte ich in den Kindergarten gehen.

Auch von deiner Oma kam für dich keine Zuwendung …

Aber ja doch. Meine Großmutter liebte mich, das fühlte ich. Manchmal streichelte sie mich. Das war sehr viel Liebe für ihre Verhältnisse. Kinder schlagen ist für sie auch Liebe gewesen. In ihrer Gedankenwelt bedeutete das Aufmerksamkeit und Verantwortung. Meine Oma ist gestorben als ich in die erste Klasse ging. Ich erinnere mich an den Tag.

Weißt du etwas über die Ehe deiner Großeltern?

Die Ehe meiner Großeltern? Meine Oma sprach meinen Opa nur mit dem Familienname an. Harte Stimme und nie mit Du – sie rief einfach immer den Familiennamen. Mein Großvater trank immer mehr. War später straffer Alkoholiker. Das war seine Schmach, er wurde missachtet von allen. Immerhin gab es viel Unwissen, niemand wusste, es ist eine Krankheit. Es war mindestens Antipathie, wahrscheinlich sogar Abscheu zwischen den beiden. Irgendwann setzte meine Mutter durch, dass er in ein Pflegeheim kam. Er starb als ich 17 oder 18 war. Ich hatte bis zuletzt zu ihm als Einzige Kontakt. Ich weiss, er fühlte sich schuldig und hatte Angst vor dem Gottesgericht.

Unter einem guten Stern stand die Ehe deiner Eltern wahrlich nicht …

Die Ehe steuerte meine Mutter. Mein Vater ist still, leidet unter Kriegsfolgen. Ich erinnere mich an seine Todesangst, zu verhungern, habe heftige Anfälle erlebt. Außerdem hatte seine schwere Kriegsverwundung Spätfolgen. Granatsplitter, die gefährlich auf die Wirbelsäule zuwanderten. Meine Mutter zerstört den Kontakt zu seinem Sohn. Ich erfahre zufällig mit 7 oder 8 Jahren auf dem Schulweg, dass ich einen Halbbruder habe. Mir wird jegliche Verbindung verboten. Nach 10 Jahren soll ein weiteres Kind die Ehe haltbar machen. Meine Mutter will das so. Ich höre ihre laute fordernde Stimme durch die Wand. Meine Schwester wird geboren. Meine Mutter hat mir das Baby übergeben. Außer Stillen und fein ausfahren, musste ich alles machen, sobald ich daheim war. Sie behauptete, ich hätte mir eine Schwester gewünscht. Ich habe viele Nächte Stubenwagen hin und hergefahren. Himmel, die Kleine hat aber auch keine Nacht durchgeschlafen!

Charlotte, lass uns hier pausieren. – Womöglich vertiefen wir die Situation in deinem Elternhaus in einem unserer nächsten Gespräche noch ein wenig?

Gerne Gesine

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Eine Anmerkung: Die „Gespräche mit ACR“ haben einen eigenen Ort gefunden. Zukünfig setzen wir unseren Austausch lediglich dort fort

Steglitz fragt bei Jost Renner nach

„Ich bin Autor und will es in diesem Teilbereich meines Lebens auch ausschließlich sein“

Viele Worte brauche ich über ihn wohl nicht zu verlieren. Die Bibliophilen unter uns dürften ihn als Blogger, von Twitter (derzeit unter Amfortas) her kennen oder LiebesEnden und seinem Profil bei Facebook folgen: Jost Renner: belesen, emphatisch sympathisch … In diesen Tagen erschien beim Mirabilis Verlag sein Gedichtband „LiebesEnden“. Anlass genug, wie ich meine, Jost dazu und zu anderem zu befragen.

Gratuliere, Jost! Dein erstes gedrucktes Buch und noch dazu bei einem „richtigen“ Verlag. Wie fühlt sich das an?

Ich danke Dir. Es fühlt sich gut an, sehr gut, als ob ein Ziel im Leben nun erreicht sei, eine Wegmarke, an der sich möglicherweise weitere Türen öffnen und neue Wege finden.

Leichtes Spiel haben jene ja nicht, die einen Verlag suchen. Und noch dazu für Lyrik! Welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?

© Jost Renner

© Jost Renner

Ich selbst habe niemals aktiv nach einem Verlag gesucht, zunächst nicht einmal daran gedacht, dass meine Texte überhaupt – über das bescheidene Medium des Blogs hinaus – veröffentlichungswürdig seien. Die Hinweise kamen nach und nach von anderen, Schreibenden, einer Lektorin, also Leuten, die beruflich oder doch aktiv nebenberuflich mit der Materie befasst waren. Ernstnehmen konnte ich das zunächst nicht, denn ich bin einigermaßen belesen und neige gerade daher zu Vergleichen. Meine Selbstzweifel tun ein Übriges. Ein Freund machte einen Verlag auf mich aufmerksam und drängte mich, den Kontakt dann auch zu suchen. Was ich tat. Der Verleger, ein sehr freundlicher und engagierter Mann, selbst Lyriker, schien zunächst recht angetan, seine Lektoratsvorschläge waren allerdings derart tiefgreifend, dass ich meinte, er wolle meine Gedichte selbst und anders schreiben. Der Kontakt brach ab, zwangsläufig, weil solcherart Eingriffe, die auch Inhalte und den Sinn verändert hätten, für mich nicht akzeptabel waren. Damit beurteile ich nicht die eventuelle Berechtigung und die damit für mich einhergehende Bewertung meiner Texte durch den Verleger.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Mirabilis Verlag?

Meine Verlegerin war über die ganze Zeit – und ist es noch – meine Blognachbarin, sodass wir unsere Blogs gegenseitig regelmäßig lasen und kommentierten. Zu Beginn meines Gedichtblogs LiebesEnden war sie allerdings noch nicht Verlegerin. Und ich erfuhr zudem erst nach Abschluss des Vertrages, dass wir uns über Jahre kannten. Ein persönlicherer Kontakt entstand zunächst über Facebook, wo sie wohl auch über die Reaktionen meiner Freunde / Leser mehr erfuhr, ebenso wie um meinen Umgang mit dem Selbstmarketing. Ein Verlag, wie klein er auch sei, ist ein Wirtschaftsunternehmen, oft eines mit Herzblut aufgebautes, das sich aber dennoch finanzieren muss. Ich gehe davon aus, dass der Zuspruch für meine Texte neben der Qualität und dem persönlichen Gefallen den Ausschlag gab, das Risiko einzugehen.

Für deine Publikation konntest du aus dem Vollen schöpfen. Schließlich veröffentlichst du auf deinem Lyrik-Blog LiebesEnden seit nahezu drei Jahren regelmäßig Gedichte. Ist dir die Auswahl schwer gefallen? Welche Kriterien spielten dabei eine Rolle?

Es waren zum Zeitpunkt der Auswahl etwa 300 Texte vorhanden. Es war meine Rolle, zunächst 30 Gedichte vorzuschlagen, von denen ursprünglich nur 10 oder 12 hätten veröffentlicht werden sollen. Ich habe mich bemüht, in der Auswahl einen kleinen Ausschnitt meiner Themen (Himmel, Liebe, Melancholie) zu berücksichtigen, und mich des Weiteren eher an Qualität, Klang orientiert. Nur wenig Frühes ist dadurch eingeflossen, da die ersten Texte eher kommunikativ, therapeutisch und sicherlich selbstbemitleidend waren. Die aktuelleren Texte weisen meiner Meinung nach einen größeren Gestaltungswillen, ein Ringen um die Form und eine Tendenz zum Allgemeingültigeren auf, was allerdings nicht heißen soll, sie seien perfekt oder gar nobelpreisverdächtig.

Hat deine Verlegerin bei der Auswahl ein Wörtchen mitgeredet?

Natürlich hat meine Verlegerin Barbara Miklaw bei der Auswahl mitgeredet. Zum einen ist sie gleichzeitig meine Lektorin, zum anderen trägt eben sie auch das wirtschaftliche Risiko. Wir verstehen uns allerdings gut, und letztlich lehnte sie zwei meiner eher arg finsteren Texte ab, da sie mit ihnen nicht einverstanden sein konnte. Ich bedaure dies zwar, denn auch dies ist eine Seite meines Schaffens, die ihre Berechtigung hat. Andererseits konnte ich mich auch wiederum nicht beschweren, wurden dann doch alle 28 verbleibenden Texte – statt nur ursprünglich geplanter 10 – 12 – in das Büchlein aufgenommen.

Wie kam es zur Covergestaltung?

Sehr dankbar bin ich dafür Blog-Freundin, Autorin und Grafikerin Phyllis Kiehl, dass sie mir schon für mein Blog das Titelbild zeichnete und es auch für die Buchausgabe zur Verfügung stellte.

Was sollte ein Jung-Autor bei der Zusammenarbeit mit einem Verlag besonders beachten?

Als jemand, der durch einen Gutteil Glück in einem Verlag gelandet ist, tu ich mich ein wenig schwer, da Ratschläge zu geben. Grundsätzlich gilt natürlich: Du unterschreibst einen Vertrag! Dann lies ihn Dir vor dem Unterzeichnen genau durch. Dies ist im Falle eines Vertragsverhältnisses mit einem Verlag ebenso wichtig wie in dem etwa mit Facebook, und ich hoffe, bei einem Verlagsvertrag wird diese Regel etwas stringenter befolgt. Ein Vertrag, der dem Muster etwa des VS entspricht oder sich nahe daran anlehnt, sollte in der Regel unproblematisch sein. Dinge, mit denen ich mich noch näher beschäftigen muss, hängen zudem daran: Autorenhonorare sind Einkommen, somit steuer(erklärungs) – und sozialabgabenpflichtig. Und das obliegt dem Autor. Selfpublisher dürfen sich vermutlich auch mit Gewerbe und Gewerbesteuern auseinandersetzen. Dies alles will erkundet werden.

Und auf zwischenmenschlicher Ebene?

Ich denke, es ist zunächst wichtig, sich menschlich zu beschnuppern und zu sondieren, ob man auf der menschlichen Ebene und mindestens auf neutral-sachlicher Ebene miteinander klarkommt und kommunizieren kann. Dass der Verleger oder Lektor ein grundsätzliches Interesse am Text bzw. der Arbeit des Autors hat, wäre schon hilfreich. Kommunikation ist immer alles, das heißt, reden, reden und nochmals reden. In der Regel sind Verleger und Lektoren nicht der Feind eines Autors, auch wenn ab und an eine Eitelkeit gekränkt oder gar Grenzen überschritten werden. Grenzen sollte es auch für Autoren geben, unbedingt, aber eben auch Verhandlungsbereitschaft, Auseinandersetzungsfähigkeit unter Verwendung guter Argumente.  Nicht jeder Kompromiss ist ein schlechter.

Was rätst du Nachwuchsautoren generell?

© GvP

das Debüt-Gedichtbändchen © GvP

Schon wieder das mit dem Radschlagen … Ich kann mich allenfalls – und das höchst subjektiv – auf den Bereich Lyrik beschränken, da von mir Prosawerke eher nicht zu erwarten sind. Daraus könnte man vielleicht ableiten: 1. teste und erkunde, welche Art der Literatur Dir liegt. Das tut man durch Schreiben. 2. Übe Dich in genau dem Dir passend erscheinenden Bereich; Aussagen und Inhalte werden auf Dauer vielleicht von selbst einen Formenwechsel nahelegen. Als „Dichterling“ glaube ich nicht wirklich an so etwas wie eine genialische Idee, denke aber, es gibt regelmäßig Themen, Worte, Zitate, Beobachtungen, Empfindungen, die einen quasi anspringen und auf eine Umsetzung durch Kunst, also das Schreiben warten. Eine emotionale Unbeteiligtheit eines Lyrikers kann ich mir nicht vorstellen, das mag allerdings an meiner eigenen Entwicklung liegen. Dennoch folgen hier weitere unverbindliche Gedanken:

1. Lies, lies so viel als möglich, bewege Dich in einem anspruchsvollen Niveau. 1.a. In der Literatur ist der Wortschatz ein wichtiges Gut. Er muss groß und korrekt angewendet sein, ähnliches gilt natürlich auch für Grammatik und Orthographie. 2. Lebe! Ohne Konfrontation mit einem Thema, einer Emotion, ohne Menschen – und Selbstbeobachtung, ohne lebendige Auseinandersetzung bleibt auch das Geschriebene blutleer. 3. Denke! Die Idee mag einer Emotion entsprungen sein, die Umsetzung aber ist (Gedanken-)Arbeit, denn die Aufgabe eines Gedichtes ist es nicht, das Empfinden wiederzugeben, nachzuerzählen, sondern es auf den Leser zu übertragen, bzw. für ihn nicht nur nachvollziehbar, sondern nacherlebbar zu machen. Dazu bedarf es tragender und stimmiger Bilder, es bedarf der Form, des Klangs, also der Sprache. 4. Schreibe! Finde Deine eigene Sprache, sei sie schlicht, symbolisch oder gar hermetisch. Sie muss Deine sein und wiedererkennbar. Ich empfinde es als eine Todsünde, Sätze wider alle Regeln hinzukneten, bis sie passen, um nur der allgemeinen Vorstellung eines Gedichtes nahezukommen. Und auch Sprache, Wörter sollten präzise gewählt sein, und mindestens dem Autor sollte klar sein, warum welches Wort im Text erscheint.

Auch dein Lyrik-Band wird sich vermutlich nicht von selbst verkaufen. Was unternimmt dein Verlag dafür?

Nicht? Ich bin enttäuscht. 😉 Mein Verlag wird auf der Buchmesse in Leipzig einen Stand haben. Es sind Lesungen in Planung. Meine Verlegerin hat Ansprechpartner im stationären Buchhandel und bewegt sich – wie ich selbst – in den sozialen Netzwerken. Zudem gibt es eine Verlags-Homepage, Kontakte zu Bloggern und anderen Autoren. Einzelheiten, selbst wenn sie mir bekannt wären oder sind, gäbe ich allerdings ungern preis.

Und was tust du für dein Buch-Marketing?

Wenn ich behauptete: nichts, wäre es eine Lüge. Ich habe kurz vor Erscheinen deutlich und auf allen mir zur Verfügung stehenden Kanälen auf die Veröffentlichung hingewiesen und dies bei Erscheinen wiederholt. Dies wurde im Facebook-Freundeskreis und bei den Fans meiner für das Blog eingerichteten Seite freudig begrüßt und freiwillig oft geteilt. Ähnlich lief es bei Twitter. Und beides macht mich sehr glücklich, denn es scheint, menschliches Miteinander, die Vertrautheit mit meinen Texten und das Gefallen daran, vielleicht auch eine objektive Qualität meiner Gedichte, erleichtern vieles. Inzwischen kommen die ersten Rückmeldungen von Bestellern herein, die wiederum selbst Aufmerksamkeit auf das Büchlein lenken.

Wie weiter?

Was folgt, werde ich sehen. Den ein oder anderen Hinweis werde ich schon einstreuen müssen, Wegmarken wie eine zweite Auflage (ach, Hoffnung!) oder das Überschreiten der Tausender- oder Zehntausender-Marke (oh, Illusion, Du Trügerische!) würde ich natürlich lauthals und ehrlich hocherfreut verkünden, Auflagenhöhe oder Verkaufszahlen gehen allenfalls die Verlegerin, mich und das Finanzamt was an. Lesungen gebe ich selbstverständlich bekannt. Ich denke, ich werde im Großen und Ganzen das tun, was ich auch bisher tat : eine interessante und menschliche Präsenz in den sozialen Netzwerken zeigen und dort kommunizieren – und zwar auf Augenhöhe mit meine Lesern – und als bestes Marketing überhaupt mich bemühen, weiterhin gute Texte zu schreiben und in mein Blog zu stellen.

Mir ist bekannt, dass du Publikationen von Selfpublishern recht kritisch, wenn nicht sogar skeptisch gegenüberstehst …

Erstens habe ich starke Vorbehalte gegen das Selfpublishing, weil für mich ganz grundsätzlich Kunst (jeder Art) nichts demokratisches ist, weder in der Schaffung noch in der Rezeption. Selfpublishing aber wird zu 90 Prozent zwangsläufig genau diese Tendenz verfolgen müssen. Jeder darf, also kann auch jeder. Daraus folgt zum einen eine Überflutung generell, eine mit Minderqualitäten im Speziellen, die dann auch noch die wirklich Guten, die es auch im Selfpublishing-Segment gibt, untergehen lässt. Und gut heißt eben nicht oder sogar nur selten bei Jungautoren gut verkäuflich. Im Gegenteil. Verlage, die Müll produzieren oder mir nicht Entsprechendes, kann ich komplett ausblenden. Beim Selfpublishing gibt es eine unregulierte Flut zum Teil unlektorierter oder unbedarft lektorierter Texte, die ich schlicht weder sichten kann, noch will. Also lasse ich die Finger davon.

Für dich persönlich ist Selfpublishing demnach keine Option?

Das korrespondiert mit meiner eigenen Eignung für das Selfpublishing: 1. bin ich Autor und will es in diesem Teilbereich meines Lebens auch ausschließlich sein. Wie jeder Jungautor könnte ich vom ersten, dem ersten Buch vermutlich nicht leben, den Weg aber eines Unternehmers mit letztendlich demselben Ergebnis will und kann ich nicht gehen. Wäre ich auf Einnahmen angewiesen, wie es ja die Regel ist, blieben Lesungen, journalistische Arbeiten und Stipendien oder Preise, die Mühen in der Ebene, halt. Zudem bin ich eher selbstzweiflerisch und habe Mühe, mir die Qualität meines Tuns bewusst zu machen. Es bedarf für mich dann schon einer Person, die mich bestärkt, an Schwächen im Text mit mir – kooperativ – arbeitet, was meine Verlegerin Barbara Miklaw ja bereitwillig und sehr angenehm tat.

Arbeit im Team ginge als Selfpublisher auch, aber gut … Es heißt ja, dass die Digitalisierung und der Umstand, dass Autoren nicht mehr auf Verlage angewiesen sind, erhebliche Folgen für den Buchmarkt und -handel haben werden. Wie schätzt du die weitere Entwicklung ein?

Das kann für die Verlage ein Problem werden, zumindest im jeweiligen nationalen Bereich. Das heißt, die USA werden die Verwerfungen im Verlagswesen vermutlich härter treffen als etwa Deutschland. Denn im anglo-amerikanischen Raum sind Übersetzungen deutlich weniger präsent als im deutschen, wobei ich auch in den USA eine Zunahme von übersetzten Titeln wahrzunehmen scheine. Das digitale Selfpublishing ist national gut machbar, verschiedene Übersetzungen zu arrangieren, zu bezahlen und auf die Länder zu verteilen wird umständlich. Vermutlich können da die Verlage punkten, vielleicht auch ein neues Geschäftsfeld entwickeln. Rein marktwirtschaftlich überlegt müsste es bedeuten, wandert die Nachfrage des Autoren nach einem Verlag ab, müssen die Verlage sehen, ihr Angebot zu verbessern und dem Autor wieder schmackhaft zu machen. Ob dies die großen Konzernverlage können und wollen, scheint mir fraglich, und hier vermute ich auch die Wurzel vieler unguter Entwicklungen.

Und der Buchhandel?

Den stationären Buchhandel wird es in jedem Falle härter treffen, denn er wird von vielen Seiten attackiert – von Amazon über E-books über Flächenmieten und steigender Abgabenlast bei stagnierenden oder zurückgehenden Reallöhnen der Kunden. Ich habe zudem bislang kein belastbares Konzept gefunden, wie etwa der stationäre Buchhandel – problemlos – am E-book-Geschäft partizipieren könnte oder der Übermacht bestimmter Versandriesen standhalten könnte oder wollte. Denn wirklich intelligente und zielführende Bemühungen sah ich bislang nicht. Und mich an die 55 Thesen zur Zukunft des Buchhandels erinnernd sehe ich auch vom Börsenverein wenig Unterstützung für das Sortiment. Da ich ja aus dem Buchhandel komme, bin ich darob traurig, aber schon der erste Testbericht zum tolino shine und die Qual mit adobe und anderen DRM – Spielchen bestätigen mich. Amazon kann es besser. Andernorts will man wohl einfach nicht.

Wie hältst du es persönlich mit dem E-Book?

Ich lese keine E-Books. Zum einen besitze ich eine gut sortierte Bibliothek mit über 10.000 Bänden, die ich längst nicht alle gelesen habe, zweitens bin ich mit nun gut 52 Jahren konservativ und bestehe darauf, mich mit Büchern zu umgeben, sie zu halten, aufzuschlagen und zu lesen, und kann mir nur schwer vorstellen ein Gleiches mit dem „Prinzip Buch“ zu tun, dieser Meisterleistung an buchhändlerischem PR-Schwachsinn.

Meinst du, dass dem E-Book die Zukunft gehört?

Ich vermute, ja. In Deutschland wird es lange dauern, bis die Herrschaften in den Verlagen, so sie noch existieren, es gemerkt haben werden und sich entsprechend verhalten, d.h., die Preise für E-Books auf das amerikanische und meines Erachtens einzig zu rechtfertigende Niveau absenken (das geht auch im Rahmen der Buchpreisbindung), einen kundenfreundlicheren Umgang mit DRM gefunden haben werden, das mit der sich abzeichnenden Tendenz zum E-Book-Leihen eh nicht kompatibel ist, und schlussendlich alle dann auch auf den Zug aufspringen. Dennoch bleibt auf Dauer ein Absinken des literarischen Niveaus zu befürchten, denn E-Books werden vermutlich auch den Hang zur übergroßen Verkäuflichkeit bestärken. Ich meine auch, dass ich in der Zukunft tot sein werde, wenn es soweit ist. Und das finde ich ausnahmsweise mal ganz gut so.

Was stößt dir bei den Diskussionen rund um die Zukunft des Buches besonders negativ auf?

Kurz gesagt: dummes Branchengejammer bei gleichzeitiger Unfähigkeit oder gleichzeitigem Unwillen, intelligent und vorausschauend zu handeln.

Danke vielmals, Jost. Und Glück auf mit deinem Erstling. Mögen deine Gedichte zu vielen Lesern und Leserinnen finden!

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In der losen Interview-Reihe “Steglitz fragt … bei Autoren nach” standen bereits Rede und Antwort:  Jando, Petra van Cronenburg, Petra Röder, Nicole Sowade aka Miss Januar, Jan-Uwe Fitz aka Vergraemer, die Sachbuch-Autorin Sonya Winterberg der Berner Shooting-Star Patric Marino, Wilhelm Ruprecht Frieling, im Social Web als Prinz Rupi bekannt, und der Selfpublisher Michael Meisheit. –  Stets geht es darum, wie die befragten Autoren die Entwicklungen infolge der Digitalisierung einschätzen, welche neuen Wege sie nutzen und wo sie Chancen und Risiken sehen.

Die Nationalbibliothek – eine (kulturpolitische) Bedürfnisanstalt? Ein Verleger erhebt Einspruch

„Das Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek – DNBG – vom 22. Juni 2006 bestimmt, dass alle Stellen und Personen in der Bundesrepublik Deutschland, die zur Verbreitung berechtigt sind, je zwei Ausfertigungen ihrer Neuerscheinungen und veränderten Neuauflagen in körperlicher Form innerhalb einer Woche unaufgefordert, kostenlos, porto- und zustellungsfrei an die Deutsche Nationalbibliothek abzuliefern haben. Gemäß § 16 DNBG sind die Medienwerke [gemeint sind auch: „Medienwerke in unkörperlicher Form“, GvP] vollständig, in einwandfreiem, nicht befristet nutzbarem Zustand und zur dauerhaften Archivierung durch die Bibliothek geeignet abzuliefern.“

Ein Verleger, der mir persönlich bekannt ist, kam der Pflichtabgabe deshalb nicht nach, weil das für 2012 vorgesehene Werk noch nicht erschienen ist. Vor einigen Tagen erhielt er deshalb eine Mahnung von der DNB, worin es unter anderem heißt: „Wir bitten Sie um die Ablieferung der fehlenden Medienwerke. Sollten Sie dieser Bitte nicht innerhalb von 3 Wochen nach Zugang dieses Schreibens nachgekommen sein, müssten wir Ihnen zu unserem Bedauern einen förmlichen Bescheid über die Ablieferung der entsprechenden Medienwerke erteilen. In diesem Bescheid würden wir Ihnen zugleich neben der Androhung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 – BGBI. I S. 17) Vollstreckungsmaßnahmen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz einleiten. Hiermit wird Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß § 28 Absatz Verwaltungsverfahrensgesetz gegeben. Bitte teilen Sie uns ggf. bestehende Lieferungshindernisse mit.“

Gegen das Schreiben legte der Verleger gestern Abend Einspruch ein. Hier dessen (längst fällige) Replik über den Unsinn von Sprache im Wunderland der Dichter & Banker:

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Deutsche Nationalbibliothek / Frau xxxx / e-mail:   xxxxxxxx@dnb.de / erwerbmono@dnb.de

Betr.: F1.1 mvb . Ihr Schreiben vom 27.02.2013              Einspruch!

Sehr geehrte Frau xxxxx,

die veränderte Marktlage innerhalb der Buchbranche treibt uns um. Wir wissen nicht, wie die Frage im Urheberrecht gelöst wird. Wir versuchen uns neu aufzustellen. Ausgang ungewiss. Das hat aber auch zur Folge, dass gewisse Planungen im Verlagswesen – vor allem für Kleinverlage – nicht nach unseren Vorstellungen durchgeführt werden konnten. Ihre Mahnung kommt daher ziemlich weltfremd daher und – sehen Sie mir das bitte nach – ich verstehe überhaupt nicht diese Art Drohkulisse seitens der DNB – als würde ich Ihnen etwas schulden. Tue ich das?

Mit Verlaub: Die gesellschaftlichen Verwerfungen, denen wir uns verschuldetunverschuldet zu beugen haben, sind in ihrem Ausmaß maßlos und ebenso als ein feindseliger Akt zu begreifen. Was wir augenblicklich tun, jedenfalls die Kleinverlage: Wir kämpfen um die Existenz. Das klingt schon wie ein Delikt.

Die DNB schlägt inhaltlich und im Terminus Ihres (DNB) Schreibens einen Ton an – der sich hart an der Grenze eigentlicher Satire bewegt: demnach hat unsereiner ‚dafür zu sorgen‘, ‚abzuliefern‘, natürlich ‚unaufgefordert, kostenlos, porto- und zustellungsfrei‘, andernfalls, sie (DNB) ‚3 Wochen nach Zugang dieses Schreibens neben der ‚Anordnung sofortigen Vollziehung‘ … ‚Vollstreckungsmaßnahmen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz einleiten‘. Was für eine Wortwahl. Gewaltig. Danke.

Was, bitte sehr, soll vollstreckt werden? Was schwebt Ihnen (der DNB) vor? Ein Scheiterhaufen? Der Autoren Gehirne einen Kuckuck aufkleben? Weil bisher nicht geleistet werden konnte, was zur Erfüllung ehrgeiziger Ziele gehört? Zwangsrekrutierung zur Ableistung ’kulturpolitischer Bedürfnisse’? Verrat am Zeitgeist? Oder wollen Sie besser gegen die vorgehen, die das Lesen eingestellt haben? Angesichts der grassierenden Stehlerei & Internet-Hehlerei kommt mir das DNB-Schreiben etwas unheimlich vor.

Ihr (DNB) Schreiben enthält ja den gewichtigen Satz, ‚dass die gesetzlich vorgeschriebene Abgabe von Medienwerken einem anerkennenswerten kulturpolitischen Bedürfnis dient usw. Ist das so? Das hält man aber schwer aus. Es erschreckt mich, dass schon meine schiere Existenz ein Gesetzesverstoß darstellt; bei den Dämonen, die in den bisher veröffentlichten und noch nicht veröffentlichten Manuskripten nisten, ist der Ruf nach Ordnung und Hygiene unausweichlich.

„Hier muss mal wieder hart durchgegriffen werden.“

Was hat sich das Bundesverfassungsgericht bei seinem Beschluss vom 14. Juli 1981 nur gedacht? In der gepfefferten Sprache der Steuereintreiber wird ein Gesetz bemüht, als ginge es nicht um ein Kulturgut – auf das Sie sich ja berufen –, um Bücher für die Nationalbibliothek, sondern um die Rückzahlung eines überfälligen Bankkredits. Es konterkariert beispielhaft jedes Verstehen um eine an sich gute Sache, in deren Dienst die DNB vorgibt zu stehen.

Und so geht das tagaus tagein.

Machen sie weiter so, wird noch eine Geschichte daraus.

Immer in der HOFFNUNG, dass wir bis zum Ende dieses verflixten Jahres 13 noch bestehen – ist es selbstverständlich, so wir auch in der Lage sind, den Verhältnissen entgegen im PRINT ON DEMAND-Verfahren zwei bis drei Titel durchzusetzen – auch Ihnen (der DNB) die geforderten ’Ausfertigungen’ zu liefern.

Es würde uns zur Ehre gereichen in der Gedächtnishalle deutscher Literatur aufgebahrt zu werden, wenn schon alles aus dem kulturellen Bewusstsein zu entschwinden droht. Insofern ist die DNB gleich einer Nekropolis, die auch in ferner Zukunft davon Zeugnis ablegt, was das Buch einmal bedeutet hat und die Chancen, es zu erhalten, verspielt wurden. Die ’kulturpolitischen Bedürfnisse’ dagegen tendieren derzeit gegen Null.

Es merkt anscheinend niemand.

Mit freundlichem Gruß                        i.A. B. Claus DeFuyard

Steglitz stellt Bettina Schnerr-Laube mit „Bleisatz“ vor

Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.

Dass wir etwas mehr über Bettina und ihr Blog Bleisatz erfahren sollte, hatten die Herren sandhofer und scheichsbeutel vorgeschlagen, die gemeinsam litteratur.ch betreiben.

Dein Steckbrief in Stichworten …

# Mutter, Fachjournalistin, Leseratte (in unterschiedlicher Reihenfolge)

# Badenerin, die seit Jahren in der Schweiz lebt und arbeitet

# Vielleserin, aber keine Allesleserin

Seit wann, warum und wo  bloggst du?

Seit 1999 treibe ich mich mit einer Website im Netz herum, aus der sich im Januar 2008 die auf Bücher fokussierte Website Bleisatz entwickelte. Bleisatz ist eine komplette Eigenentwicklung: Ich kümmere mich um die Inhalte, html und css, mein Mann erledigt die php-Programmierung, von der ich schlicht keinen Schimmer habe.

Deine Themenschwerpunkte …

© Bettina Schnerr-Laube

© Bettina Schnerr-Laube

Wie sandhofer schon anmerkte, kümmere ich mich besonders um Krimis. Sicher 60% meiner Lektüre fallen in dieses Genre. Seit einiger Zeit bin ich zusätzlich auf literarischer Weltreise und versuche, jedes Land dieser Welt mit je einem Buch zu besuchen. Ursprünglich sollten es „nur“ 25 Bücher werden, aber mich faszinieren die Neuentdeckungen inzwischen so sehr, dass sich die Idee verselbständigt hat. Irgendwo zwischen Land 70 und Land 80 stecke ich gerade.

Was treibt dich in der Literaturszene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?

Wirklich umtreiben tut mich wenig, da ich nicht im eigentlichen Literaturbetrieb drinstecke. Eher amüsiert beobachte ich allerdings Autoren, die über Leser und deren Meinungen herziehen (und davon kommt ja hin und wieder was hoch), weil die Autoren in der Regel sehr viel mehr über sich dabei verraten als – wie gemutmaßt – über die geschmähten Rezensenten.

Wie machst du dein Blog und deine Beiträge bekannt?

Damit habe ich erst im Sommer 2010 angefangen. Ich wurde bei Facebook aktiv, später auch bei G+ und Twitter. Wie stark die Aktivität dort etwas für die Bekanntheit leistet, vermag ich allerdings nicht zu beurteilen. Auf allen drei Kanälen bin ich mittlerweile auch deshalb gerne unterwegs, weil ich viel für mich selbst dort entdecke.

Was sollte ein Blogger besser sein lassen?

Nichts. Ich verstehe Blogs als Spiegel persönlicher Meinungen und Interessen, den jeder Blogger in einer frei wählbaren Form umsetzt. Per Bild, Video, mit Link, ohne Link, langem oder kurzem Text. Ein Leser wird grundsätzlich nach seinen eigenen Vorstellungen den einen oder anderen Blog lieber besuchen als einen anderen.

Welche Hürden muss ein Blogger nehmen?

Die größte Aktivierungsenergie benötigt man vermutlich für den Blogstart. Technische Probleme sind dank vieler kostenfreier Angebote in der Regel aus dem Weg geräumt. Also bleibt nur eines: Anfangen (… und ein bisschen dranbleiben).

Dein schönstes Erlebnis als Blogger …

Das war der Moment, als ich bei meinen ersten zaghaften Anfragen nach Rezensionsexemplaren ohne Zögern die Zusage von allen damals angeschriebenen Verlagen gleichzeitig erhielt. Es ging um ein kleines Argentinien-Special zur Buchmesse und ich hatte einen ganz erheblichen Anteil von Absagen eingerechnet.

Wie gehst du damit um, wenn dir Verlage, Agenturen oder Autoren Rezensionsexemplare anbieten?

Zwei oder drei Verlage wissen gut um meine Schwerpunkte und fragen sehr gezielt an. Interessieren mich die Titel, sage ich abhängig von meinen Terminmöglichkeiten zu. Mit meinem Beruf und einer lebhaften Familie an der Seite sind zeitnahe Lektüren eine waghalsige Angelegenheit, sodass auch bei interessanten Krimis schon das ein oder andere Nein sein musste.

Und wie würdest du damit umgehen, wenn dir Selfpublisher ihre Titel zur Rezension anbieten?

Anfragen von Selfpublishern erhalte ich fast nie. Zugesagt habe ich in diesen Fällen auch noch nicht. Ein wenig Skepsis ist vorhanden, da meine bisherigen Versuche mit BoD und Eigenverlagen nicht alle begeisternd waren. Daher belasse ich es bei Selbstversuchen, die ich nach gusto einstreuen kann.

Wie hältst du es mit dem E-Book?

Ganz positiv, seit ich einen Reader habe und den erfolgreich ausprobiert habe. Ich werde jubeln, sobald eine einheitliche Regelung für Dateiformate gefunden ist, sodass ich alle Bücher bei allen Anbietern kaufen kann – wie bei mp3-files für Musik auch.

Welche anderen Blogs empfiehlst du (max. 5). Und welcher bibliophile Blogger sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Da sandhofer schon so offen den Ball einer Krimibegeisterten zugeworfen hat, bleibe ich in diesem Genre. Erst vor kurzem habe ich Janet Rudolph mit ihrer Mystery Fanfare entdeckt, die offensichtlich gute Krimilisten zu bestimmten Themen zusammenstellt. Auch die Kriminalakte ist eine Anlaufstelle, zumal sich der Macher auch um Film und Verfilmungen kümmert.

Die zwei nächsten Blogs haben abgesehen vom Krimi noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie haben – jeder für sich – eigene grafische Stile entwickelt und dafür habe ich eine kleine Schwäche. Die Krimikiste bietet jede Rezension als Podcast an. Und den Krimiblog(ger)  möchte ich gerne als neuen Interviewpartner vorschlagen. Was mich an diesem Blog fasziniert ist, dass der Krimiblogger und ich meist recht wenig Überschnitt in der Lektüre haben: Genau das ist der Grund, warum ich dort immer neue Anregungen und Perspektiven entdecke.

Danke sehr, Bettina. Eine feine Idee zudem, dass wir etwas mehr über den Krimiblogger erfahren sollten.

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Zuletzt stellten sich Anne-Kathrin und Jessica mit lesErLeben vor. Ihre Wunsch-Interviewpartnerinnen waren die Betreiberin von jungesbuch. – Eine Übersicht, wer bereits alles Rede und Antwort stand und welche Blogs in den jeweiligen Gesprächen empfohlen wurden, findet sich hier