Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.
Als ich die Gespräche im September vergangenen Jahres an den Start brachte, war ich skeptisch, ob unser Atem für eine Reihe überhaupt reichen würde. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass wir es gemeinsam sogar zum einem runden Geburtstag bringen würden. Nun steht er an: Der 50. Beitrag, den Guido Rohm heute unorthodox krönt. Dass wir Guido näher kennenlernen sollten, der sonst anderenorts gestammelte Notizen bloggt, hatte Dieter Paul Rudolph vorgeschlagen, der das Krimikultur: Archiv pflegt.
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Also ganz am Anfang, damit wir uns da recht verstehen, muss ich erst einmal eine Kleinigkeit loswerden. Ich bin und war zu keiner Zeit ein Bibliophiler, so eine Sauerei, die lasse ich mir nicht unterstellen. Am Ende liest das einer aus meiner Nachbarschaft, und dann heißt es: Da schau her, da kommt die bibliophile Drecksau! Daher muss ich mich gegen den Vorwurf, was mit Büchern zu haben, verwehren. Man wirft vielleicht mal sein Auge auf das eine oder andere Buch, aber immer mit ehrenwerten Absichten. So ein Bibliophiler, das ist ja kein Mensch mehr, der hat sein Lebensrecht verwirkt. Die Bücher, die können sich nicht wehren, drum muss man sie vor den Bibliophilen schützen, die sich auch im Netz rumtreiben, um sich dort illegal Books runterzuladen. Ein Ring von Bücherschändern ist das, mit denen kurzer Prozess gemacht werden sollte, wenn man mich fragt.
Dies nur zu Beginn, damit man mich hier nicht in einen Sack mit den ganzen anderen Bloggern steckt, die sich zur Bibliophilie ja vielleicht offen bekennen.
Zunächst einmal ein paar Stichworte zu meiner Person: Geboren ca. 1970, Schriftsteller, Autor, Textproduzent, Stimmenimitator, GROSSBUCHSTABENJÄGER, Playmobil-Bauernhof-Besitzer, Hans-Dampf-in-allen-Gassen, Hans-guck-in-die-Luft, Hans I. Glock, Wedekind-Verächter. Ich wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, besuchte mehrere Schulen, konnte mich aber nie zur direkten Unterrichtsteilnahme entschließen. Diverse Jobs in Afrika, Argentinien schlug ich aus. 2010 erschien mein erster Roman „Blut ist ein Fluss“ und katapultierte mich mit einem Schlag in die Bestsellerlisten von Andorra. Nach diesem überraschenden Megaerfolg zog ich mich in meine Fuldaer Villa zurück, aus der ich seitdem blogge und Bären schieße. Ich habe 17 Kinder und war zehnmal verheiratet. (Alles in meinem Blogtagebuch nachzulesen.)
Zum Bloggen: Ich blogge seit meiner Kindheit. Es fing mit kleinen gemeinen Notizen an, die ich meinen Schulkameraden in die Ranzen schmuggelte.
Später rutschte ich gehörig ab, wie das bei einer ordentlichen Drogenkarriere so sein muss.
Erst SMS, dann Mails, irgendwann bloggt man. Sagt sich: Ich komm da schon wieder von los!
Aber ehe man sich versieht, hat der soziale Abstieg begonnen. Man wäscht sich nicht mehr, sieht statt echter Menschen nur noch Avatars. Plötzlich hängt man bis zum Hals im Blogsumpf.
Ist der Computer kaputt, spricht man wildfremde Menschen am Bahnhof an, ob sie einen mal eben kurz an ihren Laptop … Sie wissen schon! Man ist nicht mehr man selbst. Man ist ein Wrack. Man ist geil nach der synthetischen Droge von WORDPRESS, nach Statistiken, nach Gefällt-mir-Daumen bei Facebook.
Man ist zu einem Junkie geworden!
Erwache ich am Morgen, überfällt mich das große Zittern. Ich schleife mich aus meinem Bett, dabei könnte ich als Bestsellerautor (Blut ist ein Fluss, Blutschneise, Die Sorgen der Killer) eigentlich beruhigt liegenbleiben. Mich drängt ja nichts. Aber trotzdem zwingt mich die Sucht vor den Bildschirm, um eine dieser wundervollen Szenen aus meinem Leben zu beschreiben, so als würde ich nur wirklich existieren, wenn ich es auch gepostet habe, wenn es in den weitläufigen Straßen des Netzes unterwegs ist.
Ist einer dieser wahnsinnig unterhaltsamen und genialen Artikel veröffentlicht, gebe ich es sofort bei Facebook und Twitter bekannt. Es ist, als würde ich einen Postreiter losschicken, der die Nachricht in die Welt tragen muss.
Ist das erledigt, ziehe ich mich mit einem E-Book zurück, hat das E-Book doch den Vorteil, dass man eine ganze Bibliothek in der Hand durch die Gegend tragen kann. Das lenkt mein Lesen ungemein, weil ich über die ersten drei Sätze erst gar nicht mehr herauskomme. Schon tippe ich zum nächsten Werk und denke mir: Nein, so ein dämlicher Satz aber auch, jetzt lieber mit einem anderen Roman weitermachen.
Auf diese Art habe ich im letzten Jahr 55.789 Sätze gelesen, aber keinen Roman mehr.
Das E-Book ist Klasse, gibt es solchen Hungerleidern wie meinem Kollegen Hans I. Glock doch die Möglichkeit, trotz dauernder Absagen der Verlage, etwas zu veröffentlichen. Und Glock und Konsorten wollen die Menschheit ja auch mal nerven dürfen.
Überhaupt – jetzt sind wir doch mal ehrlich, sind wir hier doch unter uns – wenn man in einen Self-Publisher-Roman hineinliest, kann einem schon schnell mal schlecht werden. Irgendwie müssen die meisten dieser Autoren im Deutschunterricht gepennt haben. Vielleicht waren sie aber auch zu wach. Die nehmen so eine Spannungskurve nicht nur ernst, weit gefehlt, die leben so eine Kurve regelrecht. Und dann diese Sucht nach Adverbien.
Hin und wieder, nehmen wir O.M. Gott oder meinen Freund Glock, findet sich auch eine Perle. Man muss man lange suchen, und Lebenszeit ist es ja auch, die man da vergeudet.
Jetzt habe ich eben noch mal nach dem Fragenkatalog geschaut. Zu Rezensionsexemplaren kann ich nicht viel sagen. Die bekomme ich schon, wenn ich eins anfordere, und ich würde auch das E-Book eines Self-Publishers besprechen, aber leider bzw. O.M. Gott sei Dank, rezensiere ich kaum noch. Dafür habe ich auch gar keine Zeit, weil ich ständig eine Neuigkeit aus meinem aufregenden Leben als Junkie und Bestsellerautor veröffentlichen muss. (Momentan arbeite ich deshalb auch an meiner Autobiografie mit dem Titel „Grünkohlextrakt – Leiden und Nöte eines Bestsellerautos“. Außerdem schreibe ich noch an einem Roman über einen realen deutschen Krimikritiker. Aber dazu will ich mich jetzt nicht äußern. Das würde dem Werk die Spannung rauben.)
Blogs, die ich empfehle: Ludgar Menke und Dieter Paul Rudolph, die hier schon vorgestellt wurden. Derjenige, der die Fragen, die ich mit meinem Text so großzügig überschrieb, als nächstes beantworten sollte, ist Jannis Plastargias mit seinem Blog SCHMERZWACH.
In diesem Sinne möchte ich mich für das Gespräch bedanken, das nun aber leider gar keins war.
Das letzte Wort, allerdings, überlasse ich dir wohl nicht auch noch. Danke sehr für diesen Beitrag, der passend zum heutigen runden Geburstag so ganz anders daherkommt als gewohnt.
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Zuletzt stellte sich Friederike Kenneweg mit Frintze vor. Ihr Wunsch-Interviewpartner war der Betreiber von DocTotte, der u.a. Tottes kleines Literaturlexikon pflegt. – Eine Übersicht, wer bereits alles Rede und Antwort stand und welche Blogs in den jeweiligen Gesprächen empfohlen wurden, findet sich hier
Ja, genau – fand ich auch: der lange Monolog zum runden Geburtstag ist doch ganz rund! Und ich bin gespannt, wer hier noch Rede und Antwort stehen wird! Herzlichen Glückwunsch, auf das Durchhaltevermögen, möge es andauern!
„Man ist nicht mehr man selbst. Man ist ein Wrack. Man ist geil nach der synthetischen Droge von WORDPRESS, nach Statistiken, nach Gefällt-mir-Daumen bei Facebook.“
(Guido Rohm)
Genau, die Junkies halten die Jubiläumsfeier im Netz ab.
Man hebt virtuell die Gläser, nickt sich zu und denkt:
Es könnte auch anders sein, aber lassen wir das mal…!
Im Ernst, wer möchte bibliophile Blogger und Bücherratten persönlich und real kennenlernen, diese Kopfgeburten, die den ganzen Tag in der Wohnung hocken
und literweise Rotbäcken saufen, damit ihre morbide Blässe nicht so auffällt.
Oh Gott, diese Literaten!
Früher Streber, heute Hungerleider!
Das sind Karrieren. Vom Klassensprecher zum Bücherabstauber.
Und man munkelt, sie seien selbstgerecht.
Aber NEIN!
Man sollte auch eine Lanze für die Aufrechten brechen, werfen,
jene Ritter der Tafelrunde, die auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen
und nicht nur den Faust geben.
Man sollte demütig niederknien vor den edlen Damen,
die zeigen, wo der Hase im Pfeffer begraben liegt.
All jenen kann man gratulieren, die tagtäglich um Meinungsvielfalt
und damit um Meinungsfreiheit kämpfen, jenen,
die sich ihres eigenen Verstandes bedienen und ihre Ansichten mutig
und missmutig vertreten, trotz brutaler Banalisierung und Bagatellisierung
in der Gesellschaft.
Santé et vive la chance
Cafegänger
Das ist eigentlich sehr angenehm, der lange Monolog, der sich gut liest, wenn er die Fragen vor dem Antworten selbst stellt. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!
Herzlichen Grlückwunsch, liebe Gesine, zu diesem tollen 50. Beitrag. Die Reihe ist ganz schön vielfältig geworden und Guido Rohm hat mich jetzt schon am frühen Morgen zum Schmunzeln gebracht 🙂 Einfach nur Spitze!
LG buechermaniac
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