Sind Buchhändler tatsächlich die Verlierer der Digitalisierung? Wie gehen sie mit den Schreckensszenarien um? Wo sehen sie Risiken, wo Chancen und welche Weichen stellen sie, um zukunftsfähig zu bleiben? Wie halten sie es mit dem E-Book und wären Titel von Self Publishern für sie eine Option? Diese u.a. Aspekte will die Gesprächsreihe “Steglitz stellt Buchhändlerinnen und Buchhändler vor” beleuchten, in der Interviewpartner in loser Folge standardisierte Fragen beantworten.
Welche Buchmenschen und Buchhandlungen wir zukünftig etwas näher kennenlernen, schlagen zum einen jene vor, die mir Rede und Antwort stehen. Darüber hinaus freue ich mich auf Empfehlungen von Euch, wer hier ebenfalls zu Wort kommen sollte. Und, bitte sehr, vermerkt Eure Vorschläge hier (nebst Link zur Buchhandlung); und nicht etwa auf diversen anderen Kanälen im Social Web. Danke sehr! Im Übrigen freue ich mich auch über Gastbeiträge: Was habt Ihr in Buchhandlungen erlebt? Woran denkt Ihr gerne zurück, was ist Euch aufgestoßen?
Dass wir Beate und Mischa Klemm etwas näher kennenlernen sollten, die in Berlin/Friedrichhain ihre Buchhandlung lesen und lesen lassen betreiben, hatten sich Britta Beecken von der Berliner Buchkantine und Samy Wiltschek gewünscht, dessen Kulturbuchhandlung Jastram in Ulm zu finden ist.
Eine Skizze vom Laden…
Wir haben unseren Laden 1996 eröffnet, „küchengroß“ schrieb eine Zeitung mal. Berlin-Friedrichshain hieß auch damals schon so, war aber ein ganz anderer Bezirk. Grau, dunkel, aber schon etwas subversiv. Ein paar Jahre später haben wir uns etwas vergrößert, aber nur so, dass der Laden noch als „klein“ durchgeht. Unsere liebsten Kinder sind die Belletristik, das Kinderbuch und einige kleine, feine Sortimente: Comic (heute Graphic Novel), Philosophie und Kulturwissenschaft – und „Berlin“ natürlich …
Warum sind Sie Buchhändler geworden?
Beate Klemm: In der DDR war nicht so viel mit Entscheiden. Ich hatte schon immer Spaß an Büchern. Als es mit der Berufswahl ernst wurde, blieb mir nur die Wahl zwischen Betonfacharbeiterin mit Abitur plus vielleicht einem Literaturstudium und Buchhändlerin ohne Abitur. Ich habe mich aus bestimmten Gründen für die Ausbildung zur Buchhändlerin entschieden. Und bei diesem Beruf ist es seitdem geblieben.
Mischa Klemm: Ich bin eigentlich gelernter Historiker. Aber nach einigen Jahren des Zusammenlebens mit meiner Frau war ich bald ein halber, und seit der Eröffnung unseres eigenen Ladens ein ganzer Buchhändler.
Würden Sie sich unter heutigen Bedingungen abermals für diesen Beruf entscheiden?
Das ist ganz schwer zu sagen, damals war das ja wirklich eine ganz tolle Sache. Auch der Schritt in die Selbständigkeit. Heute hört man ständig: Wie lange wird es überhaupt noch Buchhandlungen geben? Andererseits machen ja gerade hier in Berlin immer wieder neue Buchhandlungen auf. Also scheint das Bücher verkaufen auch heute noch faszinierend zu sein. Möglicherweise würden wir es also wieder tun.
Was hat sich in den vergangenen Jahren in Ihrem beruflichen Alltag verändert?
Da ist zum einen der technische Hintergrund. Wir haben mit Buchlaufkarten und viel Bauchgefühl begonnen, arbeiten jedoch seit mittlerweile einigen Jahren mit Warenwirtschaftssystemen. Sie erleichtern die Arbeit wesentlich, stellen aber auch ihre ganz eigenen Anforderungen. Was sich auch verändert hat, ist der Grad an Aktualität, den ein Sortiment haben muss, denn parallel dazu sind die Kunden wesentlich informierter als früher.
Bei allen Zahlen darf man aber auch nicht das „große Ganze“ eines Ladens aus den Augen verlieren. Das Bauchgefühl ist also immer noch an Bord.
Die Devise heißt ja: Buchhandel go online! Was unternehmen Sie in dieser Richtung?
Wir sind online, aber nur so lange der Kunde bei uns im Laden bleibt. Unser Laden soll unsere Kunden ansprechen und dies ist auch der Job unserer Homepage. Den Schwerpunkt bilden redaktionelle Inhalte: Buchtipps, Neuigkeiten, Veranstaltungen. Über einen Webshop können Bücher auch bestellt und im Laden abgeholt werden. Dass funktioniert, mit steigender Tendenz. Um unsere Veranstaltungen im kulturell überbordenden Berlin ausreichend publik zu machen, ist uns Facebook eine gute Hilfe. Twitter verwenden wir etwas anders, als es eigentlich gedacht ist – dennoch scheint das mittlerweile eine ganze Menge Leute zu interessieren.
Wertvolle Erfahrungen im E-Commerce machen wir seit fast 15 Jahren mit unserem Schwesterunternehmen Brandenburg-Buch, einem reinen Onlineshop, spezialisiert auf Regionalliteratur. Unser Fazit dazu: Onlinehandel und durchschnittliche Buchhandlung – das passt leider überhaupt nicht zusammen.
Das Sterben der Buchläden ist allgegenwärtig. Wo verorten Sie für Ihre Buchhandlung die größten Gefahren?
Wir sind in einer recht komfortablen Situation: ein treues Publikum, aufgeschlossen, neugierig und oft nicht unbedingt auf den Cent sehend. Was wir eher mit Sorgen betrachten, sind die steigenden Mieten der Umgebung. Da können Buchhandlungen einfach nicht lange mithalten.
Wie halten Sie es mit dem E-Book?
Na ja, so richtig ist der Funke noch nicht übergesprungen… Nein, im Ernst, E-Books werden wohl immer zu den Dingen zählen, die man sich bei uns bestellen muss. So wie Rechtstexte, medizinische Literatur und ähnliches. Unsere Kunden haben damit kein Problem.
Wäre das eine Option für Sie, auch Titel von Self Publishern anzubieten?
Also in unserem Laden gibt es genau ein Buch eines Self Publishers. Super Cover, super Titel, ansprechender Klappentext, günstiger Preis, bei unserem Großhändler einfach zu beziehen. Aber diese Dinge treffen leider nur ganz selten zusammen. Und dann ist es ja so, dass wir zweimal im Jahr etwa fünfzig Kilo Verlagsvorschauen durchsehen, Leseexemplare testen, mit Verlagsvertretern sprechen, auswählen, aussortieren … Wenn man das geschafft hat, klickt man einfach nicht mehr auf den Link zu einem „ganz tollen“ Buch. Sorry.
Wie verkauft man heutzutage Bücher?
Da ist zum einen natürlich das Sortiment. Die richtige Auswahl für seine Kunden zu treffen, aktuell zu sein. Und in Maßen auch für Überraschungen zu sorgen. Einen Blick für die besonderen Bücher zu haben, von denen man in keiner Zeitung liest, die nirgendwo hochgehalten werden. Zum anderen ist da das Gefühl für den Kunden, ihn so zu beraten, dass er sich auch gut beraten fühlt und … wiederkommt. Dazu gehört, Herzblut, Freude und natürlich auch die persönliche Ansprache.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, die Ihnen Verlage erfüllen… Welche wären das?
Da gibt es nicht so viel. Die Verlage sind da auf gutem Weg, vor allem, was das Thema Bündelung betrifft. Weiter so. Schön wäre es, auf Sonderauslieferungen zu verzichten, die uns unnötig die Kosten in die Höhe treiben. Und vielleicht etwas materielle Unterstützung bei Veranstaltungen … Ach, und bitte: druckt ansprechende Texte auf die Buchrückseite!
Und was würden Sie sich vom Börsenverein für den deutschen Buchhandel wünschen?
Erstens: Bitte nicht in die Metadatenbank verbeißen. Sie ist kein Allheilmittel und wird zunächst den Branchenteilnehmern nützen, die mit diesen Daten hantieren können und das werden erst einmal die Onlinehändler und Ketten sein. Für das kleine, unabhängige Sortiment werden sich Effekte eher ganz zum Schluss einstellen.
Zweitens: Es scheint sich eine Kluft zwischen den „gut vernetzten“ Buchhandlungen in der Großstadt und vielen Läden auf dem „flachen Land“ zu entwickeln. Diese sollten viel stärker angesprochen und unterstützt werden. Die einfache Frage: „Was würden Sie sich vom Börsenverein wünschen?“ wäre schon mal ein guter Anfang.
Was treibt Sie in der literarischen Szene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?
Seit einiger Zeit gibt es in der Bloggerszene immer wieder Beiträge, die mit dem Buchhandel sehr kritisch umgehen. Natürlich darf jeder über seine Erfahrungen schreiben, aber leider werden diese oft sehr verallgemeinert. Man muss bedenken, dass es in Deutschland immer noch einige tausend Buchhandlung gibt. Kann man da überhaupt seine persönliche Meinung auf „den“ Buchhandel übertragen? Es wundert auch, wie wenig bedacht wird, dass eine Buchhandlungen – wie jedes Unternehmen auch – wirtschaftlich denken müssen, sprich ihr Sortiment auf die örtlichen Gegebenheiten einstellen muss. In vielen Buchhandlungen haben „Indiebooks“ schlicht und ergreifend keine Chance, gekauft zu werden.
Und was soll man sagen, wenn ein Blogger in Berlin-Prenzlauer Berg partout keine passende Buchhandlung für sich findet? Da ist dann wohl nichts mehr zu machen.
Welche anderen Buchhandlungen empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?
Zum einen möchten wir die Dortmunder Buchhandlung am Amtshaus, deren Chef Michael Nau empfehlen, die wir in diesem Jahr auf der Leipziger Buchmesse kennen gelernt haben. Zum anderen unsere beiden netten Kollegen von der Buchhandlung Moby Dick in Berlin-Prenzlauer Berg.
Danke sehr, dass Sie hier dabei sind.
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Fünf Fragen vom Börsenblatt für den deutschen Buchhandel zur Gesprächsreihe mit Buchhändler/innen beantworte ich hier
Zu Wort gekommen sind bislang:
Susanne Martin von der Schiller Buchhandlung in Stuttgart/Vaihingen
Edda Braun mit ihrer Buchhandlung am Turm in Ochsenfurt
Samy Wiltschek von der Kulturbuchhandlung Jastram in Ulm
Margarete Haimberger mit ihrer Schröersche Buchhandlung in Berlin/Schöneberg
Sonja Lehmann vom Bücherwurm Borken im Nordhessischen
Martina Bergmann mit der Buchhandlung Frau Bergmann in Borgholzhausen
Thomas Calliebe mit seiner Buchhandlung Calliebe in Groß-Gerau
Mila Becker mit Mila Becker Buch & Präsent in Voerde
Trix Niederhauser aus der Schweiz von der Buchhandlung am Kronenplatz in Burgdorf/Emmental
Simone Dalbert von der der Buchhandlung Schöningh in Würzburg
Klaus Kowalke von der Stadtteilbuchhandlung Lessing und Kompanie Literatur e. V. in Chemnitz
Beate Laufer-Johannes von der der BücherInsel in Frauenaurach bei Erlangen
Petra Hartlieb von der Wiener Buchhandlung Hartliebs Bücher
Nicole Jünger aka Kata Butterblume vom Buchladen am Neuen Markt in Meckenheim
Jörg Braunsdorf von der Berliner Tucholsky-Buchhandlung
Stefanie Diez und ihre Buchhandlung Die Insel im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg
Britta Beecken von der Berliner Buchkantine
Heike Wenige mit dem Taschenbuchladen, der im sächsischen Freiberg ansässig ist
Christian Röhrl von der Buchhandlung Bücherwurm in Regensburg
Susanne Dagen vom Buchhaus Loschwitz in Dresden
Jessica Ebert und Katja Weber von der Berliner Buchhandlung ebertundweber
Anna Jeller mit ihrer Buchhandlung Anna Jeller in Wien
Holger Brandstädt von der Friedrich-Wagner-Buchhandlung, die in Ueckermünde ansässig ist
Bettina Haenitsch mit der Buchhandlung der buchladen in Seligenstadt
Gustav Förster mit der Wein-Lese-Handlung Förster, die in Ganderkesee zwischen Oldenburg und Bremen zu finden ist
John Cohen von der Hamburger Buchhandlung cohen + dobernigg