„Der Buchhandel wird dieses Geschäft anders betreiben als früher, aber er wird es weiter tun.“ Im Gespräch mit Boris Langendorf

???????????????????????????????Wie groß ist die Zukunft des Buches?“ – so ist eine Diskussionsrunde überschrieben, mit der SteglitzMind indirekt verbandelt ist. Und zwar insofern als die Gespräche mit Buchhändlern/innen, die ich seit letztem Sommer führe, dafür Pate standen. In seinem Beitrag kündigte der Inhaber der Berliner Tucholsky-Buchhandlung Jörg Braunsdorf an, die Fragestellungen der Interviewreihe anderenorts vertiefen zu wollen. Seinen Worten folgen nun Taten. Die Diskussionsrunde, von der Braunsdorf sich auch Signale an die Politik und den Börsenverein für den deutschen Buchhandel erhofft, findet am Dienstag, den 3. Juni 2014, um 19.00 Uhr in der Tucholskystr. 47 in Berlin/Mitte in der Tucholsky-Buchhandlung  statt.

Gäste sind: Siegmund Ehrmann, MdB (Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien), Zoë Beck (Autorin und e-Book-Verlegerin CulturBooks), Lorenz Borsche (Vorstand der buchhändlerischen Genossenschaft eBuch), Boris Langendorf (freier Publizist), Daniel Leisegang (Politikwissenschaftler, Redakteur der Monatszeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ und Autor von „Amazon. Das Buch als Beute”) und Stefan Weidle (Verleger und Vorsitzender der Kurt-Wolff-Stiftung).

Ich erwarte mir im Vorfeld der Berliner Buchtage, die übrigens Tags darauf beginnen, eine spannende Diskussion, zu der Ihr herzlich eingeladen seid. Der Eintritt ist frei, um Voranmeldung, entweder per E-Mail  [kurt(at)buchhandlung-tucholsky(dot)de] oder via Facebook, wird gebeten.

Als Appetizer gibt es auf SteglitzMind vorab Gespräche mit einigen Gästen, die das Podium bestreiten werden.

Heute – Boris Langendorf

Sie analysieren und kommentieren die Entwicklungen auf dem Buchmarkt seit fast vier Jahrzehnten. Anfangs beim Buchreport, dann für den eigenen buchhändlerischen Informationsdienst. Was trieb Sie in all den Jahren besonders um?

Boris Langendorf © privat

Boris Langendorf © privat

Die fast 25 Jahre bei „buchreport“ waren eine Zeit, in der ich einen spannenden Beruf und eine faszinierende Branche genoss. Zur Gründung von „Langendorfs Dienst“ kam es dann, weil ich die Tätigkeit des Chronisten mit einer echten Aufgabe tauschen wollte: dem unabhängigen Buchhandel zu helfen, im Wettbewerb besser zu bestehen.

Wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen ein? Sorgen Sie sich um den Buchhandel? Etwa gar um das Kulturgut Buch?

Warum? Qualitative Information ist ein Grundbedürfnis, das wichtiger wurde und noch wichtiger wird. Den kompetenten Zugang zu dieser Information zu verschaffen dient diesem Grundbedürfnis, hat also ebenfalls Zukunft. Der Buchhandel wird dieses Geschäft anders betreiben als früher, aber er wird es weiter tun. Und das Medium Buch? Auch das entwickelt sich, aber warum sollte ich einem E-Buch von vornherein die Eigenschaft als „Kulturgut“ absprechen?

In den Debatten um die Zukunft der Buchhandlungen beruft man sich gerne auf drei große Bs: Bibliographieren, Beschaffen, Beraten. Bibliographieren und Beschaffen sind im Zeitalter des WWW keine große Kunst mehr. Und Beratung im Sinne von Buchempfehlungen findet man ebenfalls zu Hauf im Netz. Sind die buchhändlerischen Kernkompetenzen nicht längst old school?

Nein. Bibliografieren und Beschaffen kann der Buchhändler nicht mehr exklusiv, aber wenn er es anbietet, warum sollte der ungeübte Kunde das selbst machen? Und selbst wenn, schadet das niemandem. Denn die Beratung wird mit der wachsenden Flut nicht einschätzbarer Informationen für den Laien immer bedeutender. Buchempfehlungen von Lieschen Müller sind keine Beratung, sondern Teil des Informationsgestrüpps.

 Eine feste Rubrik in Langendorfs Dienst ist die „Leuchtturm“-Buchhandlung des Monats. Was bringt eine Buchhandlung zum Leuchten?

Ganz unterschiedlich, jede dieser inzwischen 140 Buchhandlungen ist anders. Gemeinsamer Nenner ist, dass diese Leuchttürme ihren zur Entmutigung neigenden Kollegen zeigen, dass auch heute ein guter und erfolgreicher Buchhandel unter den unterschiedlichsten Bedingungen möglich ist. Für das Publikum draußen und auch für die Berufswahl des Nachwuchses ist es ein Signal für Vielfalt und Nutzen des klassischen Sortimentsbuchhandels.

Amazon scheint ja nicht nur der größte Feind des Buchhandels zu sein. Vielmehr drängt sich inzwischen der Eindruck auf, als sei der Riese aus Seattle die einzige Gefahr für den hiesigen Buchhandel. Ist das nicht zu eng gedacht?

Das ist in der Tat zu eng gedacht. Technische und gesellschaftliche Entwicklungen haben den Umgang mit qualifizierten Informationen grundlegend verändert, und Amazon ist nicht mehr als ein Symptom dafür. Es gilt nicht vor immer neuen Feindbildern zu erstarren, sondern sich auf die Weiterentwicklung der Gesellschaft vorzubereiten, auf eine Zeit, aus deren Sicht Amazon eine Episode ist, wie es die Feindbilder Warenhaus, Buchclub, Nebenmarkt und Großfläche waren.

Amazon als Verleger: Die Bemühungen, mit dem Kindle und hauseigenen Publikationen im Sortiment Fuß zu fassen, scheiterten bislang weltweit. Jetzt wurde bekannt, dass der italienische Filialist Giunti in den Vertrieb einsteigt. Ist damit der Damm gebrochen?

Es ist wie immer: Die einen machen mit, die anderen nicht. Wenn Amazon am Verlegen nicht sowieso wieder die Lust verliert, wird dieser Teilnehmer einer von vielen am Markt sein, dessen Erfolg aber immer noch von der Akzeptanz des Publikums abhängt.

Die buchhändlerische Genossenschaft eBuch will Amazon mit einem Online-Shop die Stirn bieten, der für alle Händler und Verlage offen ist. Halten Sie solche Initiativen für einen Schritt in die richtige Richtung?

Ja. Der Zugang des unbefangenen Kunden zum Sortiment muss so leicht sein, wie er eigentlich gedanklich nahe liegt, und ohne dass sich jemand den Kopf über Adressen und Formate zerbrechen muss. Dann müssen Service und Kulanz noch auf Amazon-Niveau kommen. In diese Richtung sehe ich die eBuch-Initiative gehen. Wie weit? Man wird sehen.

Von der Gesprächsrunde in der Berliner Tucholsky-Buchhandlung, bei der Sie am 3. Juni ebenfalls Gast sind, erhofft sich der Veranstalter Jörg Braunsdorf Signale in Richtung Politik und Börsenverein. Wo sehen Sie in diesem Kontext besonderen Nachholbedarf.

Politik und Öffentlichkeit sollen den Sortimentsbuchhandel als eine leistungsfähige und selbstbewusste Wirtschaftsbranche wahrnehmen, die nicht nur den eigenen Beutel füllt, sondern ohne Subvention und ohne viel Gejammer eine wichtige Aufgabe im kulturellen Leben des Landes leistet. Der Börsenverein ist ja in der Öffentlichkeitsarbeit keineswegs untätig, könnte aber dieses Zeichen aus Berlin zum Anlass nehmen, branchenintern die Sparte verbreitender Buchhandel noch stärker zu gewichten, nicht aus Fürsorge, sondern zwecks Selbsterhalt.

Die Angst ist groß, dass die Buchpreisbindung mit dem transatlantischen Freihandels­abkommen fallen könnte. Könnten freie Preise nicht sogar eine Belebung des Buchmarktes zur Folge haben?

Die genannte Angst teile ich nicht. Wenn die Preisbindung fällt, dann wegen der Undiszipliniertheit von Marktteilnehmern, nicht aber wegen des Abkommens. Ihr Wegfall würde zu einer Belebung im Sinne einer Marktveränderung führen, nicht jedoch, wie die Beispiele anderer Länder gezeigt haben, zu einer Verbesserung des Angebots für die Kunden.

Es scheint im Trend zu liegen, sich die Buchhandlung der Zukunft auszumalen. Wie sieht Ihre persönliche Vision aus?

Die Buchhandlung der Zukunft ist selbstverständlich auf allen digitalen Kanälen voll vernetzt, und ihre Kunden wissen das. Sie bleibt aber als stationäres Geschäft ein Platz, an dem man sich gerne trifft, um gemeinsam mit der Buchhändlerin die Informationsbeschaffung zu einem guten Ergebnis zu bringen und darüber hinaus sich mit Niveau zu unterhalten und etwas Schönes zu erleben.

Danke, dass Sie sich Zeit für meine Fragen genommen haben. Ich denke mal, einige Aspekte werden am 3. Juni auch Thema sein.

_________________________________________________________________________________________________

Am Freitag geht’s an dieser Stelle weiter mit Stefan Weidle.

Zum Gespräch mit Lorenz Borsche von eBuch geht es hier und Zoë Beck  steht mir im Zusammenhang mit der Diskussionsrunde „Wie groß ist die Zukunft des Buches?“ hier Rede und Antwort

Ein Kommentar zu “„Der Buchhandel wird dieses Geschäft anders betreiben als früher, aber er wird es weiter tun.“ Im Gespräch mit Boris Langendorf

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Google Foto

Du kommentierst mit Deinem Google-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.