„In früheren Zeiten hätte man das anarchistisch genannt.“ – SteglitzMind stellt Bernhard Rusch vom TTR-Verlag vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Ich freue mich sehr, dass Bernhard Rusch heute Rede und Antwort steht. Er verlegt die Zeitschrift applaudissement und gründete dafür eigens den TTR-Verlag.

Seit wann gibt es den Verlag?

Der TTR-Verlag wurde als Privatunternehmung im Jahr 1988 von mir in Regensburg gegründet. Seit 1990 ist sein Sitz in München.

Warum wurde er ins Leben gerufen?

Bernhard Rusch mit Elzemieke de Tiége vor einem Bild von Jenny Schminke © Susanne Nawroth

Bernhard Rusch mit Elzemieke de Tiége vor einem Bild von Jenny Schminke © Susanne Nawroth

Um Werke von Schriftstellern und Künstlern der Künstlergruppe „applaudissement“ zu publizieren, hauptsächlich in der seit 1988 mit bisher 18 Nummern herausgegebenen, gleichnamigen Zeitschrift. Daneben konnten vier sogenannte Rundbriefe, ein Almanach, ein Gedichtband und diverse Werbedrucksachen veröffentlicht werden. Lieferbar sind noch die Nummern 17 und 18 sowie der Prospekt zur Nummer 18, alles nur als Druckausgabe. Veröffentlicht wurden Bild- und Text-Beiträge von etwa 50 Personen.

Für was steht TTR?

Naja, die Namenfindung ist 27 Jahre her. „TTR“ stand für „applaudissemenT isT größeR“.

Machen Sie alles alleine?

Als Dienstleister fungierten diverse Copy-Shops und eine Online-Druckerei. Bei Druck, Gestaltung und Herausgabe haben über die Jahre sporadisch etwa 10 Personen aktiv mitgewirkt.

Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?

Ein Verlag war eine notwendige Basis für die Verwirklichung unseres künstlerischen Konzepts. Das auf dem Nebeneinander von Text und Bild beruht.

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Da ich keinem persönlichen wirtschaftlichen Zwang unterliege (außer dem, halbwegs kostendeckend zu arbeiten), kann ich über den Verlag meine Ideen bzw. die meiner Beiträger verwirklichen.

Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?

Die Digitalisierung ermöglicht die Ausdehnung des Wirkungskreises über entsprechende Netzwerke und individuelle Kontakte, den Austausch von Beiträgen ohne Qualitätsverlust sowie ein erleichtertes und gleichzeitig verbessertes Layout. Dies alles im Vergleich zu dem Zustand, als mit Schreibmaschine geschrieben wurde. Beiträge auf dem Postweg verschickt werden mussten. Die Layout-Arbeiten mit Schere und Klebstoff erfolgten. Formatänderungen ohne Verlust praktisch nicht möglich waren. Die Frage, ob ein Foto gelungen war, bis zur Abholung der Abzüge spannend blieb usw.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

Ich mache das, was ich will. Konkurrenz habe ich keine, da unsere Zeitschrift im Wesentlichen aufgrund individueller Überzeugung gekauft wird. Was bedeutet, dass eine Kaufentscheidung für „applaudissement“ keinen Einfluss auf den Kauf anderer Druckerzeugnisse hat.

So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Da der Verlag nur einen sehr eingeschränkten Zweck hat, sehe ich auch aus heutiger Sicht keine grundsätzlich andere Herangehensweise. Und sogar die mangelnde Professionalität in der Anfangszeit würde ich nicht als Problem interpretieren. Denn dadurch haben wir zwar Fehler gemacht. Aber auch unglaublich viel gelernt.

Wie gewinnen Sie Autoren?

Indem ich sie um Beiträge bitte. Das kann sich aus Gesprächen ergeben. Oder ich stoße auf mir interessant erscheinende Persönlichkeiten und schreibe sie dann einfach an.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Der Vertrieb erfolgt nach dem Prinzip „Freunde und Freunde der Freunde“. Sowie bei entsprechenden Veranstaltungen, was heiß Lesungen oder Ausstellungen.

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Nichts. Da wir keinen Aufhänger haben, der einen anonymen Interessenten tatsächlich zum Kauf animieren könnte. Außer in sehr vereinzelten Ausnahmefällen.

Wie halten Sie es mit Amazon?

Nachdem es keinen anonymen Markt für applaudissement gibt, spielt das keine Rolle.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Ich unterhalte seit Ende Juli eine Facebook-Seite, verteile gelegentlich Werbematerialien. Und kommuniziere ansonsten individuell mit Interessenten und „Meinungsführern“.

Wie halten Sie es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?

Hat keine Bedeutung für mich.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Ich mache es zunächst für meine Beiträger und mich selbst. Es soll eine für alle nutzbare Referenz sein. Die weitergehende Idee, darüber Diskussionen über Kunst und Kultur (teilweise auch politische Themen) anzustoßen, scheint ebenfalls ansatzweise zu funktionieren (zumindest zeigt das angelaufene Facebook-Experiment, dass deutlich mehr Nutzer als die Abonnenten erreicht werden). Eine weitergehende Wirkung wird aber dadurch erschwert, dass in Deutschland sich eine entsprechende übergreifende intellektuelle Gruppe oder Geisteshaltung aufgrund der Unzahl zu bedienender Nischen nie bilden konnte. Und damit die angesprochenen bzw. anzusprechenden Personen sich gegenüber „applaudissement“ meist als singuläre Individuen verstehen. Und so wäre dann auch unsere Nische zu umschreiben. In früheren Zeiten hätte man das anarchistisch genannt.

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

Nachdem wir die Gesellschaft nicht ändern werden, besteht unsere Chance in einem organischen Wachstum. Vielleicht erlangen wir über den Erfolg des einen oder anderen Beiträgers vorübergehende Bekanntheit. Und vielleicht können wir die mit der Hugo-Ball-Gesellschaft begonnene, lockere Form der Zusammenarbeit auch auf andere übertragen.

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

Ein Risiko im wirtschaftlichen Sinne besteht nicht, kann nicht bestehen. Somit liegt das größte Risiko darin, dass ich keine Lust mehr habe und aufhöre…

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

Ich würde – insbesondere auf uns selbst bezogen – nicht von „Szene“ sprechen. Denn die eigenständigen – manchmal auch konträren – Ziele dieser von viel Idealismus getragenen Verlage lassen als Gemeinsamkeit nur die Herausgabe von Inhalten und Formen erkennen, die nach den reinen Marktgesetzen eigentlich gar nicht erscheinen dürften. Und ich möchte ergänzen, dass für mich Idealismus ein subjektiver Begriff ist. Es gibt genug Kleinverleger, deren Zielrichtung ich keineswegs unterstützen kann (mal ganz abgesehen von propagandistischen Machwerken politischer Extremisten).

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Letztendlich dasselbe wie für jede Unternehmensgründung: sich klar machen, welche wirtschaftlichen Erfolge man mit welchem Aufwand erreichen will. Und vor allem auch einen realistischen Blick auf die Möglichkeiten entwickeln. Also wissen, dass 200 verkaufte Exemplare bei Lyrik schon ganz gut sind, dass ein Krimi-Bestseller nicht aus dem Nichts kommt, dass sich auch Gutes nicht von alleine verkauft usw.

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Ich kenne zu wenige, um hier irgendeine Empfehlung abgeben zu wollen…

Herzlichen Dank, Bernhard Rusch, für diesen Einblick.

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

Der TTR-Verlag im Netz:

Homepage: www.ttr-verlag.jimdo.de

Fanseite bei Facebook: https://www.facebook.com/pages/applaudissement/825794347432742?fref=ts

3 Kommentare zu “„In früheren Zeiten hätte man das anarchistisch genannt.“ – SteglitzMind stellt Bernhard Rusch vom TTR-Verlag vor

  1. Sehr aufschlussreiches Interview! Wesentlich für Leser und Kunden wie mich ist, erstmals direkt von Herrn Rusch mehr über die strategische Ausrichtung des TTR Verlages zu erfahren. Davon war bisher relativ wenig bekannt.
    Herzliche Grüße H. Brünner

  2. Lieber Bernhard!
    Habe mit großem Interesse das Interview gelesen: Ein, zwei Fragen (nicht die Antworten!) haben mich ja fast an Loriots Astronauteninterview erinnert, z.B. die Bedeutung von Amazon für den Verlag, aber – Spaß beiseite – es hat mir gut gefallen und ich wünsche dir viel Elan, gute Unterstützung und weitere anregende Nummern 19ff; denn: applaudissemenT isT größeR!
    Herzliche Grüße (am Nichthalloweenreformationsabend),
    Peter Adacker

  3. Hallo Bernhard,

    tolles Interview. Verlage wie dein „TTR“ sind überaus wichtig, da sie der Verödung und Gleichrichtung unserer Verlagslandschaft kreativ entgegenwirken. Nur weiter so!

    Herzliche Grüße
    Josef Hader

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