„Verlagsein ist geil!“ – SteglitzMind stellt Jasper Nicolaisen vom Verlag das Beben vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Ich freue mich sehr, dass Jasper Nicolaisen dabei ist. Er spricht für den Berliner Verlag das Beben, den ein Team betreibt. Vorgeschlagen hatte das Karlheinz Schlögl, der gemeinsam mit Hannes Riffel den Golkonda-Verlag verantwortet.

Für was steht das Beben?

das Logo © Verlag das Beben

das Logo © Verlag das Beben

Den Verlag das Beben gibt es seit Herbst 2013. Wir veröffentlichen Novellen zeitgenössischer deutschsprachiger Autorinnen und Autoren, und zwar ausschließlich als kopierschutzfreie E-Books. Bei der Programmgestaltung gilt: erlaubt ist, was uns gefällt. Ob Genre oder Hochliteratur, ob ernst oder komisch, ob experimentierfreudig oder Seitenfresser, uns kommt alles in die Tüte – nur gut muss es sein. Und was gut ist, entscheidet unsere Redaktion aus Autorinnen, Buchhändlern, Übersetzern und anderen Buchgeschädigten nach dem Konsensprinzip. – Dabei herausgekommen ist bisher eine bunte Mischung aus etablierten Autoren und Autorinnen, absoluten Newcomern und streng genommen gar nicht existenten Leipziger Literaturschwerstarbeiterinnen, die von Sciencefiction über Gentrifizierungssatire und Collagenovelle bis hin zur Zivilisationsparabel alles abgeliefert haben.

Die Highlights im Bücherjahr…

Unsere Highlights der letzten Monate sind „Lügenvögel“ von Karla Schmidt, ein Buch über Angst vor dem Weltuntergang und die Hilfe der Kunst, „H-Null. Ein Deutschlandmärchen“ von Marcus Hammerschmitt, ein Buch über das wahnsinnige Vorhaben, das eh schon ziemlich wahnsinnige Deutschland in ganz klein noch mal nachzubauen, und „Ein Totes im See´bolo“ von Gecko Neumcke, ein Buch über die Welt nach der anarchistischen Revolution und einen Kriminalfall unter alten Revolutionären.

Warum musste es in diesen Zeiten unbedingt ein Verlag sein?

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass die Welt alles andere dringender braucht als noch einen Verlag. Trotzdem waren wir alle unzufrieden mit der Bücherwelt. Wir kannten so viele tolle Bücher, die in den Schubladen vergammeln mussten, nur weil sie in keine Marktnische passten. Wir mussten zu oft hören, dass ein Buch, das sich nicht 10 000 mal verkauft, sich einfach nicht lohnt. Wir fanden die Spitzentitel der Spitzenverlage oft gar nicht so spitze, und die zweite Reihe hauptsächlich ordentlich eingereiht. Also haben wir halt einen Verlag gegründet, der antritt, alles schöner und besser zu machen. Der typische idealistische Quatsch eben. Da wir aber alle nicht mehr total frisch aus dem Sekretärinnenseminar waren, wussten wir wenigstens von vornherein, dass wir uns keine Reichtümer erträumen durften. Also, erträumen schon, aber halt nicht bekommen. Außerdem wollten wir was Interessantes mit E-Books machen. Und kürzere Bücher, die man gut auf einer Zugfahrt durchbekommt, aber hinterher gerne noch mal lesen möchte. Elektronovellen eben.

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Jasper Nicolaisen  © Verlag das Beben

Jasper Nicolaisen © Verlag das Beben

Aus dem schönen Gefühl, die tollsten Autorinnen und Autoren zu verlegen, von denen noch nie jemand was gehört hat. Oder die Werke bekannter Schriftsteller, die bei Verlagen, die zur Kalkulation gezwungen sind, nicht unterkommen. Karla Schmidt darf bei uns schreiben wie der junge David Bowie, Marcus Hammerschmitt sich über Deutschland lustig machen, und die anderen alles noch besser machen. Wenn wir mal keine Lust mehr haben, denken wir uns: „Wir wären aber schön blöd, so ein Programm nicht weiter zu machen.“ Und wer will schon blöd sein? Wir jedenfalls nicht.

Hätten Sie sich auch ohne die Innovationen infolge der Digitalisierung eine Verlagsgründung zugetraut?

Ohne die was infolge der was? Wir haben uns eigentlich überhaupt keine Verlagsgründung zugetraut. Wir wussten, man muss irgendwohin und irgendwas eintragen lassen. Die Notarin hat schon komisch geguckt. Das sollte irgendwie 700 Euro kosten. Wir sind dann woanders hin gegangen, da ging es plötzlich. Einer von uns macht zum Glück gerne Steuererklärungen, die anderen haben andere Spleens. Mit Digitalisierung hat das hoffentlich nichts zu tun.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

Wir machen ausschließlich gute Bücher. Klingt flapsig, aber die Betonung liegt auf „machen“. Wir streiten sehr ausgiebig über unser Programm und arbeiten mit vielen der Autoren und Autorinnen noch ziemlich an den Texten. Nicht im Sinne von: Das muss jetzt mehr gestreamlined werden, sondern: das kann noch mehr der Text sein, der er sein will. Wir nehmen uns recht viel Zeit pro Buch. Oder machen die anderen das auch alle? Uns kam das besonders vor.

So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Wir würden uns, glaube ich, deutlicher darüber verständigen, was die Erfolgsbedingungen für jede und jeden von uns sind. Als wir die ersten Zahlen hatten, hat sich doch herausgestellt, dass nicht alle die gleiche Definition von „einem sehr bescheidenen Erfolg“ als Ziel des Verlages hatten. Von „hatte ich mir genau so vorgestellt“ über „Wahnsinn! Ich dachte, das kaufen eh nur zehn Leute“ bis hin zu „ein paar Tausend hätten es schon sein dürfen“ war alles dabei. Zweitens: wenn wir alles noch mal machen könnten, würden wir warten, bis E-Books und Literatur selbstverständlicher zusammen gehen und auch die Vertriebsstrukturen und PR-Kanäle klarer sind. Wir sind da in eine große Aufbruchsbewegung geraten, die uns etwas überfordert hat.

Wie gewinnen Sie Autoren?

Da wir alle berufliche Vorerfahrungen rund um die Bücherwelt hatten (und immer noch richtige Berufe in dieser Welt außer dem Beben haben), kennen wir viele Leute, die man fragen kann oder von denen wir wissen, dass sie gerne mal in der kürzeren Form ohne allzu große Vorgaben schreiben würden. Daneben erreichen uns auch erstaunlich viele Einsendungen hoffnungsvoller Jung- oder AltautorInnen. Das ist wunderbar, aber auch etwas problematisch, weil die meisten davon nichts taugen, und die, die was taugen, bei unserer Zusage oft schon einen anderen Verlag gefunden haben. Die sind ja auch nicht blöd und schreiben nur ans Beben.

Das Dilemma mit den Unverlangten…

das Beben Gecko Neumcke Ein TotesAm interessantesten von den Unverlangten, die im Mailfach gelandet sind, waren für uns die Manuskripte, über die wir ins Streiten gekommen sind. Wir hatten zwei, drei Fälle, deren Qualität unbestreitbar war, die aber aufgrund irgendwelcher Geschmacksfragen bei mindestens einem aus der Redaktion auf erbitterten Widerstand gestoßen sind. Ich möchte hier an dieser Stelle noch mal dazu aufrufen, dass vor allem männliche, junge Autoren mit großer literarischer Begabung bitte mal von dem Gedanken wegkommen mögen, der Weg zum Erfolg führe über irgendwie abgefuckte Tarantino-Berlin-Hipster-Sexquatsch-Novellen. Jedenfalls nicht bei uns. Es war schon traurig, dass in mehreren Fällen eigentlich gute Bücher durch so eine tatorthafte Möchtegernhärte ruiniert wurden.

Ein hervorragendes Manuskript hatte ein bisschen so das umgekehrte Problem und war bei aller schreiberischer Könnerschaft zu nahe dran an Bridget Jones. Auf unsere flehentliche Bitte (wir wollten es echt gern bringen), doch wenigstens Gossip Girl draus zu machen, schallte Not-Amused-Sein zurück. Wild, das Verlegerdasein!

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Die meisten Bücher verkaufen wir über unseren eigenen Webshop. Die zweitmeisten über Amazon. Minimore.de ist ein sympathischer Kleinvertrieb für Indie-E-Books, der uns auch führt. Alles andere läuft unter ferner liefen

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Wenn wir im Buchhandel mit unseren E-books ankommen, gucken die uns im besten Fall an, als wollten wir denen ein Mondgrundstück verkaufen. „Buch? Buch? Ich seh´ kein Buch! Das riecht ja gar nicht nach Druckerschwärze und ich kann es auch nicht in meine repräsentative Billy-Bücherwand einreihen, wenn mal Freunde aus der Kulturszene zu Besuch kommen, um über Herbert Grönemeyer zu parlieren.“ So ungefähr. Wir hatten mal Geschenkkarten mit Gutscheincodes, die haben manche genommen. Aber ich habe auf Twitter gelesen, die Zukunft des digitalen Buchmarktes liege ganz bestimmt nicht in Kärtchen mit Downloadcodes für Buchhandlungen. Da habe ich mich etwas geschämt.

Wie halten Sie es mit Amazon?

Marcus Hammerschmidt_ Ho_Wir verkaufen am zweitmeisten Bücher über Amazon. Ehrlich gesagt hat man in punkto Amazon nur eine Wahl, wenn man E-Books verkaufen will. Man kann sie bei Amazon anbieten oder gar nicht. Weil sich E-Books halt de fakto nur über Amazon verkaufen.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Wir bespielen ganz fleißig diese sozialen Netzwerke und alles, wo wir schon ganz viele Follower haben… Im Ernst, das muss man natürlich machen als E-Book-Verlag. Aber wirkliche Spitzen in den Verkäufen beobachten wir, wenn wir in ganz verschnarchten, traditionellen Printmedien landen. Oder im Radio. Einmal war was auf Deutschlandfunk, da ist das Buch für unsere Verhältnisse gleich durch die Decke gegangen. Dass man über irgendwelches Crowdfunding und Viral Marketing und Social Network-Gerödel ganz groß rauskommt, ist ungefähr genauso wahrscheinlich, wie als Band mit einem YouTube-Video und einer MySpace-Seite zu Weltruhm zu gelangen. Was auch was bringt, sind Lesungen. Wir machen also elektronische Bücher mit ganz analogen Werbemaßnahmen.

Wie halten Sie es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?

Ich glaube, die haben ihrer Zeitung mal nett über uns geschrieben, weiß es aber nicht mehr genau. Sorry.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Wir machen Bücher für Leute, die ungewöhnliche Sachen lesen möchten, aber trotzdem gut unterhalten werden wollen. Also tendenziell für Vielleser und Auskennerinnen, die sich aber trotzdem keine elitäre Attitüde zugelegt haben. Leute, die sich nicht zu fein sind, sich zu gruseln, eine Träne zu vergießen oder die Bahnstation zu verpassen, wenn sie in einem unserer Bücher festhängen. Die aber zugleich neugierig auf Bücher sind, bei denen man merkt, dass man liest, weil der Text nicht mit allen Mitteln versucht, sich unsichtbar zu machen, weil man am liebsten denken soll: „Huch, das ist ja Kino oder alle anderen Bücher, die ich schon kenne!“

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

das Beben Karla Schmidt LügenvögelIn der Normalisierung von E-Books, vor allem bei Medienleuten. Wenn eines Tages Rezensionen und Berichte nur noch im Kleingedruckten erwähnen, ob das jetzt ein E-Book ist, von einem Printverlag oder im Self-Publishing, dann haben wir es leichter.

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

Das größte Risiko für uns ist eigentlich, dass wir eines Tages sagen, so schön diese Texte auch sind, aber die Arbeit wird uns zu viel. So lange wir Lust drauf haben, können wir ewig weitermachen. Segen und Fluch des digitalen Publizierens.

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

Ich kenne eigentlich keine Independent-Szene. Ich lese manchmal im Internet so Debatten über E-Books und wie die alles durcheinander bringen und ob jetzt E-Book-Verlage gewissermaßen von unten an den lieben, alten Printverlagen nagen, die von oben schon von Amazon mit der Bohrmaschine bearbeitet werden, aber ich habe das Gefühl, das ist eine Diskussion, die, um es mal im Merkel-Duktus zu sagen, nicht unsere Diskussion ist. Wir wollen Bücher machen, die uns gefallen. Dass das E-Books sind, ist mehr oder weniger Zufall. Independent ist halt auch nur ein anderes Wort für mittellos. Doch! Einen Independet-Verlag kenne ich. Golkonda aus Berlin. Dort gibt es immer sehr schöne Gartenpartys.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Bloß bleiben lassen! Ganz ohne Ironie, mir fällt kein vernünftiger Grund ein, warum man das machen sollte. Aber das werden den hoffnungsvollen Verlagsgründern eh schon alle sagen. Und wenn sie´s wirklich machen wollen, werden sie nicht drauf hören. Insofern: Daumen hoch, Jungs und Mädels, hört nicht auf die! Verlagsein ist geil! Seht bloß zu, ernst gemeinter Ratschlag, dass ihr da keine nennenswerten Summen investiert. Sich ruinieren für den Spaß ist es nicht wert.

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Ich empfehle Golkonda, den Karlheinz Schlögl hier ja bereits vorgestellt hat, Verbrecher Verlag (obwohl, die sind nicht so klein, oder?), den Wiener Milena Verlag, Medusenblut. Ja, der sollte hier auch zu Wort kommen.

Danke vielmals, Jasper Nicolaisen, es war mir ein Vergnügen.

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

Verlag das Beben  im Netz:

Die Verlagsseite mit Programm, Blog, ausführlichen Leseproben, Autorenporträts und Laden: http://verlagdasbeben.de/

Als @VerlagdasBeben bei Twitter

https://www.facebook.com/verlagdasbeben versammelt die Anhängerschaft

2 Kommentare zu “„Verlagsein ist geil!“ – SteglitzMind stellt Jasper Nicolaisen vom Verlag das Beben vor

  1. Hallo Michael, natürlich habe ich auch Dein Interview gelesen, selbstredend. Das ist doch mal eine interessante Interviewserie. Ich schicke sie mit Deinem Einverständnis weiter. Ich hoffe, es geht Dir einigermaßen. Seltsam, dass es bei vielen gerade so schwierig läuft. Du bist ja noch verpeilter als ich. Es kommen auch wieder bessere Zeiten (Sag ich seit 2,3,4 Jahren…..) Liebe Grüße Dagmar

  2. Ein wunderbar kurzweiliges Interview mit einem humorvollen und coolen Verleger.
    Laut gelacht habe ich bei diesen Passagen:

    „Ich möchte hier an dieser Stelle noch mal dazu aufrufen, dass vor allem männliche, junge Autoren mit großer literarischer Begabung bitte mal von dem Gedanken wegkommen mögen, der Weg zum Erfolg führe über irgendwie abgefuckte Tarantino-Berlin-Hipster-Sexquatsch-Novellen.“

    „Wenn wir im Buchhandel mit unseren E-books ankommen, gucken die uns im besten Fall an, als wollten wir denen ein Mondgrundstück verkaufen. „Buch? Buch? Ich seh´ kein Buch!“

    Das zweite Zitat hätte allerdings auch von mir sein können! 😉

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