Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?
Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute stellt sich ihnen Boris Koch, der Medusenblut – einen Verlag für dunkle Phantastik gründete. Vorgeschlagen hatte das Jasper Nicolaisen vom Berliner Verlag das Beben.
Seit wann gibt es Medusenblut?
Alles begann 1996 mit vierzigseitigen Heften in 100er Auflage als Privatdruck. Anfang der Nullerjahre waren es dann Bücher mit ISBN und ohne Limitierung auf 100 geworden, und dabei ist es bis heute geblieben.
Machen Sie alles alleine?
Feste Mitarbeiter gibt es neben mir keine, das wäre bei der geringen Verlagsgröße auch wirklich übertrieben. Doch werde ich regelmäßig von befreundeten Kollegen unterstützt, vor allem von Kathleen Weise von Textwache beim Lektorat, Korrektorat und sonstigem Rat, von Franziska Knolle bei der Herstellung und von dem Autor Michael Tillmann bei diversen Auftritten bei Messen und auf Cons.
Die Programmschwerpunkte?
Programmschwerpunkt ist die dunkle Phantastik, überwiegend in Form von Erzählungsbänden deutschsprachiger Autoren.
Ihre Highlights?
Mein Highlight im Bücherjahr gibt es leider nicht, da 2014 kein neuer Titel erschienen ist. Die Zeit, die für den Verlag blieb, floss in die Digitalisierung, sprich: Die ersten Titel sollen demnächst auch als e-book lieferbar sein. 2015 folgt dann wieder ein neuer Titel, für 2016 habe ich zwei im Blick. Und da gilt dann: Bei der geringen Titelzahl ist jeder Titel für mich ein Highlight.
Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?
Es sollte ja gar nicht. Eigentlich war ich als Herausgeber einer Phantastikreihe im Heftformat in einem Kleinverlag vorgesehen. Als ich die ersten Titel zusammen hatte, machte der Verlag einen Rückzieher und ich wollte die Autoren nicht hängen lassen. Also sagte ich: Krieg ich hin und hab die Sache allein aufgezogen.
Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?
Ganz banal gesagt: Medusenblut ist zum einen zu klein für die sattsam bekannten Schwierigkeiten, zum anderen bin ich nicht auf Einkünfte aus dem Verlag angewiesen, was zu großer Freiheit in der Titelauswahl führt. Verlegen bedeutet dann aber auch Verantwortung gegenüber den Autoren, wenn ich also ein Buch mache, muss ich mich auch dafür engagieren, Schwierigkeiten hin oder her.
Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?
Die banalsten Dinge haben sich geändert: Ich maile mit meinen Autoren anstatt ihnen Briefe zu schreiben. Der Verlag hat eine Website mit direkter Bestellmöglichkeit und Newsletter anstatt ein Programm aus Papier an Stammkunden zu verschicken. Bei Lesungen und anderen Veranstaltungen wird die Papierform jedoch selbstverständlich verteilt. Buchhandlungen bestellen per Mail, nicht per Fax oder Anruf. Bücher werden online besprochen und weniger in Fanzines.
Aber da diese Verschiebungen ja auch im Alltag geschehen sind, nehme ich das nicht groß als Veränderungen im Verlag wahr. Im Kern sind die Tätigkeiten ja die gleichen geblieben.
Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?
Ich glaube nicht, dass ich vieles ganz bewusst anders mache, ich denke, bei uns kleinen und winzigen Verlagen wird vieles einfach automatisch durch die handelnden Personen geprägt. Das fängt bei der Programmgestaltung an, die sehr viel subjektiver ist als bei großen Verlagen, und geht weiter über alle möglichen persönlichen Kontakte, die jeder im Lauf der Zeit aufgebaut hat, sei es in der Presse, bei Veranstaltern oder bei Graphikern zur Covergestaltung.
Dadurch dass ich selbst von Anfang an auch Autor war, habe ich – das dürfte ein Unterschied zu vielen anderen sein – immer versucht, Lesungen zu bekommen und dort dann das Verlagsprogramm ans Publikum zu bringen. Auch wenn ich mehr andere Autoren als mich selbst verlegt habe, war so immer eine Verzahnung meiner beiden Tätigkeiten gegeben. Überhaupt war ich viel auf diversen kleinen Veranstaltungen, von der Minipressen-Messe in Mainz über Musikfestivals und Horrorfilmtreffen bis zu kleinen Cons der Phantastik- oder Spieleszene. Einmal auch auf der Leipziger Buchmesse, aber die großen Messen sind mir als Aussteller eigentlich zu teuer, da man keine Bücher direkt verkaufen darf.
Da ich als Autor in den letzten Jahren überwiegend Kinder- und Jugendbücher schreibe, aber bei Medusenblut dunkle Phantastik für eher erwachsene Leser verlege, ist diese Verzahnung natürlich inzwischen begrenzt erfolgreich. Ich kann ja schlecht bei Schullesungen in der sechsten Klasse Medusenblut-Programme verteilen…
So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?
Da ich damals zu Studienzeiten eher reingestolpert bin und weder das Heftformat noch die Limitierung meine Idee war, würde ich vermutlich vieles anders machen. Entscheidend war für mich damals aber, dass ich mich irgendwann entscheiden musste, ob ich mich in erster Linie als Autor oder Verleger sehe. Was treibe ich stärker voran, wo stecke ich neben dem Studium mehr Energie rein? Es war klar, dass das Schreiben immer Vorrang hatte, so gern ich den Verlag betrieb. Am Ende musste das Studium dran glauben, trotzdem kam der Verlag immer an zweiter Stelle, er konnte also eine bestimmte Größe nie überschreiten.
Die Entscheidung für das Schreiben würde ich jederzeit wieder so treffen, von dem her wäre es wahrscheinlich am Geschicktesten, mir zwei, drei Partner zu suchen, damit der Verlag nicht ganz so von mir abhängig ist und von meiner begrenzten Zeit beschränkt wird.
Wie gewinnen Sie Autoren?
Ich spreche sie an. Ich hoffe, ich unterschlage jetzt nicht jemanden, aber meiner Erinnerung nach habe ich lediglich Andreas Gruber aus den unverlangt zugesandten Manuskripten gefischt. Ich weiß noch, dass ich ihn damals auf der Baumesse gelesen habe, auf der ich als Student über Nacht als Standwächter gejobbt habe. Alle anderen habe ich für mich in Fanzines und Anthologien entdeckt oder auf (gemeinsamen) Veranstaltungen kennengelernt, dann bewusst mehr von ihnen gelesen, so weit erhältlich, und sie schließlich angesprochen, ob sie Lust hätten, ein Buch bei mir zu machen. Nach dem ersten kam dann in verschiedenen Fällen – etwa bei Christian von Aster, Michael Tillmann und Michael Siefener – auch ein zweites oder drittes Buch dazu.
Viele von den Autoren veröffentlichen inzwischen auch anderswo, aber es existiert doch ein grober Stamm, aus dem auch die nächsten Veröffentlichungen kommen. Da ich nur wenige Titel veröffentliche, weniger als noch vor acht, neun Jahren, bleibt eigentlich kein Raum für neue Autoren. Leider. Aber ein, zwei habe ich schon noch im Blick…
Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?
Überwiegend sind es Direktbestellungen; inzwischen habe ich einen gewissen Kundenstamm. Dazu kommen Bestellungen aus dem Buchhandel, gerade wenn in einem größeren Magazin eine Rezension erschienen ist oder eine Veranstaltung war. Dann gibt es in Berlin etwa die Otherland Buchhandlung, die mein komplettes Programm auf Lager hat. Zumindest meistens… Dazu kommen kleine Händler wie Storisende. Der Direktversand ist bei Neuerscheinungen manchmal anstrengend, aber sonst über das Jahr ganz entspannend, hier und da zum Feierabend bei schöner Musik ein, zwei Bücher einzupacken.
Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?
Außerhalb von Spezialbuchhandlungen gibt es quasi keine Chance ins Sortiment aufgenommen zu werden. Michael Tillmanns „Heavy-Metal-Phantastik“ hatte ich mal im EMP Mailorder, ansonsten sind es überwiegend Einzelbestellungen vom Buchhandel, sprich: Ein Kunde hat es vor Ort konkret verlangt.
Wie halten Sie es mit Amazon?
Ich hab keinen besonderen Deal mit ihnen, aber wenn die Bücher dort verkauft werden, habe ich auch nichts dagegen.
Was tun Sie für Ihr Marketing?
Die oben angesprochenen Auftritte sind noch immer ein wesentlicher Bestandteil. Dazu kommt Pressearbeit, sprich Rezensionen, und eventuell hier und da eine Anzeige, wobei dafür das Budget sehr beschränkt ist. Die eigene Website, Newsletter, bei Bucherscheinen eine Info an diverse Websites, die sich dafür interessieren könnten.
Wie halten Sie es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?
Ich überfliege den täglichen Newsletter.
Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?
Ich denke weder an Zielgruppen noch an Marktnischen, das ist für mich der falsche Ansatz. Durch das Verlagsprofil bin ich auf dunkle Phantastik festgelegt, das kann aber auch SF sein, vom Social Beat inspiriert wie bei Michael Tillmann, in der linken Szene verortet wie bei Jakob Schmidt oder völlig durchgeknallte Gaga-Fantasy mit formalen Spielereien wie in Simon Weinerts „Der Drache regt sich“. Oder nur bedingt besinnliche Weihnachtsgeschichten aus unserer Lesebühne „Das StirnhirnhinterZimmer“.
Entscheidend ist aber, dass ich immer vom konkreten Buch ausgehe. Gefällt es mir, kann ich in ihm etwas Besonderes sehen, sehe ich hier eine eigene Stimme des Autors? Dann lohnt sich das Buch. Auch im Lektorat wird nicht an Zielgruppen oder den Markt gedacht. Da geht es zwar natürlich auch um die Wahrnehmung des Lesers, aber nicht auf Glättung um des potenziellen Erfolgs willen. Erst wenn das Buch steht, wird an den Verkauf gedacht.
Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?
Für jedes Buch woanders.
Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?
Dass ich nicht von ihm abhängig bin. Das gibt mir zwar alle Freiheiten, kann jedoch auch zu einer nachlässigen Einstellung führen.
Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?
Vieles, vor allem die Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen.
Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?
Einmal darüber schlafen. Dann nochmal. Wenn man dann noch will, sich gründlich informieren und einfach ausprobieren.
Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?
Viele selbstverständlich, und viele stehen auch schon in Ihrer Liste. Vermisst habe ich dort jedoch noch mindestens Onkel & Onkel und Liebeskind.
Vielen Dank für diesen Einblick.
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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier
Medusenblut im Netz:
www.medusenblut.de: Der Verlag mit vollständigem Programm. Der Shop fehlt noch, aber Direktbestellungen gehen trotzdem unkompliziert per Mail.
www.otherland-berlin.de: Toller Buchladen in Berlin, der Medusenblut meist vorrätig hat. Macht auch Versand.
www.lesehappen.de: Zusammenschluss von sieben Autoren, wovon sechs schon bei Medusenblut veröffentlicht haben, einschließlich mir selbst.
www.michaeltillmann.de: Medusenblut-Autor, der mich regelmäßig unterstützt und hier und da Standdienst übernimmt.
Hat dies auf Nekos Geschichtenkörbchen rebloggt und kommentierte:
Wieder ein netter kleiner Verlag.. aufpassen das man nicht zu Stein wird *kichert*