„Ich bezweifle, dass ein Verlag wie die Nautilus heute so entstehen könnte.“ – SteglitzMind stellt Katharina Picandet von der Edition Nautilus vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute steht Katharina Picandet von der Edition Nautilus Rede und Antwort. Vorgeschlagen haben das Zoë Beck und Jan Karsten (CulturBooks), Claudia Gehrke (konkursbuch Verlag) und Ingo Držečnik (Elfenbein Verlag).

 Eine Skizze vom Verlag …

Das Team v.l.n.r.: Katharina Florian, Hanna Mittelstädt, Klaus Voß, Katharina Picandet, Franziska Otto © Marie Tabuena

Das Team v.l.n.r.: Katharina Florian, Hanna Mittelstädt, Klaus Voß, Katharina Picandet, Franziska Otto © Marie Tabuena

Die Edition Nautilus hat 2014 ihr 40-jähriges Jubiläum gefeiert – am 1. April 1974 wurde sie ins Handelsregister eingetragen. Verlagssitz war immer Hamburg, 35 Jahre lang im Vorort Hamburg-Bergedorf, seit Ende 2008 in Bahrenfeld im Hamburger Westen.

Über ihr politisches Engagement sind Hanna Mittelstädt, Lutz Schulenburg und Pierre Gallissaires vor gut 40 Jahren mehr zufällig als absichtsvoll in die Verlegerei hineingerutscht: zunächst durch die Herausgabe einer Zeitschrift und diverser Flugschriften unter dem Label MAD-Verlag, der sich nach einer Klage des gleichnamigen Satireblatts in Edition Nautilus umbenannte. Seit dem unerwarteten Tod von Lutz Schulenburg im Mai 2013 führt der fünfköpfige Rest der Crew unter der ersten Steuerfrau Hanna Mittelstädt die Nautilus weiter durchs Büchermeer. Zum 1. April 2015, nach 41 Jahren, wandeln wir den Verlag in eine Mitarbeiter-GmbH um, mit dem Hersteller Klaus Voß, der Pressefrau Katharina Florian, der Vertriebsfrau Franziska Otto und Katharina Picandet, also mir, im Lektorat – und mit Hanna Mittelstädt als Elder Stateswoman und Ratgeberin.

Die Programmschwerpunkte?

»Ein Gedicht kann genauso revolutionär sein wie ein theoretischer Text.« Diese Devise hat das Programm der Edition Nautilus von Anfang an geprägt. Wir verlegen Schriften von Anarchisten und Situationisten, diese Themen sind bis heute profilgebend fürs Programm. Außerdem veröffentlichen wir Biografien und Autobiografien »gegen die Zeit«, von libertären, widerständigen Persönlichkeiten der Weltgeschichte. Wir haben eine internationale Belletristiksparte, ein renommiertes Krimiprogramm, politische Sachbücher, die Flugschriftenreihe mit Beiträgen und Manifesten zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten sowie die Kleine Bücherei für Hand und Kopf mit Texten von Künstlern und über sie. Wir decken also gewissermaßen als Riesenzwerge die Bandbreite eines großen Publikumsverlags ab, aber mit fünf Leuten und knapp 20 Titeln im Jahr. Für unser Programm wurden wir 2004 mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet, außerdem bekamen wir bereits zweimal den Verlagspreis der Freien und Hansestadt Hamburg.

Wohin geht die Reise: analog oder digital?

Wir haben im Laufe der Zeit fast 900 Titel publiziert, davon sind immerhin gut 350 noch lieferbar. Seit etwa fünf Jahren publizieren wir fast jede Neuerscheinung sowohl als Printbuch als auch als ebook und geben sukzessive auch ausgewählte Belletristik-Titel unserer Backlist als ebooks heraus.

Ihr Highlight im Bücherjahr?

Mein persönliches Highlight im Bücherjahr – das ist eine schwere Wahl, aber im Frühjahr macht für mich wohl Alle Pferde des Königs von Michèle Bernstein das Rennen: ein Skandalroman, Persiflage und Liebesroman zugleich, 1960 von Bernstein, der ersten Frau von Guy Debord, geschrieben und ein großer Erfolg, und nun zum ersten Mal auf Deutsch zu haben!

Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?

Musste es ja gar nicht! In einem Rückblick von 1975 auf die allerersten Verlagsanfänge schrieb Lutz Schulenburg: »Als wir 1971 mit der Produktion des ersten Heftes der Zeitschrift MaD begannen, dachten wir nicht im Entferntesten daran, dass sich hieraus ein Verlag entwickeln sollte. Die Zeitschrift MaD [Materialien, Analysen, Dokumente] sollte den Antiautoritären Material in der Auseinandersetzung mit den diversen Strömungen des autoritären Sozialismus liefern und andererseits zu deren Programmfindung beitragen.« Im Laufe der Zeit kam die Professionalisierung eher von selbst – bei den jüngeren Mitarbeiterinnen allerdings war die Arbeit in einem Verlag schon Berufswunsch.

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Das ist eine einfache Frage: Aus der Freude, die die Arbeit mit interessanten und interessierten Autoren immer wieder bringt, aus dem Austausch von Ideen, aus der Möglichkeit, wichtige Ideen und Texte öffentlich zu machen und so zu gesellschaftlichen Debatten beizutragen, aus der ständigen Erweiterung des Horizonts durch jedes neue Buch! In der modernen Arbeitswelt kann man unser Verlagskollektiv auch gar nicht hoch genug schätzen – ein Raum, wo sehr verschiedene Charaktere, die freundschaftlich verbunden sind, auf Tätigkeitsfeldern arbeiten, die ineinandergreifen, die kreativ etwas schaffen, mit genügend Freiraum für die eigene Persönlichkeit. Und nicht zuletzt auch die Befriedigung, die einen doch jedes Mal wieder ergreift, wenn ein neuer Titel endlich aus der Druckerei kommt, eine so schöne Frucht der Arbeit der letzten Monate.

Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?

Was die Produktion betrifft: Wir machen ebooks zusätzlich zu unseren Printausgaben, zuweilen drucken wir auch vergriffene Titel nicht nach, behalten sie aber als ebook – dadurch hat sich unsere Arbeitsweise oder Ausrichtung aber nicht verändert. Was die PR betrifft: Wir nutzen Facebook und Social Media, aber bisher nicht in einem Ausmaß, dass sich unsere Arbeitsweise dadurch wirklich verändert hätte.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

Wie alle Independent-Verlage kochen wir auch nur mit Wasser, angesichts eines quasi nichtexistenten Werbebudgets können wir nur mit Bordmitteln arbeiten. Wir legen Wert auf inhaltliche Qualität und lassen unsere Bücher für sich sprechen; ansonsten machen wir engagierte und kleinteilige persönliche Presse- und Vertriebsarbeit. Gegenüber der Konkurrenz positionieren wir uns durch die Besetzung der Nische: libertäre, anarchistische, widerständige Sachbücher und welthaltige, innovative Belletristik. Allerdings greifen die großen Verlage inzwischen oft auch nach dieser Nische, wenn z.B. David Graeber für die großen Häuser plötzlich interessant wird.

So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Nichts! Allerdings bezweifle ich, dass ein Verlag wie die Nautilus heute so entstehen könnte. Ich denke, dass das politisch-intellektuelle Umfeld der Siebziger Jahre doch sehr begünstigend war.

Wie gewinnen Sie Autoren?

Deutschsprachige Autoren finden wir durch Empfehlungen anderer Autoren oder von Freunden des Verlags, auch durch Agenturen, und ab und zu auch mal in einer unverlangten Manuskripteinsendung. Besonders im Sachbuch gehen wir auch auf Autoren zu, die interessante Beiträge oder Features in Zeitungen, Zeitschriften und Radio geschrieben haben. Wir haben auch Literaturzeitschriften und Veranstaltungsreihen mit Lesungen aus Manuskripten im Auge. Für Lizenzen aus anderen Ländern arbeiten wir mit Agenturen und befreundeten Verlagen mit ähnlichen Programmen im Ausland zusammen.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Wir haben mit fünf anderen Verlagen mit ähnlichen Programmsegmenten die Buchkooperative Konterbande gegründet, mit einem Exklusiv-Vertreter, Christian Geschke aus Leipzig, der für uns den Buchhandel in fast ganz Deutschland bereist, nur in Baden-Württemberg reist noch der „klassische“ Buchhandelsvertreter Tilmann Eberhardt für uns. Christian Geschke war lange Banker und ist ein Quereinsteiger im Buchgeschäft, er kommt bei den Buchhändlern gut an. Trotzdem ist natürlich die Anzahl der Besuchskunden in diesem Gebiet nicht zu vergleichen mit der bei einem alten Vertretermodell, sodass wir auch vom Verlag aus viel persönliche Kontaktpflege zum Buchhandel betreiben.

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Wir legen viel Wert auf persönlichen Kontakt und regelmäßigen Austausch mit den Kollegen im Buchhandel. Über Gespräche, Besuche und gemeinsame Veranstaltungen wie Verlagsabende und Lesungen bekommen wir ein Gefühl dafür, was im Handel gewünscht wird und was auch bei den Kunden gut ankommt, sodass wir dann zum Beispiel gezielt Leseexemplare verschicken können. Eine recht kleinteilige Arbeit, aber wir machen die Erfahrung, dass dieser persönliche Kontakt auch Buchhändler, die sonst nicht als erstes die Nautilus-Vorschau in die Hand nehmen, auf unser Programm und einzelne Titel aufmerksam werden lässt. Wir bemühen uns zudem, auch die Kollegen in den Filialen der „Großen“ persönlich anzusprechen, die ja nicht von den Vertretern betreut werden.

Außerdem schnüren wir mit der „Konterbande“ regelmäßig Aktionspakete unserer Spitzentitel mit Sonderkonditionen, die dem Handel die Auswahl erleichtern. In diesem Frühjahr haben wir zudem ein Schaufenster-Paket zu unserer Flugschriften-Reihe zusammengestellt, um – angezogen von zwei starken Neuerscheinungen – auch die Backlist noch einmal sichtbar zu machen.

Wie halten Sie es mit Amazon?

Wir waren einige Jahre lang Amazon-Advantage-Kunde, d.h. wir hatten einen direkten Vertrag mit Amazon und haben zu den bekannten ungünstigen Konditionen über Amazon Bücher verkauft. Wir haben damit aber auch fast ein Drittel unseres damaligen Umsatzes gemacht. Aus ideologischen und moralischen Gründen haben wir diesen Vertrag letztes Jahr wieder gekündigt, bisher wurde der Umsatz aber noch nicht über das Barsortiment wieder eingefahren. Allerdings hat Amazon auch nach der Kündigung weiterhin alle unsere Titel als lieferbar geführt, entsprechende Gerüchte, dass man für die Kündigung abgestraft würde, können wir nicht bestätigen.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Wir haben nur ein sehr begrenztes Budget für echte Anzeigen, die wir nur ganz gezielt für einzelne Titel in ausgesuchten Medien platzieren. Wir versuchen, die Öffentlichkeit über eine intensive Pressearbeit zu erreichen und organisieren außerdem verhältnismäßig aufwändige Lesereisen unserer Autoren, auch der ausländischen. Zwar schlägt sich das nicht immer unmittelbar in den Verkäufen nieder, eher gibt es eine erschütternd hohe Remissionsquote, aber es gibt oft doch wieder Presseaufmerksamkeit und eben gute Kontakte zum Buchhandel. Und wir geben uns viel Mühe mit Werbemitteln und kleineren PR-Aktionen. Außerdem unterstützen wir den Indiebook-Day im März.

Wie halten Sie es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?

Wir sind Mitglied im Börsenverein und schätzen seine Arbeit; das Börsenblatt ist wichtige Informationsquelle. Wir nutzen auch immer wieder die Rechtsberatung und gelegentlich die angebotenen Seminare.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Ja, wie schon gesagt: Unsere »Marke« sind libertäre, anarchistische, widerständige Sachbücher und welthaltige, innovative Belletristik. »Zielgruppen, die es wirklich gibt«, dieses Ratespiel ist auch bei den Programmkonferenzen immer sehr beliebt. Wir machen da keine Erhebungen, aus dem Bauch heraus geschätzt und wie auf Messen und Verlagspräsentationen erlebt, würde ich sagen, im Sachbuch ist unser Publikum eher jung, 20-45, engagiert bis aktivistisch, ziemlich belesen bis akademisch gebildet, umfassend interessiert an gesellschaftlichen Alternativen, eher an einer Änderung der Verhältnisse interessiert als an einem bloßen Zetern darüber oder gar an einem möglichst geschmeidigen Einrichten in den Verhältnissen. Und so kann man wohl auch das Programm charakterisieren!

In der Belletristik habe ich mehr Schwierigkeiten, die Leser einheitlich zu fassen, sicherlich ist die Zielgruppe für Abbas Khider eine andere als die für Gail Jones, auch wenn es zweifellos Überschneidungen gibt. Wir machen eben das Ungewöhnliche für Leute mit Entdeckerlust!

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

In unserer Mischung aus Sturheit und Anpassungsfähigkeit! Wir haben eine lange, solide und anerkannte Tradition, für die wir bekannt sind und die man an uns schätzt, das ist unser Profil. Der Verlag hat sich aber nie eine Zensur aufgelegt, ist immer offen und neugierig geblieben für gesellschaftliche Veränderungen und neue Ideen, das ist ja gerade bei politischen Verlagen nicht immer der Fall. Um unseren frühen Autor Thorwald Proll zu zitieren: »Jetzt [und immer schon] kommt es darauf an, in der geballten Faust nicht das Fingerspitzengefühl zu verlieren«!

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

Vor allem die dünne Kapitaldecke, die mehr als eine Fehleinschätzung pro Programm nicht erlaubt, und eigentlich auch nicht einmal das… Wir sind für Gönner und Förderer immer offen!

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

Die inhaltliche Qualität, wie sie sich sehr gut in den Katalogen der Kurt-Wolff-Stiftung zeigt. Und den freundschaftlichen Austausch über die ökonomische Konkurrenz hinweg, die es erlaubt, auch zusammenzuarbeiten und voneinander zu lernen.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Nur Mut, aber Frustrationstoleranz und Idealismus sind unabdingbar.

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Da gibt es viele! Der A1 Verlag und die edition fünf, Assoziation A und Transit etwa sind mit uns in der Buchkooperation Konterbande; tolle Verlage sind aber auch mairisch, Verbrecherverlag, den Jörg Sundermeier hier bereits vorstellte, Orange Press, Supposé, Argument Verlag… und noch mehr, die Liste ließe sich fortsetzen, schauen Sie mal in die Mitgliederliste der Kurt-Wolff-Stiftung!

Herzlichen Dank für diesen Einblick!

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

Die Edition Nautilus im Netz:

Die Homepage findet man unter www.edition-nautilus.de

Die Buchkooperative Konterbande präsentiert sich unter www.buchkoop.de

Ein Kommentar zu “„Ich bezweifle, dass ein Verlag wie die Nautilus heute so entstehen könnte.“ – SteglitzMind stellt Katharina Picandet von der Edition Nautilus vor

  1. Vielen Dank für das interessante Interview mit einem Verlag, den ich schon lange sehr schätze, nicht zuletzt aufgrund seiner Franz-Jung-Ausgabe. Und schön auch das Bild von Picabia, das im Hintergrund der Fotografie zu sehen ist, dessen Satz „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“ gut zur Edition Nautilus passt…

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