Sind Buchhändler tatsächlich die Verlierer der Digitalisierung? Wie gehen sie mit den Schreckensszenarien um? Wo sehen sie Risiken, wo Chancen und welche Weichen stellen sie, um zukunftsfähig zu bleiben? Wie halten sie es mit dem E-Book und wären Titel von Self Publishern für sie eine Option? Diese u.a. Aspekte beleuchtet seit Juli 2013 die Gesprächsreihe “Steglitz stellt Buchhändlerinnen und Buchhändler vor”, in der Interviewpartner in loser Folge standardisierte Fragen beantworten.
Heute lernen wir Matthias Mehner von der Berliner Buchhandlung „Buchfinger“ etwas näher kennen. – Wie es zur Gründung der Buchhandlung im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick kam, darüber hat der „Freitag“ im April 2004 berichtet.
Eine Skizze vom Laden …
Seit mehr als 50 Jahren befindet sich an der Plesser- /Ecke Kiefholzstraße ein Buchladen. Seine Eröffnung fiel zeitnah mit der renommierten Einrichtung auf der damaligen Stalinallee, nämlich der Karl-Marx-Buchhandlung, zusammen. Genau wie die Verkaufsräume im heutigen Berlin-Mitte wurde auch das Interieur in Treptow vom Ladenbau Zwickau gestaltet und behielt bis heute sein unverwechselbare Aussehen, das durch seine funktionale Raumgestaltung, Material und Farbe beeindruckt. Bis zum Mauerfall wurde der Laden vom Volksbuchhandel betrieben, danach – bis Ende der 1990er Jahre – trug die Buchhandlung den Namen des damaligen Inhabers Michael Herbst. Ab 2003 führt Matthias Mehner, ein ehemaliger Mitarbeiter der bereits erwähnten Karl-Marx-Buchhandlung, das Geschäft in alleiniger Regie mit dem extravaganten Beititel „Buchfinger“ weiter – eine Hommage an den bis zu seinem Tod im Kiez lebenden Grafiker und Cartoonisten Manfred Bofinger (1941 – 2006). Die seit zwei Jahren geplante Übergabe an einen neuen Betreiber scheiterte zuletzt, sodass dieser demnächst an einem anderen Ort im Alt-Treptower Kiez eine neue Buchhandlung eröffnen wird.
Würden Sie sich unter heutigen Bedingungen abermals für diesen Beruf entscheiden?
Nein, rückblickend betrachtet war es ein Fehler seinerzeit den Schritt vom Angestellten in die Selbständigkeit gemacht zu haben. Da habe ich mich eher von Kunden treiben lassen, die auf “ihre“ geliebte Buchhandlung nicht verzichten wollten, in eine Rolle begeben, die ich nie ausfüllen konnte. Seit mehr als zehn Jahren war kein Urlaub mehr drin. Ich stehe im Laden von Montag bis Samstag. Und stehe ich dann am Bankschalter und vor mir zahlt der vietnamesische Blumenhändler seine Einnahmen ein, dann frage ich mich, für was ich mir das eigentlich alles antue.
Was hat sich in den vergangenen Jahren in Ihrem beruflichen Alltag verändert?
Eigentlich nicht viel. Die meisten Kunden kommen seit jeher mit konkreten Bestellwünschen in den Laden, die ich zumeist bis zum nächsten Tag über den Schnelldienst erfüllen kann. Umsatzrückgänge oder -einbrüche konnte ich so nicht verzeichnen, aber auch keinen Zugewinn. In den letzten Jahren hat sich die Anwohnerstruktur verändert, das merkt man natürlich im Laden. Da sind viele junge Leute hierher gezogen, die eine ganz andere Erwartungshaltung haben, Autoren nachfragen, von denen ich noch nie gehört habe. Insgesamt ist mir auch der Buchmarkt zu unübersichtlich geworden.
Die Devise heißt ja: Buchhandel go online! Was unternehmen Sie in dieser Richtung?
Ich persönlich nichts. In der Vergangenheit gab es immer wieder Versuche von Kunden, eine Internetpräsenz aufzubauen aber das verlief sich dann stets, weil man die ja auch betreuen muss und dafür fehlt mir die Bereitschaft und das Verständnis. Aktuell gibt es eine Seite unter dem Namen “Buchhandlung Treptow“ die nicht identisch mit dem “Buchfinger“ ist, obwohl sie auf das Ladengeschäft in der Plesser Straße verweist. Alle dort vorgestellten Bücher können natürlich über den Schnelldienst, soweit vorrätig, geordert werden.
Das Sterben der Buchläden ist allgegenwärtig. Wo verorten Sie für Ihre Buchhandlung die größten Gefahren?
Zuvorderst im Steigen der Ladenmiete, wenn das passiert, dann müsste ich sofort aufhören. Natürlich auch in der Konkurrenz von Online-Händlern aber auch durch andere Buchhandlungen. Viele von den neuen Anwohnern ziehen wohl “modernere“ Buchhandlungen in Kreuzberg und Neukölln der meinigen vor, oder sie lesen E-Books.
Wie halten Sie es mit dem E-Book?
Ich persönlich habe keins, ich bin kein Technikmensch. Vom Hörensagen bekomme ich aber schon mit, dass das wohl ein Thema ist. Mein Vertrieb KNV meint aber, dass sich die nächsten zwei Jahre der stationäre Buchhandel darüber keine Gedanken machen braucht. Und wer weiß, ob ich in zwei Jahren noch am “Buchfingern“ bin.
Wäre das eine Option für Sie, auch Titel von Self Publishern anzubieten?
Ja, aber ob das meine Kunden annehmen würden…?
Wie verkauft man heutzutage Bücher?
Mit Freundlichkeit. Ich habe das Glück, dass hier über Jahrzehnte ein fester, verschworener Kundenstamm gewachsen ist, der trotz aller Verlockungen dem Laden treu blieb. Für Besonderes ist hier kein Platz, ich sehe das Geschäft eher als Bestellportal für die Anwohner. Viele meiner festen Kunden, und auch das Gros von Gelegenheitskäufern, wissen ja sehr genau, was sie wollen. Darüber hinaus bediene ich mit dem KNV – Warenabo auch die Nachfrage nach aktuellen Verkaufsschlagern. Ein ständig durch Schenkungen von Kunden aufgefrischter antiquarischer Bereich bietet Lesbares für kleines Geld. Der “Buchfinger“ ist eine Kiezbuchhandlung und bietet nicht nur Bücherfreunden einen Platz, sondern auch Plaudertaschen zu einem kleinen Schwatz. Bedingt durch die Nähe zur Bekenntniskirche bietet der Verkaufsraum in den Wintermonaten auch sozial Schwachen und Ausgegrenzten einen Haltepunkt, um im Warmen zu verschnaufen.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, die Ihnen Verlage erfüllen… Welche wären das?
Weniger ist manchmal mehr. Eine strengere Qualitätskontrolle und an die Adresse der (West-)Verlage, die sich mit Veröffentlichung zum Thema tragen, die Bitte, sich weniger einseitig mit unserer DDR-Geschichte auseinanderzusetzen.
Und was würden Sie sich vom Börsenverein für den deutschen Buchhandel wünschen?
Mehr Öffentlichkeit erzeugen für die Situation der kleinen Buchhandlungen.
Was treibt Sie in der literarischen Szene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?
Mit Szenen hatte ich nie etwas zu tun.
Warum sollten Kunden in eine Buchhandlung gehen?
Damit die Ladenkultur nicht ausstirbt.
Welche anderen Buchhandlungen empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?
Da fällt mir leider keine ein, weil es mir aus zeitlichen Gründen unmöglich ist, Kollegen über die Schulter zu schauen.
Danke sehr. Wünschen wir uns, dass der „Buchfinger“ unter Ihrer Regie in der Plesser Straße 1 noch lange existiert.
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Eine Übersicht über die Empfehlungen, die im Rahmen der Gesprächsreihe mit Buchhändler/innen seit Juli 2013 zusammengekommen sind, findet sich hier
Was sich die befragten Buchhändler/innen von Verlagen wünschen, das kann man hier nachlesen
Wie sie zum Börsenverein des deutschen Buchhandels stehen, darum geht es in diesem Summary zur Gesprächsreihe
Wer wissen will, wie sich Buchhändler/innen heute positionieren, wird hier fündig
Einige Antworten der intervieweten Buchhändler/innen auf die Frage, warum Kunden in Buchhandlungen gehen sollten, gibt es hier
Und dieses Summary zur Gesprächsreihe mit Sortimenter geht der Frage nach: Einmal Buchhändler. Immer Buchhändler?
Ist ein trauriges Interview. Ehrlich gesagt, ich kenne eine Menge viele kleine Buchhandlungen, aber so ein trauriger, völlig frustrierter, für meine Begriffe auch etwas rückwärtsgewandter Buchladen ist mir nie begegnet. Schade. Ich wünsche ihm ab sofort ganz viele fröhliche Kunden. Vielleicht hilfst.
Liebe Grüsse
Kai
Lieber Kai,
in der Tat: ein Gespräch, das betroffen macht und nicht minder nachdenklich stimmt. Und da ich mehr wissen möchte, versuche ich ein Vorhaben auf die Beine zu stellen, das sich allerdings sehr viel aufwändiger gestaltet als ursprünglich gedacht. Wie sah der buchhändlerische Alltag in der DDR aus? Worauf konnte man nach der Einheit rekurrieren? Konnte man das überhaupt? Welche Chancen hatte ein ehemaliger Volksbuchhändler? – Fragen über Fragen. Und so mir das Vorhaben gelingen sollte, erhoffe ich mir – unter anderem – auch einige Antworten darauf zu finden, warum Matthias Mehner inzwischen reichlich frustiert ist. – Ich vermute, mit diesem Empfinden steht er nicht allein. Die „Verlierer der Einheit“, die es zweifelsohne in allen gesellschaftlichen Bereichen gibt, die haben eben keine Lobby …
Liebe Gesine,
da hast du recht, das ist eine interessante Frage, die Du da aufwirfst (oder eigentlich gleich mehrere). Aus Erzählungen von Bekannten und Verwandten weiss ich (oder stelle es mir so vor), dass Buchhändler in der DDR eine ganz andere ‚Soziale‘ Rolle gespielt haben oder zumindest spielen konnten, wie in der BRD. Da ist das Wort Bückware bloss ein Gesichtspunkt. Ein anderer wäre wohl die Möglichkeit der ideologischen Kontrolle. Welche Chancen ein ehemaliger Volksbuchhändler hatte ist eine interessante, Frage – und Du hast Dir mit Deinem Projekt da wirklich eine Menge vorgenommen. In Berlin und von Berlin ausgehend könnte das sehr spannend sein, obwohl ich vermute, dass grade die Provinzbuchhandlungen im immer gerne so genannten Leseland DDR eine mindestens so wichtige Rolle spielten.
Meine Erfahrung mit Buchhandlungen und Buchhändlern beschränkt sich dabei auf 3 Besuche Ende der 70er und zu Beginn der 80er Jahre in ausgerechnet der Karl-Marx-Buchhandlung, in der der Herr Mehner offensichtlich seine volksbuchhändlerischen Anfänge nahm. Übrigens durchwegs keine wirklich angenehmen Erfahrungen – was aber vermutlich auf meinen Status als ‚Tourist‘ zurückzuführen war. Man wurde quasi ‚platziert‘.
Ich bin jedenfalls gespannt auf Dein Projekt!
Liebe Grüsse in die Nacht
Kai
Lieber Kai,
noch ein interessanter Aspekt: Welche Erfahrungen haben „Wessis“ bei ihren Einkäufen im volkseigenen Buchhandel gemacht? Die Ostmark, die man eintauschen musste, bekam man quasi „drüben“ nur los, indem man Bücher kaufte. – In Ostberlin vorrangig eben in jener Buchhandlung, die auch du aufgesucht hast. Und womöglich hat dich Matthias Mehner „platziert“…
In der Tat: Ich habe viel vor; vermutlich viel zu viel. Alldieweil ich mir für das Vorfeld der Interviews vorgenommen habe, die Umstände zu skizzieren, unter denen Buchhändler in der DDR gearbeitet haben. Ich meine, dass ist für das Verständnis ein Muss. Wohl stelle ich bei meinen Recherchen fest, dass ich mit meinen Fragen weitestgehend Neuland betrete.
Freilich hält mich Einsicht, dass das „Schicksal der DDR-Buchhandlungen“ im Unterschied zum „Schicksal der DDR-Verlage“ noch nicht aufearbeitet wurde, nicht von meinem Vorhaben ab. Es spornt mich vielmehr an. Und das, obschon ich mir durchaus der Tatsache bewusst bin, dass das Projekt aufgrund mangelnden Interesses vermutlich zum Scheitern verurteilt ist.
Insofern bin ich dir für dein Feedback doppelt dankbar…
Herzliche Grüße zu dir
Gesine
Ja, fürchterlich.
Tja, dem ist ja leider nichts hinzuzufügen.
Hat dies auf Nekos Geschichtenkörbchen rebloggt.