Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?
Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute erfahren wir mehr über Bertram Reinecke vom Leipziger Verlag Reinecke & Voß. Vorgeschlagen hatten das Dirk Uwe Hansen und Eckhard Brauer, Mitverleger und Lektor im Derk Janßen Verlag.
Eine Skizze vom Verlag …
Der Leipziger Verlag Reinecke & Voß versteht sich seit 2010 als ein Kristallisationspunkt für Texte, die außergewöhnliche und weniger beachtete Möglichkeiten des Schreibens fruchtbar machen. Dies können althergebrachte Formen, deren Leistungsfähigkeit nicht in Vergessenheit geraten sollte, ebenso sein, wie in Deutschland weitgehend unbekannte Klassiker der Moderne oder neue Titel, die sich mit deren Innovationsfreude oder stilistischer Brillanz messen können. Die Bandbreite kann dabei von einem ernsten Utopismus im Anschluss an die Moderne bis zu erhellenden literarischen Späßen für den postmodernen Vielleser reichen.
Die Programmschwerpunkte?
Da die kleine konzentrierte Form zum Überschreiten hergebrachter Sageweisen besonders einlädt, bildet die Lyrik in unseren Programmen einen besonderen Schwerpunkt. Auf der anderen Seite werden auch jene unserer Titel, bei denen es sich nicht um Gedichtbände im engen Sinne handelt, von Lyrikern und Lyrikinteressierten als besonders relevant für ihre Interessen wahrgenommen. – Derzeit sind 22 Titel lieferbar.
Machen Sie alles alleine?
Ich bin Verleger und arbeite mit freien Grafikern und einem Webmaster zusammen.
Wohin geht die Reise: analog oder digital?
Ich mache keine E-books sondern ausschließlich Taschenbücher.
Ihre persönlichen Highlights?
Die Bücher sind zu verschieden, als dass ich aus den diesjährigen Frühjahrstiteln Highlights herausgreifen könnte. Der Roman der Open-Mike Preisträgerin 2006 „Kaspers Freundin“, eine erzähltechnisch versierte und ausgelassen ironische Mischung aus psychologisch dichter Beziehungsprosa und Elementen des Vampirromans, lässt sich nicht vergleichen mit einem fiktiven Sachtext, einem erfundenen Traktat der Aufklärung „“Traugott Xaverius Unruh, Von der Sorberwenden Wesenheit und Herkommen““ von Eduard Werner. Ähnlich bei der Lyrik: Sollte ich „Vom Eischlupf“, einen Band mit synoptischen Übersetzungen von Miron Białoszewskis sprachexperimentellen Texten, gegenüber Titus Meyers „Von der Buchstabeneuter Milchwuchtordnung“, einen Band mit strengen Formen wie Palindrom und Anagramm, hervorheben, bloß weil der erstgenannte Band auf die Liste der Lyrikempfehlung des Jahres 2015 gekürt wurde? (Von der Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt und Lyrikkabinett München). Und soll der Band „Mara Genschel Material“ hier ausgelassen werden, auch wenn er als Essayband ein kleineres Publikum erreicht, auch wenn er in der Lyrikszene besondere Aufmerksamkeit findet und z.B. bereits auf Zeit Online rezensiert wurde? Ist es doch ungewöhnlich, dass über eine weitgehend unbekannte Künstlerin ein so intensives Gespräch geführt wird. Eigentlich mache ich kein Buch, welches für mich kein Highlight ist. Das geht, weil für einen kleinen Verlag eine regelmäßige Programmplanung aus Frühjahrs- und Herbstprogramm nicht so vordringlich ist.
Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?
Ich fühlte mich damals kompetent in vielen Bereichen der Literatur, hatte literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut studiert, war als Lektor für verschiedene Verlage tätig gewesen, hatte Literaturfestivals organisiert und an verschiedenen Zeitschriften mitgearbeitet. Aber es gab zu dem Zeitpunkt niemanden, der diese Kenntnisse abforderte. Da habe ich gedacht, ich muss mir selbst ein Umfeld bauen, wo ich sie einbringen kann. Warum nicht ein Verlag, da ich wusste, dass es sehr viel schätzenswerte Literatur gab, die nicht zu haben ist. Bei jedem Buch, das nicht lieferbar und auch antiquarisch nicht greifbar war, verstärkte sich dieser Eindruck. Ein Freund bestärkte mich, indem er große Versprechungen machte, Startkapital in Aussicht stellte usw.. Als sich all dies als haltlos erwies, war schon zu viel Arbeit in das Projekt geflossen, als dass ich noch zurück wollte. Alternativ habe ich über eine Zeitschrift nachgedacht. Drei Gedanken brachten mich davon ab. Bei Erscheinen einer neuen Nummer ist die vorige veraltet. Das ist nicht schön. Eine Zeitschrift baucht eine gewisse Regelmäßigkeit. Ich wollte aber nach Textlage entscheiden können und nur Dinge machen, die mich wirklich interessieren. Drittens war abzusehen, dass der Textträger Papier bei relativ geschlossenen Texten länger konkurrenzfähig bleiben würde, als bei heterogenen Sammlungen, wo man als Kunde die ganzen Herstellungskosten mittragen muss, auch wenn einen nur wenige Teile interessieren.
Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?
Ich mache etwas, was mich wirklich interessiert. Und wenn ich das Interesse von Mitmenschen, Mitstreitern und Leuten spüre, deren Leistungen ich achte, gibt das auch Kraft.
Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?
Zu Anfang habe ich mir mehr davon versprochen. So war ich überrascht, wie sehr Buchhandlungen noch auf gedruckte Programme oder Faxverkehr Wert legten. Ich arbeite heute viel mehr mit Blogs zusammen, auch wenn Literaturzeitschriften ihre Bedeutung nach wie vor nicht verloren haben.
Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?
Jedes Buch soll möglichst so sein, dass man etwas Ähnliches nicht leicht irgendwo anders bekommt. Das Alter der Texte spielt keine Rolle. Heraus kristallisiert hat sich ein gewisser Schwerpunkt auf Texten, die Gattungen der Sachliteratur fiktionalisieren. Dieser Schwerpunkt hat aber eher mich gewählt als ich ihn, weil ich überdurchschnittliche Arbeiten in dieser Richtung eben besonders häufig in meinem Verlag unterbringen konnte, angefangen bei Buchmanns Titeln wie „Grammatik der Sprachen von Babel“ über Stolterfohts „Das deutsche Dichterabzeichen“ bis zum oben genannten „Von der Sorberwenden Wesenheit und Herkommen“.
Ich möchte nicht das Sprachrohr einer Szene oder einer Generation oder einer Auffassungsweise von Literatur sein. Deswegen begegnen sich im Umkreis meines Verlages verschiedene Strömungen und Generationen. Der Kritiker Dirk Uwe Hansen hat dafür mal das Wort „Fachverlag für Horizonterweiterung“ geprägt. Auch wenn der Verlag so nur langsam die Kontur seines Markenkerns ausprägt, schätzen es doch die Autoren oft, keinen „Stallgeruch“ aufgeprägt zu bekommen. Außerdem ermöglicht das interessante Allianzen mit ungewöhnlichen und sehr vielfältigen Partnern.
Da Verlage unter heutigen Bedingungen nicht mehr mit ihren Autoren mitwachsen können, denke und plane ich eher nach Titeln als nach Gesamtwerken. Statt wie heute üblich Profil durch Reihengestaltung zu gewinnen, suche ich mit meinen Grafikern jedem Buch das angemessene Kleid zu geben. So wird in meinem Verlag öfters ein guter Text zum Buch, der in anderen Verlagen an den Äußerlichkeiten eines Reihenformats scheitern müsste. Diese Umstände ermöglichen es mir öfters, auch an Texte von Autoren zu kommen, für die sich auch größere Verlage interessieren.
So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?
Ich würde mir einen anderen Partner suchen. Hätte mir einen längeren Vorlauf gegönnt, Kontakte zu knüpfen etc.
Wie gewinnen Sie Autoren?
Als Lyriker, Literaturdozent, Rezensent und Verleger habe ich ein großes Netzwerk, aus dem ich immer wieder Tipps bekomme und Angebote erhalte. Dennoch taucht manchmal auch etwas wie aus dem Nichts bei mir auf. Titus Meyer z.B. war auch unter meinen Bekannten bis vor einem Jahr weithin unbekannt und erst im Zuge seines Buchprojekts gab er sein Debut auch in Literaturzeitschriften.
Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?
Möglichst ohne Zwischeninstanzen, die mir ihre Regeln diktieren können. Auch wenn der Verlag dafür auch dann und wann auf einen Verkauf verzichten muss.
Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?
Ich bin wenig aktiv, um im Buchhandel Fuß zu fassen. Mit einem Spartenprogramm wie meinem habe ich da auch geringere Chancen, sodass sich meine Zusammenarbeit auf wenige Spezialbuchhandlungen beschränkt, zumal ich auch als „Einzelkämpfer“ meine Zeit sehr genau einteilen muss.
Wie halten Sie es mit Amazon?
Ich arbeite nicht mit Amazon zusammen. Ich halte es aus ethischen Gründen für nicht zumutbar, dass die Kunden, die bei mir direkt oder über den Buchhandel ein Buch bestellen, durch einen Buchpreis, wie ich ihn veranschlagen müsste, wollte ich deren Margen berücksichtigen, subventionieren. Die Ausrichtung meines Verlags, der sich an interessierte Vielleser wendet, erlaubt es mir eher auf diese Plattform zu verzichten. Die, die es sich irgend leisten können, sollten das auch tun, denn es ist ärgerlich, dass selbst manche Literaturprofis heute inzwischen oft Amazon als Verzeichnis lieferbarer Bücher missverstehen.
Es ist ein zusätzliches Argument für den guten Buchhandel, dass er Titel verfügbar haben oder machen kann, die sich der Kunde nicht über Amazon besorgen kann.
Was tun Sie für Ihr Marketing?
Ich schalte Anzeigen in Zeitschriften und Büchern (eigenen und solchen anderer Verlage) und arbeite mit Blogs und Internetplattformen zusammen. In begrenztem Ausmaß nehme ich an Verlagspräsentationen, (lokalen) Messen und Ähnlichem teil und organisiere Lesungen meiner Autoren. Außerdem bemühe ich mich natürlich um Rezensionen und andere Medienbeiträge zu meinen Inhalten.
Wie halten Sie es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?
Auch wenn es hier in Leipzig sehr freundliche und hilfsbereite Leute sind, kommt eine Mitgliedschaft für mich nicht in Frage. Abgesehen vom hohen Preis der Mitgliedschaft, profitiert man von Vereinsstrukturen meist nur dann wirklich, wenn man sich da auch für seine eigenen Ziele engagiert. Der Börsenverein muss sehr unterschiedliche Interessen koordinieren. Und ohnehin fehlt mir die Zeit.
Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?
Vielleser, die das nicht deswegen sind, weil sie sich mitfiebernd mit den Helden (ihrer Genreromane) die Zeit vertreiben oder ihr Weltbild stabilisieren wollen, sondern die Lesen neugierig als echte Weltentdeckungsstrategie betrachten.
Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?
Eine Offenheit, die auch immer in überraschenden Kooperationen münden kann. Außerdem das ehrliche Interesse an bestimmten Texten und neuen Stimmen, dass bei Literaturprofis oft in den Hintergrund gerät, weil sie dem Ideal hinterherlaufen, alles „Relevante“ zu kennen. Manchmal meint man, einige Profis empfänden Neues von unabweisbarer Qualität eher als Bedrohung für ihre epistemische Integrität denn als Bereicherung. Da ist die Off-Szene zugänglicher.
Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?
Sie sollten möglichst unromantisch sein. Sie sollten ein Anliegen haben, dass ihnen persönlich wichtig ist und nicht genug vertreten wird. Sie sollten also von Inhalten ausgehen, aber nicht denken, mit den ultimativen Texten würde sich alles andere schon finden. Sie sollten nicht deswegen einen Verlag gründen, weil sie einfach gerne lesen oder Bücher ihnen angenehm sind. (Auch wenn das hilfreich ist.) Sie sollten schon gar nicht denken, dass ein Verlag ein schönes Projekt, eine coole Möglichkeit der Selbstverwirklichung ist.
Die Herausforderungen an einen Verleger sind zu vielschichtig, als dass Sie jemals mit Ihrer Arbeit in jeder Hinsicht zufrieden sein könnten. Darüber hinaus finden sich immer Leute, die sich die Erfolge des Verlags an die eigene Brust heften und solche die die Misserfolge bei Ihnen suchen. Einen Erfolg wird ein Autor eher auf die Qualität seines Textes zurückführen, während Misserfolge fraglos darin liegen, dass es Ihnen nicht gelingt, ihn genug zu fördern. Zum Beispiel in den Buchhandel zu bringen, seinem Titel ein verkaufsförderndes Design zu geben oder weil Sie Ihre Seite nicht genug googleoptimiert haben etc. Es besteht nie Grund zur Überheblichkeit: Einem Buch, dass so großartig ist, dass ich es mache, wünschte ich regelmäßig einen schlagkräftigeren Verlag als meinen. Einen, der mehr für dessen Durchsetzung tun könnte.
Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?
Oh, da gibt es viele. Um nicht den einen zu übergehen, indem ich den anderen herausgreife, nenne ich hier nur Distillery und Urs Engelers roughbooks. Zwei Verlage, für die ich insofern meine Hand ins Feuer legen kann, als ich auch als Autor sehr gute Erfahrungen mit ihnen gemacht habe. Zum Beispiel waren die Absprachen immer so reibungslos und verlässlich, dass man nie auf schriftliche Abmachungen zurückgreifen musste. Zusätzlich sei noch, weil sie ganz frisch und verheißungsvoll gestartet ist, die Brueterich Press genannt.
Herzlichen Dank für diesen Einblick.
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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier
Reinecke & Voß im Netz:
Am regelmäßigsten berichten www.lyrikzeitung.com/, http://www.fixpoetry.com/ die Leipziger Internetzeitung www.l-iz.de und http://www.poetenladen.de/ über unseren Verlag.
Auf unserer eigenen Seite versuche ich möglichst alle erreichbaren Rezensionen zu verlinken: www.reinecke-voss.de
Ein ¾-stündiges Interview zu mir und meiner Arbeit finden man hier: http://mephisto976.de/news/mein-schreiben-hat-sich-radikalisiert-46719