„Würde ich Schlagzeug spielen, wäre es wahrscheinlich ein Label geworden.“ – SteglitzMind stellt Ulf Stolterfoht von Brueterich Press vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute steht Ulf Stolterfoht von Brueterich Press Rede und Antwort. Vorgeschlagen hatte das Bertram Reinecke von Reinecke & Voß.

Eine Skizze vom Verlag …

Ulf Stolterfoht © Ayse Yavas

Ulf Stolterfoht © Ayse Yavas

Angemeldet hatte ich den Verlag schon im März 2011, es hat dann aber doch bis zum März 2015 gedauert, bis die ersten drei Bücher erscheinen konnten. Was, von heute aus betrachtet, auch ganz gut so war. Der Verlag hat zwei Standorte, Berlin-Schöneberg und Feistritzwald in der Steiermark.

Ein Einzelkämpfer?

Ich mache bisher alles alleine, also auch die Auslieferung, nur die Gestaltung liegt in fremden Händen, nämlich denen der Stuttgarter Agentur gold & wirtschaftswunder, und in Stuttgart wird auch gedruckt.

Die Programmschwerpunkte?

Bei BRUETERICH PRESS erscheinen Lyrik und Lyriktheorie, beides im Original und in Übersetzung. Bisher lieferbar sind drei Bücher, zwei Gedichtbände von Hans Thill und Oswald Egger, und ein Theoriebuch von Franz Josef Czernin – bisher nur analog, eBooks sind aber für die Zukunft eine Option, vor allem für Wiederveröffentlichungen oder zweite Auflagen.

Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?

Da ich mich nur mit Lyrik auskenne, zumindest ein bisschen, kam nichts anderes in Frage. Und für jemanden, der selbst auch nur Lyrik schreibt, ist es schön, wenn er morgens mal rauskommt, Bücher zur Post bringen, Versandtaschen kaufen, mit BuchhändlerInnen Kaffee trinken. Solche Sachen. Würde ich Schlagzeug spielen, wäre es wahrscheinlich ein Label geworden.

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Zu sehen, dass man auch mit relativ wenig Geld relativ viel anstellen kann, ist eine prima Sache. Dazu kommt die allseits bekannte Lyrikunlust bei den großen Verlagen, die sich in den nächsten Jahren eher noch steigern wird, wenn ich die Zeichen richtig deute. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es Lyrik in zehn Jahren nur noch in kleinen oder sehr kleinen Verlagen geben wird. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlimm. – Ich glaube mittlerweile, dass es gut ist. Und das sage ich nicht nur als Miniverleger, sondern in erster Linie als Autor.

Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?

Bei mir hat sich in den paar Monaten natürlich nichts verändert. Was sich sicher ändern wird, sind die absurd hohen Preise, die derzeit von den sogenannten. Publikumsverlagen für eBooks verlangt werden. Hier sind die Kleinen sicher im Vorteil, weil es für sie viel einfacher ist, für ein eBook das zu verlangen, was es in der Produktion tatsächlich kostet. Was Lyrikbände betrifft, wird das alles wohl etwas länger dauern, aber ich denke, dass es auch hier zu Veränderungen kommt. Ich sehe das als große Chance, nicht als Bedrohung.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

Die Lyrik bei BRUETERICH PRESS ist etwas schwieriger und die Bücher sind etwas teurer als üblich. Der Rest ist sicher ähnlich.

Wie gewinnen Sie Autoren?

Ich frage Freunde, ob sie Lust haben, ein Buch zu machen.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Durch morgendliche Gänge zur Post (siehe oben).

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Ich versuche, Buchhandlungen dazu zu überreden, BP-Depots anzulegen. Das klappt ganz gut. Bisher gibt es solche Depots in Berlin, Köln, Düsseldorf, Südtirol und hoffentlich bald auch in Wien und Zürich. Darüber hinaus gibt es Buchhandlungen, die die Bände abonniert haben, und solche, die sie in Kommission nehmen. Insgesamt dürften es noch ein paar mehr sein. Natürlich kann jede Buchhandlung auch ganz normal über das VLB bei mir bestellen.

Wie halten Sie es mit Amazon?

Diesbezüglich überhaupt keine Ambitionen.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Was für die Buchhandlungen gilt, gilt genauso für die Leser: ich versuche möglichst viele Menschen zu einem BP-Abo zu überreden. Im Moment gibt es 56 AbonnentInnen. Bei 75 Abos wären die Druckkosten weitgehend abgedeckt. Ansonsten: Flyer, Email-Verteiler, Facebook, Lesungen. Wenn man an den richtigen Türen klopft, gehen die manchmal auch auf. Wobei das Klinkenputzen für mich sicher einfacher ist als für jemanden, der „nur“ verlegt und selbst nicht schreibt.

Wie halten Sie es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?

Ich bin kein Mitglied. Weiß auch nicht, ob die mich nehmen würden.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Zu 80% für Leute, die selbst auch Lyrik schreiben und veröffentlichen. Mir kommt das aber nicht schlimm vor – das ist eben so.

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

Darin, daß die großen Verlage die Lyrik drangegeben haben. Und in der Tatsache, dass kaum jemand nein sagt, wenn ich ihn / sie um ein Buch bitte. (Wobei diese beiden Dinge wahrscheinlich auch miteinander zu tun haben.)

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

Keine. Wenn sich der Verlag nach drei Jahren nicht trägt, werde ich wieder aufhören damit.

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

Kann ich nicht beantworten. Für mich ist die Independent-Szene die einzige Szene.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Es einfach zu versuchen. Allerdings ohne das Ziel, davon leben zu wollen.

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Meinen Schöneberger Nachbarn, den Quiqueg Verlag.

Danke sehr für diesen Einblick!

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

das Logo © Brueterich Press

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Brueterich Press im Netz:

www.brueterichpress.org/

„Das zu bewahren, ist eine wunderbare und nötige Idee.“ – Im Gespräch mit der ehemaligen Volksbuchhändlerin Heike Wenige

Heike Wenige (geb. 1969) wurde nach einer buchhändlerischen Lehre 1986 – 1988 von ihrem Ausbildungsbetrieb, der „Akademischen Buchhandlung für Montanwissenschaften“ in Freiberg, übernommen. Geleitet wurde der volkseigene Betrieb, in dem Heike die M-L-Literatur und das Kinderbuch verantwortete, seit 1972 von Barbara Hackel, die den Betrieb mit ehemals 18 Mitarbeitern und zwei Lehrlingen nach der Privatisierung in Eigenregie weitergeführt hat. Heike wechselte 1992 nach Chemnitz in die Buchhandlung einer Freundin. 1994 kehrte sie zurück nach Freiberg, wo sie im November ihren Taschenbuchladen eröffnet hat.

 Wie hat mein Versuch auf dich gewirkt, die Geschichte des DDR-Buchhandels zu rekonstruieren?

Ich als Volksbuchhändler finde das natürlich super spannend, das war auch mein erster Gedanke. Der zweite war, wie viele Volksbuchhändler findet man denn noch? Und die Skizzen zum Buchhandel in der DDR zu lesen war dann doch irgendwie schmerzhaft….

Warum sollte uns die Geschichte des DDR-Buchhandels überhaupt noch beschäftigen?

Heike Wenige © Marco Borrmann

Heike Wenige © Marco Borrmann

Und das fand ich dann eben sehr wichtig; dass sich jemand so mit diesem Thema auseinandersetzen möchte, Erinnerungsansätze schafft, wo andere die Lücken füllen können und was sich zu einem Gesamtbild, besser einem Erinnerungsbild des Volksbuchhandels entwickeln kann … Das gehört zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte unbedingt dazu und meines Wissens hat sich da noch keiner so an dieses Thema herangewagt. Außer den beiden Publikationen von Börner/Härtner „Im Leseland“ und „Das Monopol“ von Jürgen Petry ist mir nichts bekannt. Und diese beiden Bücher erklären nur einen Teil des Ganzen, die Führungsebenen bzw. den LKG. Die Buchhändler, die im Laden standen können ganz andere Geschichten erzählen… Das zu bewahren, ist eine wunderbare und nötige Idee.

Sicherlich wirft meine Skizze mehr Fragen auf als sie Antworten geben kann. Wo hast du besonders viele Fragezeichen gesetzt?

Da ich ja eher ein Küken unter den DDR-Buchhändlern bin ist mir beispielsweise der Einfluss der SED auf die Buchproduktion im Gesamten gar nicht so bewusst gewesen damals. Das war für mich und meine Generation von Buchhändlern schon nicht mehr so spürbar.

Deine Erfahrungen im volkseigenen Buchhandel speisen sich aus den Jahren unmittelbar vor der Wende. Hattest du den Eindruck, dass sich gewisse Strukturen und Anforderungen die das Ziel hatten, Euren Alltag zu reglementierten, in Auflösung befanden?

Ja, unbedingt! Es war ja die Zeit von Glasnost und 1988 wurde der Sputnik verboten … Politisches/gesellschaftliches Geschehen wurde freiweg in der Frühstücksrunde diskutiert. Das war unglaublich spannend. Von Reglementierungen habe ich eben nichts gespürt. Ich musste als Lehrling ja nicht mal mehr ein FDJ-Hemd zur Demonstration am 1. Mai anziehen.

Welche Probleme haben dich als junge Buchhändlerin in der DDR besonders umgetrieben und was gab dir trotz aller Schwierigkeiten Antrieb?

Ich „durfte“ einen wunderbaren Beruf erlernen! Und wie schon gesagt, die gesellschaftlichen Probleme befanden sich gerade in öffentlicher Diskussion und in Auflösung. Unser „Kollektiv“ war so eine soziale Einheit. Auch die theoretische Ausbildung in Leipzig an der Buchhändlerschule war schon äußerst liberal geprägt. Naja und letzten Endes war ich schon ganz glücklich, wenn auch ich eines der begehrten Bücher bekommen habe.

Seit 1994 führst du dein eigenes Geschäft, den Taschenbuchladen im sächsischen Freiberg. Erfolgreich! Meinst du, dass deine Erfahrungen im volkseigenen Buchhandel auch Teil deines Erfolgsrezeptes sind? – Wenn ja, welche Standards und Erkenntnisse beziehst du heute noch in deine Arbeit ein?

Auf alle Fälle ist das literarische Wissen, auf das zu DDR-Zeiten und in unserer Ausbildung großer Wert gelegt wurde (anders als heute), eine wichtige Basis gewesen. Und in unserer Buchhandlung gab es damals schon einen hohen Standard im Umgang mit dem Kunden und den damals möglichen Serviceleistungen. Das prägt natürlich…

Gibt es etwas, was du aus der DDR gerne in die BRD „rübergerettet“ hättest?

Was meinen Beruf betrifft? Ja, vermisst hatte ich das kollektive Lesen. Zumeist haben wir ja alle das gleiche Buch gelesen und darüber debattiert. Da ging es noch wirklich um Inhalte und nicht um verkaufte Stückzahlen. Das Buch als Kulturgut, ja, darüber müsste man mal wieder lauter nachdenken.

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Zum Vorhaben:

Viel wissen wir über die Geschichte des DDR-Buchhandels nicht. Während das „Schicksal der DDR-Verlage“ verschiedentlich aufgearbeitet wurde (z.B. Christoph Links 2009), wurde die Entwicklung im Buchhandel noch kaum betrachtet. Wie sah der berufliche Alltag für Sortimenter in der DDR eigentlich aus? Wie haben Buchhändler die Wende und die Wiedervereinigung erlebt?

Dietrich Löffler, der sich mit dem Funktions- und Strukturwandel des Buchhandels in der DDR beschäftigt hat, meint aufgrund der Quellenlage sogar, dass sich die Vorgänge heute nur noch über Berichte von ehemaligen Mitarbeitern rekonstruieren lassen. Hier möchte eine Initiative auf SteglitzMind ansetzen. Gesucht werden Zeitzeugen, die ihre Erfahrungen einbringen.

„Es war gut klein und naiv anzufangen.“ – SteglitzMind stellt Sonia Lauinger von Der Kleine Buch Verlag vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute erfahren wir mehr von Sonia Lauinger, die Der Kleine Buch Verlag gegründet hat. Vorgeschlagen hatte das Sandra Thoms vom Dryas Verlag.

Eine Skizze vom Verlag …

Der Kleine Buch Verlag wurde im Januar 2010 in Karlsruhe gegründet: mit nur einer Homepage, noch keinen Autoren, aber mit dem Gedanken: „außer man tut es“ sowohl für den (noch unbekannten) Autor als auch für mich als Verlegerin. Weniger drüber sprechen, mehr tun! – Das war das Motto zu den Verlagsanfängen. Ich wollte die Bücherwelt aus Sicht eines Verlegers kennenlernen. Und bevor ich mich recht versah, trudelten bereits die ersten Manuskripte ein. Woher kannten sie mich? Lag es vielleicht am Verlagsnamen, dass man auf mich kam, wenn man nach „kleiner Verlag“ googelt?

Sonia Lauinger © Der Kleine Buch Verlag

Sonia Lauinger © Der Kleine Buch Verlag

Der-ein-Frau-Verlag nahm Fahrt auf, organisierte Schreibwerkstätten, gab Autoren-Coachings, suchte den Kontakt zu anderen Verlagen, war auf Buchmessen und sonstigen Märkten, tat sonst noch alles Mögliche und Unmögliche um den Wissensdurst zu stillen. Frei nach dem Motto: probieren statt studieren. Und statt eine beschauliche Premieren-Lesung mit meinen ersten vier Titeln im Herbst 2010 zu veranstalten, lud ich in die Karlsruher Fleischmarkt Halle (400 m²) ein, zum ersten „Aufschnitt mit Beilage“: Lesung umrahmt von einem 3-Gänge-Fingerfood-Menü und Livemusik. Mein Ziel: entweder es nach 5 Jahren geschafft zu haben, oder fest zustellen, die Verlagswelt ist doch nicht die meine.

2014 war ich fast soweit: ich hatte mein Profil in der Belletristik gefunden und inzwischen 32 lieferbare Titel herausgebracht; tolle Autoren und ein Pool von kleinen Helferlein um mich geschart; verstand wie der Buchhandel funktioniert; hatte eine kleine Auslieferung; hatte bereits die spannendsten Buchmessen für mich entdeckt, ganz besonders die Leipziger Buchmesse. Und war zudem über den Arbeitskreis kleiner unabhängiger Verlage vom Börsenverein sehr gut mit meinen neuen Kollegen vernetzt und organisierte ab 2011 das Bücherbüffet, „Aufschnitt mit Beilage“, die erste kleine Buchmesse in Karlsruhe – Netzwerken für Büchermacher & Bücherfans.

Und ich schrieb eine schwarze Null 😉

Dann geschah das Unfassbare: ich, der kleinste Verlag in Karlsruhe, bekam den G. Braun Buchverlag, den ältesten, renommiertesten und größten Verlag der Stadt, zum Kauf angeboten!

Heute, kein Jahr später, habe ich nun über 180 lieferbare Titel, mit drei Schwerpunkten: Belletristik (diese Titel sind fast komplett auch als E-Book erschienen), Freizeit sowie Kultur und Geschichte. Eine (inzwischen die bereits die zweite) richtige, große Vorschau, ein 16-köpfiges Team aus freien und festen Mitarbeitern (davon drei Verlagsvertreter und zwei Pressemitarbeiterinnen), Prolit als Auslieferung und meine Bücher finden heute wie selbstverständlich ihren Weg in den Buchhandel, … *freu*

Ihre persönlichen Highlights im Bücherjahr?

Das tolle am Verlegen ist: ein Highlight jagt das nächste. Jedes Buch, jedes Projekt ist ein Highlight. Die fertig zusammengestellte Vorschau ist ein Highlight. Eine erfolgreiche Buchmesse ist ein Highlight. Und die junge Entscheidung, mit der Belletristik auch als Hörbuch durch zu starten, ist gerade das aktuellste Highlight für mich.

Warum musste es in diesen Zeiten unbedingt ein Verlag sein?

Gute Frage! Wenn ich vorher geahnt hätte, wie viel Arbeit und Risiko ein Verlag mit sich bringt, hätte ich womöglich die Finger davon gelassen. Noch ahnungslos, reizten mich die Vielschichtigkeit, das Kreative, das Projektorganisatorische, das Netzwerken, und die fast grenzenlose Möglichkeit sich zu definieren. Eben aus mir anvertrauten Texten und Ideen eine Wirklichkeit werden zu lassen. Auf alle Fälle habe ich in der Verlegerei nun endlich ein Ventil gefunden, meiner überschüssigen Energie freien Lauf lassen zu können.

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Bei mir ist es bisher immer Vorwärts gegangen. In stillen Moment bekomme ich manchmal schon Angst vor meiner eigenen Courage. Vielleicht es ist es aber einfach eine Naivität, bei der ich immer wieder nur auf die Knie und bisher noch nicht auf die Nase gefallen bin. Und ich habe eine wunderbare Familie die mir den Rücken stärkt, sowie ein unverwechselbares, geniales, super hoch motiviertes Team.

Hätten Sie sich auch ohne die Innovationen infolge der Digitalisierung eine Verlagsgründung zugetraut?

Nun, die Digitalisierung habe ich bisher noch nie als Bedrohung oder Konkurrenz wahr genommen, warum auch? Alles entwickelt sich, auch die Medien. Es ist doch spannend zu erfassen, auf welchen Zug man mit aufspringen könnte, welche Art der Digitalisierung auch zu einem selbst passt. E-Books habe ich bereits seit 2012 im Programm und auch 2011 mein erstes Hörbuch produziert. Ich sehe die Digitalisierung eher als Erweiterung des Portfolios.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

Ob ich etwas wesentlich anderes mache weiß ich nicht, aber ich stecke sehr viel Herzblut in meine Arbeit. Soweit ich meine Kollegen kenne, machen die das auch. Das Tollste am Verlegen ist, man hat keine echten Konkurrenten, man hat Kollegen. Das kenne ich aus andern Branchen nicht so. Jeder weiß wie viel Energie in einem Projekt steckt. Man hat daher eher Respekt und kennt die Arbeit der anderen Verlage an. Das gefällt mir.

So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Nichts. Es war gut klein und naiv anzufangen. Viel lernen, viel probieren. Mutig, einfach aus sich heraus. Sich selbst ständig hinterfragen: Was passt und was sollte ich anders machen? Immer wieder neu. Heute noch.

Wie gewinnen Sie Autoren?

Nun, das ist ganz unterschiedlich – in der Belletristik müssen die Autoren eher uns gewinnen, denn im Schnitt bekommen wir in der Woche zwischen zwei bis fünf Manuskripteinreichungen. Zu bestimmten Themen im Bereich der Ausflugsführer und/oder Geschichte/Kultur akquirieren wir aber auch und sprechen gezielt potentielle Autoren an. Interessanter ist wohl die Frage, wie man seine Autoren fest an sich bindet:

Ich denke, die aufgeschlossene, umtriebige Art und Weise wie der Verlag arbeitet, Hand in Hand mit den Autoren, sorgt bei uns für die Bindung. Eben gemeinsam das Beste versuchen heraus zu holen. Auch die Autoren vom ehemaligen G. Braun Buchverlag (142) sind, bis auf zwei, bei Der Kleine Buch Verlag geblieben. Das spricht für mich und die Arbeitsweise meines Teams.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Wir haben eine Auslieferung in Deutschland (Prolit) und eine in Österreich (Ennsthaler). Schweiz soll bald folgen. Außerdem beschäftige ich eine Mitarbeiterin im Vertriebsinnendienst und aktuell haben wir drei Vertreter in Deutschland (für die Gebiete: Baden-Württemberg; Hessen, Rheinlandpfalz und Saarland sowie Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), die unser Programm verkaufen. Aber auch hier möchte ich bald aufstocken und alle Vertriebsgebiete in Deutschland abdecken. In Österreich haben wir über unsere Auslieferung einen Vertreter laufen und für die Schweiz möchte ich natürlich auch bald einen Vertreter gewinnen. Auch im Direktmarketing sind wir erfolgreich – die Beteiligung an vielen Messen (auch neben den üblichen Messen und Ausstellungen für Bücher), Veranstaltungen, eine kontinuierliche Social Media-Arbeit und das Verteilen von Flyern, Programmheften, Postkarten, etc. macht sich bezahlt. Unser Onlineshop wird stark frequentiert und wir bekommen auch telefonische direkt Bestellungen im Verlag. Manchmal kommen die Kunden sogar persönlich vorbei. Unser Handlager muss also ständig neu bestückt werden.

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Die Anfangsphase war schwierig – als ganz kleiner Verlag muss man sich das „Ernstgenommen werden“ hart erkämpfen. Aber mit viel Engagement, tollen Büchern und motivierten Autoren bekommt man im Laufe der Zeit immer mehr Kontakte und sichert sich so seinen kleinen, aber feinen Platz im Sortiment. Auch Präsenz auf Messen kann da helfen. Und nach der Verlagsübernahme im letzten Jahr läuft der Eintritt ins Sortiment der Baden-Württemberger und Pfälzer Buchhändler (natürlich insbesondere bei den regionalen Titeln sehr reibungslos.)

Wie halten Sie es mit Amazon?

Noch ohne G. Braun vermied ich den direkten Kontakt zu Amazon, war nur indirekt über den Zwischenbuchhandel gelistet. Heute ist Amazon für den Verlag „leider“ ein wichtiger Vertriebsweg geworden, auf deren Umsätze ich nicht verzichten kann. Um das ethisch ein wenig auszugleichen, versuche ich gute Kontakte mit besonderen Angeboten für den Buchhandel zu pflegen. Bei unseren vielen Messeauftritten versuchen ich und mein Team zudem, so viele Endkunden wir möglich vom Stationären Handel zu überzeugen und vermitteln, dass es mittlerweile viele Buchhändler gibt, die den gleichen Service bei der Buchbestellung bieten. Aufklärungsarbeit im Kleinen eben.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Alles Klassische: Printanzeigen, Sozial Media, Lesungen organisieren, Werbematerial für den Händler und den Endkunden. Und durch die vielen Messen sind wir immer im direkten Kontakt mit den Endkunden. Man kommt ins Gespräch. Hier sehe ich dann: Welche Bücher werden wahrgenommen? Wie gefällt die Gestaltung? Spricht die Titelformulierung an? Diese Informationen nutzen ich und mein Team dann zum einen zur weiteren Programmentwicklung, zum anderen können wir so auch absehen, welche Marketingaktionen sich für einen Titel lohnen würden. So gesehen sind die Messebeteiligungen die wichtigsten Marketingaktionen für Der Kleine Buch Verlag. Oft genug verirren sich Buchhändler auf Messen außerhalb des Fachbetriebs. Tolle Gelegenheit für neue Kontakte und oftmals Anstoß für neue Ideen beim Handelsmarketing.

Wie halten Sie es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?

Ich bin Mitglied seit 2011 und bin dann auch gleich in den Arbeitskreis kleiner und unabhängiger Verlage getreten. Ich würde behaupten, alle wesentliche Infos und Kontakte sind von hier aus gekommen. Und auch heute nutze ich den Service des Börsenvereins bei den unterschiedlichsten Fragen.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

das Logo © Der Kleine Buch Verlag

das Logo © Der Kleine Buch Verlag

Durch die unterschiedlichen Kernbereiche des Programms haben wir auch ganz unterschiedliche Zielgruppen. Das ist das schöne, denn Menschen sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Interessen und wir haben uns einfach nicht selbst den Zwang auferlegt, nur in einer Zielgruppe zu denken. In der Belletristik ebnen wir vor allem Debütanten den Weg ins Autoren-Dasein – das finden unsere Leser sehr spannend. Das Portfolio reicht von leicht bis anspruchsvoll, jedoch immer den Gedanke in sich tragend, den Leser zu unterhalten. Eine kleine Auszeit vom Alltag.

Bei den regionalen Themen suchen wir gezielt nach Nischenthemen – vom Schneeschuhwandern über die Entdeckungsreisen (vorausgesetzt, es gibt dafür auch eine nennenswerte Zielgruppe – ansonsten macht für uns ein Projekt keinen Sinn). Und für unsere Reihe „Kleine Geschichte. Regionalgeschichte – fundiert und kompakt“ sind wir bekannt und haben uns einen Namen gemacht.

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

Ausgewogen unsere drei Sparten Kultur und Geschichte, Freizeit und Belletristik zu pflegen und weiter auszubauen und dabei jede für sich klar in sich definiert zu belassen.

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

In Deutschland haben wir gute Strukturen und Möglichkeiten, Bücher in die Welt zu bringen. Auf dem klassischen Weg gibt es allerdings dabei viele „Mäuler zu stopfen“. Das geht allerding nur durch Masse (sei es durch die Auflagenhöhe oder durch die Anzahl der Titel). Ein kleiner Verlag schafft aber diese Masse nicht. Will auch diese Masse gar nicht unbedingt schaffen. Setzt auf Projekte neben dem Mainstream und will nur das machen, hinter dem er auch steht.

Und auch wenn mein Verlag im vergangenen Jahr recht schnell gewachsen ist, ist Der Kleine Buch Verlag, ein kleiner unabhängiger Verlag, der keinen Konzern zur Sicherheit im Rücken hat. Deshalb würde ich mich freuen, wenn bei unserer Gesellschaft die Akzeptanz zu fairen Preisen für Bücher wieder Einzug erhält. Denn immerhin ist das „Bücher-machen“ die Schöpfung eines Kulturguts – das Kostet seinen Preis und dieser sollte für das Endprodukt auch bezahlt werden.

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

Hier haben Titel eine Chance, die nicht sofort und ganz brav, nur einer Sparte zu zuordnen sind. Wir können uns dazwischen ausbreiten, austoben, neues kreieren. Der festen Sparte sozusagen auch mal ein Schnippchen schlagen.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

  • Habe einen Plan. Und sei bereit dazu, deinen Plan immer wieder neu zu planen.
  • Habe einen langen Atem.
  • Und sei sparsam, das Verlegen ist teuer genug.
  • Suche Kontakte, tausche dich mit Gleichgesinnten aus. Es gibt viele von uns 😉

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Da fällt mir spontan der Zauberberg Verlag ein, der sich gerade erst gegründet hat und dessen Verleger auch einer meiner Autoren ist. Außerdem fände ich interessant: den michason & may Verlag aus Frankfurt a.M., den Kindermund Verlag aus Karlsruhe, den Achter Verlag und Klöpfer & Meyer, ein Verlag mit Sitz in Tübingen.

Danke sehr für diesen Einblick.

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

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Die Verlagspräsentation bei der Auslieferung Prolit

„Im Großhandel lagern alle meine Bücher …“ – Buchhandel in der DDR (Teil 3)

Womöglich habe ich mir mit dem Vorhaben, die Geschichte des DDR-Buchhandels auszuloten, zu viel vorgenommen? Je länger mich die Materie allerdings beschäftigt, desto mehr Fragen stellen sich, die nur diejenigen beantworten können, die dabei gewesen sind.

Trotzdem habe ich Mut zur Lücke: In fünf Folgen werde ich darlegen, was ich bisher zur Entwicklung des Buchhandels in der DDR (Teil 1 – 4) und nach der Wende (Teil 5) trotz spärlicher Quellen recherchiert habe. – Warum wage ich diese Skizze? Weil ich mir erhoffe, dass sich Zeitzeugen einfinden, die das eine und andere aus der eigenen Erfahrung zurechtrücken und/oder Lücken schließen.

Eine Zusammenstellung der verwendeten Quellen findet sich hier. Und wer die ersten Folgen nachlesen möchte, der wird hier fündig.

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Autokennzeichen der DDR © GvP

Autokennzeichen der DDR © GvP

Einfach hatte man es als Buchhändler in der DDR wahrlich nicht. Druck seitens der Partei, nicht die richtigen Bücher in angemessenen Mengen über die Ladentheke zu bringen, und Ansprüche seitens der Kundschaft, die ihren eigenen Kopf hatten und anderes lesen wollten als das, was die Partei für richtig hielt. Hinzu kamen andere Beschwernisse. So waren die Läden vielfach renovierungsbedürftig und die Einrichtungen veraltet oder nicht funktional. Nicht zuletzt fehlte es an ansprechenden Dekomaterialen für die Schaufenster. Zeitweilig sollen die Auslagen sogar gänzlich leer geblieben sein. Die Laune gehoben haben dürften auch die Schulungsunterlagen nicht, die im Volksbuchhandel ab den 1960ern zunehmend Pflichtlektüre wurden. Die „Ökonomik des Buchhandels“ (1962), „Literaturpropaganda im Schaufenster“ (1962), die „Ordnung für den Buchhandelsleiter“ (1965) oder die „Arbeitsanweisung für den Wareneingang und Warenausgang sowie für die Lagerhaltung“ (1968) – um nur einige Publikationen aus dieser Zeit zu nennen.

Unterkriegen ließen sich die Buchhändler freilich nicht – Mangel macht bekanntlich erfinderisch. Man behalf sich so gut es eben ging und versuchte auf trickreichen Wegen, die nicht immer ganz legal gewesen sein dürften, marktgängige Ware zu beschaffen. Einerseits über gute Beziehungen zu den Verlagen und zur LKG. Bisweilen aber sollen auf dem Transportweg von den Druckereien zur Auslieferung auch stapelweise Bücher verloren gegangen sein.

In die Kerbe, Buchhändler für den stockenden Absatz verantwortlich zu machen, haben offenbar auch Schriftsteller geschlagen. Von zwei solchen Fällen berichtet Heinz Börner, der letzte amtierende Hauptdirektor des Volksbuchhandels, in der „Geschichte des Volksbuchhandel“, die er 2012 gemeinsam mit Bernd Härtner veröffentlicht hat, der zu DDR-Zeiten ebenfalls leitende Funktionen im volkseigenen Buchhandel inne hatte. Die Beiden schreiben, dass Wolfgang Joho vor dem IV. Schriftstellerkongress im Jahr 1956 Buchhändlern unisono die Fähigkeit abgesprochen haben soll, „mit einer besonderen Ware zu handeln.“

Aufschlussreicher als die kurze Notiz über Wolfgang Joho, der zehn Jahre später ins Visier der Staatssicherheit geraten sollte, ist der andere Fall, den Börner/Härtner in ihrer „Geschichte des Volksbuchhandel“ erwähnen. Deutlich wird daran auch, wie problematisch zeitgeschichtliche Darstellungen sein können, die vornehmlich auf die eigenen Erfahrungen und Erinnerungen rekurrieren. So unerlässlich die „Geschichte des Volksbuchhandel“ sicherlich als Quelle für eine Rekonstruktion der Entwicklung des Buchhandels der DDR zwischen 1945 und 1990 auch ist, so sehr muss sie auch hinterfragt und kritisch „zwischen den Zeilen“ gelesen werden.

„Der bis dahin kaum bekannte Schriftsteller J.C. Schwarz hatte den vermeintlich ungenügenden Absatz seines Buches ‚Der neue Direktor‘ statt mit dessen Qualität mit den Verkaufsbemühungen des Volksbuchhandels erklärt, wieder mit dem Argument, der Volksbuchhandel setze sich nicht genügend für die Gegenwartsliteratur ein. Prompt kam das entsprechende Räderwerk ins Laufen, diesmal mit ganz großer Übersetzung. Auf dem 14. Plenum des ZK der SED [im November 1961] stellte Walter Ulbricht höchstpersönlich fest: ‚Das System des Buchvertriebs in der DDR ist unzulänglich und muss überprüft werden‘.“

Die Rede ist von Joachim Chaim Schwarz, der 1950 aus Palästina in die junge DDR gekommen war. Seit seiner Rückkehr hatte sich der überzeugte Sozialist mit Kräften um eine Mitgliedschaft in der SED bemüht, die ihm 1953 freilich unter anderem wegen seiner vermeintlichen Zugehörigkeit zu „zionistischen Kreisen“ verwehrt wurde. Schwarz, dessen literarisches Talent kein geringerer als der Schriftsteller Franz Fühmann förderte, galt in den frühen 1960ern längst als ein viel versprechender junger Autor. Für seine zahlreichen Reportagen, die zwischen 1953 und 1955 in der „Täglichen Rundschau“ erschienen waren, und die sieben Reportage-Romane, die zwischen 1955 und 1962 publiziert worden waren, hatte er viel Beachtung und Lob gefunden. Und für das Buch „Der neue Direktor“, auf das sich Börner/Härtner beziehen, war ihm – entsprechend der kulturpolitischen Linie des „Bitterfelder Weges“ – 1961 sogar der Literaturpreis des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes zugesprochen worden.

Schon drei Jahre darauf war der Traum von einer literarischen Karriere im Gefolge des Bitterfelder Weges für J. C. Schwarz allerdings wieder vorbei. Da das Konzept, die Kulturschaffenden durch einen Einsatz in der Produktion an die Partei und die werktätige Klasse zu binden, nicht aufgegangen war, wurde der kulturpolitische Kurs wieder korrigiert, den man im April 1959 auf der ersten „Bitterfelder Konferenz“ eingeschlagen hatte. Ende 1965 rückte man davon wieder ab. Die Folgen des Kurswechsels waren nicht nur für Schwarz, sondern auch für andere Künstler folgenreich, die sich vor den Bitterfelder Karren hatten spannen lassen. Schwarz wurde 1966 vorgeworfen, in seinen Büchern die Arbeiter- und Bauernklasse zu verhöhnen. Schlimmer konnte es damals nicht kommen! Unter dem Pseudonym Carl Jakob Danzinger veröffentlichte er zehn Jahre darauf seine Bücher vornehmlich in der Bundesrepublik. So 1976 den autobiografischen Roman „Die Partei hat immer Recht“, in dem er seine desillusionierenden Erfahrungen als Autor und als Sozialist beschreibt.

Die Biografie von J. C. Schwarz wirft auch Schlaglichter auf die Schwierigkeiten von Produktion und Distribution solcher Bücher, die lediglich mit der Intention gedruckt worden waren, der kulturpolitischen Linie schnellstmöglich Folge zu leisten. Für sein erstes Buch wurde J. C. Schwarz 1953 vom Mitteldeutschen Verlag verpflichtet, für den er in den nachfolgenden Jahren diverse Auftragsarbeiten verfasste, die mit heißer Nadel getrickt werden mussten. Dabei blieben seine ehrgeizigen literarischen Ambitionen auf der Strecke. Außerdem waren die Eingriffe seines Lektoren in das Manuskript so heftig, dass am Ende ein „Quatschbuch“ herausgekommen war, das keiner lesen, geschweige denn jemand kaufen wollte.

„Er [der Lektor] machte mit mir einen Vertrag und verpflichtete mich, das Buch druckfertig zu machen. Das bedeutete, dass ich es in den nächsten zwei Jahren bis 1955, dreimal umschreiben musste. Bei jeder Umarbeitung machte ein Stück des Wesentlichen einem Stück der Verpackung Platz, mit anderen Worten: das Buch entfernte sich von Umarbeitung zu Umarbeitung immer weiter von dem ursprünglichen Erlebnis und der ursprünglichen Absicht des Verfassers, es enthielt am Ende nichts mehr, das zum Lachen und Weinen Anlass bot. […]. Ein Quatschbuch entstand, es wurde von keinem ernstzunehmenden Menschen ernst genommen.“

Schwarzens Verlag sollte sich im Verlauf der 1960er zu einem wichtigen Haus für die junge DDR-Literatur entwickeln, die nach der Bitterfelder Konferenz in hoher Schlagzahl produziert wurde. Freilich stand die Bedeutung des Mitteldeutschen Verlages, die dem Haus gemäß den Kulturpolitiker für die Entwicklung einer „sozialistischen Nationalkultur“ zukommen sollte, niemals im Verhältnis zum Buchverkauf. Schon 1961 verzeichnete der Verlag Ausstände in Höhe von 1,657 Millionen Ostmark. Im darauffolgenden Sommer war der Bestand an unverkäuflichen Titeln bereits auf einen Wert von 2,2 Millionen angewachsen, der allein bei der LKG einlagerte. (Barck/Langermann/Lokatis 1997, S. 158.)

In solchen Situationen war es vornehmlich der vertreibende Buchhandel, der die wirtschaftlichen Risiken zu tragen beziehungsweise auszubaden hatte. Absatzkrisen waren aber auch für die betroffenen Autoren schmerzhaft, worüber J. C. Schwarz in seinem autobiografischen Roman „Die Partei hat immer Recht“ ebenfalls schreibt:

„Im Großhandel lagen alle meine Bücher und konnten nicht abgesetzt werden, man warf sie am Ende für fünfzig Pfennig das Stück auf den Markt, wo sie auf Wägelchen des Straßenhandels zusammen mit den unverkäuflichen und preisgeminderten Büchern anderer Autoren in der ‚Woche des Buches‘ dem Publikum angeboten wurden … Zuerst lache ich. Ich kaufe zehn meiner eigenen Bücher zum Spottpreis von fünf Mark. Dann gehe ich zur S-Bahn hinauf und lasse mich nach Treptow fahren. In der Ecke sitzend, meine billigen Bücher in der Tasche, rollen mir die Tränen übers Gesicht.“

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„Die Skizzen zum Buchhandel in der DDR zu lesen, war dann doch irgendwie schmerzhaft.“ – Ein erstes Gespräch mit der ehemaligen Volksbuchhändlerin Heike Wenige folgt kommende Woche

„Ich muss das einfach tun.“ – SteglitzMind stellt Hartmut Abendschein von der edition taberna kritika vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute steht das 50. Gespräch an. Mit Hartmut Abendschein, der seine edition taberna kritika 2007 ins Leben gerufen hat. Den Vorschlag machte Günter Vallaster von der edition ch.

Eine Skizze vom Verlag …

Hartmut Abendschein © Sabine Jansen

Hartmut Abendschein © Sabine Jansen

Die edition taberna kritika (kurz: etkbooks) ist ein Literaturverlag mit Sitz in Bern. Ende 2007 habe ich den Verlag gegründet, um eine Plattform für anspruchsvolle formale, inhaltliche und sprachliche Experimente zu schaffen. Vorausgegangen ist eine längere Beschäftigung im und mit dem Umfeld der Netz- und Weblogliteratur – als Autor und Herausgeber, seit Anfang der 2000er. Mein literarisches Weblog hieß damals und heißt heute noch taberna kritika, mittlerweile ist es vor allem Werkstatt und literarischer, digitaler Vorlass.

Die Programmschwerpunkte?

Der Editionsname kommt also nicht von ungefähr. Mit der Edition versuche ich in kleinstmöglicher Struktur eine maximale literarische Bandbreite abzubilden, in der auch die Darstellung von offenen Textformen und Schreibprozessen sowie unterschiedlichste Medientypen Platz finden. Vor 2 bis 3 Jahren habe ich ihr eine noch stärkere konzeptuelle Ausrichtung verpasst. Sie ist jetzt eine differentielle Exempelsammlung in Progress. In den Medien Buch, Objekt und Digitales Objekt erschließt sie systematisch das Feld eines erweiterten Literatur- und Lesebegriffs und untersucht die vielfältigen Produktions- und Rezeptionsmöglichkeiten literarischer Ausdrucksformen. Im Lo-Fi-Modus soll einer durch Markt und Betrieb verengten Ästhetik ein breites Spektrum an Arbeiten entgegengehalten werden, die einschlägige Kategorisierungen um Autorschaft, Werk und Gattung problematisieren.

Machen Sie alles alleine?

Ich mache immer noch das Meiste alleine, habe aber Unterstützung in der Auslandsauslieferung durch eine Kölner Galerie und eine Handvoll Leute, mit denen immer wieder kleine Veranstaltungen durchgeführt werden. Wenn ich etwas nicht selbst machen kann, hole ich punktuell auch freie Mitarbeiter bzw. Dienstleister mit ins Boot.

Ihre persönlichen Highlights?

etbooks cover1Highlights? Da jeder Titel für eine eigene Koordinate steht und jetzt und künftig eine Bedeutung in der Gesamtstruktur hat, habe ich keinen speziellen Liebling. Auffälliger sind natürlich gewisse Titel, die medial stärker rezipiert wurden, oder einen Preis oder Förderungen erhielten etc. Wie Roland Reichens “Sundergrund”, Li Mollets “sondern”, Franz Dodels “Von Tieren” oder das “Schellendiskursli” von mir.

Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?

Nach Buchhandelsausbildung, Literaturstudium, Praktika und Volontariat im Bereich Literatur – Buch – Medien lag das für mich lange auf der Hand. Da ich noch einen anderen – allerdings literaturaffinen – Job habe, bin ich sozusagen teilselbständig. Damit hänge ich finanziell nicht vollständig vom Wohl und Wehe der Produktion ab und bin inhaltlich und programmgestalterisch sehr unabhängig. Das schätze ich sehr. (In gewissem Sinne ist es sicher aber auch eine Kompensationsstrategie, weil man in meinem Alter eher nicht mehr in einer Punkrockband spielt.)

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Als neugieriger und geselliger Mensch sehe ich da keine Schwierigkeiten. Außerdem, wenn man das als künstlerische Arbeit bezeichnen will: ich muss das einfach tun.

Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?

Da ich mich immer schon mit Digitalität beschäftigt habe, gab es keine großen Veränderungen. Gewisse Workflows waren von Anfang an auch schon so da. Im Laufe der Zeit konnte ich aber einige Prozesse verschlanken und optimieren.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

etbooks cover2Ich habe immer schon den Merve-Verlag bewundert mit seiner minimalistischen Serialität. Die aber immer absolut stimmig und zeitgemäß war. (Natürlich gibt es noch einige andere Verlage, die das so durchziehen.) etkbooks orientiert sich teilweise daran, hat programmatisch aber einen etwas anderen Ansatz. Tendenziell sind abseitigere Schreibansätze, Mischformen, Experimente, medial und inhaltlich gewagtere Konzepte gefragt. Auch: ein spielerischer Umgang mit der Materialität von Zeichen. Und dabei soll es nicht allzu verkrampft zugehen. Das Ignorieren betrieblicher Buchzyklen, beispielsweise, kann sehr befreiend sein.

Prinzipiell sehe ich die ganze Verlagsproduktion, also den Verlagstext, eher als akkumulatives Gesamtkunstwerk. Ein einzelner Titel steht dabei weniger im Vordergrund als der Dialog der Texte untereinander. Und dieser Dialog soll auch auf der Höhe der Zeit stattfinden. Hochgejazzte Autorschaftsinszenierungen gibt es bei etkbooks auch nicht.

So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Ich glaube, das war ganz OK so, wie es bislang lief …

Wie gewinnen Sie Autoren?

etbooks cover3Über Netzwerke (z.B. litblogs.net), Veranstaltungen, die ich besuche, oder auf kleineren Messen, auf denen ich ausstelle. Auch über persönliche Kontakte, schreibende Freunde. Wenige Male bin ich auch schon auf Autoren direkt zugegangen, wenn ein Textansatz besonders gut ins Programm gepasst hat. etkbooks bekommt allerdings auch regelmäßig unverlangte Manuskripteinreichungen. Meistens merke ich aber sofort, dass sich die Verfasser gar nicht mit dem Verlagskonzept beschäftigt haben und die Texte passen dann nicht mal ansatzweise. Jedenfalls ist die Textpipeline voll und ich muss gerade das Jahr 2017 ordnen. Da ich selbst auch schreibe, muss ich noch hinzufügen, dass immer mal wieder auch ein Bändchen von mir bei etkbooks erscheint. Ich war zwar früher auch schon bei einigen anderen kleinen Verlagen. Derzeit habe ich aber keine Lust mehr, mit – für Außenstehende – seltsamen, abseitigen, unverständlichen, aber mir wichtigen Textprojekten und Schreibansätzen auf langwierige Verlagssuche zu gehen. Wozu auch, wo ich mir doch nun so ein kleines Maschinchen gebaut habe.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Wie gesagt: ich mache das Meiste selbst. (Bis auf die Auslandsversände etc.) Das ist in der Größenordnung gerade noch leistbar. Wie es in 5 Jahren aussehen wird, kann ich im Moment allerdings noch nicht sagen, weil ja doch auch ein gemächliches, aber kontinuierliches Wachstum zu verzeichnen ist.

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Ich freue mich, wenn der Buchhandel bei mir bestellt. Das macht bei mir derzeit vielleicht knapp die Hälfte aller Bestellungen aus. Aber sicher kann man das noch verbessern. Ein paar gut sortierte, spezialisierte Buchhandlungen, auch solche mit Kunstkontexten, haben etkbooks-Novitäten immer an Lager. Ich forciere aber nicht eine breitere Streuung bzw. Präsenz in Buchläden mit allgemeinem Sortiment. Es sind ja in der Regel keine Bücher, die sich im Stapel von selbst verkaufen, weil da wie wahnsinnig in die Werbung gepumpt wird.

Wie halten Sie es mit Amazon?

etbooks cover4etkbooks liefert keine Bücher über Amazon aus und hat dort auch kein Lager – keine Margenkämpfe, keine Magenkrämpfe. Um Zweitverwertern und Ramschern das Feld aber nicht kampflos alleine zu überlassen, bietet es die Bücher über den Marketplace an. Zudem bleibt der Titel so als lieferbarer Titel präsent. Wo es sinnvoll ist, gibt es etkbooks als Kindle-Editions, ca. ½ Jahr nach Erscheinen der Printedition. Die Digitalen Ausgaben gibt es natürlich auch auf anderen Plattformen.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Das übliche im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten: Mailings, Twitter, Blogposts, Messeauftritte, ab und zu mal eine Anzeige. Rezensionsexemplare, die auf Abruf, aber generell großzügig ausgegeben werden. Auch an interessierte BuchbloggerInnen. Die Kooperation mit SWIPS hilft bei der Vernetzung. Veranstaltungen, Lesungen etc. sind natürlich auch nicht schlecht … Ab und zu gibt es einen kleinen Preis oder Titelförderungen, die können etwas beflügeln.

Wie halten Sie es mit dem Schweizer Buchhändlerverband?

Der Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV macht immer wieder gute Sachen und ist in der Schweizer Buchbranche eine wichtige Instanz, auch wenn ich nicht mit allen Überlegungen und Maßnahmen einverstanden bin. etkbooks ist allerdings (noch) zu klein dafür. Dafür ist etkbooks bei SWIPS dabei, die oft mit dem SBVV kooperieren.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Lesende mit Sinn für Bewusstseinserweiterungen, Theorie in der Praxis, Experimente, Freude am Erkenntnisgewinn, an Prozesshaftigkeiten, Fragmenten und komplettistischer Sammelwut.

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen? Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

etbooks cover5Die Chancen und Risiken halten sich gegenseitig in Schach. Das hat ein gewisses Entspannungspotential.

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

Das sind oft ganz angenehme Leute. Meistens können sie gute Partys organisieren.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Es stellt sich die Frage: soll damit (hauptsächlich) Geld oder (hauptsächlich) Kunst gemacht werden? Für den ersten Fall habe ich keinen Tipp. Der interessiert mich eigentlich auch gar nicht. Für Fall 2: Ein stabiles Konzept und ein langer Atem schaden da nicht. Ein Nichtverstandenwerden bzw. Pathologisierungen muss man aushalten können. Am besten, man legt sich erst mal eine Lederjacke zu.

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

In dieser Reihe wurden schon einige Verlage genannt, die ich gut finde und deren Produktion ich interessiert verfolge. Auf die SWIPS Independent Publishers habe ich auch schon aufmerksam gemacht. Namentlich will ich noch die kleinen Literaturverlage wie bspw. den verlag die brotsuppe, Der gesunde Menschenversand oder die edition pudelundpinscher erwähnen. Und: Ein Gruß nach Biel geht ans Haus am Gern bzw. die Edition Haus am Gern und einer nach Basel an das Büro für Problem.

Herzlichen Dank für diesen Einblick.

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

das Logo © etbooks

das Logo © etkbooks

Die edition taberna kritika im Netz:

Verlagswebsite: http://www.etkbooks.com

Twitteraccount mit Informationen aus Verlag und Werkstatt, obskuren Beobachtungen und streng subjektivistischen Notaten: http://twitter.com/etkbooks

„Das richtige Buch zur richtigen Zeit in die richtigen Hände.“ – Buchhandel in der DDR (Teil 2)

Womöglich habe ich mir mit dem Vorhaben, die Geschichte des DDR-Buchhandels auszuloten, zu viel vorgenommen? Je länger mich die Materie allerdings beschäftigt, desto mehr Fragen stellen sich, die nur diejenigen beantworten können, die dabei gewesen sind.

Trotzdem habe ich Mut zur Lücke: In fünf Folgen werde ich darlegen, was ich bisher zur Entwicklung des Buchhandels in der DDR (Teil 1 – 4) und nach der Wende (Teil 5) trotz spärlicher Quellen recherchiert habe. – Warum wage ich diese Skizze? Weil ich mir erhoffe, dass sich Zeitzeugen einfinden, die das eine und andere aus der eigenen Erfahrung zurechtrücken und/oder Lücken schließen.

Eine Zusammenstellung der verwendeten Quellen findet sich hier.

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Autokennzeichen der DDR © GvP

Autokennzeichen der DDR © GvP

Gemessen wurde der DDR-Buchhandel daran, inwieweit er den Anforderungen nachkam, die gemäß den beschlossenen Jahresplänen in staatlichen Planungskennziffern festgelegt waren. Hauptkennziffer war der vorgegebene Warenumsatz. Um Anreize bei den Mitarbeitern zu schaffen, die Kennziffern der staatlichen Planung zu erfüllen, gab es ein Prämienmodell, welches die ohnehin nicht üppig bemessenen Bezüge aufbessern sollte. Außerdem konnten Volksbuchhändler Vergünstigungen wie etwa Preisnachlässe bei Besuchen von kulturellen Einrichtungen und Veranstaltungen in Anspruch nehmen. Angestellte hingegen, die in privatwirtschaftlich geführten Läden beschäftigt waren, durften lediglich die Hälfte des Tariflohnes erhalten, der für den volkseigenen Sektor vorgeschrieben war. Grundlage dafür war der sogenannte Gehaltsgruppenkatalog für den Volksbuchhandel, nach dem das Anfangsgehalt eines Sortimenters mit dem Berufsabschluss Buchhändler 350 Ostmark betrug.

Ein wichtiges Arbeitsmittel war die „Einheitliche Systematik“, die Anfang der 1960er eingeführt wurde. Erfunden hatte sie der Dresdner Buchhändler Schneider, genannt ES Schneider. Bestellt wurde seit 1949 auf einem einheitlichen Bestellzettel in DIN-A6 Format, ein Verlagsnummernsystem gab es seit 1952. An dem Verfahren, Titel handschriftlich zu bestellen, wurde bis zum Ende der DDR festgehalten.  Von den 707 existierenden Volksbuchhandlungen verfügte 1989 nicht eine einzige über einen Computer. Mit Ausnahme des Dietz-Verlages, für dessen Publikationen es je nach Buchhandelsgröße feste Bezugsstaffeln gab, konnten die jeweiligen Sortimente frei zusammengestellt werden. – Jedenfalls im Idealfall.

Bestellt wurden die Titel bei der zentralen Auslieferung Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel, kurz: LKG. Der 1946 gegründete Monopolist war verpflichtet, die Bestände aller DDR-Verlage ohne Zeitlimit kostenlos einzulagern. Bestellgrundlagen waren der seit 1948 alljährlich erscheinende Lagerkatalog der LKG und der Vorankündigungsdienst (VD), in dem die neuen Titel, meist mit kurzen Angaben zu Inhalt und Zielgruppen, sechs bis acht Wochen vor Erscheinen annotiert wurden. Dass die angekündigten Auslieferungstermine so gut wie nie eingehalten wurden, war ein offenes Geheimnis. Der Vorankündigungsdienst, den LKG seit 1952 herausgab, lag wöchentlich dem Leipziger Börsenblatt als Heft bei. Bei den Kunden besonders nachgefragt und entsprechend häufig vorbestellt waren immer Ratgeber, besonders aus dem Do-It-Yourself-Bereich, Sach- und Fachbücher sowie Kinderbücher und Kalender. Um „Überzeichnungen“ dieser marktgängigen Titel abzustellen, ließ man später im Vorankündigungsdienst solche Titel einfach aus, die erfahrungsgemäß ein besonders großes Echo finden würden.

Immer stand der DDR-Buchhandel vor dem Dilemma, dass seine Kundschaft gerade das nicht konsumieren wollte, was er ihr namens der Partei hätte schmackhaft machen sollen. Die politisch genehmen Titel, die in hoher Auflage produziert wurden, waren nicht loszuschlagen. Das jedoch, was weggegangen wäre wie geschnitten Brot, war zumeist nicht lieferbar. Dieses Missverhältnis zeitigte Kunden, die immer ungeduldiger nach Lesestoffen außerhalb des geltenden Kanons fragten und ihren Unmut bisweilen auch bei jenen abluden, die für die Misere nichts konnten – den Buchhändlern. Die wiederum kühlten ihr Mütchen an LKG, der für die Missstände ebenfalls nichts konnte.

Mit der Zeit stauten sich in den Läden Massen an unverkäuflichen Büchern, die laut Plan aber vorgehalten werden mussten. In der Folge, dass die Läden aus allen Nähten platzen, spitzte sich die Situation auch bei der LKG immer dramatischer zu. Dort wusste man sich ab den 1970ern gelegentlich nicht anders zu helfen, als die unverkäuflichen Bestände ins Freie auszulagern, wo sie in Ermangelung von Schutzplanen, die nirgends aufgetrieben werden konnten, auch Wind und Wetter ausgesetzt waren. Vergleichbares sollte sich auch nach der Wende ereignen, als der Buchhandel seine Regale für die begehrten West-Titel räumte. In der Not wurden tonnenweise Bücher in einen stillgelegten Tagebau gekippt. Darunter sogar solche Titel, die vor kurzer Zeit in der DDR noch heiß begehrt waren.

Der ehemalige Hauptdirektor des Volksbuchhandels, Heinz Börner, berichtet von Bemühungen, die unverkäuflichen Bücher in der DDR umzuverteilen. So wurde Mitte der 1950er Jahre auf dem Leipziger Messegelände eigens die Halle 9 angemietet, um Platz für Bestände zu schaffen, die aus allen Teilen der Republik zusammengekommen waren. Der Versuch, Bücher an den Mann zu bringen, die keiner haben wollte, missglückte allerdings gründlich, weil man die Bedingungen der damaligen Zeit aus dem Auge verloren hatte. Entweder fehlten Kraftfahrzeuge für die Beförderung der Bücher. Oder es mangelte an Benzin für die Transportwagen.

Dem nicht genug. Die Bezeichnung „Halle 9“ sollte zu einem Synonym für jene Missstände avancieren, die die sozialistische Planwirtschaft Mitte der 1950er hervorgebracht hatte. Der Umstand, dass sich derartige Halden an unverkäuflichen Titeln hatten bilden können, obwohl die Bücher doch nach Plan produziert worden waren, durfte nicht sein. Zumal es sich bei den unverkäuflichen Büchern vorrangig um Titel aus dem parteieigenen Dietz-Verlag handelte. Im Juli 1957 berief das Politbüro der SED eine Kommission, um die literaturverbreitenden Institutionen zu überprüfen und gegebenenfalls deren Arbeit zu optimieren. In den nachfolgenden zwei Jahren sollten sich eine ganze Reihe von Untersuchungsausschüssen und Parteibeschlüssen mit dem Ziel beschäftigen, Buchhändler von ihrer politisch-ideologischen Funktion zu überzeugen.

Die Folgen waren erheblich. Die Zentrale Verwaltung des Volksbuchhandels, die sich nach einigen Umstrukturierungen schließlich im Januar 1954 gebildet hatte, wurde nach nur vier Jahren wieder aufgelöst. Fritz Brilla (geb. 1907), der sich u.a. für die Koexistenz privater Buchhandlungen ausgesprochen hatte, verlor seinen Leitungsposten. Andere Mitarbeiter aus der Zentralen Verwaltung gingen 1958 offenbar nach Westdeutschland. Außerdem soll es zu einer Enteignungswelle gekommen sein.

Zum 1. Juli 1958 übernahm die sogenannte Zentrale Leitung die Aufgaben der bisherigen Zentralen Verwaltung. Bis zum Ende der DDR residierte sie – wie ehemals die Verwaltung auch – in der Friedrich-Ebert-Straße 25 in Leipzig. Allein die Umbenennung ist signifikant für die Konsolidierung eines Literaturvertriebs, der vollständig gelenkt und kontrolliert werden sollte, um die politischen Vorgaben zu erfüllen. Die Leitung übernahm Hellmuth Fischer (geb. 1916), der die Funktion 25 Jahre innehaben sollte. Ihm sollte Heinz Börner (geb. 1934) folgen, der ehemals Offizier bei den Seestreitkräften war.

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Buchhandel in der DDR (Teil 3) „Im Großhandel lagen alle meine Bücher …“ folgt kommende Woche

Das ungelöste Verhältnis von Politik und Ökonomie. – Buchhandel in der DDR (Teil 1)

Womöglich habe ich mir mit dem Vorhaben, die Geschichte des DDR-Buchhandels auszuloten, zu viel vorgenommen? Je länger mich die Materie allerdings beschäftigt, desto mehr Fragen stellen sich, die nur diejenigen beantworten können, die dabei gewesen sind.

Trotzdem habe ich Mut zur Lücke: In fünf Folgen werde ich darlegen, was ich bisher zur Entwicklung des Buchhandels in der DDR (Teil 1 – 4) und nach der Wende (Teil 5) trotz spärlicher Quellen recherchiert habe. – Warum wage ich diese Skizze? Weil ich mir erhoffe, dass sich Zeitzeugen einfinden, die das eine und andere aus der eigenen Erfahrung zurechtrücken und/oder Lücken schließen.

Eine Zusammenstellung der verwendeten Quellen findet sich hier.

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Autokennzeichen der DDR © GvP

Autokennzeichen der DDR © GvP

Obwohl sich die Bedingungen im Kulturbetrieb im Zuge des Zentralisierungs- und Professionalisierungsprozesses in der Phase zwischen 1951 und 1965 zunehmend verschärften, ließen sich die Buchhändler nur mit Mühe vor den Karren der Politik spannen. Am buchhändlerischen Selbstverständnis konnte auch der flächenmäßige Ausbau und organisatorische Aufbau des Volksbuchhandels bis Ende der 1960er Jahre nicht rütteln, in dessen Verlauf die verbliebenen privaten Buchhandlungen zunehmend zurückgedrängt beziehungsweise in Gestalt von sogenannten Kommissionsbuchhandlungen vereinnahmt wurden. Ende 1952 gab es in der DDR 322 Volksbuchhandlungen, zirka 50 Gewerkschaftsbuchhandlungen und etwa 850 private Buchhandlungen (Petry 2001, S. 48.) Ab Mitte der 1960 gaben viele private Sortimenter auf. Wahrscheinlich ist, dass viele von ihnen dem wachsenden Druck nicht standhielten.

Viel weiß man über die schwierigen Umstände und prekären Verhältnisse, denen der private Buchhandel in der DDR unterlag, leider nicht. Dietrich Löffler (2011) berichtet, dass Buchhändler diskriminiert und in Einzelfällen sogar kriminalisiert wurden. Nach 1948 wurden ihnen Devisengeschäfte angelastet, später Wirtschaftsvergehen unterstellt, die auch mit Haftstrafen geahndet wurden. Wie zum Beispiel Anton Hiersemann, der 1951 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde und erst 1991 wieder rehabilitiert werden konnte.

Zeit seiner Existenz musste der private Buchhandel immense Widerstände und Benachteiligungen in Kauf nehmen. Er wurde mit hohen Steuernachzahlungen belegt, seinen Wareneinkauf beeinträchtigten spezielle Auflagen, Bücher durften nur an Privatkunden verkauft werden. Die Übergabe des Ladens an Erben oder andere Interessierte war ihm lediglich in Ausnahmefällen gestattet, Banken gewährten keine oder nur unter extremen Auflagen Kredite. Etwas besser soll die Lage bei den christlichen Buchhandlungen gewesen sein, die weniger stark im Visier der Partei standen.

Ein konstituierendes Element für die umfassende Steuerung und Kontrolle der literarischen Infrastruktur war die Gründung der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur im Jahr 1963. Die Zentralisierung des Literaturvertriebs forcierte schließlich die „Anordnung über das Statut des Volksbuchhandels“, die gut anderthalb Jahre nach Einrichtung der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im August 1964 mit dem Ziel verabschiedet worden war, die Handlungsspielräume der Mitarbeiter im Buchhandel weiter zu beschneiden. Von weitreichender Bedeutung war außerdem das „Perspektivprogramm für die ideologische und kulturpolitische Arbeit auf dem Gebiet der Literatur, des Verlagswesens und der Literaturverbreitung“, das im Februar 1965 erlassen wurde.

Auf Grundlage des Perspektivprogramms wurde die „Ordnung für den Literaturvertrieb“ erarbeitet, die das „Zusammenwirken aller am Literaturvertrieb beteiligten Betriebe und Einrichtungen zum Nutzen der Bürger der DDR“ regeln sollte. Die Bestimmungen, die im Spätsommer 1969 verabschiedet wurden, lösten die „Buchhändlerische Verkehrsordnung“ ab, die zwar bislang offiziell nicht außer Kraft gesetzt, wohl aber durch gravierende strukturelle und organisatorische Maßnahmen ausgehebelt worden war. Im Juli 1976 wurde die „Ordnung für den Literaturvertrieb“ aktualisiert und 1981 abermals abgeändert. Diese Fassung blieb bis zum Ende der DDR gültig.

Dass Buchhändler mitunter recht eigensinnig sein können, das haben sie auch in der DDR bewiesen. Die Gesetze des Marktes, und hier vornehmlich das Prinzip von Angebot und Nachfrage, waren ihnen wohl stets näher als die zugedachten gesellschaftspolitischen Funktionen, nach denen der Buchhandel als eine „Institution zur Verbreitung der Ideologie“ galt, die mit „fortschrittlicher Literatur“ einen Beitrag zur „Erziehung der sozialistischen Persönlichkeit“ zu leisten hatte. Dass der politische Auftrag mit dem hergebrachten buchhändlerischen Selbstverständnis nicht konform ging, trieb den frisch bestallten Leiter des Volksbuchhandels, Fritz Brilla, 1956 in seinem Grundsatzartikel „Es geht um die Arbeit des Volksbuchhandels“ um: „Eine solche [fortschrittliche] Literatur zu vertreiben, ist nicht Vorgang krämerhaften Handelns, nicht ein Vorgang des Profits oder Gewinns wegen, nicht ein wirtschaftlicher Vorgang; eine solche Literatur zu vertreiben, ist eine politisch-gesellschaftliche Aufgabe, ist eine kulturpolitische Funktion.“ (zit. nach Löffler, 2011, S. 213f.)

Obschon die Manschetten immer enger gezogen und die Anforderungen höher geschraubt wurden, blieb der Buchhandel auf jenen Büchern sitzen, die er aus ideologischen Gründen massenhaft unters Volk hätte bringen sollen. Das galt insbesondere für die Klassiker des Marxismus-Leninismus, Schulungs- und Propagandamaterialien der Partei und die „sozialistische Gegenwartsliteratur“, deren Produktion und Verbreitung ab der ersten Bitterfelder Konferenz im April 1959 in der Hoffnung vorangetrieben wurde, eine genuine „sozialistische Nationalkultur“ aus der Taufe zu heben. Erhebliche Probleme beim Absatz, die den Buchhandel immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik brachten, hatten vor allem Publikationen aus dem parteieigenen Dietz-Verlag, der nach dem Zusammenschluss von KPD und SPD aus der Zusammenlegung der ihnen zugehörigen Verlage „Neuer Weg“ (KPD) sowie „Vorwärts“ und „Das Volk“ (SPD) im Juni 1946 entstanden war und der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe im ZK der SED zugeordnet wurde.

An dem Umstand jedoch, dass jene Bücher wie Blei in den Läden lagen, deren Lektüre die Partei für notwendig erachtete, konnten weder eine „Ordnung für den Literaturvertrieb“, noch die verstärkten Anstrengungen der Funktionäre rütteln, Buchhändler auf die Funktion eines Transmissionsriemen für Agitprop einzuschwören. Trotz Verteilerpraktiken und einer oft restriktiven Warenbestandsplanung stiegen die Bestände an nicht absetzbarer Literatur im Volksbuchhandel kontinuierlich an. Wenn die ideologischen Traktate aus dem Verlag Volk und Wissen, dem Akademieverlag, dem Staatsverlag und dem Dietz-Verlag überhaupt über den Ladentisch gingen, dann wurden sie vielfach nicht bezahlt. Dass ausgerechnet die Literaturobleute der SED, deren Aufgabe es gewesen ist, die Grundeinheiten der Partei mit Schulungs- und Propagandamaterial zu versorgen, im Verlauf der Jahrzehnte beim Volksbuchhandel immense Schulden anhäuften, entbehrt sicher nicht einer gewissen Ironie. Laut Löffler (2011) beliefen sich deren Schulden jährlich allein auf circa 1 Million Ostmark. Dass die „Genossen“ zudem nicht gemahnt werden durften, sorgte unter den Buchhändlern ebenso sehr für Irritation wie der Umstand, dass deren Gesinnung doch nicht so vorbildhaft war wie propagiert wurde. In den Rechenschaftsberichten der Leitungen des Volksbuchhandels, die nach Rentabilität und Gewinn strebten, waren die unbezahlten Rechnungen der Literaturobleute jedenfalls ein immer währendes Thema.

Schlussendlich waren sämtliche Anstrengungen, den Buchhandel auf die politisch-ideologische Linie zu bringen, a priori zum Scheitern verurteilt. Schon deshalb, weil den Sortimentern die Nachfrage seitens ihrer Kundschaft zwangsläufig immer näher stand als Ansagen der Partei. Dieser systemimmanente Widerspruch, auf den die Politbürokratie gebetsmühlenartig mit dem Vorwurf reagierte, dass der Buchhandel „die Frage des Verhältnisses von Politik und Ökonomie zugunsten der Ökonomie verschoben“ habe, wurde bis zum Ende der DDR nicht aufgelöst. Selbst noch im Jahr 1986 fand die 4. Ökonomische Konferenz des Volksbuchhandels unter dem Motto „Kulturpolitik und Ökonomie – eine Einheit im buchhändlerischen Handeln“ statt.

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Buchhandel in der DDR (Teil 2) „Das richtige Buch zur richtigen Zeit in die richtigen Hände“ kann man hier nachlesen

„Wenn ich Kompromisse eingehen wollen würde, würde ich keinen eigenen Verlag brauchen.“ – SteglitzMind stellt Jano Rohleder von dani books vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute steht Jano Rohleder von dani books Rede und Antwort. Der Vorschlag kommt von Mark Fischer vom Epsilon-Verlag.

Eine Skizze vom Verlag …

dani books ist ein deutscher Comicverlag, der seit Herbst 2012 All-Age- und Erwachsenentitel veröffentlicht. Alle Titel liegen sowohl in gedruckter Form als auch digital vor, außerdem kann man sich bei einem Großteil der Comics eine kostenlose Digital Copy herunterladen, wenn man die Druckausgabe gekauft hat.

Machen Sie alles alleine?

Comic-Salon Erlangen: v.l.n.r.: Standhelfer Sergio Presta, Zeichner Giovanni Rigano ("Monster Allergy"), Zeichnerin Paola Antista ("Katzen!"), Verlagsleiter Jano Rohleder, Autor und Zeichner Stephen Mooney ("Half Past Danger - Damen. Draufgänger. Dinosaurier.") sowie Stephens Frau Jacintha. © dani books

Comic-Salon Erlangen: v.l.n.r.: Standhelfer Sergio Presta, Zeichner Giovanni Rigano („Monster Allergy“), Zeichnerin Paola Antista („Katzen!“), Verlagsleiter Jano Rohleder, Autor und Zeichner Stephen Mooney („Half Past Danger – Damen. Draufgänger. Dinosaurier.“) sowie Stephens Frau Jacintha. © dani books

Ich bin mein einziger Mitarbeiter und mache aus Budgetgründen nahezu alle der anfallenden Tätigkeiten selbst (Layout, Lettering, Lektorat etc.). Das ist zwar ein Haufen Arbeit, kostet mich aber natürlich entsprechend weniger und sorgt zudem dafür, dass am Ende alles genauso aussieht, wie ich mir das vorgestellt habe. Bei Übersetzungen und Textüberarbeitungen lasse ich mir aber bei vielen Titeln etwas helfen, da ich zwar eigentlich Übersetzer bin, es aber aufwandstechnisch für mich gar nicht zu schaffen wäre, alles auch noch selbst zu übersetzen.

Ihre Highlights im Bücherjahr?

Ein Highlight dieses Jahr dürften sicherlich die zwei brandneuen „Isnogud“-Alben aus Frankreich sein, die bei mir als deutsche Erstveröffentlichung erscheinen … und da nun „Akte X“ als TV-Miniserie fortgesetzt wird, ist es natürlich nicht unangenehm, dass ich seit anderthalb Jahren die offiziellen Comics zur Serie im Programm habe. Derzeit erscheint noch „Staffel 10“ und nach deren fünftem Band wird dann zu „Staffel 11“ übergegangen.

Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?

Das hat sich mehr oder weniger zufällig ergeben. Ich bin schon seit der Oberstufe Übersetzer (und mittlerweile öfters auch Redakteur) für die Disney-Titel von Egmont Ehapa Media und der Ehapa Comic Collection. Im Zuge dessen habe ich seit Anfang 2011 auch die Don Rosa Collection übersetzt und bearbeitet, eine neunbändige Gesamtausgabe der Duck-Comics von Onkel-Dagobert-Starzeichner Don Rosa, den ich schon seit vielen Jahren gut kenne. Dabei entstand die Idee, doch auch mal Sammelbände von Dons Vor-Duck-Comics zu bringen. Die sind allerdings wirklich hauptsächlich was für Hardcore-Rosa-Fans und daher für einen großen Publikumsverlag kaum geeignet. Da weder Don noch ich eine Veröffentlichung von zwei dicken Hardcoverbänden, die um die 8.000 Euro an Druckkosten bedeutet hätte, aus eigener Tasche bezahlen konnten noch wollten, habe ich dann auf Indiegogo eine Crowdfundingkampagne zur Vorfinanzierung der Ausgabe eingerichtet. Dadurch war auch schnell klar, dass die Bände im englischen Original erscheinen würden, weil sie sonst für die Fans aus aller Welt natürlich wenig geeignet gewesen wären.

Da man in Deutschland nichts einfach mal so verkaufen darf, habe ich aufgrund der Kampagne ein Gewerbe als Verlag angemeldet und so kam eins zum anderen. Das Faninteresse war jedenfalls so groß, dass mehr als die doppelten angepeilten Einnahmen erreicht wurden und beide Bände gedruckt werden konnten.

Tja, und da es ziemlich interessant und spaßig war, diese Bücher anzufertigen und ich gleich mal lieber 100 ISBNs auf Vorrat gekauft hatte, weil das im Verhältnis deutlich günstiger war, als nur zehn zu nehmen, stand dann schnell die Frage auf dem Plan, mit was es denn weitergehen würde … 98 ISBNs dürfen schließlich nicht einfach so verfallen. 😉 So kam es zu den Plänen für das erste deutschsprachige Comicprogramm, das im Frühjahr 2013 (nachdem die Don Rosa Classics im Herbst 2012 erschienen waren) an den Start ging.

Was machte Sie bislang besonders glücklich?

dani books_cover monster aBesonders froh bin ich darüber, dass ich meine Lieblingsreihe Monster Allergy einkaufen und zurück nach Deutschland bringen konnte, die meiner Meinung nach eine der lustigsten und am besten geschriebenen Comicreihen der letzten Jahrzehnte ist. Insgesamt gibt es 29 Episoden, von denen drei 2003 schon mal als Kioskhefte bei Carlsen erschienen waren und von 2007 bis 2009 noch mal 16 Episoden in acht kleinen Doppelbänden bei Egmont. Beide Male wurde die Reihe dann wegen geringer Verkaufszahlen eingestellt. Bei mir erscheint Monster Allergy nun seit 2013 in Paperback-Gesamtausgaben mit je vier Episoden, sodass die Reihe am Ende in acht Bänden komplett vorliegen wird. Dabei freut mich zum einen, dass meine Ausgabe laut den Autoren die weltweit beste Fassung ist, und zum anderen natürlich auch, dass es meine bestlaufende Comicreihe ist und ich bei den Monster Allergy -Bänden (im Gegensatz zu einem Großteil meines restlichen Programms) tatsächlich ein bisschen Gewinn mache. Band eins ist mittlerweile bereits in Zweitauflage und Band zwei wird in Kürze ebenfalls nachgedruckt, sodass ich ab Band vier die Startauflage von bislang 1.200 Exemplaren entweder auf 1.500 oder sogar noch ein paar mehr Exemplare anheben werde.

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Natürlich dämpft es die Motivation etwas, wenn mal wieder von einem Titel vielleicht nur 200 Exemplare ausgeliefert wurden … aber letztlich bleibt das Engagement doch immer erhalten, da ich der Überzeugung bin, dass der deutsche Comicmarkt dani-books-Titel braucht. 😉 Es gibt noch so viele tolle Comics, die es ohne mich potenziell nie nach Deutschland schaffen würden, dass es mir auch weiterhin lohnenswert erscheint, welche zu veröffentlichen. Verständlicherweise ist es für die Motivation auf Dauer aber schon ganz vorteilhaft, wenn die entsprechenden Titel dann letztlich auch zumindest kostendeckend sind.

Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?

Da ich schon von Beginn an mit digitalen Vorlagen gearbeitet habe, kenne ich es nicht anders. Daher war meine Arbeitsweise entsprechend auch immer schon so wie heute.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

Ich orientiere mich prinzipiell nicht an anderen Verlagen oder irgendwelchen „Konventionen“. Würde ich das tun, wären die fertigen Bände nur Kompromisse. Ich mache Bücher so, wie ich es für richtig halte und wie ich sie selbst auch kaufen wollen würde. Das bedeutet für mich: kostenlose Digital Copys zu allen Titeln (sofern lizenzbedingt möglich) anbieten, Übersetzungen nach dem höchstmöglichen Qualitätsstandard abliefern sowie niemals stillstehen, was Optimierungen betrifft. Von daher käme es für mich nie infrage, mich bei anderen Verlagen umzusehen, wie dort etwas gemacht wird. Ich habe von all meinen Bänden eine ganz genaue Vorstellung und gebe mich erst dann zufrieden, wenn diese Vorstellung beim fertigen Produkt zu 100 % erreicht ist. Wenn ich Kompromisse eingehen wollen würde, würde ich keinen eigenen Verlag brauchen, das kann ich auch, wenn ich für andere Verlage arbeite. 😉

Wollen Sie das etwas ausführen?

dani books_cover katzenEin Beispiel: Aus irgendeiner Unsitte heraus gibt es in Deutschland bei vielen Comicverlagen die unsinnige Angewohnheit, Ellipsen – also diese drei Auslassungspunkte … – vor einem Satz mit Leerschritt zu setzen, aber am Satzende ohne:

… dies ist ein Beispieltext…

Das sieht nicht nur ziemlich doof aus, sondern folgt auch absolut keinen deutschen Formatierungs- oder Grammatikstandards. Ich vermute, man hat das einfach mal irgendwann aus den französischen Originalalben übernommen und dann hat sich das im Laufe vieler Jahre ärgerlicherweise so eingebürgert, dass es sogar einige Comicverlage gibt, die zwingend darauf bestehen, dass man die Auslassungszeichen so setzt. Natürlich kommt da nie mal jemand im Verlag auf die Idee, sich zu fragen, ob das überhaupt richtig ist oder Sinn ergibt. Im Deutschen müssen die Auslassungszeichen aber auf beiden Seiten mit Leerschritt gesetzt werden, also: … dies ist ein Beispieltext …

Die einzige Ausnahme ist lediglich, wenn ein Satz mitten im Wort abgebrochen wird: … dies ist ein Beispielte…

Von daher versuche ich gar nicht erst, mich bewusst von anderen Verlagen abzuheben, sondern das geschieht durch meine Vorgehensweise bereits automatisch. Nur weil alle (oder zumindest viele) beispielsweise ihre Zeichensetzung falsch machen, muss ich das ja nicht auch tun. Gleiches gilt entsprechend auch für andere Bereiche der Buchinhalte.

Ein feines Beispiel …

Anderes Beispiel: Deutschland ist hinsichtlich digitaler Comics immer noch nahezu ein Niemandsland, weil die Verlage oftmals immer noch tierisch Angst vor der bösen digitalen Technik haben. Die könnte ja zu Raubkopien führen, Umsatzeinbrüche bewirken etc. blabla. Ich hingegen will Comics digital lesen können, wenn ich will, und nicht, wenn’s dem Verlag zufällig mal gerade passt, eine Reihe anzubieten. Von daher ist es für mich selbstverständlich, dass ich nicht nur wann immer möglich kostenlose Digital Copys für Käufer der Druckausgaben anbiete, sondern auch alle großen digitalen Marktplätze bediene. So ist das komplette dani-books-Programm sowohl bei Kindle als auch bei beam ebooks erhältlich, außerdem direkt auf der Verlagswebsite und bei Comicanbietern wie Mad Dog Comics oder ComiXology. Darüber hinaus sind meine Titel auch in den Leseflatrates von Kindle Unlimited und demnächst Scribd erhältlich. Und nein, mir brechen dadurch keine Umsätze weg, sondern mir entstehen vielmehr wertvolle Zusatzeinnahmen. Den Promoeffekt weiter Verbreitung und einfacher Verfügbarkeit darf man ebenfalls nicht unterschätzen. Aus diesem Grund biete ich auch die jährlichen Gratis-Comic-Tag-Hefte immer digital an. Denn wer es am Gratis-Comic-Tag nicht in eine Comichandlung schafft, um sich ein gedrucktes Exemplar abzuholen, kann dann immer noch die digitale Fassung lesen und legt sich daraufhin vielleicht die gedruckte oder digitale Ausgabe des entsprechenden Gesamtbands zu.

So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Inzwischen musste ich leider lernen, nicht zuuuu überengagiert zu sein. Es gibt so viele noch auf Deutsch unveröffentlichte Comicreihen, die nicht nur großartig sind, sondern auch perfekt in mein Programm passen würden. In der Anfangsphase habe ich solche Titel immer gleich auf Vorrat eingekauft, was ich heute nicht mehr so machen würde, da einige davon bislang immer noch nicht erschienen sind. Das liegt einfach an den deutschen Marktgegebenheiten und meinen sehr eingeschränkten Vertriebsmöglichkeiten, die sich hauptsächlich auf den Comicfachhandel beschränken. Natürlich sind meine Titel auch alle über Buchhandlungen und Shops wie Amazon etc. erhältlich, aber wenn man dann etwas veröffentlicht, das man als Leser bei einem Onlineshop nie finden würde, wenn man nicht gezielt danach sucht, ist das halt problematisch.

dani books_cover halfBei einem Großteil meiner Titel bin ich darauf angewiesen, dass potenzielle Leser sie zufällig im Comicladen stehen sehen, um überhaupt mitzukriegen, dass es sie gibt. Ist aber natürlich schwer, wenn der Fokus in Deutschland primär auf frankobelgischen Albentiteln für Erwachsene liegt, dann die Händler schon von vornherein sagen: „Ist nichts für meine Kunden.“ und einen Titel entweder gar nicht erst bestellen oder bei Erscheinen vielleicht mal ein Exemplar nehmen, das vielleicht auch schnell verkauft ist, aber dann nicht nachbestellt wird. Im Prinzip also dieselbe Problematik, die Belletristik-Indieverlage mit dem „normalen“ Buchhandel haben.

Von daher konzentriere ich mich derzeit auf meine gut laufenden Sachen und probiere hin und wieder mal aus, ob der eine oder andere Albentitel funktionieren könnte. Querbeet alle guten Titel einkaufen, die ich selbst toll finde, habe ich aber mittlerweile aufgegeben oder zumindest stark eingeschränkt … solange ich keine Reihe in meinem Programm habe, die sich in solchen Stückzahlen verkauft, dass ich davon alles andere querfinanzieren kann. 😉

Wie gewinnen Sie Autoren?

Gar nicht, da ich ausschließlich Lizenzausgaben ausländischer Bände (vor allem aus den USA und Frankreich) veröffentliche. Eigenproduktionen wären für mich zu teuer. Der Kontakt zu Autoren und Zeichnern ist aber natürlich trotzdem wichtig, um z. B. Signierstunden oder Messe-/Festivalbesuche abzustimmen, die viel zu guten Verkaufszahlen vor Ort beitragen.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Die Bücher gehen von der Druckerei direkt an PPM und von dort an die Comicläden sowie an die Barsortimente KNV, Libri und Umbreit. Über Letztere landen sie dann auch bei Amazon und anderen Onlinehändlern und sind natürlich für alle deutschen Buchhandlungen bequem bestellbar, auch wenn das von diesen ganz gern mal übersehen wird …

In letzter Zeit läuft erfreulicherweise auch der Direktvertrieb über meine Website immer besser, wo man alle Titel versandkostenfrei bestellen kann und ich dann doppelt so hohe Einnahmen wie bei Handelsverkäufen habe, weil Vertriebs- und Händlerrabatt wegfallen. Von daher bin ich über jeden Direktbesteller immer sehr froh.

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Aufgrund meiner eingeschränkten Vertriebsmöglichkeiten und des geringen Budgets, über das ich verfüge, gibt es keinerlei gezielte Buchhandelsaktivitäten wie Handelsvertreter o. Ä. Erfahrungsgemäß sind viele Buchhandlungen sowieso – wenn überhaupt – aufgrund der meist kleinen Präsentationsfläche fast immer nur an bekannten Comics wie Asterix, Lucky Luke, den Ducks oder ggf. noch Tim und Struppi interessiert. Meine Bände sind daher auf Comicladen- und Internetvertrieb ausgerichtet, auch wenn es natürlich schön wäre, in ein paar mehr regulären Buchhandlungen präsent zu sein. Beispielsweise habe ich neulich während der Leipziger Buchmesse in der Buchhandlung Ludwig am Leipziger Hauptbahnhof ein paar Exemplare meines Comics „Kalimbo – Band 1: Mata-Mata“ (zwischen Ducks, Spirou und Mosaik stehen sehen. Das hat mich natürlich sehr gefreut.

Wie halten Sie es mit Amazon?

dani books_cover akte xAmazon ist sowohl bei E-Books als auch bei Comicreihen, die auf Medienfranchises basieren, ein wichtiger Vertriebsweg. Reihen wie meine zehnte Staffel von „Akte X“ funktionieren im stationären Comichandel so gut wie gar nicht, da die Zielgruppe nicht klassische Comicleser sind. Über Amazon setze ich davon hingegen Hunderte von Exemplaren ab, da man dort als Akte-X-Fan bei einer entsprechenden Suche nach DVDs oder anderem Akte-X-Merchandise ganz schnell zufällig über sie stolpert. Das ist unbezahlbar.

Im E-Book-Bereich ist Amazon auch insgesamt meine Haupteinnahmequelle, gerade auch jetzt mit den Kindle-Unlimited-Abos, vor denen viele Verlage ja noch so Angst haben. Es stimmt zwar, dass die regulären Kindle-Verkäufe etwas zurückgegangen sind, seit meine Titel für Kindle-Unlimited-Abonnenten kostenlos verfügbar sind … die monatlichen Einnahmen haben sich aber trotzdem mehr als verdreifacht.

Amazon ist zudem auch gut zur Direktkundengewinnung. Bei fast allen meiner Bücher kann man sich durch Zumailen eines Fotos oder Scans des Kaufbelegs eine kostenlose Digital Copy anfordern. Wenn dann jemand diese bei mir mit einer Amazon-Rechnung anfragt, schicke ich neben dem Downloadlink auch eine kurze nette Mail zurück, dass man künftige Bände auch gern versandkostenfrei direkt bei mir auf meiner Website bestellen kann, zumal ich dann doppelt so viel dran verdiene, was für mich als Ein-Mann-Verlag natürlich immer ganz angenehm ist. Es gibt zwar einige Leser, die dann trotzdem weiterhin bei Amazon kaufen, aber viele tätigen dann die nächste Bestellung direkt bei mir. Gerade bei Akte X hat sich so im Laufe der Zeit ein sehr treuer Käuferkreis gebildet, der neue Ausgaben immer direkt nach Einlistung auf meiner Verlagswebsite bei mir vorbestellt.

Damit niemand beleidigt ist, weise ich sicherheitshalber lieber noch darauf hin, dass ich diese Mails ausdrücklich nur dann schicke, wenn jemand eine Rechnung von Amazon oder einem anderen großen Onlinehändler einschickt. Fordert ein Leser seine Digital Copy mit der Quittung eines Comicladens oder einer kleinen lokalen Buchhandlung an, bekommt er nur den Downloadlink – ohne Hinweis auf die Direktbestellmöglichkeit. Denn wer eine Comichandlung in der Nähe hat und sowieso regelmäßig dort kauft, soll ruhig auch meine Titel dort beziehen. Dann werden sie etwas bekannter und beim nächsten Mal bestellt der Händler vielleicht sogar direkt ein, zwei zusätzliche Exemplare.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

dani books hat umfangreiche Präsenzen auf Twitter und Facebook, wo ich bei Neuerscheinungen auch gelegentlich Werbung schalte, weil das nicht allzu teuer ist. Zudem gibt es für neue Bände regelmäßig „Hands-on“-Videos auf YouTube und für den Direktkontakt mit den Lesern habe ich auch noch ein Verlagsforum im Comicforum. Allgemeine Werbeanzeigen z. B. in Comicfachzeitschriften habe ich mal probiert, aber inzwischen komplett eingestellt, weil diese Magazine in der Regel hauptsächlich von Lesern konsumiert werden, die meistens nicht so wirklich meiner Zielgruppe entsprechen und meine Titel daher sowieso nicht kaufen würden. Da investiere ich das Geld lieber in die Druckkosten meiner Bücher.

Sehr gute Werbung ist allerdings immer die Teilnahme am jährlich im Mai stattfindenden Gratis-Comic-Tag. (In diesem Jahr am 9. Mai.) Der Tag ist eine gemeinschaftliche Veranstaltung zahlreicher deutscher Comicverlage, bei der nach Vorbild des amerikanischen Free Comic Book Day in allen teilnehmenden Comic- und zum Teil auch Buchhandlungen speziell für diesen Tag produzierte Gratishefte für die Leser zur kostenlosen Mitnahme ausliegen. Das ist zum einen natürlich gute PR für die Händler, zum anderen aber auch eine gute Möglichkeit für die beteiligten Verlage, eine Auswahl aus ihrem Programm bekannter zu machen. Die Auflagen der Hefte orientieren sich dabei immer an den Händlerbestellmengen und sind mit üblicherweise zwischen 8.000 und 9.000 Exemplaren deutlich höher als meine regulären Auflagen zwischen 1.000 und 1.500 Exemplaren. Dadurch habe ich mit den Gratisheften naturgemäß eine sehr viel größere Reichweite als mit meinen eigentlichen Comics an sich … und wenn ein paar mehr Leute auf meine Titel aufmerksam werden, kann das natürlich nie schaden. 😉

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Monster Allergy-Ausgabe für den Gratis Comic Tag 2013

2013 hat das beispielsweise schon mit meinem allerersten Gratisheft sehr gut funktioniert, in dem ich die komplette erste Episode der Reihe Monster Allergy, die bei mir als Gesamtausgabe erscheint, veröffentlicht habe. Bis heute bekomme ich auf das Gratisheft dazu immer noch sehr positive Rückmeldungen von Kunden, die laut eigener Aussage ohne das Heft nie auf die Reihe aufmerksam geworden wären. Von daher hat die Aktion auf jeden Fall dazu beigetragen, dass Monster Allergy heute meine bestlaufende Serie ist. Aufgrund des großen Erfolgs habe ich letztes Jahr dann auch noch mal eine 1.000er-Auflage des Gratishefts im etwas kleineren A5-Format nachdrucken lassen, weil man das dann immer ganz gut auf Messen und sonstigen Veranstaltungen verteilen oder auch einfach mal bei Bestellungen anderer Titel als Teaser mit reinlegen kann.

Von daher sind solche Gratishefte immer sehr beliebt. Sie müssen aber natürlich einen gewissen Mehrwert für den Leser bieten, also auch wirklich eine gute Grundlage für den weiteren Kauf der jeweiligen Reihen sein. Wenn das Gratisheft nur eine etwas längere Leseprobe ist, die mitten im Geschehen aufhört, also noch nicht mal zumindest ein vollständiges erstes Kapitel eines Buches präsentiert, ist das für den Leser eher ärgerlich als kaufanregend.

Wie halten Sie es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?

Ich bin kein Mitglied und interessiere mich auch nicht großartig für dessen Tätigkeiten, da ich im regulären Buchhandel ja sowieso so gut wie nicht vertreten bin. Ich nutze aber natürlich die Services der Börsenvereinstochter MVB, also das Verzeichnis lieferbarer Bücher und den Bezug von ISBNs.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Das dani-books-Programm gliedert sich in zwei größere Bereiche. Das sind zum einen die All-Ages-Titel, die Erwachsenen Spaß machen, aber vor allem auch für Kinder gut geeignet sind. Das Angebot in dieser Richtung wird zwar mittlerweile auch bei anderen Verlagen ein bisschen größer, aber im Vergleich zu beispielsweise Frankreich oder den USA ist das All-Ages-Angebot in Deutschland nach wie vor etwas mau, wenn man mal an Comics außer den üblichen Verdächtigen wie Disney, Simpsons, Asterix, Lucky Luke und eventuell noch Star Wars denkt. Aus dem All-Ages-Programm habe ich noch diverse Titel in Planung, muss aber erst den richtigen Zeitpunkt zum Veröffentlichen abwarten, weil sich dieser Bereich leider in Deutschland etwas schwertut, wenn man nur so eingeschränkte Vertriebsmöglichkeiten wie ich als Kleinstverlag hat. Mein Programm liegt eben vorwiegend in Comicläden aus, welche aber in Deutschland hauptsächlich von eher deutlich älteren Kunden besucht werden, die meistens primär an frankobelgischen Albentiteln interessiert sind und nicht so wirklich an All-Ages-Paperbacks. Von daher muss ich da bei jeder Veröffentlichung gut abwägen, zu welchem Zeitpunkt ich die meisten Leser erreiche. Ein Titel, der an Weihnachten spielt, verkauft sich z. B. naturgemäß besser, wenn er auch Richtung November/Dezember erscheint und nicht mitten im Hochsommer.

dani books_cover kalimboDer zweite Programmbereich von dani books sind die Erwachsenentitel, die vornehmlich aus sich an ältere Leser richtenden US-Comicreihen bestehen. Hierunter fallen z. B. die Danger-Girl-Comics (eine Reihe im Stil von Charlie’s Angels treffen auf James Bond und Indiana Jones), die schon erwähnte exklusive Comicfortsetzung zur Kultserie Akte X („Akte X – Staffel 10“) und auch die eine oder andere Fortsetzung von Reihen, die bislang bei Panini erschienen, dort aber nicht weiter veröffentlicht wurden. So erscheinen bei mir beispielsweise die letzten beiden Bände der Reihe „Fatale“ von Ed Brubaker und Sean Phillips, deren erste drei Bände von Panini verlegt wurden.

Natürlich gibt es auch Titel, die sich in beide Bereiche einordnen lassen. So kommen bei mir dieses Jahr unter anderem die ersten beiden Alben der neuen Abenteuer von „Isnogud“, die sich zwar auch gut als All-Ages-Bände lesen lassen, sich aber vermutlich letztlich doch primär an ältere Leser richten, die bereits die bei Egmont erschienene ursprüngliche Reihe von Goscinny und Tabary gemocht haben.

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

Die größten Chancen habe ich sicherlich dann, wenn ich weiterhin regelmäßig Bände von höchster Qualität veröffentliche und dann im Laufe der Zeit – je mehr Comics erscheinen – hoffentlich auch immer mehr Leser auf zumindest eine der Reihen aufmerksam werden. Hat man erst mal einen meiner Titel entdeckt, ist die Wahrscheinlichkeit gleich schon deutlich höher, künftig dann auch weitere Comics von mir zu kaufen. Außerdem ist es sicherlich ganz gut, dass ich in Deutschland so ziemlich der einzige Comicverlag bin, dessen Programm bereits komplett auch digital vorliegt und in diversen Leseflatrates enthalten ist.

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

Das größte Risiko am Comicverlegen in Deutschland ist immer die schwere Einschätzbarkeit der Verkaufschancen von Titeln. So muss ein Band, der sich beispielsweise in Frankreich oder den USA zigtausendfach verkauft hat, nicht auch automatisch in Deutschland gut laufen. Dafür sind die Comickulturen der jeweiligen Länder einfach zu unterschiedlich. Daher muss ich mein Programm primär auf die Leser ausrichten, die ich mit meinen eingeschränkten Vertriebs- und Werbemöglichkeiten erreichen kann … auch wenn das leider bedeutet, dass der eine oder andere tolle Titel eventuell längere Zeit auf Eis liegt oder vielleicht sogar gar nicht erscheinen kann.

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

dani books_cover_taleIch hab eigentlich keinen wirklichen Kontakt zur „Szene“, höchstens mal zu dem einen oder anderen Comicverlag (dort allerdings meistens auch eher zu den größeren, weil ich hauptsächlich für die als Übersetzer tätig bin), von daher kann ich dazu nicht viel sagen.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Ich kann nicht davon abraten – dafür mache ich es nach wie vor zu gerne, auch wenn ich bislang nichts dran verdiene –, muss aber darauf hinweisen, dass man sich, wenn man denn unbedingt einen Verlag gründen möchte, auf jeden Fall darüber im Klaren sein sollte, dass man lange Zeit erst mal nichts verdienen wird … sofern man ein komplettes Programm aufstellen und nicht nur jedes Quartal mal einen oder zwei Bände neben seinem eigentlichen Job rausbringen möchte. Durchhaltevermögen ist jedenfalls das Wichtigste, nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch dann, wenn ein Titel, der einem selbst extrem Spaß gemacht hat, und von dem man auch weiß, dass er objektiv betrachtet wirklich gut ist, mal wieder nur unter 200 Exemplare abgesetzt hat, weil der Handel meint: „Ist nix für meine Kunden.“ Wer auch beim zehnten Mal, wenn so was vorkommt, noch nicht seinen Computer gefrustet in die Ecke schmeißt, sondern sich stattdessen denkt: „Jetzt erst recht! Denen hau ich Titel um die Ohren, bis irgendwas gut läuft!“, der könnte mit einem eigenen Verlag vielleicht richtig liegen. 😉

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Ich mag das Programm von Schwarzkopf & Schwarzkopf sehr gern und im Comicbereich ist sicherlich der fleißige Herr Schott von Salleck Publications erwähnenswert (sofern es primär um Verlage geht, die noch nicht interviewt wurden).

Vielen Dank für diesen Einblick. BTW: Der ‚fleißige‘ Eckart Schott hat seine Hausaufgaben dankenswerterweise hier bereits gemacht.

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

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dani books im Netz:

www.danibooks.de – die offizielle Verlagsseite, auf der es Titeldaten, Leseproben etc. zu allen Bänden gibt. Außerdem können dort natürlich alle Titel versandkostenfrei bestellt werden.

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