Das ungelöste Verhältnis von Politik und Ökonomie. – Buchhandel in der DDR (Teil 1)

Womöglich habe ich mir mit dem Vorhaben, die Geschichte des DDR-Buchhandels auszuloten, zu viel vorgenommen? Je länger mich die Materie allerdings beschäftigt, desto mehr Fragen stellen sich, die nur diejenigen beantworten können, die dabei gewesen sind.

Trotzdem habe ich Mut zur Lücke: In fünf Folgen werde ich darlegen, was ich bisher zur Entwicklung des Buchhandels in der DDR (Teil 1 – 4) und nach der Wende (Teil 5) trotz spärlicher Quellen recherchiert habe. – Warum wage ich diese Skizze? Weil ich mir erhoffe, dass sich Zeitzeugen einfinden, die das eine und andere aus der eigenen Erfahrung zurechtrücken und/oder Lücken schließen.

Eine Zusammenstellung der verwendeten Quellen findet sich hier.

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Autokennzeichen der DDR © GvP

Autokennzeichen der DDR © GvP

Obwohl sich die Bedingungen im Kulturbetrieb im Zuge des Zentralisierungs- und Professionalisierungsprozesses in der Phase zwischen 1951 und 1965 zunehmend verschärften, ließen sich die Buchhändler nur mit Mühe vor den Karren der Politik spannen. Am buchhändlerischen Selbstverständnis konnte auch der flächenmäßige Ausbau und organisatorische Aufbau des Volksbuchhandels bis Ende der 1960er Jahre nicht rütteln, in dessen Verlauf die verbliebenen privaten Buchhandlungen zunehmend zurückgedrängt beziehungsweise in Gestalt von sogenannten Kommissionsbuchhandlungen vereinnahmt wurden. Ende 1952 gab es in der DDR 322 Volksbuchhandlungen, zirka 50 Gewerkschaftsbuchhandlungen und etwa 850 private Buchhandlungen (Petry 2001, S. 48.) Ab Mitte der 1960 gaben viele private Sortimenter auf. Wahrscheinlich ist, dass viele von ihnen dem wachsenden Druck nicht standhielten.

Viel weiß man über die schwierigen Umstände und prekären Verhältnisse, denen der private Buchhandel in der DDR unterlag, leider nicht. Dietrich Löffler (2011) berichtet, dass Buchhändler diskriminiert und in Einzelfällen sogar kriminalisiert wurden. Nach 1948 wurden ihnen Devisengeschäfte angelastet, später Wirtschaftsvergehen unterstellt, die auch mit Haftstrafen geahndet wurden. Wie zum Beispiel Anton Hiersemann, der 1951 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde und erst 1991 wieder rehabilitiert werden konnte.

Zeit seiner Existenz musste der private Buchhandel immense Widerstände und Benachteiligungen in Kauf nehmen. Er wurde mit hohen Steuernachzahlungen belegt, seinen Wareneinkauf beeinträchtigten spezielle Auflagen, Bücher durften nur an Privatkunden verkauft werden. Die Übergabe des Ladens an Erben oder andere Interessierte war ihm lediglich in Ausnahmefällen gestattet, Banken gewährten keine oder nur unter extremen Auflagen Kredite. Etwas besser soll die Lage bei den christlichen Buchhandlungen gewesen sein, die weniger stark im Visier der Partei standen.

Ein konstituierendes Element für die umfassende Steuerung und Kontrolle der literarischen Infrastruktur war die Gründung der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur im Jahr 1963. Die Zentralisierung des Literaturvertriebs forcierte schließlich die „Anordnung über das Statut des Volksbuchhandels“, die gut anderthalb Jahre nach Einrichtung der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im August 1964 mit dem Ziel verabschiedet worden war, die Handlungsspielräume der Mitarbeiter im Buchhandel weiter zu beschneiden. Von weitreichender Bedeutung war außerdem das „Perspektivprogramm für die ideologische und kulturpolitische Arbeit auf dem Gebiet der Literatur, des Verlagswesens und der Literaturverbreitung“, das im Februar 1965 erlassen wurde.

Auf Grundlage des Perspektivprogramms wurde die „Ordnung für den Literaturvertrieb“ erarbeitet, die das „Zusammenwirken aller am Literaturvertrieb beteiligten Betriebe und Einrichtungen zum Nutzen der Bürger der DDR“ regeln sollte. Die Bestimmungen, die im Spätsommer 1969 verabschiedet wurden, lösten die „Buchhändlerische Verkehrsordnung“ ab, die zwar bislang offiziell nicht außer Kraft gesetzt, wohl aber durch gravierende strukturelle und organisatorische Maßnahmen ausgehebelt worden war. Im Juli 1976 wurde die „Ordnung für den Literaturvertrieb“ aktualisiert und 1981 abermals abgeändert. Diese Fassung blieb bis zum Ende der DDR gültig.

Dass Buchhändler mitunter recht eigensinnig sein können, das haben sie auch in der DDR bewiesen. Die Gesetze des Marktes, und hier vornehmlich das Prinzip von Angebot und Nachfrage, waren ihnen wohl stets näher als die zugedachten gesellschaftspolitischen Funktionen, nach denen der Buchhandel als eine „Institution zur Verbreitung der Ideologie“ galt, die mit „fortschrittlicher Literatur“ einen Beitrag zur „Erziehung der sozialistischen Persönlichkeit“ zu leisten hatte. Dass der politische Auftrag mit dem hergebrachten buchhändlerischen Selbstverständnis nicht konform ging, trieb den frisch bestallten Leiter des Volksbuchhandels, Fritz Brilla, 1956 in seinem Grundsatzartikel „Es geht um die Arbeit des Volksbuchhandels“ um: „Eine solche [fortschrittliche] Literatur zu vertreiben, ist nicht Vorgang krämerhaften Handelns, nicht ein Vorgang des Profits oder Gewinns wegen, nicht ein wirtschaftlicher Vorgang; eine solche Literatur zu vertreiben, ist eine politisch-gesellschaftliche Aufgabe, ist eine kulturpolitische Funktion.“ (zit. nach Löffler, 2011, S. 213f.)

Obschon die Manschetten immer enger gezogen und die Anforderungen höher geschraubt wurden, blieb der Buchhandel auf jenen Büchern sitzen, die er aus ideologischen Gründen massenhaft unters Volk hätte bringen sollen. Das galt insbesondere für die Klassiker des Marxismus-Leninismus, Schulungs- und Propagandamaterialien der Partei und die „sozialistische Gegenwartsliteratur“, deren Produktion und Verbreitung ab der ersten Bitterfelder Konferenz im April 1959 in der Hoffnung vorangetrieben wurde, eine genuine „sozialistische Nationalkultur“ aus der Taufe zu heben. Erhebliche Probleme beim Absatz, die den Buchhandel immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik brachten, hatten vor allem Publikationen aus dem parteieigenen Dietz-Verlag, der nach dem Zusammenschluss von KPD und SPD aus der Zusammenlegung der ihnen zugehörigen Verlage „Neuer Weg“ (KPD) sowie „Vorwärts“ und „Das Volk“ (SPD) im Juni 1946 entstanden war und der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe im ZK der SED zugeordnet wurde.

An dem Umstand jedoch, dass jene Bücher wie Blei in den Läden lagen, deren Lektüre die Partei für notwendig erachtete, konnten weder eine „Ordnung für den Literaturvertrieb“, noch die verstärkten Anstrengungen der Funktionäre rütteln, Buchhändler auf die Funktion eines Transmissionsriemen für Agitprop einzuschwören. Trotz Verteilerpraktiken und einer oft restriktiven Warenbestandsplanung stiegen die Bestände an nicht absetzbarer Literatur im Volksbuchhandel kontinuierlich an. Wenn die ideologischen Traktate aus dem Verlag Volk und Wissen, dem Akademieverlag, dem Staatsverlag und dem Dietz-Verlag überhaupt über den Ladentisch gingen, dann wurden sie vielfach nicht bezahlt. Dass ausgerechnet die Literaturobleute der SED, deren Aufgabe es gewesen ist, die Grundeinheiten der Partei mit Schulungs- und Propagandamaterial zu versorgen, im Verlauf der Jahrzehnte beim Volksbuchhandel immense Schulden anhäuften, entbehrt sicher nicht einer gewissen Ironie. Laut Löffler (2011) beliefen sich deren Schulden jährlich allein auf circa 1 Million Ostmark. Dass die „Genossen“ zudem nicht gemahnt werden durften, sorgte unter den Buchhändlern ebenso sehr für Irritation wie der Umstand, dass deren Gesinnung doch nicht so vorbildhaft war wie propagiert wurde. In den Rechenschaftsberichten der Leitungen des Volksbuchhandels, die nach Rentabilität und Gewinn strebten, waren die unbezahlten Rechnungen der Literaturobleute jedenfalls ein immer währendes Thema.

Schlussendlich waren sämtliche Anstrengungen, den Buchhandel auf die politisch-ideologische Linie zu bringen, a priori zum Scheitern verurteilt. Schon deshalb, weil den Sortimentern die Nachfrage seitens ihrer Kundschaft zwangsläufig immer näher stand als Ansagen der Partei. Dieser systemimmanente Widerspruch, auf den die Politbürokratie gebetsmühlenartig mit dem Vorwurf reagierte, dass der Buchhandel „die Frage des Verhältnisses von Politik und Ökonomie zugunsten der Ökonomie verschoben“ habe, wurde bis zum Ende der DDR nicht aufgelöst. Selbst noch im Jahr 1986 fand die 4. Ökonomische Konferenz des Volksbuchhandels unter dem Motto „Kulturpolitik und Ökonomie – eine Einheit im buchhändlerischen Handeln“ statt.

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Buchhandel in der DDR (Teil 2) „Das richtige Buch zur richtigen Zeit in die richtigen Hände“ kann man hier nachlesen

2 Kommentare zu “Das ungelöste Verhältnis von Politik und Ökonomie. – Buchhandel in der DDR (Teil 1)

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