„Ein Verlag wird immer auch an den Leistungen der Vergangenheit gemessen.“ – SteglitzMind stellt Josef Felix Müller vom Vexer Verlag vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute erfahren wir mehr über Josef Felix Müller und seinen Vexer Verlag mit Sitz in St. Gallen und Berlin. Vorgeschlagen hatten das Beatrice Maritz und Andreas Grosz von der edition pudelundpinscher.

Wie kam es zur Gründung?

Josef Felix Müller mit Tochter Vera Ida Müller © privat

Josef Felix Müller mit Tochter Vera Ida Müller © privat

Die Idee zur Gründung vom Vexer Verlag entstand 1984 in einer Atelierwohnung in Paris. Josef Felix Müller lebte damals zusammen mit seiner Frau Monika und der gemeinsamen Tochter Vera Ida ein Jahr lang in Frankreich. 1985, nach der Rückkehr in die Schweiz entstand die Schriftenreihe Vexer Nummer 1 – 10. Die sehr unterschiedlichen Texte von Künstlern, Kunstvermittlern, Musikern und Laien wurden in Blei gesetzt, im Buchdruckverfahren gedruckt und zusammen mit Freunden von Hand gebunden und fadengeheftet. In der Folge entstanden viele Bücher, Editionen, Videos, musikalische Produktionen, Multiples etc.

Das Profil?

Bei den über 150 publizierten Projekten, die seit 1985 im Vexer Verlag realisiert worden sind, handelt es sich ausschließlich um Kooperationen zwischen Kunstschaffenden und dem Künstler und Verleger Josef Felix Müller.

Der Vexer Verlag hat auch einen Sitz in Berlin …

Als Erweiterung vom Schweizer Hauptsitz in St. Gallen eröffnete Vera Ida Müller, ebenso Künstlerin und Verlegerin, 2014 das Vexer Verlag Büro Berlin. Josef Felix Müller und Vera Ida Müller verstehen ihre verlegerische Tätigkeit als Teil ihrer eigenen künstlerischen Auseinandersetzung, als eine Art des persönlichen Fortschreibens der eigenen Fragestellungen durch den Austausch mit künstlerischen Positionen. Die Motivation liegt darin, inhaltliche Fragen durch ein gemeinsam mit den Künstlern und Künstlerinnen konzipiertes, multiplizierbares Produkt zu erkennen, zu klären, adäquat umzusetzen und zu vermitteln.

Machen Sie alles alleine?

Vexer_Liechti_Klartext (2)Für die Realisierung der Projekte pflegen wir einen grossen Pool von Mitarbeitenden, ein freischaffendes Team, bestehend aus Grafikerinnen und Grafikern, Lektorinnen, Korrektorinnen, Fotografen, Druckereien, Buchbindereien etc. aus ganz Europa.

Wir sind in den letzten Jahren immer wieder großzügig unterstützt worden durch Stiftungen, Gemeinden, Kantone und durch private Förderung. Unser Netzwerk und die gute Zusammenarbeit mit interessierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern ermöglichen es uns, unsere Projekte international zu vertreiben. – Die effizienteste und schönste Förderung aber ist für unseren Verlag die Stammkundschaft von Sammlerinnen und Sammlern sowie Bibliotheken, die unsere Bücher regelmässig erwerben.

Ihre persönlichen Highlights?

Als Highlights möchte ich Peter Liechti nennen mit den beiden Büchern „Lauftext“ und „Klartext“, das alle Gespräche beinhaltet, die der Filmer kurz vor seinem Tod mit seinen Eltern geführt hat und die dann im Film „Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern“ verwendet wurden.

Ganz neu ist jetzt ein literarisches Portrait erschienen von Fredi Lerch über die Künstlerin Lilly Keller. Die sehr eigenwillige und emanzipierte 86-jährige Künstlerin erzählt darin über ihr frei bestimmtes Leben. Sie war befreundet mit Meret Oppenheim, Jean Tinguely, Daniel Spörri, Sam Franzis usw. Lilly Keller ist eine außergewöhnliche Frau, die noch heute unbeirrt ihre Kreativität auslebt.

Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?

Bücher waren für mich schon in jungen Jahren überlebenswichtig. Ich konnte durch das Lesen in fremde Welten eintauchen, den Alltag vergessen und Abenteuer erleben, für die ich im realen Leben viel zu ängstlich war.

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Die Vorstellung, dass man durch Bücher fremde Menschen an persönlichem Empfinden teilhaben lassen kann finde ich großartig. Wenn mir etwas gefällt, möchte ich es mit möglichst vielen Menschen teilen können.

Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?

Das Büchermachen ist sehr viel einfacher geworden. Die digitale Zeit bringt aber mit sich, dass viele Menschen denken, dass sie keinen materiellen Balast mehr brauchen und dass sie alles zu jeder Zeit vom Netz herunterladen können. Für mich ist aber das Haptische, das Greifbare enorm wichtig. Ohne diese Körperlichkeit kann ich mir das reale Leben nicht vorstellen.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

Vexer_PeterLiechti_Lauftext_CoverIch mache nur das, was mich persönlich berührt und interessiert. Alles muss mit meinem Leben verbunden sein. Somit kann es eigentlich gar keine Konkurrenz geben.

So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Ich kann immer nur in der Gegenwart reagieren. Ich überdenke meine Aktivitäten immer wieder. Bei mir ist eigentlich jeder Tag ein Neubeginn.

Wie gewinnen Sie Autoren?

Die meisten Künstlerinnen und Künstler sind sehr glücklich, wenn ich sie anfrage für ein Projekt. Ich muss viel mehr Autorinnen und Autoren enttäuschen, die etwas mit mir machen wollen, das ich nicht will.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Wir machen alles selber. Ich in St.Gallen und meine Tochter in Berlin. So bleibt mehr Geld im Verlag. Für einen kleinen Verlag sind die professionellen Vertriebsangebote viel zu teuer. Ich muss für jedes Buchprojekt ein neues Publikum finden. Die wichtigsten Kunden kommen aus dem sozialen Umfeld der Künstler. Dann gibt es aber auch immer mehr interessierte Sammler, die das ganze Programm haben wollen. Das sind dann immer Freudentage.

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Für Kunstbücher gibt es immer weniger interessierte Buchhandlungen. Der Markt ist sehr klein und regional beschränkt. Das heißt, dass ich für jedes Buch die geeigneten Partnerbuchhandlungen finden muss. Ich bin nun seit dreißig Jahren als Verleger tätig. Da entstehen richtige Freundschaften und das ist wichtig im Buchhandel.

Wie halten Sie es mit Amazon?

Ich habe noch nie ein Buch bei Amazon gekauft. Die bezahlen keine Steuern und die Mitarbeitenden werden sehr schlecht bezahlt. Dieses Gebaren ist Gift für die Buchkultur.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Für Werbung habe ich kein Geld. Die richtigen Bücher zur richtigen Zeit sind die beste Langzeitwerbung.

Wie halten Sie es mit dem Schweizer Buchhändlerverband?

Ich bin seit zwei Jahren im Schweizer Buchhändler und Verleger Verband SBVV. Berufsverbände sind sehr wichtig, um politisch etwas bewegen zu können. Für Kleinverlage ist aber der Mitgliederbeitrag viel zu hoch.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Ich möchte ganz nahe bei den Künstlerinnen und Künstlern sein, die ein Projekt im Vexer Verlag machen. Ich glaube, als Kleinverlag die so sehnlich gewünschte Intimität und Einzigartigkeit zu bieten, die gute Bücher brauchen.

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

Vexer_LillyKeller_CoverDie größte Chance ist die Zeit, die vergeht. Ein Verlag wird immer auch an den Leistungen der Vergangenheit gemessen.

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

Bestseller sind eine große Gefahr für einen Kleinverlag. Schon viele gute Verlage sind daran gescheitert.

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

Unabhängiges Denken und Handeln sind die Basis von kultureller Arbeit.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Klein und fein beginnen und klein und fein halten.

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Ich mag den Mark Pezinger Verlag in Wien und den Mitbegründer Thomas Geiger.

Herzlichen Dank für diesen Einblick.

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

Der Vexer Verlag im Netz:

www.vexer.ch

„Man braucht auch mal große Vorbilder …“ – SteglitzMind stellt Bernd Schuchter vom Limbus Verlag vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute erfahren wir mehr von Bernd Schuchter und den Limbus Verlag. Vorgeschlagen hatte das Jürgen Schütz vom Wiener Septime Verlag.

Eine Skizze vom Verlag …

Bernd Schuchter © Merle Rüdisser

Bernd Schuchter © Merle Rüdisser

Der Limbus Verlag geht 2015 in sein zehntes Jahr als Verlag und fühlt sich mittlerweile angekommen im Literaturbetrieb. Die Programmschwerpunkte deutschsprachige Gegenwartsliteratur mit Fokus österreichische Literatur sowie die Essayreihe zu diversen gesellschaftspolitisch aktuellen Themen werden im Literaturbetrieb gut angenommen; die Resonanz von Presse und Buchhandel ist seit Jahren positiv, ebenso die Umsatzentwicklung in den letzten Jahren. Nach der Gründung in Innsbruck und vier Jahren in Hohenems (Vorarlberg) hat der Verlag seit 2011 wieder in Innsbruck seinen Sitz. Im Programm sind inklusive E-Books etwa 135 Bücher lieferbar, wobei seit zwei Jahren alle Novitäten sowohl in Print als auch digital erscheinen. Die Backlist wird nach und nach digitalisiert.

Machen Sie alles alleine?

Im Verlag selbst sind wir zu dritt, neben den zwei Lektorinnen Mag. Merle Rüdisser und Mag. Elisabeth Mayr bin ich als Verleger für das Organisatorische, die Programmgestaltung, Presse und Vertrieb zuständig.

Ihre persönlichen Highlights im Bücherjahr?

Meine Highlights in diesem Buchfrühling sind die drei Essays von Alois Schöpf (Kultiviert sterben), Stefanie Holzer (Wer, bitte, passt auf meine Kinder auf?) und vor allem der sehr schöne Stefan-Zweig-Essay von Reinhard Wilczek (Stefan Zweigs Reise ins Nichts). Im Herbst freuen wir uns auf den neuen Erzählband von Wolfgang Hermann (Die letzten Gesänge) und die Neuauflage von Wolfgang Hermanns wunderbarem Band Paris Berlin New York.

Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?

Limbus_Schoepf_Sterben_DownÜber das eigene Schreiben (meine Romane erscheinen im Braumüller Verlag, Wien, zuletzt der Roman Föhntage und der Reiseführer Innsbruck abseits der Pfade, Anm.) kam ich in den Literaturbetrieb, lernte AutorInnen kennen und machte erste Gehversuche bei Literaturzeitschriften. Neben dem Studium arbeitete ich auch jahrelang in einem Antiquariat und lernte das Buch als Kulturträger, von der haptischen Seite her, kennen: Was ist ein Vorsatz, eine Titelei, ein Schnitt, Bünde, Bögen, wann sagt man berieben, wann bestoßen. Das war sehr lehrreich, insbesondere auch der Zugang zur Druckgrafik; so lernte ich etwa den Unterschied zwischen Holz- und Kupferstich, Radierung und Lithografie. Da war es ein kleiner Schritt zum eigenen Büchermachen; vor allem, da es damals, um 2003, 2004, einen gewissen Bedarf an neuen Verlagen gab, es war die letzte Gründerwelle, wenn man so will; Verlage wie die meisten Independents, Blumenbar, Voland & Quist in Deutschland, Salis in der Schweiz, Luftschacht, Klever oder eben Limbus sind Gründungen jener Jahre. Seitdem hat sich viel getan. Wir sind alle professioneller geworden, mit dem Verlegen selbst, dem Büchermachen. Die Verlage wurden über die Jahre erwachsen.

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Das Büchermachen ist schlicht eine sehr schöne Arbeit; man lernt spannende Menschen kennen, die sich mit spannenden Themen beschäftigen; es ist manchmal recht unzeitgemäß, trotz aller Schwierigkeiten aber eine sehr erfüllende und sinnvolle Arbeit. Abgesehen davon ist der Literaturbetrieb – die befreundeten AutorInnen und VerlegerInnen, BuchhändlerInnen und VertreterInnen, JournalistInnen und LeserInnen – sehr solidarisch und interessant. Das macht den Alltag nicht nur erträglich, sondern erstrebenswert.

Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?

Limbus_Hermann_DieletztenGesaenge_Cover_DownKaum etwas; wir bieten unsere Bücher auch als E-Books an, das macht vom Umsatz her aber kaum etwas aus, da wir eine sehr spezielle Art von Literatur machen; unsere LeserInnen sind da klassisch sozialisiert und schätzen sorgfältig gemachte, gedruckte Bücher. Wenn da mal eine junge Generation nachkommt, die es gewohnt ist, auf dem Bildschirm oder dem Tablet zu lesen, wird sich das ändern. Aber das sind Veränderungen, die nur sehr langsam stattfinden.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

Als kleinerer Verlag arbeiten wir immer in einer Art Nische, wenngleich bei einem passenden Thema und einem passenden Autor auch die großen Zeitungen und die LeserInnen genauso zu begeistern sind, etwa bei Hans Platzgumers Tschernobyl-Roman Der Elefantenfuß, das verselbständigte sich damals im März 2011 wegen Fukushima; da riefen schon mal ein Dutzend Journalisten pro Tag an, über Wochen. Ansonsten wissen unsere LeserInnen, das wir ordentliche Bücher machen, ordentlich lektoriert, mit schönem Satz und schöner Ausstattung und mit spannenden Themen. Engagierte Literatur, wenn man so will, mit diesem speziellen Fokus auf österreichische AutorInnen.

So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Schwer zu sagen, es hängt oft ein wenig von der einen oder anderen Rezension oder dem einen oder anderen Buchhändler ab, man braucht ein wenig Glück; am Ende ist es aber immer so, dass man sich von vergangenen Erfolgen nichts kaufen kann; jedes neue Buch muss sich neu bewähren, die Arbeit beginnt mit jedem neuen Buch aufs Neue.

Wie gewinnen Sie Autoren?

Limbus_Hermann_PBNY_Cover_DownMittlerweile kennt man den Verlag und da wir hauptsächlich mit HausautorInnen arbeiten, ergibt sich aus der Tatsache, dass wir nur etwa fünfzehn Bücher im Jahr machen, dass das Programm über die Jahre zu einem guten Teil immer wieder von jenen AutorInnen bestritten wird, mit denen wir bereits zusammenarbeiten. Hinzu kommen ein paar Empfehlungen von KollegInnen; in der Essayreihe gehen wir auch nach Themen und sprechen AutorInnen an, von denen wir glauben, sie könnten zum jeweiligen Thema etwas schreiben. Blindzusendungen finden den Weg ins Programm eher selten.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Ich habe früher auch im Buchhandel gearbeitet und kannte daher die Strukturen des Buchhandels ein wenig; der Vertrieb ist klassisch aufgebaut – Auslieferungen, Barsortimente, Vertreter –, wobei in den letzten Jahren der Direktvertrieb keine unbedeutende Rolle spielt. Da wir uns keine großen Inseratenkampagnen leisten können, sind wir immer auf redaktionell gestaltete Pressearbeit angewiesen, und natürlich Mundpropaganda sowie die persönlichen Gespräche bei Lesungen und Messen.

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

In Österreich ist die Szene recht kollegial – wenn das Buch vom Autor, vom Thema her für den Buchhandel passt, kaufen die KollegInnen auch gerne ein; die Schweiz ist da schon schwieriger und der deutsche Markt ist aufgrund der Umwälzungen durch Thalia und Hugendubel in den letzten Jahren ein wenig trostloser geworden; da braucht es als Türöffner oft lokal bekannte deutsche AutorInnen oder entsprechend gut wahrgenommene Rezensionen in den Leitmedien; besonders die deutschen Radios sind aber meist sehr interessiert, auch mit den großen Zeitungen wie taz, NZZ, FAZ oder der Zeit haben wir keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Wie halten Sie es mit Amazon?

Braucht man und ist aus dem Betrieb nicht wegzudenken; wir beliefern sie aber nicht direkt, sondern über unsere Auslieferungen und Barsortimente. Amazon ist wie der unbeliebte Onkel, keiner mag ihn, er gehört aber doch zur Familie. Man muss sagen – abgesehen von den Arbeitsbedingungen und dem sonstigen Geschäftsgebaren –, was sie machen und wie, das ist schon gut.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Limbus_Holzer_Kinder_DownPersönliche Marketingarbeit, persönlicher Kontakt zu LeserInnen, BuchhändlerInnen, JournalistInnen, BibliothekarInnen usw. Jedes Buch hat sein je eigenes Marketing, kein Dienst nach Vorschrift.

Wie halten Sie es mit dem Hauptverband des österreichischen Buchhandels?

Der HVB ist ein wichtiges Organ, auch wenn er unsere tägliche Arbeit nicht oft streift; als Institution etwa auf den großen Buchmessen und als Interessenvertretung ist er für alle österreichischen Verlage wichtig; genauso wichtig ist aber etwa die weitaus niederschwelligere Arbeit der IG AutorInnen, deren Stand etwa auf der Frankfurter Buchmesse eine enorm wichtige Anlaufstelle für AutorInnen und Verlage ist.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Wie bereits oben beschrieben; haptisch, handwerklich, inhaltlich-literarisch anspruchsvoll, engagierte Themen, authentisch: Wir stehen hinter jedem Buch. Unsere Leser sind so vielfältig wie die Vielfalt an Büchern und Themen, die es in der Welt gibt.

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

Wir arbeiten daran, unseren Stil und unser Programm unverwechselbar zu machen, etwa durch die schöne Reihe Limbus Preziosen, sodass man vielleicht in ein paar Jahren sagen kann: „Ah, ja die Preziosen-Reihe.“, wie man das heute von der Salto-Reihe des Wagenbach-Verlags oder den Büchern der Friedenauer Presse sagt; man braucht auch mal große Vorbilder …

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

Ein Standbein unseres Verlags ist sicher die Kulturförderung der öffentlichen Hand, besonders in Österreich; das betrifft alle österreichischen Verlage, von Haymon über Residenz bis Klever. Wenn es die in der Form mal nicht mehr gibt, wird es für die österreichische Literatur zappenduster.

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

Die kleinen Verlage sind ein wenig flexibler, können oft schneller produzieren und dürfen sich das eine oder andere Mal etwas trauen, was gegen die Marktgepflogenheiten ist. Als wir den Essay über das Vorlass-Wesen (Wenn Dichter nehmen von Alois Schöpf, 2014) gemacht haben, waren wir und der Autor vielen Anfeindungen ausgesetzt, vor allem vom etablierten Literaturbetrieb, den Institutionen, Archiven, auch von AutorenkollegInnen und Vereinigungen; diese hysterische Reaktion hat uns gezeigt, dass wir einen wunden Punkt getroffen hatten, also nicht ganz falsch lagen. Ein wunderbarer Artikel in der Zeit hat uns dann zum größten Teil recht gegeben; das war eine wichtige, wenngleich späte Genugtuung für unsere Arbeit.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Limbus_Wilczek_Zweig_DownDa kann man nicht raten, einfach machen oder nicht. Es geht da auch viel um Leidenschaft fürs Lesen, das Buch, das Büchermachen; lesen Sie den schönen Essay Wie ich Bücher gestalte. Ästhetik des Buches von Friedrich Forssman, der eben bei Wallstein erschienen ist; man sollte sich schon darüber Gedanken machen, wie man Bücher machen will, gründen allein ist zu wenig. Auch die Leidenschaft allein ist zu wenig, man sollte vom Büchermachen schon ein wenig Ahnung haben, inhaltlich und haptisch-ästhetisch, sei es durch ein klassisches Germanistik-Studium, als Buchgestalter, Grafikdesigner oder auch als Autodidakt, ein Verlag bedeutet schlicht Arbeit und die kann man immer gut oder schlecht erledigen.

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Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Es gibt einige spannende Verlage, die unbeirrt ihren Weg gehen; in Österreich der Sonderzahl Verlag, Luftschacht oder etwa der Klever Verlag; ich würde Ralf Klever vom Klever Verlag als nächsten Gesprächspartner vorschlagen.

Wo findet man Ihren Verlag im Netz?

Vornehmlich über unsere Website. Die extrem zeitfressenden Auftritte wie Facebook oder Twitter, die ja auch ständig betreut werden müssen, sparen wir uns derzeit noch und machen stattdessen lieber ein Buch zusätzlich; aber das kann sich ja mal ändern.

Herzlichen Dank für diesen Einblick!

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

Die Situation der Druckereien. Ein Gastbeitrag zum Buchhandel in der DDR von André Gottwald

Druckereien © Uwe Kalkowski

Druckereien © Uwe Kalkowski

In der Beitragsfolge zum Buchhandel in der DDR wurde wiederholt auf die schwierige Lage bei der Beschaffung der Bücher hingewiesen. Ich möchte aus persönlicher Sicht meine Erfahrungen aus der DDR-Druckindustrie der 1980er Jahre schildern.

Leider bin ich nicht in der Lage, einen historischen Abriss zu liefern. Nachfolgende Anmerkungen resultieren nur aus meinen persönlichen Erfahrungen. Mir liegen leider keine Unterlagen vor und ich muss mich auf mein Gedächtnis verlassen. Ergänzungen und Korrekturen wären also sehr willkommen.

André Gottwald

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Ich arbeitete in dieser Zeit (1980-1989) erst als Lehrling, dann als Drucker und schließlich als Ingenieur im Graphischen Großbetrieb Interdruck in Leipzig. Dieser Betrieb war meines Wissens der größte polygraphische Betrieb in der DDR (2.400 Mitarbeiter), aber wohl nicht der größte Buchhersteller. Die meisten Bücher dürften wohl im Karl-Marx-Werk Pößneck hergestellt worden sein. Diese Firma existiert übrigens heute noch als GGP Media Pößneck und gehört zur Bertelsmann-Gruppe. Interdruck entstand durch die Zusammenlegung vieler historischer Druckbetriebe und Bindereien in Leipzig: Oskar Brandstätter, C. Fikentscher, den Druckereien von Reclam und des Bibliographischen Instituts u.v.a.m. Im ganzen waren es über 30 Betriebstätten, in denen vom Möbeldekor für Spanplatten über Bücher bis zur Farbenherstellung (Keilitz Künstlerfarben) so ziemlich alles gefertigt wurde, was mit der Polygraphie im Zusammenhang stand. Wer die Fernsehserie „Soko Leipzig“ gesehen hat, kennt das Reclamgebäude in der Inselstraße 22 als Polizeirevier. Zu DDR-Zeiten war dort eine der Buchbindereien von Interduck untergebracht.

Andrés erster Arbeitsplatz bei Interdruck © André Gottwald

Andrés erster Arbeitsplatz bei Interdruck © André Gottwald

Zurück zur Situation in den achtziger Jahren: Die meisten Druckereien der DDR waren keine volkseigenen Betriebe, sondern in Parteibesitz. Das meint nicht nur die SED, sondern auch die sogenannten Blockparteien wie CDU oder LDPD. Die Organisationsform war die „Vereinigung organisationseigener Betriebe“, kurz VOB. Die größte davon war natürlich die der SED, die Zentrag, zu der auch Interdruck gehörte. Die Organisation in VOB statt VEB hatte neben der juristischen große praktische Bedeutung: bei Berichterstattung, Investitionen und Vergünstigungen für die Beschäftigten waren die Betriebe gegenüber normalen volkseigenen Betrieben vielfach privilegiert. Die technische Ausstattung der großen Druckbetriebe war gut bis sehr gut, allerdings der Gebäudebestand vielfach in schlechtem Zustand und vernachlässigt. Da der polygraphische Maschinenbau (Planeta [Bogenmaschinen], Plamag [Rollenmaschinen], Brehmer [Buchbindereimaschinen]) ein hohes Niveau hatte war die Ausstattung vielfach auf modernem Stand und gerade die Umstellung von Buchdruck auf Offsetdruck anfangs der achtziger Jahre ging in der DDR schneller vonstatten als in der Bundesrepublik.

Da zudem ein hoher Anteil der Druckleistungen exportiert wurde (ca. 20-30 %) gab es auch die finanzielle Möglichkeit, westliche Technik und Papier zu importieren. Bei Interdruck war z.B. Technik von Hell, Linotype, Kochsiek und Albert-Frankenthal zu finden. Trotzdem reichten die Kapazitäten für den Bedarf nie aus, da es viele Ersatz- aber wenige Erweiterungsinvestitionen gab, sprich: es wurden keine neuen Druckereien gebaut und die bestehenden nur sehr zögerlich erweitert. Es fehlte an Baukapazitäten. Die Kapazitätsauslastung der Druckereien war deshalb immens hoch. Maschinenstillstände wegen Materialmangels wie andernorts waren unbekannt. Die Maschinen liefen in drei Schichten und es war trotzdem immer zu wenig. Verlässliche Zahlen habe ich leider nicht, aber bei Interdruck wurden ungefähr pro Jahr 3.000 Titel mit einer Gesamtauflage von 50 Mio. Exemplaren produziert. Darunter aber ein hoher Anteil von Schulbüchern, hauptsächlich für den Export in die Sowjetunion. Die russische Lesefibel für die Unterstufe hatte z.B. eine Jahresauflage von 1 Mio. Exemplaren.

Ausgehend von der hohen Kapazitätsauslastung gab es immer einen sehr langen Planungsvorlauf. Es konnte sehr zum Leidwesen der Verlage durchaus sein, dass eine Neuerscheinung zwei Jahre auf freie Kapazitäten warten musste. Normal war, dass zum Ende eines Jahres das Folgejahr komplett verplant war. Das heißt, man konnte im Januar schon sehen was im Dezember gedruckt werden würde. Für die heutige Druckindustrie unvorstellbar. Heutzutage gibt es einen Planungsvorlauf von vielleicht zwei Monaten. Das Prozedere bei der Planung lief ungefähr wie folgt ab: im Ministerium für Kultur wurden die Mengen an verfügbarem Papier und Druckkapazität erfasst und auf die Verlage aufgeschlüsselt. Wie die Verteilung vonstattenging entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß allerdings, dass es ein heftiges Tauziehen und Feilschen war. Auf jeden Fall waren der Dietz-Verlag (Parteiverlag der SED), der Militärverlag und der Verlag Volk und Wissen (Schulbücher) privilegiert. Der Verlag also beschloss nach erfolgter Druckgenehmigung, einen Titel erscheinen zu lassen. Ohne eine Druckgenehmigung, die in Form einer Art Urkunde vorlag, durfte keine Druckerei ein Buch produzieren. (Für Akzidenzen gab es eigene Regeln.)

Brigadeabend in der firmeneigenen Kegelbahn © André Gottwald

Brigadeabend in der firmeneigenen Kegelbahn © André Gottwald

Auf jedem Druckerzeugnis war aber die Nummer der produzierenden Druckerei zu vermerken. Die Nummer von Interdruck lautete III/18/97. (Sie können diese Nummer im Impressum eines von Interduck gedruckten Buches finden.) Die Auflagenhöhe richtete sich dabei nach dem zur Verfügung stehenden Papierkontingent. Die Aufteilung des Kontingents sorgte immer für lebhafte Diskussionen. Die Druckerei hatte dabei nur am Rande Mitspracherecht. Allerdings gab es da auch Möglichkeiten jenseits der Unmöglichkeiten. Jeder Druckereichef hatte natürlich Vorräte gehortet. Jeder Betrieb hatte Vorräte gehortet. Man konnte ja nie wissen, was man plötzlich brauchen würde. Allerdings hielt sich das alles in Grenzen, der grundlegende Mangel konnte nie behoben werden. Die Ursache dafür war die faktische Aushebelung des Preismechanismus zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage und natürlich die fehlende konvertible Währung, so dass man sich nicht auf dem Weltmarkt bedienen konnte. Es gab in geringerem Umfang auch Papierimporte, vor allem aus Finnland. Nach welchen Maßgaben das erfolgte, ist mir unbekannt. Auf jeden Fall konnte das nicht der Verlag oder die Druckerei entscheiden, sondern nur die Zentrag bzw. die zuständige Abteilung im ZK der SED.

Nach Klärung der hochsensiblen Papierfrage kam die Zuweisung der Druckkapazität. Auch hier waren Verlag und Druckerei nicht frei in ihrer Entscheidung. Die Zuweisung erfolgte wohl hauptsächlich nach den technischen Möglichkeiten und nach einer gewissen regionalen Präferenz, also z.B. Leipziger Verlage zu Leipziger Druckereien. Ferner gab es politische Erwägungen. SED-Parteiliteratur wurde natürlich nur in SED-Parteibetrieben gedruckt. Bei Interdruck war es ein buntes Gemisch. Aufgrund der technischen Ausstattung wurde wenig Belletristik gedruckt. Der Hauptanteil entfiel auf Schul- und Sachbücher, Bildbände, Kochbücher und ähnliches im Vierfarbenbereich. Die hochwertige Belletristik wurde hauptsächlich bei Offizin Andersen Nexö in Leipzig gedruckt. Allgemeine Belletristik in Pößneck und Taschenbücher beim Graphischen Großbetrieb Völkerfreundschaft in Dresden. Der Betrieb Sachsendruck in Plauen hatte sich auf hochwertige Bildbände spezialisiert. Daneben gab es auch noch andere spezialisierte Betriebe wie H.F. Jütte für Kunstdrucke, den Diagrammdruck Quedlinburg und den Vordruckleitverlag in Spremberg und Freiberg für Formulare, Haack in Gotha für Landkarten usw. Neben den produktspezialisierten Druckereien gab es in jedem der 15 DDR-Bezirke und für die zentrale Zeitung „Neues Deutschland“ eine Zeitungsdruckerei. Diese Zeitungsdruckereien produzierten nebenbei immer auch andere Erzeugnisse. Die Druckerei des Neuen Deutschland zum Beispiel Zeitschriften, die Druckerei der Leipziger Volkszeitung hochwertige Broschuren. Vor 1989 dürfte mindestens ein Drittel der Diogenes-Taschenbücher aus Leipzig gekommen sein. Das hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass in der Leipziger Mehringbuchhandlung ab und zu einige Diogenes-Taschenbücher auftauchten, die natürlich immer gleich wieder vergriffen waren.

die Broschüre zum Honecker-Besuch 1977

die Broschüre zum Honecker-Besuch bei Interdruck 1977

Nach Zuweisung der Papier- und Druckkapazität erfolgte die eigentliche Planung, in der Regel für das Folgejahr. Weniger privilegierte Verlage durften auch schon einmal länger warten. Vor allem die kleineren Verlage wie der Greifenverlag in Rudolstadt oder die christlichen Verlage waren davon betroffen, aber das hatte kein System. Sie rutschten einfach auf der Prioritätenliste nach hinten. Denn es gab privilegierte Buchkategorien. Die oberste und wichtigste Kategorie waren „Beschlusstitel“. Das heißt für die Produktion eines solchen Titels war ein Beschluss des Politbüros oder des ZK der SED gefasst worden. Der entsprechende Titel hatte dadurch höchste Priorität und wurde auf jeden Fall, zur Not durch Verschiebung anderer Titel, termingemäß produziert. Gegebenenfalls wurde das notwendige Papier importiert. Nach dem Besuch Honeckers bei Kohl 1987 wurde binnen einer Woche eine Broschüre mit einer Auflage von 150.000 Expl. auf Importpapier produziert. Unter dieser Praxis hatten natürlich die anderen Verlage durch Verschiebung ihrer Titel zu leiden.

Die nächstniedrige Kategorie war der devisenbringende „NSW-Export“ (NSW= nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet). Da die westlichen Verlage sich natürlich nicht dem DDR-Planungsschema unterordneten konnte es im Lauf des Jahres passieren, das ungeplante Titel hereinkamen. Da sie wegen der Devisen Priorität hatten, mussten die einheimischen Verlage wieder leiden. Exportiert wurde in verschiedene Länder. Bei Interdruck hauptsächlich in die Bundesrepublik (Springer Wissenschaft, Harri Deutsch, Dumont Reiseführer u.a.), die Niederlande (Meulenhoff) und Großbritannien (Thames & Hudson). Die nächste Kategorie war SW-Export (sozialistisches Wirtschaftsgebiet). Hier gilt das gleiche wie bei NSW-Export, nur eine Stufe niedriger. Zielländer waren hauptsächlich die Sowjetunion und Polen. Bei der nächsten Kategorie „Schönstes Buch“ konnten dann auch inländische Verlage profitieren. Bei Titeln dieser Kategorie handelte es sich um Anwärter auf die jährliche Ausstellung „Schönste Bücher aus aller Welt“ und die in größeren Abständen abgehaltene Internationale Buchkunst-Ausstellung. Die Titel wurden in Sachen Termintreue und Materialeinsatz bevorzugt behandelt. Typische Verlage für solche Titel waren E.A. Seemann, Edition Leipzig, Aufbau und der Henschel-Verlag. Ein Beispiel für ein solches Buch ist „Kunstmetropole Berlin 1918-1933“ vom Aufbau-Verlag. Ein schöner Text-/Bildband im seltenen Illustrationstiefdruck. Im Antiquariat ist es noch zu haben.

aus der Honecker-Broschüre © ADN-ZB

aus der Broschüre zum Honecker-Besuch © ADN-ZB

Die verschiedenen Kategorien wurden auf den Auftragsunterlagen vermerkt, so dass jeder Mitarbeiter um die Dringlichkeit wusste. Nach diesen vier Vorzugskategorien reihten sich alle anderen Titel ein. Diese normalen Titel waren aber immer die Leidtragenden bei den ständigen Engpässen, die sich durch die permanente hundertprozentige Kapazitätsauslastung ergaben. Dadurch entstanden auch immer wieder zum Teil langfristige Terminverzögerungen, denn der Planungsrahmen war immer der Monat. Eine Verschiebung eines Titels bedeutete nämlich in der Regel, dass er komplett neu eingeordnet werden musste. Das heißt, ein Titel der nicht bis zum 31. geliefert werden konnte rutschte nicht um ein oder zwei Tage nach hinten sondern um einen Monat oder auch zwei. Das führte natürlich zu viel Verdruss bei Verlagen und Buchhandel. Es war ein Problem, das bis zum Ende der DDR nicht bewältigt wurde.

Anders als es heute üblich ist, war Interdruck ein Kompletthersteller inklusiv der Satzherstellung und (Bild-) Lithographie (Begriff in der DDR: Reproduktion). Die Fertigung erfolgte ab Eingang des Maschinen- oder Handschriftmanuskripts und der Bildvorlagen bis zum fertigen Buch in einem Betrieb. Es war sogar möglich (und ist auch gemacht worden) vom Gemäldeoriginal zu reproduzieren. Die reine Fertigungszeit variierte je nach Schwierigkeit zwischen drei und sechs Monaten. Das ist deutlich mehr als heute möglich und üblich. Es lag vor allem daran, dass sehr intensiv Korrektur gelesen wurde. Es gab mehrere Korrekturgänge: 1. Hauskorrektur in der Setzerei, 2. Korrektur durch den Verlag und den Autor, 3. Ausführen der Korrekturen mit anschließender Hauskorrektur, 4. Gegenlesen durch Verlag/Autor und dann schließlich die Druckfreigabe (Imprimatur). Je nach Wunsch des Verlages gab es unter Umständen noch einen weiteren Korrekturgang. Das war besonders bei der Marx-Engels-Gesamtausgabe, der Bibliotheca Teubneriana (Sammlung von altsprachlichen Klassikern als Referenzausgaben) und beim Thesaurus Linguae Latinae der Fall. Gerade beim Thesaurus konnte die Fertigung eines Faszikels schon einmal gut und gern zwei Jahre dauern. Es dauerte ja alles sehr lange, weil die Korrekturabzüge immer per Post verschickt werden mussten und ehe das dann von der Setzerei zum Verlag, vom Verlag zum Autor und wieder zurück expediert wurde, gingen die Wochen ins Land.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Probleme der Druckindustrie die gleichen wie sonst im Lande waren: zu geringe Kapazität, zu geringe Investitionen und kein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage wegen gesetzlich festgezurrter Preise. Denn die Preise für Druck- und Buchbinderleistungen waren amtlich festgelegt. Es gab eine Preisanordnung Nr. 334 des Amtes für Preise beim Ministerrat der DDR, nach der alle Leistungen abgerechnet wurden. Der Verlag hatte also nicht die Möglichkeit, einen günstigen Anbieter zu wählen, er bezahlte überall das gleiche. Die Preise wurden übrigens anhand der Produktparameter ohne Berücksichtigung der Fertigungskosten ermittelt. Das bedeutet, dass es für die Druckereien keinen wirtschaftlichen Zwang gab, effektiv zu arbeiten. Die Kosten waren nur eine statistische Größe. Stattdessen erfolgte der notwendige Leistungsdruck durch administrative Maßnahmen und ein ausgedehntes Berichtswesen. Die Produktivität der DDR-Druckindustrie war trotzdem sehr hoch. Sie lag geschätzt bei 80 % des Niveaus in der Bundesrepublik. Das konnte ich feststellen, als ich nach der Währungsunion anhand des Marktgeschehens unsere Preise vergleichen konnte. Allerdings war es verblüffend zu sehen, zu welchen Dumpingpreisen zu DDR-Zeiten die Druckleistungen verschleudert wurden. Ein Wert zum Vergleichen: eine Seite wissenschaftlicher Formelsatz oder altsprachlich gemischt, mit Fußnoten zu einem Preis von 8 DM. In der Bundesrepublik hätte eine solche Seite zwischen 20 und 30 DM gekostet.

die Betriebszeitung

die Betriebszeitung

Die Auslieferung der fertigen Bücher erfolgte entsprechend eines Verteilerschlüssels, der der Druckerei vom Verlag übermittelt wurde. Die Hauptlieferung ging immer an den LKG (Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel). Eine geringe Menge, 20 bis 30 Exemplare gingen an den Verlag als Beleg- und Autorenexemplare. Einen Direktvertrieb über die Verlage gab es in der Regel nicht. Manchmal gab es Teillieferungen an den Buch- und Zeitschriftenvertrieb der Nationalen Volksarmee oder den Zeitschriftenvertrieb der Post.

Die Auflagenhöhen waren sehr unterschiedlich. Das ging von 500 Expl. bei wissenschaftlichen Spezialtiteln bis zu Auflagen von 100.000 Expl. bei Dauerbrennern wie dem Duden, dem Autoatlas, „Rat für jeden Gartentag“ oder „Wir kochen gut“. Ein gutgehender Belletristiktitel wie Erwin Strittmatters „Wundertäter III“ hatte eine Startauflage von 50.000 Expl. Bei den politischen Ladenhütern vom Dietz-Verlag (Willi Stoph „Gesammelte Reden und Aufsätze“) waren die Auflagen in den achtziger Jahren stark zurückgefahren worden. Bei dem genannten Stoph (langjähriger Vorsitzender des Ministerrates der DDR) lag die Auflage nur bei 1.500 Expl. Gelesen hat das außer den bedauernswerten Mitarbeitern im Verlag und dem Setzer niemand. Was natürlich ständig lief waren die Nachauflagen der blauen Marx- und braunen Leninbände. Aber auch da hielten sich die Auflagen in Grenzen. Jeweils 2.000 bis 3.000 Expl. wurden bei Bedarf nachgedruckt.

Beim Ende der DDR waren die Druckereien abgesehen von der Bausubstanz in recht guter Verfassung. Weshalb es auch mit Neubauten auf der grünen Wiese für viele Druckereien nach der Währungsunion erst einmal weiterging. Dass die DDR-Druckindustrie (mit Ausnahme der Zeitungsdruckereien) mittlerweile trotzdem fast verschwunden ist, hat eher Ursachen in den allgemeinen Entwicklungen dieser Branche. Aber das ist ein Kapitel für sich.

© André Gottwald

„Gewisse – auch schlechte – Erfahrungen gehören zu jedem Anfang.“ – SteglitzMind stellt Beatrice Maritz und Andreas Grosz von der edition pudelundpinscher vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute stehen Beatrice Maritz und Andreas Grosz Rede und Antwort, die 2006 die edition pudelundpinscher ins Leben gerufen haben. Vorgeschlagen hatte das Hartmut Abendschein, der die edition taberna kritika verantwortet.

Seit wann existiert die Edition?

das Verlegerteam © edition pudelundpinscher

das Verlegerteam © edition pudelundpinscher

In einem alten Holzhaus, das zur Zeit der Erfindung des Buchdrucks, aber noch vor der Entdeckung von Amerika erbaut wurde und in den Schweizer Alpen steht, gründeten wir 2006 unseren kleinen Verlag.

Machen Sie alles alleine?

Wir – Beatrice Maritz und Andreas Grosz – führen so viele Arbeiten wie möglich selber aus, lassen unsere Bücher im italienischsprachigen Nachbarkanton drucken, weil das so praktisch und recht umweltfreundlich ist, und erteilen hie und da auch Aufträge.

Die Programmschwerpunkte … Und Ihre persönlichen Highlights?

Im Augenblick sind 25 Titel lieferbar, ausschließlich analog. Als Programmschwerpunkte gelten immer noch Lyrik, nicht ganz marktkonforme Prosa und Übersetzungen.

Und die Highlights? Wie war das doch zum Beispiel an den letzten Solothurner Literaturtagen, als wir im SWIPS-Zelt hinter unserem Bücherstand auf Neugierige warteten: Da schnappte sich eine junge Frau ein Buch von unserem Tisch und las daraus ihren beiden Kolleginnen vor. Es handelte sich um „Abstecher ins bürgerliche Jenseits“ von Wilfried Happel. Er lebt übrigens in Berlin …

Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?

Gewisse Dinge bahnen sich langsam an. Viele Jahre Buchhandel, eigene fast lebenslange Schreiberfahrung, eine fast manische Bücherliebe – das musste irgendwann fast zwangsläufig zur Gründung eines eigenen Verlags führen.

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

Das fragen wir uns bisweilen tatsächlich auch.

Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?

pudelupinscher_coverDer Computer ermöglicht vieles, was früher mit viel mehr Schwierigkeiten verbunden war – zum Beispiel auch die Gründung eines Verlags.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

Wir basteln leidenschaftlich gern, das erlaubt uns, so unabhängig wie möglich zu sein. Wir machen niemandem viel streitig, deshalb ist von Konkurrenz auch kaum etwas zu spüren.

 So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Gewisse – auch schlechte – Erfahrungen gehören zu jedem Anfang. Anders geht es nicht. Wirklich schief gelaufen ist bisher kaum etwas.

Wie gewinnen Sie Autoren?

Wir kennen Autorinnen und Autoren, wir lassen uns welche empfehlen, wir erhalten Manuskripte …

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Wir haben eine Auslieferung in der Schweiz und eine in Deutschland, wir haben einen Vertreter, der in unserem Auftrag die deutschsprachige Schweiz bereist, wir versenden unsere Verlagsvorschauen und Newsletters an Presse und Literaturinteressierte, und wir versuchen, da und dort ein wenig aufzufallen.

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Siehe oben. Wir verschenken Lese-Exemplare und decken unseren eigenen Bücherbedarf in Buchhandlungen. u einzelnen Buchhändlerinnen und Buchhändlern pflegen wir persönliche Beziehungen.

Wie halten Sie es mit Amazon?

Wir gehen Amazon aus dem Weg. Die dort herrschenden Arbeitsbedingungen und andere Seltsamkeiten legen uns ein solches Verhalten nahe.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Unser Möglichstes.

Wie halten Sie es mit dem Schweizer Buchhändlerverband?

Wir sind (noch) nicht Mitglied des SBVV.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Leute, die gute, schöne, handliche Bücher mögen. À propos „schön“: Unsere Covers werden von Künstlerinnen und Künstlern gestaltet. Vielleicht nennt sich das „eine Marktnische“.

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

In seiner Kleinheit. Die gewährleistet eine gewisse Unsinkbarkeit (aber das haben schon Riesen und Titanen von sich behauptet …)

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

das Logo © edition pudelundpinscher

das Logo © edition pudelundpinscher

Dass uns die Puste ausgeht.

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

Das Unkonventionelle, Leidenschaftliche. Und die Freundschaft unter Kolleginnen und Kollegen.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Macht euch auf Wunder gefasst (auch auf blaue). Seid also offen und unvoreingenommen.

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

verlag die brotsuppe, edition 8, edition howeg, Vexer Verlag, Verlag im Waldgut, edition taberna kritika, die Hartmut Abendschein hier bereits vorgestellt hat. Klopfen Sie doch einmal in Biel beim verlag die brotsuppe an.

Herzlichen Dank für diesen Einblick!

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

Die edition pudelundpinscher im Netz:

www.pudelundpinscher.ch

www.swips.ch

www.literaturfest.ch

www.viceversaliteratur.ch

 

Vom Mangel zum Überfluss. Die Wende und der DDR-Buchhandel

Womöglich habe ich mir mit dem Vorhaben, die Geschichte des DDR-Buchhandels auszuloten, zu viel vorgenommen? Je länger mich die Materie allerdings beschäftigt, desto mehr Fragen stellen sich, die nur diejenigen beantworten können, die dabei gewesen sind.

Trotzdem habe ich Mut zur Lücke: In fünf Folgen werde ich darlegen, was ich bisher zur Entwicklung des Buchhandels in der DDR (Teil 1 – 4) und nach der Wende (Teil 5) trotz spärlicher Quellen recherchiert habe. – Warum wage ich diese Skizze? Weil ich mir erhoffe, dass sich Zeitzeugen einfinden, die das eine und andere aus der eigenen Erfahrung zurechtrücken und/oder Lücken schließen.

Eine Zusammenstellung der verwendeten Quellen findet sich hier. Die vorangegangenen Folgen kann man hier nachlesen

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Autokennzeichen der DDR © GvP

Autokennzeichen der DDR © GvP

 

Nach dem Mauerfall ging es im volkseigenen Buchhandel offenbar heiß her. Am 10. Januar 1990 räumte die Zentrale Leitung auf einer Krisensitzung ein, die Kontrolle über die Betriebe des Volksbuchhandles verloren zu haben. Im März wurde den Mitarbeitern darauf die Möglichkeit eingeräumt, ihre Verträge fristlos zu kündigen. Gebrauch davon machten zahlreiche kleinere Kommissionsbuchhandlungen. Das waren ehemals privat betriebene Buchhandlungen, die, um ihr Überleben zu sichern, sich zu einer Zusammenarbeit mit dem Volksbuchhandel entschlossen hatten. Es kam schließlich zu einem Misstrauensantrag gegen den amtierenden Hauptdirektor Heinz Börner, der im Mai scheiterte.

Mit den Beschlüssen der Übergangsregierungen unter Hans Modrow und Lothar de Maizière, die volkseigenen Betriebe aufzulösen und eine „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ einzusetzen, ging die Ära des zentralistisch gesteuerten DDR-Buchhandels zu Ende. Heinz Börner erhielt die kultusministerielle Weisung, den volkseigenen Buchhandel abzuwickeln. Im August wurden sowohl die „Ordnung für den Literaturvertrieb“ als auch das „Statut des Volksbuchhandels“ außer Kraft gesetzt. Die Buchbetriebe des Volksbuchhandels, die in den damals noch existierenden 15 Bezirken bestanden, wurden in Gesellschaften umgewandelt; in Ostberlin entstanden zwei. Kaum eine dieser Gesellschaften, die zumeist von den ehemaligen Bezirksdirektoren des Volksbuchhandels geleitet wurden, hielt sich aus eigener Kraft länger als ein Jahr am Markt.

  • Nordbuch, Rostock
  • Mecklenburgische Buchhandelsgesellschaft, Schwerin
  • Bücherfreund, Neubrandenburg (mit Sitz in Waren)
  • Kurmärkische Buchhandelsgesellschaft, Potsdam
  • Märkische Buchhandelsgesellschaft, Frankfurt/Oder
  • Lectio-Buchhandelsgesellschaft, Cottbus
  • Anhaltiner Buchhandlungen, Magdeburg
  • Hallesche Buchhandelsgesellschaft, Halle
  • Thüringer Buchhandelsgesellschaft, Erfurt
  • Ostthüringer Buchhandelsgesellschaft, Gera (mit Sitz in Jena)
  • Südthüringer Buchhandelsgesellschaft, Suhl
  • Buchhandelsgesellschaft Buch und Kunst, Dresden
  • Leipziger Buchhandelsgesellschaft, Leipzig
  • Buch-Tour Buchhandels- und Reisevermittlungsgesellschaft, Karl-Marx-Stadt
  • Berliner Buchhandelsgesellschaft, Berlin
  • Buchhandelsgesellschaft Ex litterae, Berlin

Der Eintrag zur Liquidation der Zentralen Leitung des Volksbuchhandels ins Handelsregister erfolgte am 4. Dezember 1990. Die letzten Unterlagen aus Börners Hand übernahm der bestellte Abwickler am 31. August 1991. Heute residiert im ehemaligen Leipziger Gebäude der Zentralen Leitung in der Friedrich-Ebert-Straße 25 eine Rechtsanwaltskanzlei. Heinz Börner wechselte zum LKG.

Ab sofort war nichts mehr wie es war. Dass das System nach der friedlichen Revolution in sich zusammenfallen sollte wie ein Kartenhaus, damit hatte auch im Buchhandel keiner gerechnet. Nach dem 1. Juli 1990, dem Tag der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, räumten die Buchhändler Lager und Regale leer, um für die begehrten Westbücher Platz zu schaffen. Wie Heinz Börner berichtet, beliefen sich die Ausbuchungen im ersten Halbjahr 1990 auf einen Wert von rund 70 Millionen Ost-Mark, das soll 40% aller seit dem Jahr 1954 vom Volksbuchhandel ausgebuchten Bestände entsprochen haben. Die Gesamtsumme der Remittenden, die nach der Währungsunion bei LKG lagerten, bewegte sich im dreistelligen Millionenbereich der nach der Vereinigung geltenden Währung DM. (Petry 2001, S. 180.)

Einmal wieder platzte die Zentrale Auslieferung LKG aus allen Nähten. Das traf auch SERO, eine Abkürzung für das VEB Kombinat Sekundär-Rohstofferfassung, über das gewöhnlich makuliert wurde. Schließlich wusste man sich hier nicht mehr anders zu helfen, als Bücher, die die Geschichte vermeintlich eingeholt hatte, tonnenweise in die stillgelegten Teile des Braunkohletagebaus Espenhain zu kippen, wo sie unterpflügt wurden. Darunter befanden sich auch jene, die vor kurzer Zeit bei den DDR-Lesern noch stark nachgefragt worden waren. Nicht anders verfuhren die ostdeutschen Verlage, die nahezu ihre kompletten Bestände bei Recyclinghöfen ablieferten. Darin inbegriffen die Neuerscheinungen, die nach dem Wegfall der Zensur entstanden waren. – Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenhang dem niedersächsischen Pastor Martin Weskott zu, der sich ab 1991 über 200-mal zu den Abfallhalden aufmachte, um die Bücher vor dem Vergessen zu retten. Im Büchermagazin in Katlenburg lagern heute über eine Million ausrangierter DDR-Titel aller nur denkbaren Genres.

Im Herbst 1990 hatte der volkseigene Buchhandel faktisch aufgehört zu existieren. Am 23. November 1990 wurde die „Leitlinie zur Bewertung von Buchhandlungen“ vom Vorstand der Treuhandanstalt verabschiedet, die nicht ohne Folgen bleiben sollte. Während die Anstalt unter Detlev-Karsten Rohwedder anfangs noch die Linie vertrat, möglichst viel von der kulturellen Substanz Ostdeutschlands erhalten zu wollen, verfolgte die CDU-Politikerin Birgit Breuel, die nach Rohwedders Ermordung dessen Amt übernahm, eine Politik der zügigen Verkäufe. Heute befinden sich nahezu sämtliche Großbetriebe des DDR-Volksbuchhandels in der Hand von westdeutschen Eigentümern. So auch der Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel LKG, der 1989 mit seinen damals 1.200 Mitarbeitern noch einen Umsatz von 1,2 Milliarden Ost-Mark gestemmt hat. Die Verlagsauslieferung, die im Zuge eines MBO Management-Buy-Out von Jürgen Petry und einer 60-köpfigen Mannschaft vor dem Aus gerettet wurde, gehört seit 2009 zu KNO VA, der Koch, Neff & Oettinger Verlagsauslieferung in Stuttgart.

Dass ein flächendeckendes Sterben kleinerer Sortimenter aufgehalten wurde, ist dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel zu danken. Große westdeutsche Filialisten begannen, den ostdeutschen Buchmarkt aufzurollen und sich Filetstücke zu sichern. Nachdem die Thurn & Taxis Beteiligungsgesellschaft die volkseigenen Buchhandlungen im Bezirk Dresden en bloc gekauft hatte (Buchhandelskette Buch und Kunst, die heute zu Thalia gehört), warnten die Vorsteher der Börsenvereine Frankfurt und Leipzig in einem gemeinsamen „Memorandum für mittelständische Strukturen im DDR-Buchhandel“ im Mai 1990 vor den Gefahren der Monopolisierung. In der Folge wurde die umstrittene „Leitlinie zur Bewertung von Buchhandlungen“ revidiert und mit der Treuhand der Deal ausgehandelt, dass Angestellten aus dem Volksbuchhandel bei allen Buchhandlungen im Wert unter einer Million DM ein Vorkaufsrecht in Anspruch nehmen konnten. Legt man die Zahlen zugrunde, die Börner/Härtner (2012) dokumentieren, kann man annehmen, dass von den 707 Objekten, die Ende 1989 zum Volksbuchhandel gehörten, immerhin knapp die Hälfte an ehemalige Mitarbeiter gegangen ist.

Die Umstellung von der sozialistischen Planwirtschaft auf die Marktwirtschaft verlangte von jedem Einzelnen enorme persönliche Anstrengungen ab – und das binnen kürzester Zeit. Zwar organisierten der Börsenverein, die Frankfurter Buchmesse, westdeutsche Verlage und Verlagsauslieferungen zum Zwecke der Markteingliederung für den ostdeutschen Buchhandel unterschiedliche Hilfs- und Patenschaftsprogramme, die sicher nicht alle frei von Eigennutz gewesen sind. Freilich waren die Versuche, den ostdeutschen Kollegen auf die Sprünge zu helfen, nicht mehr als der Tropfen auf den heißen Stein. Sie hatten den Boden unter den Füßen verloren, die Zukunft des Landes war ebenso ungewiss wie die persönliche Existenz. Würde die Marktwirtschaft dem ostdeutschen Buchhandel tatsächlich das versprochene Heil bringen?

Viele Buchhandlungen, die von ehemaligen Mitarbeitern aus dem Volksbuchhandel und dem Buchvertrieb der Nationalen Volksarmee mit großem Engagement weitergeführt wurden, existieren heute nicht mehr. Darunter auch prominente Namen. Die Leipziger Hinrichs´sche Sortimentsbuchhandlung schlidderte bereits im Herbst 1991 in die Liquidation – drei Monate zuvor hatten die Angestellten noch das 200-jährige Firmenjubiläum gefeiert. Die renommierte Brecht-Buchhandlung, die 1990 von zwei Mitarbeiterinnen übernommen worden war, musste im Juli 2003 ihr Aus vermelden. Die Karl-Marx-Buchhandlung am Alexanderplatz, zu DDR-Zeiten für Westberliner Studenten und Links-Intellektuelle ein Mekka, machte 2008 dicht.

Welches Schicksal widerfuhr privat geführten Sortimenten nach der Wende? Hier kann man nur mutmaßen. Nach Dietrich Löffler soll LKG im Jahr 1987 noch 203 private Buchhandlungen beliefert haben. (Löffler, o.J., S. 31). Zum Vergleich: Laut Jürgen Petry gehörten zum Jahresende 1970 immerhin noch 802 private Sortimenter zum Kundenkreis der LKG. (Petry 2001, S. 106.) – Sicherlich hat es nicht nur die Erfurter Buchhandlung Peterknecht geschafft, sich auch nach 1990 zu behaupten und am Markt neu zu positionieren …

In der kommenden Woche lesen wir hier einen Gastbeitrag von André Gottwald zur Situation der Druckereien in der DDR

„Ich mache einfach das, was man machen sollte …“ – SteglitzMind stellt Matthias Burki von Der gesunde Menschenversand vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute erfahren wir mehr über Matthias Burki, der den Verlag Der gesunde Menschenversand gegründet hat. Der Vorschlag kommt von Hartmut Abendschein, der die edition taberna kritika verantwortet.

Eine Skizze vom Verlag …

Matthias Burki © Mischa Christen

Matthias Burki © Mischa Christen

Der gesunde Menschenversand wurde 1998 in Bern gegründet und ist nun seit einigen Jahren in Luzern zu Hause, ein Fast-1-Mann-Verlag mit 120 Stellenprozenten, ab August 2015 kommt aber eine 50%-Stelle dazu. Und natürlich gibt es viele freie Mitarbeiter für Grafik, Lektorat, Korrektorat etc.

Die Programmschwerpunkte?

Schwerpunkt ist Spoken-Word-Literatur in Text und Ton, Literatur also, die auch oder ausschließlich für die Bühne, im Radio usw. geschrieben wurde und von den Autor/innen selber vorgetragen wird. Anzahl lieferbarer Titel: ca. 100; analog und digital (E-Books seit 2 Jahren, Ton-Download seit Anbeginn)

Ihre persönlichen Highlights?

„Simeliberg“ von Michael Fehr natürlich (2. Preis in Klagenfurt), „Grand Tour“ von Fitzgerald & Rimini. Aber vor allem eine Veranstaltung: Am 1. Februar organisierte der Autor Matto Kämpf eine Benefiz-Veranstaltung für Menschenversand, an der gleich 20 Autor/innen des Verlags aufgetreten sind. Ein langes, ausverkauftes Fest mit dem längsten Büchertisch der Verlagsgeschichte. Und ein fast zu Tränen rührendes Engagement, wer kann schon auf so treue, mitdenkende, ja mitfühlende Autor/innen zählen?

Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?

Das war nicht so geplant, am Anfang stand die Idee einer Anthologie (Das Buch der Langeweile), so brauchten wir einen Verlagsnamen, dann haben wir, damals noch zu zweit, halt einfach weitergemacht, mit Poetry Slams, Hörbüchern, einem Literaturfanzine usw. Ohne Businessplan und mit einer gesunden Portion Naivität. Parallel dazu blühte die Schweizer Spoken-Word-Szene auf und so ergab das eine das nächste …

Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?

menschenversand_Cover 1Keine Ahnung. Zum Glück habe ich auch keine Zeit, darüber nachzudenken.

Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?

Vorläufig wenig, neben den natürlich anfallenden neuen Arbeitsschritten.

Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?

„Positionieren“ und „Konkurrenz“ sind Begriffe, die mir fern liegen. Ich mache einfach das, was man machen sollte, wenn man Spoken-Word-Literatur verlegt.

So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?

Noch weniger gesunder Menschenverstand und noch mehr gesunde Naivität.

Wie gewinnen Sie Autoren?

Über die (Schweizer) Spoken-Word-Szene, viele der Autor/innen kenne ich seit Jahren. Oder über Empfehlungen.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?

Die üblichen Wege mit Auslieferung, Barsortiment und Vertretung. Im Unterschied zu anderen Verlagen ist der Direktverkauf höher, an Lesungen, aber auch mit Ständen außerhalb der Buchbranche, etwa an Weihnachtsmärkten usw.

Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?

Einiges, aber zu wenig. Schön ist: Es gibt einige Menschenversand-Fans unter den Buchhändler/innen, in Bern und anderswo, die sich sehr für die (Hör)Bücher einsetzen.

Wie halten Sie es mit Amazon?

Schwierig. Kein direkter Kontakt.

Was tun Sie für Ihr Marketing?

Viel, aber zu wenig.

Wie halten Sie es mit dem Schweizer Buchhändlerverband?

Mitglied. Als politischer Akteur unerlässlich und in jüngster Zeit im (erfolglosen) Kampf gegen die Abschaffung der Buchpreisbindung, der möglichen schweizerischen Verlagsförderung (vielleicht erfolgreich) und dem Auftritt an der Leipziger Buchmesse sehr aktiv, gut vernetzt und engagiert.

Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?

Die Nische ergibt sich aus dem Schwerpunkt – Literatur auf der Bühne. Die Leser und Hörerinnen sind erfreulich unterschiedlich, auch je nach Autor/in, insofern erübrigt sich das marketingverseuchte Zielgruppensuchen.

Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?

Im Überleben.

Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?

Im zermürbenden Sich-ständig-knapp-über-Wasser-Halten.

Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?

das Logo  © Der gesunde Menschenversand

das Logo © Der gesunde Menschenversand

Experiment, Austausch, Sperrigkeit, Hilfsbereitschaft, Trinken, Freundschaft, Tanzen.

Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Abraten. Auch als Jurist kann man jammern, aber auf bedeutend höherem Niveau.

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Alle Verlage von SWIPS (Swiss Independent Publishers), Urs Engelers Verlag, insbesondere die roughbook-Reihe, diaphanes, Edition Korrespondenzen, kookbooks, Der Kollaboratör, Voland & Quist, Verbrecher Verlag, den Jörg Sundermeier hier bereits vorgestellt hat, und viele mehr …

Herzlichen Dank für diesen Einblick!

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

Der gesunde Menschenversand im Netz:

www.menschenversand.ch

Mangel im Überfluss: „Von einer Auswahl kann niemals die Rede sein.“ Buchhandel in der DDR (Teil 4)

Womöglich habe ich mir mit dem Vorhaben, die Geschichte des DDR-Buchhandels auszuloten, zu viel vorgenommen? Je länger mich die Materie allerdings beschäftigt, desto mehr Fragen stellen sich, die nur diejenigen beantworten können, die dabei gewesen sind.

Trotzdem habe ich Mut zur Lücke: In fünf Folgen werde ich darlegen, was ich bisher zur Entwicklung des Buchhandels in der DDR (Teil 1 – 4) und nach der Wende (Teil 5) trotz spärlicher Quellen recherchiert habe. – Warum wage ich diese Skizze? Weil ich mir erhoffe, dass sich Zeitzeugen einfinden, die das eine und andere aus der eigenen Erfahrung zurechtrücken und/oder Lücken schließen.

Eine Zusammenstellung der verwendeten Quellen findet sich hier.

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Autokennzeichen der DDR © GvP

Autokennzeichen der DDR © GvP

Eigentlich hätten sich die Verantwortlichen in den staatlichen Leitungen, die den Literaturvertrieb kontrollierten, relativ früh bewusst sein müssen, dass sich der Buchhandel in generalis nicht auf Linie trimmen ließ. Nicht etwa, weil er in Opposition zum System gestanden hätte, sondern, weil sich Lesebedürfnisse nicht per Dekret steuern lassen. Dass die Partei dennoch bis 1989 am Versuch festhielt, dem Buchhandel eine Funktion als Transmissionsriemen ihres jeweiligen ideologischen Kurses zuzuschreiben, gehört mit zu den Paradoxien der DDR-Geschichte. Aus heutiger Sicht mag man über die systemimmanenten Widersprüche, die auch so manche kuriose Blüten trieben, gerne den Kopf schütteln. Allerdings darf man darüber nicht das menschliche Leid vergessen.

Wer in die Prozesse involviert war, dem dürfte bereits in den frühen Jahren der DDR klar gewesen sein, dass die Absatzschwierigkeiten und –krisen nicht jenen angelastet werden konnten, die die Literatur vertrieben. Eine deutliche Warnung etwa waren die ständig lauter werdenden Forderungen des Volksbuchhandels, in den Produktionsplänen die Lesebedürfnisse stärker zu berücksichtigen und solche Titel nachzudrucken, die bei den Kunden gefragt waren. Tatsächlich fehlte es bereits im ersten Halbjahr 1961 an nahezu allem: Kochbücher, der Duden oder leichte Unterhaltungsliteratur waren ebenso wenig greifbar wie Reiseführer zu Zielen, die für DDR-Bürger damals erreichbar waren. Dass ausgerechnet jene Bücher nicht vorrätig waren, auf deren Erbe sich die „Literaturgesellschaft“ offiziell berief, stieß so manchen vor den Kopf:

„Es fehlten Koch-, Back-, Camping- und Ehebücher, Ratgeber über Säuglingspflege, Handwerks- und Haushaltskniffe, Gartenpflege und Pilze, Konzert- und Opernführer, ein Auto-Atlas und ‚Wir schneidern selbst‘. Solche Titel waren meistens bereits vorm Erscheinen hoffnungslos ‚überzeichnet‘, wie der ‚Duden‘, von dem zwar immerhin 37.000 Stück gedruckt, aber 115.000 Exemplare bestellt waren. Es gab, wie beklagt wurde, zwar kein Buch über Usedom, aber zwei über Guinea und nicht weniger als 26 Titel über die Novemberevolution. Was Belletristik anging, so waren im ersten Halbjahr 1961 von 1.399 angekündigten Titeln 579 entweder nicht erschienen oder stark überzeichnet, während andere verlangte Bücher längst aus den Plänen gestrichen waren. […]. Besonderen Anklang finden bei der Bevölkerung Bücher von W. Busch (Busch-Album), Zille und Simmel. Viel verlangt werden Bücher, die sich in heiterer und besinnlicher Form mit den Umgangsformen im öffentlichen Leben beschäftigten, doch alle diese Bücher sind seit langem vergriffen. […]. Verlangt wurden Shakespeare, Balzac, Stendal, Hugo Dickens, Thackeray, Tolstoi, Turgenjew, Puschkin, Dostojewski, aber selten konnte ein Titel angeboten werden. Von einer Auswahl kann niemals die Rede sein. Sogar in der Volksbuchhandlung am Alexanderplatz, kurz vor dem Mauerbau ein Schaufenster von strategischer Bedeutung, starrten den zahlreichen Freunden des ‚Kritischen Realismus‘ nur noch leere Regale entgegen. Aus allen Kreisen der Bevölkerung werden namentlich Werke der Brüder Mann, von Feuchtwanger, Fontane, Storm, Hauptmann und v. Eichendorff verlangt, von den russischen Schriftstellern die von Dostojewski, Tschechow, Tolstoi und Gogol, und von französischen Schriftstellern die Titel von Balzac, Zola, Maupassant und Diderot. – Außerdem dem Buch ‚Der Untertan‘ von H. Mann kann in dieser Richtung keinen Wünschen entsprochen werden. […]. Von Seiten der Kundschaft wurde bemängelt, dass zwar die Urne des Dichters in die DDR überführt worden ist, die Presse, Rundfunk und Fernsehen diese Tatsache entsprechend publizieren, der Buchhandel jedoch keine Literatur von Heinrich Mann anbieten kann. […] Allgemein ist zu sagen, dass es gegenwärtig keine Titel eines Klassikers der Weltliteratur gibt. Besonders krass ist das bei Goethe und Schiller.“ (Zit. nach Barck/Langermann/Lokatis 1997, S. 165f.)

Sehr wohl wurde die Misere im Buchhandel, die ursächlich zu Lasten der Kulturpolitik ging, immer wieder offen thematisiert. Sowohl in informellen Gesprächen auf verantwortlichen Ebenen wie auch während der offiziellen Runden, die im Ministerium für Kultur, bei der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel oder in den sogenannten Literaturarbeitsgemeinschaften stattgefunden haben. Eine wichtige Quelle für die Recherche sind zweifelsohne die Jahresberichte der Zentralen Leitung des Volksbuchhandels, die ab 1959 regelmäßig angefertigt wurden. Anfangs mussten die Rechenschaftsberichte vor der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED, später dann vor der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur vom amtierenden Hauptdirektor des Volksbuchhandels erläutert und verteidigt werden. Heinz Börner, Hauptdirektor ab 1983, berichtet, dass die Probleme im Laufe der Jahre in den Berichten immer offener und kritischer zur Sprache gekommen seien. Die Einflussmöglichkeiten dagegen, diese zu beheben, seien im Gegenzug immer geringer geworden.

Informationen über die Lesebedürfnisse kamen auch von den so genannten Testbuchhandlungen, die damals vorrangig von Fachbuch-Verlagen mit dem Ziel betrieben wurden, empirische Daten für die eigenen Planungen zu gewinnen. Intensive Buchmarktforschung betrieb die Zentrale Auslieferung LKG. Hier existierte eigens die Abteilung Bedarfs-/Buchmarktforschung, die die regelmäßigen Ergebnisse von Befragungen unter Kunden der Volksbuchhandlungen auswertete und dokumentierte. Ab 1965 unterstand sie direkt Georg Lindorf, dem damals frisch ernannten Finanzchef der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel. Um den Wünschen der Leser noch besser auf die Spur kommen zu können, organisierte LKG ab den späten 1970er sogar im großen Stil Umfragen unter der Bevölkerung. Wie das 1957 in Leipzig gegründete Institut für Marktforschung im Übrigen auch, das regelmäßige Erhebungen zum Lese- und Freizeitverhalten durchführte. – Die Ergebnisse flossen in die Jahresberichte der LKG ein, die an die Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel gingen. Ein Zitat aus dem Rechenschaftsbericht aus dem Jahr 1971 belegt, dass sich die Lage seit 1961 nicht entspannt hatte. An Nachschlagewerken, Klassikern und Unterhaltungsliteratur herrschte weiterhin Mangel.

Es fehlten Nachauflagen von Wörterbüchern, darunter medizinische Wörterbücher. Die Auflagenhöhen von biologischen Bestimmungsbüchern sowie Titel von Titeln über Familie, Ehe, Lebensweise waren nicht ausreichend. Besonders unzureichend waren die Auflagen der Gartenbücher des Neumann-Verlages, der Koch- Back- und Haushaltsbücher vom Fachbuchverlag und vom Verlag für die Frau. Im Bereich der schöngeistigen Literatur fehlten über die ‚Bibliothek der Klassiker‘ hinaus ein Grundsortiment ständig lieferbarer Titel des deutschen kulturellen Erbes. […]. Nicht befriedigt wurde der Bedarf an utopischer und Kriminalliteratur sowie im historischen und humoristischen Genre. Bei der Kinderliteratur bestehen Lücken im Angebot für das Erstlesealter und in Titelzahl und Auflagenhöhe bei Kinderbuchreihen.“ (Zit. nach Löffler, o.J., S. 20.)

Ein Organ, das sich – wie Heinz Börner anmerkt – für die Belange der Sortimenter stark gemacht hat, soll die Fachzeitschrift „Der Volksbuchhändler“ gewesen sein. Sie wurde ab Dezember 1958 erst monatlich, später zwei Mal monatlich von der Zentrale Leitung des Volksbuchhandels herausgegeben. Über die Gründe, warum die Fachzeitschrift 1965 urplötzlich vom Markt verschwunden ist, mag man spekulieren. Da das Blatt damals bei den Branchenteilnehmern beliebter gewesen sein soll als das Leipziger „Börsenblatt“, kann man unterstellen, dass „Der Volksbuchhändler“ den Interessen der Branche mehr entsprach als das Organ vom Leipziger Börsenverein für den deutschen Buchhandel.

Obwohl der volkswirtschaftliche Schaden beträchtlich war, drangen die kritischen Stimmen oben nicht durch. Zwar wurden gelegentlich Auflagenhöhen korrigiert oder Nachauflagen gedruckt. Das grundsätzliche Problem allerdings, dass der Überproduktion vom politisch genehmen „Schwerpunkttiteln“, die nicht gekauft wurden, ein permanenter Mangel von nachgefragten Büchern gegenüberstand, wurde nie gelöst. Um den Bedarf befriedigen zu können, ging der Buchhandel früh dazu über, marktfähige Bücher in größeren Mengen vorzubestellen als am Point of Sale tatsächlich gebraucht wurden. Anfangs waren davon vorrangig Kinderbücher und Kalender betroffen, später nahezu alles, was man für lesenswert hielt. Damit wurde eine folgenschwere Entwicklung in Gang gesetzt, der man trotz verschiedener Versuche, diese wieder zu stoppen, bis zum Ende der DDR nicht mehr Herr werden sollte.

Ende der 1960er ging LKG dazu über, die marktfähigen Titel, die wissentlich überproportional häufig geordert wurden, nach einem speziellen Verteilerschlüssel an den Buchhandel auszuliefern. 69% erhielt der Volksbuchhandel. 24% gingen an den Buchvertrieb der Nationalen Volksarmee und die verbliebenen 7% an die privaten Buchhandlungen. Schon 1970 lieferte LKG nahezu 25% aller Titel gekürzt aus, im Bereich Belletristik/Kinderbuch waren fast 50% betroffen (Petry 2001, S. 105.) Da die Sortimenter jetzt dazu übergingen, ihre Bestellungen auf Grundlage der zu erwartenden Kürzungen zu kalkulieren, spitzte sich die Lage dramatisch zu. In den 1980ern Jahren wusste man sich schließlich nicht mehr anders zu helfen, als die Bestellungen administrativ zu kürzen. Von den Kürzungen ausgenommen waren: die Testbuchhandlungen der Verlage, der seit 1966 eigenständig geführte Buch- und Zeitschriftenvertrieb der Nationalen Volksarmee, die Bibliotheken, die Bücher, die für den Export bestimmt waren, sowie die Ostberliner Brecht-Buchhandlung in der Chausseestraße, die zu einem Mekka für begehrten Lesestoff wurde. – Fortan war der DDR-Buchmarkt zweigeteilt: in eine kleine, privilegierte Gruppe, die Bücher uneingeschränkt beziehen konnte, und das Gros jener, deren Bestellungen nur selten zufriedenstellend erfüllt wurden.

Die Entwicklungen schlugen sich auch in der „Ordnung für den Literaturvertrieb“ nieder. Hatte die Fassung von 1976 Kunden noch die Möglichkeit eingeräumt, Titel unverbindlich vormerken zu lassen, ließ die buchhändlerische DDR-Verkehrsordnung das ab 1981 nur noch in dem Fall zu, wenn die Buchhandlung sicherstellen konnte, dass die Titel auch geliefert wurden. Dass diese Regelung in der Praxis vielfach unterlaufen wurde, ist zu vermuten.

Aus den Fugen geriet der Buchmarkt vollends als den Verlagen die Handhabe eingeräumt wurde, Teile ihrer Auflagen für die Auslieferung an den Buchhandel bei LKG zu blockieren. Da die Verlage immer reger davon Gebrauch machten, Bücher für den Eigenbedarf oder den Export für sich zu reklamieren, verknappte sich gerade die Menge jener Titel zusehends, die nachgefragt wurden. Einem Bericht der LKG zufolge waren Ende 1987 in den Bereichen Belletristik, Kinder- und Jugendliteratur, Sport-, Freizeit- und Ratgeber 12% des gesamten lieferbaren Bestandes geblockt (Löffler, o.J., S. 21.) Zu Irritationen sowohl bei den Sortimentern wie bei den Kunden kam es häufig dann, wenn die Verlage bei LKG verfügten, die Blockierungen wieder aufzuheben, und plötzlich Titel im Buchhandel auftauchten, die offiziell längst als vergriffen galten.

Das Geschäftsgebaren der Verlage dürfte bei den Sortimentern auf ebenso wenig Verständnis gestoßen sein wie der Tatbestand, dass es insbesondere der Buchvertrieb der NVA als ungekürzter Bezieher gewesen ist, der gängige Waren in hohen Stückzahlen vom Markt abschöpfte und damit dem Volksbuchhandel den Umsatz streitig machte. Einige Beispiele, wie sich das Verhältnis zwischen Buchbestellung und Buchbezug im 1. Quartal 1989 ausnahm, bringt Dietrich Löffler. So waren etwa von Boccaccios „Decamerone“ 20.000 Exemplare gedruckt worden. Vom Volksbuchhandel vorbestellt waren 91.797 Ausgaben. Bei der Zentralen Auslieferung LKG angeliefert wurden 19.885 Bücher, durch den Verlag blockiert waren 10.000. An die circa 710 Volksbuchhandlungen gingen schließlich 5.108 Exemplare, an den Buchvertrieb der NVA mit seinen damals etwa 139 Verkaufsstellen 4.777 Exemplare. (Löffler, o.J., S. 23.)

In ihrer „Geschichte des Volksbuchhandels“ halten Börner/Härtner fest, dass der Volksbuchhandel als gekürzter Bezieher zwischen 1987 und 1989 selbst bei hohen Auflagen oftmals gänzlich leer ausgegangen sei. Diese Erfahrung teilt auch Heike Wenige. In ihrer Wirkungsstätte, der Freiberger „Akademischen Buchhandlung für Montanwissenschaften“, herrschte in den späten 1980er immer dann besonders große Aufregung, wenn die Paletten von LKG eintrafen: Was war dabei? Und Ines Günther, die ab 1982 in der Leipziger Universitätsbuchhandlung gearbeitet hat, erinnert sich: „Natürlich waren Koch-Gartenbücher, Auto-Reiseatlanten, Märchenbücher vom tschechischen Artiaverlag heiß begehrt und viel zu wenig. Wenn ‚Rat für jeden Gartentag‘ oder ‚Deine Gesundheit‘ angekündigt waren, dann wurden eben 500 Exemplare bestellt, um letzten Endes vielleicht 10 zu bekommen. So war es halt …“

Teil 5 „Vom Mangel zum Überfluss. Die Wende und der DDR-Buchhandel“ folgt kommende Woche. Die vorangegangenen Folgen kann man hier nachlesen