Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?
Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute erfahren wir mehr über Josef Felix Müller und seinen Vexer Verlag mit Sitz in St. Gallen und Berlin. Vorgeschlagen hatten das Beatrice Maritz und Andreas Grosz von der edition pudelundpinscher.
Wie kam es zur Gründung?
Die Idee zur Gründung vom Vexer Verlag entstand 1984 in einer Atelierwohnung in Paris. Josef Felix Müller lebte damals zusammen mit seiner Frau Monika und der gemeinsamen Tochter Vera Ida ein Jahr lang in Frankreich. 1985, nach der Rückkehr in die Schweiz entstand die Schriftenreihe Vexer Nummer 1 – 10. Die sehr unterschiedlichen Texte von Künstlern, Kunstvermittlern, Musikern und Laien wurden in Blei gesetzt, im Buchdruckverfahren gedruckt und zusammen mit Freunden von Hand gebunden und fadengeheftet. In der Folge entstanden viele Bücher, Editionen, Videos, musikalische Produktionen, Multiples etc.
Das Profil?
Bei den über 150 publizierten Projekten, die seit 1985 im Vexer Verlag realisiert worden sind, handelt es sich ausschließlich um Kooperationen zwischen Kunstschaffenden und dem Künstler und Verleger Josef Felix Müller.
Der Vexer Verlag hat auch einen Sitz in Berlin …
Als Erweiterung vom Schweizer Hauptsitz in St. Gallen eröffnete Vera Ida Müller, ebenso Künstlerin und Verlegerin, 2014 das Vexer Verlag Büro Berlin. Josef Felix Müller und Vera Ida Müller verstehen ihre verlegerische Tätigkeit als Teil ihrer eigenen künstlerischen Auseinandersetzung, als eine Art des persönlichen Fortschreibens der eigenen Fragestellungen durch den Austausch mit künstlerischen Positionen. Die Motivation liegt darin, inhaltliche Fragen durch ein gemeinsam mit den Künstlern und Künstlerinnen konzipiertes, multiplizierbares Produkt zu erkennen, zu klären, adäquat umzusetzen und zu vermitteln.
Machen Sie alles alleine?
Für die Realisierung der Projekte pflegen wir einen grossen Pool von Mitarbeitenden, ein freischaffendes Team, bestehend aus Grafikerinnen und Grafikern, Lektorinnen, Korrektorinnen, Fotografen, Druckereien, Buchbindereien etc. aus ganz Europa.
Wir sind in den letzten Jahren immer wieder großzügig unterstützt worden durch Stiftungen, Gemeinden, Kantone und durch private Förderung. Unser Netzwerk und die gute Zusammenarbeit mit interessierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern ermöglichen es uns, unsere Projekte international zu vertreiben. – Die effizienteste und schönste Förderung aber ist für unseren Verlag die Stammkundschaft von Sammlerinnen und Sammlern sowie Bibliotheken, die unsere Bücher regelmässig erwerben.
Ihre persönlichen Highlights?
Als Highlights möchte ich Peter Liechti nennen mit den beiden Büchern „Lauftext“ und „Klartext“, das alle Gespräche beinhaltet, die der Filmer kurz vor seinem Tod mit seinen Eltern geführt hat und die dann im Film „Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern“ verwendet wurden.
Ganz neu ist jetzt ein literarisches Portrait erschienen von Fredi Lerch über die Künstlerin Lilly Keller. Die sehr eigenwillige und emanzipierte 86-jährige Künstlerin erzählt darin über ihr frei bestimmtes Leben. Sie war befreundet mit Meret Oppenheim, Jean Tinguely, Daniel Spörri, Sam Franzis usw. Lilly Keller ist eine außergewöhnliche Frau, die noch heute unbeirrt ihre Kreativität auslebt.
Warum musste es unbedingt ein Verlag sein?
Bücher waren für mich schon in jungen Jahren überlebenswichtig. Ich konnte durch das Lesen in fremde Welten eintauchen, den Alltag vergessen und Abenteuer erleben, für die ich im realen Leben viel zu ängstlich war.
Woher beziehen Sie trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten Ihr Engagement?
Die Vorstellung, dass man durch Bücher fremde Menschen an persönlichem Empfinden teilhaben lassen kann finde ich großartig. Wenn mir etwas gefällt, möchte ich es mit möglichst vielen Menschen teilen können.
Was hat sich infolge der Digitalisierung in Ihrer Arbeits-/Vorgehensweise verändert?
Das Büchermachen ist sehr viel einfacher geworden. Die digitale Zeit bringt aber mit sich, dass viele Menschen denken, dass sie keinen materiellen Balast mehr brauchen und dass sie alles zu jeder Zeit vom Netz herunterladen können. Für mich ist aber das Haptische, das Greifbare enorm wichtig. Ohne diese Körperlichkeit kann ich mir das reale Leben nicht vorstellen.
Was machen Sie anders als die anderen? – Wie positionieren Sie sich gegenüber der Konkurrenz?
Ich mache nur das, was mich persönlich berührt und interessiert. Alles muss mit meinem Leben verbunden sein. Somit kann es eigentlich gar keine Konkurrenz geben.
So Sie Ihren Verlag neu aufstellen könnten, was würden Sie heute anders angehen als in der Startphase?
Ich kann immer nur in der Gegenwart reagieren. Ich überdenke meine Aktivitäten immer wieder. Bei mir ist eigentlich jeder Tag ein Neubeginn.
Wie gewinnen Sie Autoren?
Die meisten Künstlerinnen und Künstler sind sehr glücklich, wenn ich sie anfrage für ein Projekt. Ich muss viel mehr Autorinnen und Autoren enttäuschen, die etwas mit mir machen wollen, das ich nicht will.
Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb?
Wir machen alles selber. Ich in St.Gallen und meine Tochter in Berlin. So bleibt mehr Geld im Verlag. Für einen kleinen Verlag sind die professionellen Vertriebsangebote viel zu teuer. Ich muss für jedes Buchprojekt ein neues Publikum finden. Die wichtigsten Kunden kommen aus dem sozialen Umfeld der Künstler. Dann gibt es aber auch immer mehr interessierte Sammler, die das ganze Programm haben wollen. Das sind dann immer Freudentage.
Was tun Sie, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Sortiment?
Für Kunstbücher gibt es immer weniger interessierte Buchhandlungen. Der Markt ist sehr klein und regional beschränkt. Das heißt, dass ich für jedes Buch die geeigneten Partnerbuchhandlungen finden muss. Ich bin nun seit dreißig Jahren als Verleger tätig. Da entstehen richtige Freundschaften und das ist wichtig im Buchhandel.
Wie halten Sie es mit Amazon?
Ich habe noch nie ein Buch bei Amazon gekauft. Die bezahlen keine Steuern und die Mitarbeitenden werden sehr schlecht bezahlt. Dieses Gebaren ist Gift für die Buchkultur.
Was tun Sie für Ihr Marketing?
Für Werbung habe ich kein Geld. Die richtigen Bücher zur richtigen Zeit sind die beste Langzeitwerbung.
Wie halten Sie es mit dem Schweizer Buchhändlerverband?
Ich bin seit zwei Jahren im Schweizer Buchhändler und Verleger Verband SBVV. Berufsverbände sind sehr wichtig, um politisch etwas bewegen zu können. Für Kleinverlage ist aber der Mitgliederbeitrag viel zu hoch.
Für wen machen Sie Bücher: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, wo sehen Sie Ihre spezielle Marktnische?
Ich möchte ganz nahe bei den Künstlerinnen und Künstlern sein, die ein Projekt im Vexer Verlag machen. Ich glaube, als Kleinverlag die so sehnlich gewünschte Intimität und Einzigartigkeit zu bieten, die gute Bücher brauchen.
Wo sehen Sie für Ihren Verlag die größten Chancen?
Die größte Chance ist die Zeit, die vergeht. Ein Verlag wird immer auch an den Leistungen der Vergangenheit gemessen.
Welche besonderen Risiken verorten Sie für Ihren Verlag?
Bestseller sind eine große Gefahr für einen Kleinverlag. Schon viele gute Verlage sind daran gescheitert.
Was schätzen Sie an der Independent-Szene besonders?
Unabhängiges Denken und Handeln sind die Basis von kultureller Arbeit.
Was würden Sie jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?
Klein und fein beginnen und klein und fein halten.
Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfehlen Sie? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?
Ich mag den Mark Pezinger Verlag in Wien und den Mitbegründer Thomas Geiger.
Herzlichen Dank für diesen Einblick.
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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier
Der Vexer Verlag im Netz: