„Entweder es gab das Buch – oder eben nicht.“ – Gespräche mit ehemaligen DDR-Buchhändlern

Meinen hier publizierten Versuch, die Entwicklung des DDR-Buchhandels und dessen Strukturwandel infolge der Privatisierung zu skizzieren, habe ich mit der Bitte verknüpft, dass sich Zeitzeugen mit ihren Erfahrungen einbringen mögen. Nachdem uns Maritta Tanzer, Heike Wenige und Holger Brandstädt einiges haben wissen lassen, teilt nun Simone Zopf ihre Erinnerungen. Sie kam 1981 als Lehrling zum volkseigenen Buchhandel und blieb dem Beruf über 30 Jahre treu. – Zum ersten Teil unseres Gesprächs geht es hier.

Nach der Lehrzeit wurdest du von „Das Gute Buch“ in Halle übernommen. War das dein Wunschbetrieb?

Nein. Am allerliebsten hätte ich schon damals im Antiquariat gearbeitet. Das Antiquariat Halle, unter der Leitung des sehr geschätzten Kollegen Herrn Wolff, war eine (gefühlte) Insel inmitten des real existierenden sozialistischen Buchhandels. Die alten Bücher und der schöne, alte Laden versprachen große Freiheit.

Als junge Buchhändlerin warst du für die Sortimente Fachbuch und Gesellschaftswissenschaften, und damit auch für die Parteiliteratur, zuständig. Waren solche Titel in den späten 1980er überhaupt noch gängig?

Simone Zopf © privat

Simone Zopf © privat

Was heißt gängig? Die waren einfach da. Die Parteiliteratur war für alle verpflichtend, die in der Partei oder parteinah waren. Sie wurde für das sogenannte Parteilehrjahr gebraucht. Auch Studenten mussten für diese Bücher ihr Geld ausgeben. Zum Beispiel: „ Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den X. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Berichterstatter Erich Honecker“. Davon wurden tausende Exemplare verkauft. Aber auch gelesen??

Manches in diesem Segment haben wir unter uns auch umgedichtet. Aus Friedrich Engels „ Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ wurde „Der Affe auf dem Weg zur Arbeit“. Erich Honecker Biografie „ Mein Leben“ hieß unter Buchhändlern auch schon mal „ Aus dem Leben eines Taugenichts“. – So ganz ernst genommen haben wir das alles nicht.

Obschon es immer schwieriger wurde, ideologische Traktate an den Mann und die Frau zu bringen, war Planerfüllung wichtig. Wie seid Ihr verfahren, wenn absehbar war, dass der Umsatz von Parteiliteratur nicht stimmte?

Nichts. Wie auch? Aktiv verkaufen war nicht. Vielleicht im Kundengespräch: „Ach übrigens gibt es jetzt so ´ne neue Broschüre zum Parteitag, tolles Vorwort und gute Argumente“. Nee, das hat niemand gemacht und niemand gewollt. Am Ende war es ja auch egal, ob der Umsatz gestimmt hat, oder nicht. Ging ja trotzdem weiter. Naja, zumindest bis 1989.

Welche Titel waren während deiner Zeit besonders schwer zu beschaffen und welche lagerten wie Blei?

Interessante Fragestellung. Weil: „schwer zu beschaffen“ impliziert ja, dass es möglich war, Titel zu besorgen. Abgesehen von einigen Fachbüchern war aber nichts zu beschaffen. Entweder es gab das Buch – oder eben nicht. Das, was es gab, wollte keiner und das, was die Kunden wirklich wollten, gab es nicht.

Bückware. Gingen in eurem Betrieb auch Bücher unter der Ladentheke weg? Erinnerst du dich noch daran, was besonders begehrt war?

Wo soll ich anfangen, wo aufhören? Immer Mangelware: Autoatlanten (es gab nur zwei: einen großen, einen kleinen), Gartenbücher, Bildbände (Edition Leipzig, Seemann), Belletristik westdeutscher Autoren, kritische ostdeutsche Autoren, Bilderbücher, Lexika, Wörterbücher, Reiseliteratur etc. etc. Es gab in der Buchhandlung einen sogenannten „Giftschrank“, in dem Exemplare der besonderen Art, weil selten und somit tauschbare (!) lagerten. Über diese verfügten die Abteilungsleiter/Buchhandelsleiter.

Wie haben die Kunden reagiert, wenn Wunschlektüre partout nicht lieferbar war?

Fatalistisch. Die Kunden kannten es nicht anders. Bitter, aber wahr. Dafür war die Freude umso größer und wirklich echt, wenn sie dann tatsächlich einmal ein Buch in die Hände bekamen, das sie schon so lange haben wollten. Dafür haben wir Buchhändler auch schon mal gesorgt. Viele Kunden kamen täglich, um nach dem gewünschten Buch nachzufragen. Oft gab es eben nur 1 – 3 Exemplare für die Buchhandlung. Und so war das Buch eben „durch“, d.h. vergriffen, wenn der Kunde dann am nächsten Tag kam. Da wir unsere Kunden gut kannten, haben wir bisweilen (unerlaubt) das Buch auf einen fiktiven Namen ins Abholfach gestellt und es dem Kunden dann gegeben. – Jetzt, wo ich darüber nachdenke, erscheint mir dieses Leben und dieses Arbeiten kaum mehr vorstellbar.

Wie lief das mit den Vorbestellungen?

Im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ gab es die Beilage „Vorankündigungsdienst für den Buchhandel“ (VD). Dieser enthielt die Anzeigen der Erst- und Nachauflagen sechs Wochen vor dem Erscheinungstermin der Titel. Das war praktisch das einzige Arbeitsmittel für Titelneuankündigungen und auch die einzige Informationsquelle für die Kunden. Wir haben ca. 20 Titel ausgewählt und an ein Brett gehangen.

Diese Titel konnten die Kunden dann tatsächlich bestellen. Bestellen hieß hier allerdings auch noch nicht bekommen. Bei reinen Fachbüchern war es vergleichsweise einfacher mit der Bestellung, hier war auch mal eine Nachbestellung möglich.

Zu den wirklich begehrten Büchern wie Autoatlanten, Garten- oder Eisenbahnbüchern gab es, wenn sie denn im VD angezeigt wurden, manchmal eine Vormerkerliste. Das funktionierte dann beispielsweise so: auf die Liste konnten ca. 30 bis 50 Kunden eingetragen werden. Das war noch keine Bestellung mit Anspruch auf Erhalt. Die Kunden wussten das, waren aber froh, schon einmal auf einer Liste zu stehen. Die Buchhandlung konnte die Titel nach Anzeige im VD bei LKG ordern. Die Bestellzahlen allerdings waren utopisch. Es wurden 1000 Exemplare bestellt. Davon wurden vielleicht 60 in die Buchhandlung geliefert. Von diesen kamen 10 in den „Giftschrank“, 20 waren für Kollegen, ebenso viele für die die ersten 20 Kunden auf der Liste und der Rest war für den Freiverkauf im Laden bestimmt, wenn es gut lief.

Dieses absurde Bestellverhalten führte dazu, dass eines schönen und wundersamen Tages von 999 bestellten Kochbüchern doch tatsächlich, warum auch immer, eine große Palette mit circa 600 Exemplaren in der Buchhandlung eintraf. Das Erstaunen und die Freude für uns und die Kunden war groß. So hatten wir doch mal einen Nachmittag und auch noch am folgenden Vormittag ein sehr begehrtes Kochbuch tatsächlich vorrätig.

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Nach dem Abschluss der Polytechnischen Oberschule (POS) absolvierte Simone Zopf (geb. 1965) zwischen 1981 und 1983 ihre buchhändlerische Lehre in Halle/Saale bei „Das Gute Buch“, der größten Volksbuchhandelsfiliale im Bezirk Halle. Nach der Übernahme durch ihren Ausbildungsbetrieb war sie dort für die Sortimente Fachbuch und Gesellschaftswissenschaften zuständig. Umzug nach Erfurt, wo sie ab 1988 im „Antiquariat des Volksbuchhandels“ tätig war. Die Leiterin des Antiquariats, das damals fünf Mitarbeiter hatte, wagte nach der Wende den Schritt in die Selbstständigkeit.

1992 kam Simone Zopf zu „Peterknecht“. Dort war sie 20 Jahre lang beschäftigt; zunächst für das Fachbuch verantwortlich, in späteren Jahren dann für Belletristik und als 1. Sortimenterin. Im Sommer 2012 holte ein junger Berufskollege die erfahrene Buchhändlerin in seine Buchhandlung „Die Eule“ nach Weimar. Nach 30 Berufsjahren brauchte Simone Zopf dann frischen Wind; nach ersten Erfahrungen als Verlagsvertreterin in 2015 möchte sie zukünftig hier anknüpfen.

5 Kommentare zu “„Entweder es gab das Buch – oder eben nicht.“ – Gespräche mit ehemaligen DDR-Buchhändlern

  1. Ich war von 1978 bis 1990 auch an der Buchhändlerschule in Leipzig/ Gohlis. Habe nur gute Erinnerungen an die alte Villa und wäre froh ehemalige Lehrlinge aus der Zeit wieder zu hören, bzw. könnte ich als Buchhändler in Zwickau und Glauchau auch vieles erzählen.

  2. Liebe Gesine, ich muss ihnen jetzt mal ein spontanes (und großes) Lob aussprechen für diese schöne und überaus informative Reihe zum DDR-Buchhandel. Ich lese diese Artikel jedesmal mit großem Vergnügen und Gewinn. lg_jochen

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