Meinen hier publizierten Versuch, die Entwicklung des DDR-Buchhandels und dessen Strukturwandel infolge der Privatisierung zu skizzieren, habe ich mit der Bitte verknüpft, dass sich Zeitzeugen mit ihren Erfahrungen einbringen mögen. Nachdem uns Maritta Tanzer, Heike Wenige und Holger Brandstädt einiges haben wissen lassen, teilt nun Simone Zopf ihre Erinnerungen. Sie kam 1981 als Lehrling zum volkseigenen Buchhandel und blieb dem Beruf über 30 Jahre treu. – Zum vorangegangenen Gespräch geht es hier.
Mauerfall im November 1989, Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion im Juni 1990, deutsche Einheit am 3. Oktober 1990. Wie hast du diese turbulenten Monate erlebt?
Die Ereignisse überschlugen sich. Jeder Tag war Veränderung. Und der Roman ging weiter… Ohne Internet und Telefon erfuhren wir viele Ereignisse und Dinge beim täglichen Busfahren, in der Stadt, im Antiquariat. Es war wie Twitter ohne Internet. Alles musste neu entschieden werden. Krankenkasse, Versicherung, Mietverträge, Geld, Fahrkarten, Postleitzahlen, Schulformen, Arbeitsverhältnisse, Wohnorte … Die Entscheidungen mussten in dieser Zeit sehr rasch gefällt werden, da es insgesamt so viel zu tun gab. Die Umstände bestimmten das Tempo dieser Zeit. Alle waren damit beschäftigt, das sich verändernde Leben zu organisieren.
Der „ Tag der Deutschen Einheit“ am 3. Oktober 1990 war für mich persönlich ganz besonders feierlich. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hatte uns Kollegen und Kolleginnen zu einem Empfang auf der Frankfurter Buchmesse eingeladen. An diesem Tag bin ich Bundesbürgerin und bundesdeutsche Buchhändlerin zugleich geworden. Das war eine sehr schöne Geste vom Börsenverein. Danke!
Welche Hoffnungen hattest du für dein Land? Welches waren deine größten Sorgen?
Die Hoffnung war, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, was zu mir passt. Diese Hoffnung war größer als alle Sorgen.
Gibt es etwas, was du aus der DDR gerne in die BRD „rübergerettet“ hättest?
Über diese Frage habe ich lange und intensiv nachgedacht. Und die Antwort ist: nichts.
Im März 1990 wurde die Treuhandanstalt gegründet, deren Aufgabe es war, die volkseigenen Betriebe zu privatisieren. Im Zuge dessen wurde der Volksbuchhandel abgewickelt, die Buchbetriebe in den damals noch existierenden 15 Bezirken in Gesellschaften umgewandelt. Für euch war damals die „Thüringer Buchhandelsgesellschaft“ mit Sitz in Erfurt zuständig. Wie hast du die erste Phase der Privatisierung in deinem Betrieb erlebt?
Die Leiter der Buchhandlungen und Antiquariate konnten sich bei der Treuhand um den Kauf der Läden bewerben und haben diese in der Regel auch bekommen. Auch das Antiquariat Erfurt wurde so privatisiert. Wir haben weiterhin sehr gut zusammengearbeitet und von Tag zu Tag gemeinschaftlich das laufende Geschäft entschieden. Aus dem Bauch heraus. Wir hatten keine Ahnung. Und haben es trotzdem gemacht. Schließlich blieb uns ja nichts anders übrig.
Wie hast du auf die Entscheidung deiner damaligen Chefin reagiert, das Antiquariat 1991 in die Eigenständigkeit zu führen?
Das war grundsätzlich die richtige Entscheidung. Einige Investoren bzw. Investoren-Darsteller standen ja auch schon bereit … Uns wurde allerdings auch schnell klar, dass der Laden mit fünf Mitarbeitern so nicht zu halten war. Drei Kollegen, darunter auch ich, suchten und fanden neue Jobs in Erfurt. Das war ganz entspannt und freundschaftlich. Wir sind noch heute alle befreundet.
Nach der Wende war der Hunger nach Lesestoff groß, der zu DDR-Zeiten verboten oder nur schwer zugänglich war. Die Geschäfte im Buchhandel florierten. Kannst du dich erinnern, was damals bei euch besonders stark nachgefragt wurde?
Alles, außer DDR-Literatur. Trotz der Unsicherheit der Zeit wurde noch viel Geld für Bücher ausgegeben. Einerseits haben wir im Antiquariat verstärkt Grafik verkauft und 1991 einen Laden speziell dafür (selbst) umgebaut. In diesen Jahren waren viele kaufkräftige und kaufwillige (West)-Deutsche in Thüringen unterwegs. Andererseits war zu bemerken, dass sich die Menschen der ehemaligen DDR von den in vielen Jahren gesammelten Schätzchen trennen mussten, um Startkapital für das neue private oder berufliche Leben zu haben.
Die Umstellung auf neue Wirtschafts- und Sozialstrukturen war sicherlich kein Zuckerschlecken. Was bereitete dir besonderes Kopfzerbrechen?
Ich musste und wollte mich neu orientieren. Die Wende habe ich als Chance verstanden und tue dies noch heute.
Hilfestellungen für Sortimenter kamen vom Börsenverein, den Barsortimenten und Verlagsauslieferungen. Konntest du davon profitieren? Wie waren deine Erfahrungen?
Für Dezember 1990 hatte ich mir in der Bibliothek in Aachen ein Praktikum organisiert, um zu sehen, ob mir die Arbeit in der Bibliothek gefallen könnte. Das war nicht der Fall. Als ich 1991 noch im Antiquariat arbeitete, hatte ich die Gelegenheit, an einem „Schnellkurs Westdeutscher Buchhandel“ teilzunehmen, den die Verlagsauslieferung KNO organisiert hat. Danke KNV! Danke Herr Voerster! Blieben mir noch die vielen guten Lehrbücher des westdeutschen Buchhandels, die jetzt auch für uns verfügbar waren. Daraus habe ich in kurzer Zeit sehr viel gelernt.
1992 wechseltest du zur Buchhandlung Peterknecht; ein traditionsreiches Haus, 1805 gegründet, seit 1935 im Besitz der Familie Peterknecht …
Das war eine sehr gute Zeit, da es endlich darum ging, Buchhändler zu sein und nicht mehr nur Buchverwalter. 1992 hatten sich die Verhältnisse und Strukturen schon etwas gefestigt in diesem neuen Land. Und doch fühlte sich noch alles neu an, vieles war möglich und noch so manches in Bewegung. Es waren schöne, spannende und aufregende Zeiten mit viel Gestaltungspotential.
Welche Standards, die der volkseigene Buchhandel gesetzt hat, würden deines Erachtens dem Buchhandel heute gut tun?
Hier bleibt mir als einzig Gutes: die fachlich-theoretische Ausbildung. Alle anderen Standards waren politische Korsetts, Nichtbuchhändlersein, Nichtservice, Mangelverwaltung, BWL-Vodoo. Zum Glück ist das überwunden und wer wünscht sich die DDR-Buchhandelszeiten zurück? – Ich auf keinen Fall.
Würdest du vom Literaturbetrieb, so wie du ihn in der DDR kennengelernt hast, etwas auf den hiesigen Betrieb übertragen wollen?
Ich könnte jetzt ganz einfach sagen: In der DDR gab es nicht so viele Bücher und das war gut so, weil das einzelne Buch noch mehr wertgeschätzt wurde. Erwuchs die Besonderheit des Buches aber nicht aus dem Fehlen und Mangel? Ich denke schon. Deshalb: Nein! Lieber ein paar Bücher zu viel, als nur eins zu wenig.
Warum hast du nach 30 Jahren dem Beruf des Buchhändlers den Rücken gekehrt?
Zeiten ändern sich. Ich habe als Buchhändlerin in 30 Jahren viel erlebt, gesehen und gearbeitet. Zeit weiterzugehen. Und Buchhändlerin bleibe ich in meinem Herzen immer.
Simone, herzlichen Dank. Wir bleiben im Gespräch!
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Nach dem Abschluss der Polytechnischen Oberschule (POS) absolvierte Simone Zopf (geb. 1965) zwischen 1981 und 1983 ihre buchhändlerische Lehre in Halle/Saale bei „Das Gute Buch“, der größten Volksbuchhandelsfiliale im Bezirk Halle. Nach der Übernahme durch ihren Ausbildungsbetrieb war sie dort für die Sortimente Fachbuch und Gesellschaftswissenschaften zuständig. Umzug nach Erfurt, wo sie ab 1988 im „Antiquariat des Volksbuchhandels“ tätig war. Die Leiterin des Antiquariats, das damals fünf Mitarbeiter hatte, wagte nach der Wende den Schritt in die Selbstständigkeit.
1992 kam Simone Zopf zu „Peterknecht“. Dort war sie 20 Jahre lang beschäftigt; zunächst für das Fachbuch verantwortlich, in späteren Jahren dann für Belletristik und als 1. Sortimenterin. Im Sommer 2012 holte ein junger Berufskollege die erfahrene Buchhändlerin in seine Buchhandlung „Die Eule“ nach Weimar. Nach 30 Berufsjahren brauchte Simone Zopf dann frischen Wind; nach ersten Erfahrungen als Verlagsvertreterin in 2015 möchte sie zukünftig hier anknüpfen.
Zum ersten Teil des Gespräches geht es hier