Unbehagen mit der „Charta der Digitalen Grundrechte der EU“

Nachdem Justizminister Heiko Maas im Sommer 2015 Facebook und anderen Betreibern großer Internetportale und Plattformen die Selbstverpflichtung abgenommen hatte, verstärkt gegen rassistische, fremdenfeindliche und gewaltverherrlichende Botschaften vorzugehen, stellte Martin Schulz, Noch-Präsident des Europäischen Parlaments, eine EU-„Charta der digitalen Grundrechte“ in Aussicht. Ende November 2016 kamen Gerüchte auf, dass Schulz das ambitionierte Papier in petto hätte. Quasi als flankierende Maßnahme für seine Rückkehr in die deutsche Politik …

die Anzeige in der "Zeit"

die Anzeige in der „Zeit“

Eine Ente, fragte ich mich? Sollte es möglich geworden sein, dass sich 28 völlig zerstrittene EU-Mitgliedsstaaten binnen eines Jahres auf eine digitale Grundrechte-Charta geeinigt haben? Am 30. November ließen Insider wissen, dass ihnen der Text vorläge. Am 1. Dezember wurde die Charta publik gemacht, zudem ihre Entstehungsgeschichte. Einst hatten Gespräche zwischen dem SPD-Politiker Martin Schulz, dem Chefredakteur der „Zeit“ Giovanni di Lorenzo und dem mittlerweile verstorbenen Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Frank Schirrmacher, zum Thema stattgefunden. Zur Leitfrage ließ die „Zeit“ wissen: „Wie lässt sich die Souveränität und Freiheit des Einzelnen in der digitalen Welt schützen – gegen die Totalüberwachung des Staates, aber ebenso auch gegen den Zugriff mächtiger Konzerne.“ Ziel der Initiative sei es, „eine Debatte über digitale Grundrechte anzuregen, an der sich alle Bürger Europas beteiligen sollen.“

Die „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union“ besteht aus einer Präambel und 23 Artikeln, die 27 Initiatoren aus Deutschland binnen 14 Monaten erarbeitet haben. Seit Erscheinen wird sie in Insiderkreisen auf Herz und Niere geprüft – und differenziert kritisiert. Ich erlaube mir, an dieser Stelle mein eher allgemein gehaltenes Unbehagen damit zu formulieren.

Die Art der Präsentation erweckt für mich den Anschein, als wäre der Text in Stein gemeißelt. Das evoziert auch der Titel, der vorgibt, die EU würde hinter dem Papier stehen. Mit Jan Philipp Albrecht und Martin Schulz zeichnen aber lediglich zwei Mitglieder des Europäischen Parlaments für die Charta verantwortlich. Fakt ist außerdem, dass die EU bei Veröffentlichung noch keine Kenntnis von dem Papier hatte und erst im Nachhinein in die Debatte eingebunden werden soll. Nicht zuletzt könnte man auch das – gut und gerne – Chuzpe nennen, wenn 27 deutsche Verfasser meinen, im Namen von über 510 Millionen EU-Bürger sprechen zu können.

Indem der Anschein erweckt wurde, das Papier sei in der EU bereits (aus)diskutiert worden, hat man sich keinen Gefallen getan. Auch nicht damit, dass sich Experten in einen Elfenbeinturm zurückgezogen haben, um unter Ausschluss der Öffentlichkeit monatelang an digitalen Grundrechten für die Mitgliedsstaaten der EU zu feilen. Das Anliegen, eine breite öffentliche Debatte über die Gestaltung der digitalen Zukunft lostreten zu wollen, wird so konterkariert. Manchen dürfte der großspurige Auftritt verprellen, wenn nicht sogar abschrecken, sich in die Diskussionen einzubringen. So holt man die breite Masse, die man vorgibt, einbinden zu wollen, bestimmt nicht ab.

Warum nicht etwas kleiner? Weniger pathetisch? Statt „Präambel“ „Einleitung“, statt „Artikel 1“ „Punkt 1“ und so fort. Nicht ganz glücklich war auch der Zeitpunkt, zu dem man die Katze aus dem Sack gelassen hat. Seit dem Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen hören wir ohne Unterlass, welche Gefahren aus dem Netz für die Demokratie und „unsere Werte“ drohen und dass die Notwendigkeit bestünde, das Internet zu regulieren, gegen „Hate-Speech“, Bots und Trolle vorzugehen und die Betreiber großer Plattformen in die Pflicht zu nehmen. Mancher, der mit der Materie nicht ganz so vertraut ist, könnte die Digitalcharta als einen Schritt eben hin zur Regulierung missverstehen.

Wünschenswerter wäre gewesen, die internen Debatten, Dispute und Querelen, das gemeinsame Ringen um eine Präambel und 23 Artikel, öffentlich zu machen, statt die Charta deus ex machina zu präsentieren. Statt ganzseitige Anzeigen ohne Hintergrundinformationen über Ziel und Zweck der Initiative zu platzieren, wäre es angebrachter gewesen, Berichte über das Vorhaben zu lancieren, die das Bewusstsein dafür hätten schüren können, wie notwendig eine solche gesellschaftliche Debatte zur Gestaltung der digitalen Welt überhaupt ist.

Natürlich ist es unstrittig, dass wir uns darum kümmern müssen. Das Verständnis für die anstehenden Probleme wird aber nicht dadurch befördert, indem ein Papier beworben wird, das wie gemeißelt daherkommt. Da nützt es leider auch wenig, wenn Sascha Lobo, einer der Initiatoren, im Nachklapp nun von einer Beta-Version 0.8 spricht, „die im Netz reifen soll, bis sie überhaupt jemals zur Version 1.0 werden kann. – So wird das leider nix. Jedenfalls nichts mit einer wünschenswerten Beteiligung vieler EU-Bürger.

 

„Ich schreibe meinen Autoren nichts vor, vor allem nicht, was oder wie sie zu schreiben haben.“ Ein Gespräch mit Lea Korte über Schreibschulen und Autoren-Coaching

Lea Korte veröffentlicht bei Droemer Knaur historische Romane, Liebesromane beim Aufbau Verlag und unter Pseudonym liegen bei Heyne und Bastei Lübbe Sachbücher und Liebesromane von ihr vor. Seit 2011 bietet die rührige Autorin, die seit Jahrzehnten im Süden lebt, zudem Online-Autorenkurse und ein Manuskriptcoaching an. Beides nahm Gabriele Schmid wahr, mit der ich Gespräche über ihren Weg als Autorin und Eigenverlegerin geführt habe. Darüber kam ich mit Lea Korte in Kontakt, die sich freundlicherweise bereit erklärte, mir im Zusammenhang mit Schreibschulen einige Fragen zu beantworten. – Ich sage Lea Korte herzlich danke, dass sie sich die Zeit genommen hat.

Dem Literaturinstitut in Leipzig und dem Studiengang Kreatives Schreiben in Hildesheim eilt der Ruf voraus, Türöffner für Verlage und den Literaturbetrieb zu sein. Werden Autoren ernster genommen, die spezielle Schulungen durchlaufen haben?

Ja, ich denke schon, dass dies der Fall ist. Wann immer ich mit Agenten oder Lektoren über die Autoren meiner Kurse und deren Werke rede, sehe ich ja auch, auf welch großes Interesse ich stoße. Der Agent oder der Verlagslektor weiß, dass die Projekte, die im Rahmen des Kurses entwickelt wurden, handwerklich einwandfrei und optimiert sind. In der Tat haben ja auch schon einige „meiner“ Autoren den Weg in Publikumsverlage geschafft beziehungsweise einen Agenturvertrag unterschreiben können.

Anfang des Jahres sorgte ein ZEIT-Kommentar von Florian Kessler für Aufregung, in dem auch die Literaturinstitute in Hildesheim und Leipzig ihr Fett abbekamen. Wie sehen Sie das: Besteht die Gefahr, dass Schreibschulen uniforme Literatur produzieren?

Lea Korte © Lea Korte

Lea Korte © Lea Korte

Nein, diese Gefahr sehe ich nicht – und in meinem Kurs schon gar nicht. Ich schreibe meinen Autoren nichts vor, vor allem nicht, was oder wie sie zu schreiben haben. Das Autorenhandwerk, das ich im Kurs vermittele, ist einfach das Rüstzeug, das jeder Autor braucht, wenn er vorankommen will – und das bedeutet nicht, dass man ab da „nach „Regeln schreibt“. In der Tat habe ich derzeit sogar in jedem Kurs einige äußerst „regelwidrige“ Romane, denen ich aber größte Chancen auf dem Buchmarkt einräume, gerade weil sie anders, weil sie originell, weil sie etwas ganz Besonderes sind. Ich helfe Autoren, das Optimum aus IHRER Romanidee zu machen und stelle vor allem Fragen, durch die der Autor selbst den richtigen Weg finden kann, und zwar einen, der dann auch zu ihm passt.

Reicht ein solides literarisches Handwerk tatsächlich aus, um als Autor unter heutigen Bedingungen zu reüssieren?

Nicht allein, denn mindestens ebenso wichtig ist die Romanidee, die Figuren… Beides muss Hand in Hand gehen, und deswegen arbeiten ich im Kurs ja auch auf mehreren Ebenen.

Das „wie erzähle ich?“ mag man lernen können. Aber doch nicht das „was erzähle ich?“. Oder?

Doch, auch das. Ideenfindung gehört zur Arbeit im Kurs. Nicht alle Autoren kommen schon mit einer Romanidee; die, die noch keine haben, finden sie im Kurs. Auch hierfür gibt es durchaus Techniken.

Sie haben selber Schreibkurse belegt; meines Wissens sogar bereits in Ihrer Schulzeit. Wie waren Ihre Erfahrungen?

Ich habe schon in der Schule – was damals sicher der Zeit voraus war – Kurse in „creative writing“ besuchen können, auch später jede Schulungsmöglichkeit wahrgenommen, den ständigen Austausch mit guten Kollegen gesucht und viele, viele Romane analysiert, um zu sehen: Was geht, was nicht? Was zieht den Leser weiter, was wirft ihn raus? Wie baut welcher Autor die Figuren, die Spannung auf? Etc. Und ich habe bei alledem immens viel gelernt – und gebe dieses Wissen heute weiter.

Was hat Sie bewogen, Kurse für Autoren anzubieten?

Je bekannter ich geworden bin, desto öfter habe ich Mails von Autoren mit der Bitte bekommen, mir ihre Texte doch mal „kurz“ anzusehen und eine Einschätzung bzw. „ein paar Tipps“ zu geben. Damit aber ist es in 99% der Fälle nicht getan. Da fehlt Handwerk, die Figurenentwicklung ist nicht hinreichend durchdacht, die Spannungskurve flacht schon nach wenigen Seiten wieder ab, etc. Das alles aber kann man nicht „in drei Worten“ vermitteln. Und da ich, wenn, dann richtig helfen wollte, habe ich diesen Kurs entwickelt.

Sollte man ein gewisses Rüstzeug mitbringen, wenn man sich bei Ihnen fortbilden will?

entführt in phantastische Welten... © Lea Korte

entführt in phantastische Welten… © Lea Korte

Wichtig ist die Liebe zum Schreiben, Ausdauer und Kritikfähigkeit. Wer diese drei Dinge mitbringt, der hat in der Regel alles, was man braucht, um sich weiterentwickeln zu können. Ich sehe ja immer wieder, wie sehr sich die Projekte und Romanszenen der Autoren allein schon in nur drei Monaten weiterentwickeln!

Wie schätzen Sie die Entwicklung ein, dass mit dem Aufkommen des Selfpublishings auch Schreibschulen wie Pilze aus dem Boden wachsen?

Das Problem ist – wie immer -, dass der Autor am Ende vor der Schwierigkeit steht, den richtigen Mentor/Lehrer zu finden. Es gibt sehr gute Mentoren, Coacher, Schreiblehrer, etc. – aber es gibt auch weniger gute, die ihr Handwerk selbst nicht verstehen. Hier die Spreu vom Weizen zu trennen ist für einen Autor, der ja zunächst nur einen Blick von außen auf das werfen kann, was da angeboten wird, sicher nicht einfach.

Worauf sollte man bei der Wahl einer Schreibschule besonders Acht geben?

Die Chemie zwischen dem Autor und seinem Mentor muss stimmen. Die Kursdauer sollte nicht zu kurz angelegt sein, denn Roman und Autor brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Es sollte nicht nur um das Handwerkszeug, das Schreiben an sich gehen, sondern man sollte auch Hilfe bei der Roman- und Figurenentwicklung, dem Plot, dem Exposé, der Leseprobe bekommen. Man sollte einen Probemonat machen können. Wichtig wäre mir als Autor auch der Austausch mit anderen Autoren. Wie ich dies zum Beispiel in meinem (nur für Kursteilnehmer offenstehenden) Autorenforum anbiete und das in sehr großem Umfang genutzt wird.

Sie sind eine eingeführte Autorin, die inzwischen sogar vom Schreiben leben kann. Was raten Sie dem Nachwuchs?

Wichtig ist, so langweilig sich das jetzt auch anhören mag, Disziplin, Ausdauer und Geduld. Ein Roman schreibt sich nicht „in drei Minuten“, der braucht Zeit – auch Zeit zum Atmen, sprich Zeit, in der man ihn mal liegenlässt, damit der Blick für ihn wieder frei wird, man Abstand zu seinem Werk bekommt. Und der andere wichtige Tipp hängt damit direkt zusammen: Ein gutes Buch ist das Ergebnis von vielen, vielen Überarbeitungsschritten. Nur die allerwenigsten Autoren können einen guten Text aus dem Ärmel schütteln. Der „normale“ Autor, und das sind sicher die meisten, braucht dafür viele Überarbeitungsschritte. Ein guter Roman wird seinen Weg gehen, aber bis er gut ist, muss man viel Zeit und Energie reinstecken. Und das Wissen, wie man beim Überarbeiten vorgeht, kann dabei nur nützlich sein.

Jost Renner dreht eine Extrarunde: Sind bibliophile Blogger Nostalgiker?

Bisweilen treiben Menschen Fragen um, deren Sinnhaftigkeit sich nicht unbedingt auf Anhieb erschließt. So etwa die, ob bibliophile Blogger Nostalgiker sind, die LiteraturFutur im Vorfeld der Hildesheimer Zusammenkunft am 24./25. Mai in einem Gespräch mit mir aufgeworfen hat.

Seitdem ich die Frage an Bloggerinnen und Blogger weitergereicht habe, zieht sie im Netz ihre Kreise. So steuerte etwa Stefan Mesch einen Essay bei und den Krimi-Depeschen war sie sogar eine Extra-Nostalgie-Ausgabe wert. – Für eine Stellungnahme konnte ich nun auch den Blogger Jost Renner aka @Amfortas gewinnen, dem ich einen gewissen Hang zur Nostalgie unterstelle. Nicht allein, weil er Bücher stapelt und der alten Rechtschreibung anhängt. Nein, vornehmlich deshalb, weil er Lyrik schreibt!

BTW: Jost debütierte im Februar 2013 mit einem Gedichtband „LiebesEnden“, weshalb er hier schon einmal Rede und Antwort stand.

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Beginnen will ich meinen Beitrag also mit einer kurzen Begriffsklärung : „Heute versteht man unter Nostalgie im Deutschen eine wehmütige Hinwendung zu vergangenen Zeiten, die in der Erinnerung oftmals stark idealisiert und verklärt reflektiert werden.“ So sagt das das online-Referenzmedium „Wikipedia“. Und mit dieser Definition läßt sich trefflich gegen die unterschwellige Aussage der Frage argumentieren.

In Deutschland speziell, aber auch weltweit sind Bücher aus Papier weiterhin vorhanden und in der Außenwahrnehmung – durch das Feuilleton, Buchhandlungen, Blogs und vor allem Buchhandlungen – nicht nur vorhanden und sichtbar, sondern dominant. Nostalgisch zu sein bedeutete allerdings, sie wären es nicht mehr, und ich (als Leser, ehemaliger Rezensent und Lyriker) hätte gerade noch alle mir erreichbaren Bände gehortet und trauerte einer aktuell nicht mehr vorhandenen Kulturerscheinung nach. Dies hätten die Verfechter des ebooks vielleicht gerne, aber dem ist faktisch nicht so. Und ich bin mir gewiß, daß dies geraume Zeit genau so bleiben wird, ich also den weitgehenden und flächendeckenden Ersatz des Papierbuchs durch das ebook allenfalls in hohem Greisenalter erleben oder eben nach meinem Tode nicht mehr erleben werde. Das hat Gründe.

so lebt ein Bibliomane © GvP

so lebt ein Bibliomane © GvP

Wenn ich also kein Nostalgiker bin, was bin ich dann (die Frage, wer ich denn sei, bedürfte vermutlich eines viele hundert Seiten umfassenden biographischen Werkes)? Zunächst einmal bin ich ein mit Büchern sozialisierter Mensch. In meinem zum Teil akademisch geprägten Elternhaus existierten zwei recht unterschiedliche Bibliotheken, die meine Eltern zusammengetragen und nach ihrem Geschmack zusammengestellt hatten, dann eine sich je nach Lesefähigkeiten sich stetig erweiternde Kinderbibliothek, die mit Elementarbilderbüchern und den damals sehr präsenten Pixibüchern begann, dann einige Märchenbände und – vermeintlich jugendgerecht redigierte, also gekürzte – Fassungen von Klassikern der Jugendliteratur. Zuletzt gesellten sich einige Bände dazu, die sich aufklärerisch mit Jugendproblemen wie Drogen, Ladendiebstahl oder Gewalt auseinandersetzten. Der Übergang zur Literatur fand durch das Durchstöbern der elterlichen Regale und einer recht gut sortierten Schulbibliothek statt. Seit etwa dem sechzehnten Lebensjahr sammele ich Bücher, deren Gesamtzahl nun bei weit über 10.000 Bänden liegt. Somit ist fraglich, ob ich mich noch als bibliophil oder nicht doch eher als biblioman bezeichnen müßte. Eins aber bin ich in Anteilen gewiß : konservativ und elitär.

Es gibt ebooks, und ich habe das sogar zur Kenntnis genommen. Sie sind für mich allerdings praktisch kaum relevant. Das hat mehrere Gründe: 1. ich bin mit Büchern aus Pappe / Papier bzw. Leinen / Papier groß geworden und bevorzuge weiterhin das haptische, olfaktorische Element dieser Form und mag zudem durchaus die Atmosphäre eines mit Büchern möblierten Raumes. 2. Meine Bücher sind mein Eigentum, mit dem ich tun und lassen kann, was mir beliebt – verleihen, verkaufen, z.B. 3. der mich interessierende Teil des Buchmarktes ist im Bereich ebook für mich weder attraktiv, noch relevant, noch überhaupt flächendeckend vorhanden. Ich sagte bereits zuvor, ich sehe mich als zum Teil eher elitär. Somit bewege ich mich vor allem im Bereich der anspruchsvollen Literatur mit Ausweitungen in den literarischen „Mainstream“, der aber dann doch qualitativ meist über Chicklit, „Fifty Shades of Grey“ oder Dan Brown liegt und die Bestsellerlisten diverser Wochenmagazine selten nur ansatzweise berührt. Dort oder im Ratgeberbereich, bei Lexika, Enzyklopädien liegt aber der relevante Teil des ebook-Marktes.

Schau ich mir dagegen mein Interessengebiet an, ergibt sich ein für mich unattraktives Bild : nicht alle Verlage veröffentlichen ihre Bücher als ebooks, die Preise erscheinen mir überteuert, umso mehr als ich kein Eigentum erwerbe, sondern allenfalls eine Lizenz. Amazon und auch google entblöden sich nicht, vermeintlich illegale Kopien eines ebooks auch mal zu löschen, der Weiterverkauf oder auch nur der Transfer auf andere Geräte erweisen sich als schwierig bis unmöglich, es gibt Formatprobleme wie auch Shopgrenzen, selbst bei Amazon, zuletzt ist das Hantieren mit DRM und der notwendigen Adobe-Software zur Verifizierung der Rechte umständlich bis arg kompliziert, sodaß Normalnutzer mit wenig Computerkenntnissen recht schnell an ihre Grenzen geraten, sodaß wohl amazon einen großen Teil des ebook-Kuchens für sich sichern wird können. Der stationäre Buchhandel zudem, und aus diesem komme ich ursprünglich, bleibt weitgehend außen vor. Ich erinnere mich, daß eine Sortimenterin an einem ebook-link beinahe verzweifelte, weil die Kundin diesen nach Kauf nicht öffnen konnte und sich die Ursachenforschung und Problembehebung mit dem Anbieter zeitlich aufwendig und somit unbefriedigend gestaltete.

Bücherstapler Jost Renner © GvP

Bücherstapler Jost Renner © GvP

Ich sehe für mich weitere Probleme : Um meine Präsenzbibliothek adäquat abspeichern zu können, benötigte ich mindestens 5 – 10 Geräte, alle durchaus anfällig für Verschleiß oder andere Beschädigungen und mehrere Clouds, die, da im Internet eingerichtet und weiterhin dem Zugriff durch die Anbieter ausgesetzt, nicht wirklich sicher sein können (und sollen). Grundsätzlich stellt sich zudem die generelle Frage der Auslagerung von Kultur und Wissen auf digitale Datenträger und Geräte, da auch hier großflächige Zerstörungen nicht auszuschließen sind, erst recht aber nicht der Konkurs eines Anbieters. Hier mögen zwar die Daten zu retten sein, aber was, wenn etwa Kindles nicht nachproduziert würden und somit defekte Geräte nicht ersetzbar wären?

Ebooks gehören mittlerweile zur Kultur, und somit relativiert sich mein Konservatismus ein wenig. Aber auch McDonalds fällt unter den Kulturbegriff, ohne daß ich das sonderlich zu schätzen wüßte. Im Bereich der anspruchsvollen Literatur sind ebooks in meinen Augen derzeit allenfalls Begleitpublikationsformen, die – um nicht den Hardcoverbereich der Verlage zu kannibalisieren – preislich unattraktiv gestaltet sind, sodaß sie, wenn denn überhaupt vorhanden, kaum attraktiv sind. Derzeit ist genau dort auch kein Anzeichen festzustellen, es würde in absehbarer Zeit eine Revolution geben, etwa daß ein Konzern sagt, er gründe ein Imprint und veröffentliche literarisch wertvolle Werke ausschließlich als ebook. Denn dieses Risiko wird man nicht eingehen, da einerseits der Geruch des Zweit- oder Drittklassigen unvermeidbar wäre (wie Originalveröffentlichungen von Filmen auf DVD hinlänglich beweisen), andererseits das Buch in seiner Ausgestaltung als Druckwerk weiterhin viel zu präsent ist. Selbst für „Fifty Shades of Grey“, das ja wohl ursprünglich aus dem ebook-Bereich kam, war es notwendig (und sinnvoll), es als Printversion zu vermarkten. Somit ist das ebook im feuilletonistischen Diskurs über Literatur – zu Recht – derzeit nicht präsent, in der selbstreferenziellen Diskussion über den Buchmarkt dafür überdimensional.

Eine Änderung über Jahrzehnte hinweg wird es geben. Das ebook wird Lexika, Sach- und Fachbücher, Ratgeber und massentaugliche Unterhaltungsliteratur, sowie die Schmuddelecke und natürlich den Self-Publishing-Markt nach und nach vollständig erobern, immer begleitet vom pseudo-euphorischen Geschrei einer Branche, die tapfer im Nebel stochert und nostalgisch an eine Zeit zurückdenkt, in der das Wünschen noch geholfen hatte. Die Self-Publisher werden zusammengenommen vom großen Kuchen der Buchverkäufe etwas abzwacken und Kaufkraft für Besseres, Anspruchsvolleres binden. Wirklich erfolgreich und eben auch sichtbar in einem Riesenstrom der Unzulänglichkeiten werden sie erst dann sein können, wenn es Gatekeeper geben wird, neue Formen des Verlagswesens, die nach Qualität sieben und glaubwürdig empfehlen können. Dennoch werden ebooks und Self-Publishing schon jetzt die Branche, das sind Verlage wie Buchhandlungen, nachhaltig beeinflussen und Umwälzungen erzwingen, allerdings vermutlich weitgehend negative. Die Idee, daß Bücher erstmal Kultur und in erst in zweiter Linie Ware sind, ist derzeit allenfalls ein Lippenbekenntnis oder das kaum gehörte Credo sehr engagierter kleiner und unabhängiger Buchhandlungen und Verlage, während die großen Player mit sich vergrößernder Titelschwemme auf der Suche nach viel Umsatz den Kulturbegriff erfolgreich unterminieren.

Die Beteiligten haben Glück, daß es konservative, wertbewußte Leser gibt, die Halbjahr für Halbjahr nach Wertvollem, Lesenswertem stöbern. Aber man man macht es ihnen zunehmend schwerer.

Sind bibliophile Blogger Nostalgiker?

Am 24./25. Mai findet LiteraturFutur in Hildesheim statt – und auch ich bin dabei. Konzipiert wurde das Format von Studenten der dortigen Universität, die sich mit Kreativem Schreiben, Kulturjournalismus und Kulturwissenschaften beschäftigen. Diskutiert wird über die Zukunft der Literatur und neue Formen der Literaturvermittlung unter digitalen Bedingungen. Gemeinsam mit eingeladenen Autorinnen und Autoren, Literaturvermittlern, Experten aus Verlagen und Agenturen wollen sie während der Veranstaltung versuchen, einige vorläufige Antworten zu finden.

© Litfutur Hildesheim 24./25 Mai 2013

© Litfutur Hildesheim 24./25 Mai 2013

Im Vorfeld der Hildesheimer Zusammenkunft führte Lew Weisz ein Interview mit mir – ein Schnipsel aus meiner langen Rede findet sich hier.

Unter anderem wollte die sympathische Studentin von mir wissen, ob bibliophile Blogger Nostalgiker sind. Da ich das selber gerne wissen möchte, habe ich nicht lange gefackelt und jene um ein Statement dazu gebeten, die bei der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“ dabei sind.

Danke, dass Ihr mir mit Euren Antworten auf eine wahrlich elementare Frage einmal wieder auf die Sprünge geholfen habt! Eure Darlegungen sind so vielfältig wie die ‚bibliophile‘ Szene im Netz, was genau genommen nicht wirklich überrascht. Im Vorfeld von LiteraturFutur stelle ich sie (nebst den teilweise kritischen Anmerkungen zu der Frage selbst) hier in Fortsetzungen vor:

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Ich meine, die Frage ergibt keinen Sinn. Sind bibliophile Blogger Atheisten? (Ich kenne welche.) Sind veganische Blogger bibliophil? (Ich kenne welche.) Sind katholische Priester Blogger? (Es wird welche geben, ich kenne keine.) Nur katholische Priester, die bibliophil sind, möchte ich mir nicht vorstellen … sandhofer, der mit gemeinsam mit Herrn scheichsbeutel litteratur.ch betreut

Wie immer bei solchen Fragen lässt sich das nicht generalisieren. Es sind schließlich sehr viele bibliophile Blogger ganz vorne mit dabei, wenn es um Diskussionen zum E-Book geht, um die Veränderung der Verlagslandschaft, Self-Publishing (und die Vorzüge davon) und so weiter. Das scheint mir wenig nostalgisch, eher realistisch-pragmatisch und vorwärts gewandt. Und schließlich sind es Blogger – als richtige Nostalgiker würden sie wohl Leserbriefe schreiben oder sich allein in einer Literatur-Diskussions-Runde jeden Montag bei Kerzenschein treffen, um über Bücher zu reden.

Was mich persönlich betrifft: ich bin in Bezug auf bestimmte Bücher schon etwas nostalgisch. Das ist so wie die frühen Erinnerungen an den Geschmack von bestimmten Süßigkeiten – so gab es auch gewisse Bücher, Bilderbücher o.ä., die eine unwiederbringliche zauberhafte Stimmung mit sich brachten. Zum Teil bin ich immer noch auf der Suche nach diesen Büchern – und zugleich will man sie ja gar nicht wiederfinden, weil es zweifellos eine Enttäuschung sein würde, die Bilder wieder zu sehen, die Story zu lesen und festzustellen – oh nein, das ist oberflächlicher Mist.

Die Liebe zum Medium Buch grundsätzlich nostalgisch einzuordnen, halte ich für Quatsch. Klar wird sich viel im Umgang mit Büchern, in der Herstellung etc. verändern – aber die Liebe gilt ja (zumindest bei mir) mehr den Geschichten, dem Prozess des Eintauchens in eine andere Welt – und klar gehört bislang für mich auch ein Buch mit papiernen Seiten dazu. Tatsächlich liebe ich aber mehr den Inhalt als das Außenrum, bin weniger an speziellem Einband und Sonderausgaben in Leder interessiert – und Geschichten und Gedanken, die bleiben, auch wenn die Form sich ändert. Friederike Kenneweg von frintze

Leider glaube ich inzwischen schon, dass bibliophile „Blogger“ Nostalgiker sind, sonst wären sie wohl auch mehr anerkannt und selbst großes Engagement wäre nicht immer nur ein Ehrenamt … Aber Nostalgie ist ja sehr beliebt und auch immer wieder im Kommen 🙂 Bianca Bianka Boyke von jungesbuch

NEIN! 😉 Christian Köllerer von Dr. Christian Köllerers Notizen

Wenn Blogger sich mit den Werken von Schriftstellern beschäftigen, können sie diese auf Papier oder als E-Book lesen. Bei den Postings macht das keinen Unterschied. Ob analoge Bücher bereits nostalgisch sind? Das ist Ansichtssache. Ich glaube es nicht, auch wenn es praktisch ist, auf Reisen nur einen Reader statt fünf Bücher mitnehmen zu müssen. (Übrigens habe ich die Zeitung als iPad-App abonniert, nicht zuletzt, weil damit eine Menge Papier gespart wird.) Die Blogger, die Bücher vorstellen, beschreiben gewöhnlich nicht Papierqualität, Einband, Vorsatz, Lesebändchen, sondern Inhalt und Form eines Romans. Ob sie schön gebundene Bücher lieben, spielt dabei kaum eine Rolle. Also ist auch die Frage nach der Nostalgie in diesem Zusammenhang irrelevant.

Oder ist hier mit Bibliophilie die Liebe zur Literatur gemeint? Eine Lehrerin erzählte mir, dass die Jungs in ihrer Realschule darauf achten, beim Betreten oder Verlassen der Schulbibliothek nicht gesehen zu werden, weil sie Lesen für uncool hielten. Sind die Schüler, die dennoch Bücher ausleihen, Nostalgiker? Vielleicht hat die Literatur in einer von Fernsehen (auch schon totgesagt), elektronischen Medien und Computerspielen geprägten Zeit nicht mehr das Ansehen wie vor 200 Jahren, aber ich bin überzeugt, dass es auch weiterhin Romane und Erzählungen geben wird. (Ob die dann auf Papier oder auf einem Bildschirm gelesen werden, ist unwichtig.) Es tauchen ja auch immer wieder Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf, denen inhaltlich und/oder formal etwas Neues einfällt. Die Möglichkeiten der Literatur sind offenbar noch nicht ausgeschöpft. Elektronische Medien eröffnen sogar noch weitere, zum Beispiel können verschiedene Wendungen einer Romanhandlung angeboten werden. In meinen Augen sind Blogger, die sich mit Literatur beschäftigen, keine Nostalgiker, sondern Vermittler einer faszinierenden Kulturwelt. Dieter Wunderlich von Dieter Wunderlich: Buchtipps und Filmtipps

Interessante Frage. Heißt das, dass alle Bücherleser Nostalgiker sind? Oder sind bibliophile Blogger nicht genau das Gegenteil? Nämlich Avantgarde, die über das altertümliche Lesen im modernsten Kommunikationsmedium unterwegs sind? Brigitte Glaser, eine von den vier Autorinnen, die gemeinsam Die Seitenspinnerinnen betreuen

Als ‚bibliophiler Blogger‘ kann ich die Frage natürlich nur aus meiner ureigenen Perspektive beantworten, die sich mit Sicherheit nicht verallgemeinern lässt. Bin ich ein Nostalgiker?

Nein. Ich fühle kein „Heimweh“ nach einer „besseren Vergangenheit“. Ich fühle mich durchaus wohl in der Gegenwart, in der ich mit beiden Beinen fest verwurzelt stehe, und traure nicht vergangenen Zeiten nach.

Natürlich beschäftige ich mich aus Interesse heraus mit der Vergangenheit, und das bestimmt auch aus dem Grund, um meine so geliebte Literatur besser verstehen zu können.

Daher weiß ich natürlich, dass die Aussage „früher war alles viel besser“ stets mit Vorsicht zu genießen ist. Die Vergangenheit wird viel zu oft verklärt, insbesondere von denen, die sich nur an deren positive Seiten erinnern möchten – was ja durchaus in der Natur des Menschen liegt. Die Vergangenheit, die sich die „Nostalgiker“ wünschen, ist aber eher eine Art kuscheliges „Wohlfühl-Disneyland“ und hat nicht mit der Realität zu tun, sondern vielmehr mit einer Art Weltflucht, da man sich von der Moderne gehetzt, getrieben, verschreckt oder gar entmündigt sieht.

Die Liebe zu den Büchern entspringt keiner Nostalgie, sondern ist vielmehr einer ausgeprägten Neugier und der Befriedigung eines Bedürfnisses nach intellektueller Anregung und Unterhaltung geschuldet. Dass diese aber bei manchem zu einer „Weltflucht“ gerät, die auch in einer Nostalgie ausarten kann, ist durchaus möglich. Harald Sack mit Biblionomicon

Die Frage ist schwer, denn – Was kann eine sagen über „bibliophile Blogger“ im Allgemeinen. Ich zumindest traue mich nicht für oder über alle anderen Aussagen zu treffen. Deine Serie zeigt doch wunderbar, dass es den Typus des „bibliophilen Bloggers“ gar nicht gibt (zum Glück).

Für mich kann ich sagen: Ich bin nicht nostalgisch. Aber neige zur Sentimentalität. Zum Unterschied zwischen beiden habe ich mal was geschrieben.

Aber das ist natürlich nur meine Sicht auf diese beiden Worte und ihre Bedeutungsfelder. Ich neige nicht zum Fetischismus, d.h. mir bedeuten „Dinge“, die man anfassen kann, selten viel. Daher hänge ich auch nicht am gedruckten Buch. Aber ich lese gern und meistens ältere Literatur (18., 19., 20. Jahrhundert) und eher seltener Gegenwartsliteratur. Ist das ein Widerspruch? Ich weiß nicht. Aus meiner Perspektive verwirklichen sich durch das Internet (durchaus auch in Form eines Albtraums) Ideen und Utopien der Aufklärung (die „Republik der Gelehrten“, die „totale“ Kommunikation) und der modernen Avantgarden (die Abkehr vom Werkcharakter, serielle Produktionen, die „Löschung“ und „Überschreibung“). Ich schaue zurück in der Hoffnung, nach vorne springen zu können, über die Enttäuschungen hinweg, die Rückschritte und Ausfälle. Ohne Rückkehr aber zu einem Glauben an einen Sinn der Geschichte, noch allerdings auch an das Ende der Geschichte.

Manche Bibliophilen sind sicher nostalgisch. Sie selbst allerdings, glaube ich, begreifen sich eher als Melancholiker.

Ich teile weder die eine noch die andere Haltung.

Bibliophil bedeutet für mich heutzutage nicht mehr: die Liebe zum Buch, sondern: die Liebe zum geschriebenen Wort. Für das sehe ich eine große und vielfältige Zukunft. Für das gedruckte Buch jedoch nur eine Nischenexistenz. Jutta S. Piveckova aka Melusine Barby mit Gleisbauarbeiten

Klar doch sind wir bibliophilen Blogger Nostalgiker, und wir sind stolz darauf! Keine Kultur ohne Nostalgie. Immerhin steckt im Wort Nostalgie die Bedeutung von Rückkehr und Heimkehr. Für mich besitzt dieser Begriff gar keine pejorative Bedeutung sondern eher ein Lob. Aber du weißt ja, die Briten sind wohltuend traditionsbewusst. Klausbernd Vollmar mit kbvollmarblog

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Weitere Überlegungen, ob bibliophile Blogger Nostalgiker sind, könnt Ihr hier nach Pfingsten lesen. – Das Nachdenken über die Frage zog Kreise: So reflektieren KAINe Kolumne darüber, den Krimi-Depeschen war die Frage eine Extra-Nostalgie-Ausgabe wert und Stefan Mesch gab SteglitzMind die Ehre mit einem Essay dazu

Steglitz fragt bei Jost Renner nach

„Ich bin Autor und will es in diesem Teilbereich meines Lebens auch ausschließlich sein“

Viele Worte brauche ich über ihn wohl nicht zu verlieren. Die Bibliophilen unter uns dürften ihn als Blogger, von Twitter (derzeit unter Amfortas) her kennen oder LiebesEnden und seinem Profil bei Facebook folgen: Jost Renner: belesen, emphatisch sympathisch … In diesen Tagen erschien beim Mirabilis Verlag sein Gedichtband „LiebesEnden“. Anlass genug, wie ich meine, Jost dazu und zu anderem zu befragen.

Gratuliere, Jost! Dein erstes gedrucktes Buch und noch dazu bei einem „richtigen“ Verlag. Wie fühlt sich das an?

Ich danke Dir. Es fühlt sich gut an, sehr gut, als ob ein Ziel im Leben nun erreicht sei, eine Wegmarke, an der sich möglicherweise weitere Türen öffnen und neue Wege finden.

Leichtes Spiel haben jene ja nicht, die einen Verlag suchen. Und noch dazu für Lyrik! Welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?

© Jost Renner

© Jost Renner

Ich selbst habe niemals aktiv nach einem Verlag gesucht, zunächst nicht einmal daran gedacht, dass meine Texte überhaupt – über das bescheidene Medium des Blogs hinaus – veröffentlichungswürdig seien. Die Hinweise kamen nach und nach von anderen, Schreibenden, einer Lektorin, also Leuten, die beruflich oder doch aktiv nebenberuflich mit der Materie befasst waren. Ernstnehmen konnte ich das zunächst nicht, denn ich bin einigermaßen belesen und neige gerade daher zu Vergleichen. Meine Selbstzweifel tun ein Übriges. Ein Freund machte einen Verlag auf mich aufmerksam und drängte mich, den Kontakt dann auch zu suchen. Was ich tat. Der Verleger, ein sehr freundlicher und engagierter Mann, selbst Lyriker, schien zunächst recht angetan, seine Lektoratsvorschläge waren allerdings derart tiefgreifend, dass ich meinte, er wolle meine Gedichte selbst und anders schreiben. Der Kontakt brach ab, zwangsläufig, weil solcherart Eingriffe, die auch Inhalte und den Sinn verändert hätten, für mich nicht akzeptabel waren. Damit beurteile ich nicht die eventuelle Berechtigung und die damit für mich einhergehende Bewertung meiner Texte durch den Verleger.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Mirabilis Verlag?

Meine Verlegerin war über die ganze Zeit – und ist es noch – meine Blognachbarin, sodass wir unsere Blogs gegenseitig regelmäßig lasen und kommentierten. Zu Beginn meines Gedichtblogs LiebesEnden war sie allerdings noch nicht Verlegerin. Und ich erfuhr zudem erst nach Abschluss des Vertrages, dass wir uns über Jahre kannten. Ein persönlicherer Kontakt entstand zunächst über Facebook, wo sie wohl auch über die Reaktionen meiner Freunde / Leser mehr erfuhr, ebenso wie um meinen Umgang mit dem Selbstmarketing. Ein Verlag, wie klein er auch sei, ist ein Wirtschaftsunternehmen, oft eines mit Herzblut aufgebautes, das sich aber dennoch finanzieren muss. Ich gehe davon aus, dass der Zuspruch für meine Texte neben der Qualität und dem persönlichen Gefallen den Ausschlag gab, das Risiko einzugehen.

Für deine Publikation konntest du aus dem Vollen schöpfen. Schließlich veröffentlichst du auf deinem Lyrik-Blog LiebesEnden seit nahezu drei Jahren regelmäßig Gedichte. Ist dir die Auswahl schwer gefallen? Welche Kriterien spielten dabei eine Rolle?

Es waren zum Zeitpunkt der Auswahl etwa 300 Texte vorhanden. Es war meine Rolle, zunächst 30 Gedichte vorzuschlagen, von denen ursprünglich nur 10 oder 12 hätten veröffentlicht werden sollen. Ich habe mich bemüht, in der Auswahl einen kleinen Ausschnitt meiner Themen (Himmel, Liebe, Melancholie) zu berücksichtigen, und mich des Weiteren eher an Qualität, Klang orientiert. Nur wenig Frühes ist dadurch eingeflossen, da die ersten Texte eher kommunikativ, therapeutisch und sicherlich selbstbemitleidend waren. Die aktuelleren Texte weisen meiner Meinung nach einen größeren Gestaltungswillen, ein Ringen um die Form und eine Tendenz zum Allgemeingültigeren auf, was allerdings nicht heißen soll, sie seien perfekt oder gar nobelpreisverdächtig.

Hat deine Verlegerin bei der Auswahl ein Wörtchen mitgeredet?

Natürlich hat meine Verlegerin Barbara Miklaw bei der Auswahl mitgeredet. Zum einen ist sie gleichzeitig meine Lektorin, zum anderen trägt eben sie auch das wirtschaftliche Risiko. Wir verstehen uns allerdings gut, und letztlich lehnte sie zwei meiner eher arg finsteren Texte ab, da sie mit ihnen nicht einverstanden sein konnte. Ich bedaure dies zwar, denn auch dies ist eine Seite meines Schaffens, die ihre Berechtigung hat. Andererseits konnte ich mich auch wiederum nicht beschweren, wurden dann doch alle 28 verbleibenden Texte – statt nur ursprünglich geplanter 10 – 12 – in das Büchlein aufgenommen.

Wie kam es zur Covergestaltung?

Sehr dankbar bin ich dafür Blog-Freundin, Autorin und Grafikerin Phyllis Kiehl, dass sie mir schon für mein Blog das Titelbild zeichnete und es auch für die Buchausgabe zur Verfügung stellte.

Was sollte ein Jung-Autor bei der Zusammenarbeit mit einem Verlag besonders beachten?

Als jemand, der durch einen Gutteil Glück in einem Verlag gelandet ist, tu ich mich ein wenig schwer, da Ratschläge zu geben. Grundsätzlich gilt natürlich: Du unterschreibst einen Vertrag! Dann lies ihn Dir vor dem Unterzeichnen genau durch. Dies ist im Falle eines Vertragsverhältnisses mit einem Verlag ebenso wichtig wie in dem etwa mit Facebook, und ich hoffe, bei einem Verlagsvertrag wird diese Regel etwas stringenter befolgt. Ein Vertrag, der dem Muster etwa des VS entspricht oder sich nahe daran anlehnt, sollte in der Regel unproblematisch sein. Dinge, mit denen ich mich noch näher beschäftigen muss, hängen zudem daran: Autorenhonorare sind Einkommen, somit steuer(erklärungs) – und sozialabgabenpflichtig. Und das obliegt dem Autor. Selfpublisher dürfen sich vermutlich auch mit Gewerbe und Gewerbesteuern auseinandersetzen. Dies alles will erkundet werden.

Und auf zwischenmenschlicher Ebene?

Ich denke, es ist zunächst wichtig, sich menschlich zu beschnuppern und zu sondieren, ob man auf der menschlichen Ebene und mindestens auf neutral-sachlicher Ebene miteinander klarkommt und kommunizieren kann. Dass der Verleger oder Lektor ein grundsätzliches Interesse am Text bzw. der Arbeit des Autors hat, wäre schon hilfreich. Kommunikation ist immer alles, das heißt, reden, reden und nochmals reden. In der Regel sind Verleger und Lektoren nicht der Feind eines Autors, auch wenn ab und an eine Eitelkeit gekränkt oder gar Grenzen überschritten werden. Grenzen sollte es auch für Autoren geben, unbedingt, aber eben auch Verhandlungsbereitschaft, Auseinandersetzungsfähigkeit unter Verwendung guter Argumente.  Nicht jeder Kompromiss ist ein schlechter.

Was rätst du Nachwuchsautoren generell?

© GvP

das Debüt-Gedichtbändchen © GvP

Schon wieder das mit dem Radschlagen … Ich kann mich allenfalls – und das höchst subjektiv – auf den Bereich Lyrik beschränken, da von mir Prosawerke eher nicht zu erwarten sind. Daraus könnte man vielleicht ableiten: 1. teste und erkunde, welche Art der Literatur Dir liegt. Das tut man durch Schreiben. 2. Übe Dich in genau dem Dir passend erscheinenden Bereich; Aussagen und Inhalte werden auf Dauer vielleicht von selbst einen Formenwechsel nahelegen. Als „Dichterling“ glaube ich nicht wirklich an so etwas wie eine genialische Idee, denke aber, es gibt regelmäßig Themen, Worte, Zitate, Beobachtungen, Empfindungen, die einen quasi anspringen und auf eine Umsetzung durch Kunst, also das Schreiben warten. Eine emotionale Unbeteiligtheit eines Lyrikers kann ich mir nicht vorstellen, das mag allerdings an meiner eigenen Entwicklung liegen. Dennoch folgen hier weitere unverbindliche Gedanken:

1. Lies, lies so viel als möglich, bewege Dich in einem anspruchsvollen Niveau. 1.a. In der Literatur ist der Wortschatz ein wichtiges Gut. Er muss groß und korrekt angewendet sein, ähnliches gilt natürlich auch für Grammatik und Orthographie. 2. Lebe! Ohne Konfrontation mit einem Thema, einer Emotion, ohne Menschen – und Selbstbeobachtung, ohne lebendige Auseinandersetzung bleibt auch das Geschriebene blutleer. 3. Denke! Die Idee mag einer Emotion entsprungen sein, die Umsetzung aber ist (Gedanken-)Arbeit, denn die Aufgabe eines Gedichtes ist es nicht, das Empfinden wiederzugeben, nachzuerzählen, sondern es auf den Leser zu übertragen, bzw. für ihn nicht nur nachvollziehbar, sondern nacherlebbar zu machen. Dazu bedarf es tragender und stimmiger Bilder, es bedarf der Form, des Klangs, also der Sprache. 4. Schreibe! Finde Deine eigene Sprache, sei sie schlicht, symbolisch oder gar hermetisch. Sie muss Deine sein und wiedererkennbar. Ich empfinde es als eine Todsünde, Sätze wider alle Regeln hinzukneten, bis sie passen, um nur der allgemeinen Vorstellung eines Gedichtes nahezukommen. Und auch Sprache, Wörter sollten präzise gewählt sein, und mindestens dem Autor sollte klar sein, warum welches Wort im Text erscheint.

Auch dein Lyrik-Band wird sich vermutlich nicht von selbst verkaufen. Was unternimmt dein Verlag dafür?

Nicht? Ich bin enttäuscht. 😉 Mein Verlag wird auf der Buchmesse in Leipzig einen Stand haben. Es sind Lesungen in Planung. Meine Verlegerin hat Ansprechpartner im stationären Buchhandel und bewegt sich – wie ich selbst – in den sozialen Netzwerken. Zudem gibt es eine Verlags-Homepage, Kontakte zu Bloggern und anderen Autoren. Einzelheiten, selbst wenn sie mir bekannt wären oder sind, gäbe ich allerdings ungern preis.

Und was tust du für dein Buch-Marketing?

Wenn ich behauptete: nichts, wäre es eine Lüge. Ich habe kurz vor Erscheinen deutlich und auf allen mir zur Verfügung stehenden Kanälen auf die Veröffentlichung hingewiesen und dies bei Erscheinen wiederholt. Dies wurde im Facebook-Freundeskreis und bei den Fans meiner für das Blog eingerichteten Seite freudig begrüßt und freiwillig oft geteilt. Ähnlich lief es bei Twitter. Und beides macht mich sehr glücklich, denn es scheint, menschliches Miteinander, die Vertrautheit mit meinen Texten und das Gefallen daran, vielleicht auch eine objektive Qualität meiner Gedichte, erleichtern vieles. Inzwischen kommen die ersten Rückmeldungen von Bestellern herein, die wiederum selbst Aufmerksamkeit auf das Büchlein lenken.

Wie weiter?

Was folgt, werde ich sehen. Den ein oder anderen Hinweis werde ich schon einstreuen müssen, Wegmarken wie eine zweite Auflage (ach, Hoffnung!) oder das Überschreiten der Tausender- oder Zehntausender-Marke (oh, Illusion, Du Trügerische!) würde ich natürlich lauthals und ehrlich hocherfreut verkünden, Auflagenhöhe oder Verkaufszahlen gehen allenfalls die Verlegerin, mich und das Finanzamt was an. Lesungen gebe ich selbstverständlich bekannt. Ich denke, ich werde im Großen und Ganzen das tun, was ich auch bisher tat : eine interessante und menschliche Präsenz in den sozialen Netzwerken zeigen und dort kommunizieren – und zwar auf Augenhöhe mit meine Lesern – und als bestes Marketing überhaupt mich bemühen, weiterhin gute Texte zu schreiben und in mein Blog zu stellen.

Mir ist bekannt, dass du Publikationen von Selfpublishern recht kritisch, wenn nicht sogar skeptisch gegenüberstehst …

Erstens habe ich starke Vorbehalte gegen das Selfpublishing, weil für mich ganz grundsätzlich Kunst (jeder Art) nichts demokratisches ist, weder in der Schaffung noch in der Rezeption. Selfpublishing aber wird zu 90 Prozent zwangsläufig genau diese Tendenz verfolgen müssen. Jeder darf, also kann auch jeder. Daraus folgt zum einen eine Überflutung generell, eine mit Minderqualitäten im Speziellen, die dann auch noch die wirklich Guten, die es auch im Selfpublishing-Segment gibt, untergehen lässt. Und gut heißt eben nicht oder sogar nur selten bei Jungautoren gut verkäuflich. Im Gegenteil. Verlage, die Müll produzieren oder mir nicht Entsprechendes, kann ich komplett ausblenden. Beim Selfpublishing gibt es eine unregulierte Flut zum Teil unlektorierter oder unbedarft lektorierter Texte, die ich schlicht weder sichten kann, noch will. Also lasse ich die Finger davon.

Für dich persönlich ist Selfpublishing demnach keine Option?

Das korrespondiert mit meiner eigenen Eignung für das Selfpublishing: 1. bin ich Autor und will es in diesem Teilbereich meines Lebens auch ausschließlich sein. Wie jeder Jungautor könnte ich vom ersten, dem ersten Buch vermutlich nicht leben, den Weg aber eines Unternehmers mit letztendlich demselben Ergebnis will und kann ich nicht gehen. Wäre ich auf Einnahmen angewiesen, wie es ja die Regel ist, blieben Lesungen, journalistische Arbeiten und Stipendien oder Preise, die Mühen in der Ebene, halt. Zudem bin ich eher selbstzweiflerisch und habe Mühe, mir die Qualität meines Tuns bewusst zu machen. Es bedarf für mich dann schon einer Person, die mich bestärkt, an Schwächen im Text mit mir – kooperativ – arbeitet, was meine Verlegerin Barbara Miklaw ja bereitwillig und sehr angenehm tat.

Arbeit im Team ginge als Selfpublisher auch, aber gut … Es heißt ja, dass die Digitalisierung und der Umstand, dass Autoren nicht mehr auf Verlage angewiesen sind, erhebliche Folgen für den Buchmarkt und -handel haben werden. Wie schätzt du die weitere Entwicklung ein?

Das kann für die Verlage ein Problem werden, zumindest im jeweiligen nationalen Bereich. Das heißt, die USA werden die Verwerfungen im Verlagswesen vermutlich härter treffen als etwa Deutschland. Denn im anglo-amerikanischen Raum sind Übersetzungen deutlich weniger präsent als im deutschen, wobei ich auch in den USA eine Zunahme von übersetzten Titeln wahrzunehmen scheine. Das digitale Selfpublishing ist national gut machbar, verschiedene Übersetzungen zu arrangieren, zu bezahlen und auf die Länder zu verteilen wird umständlich. Vermutlich können da die Verlage punkten, vielleicht auch ein neues Geschäftsfeld entwickeln. Rein marktwirtschaftlich überlegt müsste es bedeuten, wandert die Nachfrage des Autoren nach einem Verlag ab, müssen die Verlage sehen, ihr Angebot zu verbessern und dem Autor wieder schmackhaft zu machen. Ob dies die großen Konzernverlage können und wollen, scheint mir fraglich, und hier vermute ich auch die Wurzel vieler unguter Entwicklungen.

Und der Buchhandel?

Den stationären Buchhandel wird es in jedem Falle härter treffen, denn er wird von vielen Seiten attackiert – von Amazon über E-books über Flächenmieten und steigender Abgabenlast bei stagnierenden oder zurückgehenden Reallöhnen der Kunden. Ich habe zudem bislang kein belastbares Konzept gefunden, wie etwa der stationäre Buchhandel – problemlos – am E-book-Geschäft partizipieren könnte oder der Übermacht bestimmter Versandriesen standhalten könnte oder wollte. Denn wirklich intelligente und zielführende Bemühungen sah ich bislang nicht. Und mich an die 55 Thesen zur Zukunft des Buchhandels erinnernd sehe ich auch vom Börsenverein wenig Unterstützung für das Sortiment. Da ich ja aus dem Buchhandel komme, bin ich darob traurig, aber schon der erste Testbericht zum tolino shine und die Qual mit adobe und anderen DRM – Spielchen bestätigen mich. Amazon kann es besser. Andernorts will man wohl einfach nicht.

Wie hältst du es persönlich mit dem E-Book?

Ich lese keine E-Books. Zum einen besitze ich eine gut sortierte Bibliothek mit über 10.000 Bänden, die ich längst nicht alle gelesen habe, zweitens bin ich mit nun gut 52 Jahren konservativ und bestehe darauf, mich mit Büchern zu umgeben, sie zu halten, aufzuschlagen und zu lesen, und kann mir nur schwer vorstellen ein Gleiches mit dem „Prinzip Buch“ zu tun, dieser Meisterleistung an buchhändlerischem PR-Schwachsinn.

Meinst du, dass dem E-Book die Zukunft gehört?

Ich vermute, ja. In Deutschland wird es lange dauern, bis die Herrschaften in den Verlagen, so sie noch existieren, es gemerkt haben werden und sich entsprechend verhalten, d.h., die Preise für E-Books auf das amerikanische und meines Erachtens einzig zu rechtfertigende Niveau absenken (das geht auch im Rahmen der Buchpreisbindung), einen kundenfreundlicheren Umgang mit DRM gefunden haben werden, das mit der sich abzeichnenden Tendenz zum E-Book-Leihen eh nicht kompatibel ist, und schlussendlich alle dann auch auf den Zug aufspringen. Dennoch bleibt auf Dauer ein Absinken des literarischen Niveaus zu befürchten, denn E-Books werden vermutlich auch den Hang zur übergroßen Verkäuflichkeit bestärken. Ich meine auch, dass ich in der Zukunft tot sein werde, wenn es soweit ist. Und das finde ich ausnahmsweise mal ganz gut so.

Was stößt dir bei den Diskussionen rund um die Zukunft des Buches besonders negativ auf?

Kurz gesagt: dummes Branchengejammer bei gleichzeitiger Unfähigkeit oder gleichzeitigem Unwillen, intelligent und vorausschauend zu handeln.

Danke vielmals, Jost. Und Glück auf mit deinem Erstling. Mögen deine Gedichte zu vielen Lesern und Leserinnen finden!

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In der losen Interview-Reihe “Steglitz fragt … bei Autoren nach” standen bereits Rede und Antwort:  Jando, Petra van Cronenburg, Petra Röder, Nicole Sowade aka Miss Januar, Jan-Uwe Fitz aka Vergraemer, die Sachbuch-Autorin Sonya Winterberg der Berner Shooting-Star Patric Marino, Wilhelm Ruprecht Frieling, im Social Web als Prinz Rupi bekannt, und der Selfpublisher Michael Meisheit. –  Stets geht es darum, wie die befragten Autoren die Entwicklungen infolge der Digitalisierung einschätzen, welche neuen Wege sie nutzen und wo sie Chancen und Risiken sehen.

Ein Herz für Kinder!? Oder: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch…

Im Zusammenhang mit einer Neuerscheinung habe ich mich mit Gewaltopfern, insbesondere den Folgen von Gewalt für Kinder beschäftigt. Bei den Recherchen kam mir verschiedentlich der Gedanke, auf vermintem Gelände unterwegs zu sein, an Tabus zu rühren. Offenbar markiert der jüngste Eklat beim Versuch, den Missbrauchsskandal im bayerischen Kloster Ettal aufzuklären, lediglich die Spitze eines Eisberges. Viele Fakten und Daten, die ich zu Tage förderte, waren mir so nicht bekannt.

Groß war insbesondere mein Erstaunen, dass der Anspruch auf eine gewaltfreie Erziehung in der Bundesrepublik eine relativ junge Errungenschaft ist. So galt hier das Recht des Lehrherrn, Lehrlinge züchtigen zu dürfen, bis 1951. „Man bringt ein Kind schon in den ersten zwei Jahren zum Verbotsgehorsam. Falsch ist es, den Verbotsgehorsam erreichen zu wollen durch Zureden, durch Erklärungen oder durch zartes Weggleiten der Hand von der beabsichtigten Tat. Der schmerzende Schlag aber bleibt ihm in Erinnerung. Man könnte gewiss mit einer Nadel oder einem elektrischen ‘Erziehungsstab’ den Schmerz verursachen und die Rute war ja auch ein solches Erziehungsinstrument. Die Mutter gebe die Schläge lieber nicht, denn sie schlägt gewöhnlich nicht kräftig genug.“ Die Empfehlung stammt nicht, wie man meinen könnte, aus einem Erziehungsbuch aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, sondern aus dem Ratgeber „Über den Umgang mit Kindern“, der 1952 erschienen ist.

die Kindheit ist ein lieblicher Traum ... © GvP

die Kindheit ist ein lieblicher Traum … © GvP

Als das Gleichberechtigungsgesetz für Frauen 1958 in Kraft trat, erhielten auch die Mütter das Züchtigungsrecht. Noch in den späten 1960er Jahren meinten 85 Prozent aller westdeutschen Eltern, dass die Prügelstrafe eine angemessene Erziehungsmethode sei. Schulische Körperstrafen wurden in der BRD umfassend erst 1973 verboten. Zwar wurden 1980 im Bürgerlichen Gesetzbuch die „elterliche Gewalt“ durch „elterliche Sorge“ ersetzt und „entwürdigende Erziehungsmaßnahmen“ verboten, aber Politik und Gerichte billigten den Eltern weiterhin eine „angemessene körperliche Züchtigung“ aufgrund „herrschender sittlicher Auffassung“ zu. Vor allem CDU und CSU hatten sich gegen entsprechende Initiativen der SPD, des Deutschen Juristinnenbundes und der Grünen lange gesperrt und gewehrt. Der Gesetzgeber habe „bewusst darauf verzichtet, einen bestimmten Erziehungsstil verbindlich vorzuschreiben“, beharrte der parlamentarische Staatssekretär de With am 19. März 1982 in der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Opposition zum „Verbot der Gewalt gegen Kinder“. Dies ging so weit, dass noch 1986 der Bundesgerichtshof das Schlagen eines Kindes mit einem Wasserschlauch nicht als entwürdigende Erziehung bezeichnete.

1992 ratifizierte die Bundesrepublik die UN-Kinderrechtskonvention, womit der Druck wuchs, Kinder besser vor Gewalt zu schützen. „Körperliche und seelische Misshandlungen“ erklärte das Bürgerliche Gesetzbuch allerdings erst 1998 für unzulässig. Und erst zwei Jahre später, nämlich im November 2000, wurde das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. In der Neufassung des Paragrafen 1631 Absatz 2 Gesetzbuch heißt es: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Vorausgegangen war ein jahrzehnter währender Streit. Und das neue Kinderschutzgesetz, das erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gesetzliche Grundlagen dafür geschaffen hat, Kinder besser vor Vernachlässigung, Misshandlungen und sexueller Gewalt zu schützen, wurde im Januar vergangenen Jahres verabschiedet. Im Januar 2012! Abermals nach Jahren langem Ringens und wiederum gegen erhebliche Widerstände.

Unzählige Studien über die Verbreitung von verschiedenen Formen von Gewalt gegen Kinder belegen, dass weltweit Kinder, die keine Gewalt durch ihre Eltern oder Erziehungsberechtigten erleben, nicht die Regel, sondern die Ausnahme sind. Aktenkundige Fälle wie Kevin aus Bremen, Lea-Sophie aus Schwerin oder die neun Monate alte Jasmin aus Speyer sind keine Einzelfälle. Jährlich werden in Deutschland rund 150.000 Kinder unter 15 Jahren gezüchtigt. UNICEF geht davon aus, dass wöchentlich je zwei Kinder an den Folgen von Misshandlung und Vernachlässigung sterben. Rund 30.000 Kinder eines Jahrgangs wachsen in Hochrisikofamilien auf. Täglich 50 misshandelte oder missbrauchte Kinder, das ist die erschreckende Bilanz einer Statistik des Bundeskriminalamtes, die im Mai 2012 veröffentlicht wurde. – Und die Dunkelziffer liegt viel höher.

„Die Geschichte der Kindheit ist ein Albtraum – aus dem wir gerade erwachen“, so der Forscher zur Geschichte der Kindheit Lloyd de Mause. Zwar propagieren laut Deutschem Kinderschutzbund heute 90 Prozent der Eltern eine gewaltfreie Erziehung, schlagen tun sie ihre Kinder dennoch – wenn auch inzwischen mit schlechtem Gewissen. In der Forsa-Umfrage der Zeitschrift „Eltern“, die im März 2012 vorgestellt wurde, gaben 40 Prozent der Befragten an, ihren Kindern einen „Klaps auf den Po“ zu verpassen. Zehn Prozent der Eltern verteilen Ohrfeigen. Zu harten Körperstrafen wie „Hinternversohlen“ greifen vier Prozent. Immerhin scheinen Stockhiebe endgültig der Vergangenheit anzugehören. 100 Prozent sagten in der Umfrage dazu „niemals“.

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Aus diesem Beitrag entwickelten sich Gespräche mit ACR. Wir unterhalten uns über ihre Erfahrungen als schwer misshandeltes Kind und Jugendliche, über die Folgen und wie wichtig es ist, dass Anständige erfahren, dass es so etwas gibt …

Steglitz fragt bei Michael Meisheit nach (Teil 2)

„Die Frage nach der Verfügbarkeit in der Buchhandlung oder danach, ob es ‚Soap‘ auch fürs iPad gibt, tut jedes Mal weh …“

In diesem Beitrag erfahren wir u.a., weshalb Michael Meisheit mit eBook und der gedruckten Version von „Soap“ zweigleisig fährt, warum er auf den Platzhirschen Amazon setzt und welche Lehren er aus seinen bisherigen Erfahrungen als Selbstverleger zieht. Im ersten Teil des Gespräches berichtete er uns, wie er Chancen und Risiken bezüglich Selfpublishing einschätzt, warum er sich für CreateSpace entschieden, welche Erfahrungen er damit gemacht hat und wie er mit Vorurteilen gegen Autoren umgeht, die ihre Publikationen in Eigenregie auf den Markt bringen.

Mit einem eBook und einem gedruckten Buch fährst du zweigleisig. Warum das?

Man kann so ein Projekt nicht über das Internet aufziehen und dann das elektronische Buch außen vorlassen. Mir war immer klar, dass in meiner Zielgruppe die meisten Leute das sogenannte Holzbuch noch bevorzugen würden, aber rund um das eBook passieren ja noch viel aufregendere Dinge, was neue Weg angeht, also wollte ich das auf keinen Fall missen.

Glaubst du, dass dem eBook die Zukunft gehört?

Auf jeden Fall. Es wird Papier nicht komplett ersetzen, aber die Vorteile liegen auf der Hand. Neue Generationen werden dann auch die Nostalgie nicht mehr kennen, die viele von uns noch mit dem Umblättern verbinden. Wenn ich sehe, wie mein dreijähriger Sohn schon selbstverständlich zwischen iPhone-App-Geschichte und Buch zum Blättern wechselt, weiß ich, wie die Zukunft aussieht.

Wie hältst du es beim eBook mit dem Kopierschutz?

Da hab ich wie ein Schaf erst einmal den voreingestellten Kopierschutz gelassen wie er ist. Wobei ich mich mittlerweile durchaus frage, warum. Leider kann man es im Nachhinein nicht mehr ändern. Aber ich muss mich definitiv noch mehr mit dem Thema und den Möglichkeiten beschäftigen. Was ich auch daran merke, dass ich mich in der ganzen Urheberrechtsdiskussion oft auf der Seite von Kreativen, die vor allem Schutz und Sanktionen fordern, nicht so richtig wohl fühle. Auch hier reizen mich eher die neuen Möglichkeiten des Internets. Aber das ist eine andere Diskussion.

Wie schätzt du die Diskussionen um das Pricing beim E-Book generell ein?

Hier wird noch viel experimentiert. Im Moment wirkt es schon teilweise absurd, wenn man sich die Listen bei Amazon anschaut. Wenn die gleichlangen 99 Cent-Bücher neben Verlags-eBooks für 22,99 Euro stehen, merkt man, dass der Markt sich noch regulieren muss. Kurios ist allerdings, dass Beide es in die Topliste schaffen können …

Und wie bist du mit der Preisgestaltung bei eBook und Taschenbuch verfahren?

Michael Meisheit © Steven Mahner

Michael Meisheit © Steven Mahner

Ich hab meine potentiellen Leser in meinem Blog gefragt und sogar abstimmen lassen. Wie bei vielen anderen Fragen rund um die Veröffentlichung ja auch. Natürlich hatte ich eine grobe Vorstellung – das Taschenbuch sollte nicht über 10 Euro kosten, das eBook nicht für 99 Cent verramscht werden. Aber ich fand es sehr hilfreich, dass die Mehrheiten und Argumente im Blog meine Auffassung stützten. Beim Taschenbuch waren sich eh alle mehr oder weniger einig. Beim eBook gab es – wenig überraschend – die größere Bandbreite an Meinungen. Für mich war hier entscheidend, dass ich nicht zu weit vom Taschenbuch weg wollte. Allerdings bin ich mir bei den 4.99 noch nicht so ganz sicher, ob es die beste Wahl war. Daher habe ich heute eine Aktion gestartet und verkaufe nun für ein paar Tage das eBook für 2.99.

Selbstredend eine nette Geste an die Adresse der Leser unseres Gespräches … Warum ist „Soap“ derzeit lediglich beim Platzhirschen Amazon zu haben?

Das lag natürlich erst einmal an meinem Wunschpartner CreateSpace. Mit dem drängt sich das Kindle-Programm ja gleich als nächster Schritt auf, es sind nur wenige Klicks mehr. Und „lediglich“ bei Amazon zu sein, ist bei deren Marktposition ja nicht das Schlechteste. Allerdings soll es so nicht bleiben. Sobald ich die Zeit habe, mich durch das Dickicht von Formaten und möglichen Wegen zu kämpfen, werde ich zum einen andere eBook-Kanäle hinzunehmen und zum anderen auch das Taschenbuch auf neue Wege bringen.

Wo machst du beim Platzhirschen persönlich Nachteile aus?

Was mich überrascht hat, war, dass man erstaunlich wenige Analyse-Möglichkeiten für seinen Verkauf hat. Vielleicht bin ich durch Google-Analytics bei meinem Blog verwöhnt, wo man ja auch noch die Farbe der Unterwäsche seiner Seitenbesucher gemeldet bekommt. Aber dass es im Kindle-Programm noch nicht einmal eine Verkaufsaufstellung nach Tagen gibt, hat mich sehr verwundert. Ganz zu schweigen davon, dass es doch interessant wäre, wie viele Leute die Verkaufsseite des Buches besuchen, wo die herkommen usw. Technisch ist das alles möglich, Amazon lässt sich aber nicht in die Karten schauen. So hockt man viel zu viel da und rätselt, wieso, weshalb, warum.

Worauf sollte man besonders Acht geben, wenn man sich für diese Vertriebsschiene entscheidet?

Zu empfehlen ist, dass man sich als Autor bei „Author Central“ von Amazon anmeldet. Dann kann man nicht nur ausführlicher über sich berichten, sondern hat auch so etwas wie einen Ansprechpartner, der kurzfristig antwortet. Was bei Amazon normalerweise ja nicht so einfach ist. Denn der Laden ist und bleibt ein schwer durchschaubarer Riese. Ansonsten muss einem klar sein: Amazon ist auch nicht die Welt. Die Frage nach der Verfügbarkeit in der Buchhandlung oder danach, ob es „Soap“ auch fürs iPad gibt, tut jedes Mal weh …

Was hält dich ab, andere Vertriebspartner ins Boot zu holen?

Ehrlich gesagt bin ich noch etwas ratlos, wen ich wie hinzunehme. Alle eBook-Vertriebe haben einen oder mehrere Hinkefüße. Mal muss man auch den Vertrieb über Amazon abgeben und verdient entsprechend weniger. Mal braucht man eine (teure) ISBN für das eBook. Andere haben undurchsichtige Konditionen. Hier sammle ich noch Feedback von anderen Selfpublishern. Erfahrungsberichte sind jederzeit willkommen!

Was rätst du jenen, die Schritte in Richtung Selfpublishing planen?

Sie sollten Zeit mitbringen und Geduld. Zeit im Sinne von: Vieles dauert länger als geplant. Besonders wenn auch mal was schief geht. Oder wenn man viel zu lange in der Social-Media-Welt hängen bleibt. Geduld braucht man bis die eigenen Maßnahmen greifen. Selbst Leute, die begeistert gesagt haben, dass sie das Buch „sofort“ kaufen, trifft man manchmal Wochen später und hört „Ach ja, das Buch!“ Bei Pressekontakten und ähnlichem kann es auch ewig dauern, bis was passiert. Oder hoffnungsmachende Kontakte verlaufen plötzlich im Sande.

Frustrationen sind wohl inbegriffen …

Daher muss man Kontakt zu seiner inneren Rampensau aufnehmen. Wer die gar nicht besitzt, wird sich schwer tun – denn am Anfang gibt es niemanden, der einen irgendwo ins Gespräch bringt außer einem selbst. Das ist manchmal echt unangenehm, aber da muss man durch – sonst braucht man vielleicht doch einen Verlag. Allerdings ist hier Augenmaß notwendig. Ab wann nervt man? Auch wenn man selbst das Gefühl hat, das Buch ist der Mittelpunkt der Welt, für die da draußen ist es eins von buchstäblich Millionen. Es kann daher helfen, das Projekt eben nicht zum Mittelpunkt der eigenen Welt zu machen, sondern einfach auch mal was anderes zu schreiben bzw. sich mit echten Menschen zu beschäftigen.

Was sollte sich ein Selbstverleger abschminken?

Abschminken kann man sich, dass man mit der Geschichte wirklich reich wird. Selbst dass man in irgendeiner Form davon leben kann, ist wohl die Ausnahme. Wer mit dieser Erwartungshaltung da reingeht, kann nur verlieren. Besonders weil es nun schon eine ganze Weile eine Art Goldgräberstimmung gibt und sich entsprechend viele Leute mit ihren Goldpfannen am Amazonas und anderswo tummeln.

Es heißt ja, dass die Digitalisierung und der Umstand, dass Autoren nicht mehr auf Verlage angewiesen sind, erhebliche Folgen für den Buchmarkt und -handel haben werden. Wie schätzt du die weitere Entwicklung ein?

Ich gehöre zu denen, die glauben, dass der bisherige Buchmarkt und -handel in zehn Jahren völlig anders aussieht. Ich glaube nicht, dass Bereiche komplett verdrängt werden, es wird einfach diversifiziert. Es wird sicher weiterhin Verlage geben, aber es wird auch hochwertige Selbstverleger geben. Es wird für diese dann Organisationsformen geben mit Dienstleistern und Plattformen. Es wird verlegende Hobbyautoren geben usw. Vor allem denke ich auch, dass sich noch einiges zwischen den verschiedenen Medienformen tun wird. Also dass es neben dem Buch und dem eBook interaktive Erzählungen, netzbasierte Erzählungen, Verbindungen von Film, Spiel und Text usw. geben wird.

Kannst du dir vorstellen, dass Independent Publikationen den klassischen Gatekeepern à la longue den Rang ablaufen werden?

Ich kann es mir vorstellen, aber es kommt auch darauf an, wie klug die Verlage, Buchhandelsketten usw. mit der Situation umgehen, sprich ob sich darauf einstellen. Wer stur darauf pocht, dass doch nur ein Buch aus Papier das Wahre ist und der Verlag über allem steht, der wird es sicher irgendwann schwer haben. Spätestens wenn die Mehrzahl der Autoren anderswo bessere Konditionen, Hilfestellungen und vor allem Möglichkeiten bekommt, ihre Vision umzusetzen.

Was stößt dir bei den aktuellen Diskussionen rund um die Zukunft des Buches besonders negativ auf?

Wie bei den meisten Diskussionen, die bevorzugt in der Textform (Feuilleton-Artikel, Blogs oder gar Foren) geführt werden, wird oft zu verbissen und unfreundlich diskutiert. Ich hab nichts gegen eine Diskussion, in der es auch mal hoch hergeht. Aber man ist allerorts erstaunlich schnell mit persönlichen Angriffen, Unterstellungen und ähnlichem. Und gerade Autoren sollten doch in der Lage sein, sich in die Position des Gegenübers reinzuversetzen – wie entwickeln sie denn sonst Figuren? Abgesehen davon finde ich es schade, dass die Selfpublisher in vielen Bereichen noch die Kellerkinder sind, aber es liegt sicher an uns selbst, dies durch selbstbewusstes und professionelles Auftreten zu ändern.

Du experimentierst seit Jahren als Autor im Netz. Was meinst du, inwieweit verändert die Digitalisierung auch unser Verständnis von Literatur und Autorenschaft?

Zwei Sachen verändern sich zurzeit aus meiner Sicht durch das Internet: Das Buch ist nicht mehr das Nonplusultra in der Literatur. Andere Textformen oder auch transmediale Erzählformen spielen eine immer größere Rolle. Gleichzeitig wird der Autor entmystifiziert. Er ist nicht mehr der Schreiber im Elfenbeinturm, sondern weilt über Blogs, Foren und interaktive Experimente mitten unter seinen Lesern. Das wird zunehmend selbstverständlich. Ich weiß noch, dass ich vor ca. 15 Jahren „Flamingo Rising“ von Larry Baker gelesen habe, in dessen Impressum eine E-Mail-Adresse stand. Weil mir das Buch gut gefiel, hab ich dort hingeschrieben und bin fast vom Stuhl gefallen, als der Autor mir postwendend persönlich antwortete. Wir haben dann ein bisschen hin- und hergemailt darüber, wie man sein Buch als Deutscher wahrnimmt. Und ich hab mir damals schon gedacht: Ja, wieso denn nicht immer so? Was kann einem besseres passieren, als sich mit den Lesern auszutauschen? Aber damals war das noch absolut ungewöhnlich.

Was hat dich bewogen, „Soap“ gemeinsam mit Blogbesuchern und Lesern auf die Beine zu stellen?

Vielleicht war besagtes Erlebnis mit Larry Baker schon der Grundstein für den Wunsch, mich mit den Lesern auszutauschen. Später wurde dann mein Prosa schreiben (im Gegensatz zum Drehbuch schreiben) sehr stark durch meine aktive Zeit in der Community jetzt.de geprägt ist. Dort konnte man mit kleinen Texten experimentieren – unter dem Stichwort „Tagebuch“ – und man hat über Kommentare sofort Feedback bekommen. Auch wenn das manchmal hart war, hat es mir gefallen und weitergeholfen.

Als Serienautor schreibst du ja auch im Team …

Hinzu kommt, dass ich es als Drehbuchautor natürlich gewohnt bin, dass zahlreiche Leute meine Arbeit – gerade in frühen Fassungen – auseinander nehmen. So war es für mich nur folgerichtig, einen Romantext in einem frühen Stadium herauszugeben, um von dem Feedback zu profitieren. Gleichzeitig wollte ich so eine Basis an Lesern schaffen, denn für klassische Werbung und PR-Arbeit würde ich keine Mittel haben. Womit ich nicht gerechnet hatte: WIE begeistert viele der Leser waren, dass sie mitwirken „durften“. Ich hab zahlreiche Danksagungen bekommen, dabei machten die Leute letztlich Arbeit für mich! Spätestens da war mir klar, dass diese Art von Zusammenarbeit ein vielfach ungehobener Schatz ist.

Wie waren deine diesbezüglichen Erfahrungen? Was hast du an der „interaktiven Arbeitsweise“ besonders geschätzt?

Für mich war die Zusammenarbeit durchweg positiv. Man muss natürlich ein paar „Fähigkeiten“ mit bringen: Man muss mit Kritik umgehen können. In der Lage sein, das Wichtige herauszufiltern. Vor allem muss man gerne kommunizieren, meint in dem Fall: Auch zuhören! Und letztlich muss man wissen, was man tut. Wenn man selbst zu unsicher ist, was die eigene Arbeit, den eigenen Text angeht, verzettelt man sich. Denn es gibt IMMER mehrere Meinungen, die gegensätzlichen sind sowieso überproportional vertreten. Wenn das aber einmal funktioniert, hat man irgendwann eine kleine bzw. wachsende Community, die man nicht nur jederzeit um Rat fragen kann, sondern die einen auch motiviert oder sogar aktiv unterstützt. Es haben schon mehrere Leute Tage (!) an Arbeit in mein Projekt investiert, einfach weil sie sich damit identifizieren, es gut finden. Da war ich manchmal wirklich gerührt!

Wo kommt Teamwork an seine Grenzen?

Ich weiß nicht, ob das auch mit mehreren Tausend Leuten funktioniert, was ich da mache. Aber das Problem möchte ich erst einmal haben. Im Moment „kenne“ ich noch alle sehr aktiven Leuten einzeln, aber natürlich hätte das auch irgendwann eine Grenze. Und wenn ich als Autor nicht mehr ab und zu auch mal direkt antworte oder eingehe auf jemanden, wären die Bindungen sicherlich nicht so eng. Aber dann müsste man eben andere Wege finden.

Welche Lehren ziehst du bislang aus deinem „Selbstversuch“? Was würdest du heute anders machen?

Für mich ist die wichtigste Lehre, dass ich das in Zukunft immer so machen möchte: Öffentlich und gemeinsam kreativ arbeiten. Denn für mich hat es fast nur positive Effekte gegeben. Ein wenig muss ich in manchem Bereichen noch die Balance finden: Wann nervt ein Thema, weil man es zu oft bringt? Wie viel „Werbung“ kann ich den Leuten zumuten? Macht die bei den ewig selben Leuten irgendwann überhaupt noch Sinn? Die Gefahr ist, dass man die Leser irgendwann als selbstverständlich nimmt, aber letztlich können die auch wahnsinnig schnell wieder verschwinden. Man muss eben bei so einem Projekt auch immer Entertainer sein oder zumindest neue, interessante Informationen liefern, sonst dreht sich das Karussell weiter …

Danke, Michael, dass du deine Erfahrungen mit uns teilst. Lunte gerochen hast du jedenfalls: Seit gestern gehst du abermals ein Projekt in Eigenregie an. Ein eBook mit ausgewählten Kurztexten die bei jetzt.de erschienen sind. Dafür suchst du Testleser. Glück auf dabei – und weiterhin Erfolg und Freude mit Soap.

Freundlicherweise stellte Michael mir einige Leseexemplare zur Verfügung. Wer sich für sein Debüt als Selfpublisher interessiert und “Soap” besprechen möchte, möge sich bei mir melden.

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In der losen Interview-Reihe “Steglitz fragt … bei Autoren nach” standen bereits Rede und Antwort:  Jando, Petra van Cronenburg, Petra Röder, Nicole Sowade aka Miss Januar, Jan-Uwe Fitz aka Vergraemer, die Sachbuch-Autorin Sonya Winterberg der Berner Shooting-Star Patric Marino und Wilhelm Ruprecht Frieling, im Social Web als Prinz Rupi bekannt. Stets geht es darum, wie die befragten Autoren die Entwicklungen infolge der Digitalisierung einschätzen, welche neuen Wege sie nutzen und wo sie Chancen und Risiken sehen.

Steglitz fragt bei Michael Meisheit nach

„Letztlich helfen gegen die Vorurteile nur Geduld und Beharrlichkeit“

Michael Meisheit ist ein erprobter Autor, der seit 15 Jahren erfolgreich Drehbücher für die populäre Fernsehserie „Lindenstraße“ schreibt, die immer sonntags um 18:50 Uhr im Ersten läuft. Obwohl er als ihr Autor bekannt und im Mediengeschäft erfahren ist, entschied er sich, seinen Roman Soap in Eigenregie zu veröffentlichen. Soap, dachte ich bei mir als wir uns kennenlernten, so gar nicht meine Kragenweite …

© Michael Meisheit

stolz aufs Werk © Michael Meisheit

Dann hat mich die Geschichte vom Filmstudenten Lukas doch gepackt, dem die Chance geboten wird, bei einer populären Soap namens „Schöneberg“ als Autor einzusteigen. Er stolpert von einer Kuriosität zur nächsten, tritt von einem Fettnäpfchen ins andere, hangelt sich von Schlappe zu Schlappe und ahnt nicht, dass da einer im Hintergrund geschickt die Strippen zieht. Keine Frage, Meisheit kennt das Unterhaltungssujet aus dem FF.  Darüber hinaus beeindruckte mich die Genese des Debüts, die der Autor auf seinem Blog von Anbeginn dokumentiert hat. Nachdem ich mich eingehender mit der Entstehungsgeschichte des Romans und Meisheits Entschluss beschäftigt hatte, unter die Indie-Autoren zu gehen, habe mich gefragt, ob Soap nicht sogar auch ein Lehrstück für Selfpublisher ist. Nachzulesen ist das hier.

Seit Erscheinen des Romandebüts sind nunmehr sechs Wochen vergangenen. Mir scheint die Zeit reif, den frisch gebackenen Selbstverleger nach seinen Erfahrungen zu befragen. Heute möchte ich u.a. von ihm wissen, wie er Chancen und Risiken bezüglich Selfpublishing einschätzt, warum er sich für CreateSpace entschieden, welche Erfahrungen er damit gemacht hat und wie er mit Vorurteilen gegen Autoren umgeht, die ihre Publikationen in Eigenregie auf den Markt bringen.

Was hat dich bewogen, dein Debüt „Soap“ in Eigenregie durchzuziehen?

Seit längerem rede ich davon, dass das Internet für Kreative völlig neue Möglichkeiten eröffnet, die noch viel zu wenig genutzt werden. Die Stichworte sind Transmedia, Unabhängigkeit, Interaktivität, Arbeiten mit der „Crowd“. Im Sommer diesen Jahres war dann endlich etwas zeitlicher Freiraum in Sicht, so dass ich mir gesagt habe: Dann mach doch jetzt auch mal! Nun hatte ich ein altes Manuskript – „Soap“ – in den Untiefen meiner Word-Ordner schlummern. Ein vorhandener Text – den ich zweifelsohne liebte, aber nicht erst schreiben musste – war perfekt für einen ersten Gehversuch auf den neuen Wegen, fürs Ausprobieren, fürs Experimentieren.

Welche Vorteile hast du dir von deiner Entscheidung versprochen?

Die Vorteile waren diffus. Es ging vor allem um neue Erkenntnisse, um Dazulernen in jeglicher Hinsicht. Aber auch sehr viel darum, bei der kreativen Arbeit komplett mein eigener Herr sein zu können. Nach Jahren in den Mühlen der Unterhaltungsindustrie war die Aussicht auf ein Schaffen ohne Kompromisse, enge Rahmenbedingungen und kurzsichtige Gegenüber traumhaft.

Wie schätzt du die Entwicklung in Richtung Selfpublishing generell ein?

Ich finde sie großartig. Natürlich ist das für alle erst einmal unübersichtlich und verwirrend. Manchen macht es Angst, manche sind genervt. Aber ich kann mir für einen kreativen Menschen keine bessere Situation vorstellen, als am Anfang einer neuen, umwälzenden Entwicklung dabei zu sein. Es gibt noch keine ausgetretenen Pfade, keine Erbhöfe, kein „das haben wir schon immer so gemacht“. Natürlich wird das Rad nicht neu erfunden – ein Buch ist ein Buch – aber es kommen neue Formen, neue Mitspieler, neue Wege dazu. Für mich ist das erst einmal positiv.

Wo verortest du Risiken?

Ich sehe ein wenig die Gefahr, dass die Leser nicht richtig mitgenommen werden. Dass es in solch einer Umbruchphase Reibungsverluste gibt, ist naheliegend und wird sich nicht verhindern lassen. Aber wenn sich allgemein der Eindruck durchsetzt, Selfpublishing macht alles nur kompliziert, anstrengend und führt letztlich nicht zu interessanten Publikationen, dann wird man lange brauchen, um das in der breiten Öffentlichkeit wieder aufzubrechen. Die Flut von in jeglicher Hinsicht schlechten Texten und fehlende Mechanismen, um diese auszusortieren, ist ein Problem. Das teilweise aggressive und unlautere Auftreten einiger Selfpublisher ein weiteres. Es wird darauf ankommen, wie die Autoren-Gemeinschaft damit umgeht. Und darauf, dass Wege entstehen, durch die sich die Spreu vom Weizen trennt.

Wo machst du in diesem Kontext besondere Chancen aus?

Es besteht die ernsthafte Chance, dass großartige, unterhaltsame oder außergewöhnliche Publikationen entstehen, die nicht den Marktgesetzen gehorchen. Und es besteht die Chance, das kleine, besondere Texte, die vielleicht nur wenige Menschen ansprechen – aber diese umso mehr – das Licht der Welt erblicken. Kein anderes Medium als das Internet bringt spezielle Interessen so zusammen. Jeder kann etwas finden. Und es wird sich dann auch lohnen, „nur“ für eine paar Leute etwas zu schreiben.

Gegen Indie-Autor gibt es gewisse Vorbehalte. Wie gehst du damit um?

Im Moment amüsieren sie mich noch. Ja, was mache ich denn bloß, wenn mich dann doch mal ein „echter Verlag“ verlegen will? Denn das ist nach wie vor die häufigste Frage, die ich zu hören bekomme. Dass ich gerne und freiwillig diesen Weg gehe, erscheint vielen noch nicht denkbar. Auch dass man als Selfpublisher manchmal etwas herablassend in die Kategorie „schreibende Hausfrau“ eingeordnet wird – am Besten noch von Leuten, die „Harry Potter“ verschlungen haben – entbehrt auch nicht einer gewissen Komik. Aber dass einem dadurch bei klassischen Medien oder auch in bestimmten Internetbereichen der Weg versperrt bleibt, nervt schon. Letztlich helfen gegen die Vorurteile nur Geduld und Beharrlichkeit.

Warum hast du dich für den Weg über CreateSpace entschieden?

Cover Soap

Liebe, Intrigen, Verrat …

Das ist einfach: Es rechnete sich. CreateSpace hat mir mit Abstand das beste Angebot für mein Taschenbuch gemacht. Ich konnte es für 9.90 Euro verkaufen und mit mehr als zwei Euro enorm daran verdienen. Anderswo hätte ich mindestens 15 Euro, meist sogar noch mehr verlangen müssen – und hätte nicht einmal groß etwas daran verdient. Ohne CreateSpace hätte ich vielleicht erst einmal sogar nur ein eBook herausgegeben, denn mehr als 10 Euro wollte ich für „Soap“ nicht verlangen.

Wie waren deine Erfahrungen beim Prozedere?

Es hilft sicherlich, wenn man des Englischen mächtig ist. Dass die CreateSpace-Seite noch nicht auf Deutsch vorhanden ist, dürfte auch abschrecken. Nimmt man aber einen der vielen Ratgeber zur Hilfe und ist man in der Lage, Fragen in Foren beantwortet zu bekommen, ist das Ganze wirklich ein Kinderspiel.

Hattest du spezielle du Hürden zu nehmen?

Das Veröffentlichen mit CreateSpace selbst war wirklich kein Problem. Unterschätzt hatte ich eher den ganzen Prozess des „Setzens“. Also dass der Text auch nach inhaltlicher Ausarbeitung und mehrfachem Gegenlesen noch lange nicht fertig war – ich sag nur Schusterjungen und Hurenkinder. Dafür hatte ich definitiv zu wenig Zeit eingeplant, die aber CreateSpace locker rausholte, indem das Buch quasi über Nacht bei Amazon reingestellt wurde – und es nicht wie vielerorts angekündigt eine Woche dafür brauchte.

War der Support ausreichend?

Viel Support direkt von CreateSpace habe ich nicht benötigt. Die Website gab alles her, was ich brauchte – vor allem mit der exzellenten Vorschau. Allerdings weiß ich nicht, wie es ist, wenn man auf Probleme stößt und mal mit einem Menschen reden möchte. Kurios finde ich nach wie vor, dass meine Autorenexemplare nicht – wie die Verkaufsexemplare – von Amazon Leipzig kommen, sondern aus den USA. Dadurch hat man sehr unwägbare Lieferzeiten und unter Umständen Probleme mit dem Zoll. Daran muss CreateSpace für den deutschen Markt sicherlich noch etwas tun.

Bist du mit den Ergebnissen zufrieden?

Sehr. Für die geringen Kosten, die der Druck macht, und dafür, dass ich ohne direkte professionelle Begleitung alles zusammengebastelt habe, kann sich das fertige Buch wirklich sehen lassen. Die meisten Leute sehen keinen Unterschied zu einer Verlagspublikation. Das einzige Problem, auf das ich bisher gestoßen bin, sind mögliche Unterschiede zwischen den einzelnen Exemplaren. Ich hatte schon leichte Farbabweichungen beim Cover. Und einige Leute hatten eine extrem feste Bindung bei ihrem Buch. Man kann also nie sicher sein, dass das nächste Buch auch wieder so schön ist wie das letzte. Und die „amerikanischen“ Bücher haben etwas schöneres Papier – minimal dicker und „cremiger“. Das würde ich mir auch für die Leipziger Bücher wünsche.

In Teil 2 des Gesprächs erfahren wir u.a., weshalb Michael Meisheit mit eBook und der gedruckten Version von „Soap“ zweigleisig fährt, warum er auf den Platzhirschen Amazon setzt und welche Lehren er aus seinen bisherigen Erfahrungen als Selbstverleger zieht. – Freundlicherweise stellte Michael mir einige Leseexemplare zur Verfügung. Wer sich für das Debüt in Eigenregie interessiert und „Soap“ besprechen möchte, möge sich bei mir melden.

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In der losen Interview-Reihe “Steglitz fragt … bei Autoren nach” standen bereits Rede und Antwort:  Jando, Petra van Cronenburg, Petra Röder, Nicole Sowade aka Miss Januar, Jan-Uwe Fitz aka Vergraemer, die Sachbuch-Autorin Sonya Winterberg der Berner Shooting-Star Patric Marino und Wilhelm Ruprecht Frieling, im Social Web als Prinz Rupi bekannt. Stets geht es darum, wie die befragten Autoren die Entwicklungen infolge der Digitalisierung einschätzen, welche neuen Wege sie nutzen und wo sie Chancen und Risiken sehen.

Die Gesellschaft bekommt jene Bücher, die sie verdient. – Ein Gastbeitrag zum Thema Self Publishing von Richard K. Breuer

Der Beitrag, wie buchaffine Blogger zu Publikationen von Self Publishern stehen, trieb um. Kolportieren Blogger Vorurteile und Klischees? Wieso existieren Berührungsängste? Ist nur das Gold, wofür eingeführte Verlage stehen? Woher dieses Geschmäckle, das Selbstverlegtem anheftet? Braucht es ein Gütesiegel?

Aufgeworfen in den Kommentaren wurde allerdings auch die Frage, wie Indie-, Hybrid-Autoren und autonome Verleger mit Hürden und Vorbehalten umgehen. – Das wollte ich ein wenig genauer wissen. Nun freue ich mich sehr darüber, dass Richard K. Breuer, Eigenverleger, Autor und Blogger, seine Überlegungen zum Thema Self Publishing hier mit uns teilt. Seine Darlegungen eröffnen (in freier Übersetzung) ein Zitat von Neil Postman; es stammt aus dessen Eröffnungsrede zur Frankfurter Buchmesse 1984:

„Was Orwell fürchtete, war der Moment, wo Bücher verboten werden würden. Was Huxley fürchtete, war der Moment, wo es keinen Grund mehr geben würde, überhaupt Bücher zu verbieten, weil es niemanden mehr gäbe, der sie lesen hätte wollen.“ („What Orwell feared were those who would ban books. What Huxley feared was that there would be no reason to ban a book, for there would be no one who wanted to read one.“)

Nun aber zu Richard, dem ich herzlich danke sage!

Richard K. Breuer © Laurent Ziegler

„Es ist nicht leicht, einen Beitrag zum Thema Self Publishing zu schreiben. Nicht, weil ich nichts zu sagen hätte. Ganz im Gegenteil. Vielmehr deshalb, weil ich als Eigenverleger immer in den Verdacht gerate, mich und meine Bücher in den Vordergrund zu stellen. Es bleibt somit dem Leser an dieser Stelle überlassen, ob er den Beitrag als „Eigenwerbung“ abtut oder als Möglichkeit wahrnimmt, sich über die Gegebenheiten des Verlagswesens zu informieren. Freilich, ich bin kein Insider, eher ein Zaungast oder – wie man dem Eigenverleger gerne unterstellt – der Nichteingeladene einer fetzigen Party. Kommen wir gleich mal zu meinen Überlegungen. Sie sind freilich nicht vollständig, sollten aber als Diskussionsgrundlage dienlich sein.

*

Ein self publisher wird vor allem dann wahrgenommen,

wenn er den Zahlen- und Geldfetisch der Gesellschaft befriedigt,

wenn er es schafft, von den Mainstream-Medien akzeptiert zu werden,

wenn er bereits eine renommierte Marke ist (Celebrity-Cult),

wenn er bereit ist, viel Geld für Werbung und Marketing in die Hand zu nehmen,

wenn er Teil einer verschworenen Community ist,

wenn er den Schein aufrechterhält, mit seinen Büchern erfolgreich zu sein,

wenn er zum „Geheimtipp“ avanciert und es hip ist, „Außenseiterliteratur“ zu lesen.

.

Ein self publisher wird vor allem dann kommerziell erfolgreich sein können,

wenn er sich der Ratgeberliteratur zuwendet,

wenn er sich der Feel-good-Literatur zuwendet,

wenn er sich dem Sachbuchbereich zuwendet,

wenn er ein „herzeigbarer Selfmademan“ ist,

wenn er ein großes persönlich-familiäres Netzwerk um sich hat,

wenn er eine gesellschaftliche Nische bedient,

wenn er eine noch nicht ausgereizte Subkultur bedient,

wenn er den Schein aufrechterhält, in einem Bereich ein Experte/Meister zu sein,

wenn er bereit ist, den Wert eines Kleinwagens in sein Projekt zu investieren,

wenn er zumindest seinen Text einem Korrektorat angedeihen lässt,

wenn er den Umschlag nach professionellen Gesichtspunkten herstellt.

.

Ein self publisher wird kommerziell erfolglos sein,

wenn er sein Augenmerk nur auf den belletristischen Bereich legt,

wenn er den Fokus auf Qualität legt, die der gewöhnliche Leser nicht bemerken kann,

wenn er mit den Produkten von Verlagshäusern in Konkurrenz steht,

wenn er intensivst die Social Media Kanäle bespielt und dabei unpersönlich wird,

wenn er nicht den Schein aufrechterhalten kann, mit seinen Büchern erfolgreich zu sein,

wenn er stupide dem traditionellen Verlagswesen hinterherhechelt,

wenn er mit dem traditionellen Verlagswesen aneckt.

.

Ein self publisher wird innerlich erfolgreich sein,

wenn er einer „inneren Stimme“ folgt bzw. einen Musenkuss hatte,

wenn er das Maximum aus den Gegebenheiten herausholte,

wenn er neue Wege ausprobiert,

wenn er sich von äußeren Umwelteinflüssen nicht kleinkriegen lässt,

wenn er stetig dazulernt,

wenn er nicht aufgibt,

wenn er sein schlimmster Kritiker bleibt,

wenn er zumindest einen Leser gewinnen konnte,

wenn er sich nicht dem Geld- und Zahlenfetisch ausliefert.

*

Das traditionelle Verlagswesen, so lesen wir, kämpft ums Überleben und um Marktanteile. So mag es nicht verwundern, wenn die größten Verlags- und Medienhäuser fusionieren. In der zweiten Hälfte des Jahres 2013 soll Random House mit Penguin Books verschmelzen. Wenn man sich ansieht, welch internationales Medienkonglomerat die Muttergesellschaft von Random House ist, kann einem schon recht schwindlig werden, ob der Zahlen und Ziffern. Fakt ist aber, dass Self Publishing einer der am schnellsten wachsenden Sektoren im Verlagswesen ist. In den USA wurden 2010 etwa 133.000 Titel im Eigenverlag publiziert. Ein Jahr später waren es bereits 211.000 Titel. Es ist somit nur folgerichtig, dass die großen Verlagshäuser auf diesen Zug aufspringen und Self-Publishing-Portale übernehmen. Ob das am Ende gut oder schlecht für den Self Publishing Bereich ausgeht, ist nicht vorherzusehen. Die Geschichte lehrt uns, dass Konzerne eine Konkurrenz, die im Wachsen ist, übernehmen, um sie dann in ihrem Sinne zu formen. Beispielhaft sei hier die „General Motors streetcar conspiracy“ erwähnt.

Ein Bestseller wird gemacht und kostet einen Verlag viel Geld. Das wusste schon Italo Calvino, als er in den 1960ern Jahren nach New York eingeladen wurde und dort bemerkte, dass der amerikanische Verlag für sein neues Buch einen Werbeetat von gerade einmal 4.000 Dollar (nach heutigem Geldwert) veranschlagte. Calvino war entsetzt und meinte, dass man mindesten 4 Millionen Dollar locker machen müsste, um auf dem Markt etwas bewegen zu können. Deprimiert stellte er fest, dass sich die großen Verlage in den USA vorrangig um ihre Bestseller kümmern und ihnen gar nichts daran läge, ein Buch auf dem Markt „durchzusetzen“. [Quelle: Italo Calvino, Eremit in Paris, Autobiographische Blätter, München 2000, S. 34]

Wir sehen, ohne dass ich es wollte, bin ich bereits beim lieben Geld angelangt. Am Ende, das mag jetzt keine große Neuigkeit sein, dreht sich alles ums Geld. Auch wenn das Verlagswesen so tut, als würde es um die schöne Literatur gehen, Fakt bleibt, dass jedes Unternehmen gezwungen ist, profitabel zu sein – ansonsten würde es vom Markt verschwinden. Das Buch wird zum „Non-Food“-Produkt. Gewiss, manch kleine und mittlere Verlagshäuser sehen im Buch noch immer ein kulturelles Erbe, das erhalten werden soll. Es ist interessant zu beobachten, wie sich diese Verlage gegen Self Publisher abgrenzen und zur Wehr setzen, während sie von den Verlagskonzernen und dem Handel an die Wand gefahren werden. Die Frage, die ich mir hin und wieder stelle, scheint mir berechtigt: Worin liegt der Unterschied zwischen einem engagierten Kleinverlag, der eine Hand voll Mitarbeiter beschäftigt und einem Eigenverleger? Beiden ist gemein, dass sie dem „Produkt“ Buch eine sehr persönliche Note geben und voller Hingabe und Leidenschaft zu Werke gehen. Dass diese persönliche Note, diese Leidenschaft, im grauen Alltag des Wirtschaftslebens untergeht, wo am Ende des Tages die Kassa stimmen muss, dürfte hinlänglich bekannt sein.

Es ist weder der literarische Wert noch die Qualität des Produktes, die im Verlagswesen zählen, sondern die Quantität. Jetzt wird es persönlich. Wie oft werde ich gefragt, ob ich von meinen selbst verlegten Büchern leben könne. Wie oft werde ich gefragt, wie viele Bücher ich denn so in der Woche/im Monat/im Jahr/insgesamt verkaufe bzw. verkauft habe. Immer geht es zu aller erst um Zahlen. Meine Antworten bleiben vage und unbestimmt. Das hat den Grund, weil ich weiß, dass meine „Verkaufszahlen“ in den Ohren des Fragestellers immer zu gering sind. Ich weiß auch, dass ich dadurch im „Geschäftswert“ sinke. Würde ich also täglich tausende Stück meiner Bücher verkaufen, es würden sich eine Vielzahl an Medien- und Geschäftsleuten und Bewunderern einstellen. Ich glaube, dass dieser Zahlen- und Geldfetisch mit der Amerikanisierung des europäischen Kontinents zu tun hat. Es war ein Wiener Dichter, der in den 1830ern in die USA auswanderte, aber es keine zwei Jahre dort aushielt. Er stellte mit Abscheu fest, dass es dem geschäftigen Amerikaner nur um „Dollars ginge“. [Lenau’s Leben, Großentheils aus des Dichters eigenen Briefen von seinem Schwestermanne Anton X. Schurz. Erster Band. J. G. Cotta’scher Verlag, Stuttgart/Augsburg 1855, S. 196ff]

Aber was immer der Grund für diesen Zahlen- und Geldfetisch auch sein mag, er hat Besitz vom Menschen genommen. Das Verlagswesen und ihre „Produkte“ sind nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Frei nach dem Motto: Die Gesellschaft bekommt jene Bücher, die sie verdient.

Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass ein freiwilliges Zusammenspiel zwischen self-publishing-Autoren auf der einen Seite und „privaten Buchherstellern“ auf der anderen Seite entsteht. Mit anderen Worten, es würden sich Lektoren, Grafiker, Testleser, Marketing- und Medienleute finden, die in ihrer Freizeit gemeinsam Bücher herstellen und dabei dem kommerziellen Aspekt nur eine geringe Bedeutung beimessen. Es wäre demnach die Demokratisierung des Verlagswesens. Die Möglichkeiten dazu sind heutzutage längst gegeben, es braucht nur noch die Bereitschaft jedes Einzelnen, seinen Teil zu diesem Projekt beizutragen. Ich sage es deshalb, weil ich in den letzten Jahren bemerkt habe, wie einseitig und unausgewogen der Mainstream-Medien-Apparat und die großen Verlagshäuser die Welt „befruchten“. Von diesen dürfen sich die Bürger keine „zweite Aufklärung“ erhoffen. Deshalb schließe ich mit einem Zitat von Pulitzer-Preisträger und ehemaligen New York Times Korrespondenten Chris Hedges:

„Der Sinn von ‚Brot und Spiele‘ ist jener, wie Neil Postman in seinem Buch Amusing Ourselves to Death sagt, abzulenken, emotionale Energie auf das Absurde und Triviale und Spektakuläre zu lenken, während man rücksichtslos seiner Rechte beraubt wird. Ich habe mich gefragt: Hat Huxley recht oder hat Orwell recht? Es stellt sich heraus, dass sie beide recht haben.“ („The purpose of bread and circuses is, as Neil Postman said in his book Amusing Ourselves to Death, to distract, to divert emotional energy towards the absurd and the trivial and the spectacle while you are ruthlessly stripped of power. I used to wonder: Is Huxley right or is Orwell right? It turns out they’re both right“, übersetzt nach: David Barsamian, Interview with Chris Hedges, in: The Progressive Ausgabe August 2011, online abrufbar.“)

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Richard K. Breuer lebt und arbeitet in Wien. Wirtschaftlich geprägte Schulausbildung. Verschiedene Jobs im Banken- und Softwarebereich. Seit 2003 freiberuflicher Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor, Designer, Blogger und Verschwörungstheoretiker. Absolvent des zweisemestrigen Verleger-Semi­nars in Kooperation mit der Universität Wien bei Prof. Mazakarini. Verleger seit 2008.

Veröffentlichungen: Die Liebesnacht des Dichters Tiret (2008), Rotkäppchen 2069 (2008), Schwarzkopf (2009), Brouillé (2010), Madeleine (2012). Autor der Woche (ORF Radio NÖ). Die Krimikomödie Schwarzkopf wurde in der Leipziger Volkszeitung und Falter Buchbeilage besprochen. Das Magazin hörBücher vergab in der Ausgabe 4/11 für Schwarzkopf die höchste Benotung („grandios“).

Dr. Scherr vom Wiener Literaturhaus attestiert dem Eigenverlag im öster. Börsenblatt 1/10 eine „beeindruckende Professionalität“ und meint: „So mancher Kleinverleger könnte sich hier die eine oder andere Anregung in puncto Marketing holen.“ Für 2012 ist das kontroversielle Sachbuch „Con$piracy“, der Tagebuchroman „Der Fetisch des Erik van der Rohe“ und „Penly“ geplant. Die veröffentlichten Bücher sind im Fachhandel als Taschenbuch bzw. im E-Book-Format erhältlich. – Mehr zu ihm auf seiner Webseite.

Steglitz fragt bei Patric Marino nach (Teil 2)

„Es gibt in der Schweiz einen Kleingeist, der verlässlich und treu, aber mit der Zeit langweilig und ermüdend ist …“

Der Berner Patric Marino fiel mir auf, weil er mit „Nonno spricht“ ein literarisches Debüt hingelegt hat, von dem Nachwuchsautoren eigentlich nur träumen können. Hoppla, dachte ich mir, welche Kräfte haben da gewirkt?

Deshalb habe ich den 22-Jährigen im ersten Teil unseres Gesprächs u.a. danach befragt, wie er zu seinem Verlag fand, was er anderen jungen Autoren rät und wie ihm der frühe Ruhm bekommen ist. – Heute erfahren wir von ihm, wie man in der Schweiz die Entwicklungen infolge der Digitalisierung einschätzt, welchen Stellenwert das eBook dort hat, ob Self-Publishing angesagt ist und inwieweit Social Media-Marketingmaßnahmen auch für Schweizer Autoren inzwischen ein Gebot der Stunde sind.

Was treibt dich im Schweizer Literaturbetrieb besonders um?

Patric Marino © Textkiosk / T. Schlup

Egal, wohin es mich im Literaturbetrieb treibt, an welches Festival, welche Lesung, welches Apéro – ich treffe immer die gleichen Leute, Autoren wie Zuhörer. Ich schlage die Zeitung auf und lese eine Kolumne vom Herrn Schriftsteller, ich mache das Radio an und höre ein Gespräch mit dem gleichen Herrn Schriftsteller. Es gibt in der Schweiz einen Kleingeist, der verlässlich und treu, aber mit der Zeit langweilig und ermüdend ist, und manchmal fürchte ich, auch zu einem solchen Geist zu werden.

Wo verortest du im Vergleich zum deutschen Betrieb besondere Unterschiede?

Für mich ist das schwer zu vergleichen, da ich den deutschen Literaturbetrieb kaum kenne. In der Schweiz sind Autoren und Literaturvermittler eine Familie, man kennt sich. In Deutschland kann ich mir das so nicht vorstellen. Diese Überschaubarkeit gilt nicht nur für Bekanntschaften, sondern auch für die Bekanntheit. Die Schweiz ist ein kleiner Markt, um wieder dieses Bild aufzunehmen, und jede Woche stehen da die gleichen Händler mit ihren Ständen an vorgemerkten Plätzen und mit abgesprochenen Preisen.

Welchen Stellenwert hat das eBook bei euch?

In einer großen Buchhandlung in Bern steht, dass eBooks weg gingen wie warme Brötchen und sie deshalb ausverkauft seien, doch ich sehe selten bis nie jemanden mit einem eBook. Vielleicht trauen sich die Leute nicht, sich im öffentlichen Raum mit ihrem E-Reader zu zeigen. Das zeigt, wie tief der Stellenwert bei uns ist.

Wie hältst du es persönlich mit dem eBook?

Ich lese kein eBook. Wenn einer zwei fette Krimis pro Woche liest und sie dann in die Tonne schmeißt, soll er sie besser als eBook lesen. Ich bin ein anderer Lesetyp, ich lese weniger, sinnlicher, und möchte auch mal eine Passage mit Bleistift unterstreichen.

Meinst du, dass dem eBook die Zukunft gehört?

So wie alle neuen Medien sich einen Platz geschaffen haben, wird sich auch das eBook einen Platz schaffen, aber neben dem Buch. Wer so liest wie ich, wird dies weiterhin mit Büchern machen, die er anfassen kann. Für Vielleser oder auch zum Lesen von Zeitschriften oder kürzeren Texten wird der E-Reader oder ein Tablet stärker zum Thema werden. Dazu muss es sich aber erst weiter verbreiten und die digitalen Texte deutlich billiger als die gedruckten sein. Das eBook darf nicht versuchen, das Buch zu ersetzen. Das wird es nie.

Hierzulande wenden sich Autoren immer öfter von den traditionellen Wegen ab, um Publikationen in Eigenregie zu verlegen. Ist diese Entwicklung in der Schweiz ebenfalls absehbar, womöglich bereits angesagt?

Es gibt auch in der Schweiz Bezahlverlage, Books on Demand oder im Eigenverlag herausgegebene Bücher. Ich selbst kenne keine Autoren, die das machen, weder persönlich noch durch Medienberichte, da selbst verlegte Bücher schlichtweg ignoriert werden. Neben den wenigen großen Verlagen gibt es viele Kleinverlage, die auch mal kleinere Werke von großen Schriftstellern herausgeben dürfen. In Eigenregie zu publizieren ist für etablierte Autoren aber unvorstellbar.

Wäre Self-Publishing für dich eine Option?

Nein. Wenn ich ein Buch an die Öffentlichkeit bringe, dann möchte ich, dass es im Buchhandel erhältlich ist und den Lesern vermittelt wird. Mit Self-Publishing wäre dies nicht möglich. Wenn ich hingegen ein Buch für meine Freunde und Familie schreiben würde, kann ich fünfzig Exemplare drucken und sie verschenken.

Wo machst du Chancen und Risiken aus?

Das Geschenkbuch könnte ich selbst gestalten und von Hand herstellen, aber damit sind wir bereits beim ersten Problem: Es gibt unglaublich viel Aufwand, der nicht mit dem Schreiben zu tun hat. Beitragsgesuche, Lektorat, Druckkosten, Pressearbeit, all diese Dinge muss man selbst machen oder bezahlen. Deshalb wird das bei selbst publizierten Büchern häufig nicht gemacht, was für ihre Qualität verheerend ist.

In Deutschland ist es inzwischen üblich, dass Verlagsautoren ihr Buchmarketing selbst in die Hand nehmen (müssen). Zeichnet sich diese Entwicklung auch in der Schweiz ab?

Ja, man hilft beim Marketing so viel wie möglich. Viele Medienanfragen richten sich nicht an den Verlag, sondern an den Autoren. Häufig bringen Autoren auch selbst Kontakte zu Kritikern oder Veranstaltern mit und nutzen diese für ihr Marketing. Der administrative Teil des Marketings sollte aber weiterhin vom Verlag erledigt werden, sodass sich der Autor auf den produktiven Teil, also auf Interviews, Lesungen oder Textbeiträge konzentrieren kann.

Was tust du für dein Buchmarketing?

Ich stelle mich deinen Fragen, gehe mit meinem Buch auf Lesetournee, nenne es unter sonstigen öffentlichen Texten oder bei Auftritten und beantworte die meisten Presseanfragen. Wenn wir bei Festivals auf unseren Schreibmaschinen Geschichten nach Wunsch schreiben, dann stelle ich immer einen Stapel Bücher auf, damit die Leute sehen, was wir sonst noch machen, und meistens gehe ich mit leeren Rucksack heim.

Social Media-Marketingmaßnahmen scheinen inzwischen für Autoren ein Gebot der Stunde. Wie stehst du dazu?

Ich finde es wichtig, auf verschiedenen Kanälen präsent und ansprechbar zu sein, gerade für jüngere Leser. Deshalb habe ich eine Homepage und bin bei Facebook. Ich nutze sie aber weder als Privatperson noch als Schriftsteller, sondern eher als Veranstalter, indem ich Medienberichte verlinke oder Veranstaltungen eintrage. Sonstige Werbung, Privatfotos oder Tagebücher mag ich dort nicht veröffentlichen.

Welche Chancen und Risiken verortest du im Social Web?

Die größte Chance liegt darin, dass ich direkt mein Publikum erreichen und mit ihm kommunizieren kann, und dass ich in meinen Beiträgen völlig frei bin. Darin sehe ich aber auch die Gefahr, dass man sich im Social Web verliert, dass ich auf Facebook mehr schreibe als in den achtzig Seiten meines Buches. Ich brauche Soziale Medien, damit die Leute mein Buch finden und lesen, nicht damit sie meine Beiträge anklicken. Darum habe ich aufgeschrieben, wie ich mit meinen Nonni Tomaten trockne, sonst hätte ich auch einfach meine Ferienfotos auf Facebook stellen können und fertig.

Ich danke dir, Patric, auch für den spannenden Einblick in den Schweizer Literaturbetrieb! Und wünsche deinem Erstling „Nonno spricht“ sehr, dass er auch hierzulande Leser und Anerkennung findet.