Best of: Verlagsabsagen – Das Problem mit den Socken

Verlagsabsagen können einen heftig vor den Kopf stoßen; sie sind aber längst kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Nehmen wir zum Beispiel Thorsten Nesch, der mit seinem vergnüglichen Drei-Teiler „Von Musterabsagen und Meisterabsagen“ hier einen Anfang für eine kleine Blütenlese „Best of: Verlagsabsagen“ gemacht hat. Wie andere auch nahm er die Absagen sportlich und jene seiner Publikationen in die eigene Hand, die Verlage nicht verlegen mochten.

Nikola Hahn – die das Procedere heute aus der Sicht jener betrachtet, die abschlägige Bescheide verschicken – ließ sich ebenfalls nicht unterkriegen. Vielmehr nahm sie die Absage eines Verlages sogar zum Anlass, um einen eigenen Verlag zu gründen – und zwar einen Verlag ohne Bücher! Unter dem Leitgedanken „Lieber Autor, ich bedauere, aber Bücher passen leider nicht in unserer Verlagsprogramm! Mit vielen Grüßen Ihr Verleger“ ging Thoni – der Verlag ohne Bücher im September 2011 bei blog.de und blogspot.com als interaktives Schreibprojekt an den Start. – Und ich empfehle Euch, dort zu stöbern und zu lesen.

Hinter dem Kabinettstücken stand die Idee, den Umbrüchen in der Buchbranche mit Hilfe eines Personenensembles ein Gesicht zu geben. Die abgefahrene Geschichte rund um einen Verleger namens DER VERLEGER, die eigentlich nichts anderes als eine Hommage an das Buch und das Lesen ist, beendete Nikola nach sieben Monaten. Und  zwar deshalb, um nun den Thoni Verlag mit Büchern zu gründen. Das erste Programm auf Papier und als E-Book stand im Oktober 2012 auf eigenen Beinen: Bücher & Kunst von Nikola Hahn. – Ich sage Nikola danke für ihren Beitrag und Petra Samani für zwei Paar Socken via Twitter.

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Das Problem mit den Socken. Oder: Von der Schwierigkeit ein Manuskript loszuwerden

Am Anfang aller Träume steht eine Idee – die Idee, zur schreibenden Zunft zu gehören. Die Idee wird mit Begeisterung und Schaffenskraft umgesetzt und in ein mehr oder weniger umfangreiches Manuskript gegossen. Nach der ganzen Plackerei wartet schließlich der Erfolg: die Veröffentlichung des Werkes, Anerkennung, Lob und bare Münze. Denkt man.

Spätestens, wenn der Postmann zum zehnten Mal klingelt und dem angehenden Bestsellerautor sein hoffnungsfroh verschicktes Päckchen wieder in die Hand drückt, verwandeln sich die rosarotesten Träume in schwarze Gewitterwolken, die sich je nach Mentalität des verkannten Autors oder der verkannten Autorin in Tränenausbrüchen, Wutanfällen, Depressionsschüben oder Selbstzweifeln entladen.

Absagebriefe von Verlagen sind eine Kollektiverfahrung angehender Schriftsteller und ein empfindlicher Schlag in ihr Inneres, mit dem sie erst einmal fertig werden müssen. Dass diese Schreiben im Computerzeitalter in über 90% der Fälle genormte Massenprodukte sind, die sich bestenfalls im Briefkopf des absendenden Verlages unterscheiden, erhöht ihre Folterwirkung auf die Seele eines Schreiberlings eher, als dass es sie mindert, denn ein Manuskript, an dem man mit aller Kraft Monate oder sogar Jahre gearbeitet hat, mit einem nichtssagenden Formbrief zurückzubekommen, muss als Missachtung verstanden werden. Denkt man.

Spätestens, wenn sich die Gelegenheit ergibt, mit Leuten zu reden, die „auf der anderen Seite“ stehen, kommen Zweifel. Aber wie macht man die jemandem verständlich, der schon das zweite oder dritte Dutzend Absagebriefe in der Hand hält und immer noch nicht weiß, warum sein Manuskript wirklich abgelehnt wurde? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, über so ein emotional belastetes Thema objektiv zu sprechen? Ich glaube, ja. Und zwar dann, wenn es gelingt, in Büchern das zu sehen, was sie sind: Verkaufsartikel, die wie alle anderen Waren den Gesetzen der Marktwirtschaft umso mehr unterliegen, je höher der Anspruch ist, von vielen gelesen zu werden. Also legen wir das von Träumen, Wünschen und Mystifikation umgebene Produkt Buch zur Seite und betrachten uns die Regeln dieses nüchternen Marktes an einem weniger emotionsgeladenen Artikel: Nehmen wir einfach an, wir wollten statt Bücher Socken verkaufen!

selbstgestrickt © Petra Samani

selbstgestrickt © Petra Samani

Am Anfang steht die Idee, für meine Familie oder für mich ein Paar Socken zu stricken. Irgendwann hat man das Stricken schließlich gelernt, zwei rechts, zwei links! Also wird die Idee mit Begeisterung und Schaffenskraft umgesetzt, und meine Lieben werden mit Ringelsöckchen in ihren Lieblingsfarben beglückt. Sie sind begeistert (oder trauen sich nicht, es nicht zu sein) und ermuntern mich selbstverständlich dazu, weiterzumachen. Schließlich ist es heutzutage eine Seltenheit, dass jemand selber strickt! Das Lob ist Balsam für mein Selbstwertgefühl, und ich überlege, ob sich nicht auch andere Menschen für meine Söckchen begeistern könnten. Ich fange an, mich mit Socken generell zu beschäftigen und stelle Vergleiche an. Ich gehe ins Kaufhaus und schüttele den Kopf über die Massenware, die dort ausliegt und die überhaupt keinen Vergleich mit meinen Söckchen aushalten kann.

Schließlich komme ich zu dem Schluss, dass sich alle Welt auf meine Söckchen stürzen würde, wenn sie denn wüsste, dass es sie gäbe. Ich nehme also die zehn schönsten, verpacke sie sorgfältig und schicke sie an die Söckchenverkaufsleiter großer Kaufhäuser. Selbstverständlich bin ich überzeugt, dass mindestens acht davon schon beim Auspacken so begeistert sein werden, dass sie sofort mit mir ins Geschäft kommen wollen.

Machen wir an dieser Stelle einen kleinen Schnitt und schlüpfen in die Haut eines langjährig verantwortlichen Verkaufsleiters für den Söckchenstand im Kaufhaus X. Er hat seine Stammkunden und weiß genau, was sie gerne kaufen. Danach richtet er seine Kollektion aus, und er fährt nicht schlecht damit. Wenn er sehr engagiert ist, was wir einmal unterstellen, wird er sich für alles interessieren, was mit dem Söckchenmarkt zusammenhängt und sich selbstverständlich auch über aktuelle Trends informieren und neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen sein.

Nun liefert ihm der Postbote jeden Tag zusätzlich zu seiner umfangreichen Geschäftspost zwischen fünf und zehn Päckchen von Leuten, die gerne stricken und der Meinung sind, dass ihre Ringel-, Bett-, Wander- oder Spitzensöckchen das absolute Nonplusultra sind. Da unser Söckchenverkäufer, wie erwähnt, grundsätzlich neue Ideen gut findet, packt er selbst das zehnte Päckchen noch mit einer gewissen Neugier aus. Und was findet er vor? Grün-gelbe Ringelsöckchen, die er schon im vergangenen Jahr nicht hat verkaufen können, Söckchen mit fallengelassenen Maschen, schnell und hastig zusammengestrickt, daneben aber auch hin und wieder kleine Meisterwerke der Strickkunst, die er vielleicht sogar verkaufen könnte, wenn sie eine andere Farbe oder Größe hätten.

Eigentlich müsste unser Söckchenverkäufer nun verschiedene Briefe schreiben, in denen er den Absendern erklärt, dass ihre Waren in Stil und Qualität leider nicht dem entsprechen, was seine Kunden wünschen. Wenn er ehrlich wäre, würde er dem Ringelsöckchenstricker schreiben, dass diese Art von Socken seit Jahren kein Mensch mehr kauft. Dem mit den fallengelassenen Maschen müsste er sagen, dass er nichts vom Sockenstricken versteht und sich besser ein anderes Handwerk aussuchen sollte. Und dem dritten schließlich könnte er antworten, dass ihm seine Strickwaren zwar sehr gut gefallen, dass sie von der Form und Größe jedoch nicht in sein Sortiment passen. Aber was würde passieren, wenn unser Söckchenverkäufer sich tatsächlich dieser Mühe unterziehen würde?

Ganz abgesehen davon, dass es ihn eine ganze Menge Zeit kosten würde, an jeden persönlich zu schreiben, würde ihm der erste Söckchenstricker wohl zurückschreiben, dass es eine Anmaßung sei, zu bestimmen, welche Socken die Leute anziehen wollten und welche nicht. Schließlich gebe es unter seinen unzähligen Bekannten und Verwandten keinen einzigen Menschen, der etwas gegen grün-gelbe Ringelsöckchen einzuwenden habe, und man müsse den Leuten nur zeigen, wie schön diese Ringelsöckchen seien, um sie zum Kauf zu bewegen.

Der zweite Strickmeister würde wahrscheinlich vor Wut zum Telefonhörer greifen und unseren armen Söckchenverkäufer beschimpfen, wie er es wagen könne, seine Söckchen zu verunglimpfen. Immerhin stricke er schon seit Jahren so, es sei sein Stil. Und er lasse sich doch nicht von so einem hergelaufenen Söckchenverkäufer mangelndes Talent bescheinigen!

Und der dritte schließlich könnte auf die Idee verfallen, die wohlmeinende Absage als Aufforderung zu werten, mit seiner Gesamtkollektion persönlich zu erscheinen, um vielleicht doch noch ins Geschäft zu kommen. Unser armer Söckchenverkäufer würde also irgendwann seine Tage nur noch damit verbringen, sich mit unaufgefordert zugeschickten Söckchenpaketen und deren Absendern herumzuärgern. Weil er dem aus dem Weg gehen möchte, hat er einen Standardbrief aufgesetzt, der folgendermaßen lautet:

Sehr geehrte/r Herr/Frau Söckchenstricker(in),

haben Sie vielen Dank für die Zusendung Ihrer Strickwaren, die wir im Hinblick auf eine Vermarktung in unserem Hause gewissenhaft geprüft haben. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass unsere Kollektion bereits langfristig festgelegt ist und wir deshalb keine Möglichkeit sehen, Ihre Produkte in unser Verkaufsangebot aufzunehmen. 

Wir möchten Sie bitten, in dieser Ablehnung keine Missachtung Ihrer Arbeit sehen zu wollen. 

Für das unserem Haus entgegengebrachte Vertrauen bedanken wir uns und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

i.A. (Unterschrift)

Eine Woche später bringt mir der Postbote mein erstes von zehn Päckchen mit diesem Brief zurück. Zuerst bin ich enttäuscht. Aber dann denke ich mir, einen Ignoranten gibt es immer, und neun Chancen habe ich ja noch. Leider schwinden sie von Tag zu Tag, und mit ihnen meine gute Laune, die sich nur phasenweise hebt, wenn ich glaube, Wohlwollendes zwischen den Zeilen zu lesen:

Mit unserer Entscheidung ist kein Werturteil verbunden; es kann also durchaus sein, dass Sie bei einem anderen Söckchenverkäufer bessere Chancen für eine Vermarktung haben.

Das lässt mich meine verschmähte Söckchensammlung sofort an zehn weitere Kaufhäuser schicken.

Spätestens, wenn ich dem Postboten das Du angeboten habe, weil ich ihn öfter sehe als meinen Ehemann und die abgelehnten Söckchen vom vielen Herumschicken schon leicht angeschmuddelt sind, fange ich an zu begreifen, dass mein ganzes Tun nicht mehr ist als ein Beitrag zur Sanierung der Deutschen Post AG, und die erwähnten Gewitterwolken entladen sich. Ich male mir in aller Genüßlichkeit aus, wie ich irgendeinen Söckchenverkäufer erwürge, oder, noch besser: wie ich ihn verhöhnen werde, wenn ich eines Tages mit meinen Söckchen den Renner liefere und einer seiner Konkurrenten damit das Geschäft seines Lebens macht! Oder ich schmeiße meine Söckchen in den Müll und die Stricknadeln gleich dazu und hoffe, dass man sie in hundert Jahren wieder ausgräbt und mir post mortem die Ehre zuteil wird, der am meisten verkannte Söckchenstricker des 20. Jahrhunderts gewesen zu sein!

Einige Tage später, wenn Wut und Selbstmitleid verraucht sind, spüre ich das unbändige Verlangen, neue Söckchen zu stricken, und irgendeine kleine Stimme in meinem Kopf flüstert mir zu, dass es in der Bundesrepublik schließlich mehr als zwanzig Söckchenverkäufer gibt und ich bislang wohl ausgerechnet die dümmsten davon erwischt habe.

Spätestens, wenn ich diese Stufe erreicht habe, wird die Idee der Söckchenverkäufer, sich mit ihren wohlfeilen Standardbriefen die lästigen Söckchenstricker galant vom Hals zu halten, zum bitterbösen Bumerang. Da ich nicht weiß, warum meine Söckchen keine Gnade fanden, und das einzige, an das ich mich halten kann, nette Formulierungen sind, die mir suggerieren, dass meine Arbeit wenigstens aufmerksam geprüft wurde (also kann sie so schlecht ja auch wieder nicht sein), werde ich immer weiter meine Söckchen in alle Welt verschicken. Irgendwann muss doch mal jemand die Qualität erkennen! Das kann sich schlimmstenfalls über Jahre hinziehen und den rosarotesten Traum in den schwärzesten Alptraum verwandeln, der mich und mein ganzes Leben auf die Frage reduziert, wie es sein kann, dass in Deutschland pro Jahr Millionen mehr oder weniger mieser Söckchen verkauft werden, während meine ihr Dasein in stickigen Postkartons zubringen müssen.

Spätestens dann sollte der Punkt erreicht sein, an dem ich in meinem eigenen Interesse meine Söckchen ganz genau unter die Lupe nehme, ein paar Fragen stelle und sie auch ehrlich beantworte:

1. Gibt es außer Söckchenstricken nicht noch andere, wichtigere Ziele in meinem Leben?

2. Taugen die mit viel Liebe gestrickten, eigentlich für meine Familie gedachten Ringelsöckchen überhaupt dazu, in aller Öffentlichkeit ausgestellt zu werden?

3. Habe ich mich über verschiedene Stricktechniken nicht nur informiert, sondern diese auch genügend erprobt?

4. Sind meine Päckchen professionell gepackt gewesen?

5. Habe ich mich genügend mit den Gesichtspunkten des Verkäufers beschäftigt, der bei allem Wohlwollen seine Kalkulation nicht aus den Augen verlieren darf?

6. Bin ich bereit, notfalls etwas ganz Neues zu machen, um zum Ziel zu kommen?

7. Würde ich es akzeptieren, wenn man mich auffordern würde, wesentliche Dinge an Form und Größe zu ändern, ohne das als Angriff auf meine Person misszuverstehen?

8. Kann ich so viel Distanz zu meiner Arbeit aufbringen, um sie nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen und zu kritisieren?

Jedes „Ja“ wird mir helfen, meine Produkte besser an den Mann zu bringen und Ablehnung weniger als Beleidigung, sondern vielmehr als Aufforderung zu werten, an der Perfektion meines Handwerks zu arbeiten. Und was für Socken gut, ist, kann für Bücher allemal billig sein, oder?

© Nikola Hahn

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So Ihr ebenfalls zu der kleinen Blütenlese „Best of: Verlagsabsagen“ beitragen möchtet, nur zu. Dafür könnt Ihr die Kommentarfunktion nutzen oder mir eine eMail mit Euren Erfahrungen senden, die dann wiederum in Gänze oder in Auszügen in weitere Beiträge zum Thema einfließen könnten.

Über die Zeitpunkte des Eintreffens von Verlagsabsagen machte sich Michael Röder so seine Gedanken: Ein Bauantrag geht schneller durch!

Die formvollendete B(r)uchlandung der Pappritz. – Ein Paradebeispiel (Teil 2)

Zufällig stieß ich bei Recherchen auf das „Buch der Etikette“, das 1956 im Perlen-Verlag erschienen ist, und auf ein Fräulein Pappritz, das in der Nachkriegspresse als „Anstandsdame der Nation“ und „Hofmarschallin der guten Sitten“ viel von sich reden machte. – Ich nahm die Fährte auf, um auf eine aberwitzige Besteller-Geschichte aus dem Biedermeier der Adenauer-Ära zu stoßen. Die Rekonstruktion dokumentiere ich hier in zwei Teilen, weil sie uns auf durchaus amüsante Weise lehrt, dass die Verlage vor 57 Jahren auch nicht viel anders tickten als heute. Wohl hielten Öffentlichkeit, Politik und der Literaturbetrieb in den 50er Jahren das noch für einen Skandal, worüber sich längst keiner mehr aufregt, weil es in den Verlagen heute Standard ist.

Zu Teil 1 findet Ihr hier

Des einen Schadenfreude ist des anderen reinste Freude …

6. Auflage 1963 © gefunden bei zvab

6. Auflage 1963 © gefunden bei zvab

Schelte und Hohn über das „Buch der Etikette“ der Legationsrätin Erica Pappritz hagelte es auch aus den eigenen Reihen, nämlich aus Politik und Diplomatie. Kanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss frotzelten nicht eben galant über das Ungeschick ihrer Anstandsdame. Die damals 37-jährige SPD-Parlamentarierin Annemarie Renger soll sogar eine kleine Anfrage zum „Fall Pappritz“ in den Bundestag eingebracht haben und Marie-Elisabeth Lüders, FDP-Abgeordnete und Alterspräsidentin des 2. Deutschen Bundestages, intern die Frage aufgeworfen haben, ob die Verfasserin eines solchen Buches für die Position der stellvertretenden Protokollchefin im Auswärtigen Amt noch tragbar wäre. In die gleiche Kerbe schlug auch der langjährige Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Friedrich Sieburg, der sich öffentlich dahingehend geäußert haben soll: „Allen Beteiligten wäre gedient, wenn Fräulein Pappritz … in den wohlverdienten Ruhestand träte.“ Pikant ist dessen despektierliche Äußerung übrigens auch deshalb, weil der schillernde Intellektuelle Sieburg selbst einer von jenen gewesen ist, der der damals noch jungen Bundesrepublik Takt, Sitte und Anstand einbläuen wollte. Aber: Das ist eine andere Geschichte.

Trotz des prominenten Namens der Pappritz lief der Verkauf vom „Buch der Etikette“ 1956 nur schleppend an. Erst nachdem die Medien ihre Autorenschaft im März 1957 in Zweifel zogen und den Verlag unlauterer Methoden bezichtigten, zog er an. Offensichtlich wusste sich der Perlen-Verlag dank allseitiger Kritik auf der Seite des Erfolges. In einer zweiten Auflage schob er prompt 10.000 Bücher nach, obwohl die 11.500 Exemplare der ersten Auflage noch nicht vergriffen waren. Die dritte Auflage erschien bereits im Juni 1957 – und zwar mit Änderungen, die der öffentliche Druck wohl notwendig gemacht hatte.

Bereinigt wurde u.a. eine Passage im Vorwort des Buches. Die Aussage „wo wir sind, ist oben“ hatte offensichtlich jene mit Besorgnis erfüllt, die die jüngste deutsche Geschichte Mitte der 50er Jahre noch nicht gänzlich unter den Teppich gekehrt hatten. Stattdessen hieß es in der dritten Auflage nun: „Ist, wo wir sind, wirklich oben?“ Ebenfalls überarbeitet wurden die Darlegungen darüber, wie ein Gentleman seine Wäsche zu wechseln hätte. Ersatzlos gestrichen wurde hier der Satz „Unser täglich Hemd gib uns heute“, den man der Blasphemie verdächtigt hatte. Die Behauptung, dass lange Unterhosen unmännlich seien, wurde etwas abgemildert. Und die Aussage, „Damen, die auf der Straße rauchen, sind keine – oder Amerikanerinnen“ soll ebenfalls den ‚kritischen‘ Überarbeitungen seitens des Verlages zum Opfer gefallen sein, wie die ZEIT im Juni 1957 im Mosaik über die dritte Auflage zu berichten wusste.

Erica Pappritz ging 1958 im Alter von 65 Jahren in den Ruhestand.

Dem Perlen-Verlag, den Matthias Lackas 1949 in Marbach am Neckar gegründet hatte, gereichte der Bonner Skandal indes nicht zum Schaden. Im Gegenteil. Das Buch, das die Anstandsdame der Nation eben nicht selbst geschrieben hatte, verhalf dem Verlag sogar zu seinem Durchbruch. Mehr noch: Obwohl die bewusste Täuschung aufgeflogen war, avancierte das „Buch der Etikette“ zu einem der größten Geschäftserfolge der 50er und 60er Jahre …

1958 zog der Perlen-Verlag nach München, wo er 1963 in Südwest-Verlag umfirmierte und dann Bestandteil von Ullstein-Heyne-List wurde. Seit 2003 gehört Südwest zur Verlagsgruppe Random House. Hier brachte es das Benimm-Buch zu weiteren Ausgaben. Die 12., völlig neu bearbeitete Auflage erschien in München 1971 unter dem Titel „Etikette neu“.

Derzeit lieferbar ist „Etikette neu“ mit dem Untertitel „Der Knigge aus den Wirtschaftsjahren“ bei der Verlagsanstalt Handwerk. Obwohl die Verlagsinformation zum Buch augenzwinkernd daherkommt, suggeriert der Text doch, dass Benimmregeln aus den 50er Jahre des 20. Jahrhunderts ihre Gültigkeit behalten haben: „Auch wenn oder gerade weil aus heutiger Sicht einige Regeln kurios wirken, mit diesem Buch eröffnet sich ein wahres Lesevergnügen nicht nur für Menschen, die in punkto Etikette noch etwas dazulernen möchten. Sie werden staunen, wie viele dieser Benimm-Regeln noch immer modern sind. Und über den Rest dürfen wir getrost schmunzeln!“

Die Neuauflage © gefunden bei ebay

Die Neuauflage © gefunden bei ebay

Tatsächlich wirkte die Etikette der Pappritz über die Jahrtausendwende hinaus fort. Dass die „Pappritz ihre Bibel“ sei, bekannte im November 2004 Friedgard Halter öffentlich in der WELT. „Das klassische Nachschlagewerk für guten Ton in allen Lebenslagen“ sei ihr – ließ Halter die Leser wissen: „so etwas wie ein Kursbuch durch ihren Job als Protokoll-Chefin der Hypo-Vereinsbank“. – 2013 scheint ein anderer Wind zu wehen. Derzeit nutzt die Kabarettistin und Chansonsängerin Ulrike Neradt Texte aus dem „Buch der Etikette“ in ihrem aktuellen Programm „Wir sind so frei!“, um ihr Publikum zum Lachen zu bringen.

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Und zum Abschluss noch ein echter Pappritz aus der Erstausgabe 1956:

Koffer haben es in sich! Das, was sie in sich haben, ist zumeist das Falsche. Man merkt es frühestens in dem Augenblick, da der Zug aus dem Bahnhof rollt, da sich schüchtern die erste Ferienfreude bemerkbar zu machen beginnt und man feststellt, daß Adam Smiths »Theorie der ethischen Gefühle« – die im übrigen auch noch zuunterst im Koffer liegt, gleichsam als wolle sie ihre Tiefgründigkeit noch unterstreichen – zwar einen Schlüssel zur philosophischen Erforschung des ökonomischen Liberalismus darstellt, als Reiselektüre mit Agatha Christie jedoch nicht konkurrieren kann. Spätestens wird einem das klar, wenn man die Straße von Messina überquert hat und abends auf einem der Campingplätze bei Catania in strömendem Regen unter sturmgebeugten Palmen und Olivenbäumen steht und immer wieder vergeblich versucht, die Zeltheringe festzubekommen. Quelle: http://www.zeno.org – Contumax GmbH & Co.KG

In der Erstausgabe kann man übrigens hier stöbern.

Die formvollendete B(r)uchlandung der Pappritz. – Ein Paradebeispiel

Derzeit beschäftigen mich gute Formen. Nein, keine Fragen des Designs, sondern solche des Anstands und der guten Sitten. Anfangs dachte ich mir noch, was für ein dröges Thema. Wen interessiert das? Anstand ist so was von gestern. Die Dame ist aus dem hiesigen Wortschatz nahezu verschwunden und Frauen, die sich noch von einem Kavalier in den Mantel helfen lassen, plagt die Frage, ob die galante Geste sich mit dem Grad ihrer Emanzipation verträgt. Selbst das „Sie“ befindet sich im Gefolge der Studentenbewegung seit Jahrzehnten auf dem Rückmarsch. Anstand ist out! Da brauchen wir aktuell doch nur nach Bayern zu schauen…

Die Erstausgabe 1956 © gefunden bei booklooker

Die Erstausgabe 1956 © gefunden bei booklooker

Nach anfänglichem Zaudern roch ich allerdings bald Lunte. Denn die Frage danach, über welche Sitten in den Zeitläuften Konsens bestand, verweist direkt auf den jeweils herrschenden Zustand der Republik. Bisweilen legen die Antworten einen Finger auf Wunden, ein anderes Mal decken sie Untiefen auf, die die Etikette kaschieren sollte. Häufig muss man herzhaft lachen, ganz einfach weil der Lack ab ist. Bisweilen ist man auch darüber erstaunt, warum das, was gestern noch ein Skandal war, heute Gepflogenheit ist. So ist es mir jedenfalls ergangen als ich im Zuge meiner Recherchen auf das „Buch der Etikette“ nebst einem Fräulein Pappritz stieß, welches die Nachkriegspresse zur „Anstandsdame der Nation“ und „Hofmarschallin der guten Sitten“ ernannt hatte.

Hoppla, dachte ich mir, diese Besteller-Geschichte aus dem Biedermeier der Adenauer-Ära kommt für SteglitzMind wie gerufen. Ich nahm die Fährte auf. Am Ende meiner Beschäftigung mit dem Fräulein stand die Einsicht, dass die Verlage vor 57 Jahren auch nicht viel anders tickten als heute. Wohl hielten Öffentlichkeit, Politik und der Literaturbetrieb in den 50er Jahren das noch für skandalös, worüber sich längst keiner mehr aufregt, weil es in den Verlagen heute Standard ist. – Doch der Reihe nach …

Wer, bitte schön, ist Fräulein Pappritz?

Erica Pappritz wurde als einziges Kind eines Dragoner-Rittmeisters am 25. Juni 1893 geboren. Von einer Zäsur zwischen 1945 und 1949 abgesehen, tat sie ab April 1919 ununterbrochen Dienst im Auswärtigen Amt; ab 1929/30 als Leiterin des Referats für Zeremoniell und Rangfragen in der Protokollabteilung. Nach 1949 baute sie mit Hans Herwarth von Bittenfeld, dem damaligen Leiter des Arbeitsstabes für das Protokoll und späteren Chef des Protokolls im Auswärtigen Amt, das offizielle Protokoll der Bundesregierung auf. Nach der Wahl des ersten Präsidenten der Bundesrepublik soll sie das Ehepaar Heuss für das gesellschaftliche Parkett fit gemacht haben. 1952 wurde sie zur Vortragenden Legationsrätin ernannt und damit zugleich die ranghöchste Beamtin im Auswärtigen Amt. Die Pappritz, der man in Anlehnung an einen Adligen, der sich um gute Formen verdient gemacht hatte, zu Lebzeiten mit leichter Hand ein „von“ andichtete, ist 1972 in Bonn verstorben.

Ausführlich über ihr Leben und Wirken informierte am 20. März 1957 der SPIEGEL-Titel „Der Fluch der Etikette“ mit einem Bild der Protokollchefin in vollem zeremoniellen Ornat. Einen Eindruck davon, wie diplomatisch die stellvertretende Protokollchefin mit den guten Formen hantierte, vermittelt ein Bericht über den Staatsbesuch des äthiopischen Kaisers Haile Selassie I., der in Bonn im November 1954 stattgefunden hatte:

Die größten weiblichen Triumphe feierte unbestritten die Herzogin von Harrar, 23, Mutter eines siebenjährigen Kindes und Schwiegertochter des Kaisers. Carlo Schmid: ‚Die Prinzessin hat ein Häutle von Samt.‘ Ihre Garderobe war Gegenstand uneingeschränkter Bewunderung. In der Redoute trug sie ein weißes Fehencape. Und zum Frühstück im Palais Schaumburg, am zweiten Tag des Staatsempfangs, hatte sie eine Garderobe gewählt, die geeignet gewesen wäre, die Sinne der männlichen Frühstücksgäste zu verwirren. – Die Dame des Protokolls, von der die Prinzessin auf dem Petersberg abgeholt werden sollte, stürzte angesichts dieser Garderobe erschreckt ans Telephon. Erica von Pappritz wußte, wie stets, Rat. Man möge der Prinzessin ans Herz legen, es ziehe im Mercedes 300 und es sei kalt, es sei kühl im Palais Schaumburg. Am besten sei es, sie würde etwas Warmes unterziehen. Und so geschah es, ohne daß die Reize der Prinzessin allzu bedrohlich geschmälert worden wären.“ – So stellte der SPIEGEL am 11. November 1954 die Episode im Bericht „Hoheit lassen bitten“ dar.

1956 erschien das „Buch der Etikette“ im Perlen-Verlag. Das Cover zierten zwei Namen: Der ehrenwerte Name der Pappritz und als weiterer Name der von Karlheinz Graudenz, den der Verlag als „Weltenbummler“ ausgeben hatte. Eine Liaison mit Folgen. Denn ab sofort sollte der Fluch der Etikette seinen Verlauf nehmen…

Ein Skandal und seine Folgen

Es vergingen einige Monate, dann erregten sich die Medien über eine Täuschung, die dem Perlen-Verlag angelastet wurde. So die ZEIT, die am 7. März 1957 süffisant titelte „Tut eine Dame so etwas?“, um im Literaturteil weitere kritische Fragen aufzuwerfen:

Eine Perle unter seinen Publikationen zu haben, ist verständliches Bestreben jedes Verlags, und er erreicht es damit, daß er sich, wenn nicht einen guten, so doch einen prominenten Autor beschafft, dessen Name wenigstens „zieht“. Diese kleine Täuschung mag noch hingehen, aber darf man Käufer locken mit dem Namen eines prominenten „Autoren“, der das betreffende Buch gar nicht geschrieben hat?

Tatsächlich stammte von Karlheinz Graudenz nicht nur die Idee, dass sich der Name der stellvertretenden Bonner Protokollchefin auf einem Benimm-Buch gut machen würde. Vielmehr hat der vermeintliche Weltenbummler auch das Manuskript zu weiten Teilen alleine geschrieben. Nicht verbürgt ist, ob die viel beschäftigte Protokolldame ihr Werk autorisiert, geschweige denn, ob sie es jemals überhaupt gelesen hat. Verbürgt hingegen ist, dass der Spiegel im Jahr darauf über den Co-Autoren Graudenz in Erfahrung gebracht hatte, dass er unter Pseudonym den Text zum Schlager „Die alte Klofrau“ verfasst hatte.

Zur Ehre gereichte der Anstandsdame, die sich öffentlich zumeist mit Monokel präsentierte, das 509 Seiten starke Benimm-Buch wohl kaum. In der ZEIT mokierte sich Josef Müller-Marein über den „falschen guten Ton“ der Legationsrätin („Symptom Pappritz“) und einen „Wälzer […] zum hochwohllöblichen Gebrauch für Snobs“. Doch nicht nur die Medienvertreter taten konsterniert. Die rheinischen Karnevalisten ergötzen sich an den Benimmregeln und Karikaturisten ließen sich davon  inspirieren. Auch darüber wusste der SPIEGEL am 20. März 1957 zu berichten:

Im Nu hatten sich die rheinischen Karnevalisten der ausgefallensten Anstandsregeln bemächtigt, etwa dieser: ‚Die Unterwäsche (machen wir es kurz) – sei kurz! Lange Unterhosen bleiben unmännlich und häßlich, auch wenn sie kaum jemand sieht.‘ Auf dem Bonner Marktplatz schnitt eine monokelbewehrte Pseudo -Pappritz vor jubelndem Karnevalsvolk die Hosenbeine von langen Herren-Unterhosen ab. Die Karikaturisten ließen sich durch eine andere Passage des Buches zu Witzen inspirieren: ‚Während und nicht erst nach der Benutzung (der Toilette) wolle man sich der berühmten Kette bedienen. Dieses Gesetz gilt um so eiserner, je kleiner und hellhöriger die Wohnung ist. Danken wir der Technik, daß sie uns mit der Wasserleitung ein Mittel zur diskreten Neutralisierung unerwünschter Geräuschkulissen in die Hand gegeben hat!“ Die Kette der Wasserspülung avancierte im Bonner Jargon prompt zur ‚Eti-Kette‘“.

Damit war das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Binnen kürzester Zeit machten sich weite Teile der Republik über die Anstandsregeln aus der Protokollabteilung des Auswärtigen Amts lustig …

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Zur Fortsetzung „Des einen Schadenfreude ist des anderen reinste Freude …geht es hier

Im „Buch der Etikette“ kann man übrigens hier stöbern. Ich empfehle die „Kritischen Fragen“. So zum Beispiel in diesem Kapitel die Darlegungen „Suche einen Lebenspartner“, in denen es u.a. heißt: „Männer träumen von einer Frau, die schön wie ein Glamour-Girl, reich wie eine Konzernerbin, intelligent wie Madame de Staël ist. Und kochen können soll sie nach Möglichkeit wie die eigene Mutter dereinst zu Hause. –  Frauen wünschen sich den strahlenden Helden eines Wildwestfilms, der das Gemüt eines Bernhardiners mit dem Bankkonto des „Mr. 5%“ vereint.“

Best of: Verlagsabsagen – Ein Bauantrag geht schneller durch!

Den Anfang  für ein kleine Blütenlese „Best of: Verlagsabsagen“ machte dankenswerterweise Thorsten Nesch. Mit seinem Dreiteiler „Von Musterabsagen und Meisterabsagen“ liegt ein unterhaltsamer Rückblick auf den eigenen schriftstellerischen Werdegang vor, der schreibenden Kollegen auch Tipps im Umgang mit abschlägigen Bescheiden von Verlagen liefert.

Heute zieht Michael Röder nach, bei Twitter als @IchBinDerMRR bekannt. Er greift hin und wieder selbst gerne in die Tastatur und hat mit seiner „ES NERVT!“-Reihe drei kleine Bände mit nervigen Geschichten aus seinem Leben veröffentlicht. Sein neuestes Projekt ist das Probierstübchen – Das ultimative Verbrauchermagazin, das subjektiv, satirisch und sexy daherkommt. – Ich sage Micha für seinen kurzweiligen Beitrag danke.

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Angeregt durch den wirklich schönen Beitrag von Thorsten Nesch, habe ich einmal im Archiv meiner Frau Petra Röder, die SteglitzMind bereits Rede und Antwort stand, gekramt und die Highlights herausgefischt. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Formulierungen, sondern die Zeitpunkte des Eintreffens. Es ist schon erstaunlich, dass manche Verlage noch langsamer arbeiten, als man es gemeinhin nur von Baubehörden und ähnlichen Institutionen kennt.

Noch eine kurze Anmerkung dazu, warum im Folgenden immer von „wir“ die Rede ist. Meine Frau und ich teilen uns nämlich den Job. Sie hat die Fantasie und schreibt, ich habe das Organisationstalent und mache den Rest. Auf Neudeutsch heißt das glaube ich Teamwork und in diesem Text eben „wir“.

Wir schreiben also das Jahr 2008, kurz nach der Lehman-Pleite. Es begab sich somit zu einer Zeit, in der Selfpublishing, E-Books, Kindle & Co. noch kein Thema waren und die Fantasie meiner Hausautorin endlich den Weg aufs Papier, bzw. in die Word-Datei geschafft hat. Ihr Erstlingswerk, ein Fantasyroman für jung gebliebene Jugendliche, war fertig und es ging an die Vermarktung. In guter alter Tradition wurden also Manuskripte, Leseproben, Exposés und Anschreiben ausgedruckt, eingetütet, mit ausreichend Briefmarken beklebt und an diverse Verlage in dieser Republik versendet. Die darauf folgenden täglichen Wege zum Briefkasten haben außer in Sachen Kalorienverbrennung wenig gebracht, die erste Reaktion erfolgte exakt zwei Monate später. Natürlich war es eine Absage mit Textbaustein, was aber hier im Haus nicht als schlimm empfunden wurde. Erstens war es eh nicht der Traumverlag und zweitens hatten wir ja noch viele Eisen im Feuer. Darunter übrigens auch einige Agenturen.

Fingerabdruck - Bild: dip/Photoxpress

Fingerabdruck – Bild: dip/Photoxpress

Schon etwas erstaunlicher war dann die zweite Absage, die nur wenige Tage später einging. Ebenfalls mit einem Standard-Text versehen und dem Zusatz „Ihr eingesandtes Manuskript schicken wir in der Anlage zu unserer Entlastung zurück“. Dabei fiel uns auf, dass sowohl die rund 20-seitige Leseprobe, als auch das Exposé keinerlei Abnutzungserscheinungen erkennen ließen. Ein befreundeter Forensiker bestätigte unsere Vermutung. Es konnten keinerlei Fremdfingerabdrücke darauf festgestellt werden. Von wegen „Nach umfassender Überprüfung müssen wir Ihnen leider mitteilen …“. Diese Lügner haben das Ding nicht einmal berührt, geschweige denn gelesen! Pfui! Falls mir jemand beweist, dass Verlage für diese Tätigkeiten Latex-Einweg-Handschuhe verwenden, nehme ich diese Aussage natürlich zurück.

In ähnlicher Form ging es die kommenden sechs Monate weiter, darunter viele der oben beschriebenen Lügen, dann war erst einmal Funkstille. Zugegeben, wir (in dem Fall primär ich) haben damals noch ein wenig schluderig agiert und nicht wirklich Buch darüber geführt, an wen alles eine Sendung hinausgegangen ist und dementsprechend auch keine Haken hinter die Punkte in der nicht vorhandenen Liste machen können. Dass noch einige „offene Posten“ unterwegs waren, wussten wir allerdings schon, haben uns aber gedacht, die wären wohl zu hochnäsig, um überhaupt zu antworten. Doch weit gefehlt, es dauert bei manchen Verlagen nur etwas länger.

Nach gut einem Jahr kam ein weiterer dicker Umschlag mit dem immer gleichen Inhalt. Manche Absage-Textbaussteine gleichen sich übrigens verlags- und konzernübergreifend wie ein Ei dem anderen. Man könnte vermutlich sogar von Plagiaten sprechen. Aber das nur nebenbei. Und kaum waren noch einmal fünf Monate ins Land gegangen, hagelte es gleich zwei Mustertexte, doch wer jetzt denkt, das wäre schon das lange Ende der Fahnenstange, der irrt. Die Top 3 in Listenform

Platz 3: 1 Jahr, 11 Monate und 4 Tage

Platz 2: 2 Jahre 1 Monat und 16 Tage

(An dieser Stelle jetzt bitte einen Trommelwirbel denken)

Platz 1: 2 Jahre, 7 Monate und 22 Tage

Hut ab! In der Zeit bekommt man ein Mehrfamilienhaus genehmigt, hat das Ding gebaut und bereits die ersten Mieter wieder hinausgeklagt.

Wenn sich der geneigte Leser nun fragt, warum hier keine Namen genannt werden, nun das ist relativ leicht erklärt. Mittlerweile erreichen uns Anfragen von Verlagen, die sich für eine Zusammenarbeit interessieren. Und wir möchten ja niemanden an den Pranger stellen, schließlich sieht man sich immer zweimal im Leben. Erschwerend kommt hinzu, dass das Buch, von dem die Rede war, nicht wirklich als Bestseller getaugt hätte. Mit einigem Zeitabstand wieder gelesen, gereicht es uns immer neu zur Erheiterung. Zur Veröffentlichung ist es allerdings vollkommen ungeeignet. Aber das war uns damals ja noch nicht bewusst.

Das Manuskript bleibt also im Giftschrank und wird erst bei plötzlich einsetzender Weltberühmtheit der Autorin wieder herausgeholt, um es bei Sotheby’s zu versteigern. Die damit erzielten Unsummen werden dann selbstverständlich einem guten Zweck zukommen, auch wenn mir da aktuell noch keiner einfallen will. Aber vielleicht kann man bis dahin mit dem Geld ja einen Staat retten.

© Michael Röder

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So Ihr ebenfalls zu der kleinen Blütenlese „Best of: Verlagsabsagen“ beitragen möchtet, nur zu. Dafür könnt Ihr die Kommentarfunktion nutzen oder mir eine eMail mit Euren Erfahrungen senden, die dann wiederum in Gänze oder in Auszügen in weitere Beiträge zum Thema einfließen könnten.

„Passt nicht ins Programm“, „wir haben lange überlegt“, „haben in der Redaktionskonferenz über das Manuskript gesprochen“, „ist wirtschaftlich ein Wagnis“, „Ihr Manuskript konnte uns leider nicht überzeugen“, „wir sehen leider keine Möglichkeit für eine Veröffentlichung“ – so klingen Standardabsagen von Verlagen. Ich freue mich auf eure Erfahrungsberichte.

Thorsten Nesch: Von Musterabsagen und Meisterabsagen (III)

Thorsten Nesch ist für Überraschungen gut. Das ging mir bei dessen Kabinettstückchen „Die Lokomotive“ durch den Kopf. Weil ich von ihm wissen wollte, warum sich dafür kein Verlag finden ließ, kamen wir ins Gespräch. Er berichtete mir von seinen Bemühungen und abschlägigen Bescheiden und ich unterbreitete ihm den Vorschlag, ob er nicht den Anfang für eine kleine Blütenlese in der Art „Best of: Verlagsabsagen“ machen wolle. Thorsten sagte spontan zu und war wiederum für eine Überraschung gut. Aus seinem Erfahrungsbericht, der auch Tipps für schreibende Kollegen im Umgang mit Verlagsabsagen enthält, ist ein unterhaltsamer Rückblick auf den eigenen schriftstellerischen Werdegang geworden, der hier in drei Fortsetzungen zu lesen ist. – Ich sage Thorsten dafür herzlich danke.

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Fazit: Ich nehme Absagen sportlich!

Die Quintessenz der meisten Verlagsabsagen mit Begründung lautet bei mir ungefähr so: „nicht eindeutig U- oder E-Literatur, zu filmisch und nicht in der Tradition der deutschen Literatur“. Das alles habe ich öfter gelesen und gehört. Von verschiedenen Lektoren aus verschiedenen Verlagen über verschiedene Romane – dann muss da etwas dran sein. Das ist ja okay. Das muss ich dann akzeptieren, meine Schlüsse daraus ziehen. Dann verändere ich aber nicht etwa meinen Stil oder meine Sprache. Dieses Jahr erscheinen meine ersten Romane auf Englisch. Im anglophonen Raum wird nämlich nicht in U- und E-Literatur unterschieden.

Thorsten Nesch 2010er Jahre © privat

Thorsten Nesch 2010er Jahre © privat

Ich bin mittlerweile verlegter Autor und habe auch einen Preis gewonnen, den Hans-im-Glück-Preis, aber es wird nur etwa jeder dritte Roman von mir veröffentlicht. Allerdings mache ich auch den Fehler, keine Exposees einzureichen und danach abzuwarten, ob ich dafür bezahlt werde, um die Geschichte zu schreiben. Ich schreibe immer DEN für mich wichtigsten und besten Roman zu dem jeweiligen Zeitpunkt. Den Roman, nachdem ich mich fühle. Das musste ich all die Jahre vorher, als ich dafür jobben musste, um mein Leben und die Zeit dafür zu finanzieren auch. Das mache ich jetzt nicht anders, das kann ich gar nicht anders.

Inzwischen habe ich den Absagepuffer durch eine Agentur auch nicht mehr. Dafür die ultimative Absage! Nach zwei Jahren Zusammenarbeit, in denen zwei Romane angeboten und abgelehnt wurden, hieß es von dort: „Alle Lektoren kennen dich jetzt. Wenn die deinen Namen lesen, schauen die gar nicht mehr rein. Du brauchst mindestens drei Jahre nichts mehr dahinschicken.“ Da wird es einem dann schon mulmig, während unten meine drei Kinder Krach machen … aber nach einer halben Stunde war das vorüber. Das Gefühl und der Krach. Was soll ich machen? Für drei Jahre aufhören, Erwachsenenromane zu schreiben? Kleiner Scherz, oder? Nur weil ich nicht damit reich werden kann? Wäre das mein Ziel gewesen, dann hätte ich gar nicht erst angefangen, Romane zu schreiben.

Lust auf ein paar Agenturabsagen? Ich hatte noch andere Kontakte mit diversen Agenturen. Im Prinzip lautete ihr Tenor (Achtung: Tipp für Autoren, die davon leben wollen): „Schreib für Frauen, die lesen zu 74%, schreib Romance Novels, lustige, Thorsten, das kannst du doch, lustig sein!“ Das kann ich. Wenn mir danach ist, und da, wo es passt. Bei mir passt aber immer nur die beste Idee, und wenn das nun mal keine lustige Romance Novel für Frauen ist, kann ich nix dafür. – Ausschließen kann ich das aber auch nicht. Vielleicht wollen wir doch mal ein Auto kaufen …

Fazit: Ich sehe Absagen sportlich. Ganz ehrlich, außer die, die mit Hoffnung und jahrelangem Zögern verbunden gewesen sind, haben mir keine wehgetan. Das gehört dazu. Richtig gut finde ich die Persönlichen. Und deswegen halte ich es inzwischen so, dass ich meine Geschichten nur jenen Lektorinnen vorschlage, die mir von unserem jahrelangen E-Mail-Absagen-Verkehr her bekannt sind. Die werden in der Regel dann auch relativ zügig gelesen. Ein Jahr oder länger dauert es inzwischen nicht mehr. Andere Verlage, ohne solch‘ persönlichen Kontakt, probiere ich gar nicht erst.

Als unbekannter Autor würde ich mich bei Agenturen bewerben und Verlagen etwas schicken, wenn sie dafür infrage kommen. Probieren, meine Kurzgeschichten in Magazinen unterzubringen und bei Preisausschreiben einreichen. Über Jahre kann sich dann mit etwas Glück zumindest Neugier seitens der Lektoren entwickeln und die kann man dann pflegen. Weder passt jeder Roman für jeden Verlag, noch passt jeder Roman für jeden Lektor. Zudem ist alles in der Welt von der Stimmung der Person abhängig und die kann bekanntlich schwanken. Einfach versuchen. Wenn man schreiben muss, hört man sowieso nicht auf. Ansonsten wäre es ein Hobby.

Schon vor Jahren ist mir eines klar geworden: Es gibt Berufe, die ich auf Dauer nicht ausüben könnte (und das ist jetzt kein Spaß): Polizist (die müssen immer dahin, wo Trouble ist), Finalpfleger (das würde ich mit nachhause nehmen) und Lektor (denn feststeht: die müssen allzu oft etwas lesen, was sie gar nicht richtig wollen, das glaube ich zumindest). Ich möchte nur Geschichten lesen, die ich gut finde. Aber ein Lektor ist vor allem eines: Einer der Ersten, der meine neuste Geschichte liest. Und wenn dann so etwas in einer Absage, einer Meisterabsage steht, dann macht mich das richtig glücklich: „Es ist mir wirklich sehr unangenehm, dass wir so lange Zeit gebraucht haben, um zu diesem Ergebnis zu kommen – aber es ist einfach ein wirklich gutes Buch.“ Und mehr will ich nicht: Ein wirklich gutes Buch schreiben.

© Thorsten Nesch

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Zu Teil 1 geht es hier. – Mehr über Thorsten Nesch erfahrt Ihr hier.

So Ihr ebenfalls zu der kleinen Blütenlese „Best of: Verlagsabsagen“ beitragen möchtet, nur zu. Dafür könnt Ihr die Kommentarfunktion nutzen oder mir eine eMail mit Euren Erfahrungen senden, die dann wiederum in Gänze oder in Auszügen in weitere Beiträge zum Thema einfließen könnten.

„Passt nicht ins Programm“, „wir haben lange überlegt“, „haben in der Redaktionskonferenz über das Manuskript gesprochen“, „ist wirtschaftlich ein Wagnis“, „Ihr Manuskript konnte uns leider nicht überzeugen“, „wir sehen leider keine Möglichkeit für eine Veröffentlichung“ – so klingen Standardabsagen von Verlagen. Ich freue mich auf diesbezüglich einschlägige Erfahrungen von Euch ;-)

Thorsten Nesch: Von Musterabsagen und Meisterabsagen (II)

Von Thorsten Nesch wollte ich wissen, warum sich für sein Kabinettstückchen „Die Lokomotive“ kein Verlag finden ließ. Eine surreale Geschichte, die existenzielle und ethische Fragen aufwirft, und noch dazu auf so engem Raum spielt, dass das Atmen beim Lesen gelegentlich schwer wird. Er berichtete mir von jahrelangen Bemühungen darum, den Absagen seitens der Verlage und dem daraus resultierenden Entschluss, Titel, die Verlage abgelehnt haben, in Eigenregie bei epubli zu veröffentlichen. Aufhorchen ließen mich die Argumente der Verlage: Das, was mich für „Die Lokomotive“ besonders eingenommen hatte, hielt Verlage teilweise sogar von einer Publikation ab.

Da ich dem Phänomen der Verlagsabsagen näher auf die Spur kommen wollte, unterbreitete ich Thorsten den Vorschlag, ob er nicht den Anfang für eine kleine Blütenlese in der Art „Best of: Verlagsabsagen“ machen wolle. Er sagte spontan zu. Aus seinem Erfahrungsbericht, der auch Tipps für schreibende Kollegen im Umgang mit Verlagsabsagen enthält, ist ein unterhaltsamer Rückblick auf den eigenen schriftstellerischen Werdegang geworden, den SteglitzMind seit gestern in drei Fortsetzungen bringt. – Ich sage Thorsten dafür ganz herzlich danke.

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„Bei uns hätten Sie aber Hardcover bekommen können“ – Wenn Absagen hoffen oder auf sich warten lassen

Das nächste bewegende Ereignis war 2006 die Nominierung meines Romans „Untertauchen in Albanien“ (heute „Flirren“, bei epubli) für den Jubiläumspreis beim Eichborn Verlag. Obwohl er nicht gewann, schrieb man mir, könnte er für eine Veröffentlichung im Frühjahr 2008 infrage kommen. Schwindelgefühle, Bugs Bunny im Bauch, Hummeln in der Hose, das ganze Programm.

Und jetzt sind wir bei den schmerzhaften Absagen angelangt, jenen, die mit einer gewissen Vorfreude – wenn auch nur in Form einer in Aussicht gestellten Möglichkeit – verbunden sind. Mitte 2007 erhielt ich aufgrund der schwierigen Lage des Verlages und der damit einhergehenden Schrumpfung des belletristischen Programms das Nein. Das tut dann doch mal weh. Da konnte der Verantwortliche nichts für, so ist es. Weiterträumen. – Es gab noch weitere positive Reaktionen zu „Flirren“, die als Zitate in der Beschreibung bei epubli und Amazon nachgelesen werden können, aber letztendlich konnte sich kein Verlag zur Veröffentlichung entschließen. Dafür gab es einen deutlichen Schub guter Absagen mit der Bitte, den Kontakt zu halten.

2008, mit der Nominierung des Manuskriptes „Joyride Ost“ zum Besten Jugendbuchdebüt passierte etwas Neues: Verlage wandten sich an mich, als sie von der nominierten Geschichte erfuhren. (Daher ist es eine gute Idee, bei jedem Preis auch die Shortlist zu veröffentlichen). Ich wurde kontaktiert! Von Verlagen! Ich dachte, gleich latscht Moses durch die Tür.

Thorsten Nesch 2000er Jahre © privat

Thorsten Nesch 2000er Jahre © privat

Übrigens ist es auch nicht so gewesen, dass ich zuvor für „Joyride Ost gar keine Absagen kassiert hätte! Eine Absage kam so daher: „Wie können Sie glauben über Ausländer zu schreiben?“ Wie bitte? Erstmal sind Tarik und Jana in Wessenheim geboren, sprechen ein besseres Deutsch als ich. Und dann muss ich mich wundern: Ach so, aber über kleine grüne Marsmännchen, das können die sich vorstellen oder was? Nur nicht über Leute, die meine Nachbarn sind? Ein Knaller. In Kanada sorgt so ein Spruch auf der Arbeit mindestens für eine Abmahnung. – Bevor jetzt jemand sagt, typisch BRD … Nein, nein, es war kein deutscher Verlag.

Der einzige Verlag, der die Preisverleihung nicht abwartete, und mir direkt eine Veröffentlichung zusicherte, war der Rowohlt Verlag. Unnötig zu sagen: ich freute mich wahnsinnig über das große Vertrauen in meine Geschichte und mich als Autor. Natürlich sagte ich zu. Den Preis gewann ich nicht, mein Leben ist ja kein Hollywood-Film. Wie ich später erfuhr, war im Publikum bei der Lesung der Nominierten, wo in der Moderation auch erwähnt wurde, dass ich bei einem Verlag unterschrieben hätte, eine Vertreterin eines anderen interessierten Verlages anwesend, die ihrer Kollegin simste „Ich hoffe, er hat bei uns unterschrieben“. Hatte er nicht. Und er hatte per E-Mail vor der Reise nach Oldenburg zur Preisverleihung sogar alle interessierten Verlage darüber in Kenntnis gesetzt – so bin ich. Es soll sich ja keiner vergeblich lange Hoffnung machen. Ich weiß ja schließlich, wie das ist.

Und jetzt komme ich zur Kategorie: lahmste Verlagsreaktion. Da schrieb mir doch glatt in der darauffolgenden Woche jemand „Bei uns hätten Sie aber Hardcover bekommen können. Der Zug ist jetzt abgefahren“. Klasse Satz, oder? Für jemanden, ohne Hintern in der Hose, ohne Mut, Gespür, nennt es, wie Ihr wollt – das war Sandkastenniveau. Wollte die, dass ich mich doch noch darüber ärgern sollte, beim Rowohlt Verlag unterschrieben zu haben? Ja, stimmt, ich bin schon ein Idiot: nach 15 Jahren Absagen (in anderen Zusammenhängen spricht man dann von lebenslänglich) springe ich auf den erstbesten Verlag. Nur weil der nicht abwartet, ob ich gewinne oder nicht, sondern seinem Gefühl vertraut und vom Roman und von mir überzeugt ist, anstatt dass ich in aller Ruhe mit dem Rücken an der finanziellen Wand warte, bis ein wirbelloser Verlag sich nach dem Regen bequemt, aus der feuchten Erde zu kriechen, und mir einen Hardcover Vertrag anbietet? Natüüürlich. Kopfschütteln. Noch heute. Egal, weiter.

Wie, weiter? Du bist doch verlegter Autor! Da wird dann doch jeder Roman durchgewunken und veröffentlicht! Das Geräusch einer Diamantnadel, die über eine Schallplatte kratzt. Nein, dem ist nicht so. Ich gebe zu, das dachte ich auch, weil einem das über 15 Jahre jeder so sagt, und weil das ja manchmal, ehrlich gesagt, auch den Anschein hat. Wenn dem so war, dann war dem so, bis ich kam.

Im Gegensatz zu dem Jugendbuch ist zum Beispiel „Die Lokomotive“ ein Thriller für Erwachsene. Und weil ich nach anderthalb Jahrzehnten verstanden hatte, was Verlage meinen, wenn sie in der Absage regelmäßig schreiben „steht nicht in der Tradition der deutschen Literatur“, schickte ich den Roman nicht als solchen, sondern mit dem vertretbaren Zusatz ‚Novelle‘ in die Lektorate. Teufel, dachte ich, wenn ich damit nicht in der Tradition der deutschen Literatur stehe! Bis zum Gummizug meiner Schiesser Feinripp-Unterhose stehe ich da drin! Jain.

Was Thorsten nicht wusste … erfuhr ich, als ich mit dem Roman bei der ersten Agentur nachfragte. Ihr Urteil: Fantastisch, gefolgt von anderen Superlativen – aber: wir müssen ein Wort streichen! Genau. Aus der Novelle wurde ein Roman. Wohlgemerkt ich habe sogenannte Romane gesehen, die sind halb so dick wie „Die Lokomotive“. Achtung: Hinweis für AutorInnen! Novellen werden grundsätzlich nicht als Debüt-Erwachsenbuch veröffentlicht, wurde mir gesagt. Rumms. Damit hatte ich schon mal die Top 12 der Verlage zerschossen, da ich es dort unter Novelle in der Annahme eingereicht hatte, nun wirklich alles richtig gemacht zu haben.

Weiter ging es mit Absagen und halben Zusagen, während der Roman von der Agentur vertreten wurde – fast 2 Jahre lang. Letztendlich musste ich ihn selbst veröffentlichen, über epubli. Richtig verstanden hat das keiner, nicht aus der Branche und kein Leser. Tja. Auch hier können weitere Auszüge aus Verlagsabsagen bei epubli und Amazon nachgelesen werden.

Nicht anders erging es dem Jugendthriller „School-Shooter“, den ich aufgrund des Literaturstipendiums des Landes NRW schreiben konnte, und der auch von der Film und Medienstiftung NRW für ein Hörspielmanuskript gefördert wurde. Umgesetzt wurde das Hörspiel vom WDR, wo es 2012 in 1Live erstmalig ausgestrahlt wurde. Gründe für die Absage des Romans bei Verlagen? Einem war er „zu spannend“ – das hat in der Vergangenheit auch schon mal für eine Veröffentlichung gesprochen. Aber oft hatte man auch Amerikaner mit einem ähnlichen Thema eingekauft. Das ist dann einfach so.

© Thorsten Nesch

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Zu Teil 1 geht es hier; der 3. Teil erscheint morgen. – Mehr über Thorsten Nesch erfahrt Ihr hier.

So Ihr ebenfalls zu der kleinen Blütenlese „Best of: Verlagsabsagen“ beitragen möchtet, nur zu. Dafür könnt Ihr die Kommentarfunktion nutzen oder mir eine eMail mit Euren Erfahrungen senden, die dann wiederum in Gänze oder in Auszügen in weitere Beiträge zum Thema einfließen könnten.

„Passt nicht ins Programm“, „wir haben lange überlegt“, „haben in der Redaktionskonferenz über das Manuskript gesprochen“, „ist wirtschaftlich ein Wagnis“, „Ihr Manuskript konnte uns leider nicht überzeugen“, „wir sehen leider keine Möglichkeit für eine Veröffentlichung“ – so klingen Standardabsagen von Verlagen. Ich freue mich auf diesbezüglich einschlägige Erfahrungen von Euch 😉

Thorsten Nesch: Von Musterabsagen und Meisterabsagen (I)

Thorsten Nesch ist für Überraschungen gut. Das ging mir bei dessen Kabinettstückchen „Die Lokomotive“ durch den Kopf, einem Lesestoff, den mir Max Franke von epubli empfohlen hatte. Nach der Lektüre kam ich mit Thorsten ins Gespräch, dessen Jugendromane „Joyride Ost“ und „Verkehrt!“ bei Rowohlt verlegt sind. Ich wollte wissen, warum sich für „Die Lokomotive“ kein Verlag finden ließ. Eine surreale Geschichte, die existenzielle und ethische Fragen aufwirft, und noch dazu auf so engem Raum spielt, dass das Atmen beim Lesen gelegentlich schwer wird.

Thorsten berichtete mir von jahrelangen Bemühungen darum, den Absagen seitens der Verlage und dem daraus resultierenden Entschluss, Titel, die Verlage abgelehnt haben, in Eigenregie bei epubli zu veröffentlichen. Aufhorchen ließen mich die Argumente der Verlage: Das, was mich für „Die Lokomotive“ besonders eingenommen hatte, hielt Verlage teilweise sogar von einer Publikation ab.

Aufhänger der packenden Story ist ein Zugunglück, das sich zwischen dem Festland und der Insel Sylt ereignet. Während die Flut steigt, erwacht der Broker Thomas Ochs aus einer Ohnmacht: Eingeklemmt unter Stahltrümmern, dem Puffer der Lokomotive gefährlich nahe, der sich nach und nach absenkt. Ochs stößt auf einen weiteres Opfer der Katastrophe, den Rentner und Alt-Gewerkschaftler Baehr. Sie kämpfen gemeinsam ums Überleben. Und auch gegen einander aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebensstile und gegensätzlichen Weltanschauungen …

Da ich dem Phänomen der Verlagsabsagen näher auf die Spur kommen wollte, unterbreitete ich Thorsten den Vorschlag, ob er nicht den Anfang für eine kleine Blütenlese in der Art „Best of: Verlagsabsagen“ machen wolle. Er sagte spontan zu und war wiederum für eine Überraschung gut. Aus seinem Erfahrungsbericht, der auch Tipps für schreibende Kollegen im Umgang mit Verlagsabsagen enthält, ist ein unterhaltsamer Rückblick auf den eigenen schriftstellerischen Werdegang geworden, den SteglitzMind ab heute in drei Fortsetzungen bringt. – Ich sage Thorsten dafür ganz herzlich danke.

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„Die Probe lässt stilistisch wenig Wünsche offen.“ – Aus Absagen lernen

Meine erste Absage erhielt ich am 1. Oktober 1990. Ein denkwürdiger Tag. Nach Freunden und meinen ersten Lesungen hatte endlich jemand aus einem großen Verlag mein mit Schreibmaschine getipptes Manuskript gelesen. Die Lektorin wies mich sogar persönlich ausdrücklich darauf hin, „dass diese Ablehnung in erster Linie aus programmpolitischen Gründen erfolgt“. Ja!, dachte ich, ich bin auf dem richtigen Weg: Die Ablehnung hatte rein gar nichts mit der Qualität eines Textes zu tun! –Was Musterabsagen waren, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Thorsten Nesch 1990er Jahre © privat

Thorsten Nesch 1990er Jahre © privat

So ging das bis 1994. Dann kamen handschriftlich ergänzte Musterabsagen dazu, zum Beispiel mit einem Ausrufezeichen nach der Verabschiedung. Oder ein ganzer Nebensatz wurde der Absage hinzugefügt „da ihr Text eher ein jugendlich intellektuelles Publikum anspricht“. Ich schwor mir damals: Sobald ich eine Idee für ungebildete Alte hatte, würden die wieder von mir hören.

Eine Absage verlieh mir sogar ein Diplom der Mineralogie. Es war eine Absage für jemand anders. Irrtümlich unter meinem Namen an mich geschickt. Statistisch gesehen verständlich, eine Verwechslung muss es auch mal geben bei der Flut der Einsendungen. Es fühlte sich aber auch unbekannt gut an – jemand hatte mir wirklich einen Universitätsabschluss zugetraut.

Und dann gab es die schönen Absagen. Ja, die gibt es, denn sie zeigten, dass ich schriftstellerisch doch auf meinem Weg war. Eine Geschichte verschickte ich mit einer Postfachadresse unter einem Pseudonym mit einer erfundenen Vita – übrigens einer wirklich coolen – und wurde erwischt. Die Absage kam an meine Hausadresse mit meinem Namen: „Wusste ich es doch, dass mir Ihr Schreibstil bekannt vorkommt“. In meiner Verblendung habe ich das damals unreflektiert positiv interpretiert, wegen der Tatsache, dass man mich an meinem erstklassigen Schreibstil wiedererkennen würde. Man kann das ja aber auch anders lesen …

Jemand schrieb: „Die Probe lässt stilistisch wenig Wünsche offen.“ Das war schon ein echtes, zweifelloses Lob. Das fühlte sich richtig gut an. Ein anderes Mal wurde mir versehentlich die positiv empfehlende schriftliche Einschätzung einer Lektorin mitgeschickt: „…könnte das Werk einen Beitrag zur psychologischen Situation unserer Gesellschaft leisten“. Hallo, die empfahl eine Veröffentlichung! Recht hatte sie, aber in der Programmplanung hatte bereits ein anderes Buch zu einem ähnlichen Thema Platz gefunden. Daher Absage. Pech gehabt.

Diese Absagen haben mir wirklich etwas bedeutet. Ich wollte besser werden, und es klang, als wäre dem so. 1996 folgte für mich der literarische Ritterschlag. Persönlich hatte ich mein Ziel des glaubwürdigen Schreibens erreicht, als eine biografische Geschichte mit dem Zusatz abgelehnt wurde, ich solle doch „mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben und weniger übertreiben“. (Was natürlich für die nicht näher erläuterbaren Geschehnisse der 90er Jahre spricht.) Und eine fiktive Story wurde abgelehnt: ich solle „etwas über das Realistische hinausgehende“ schreiben. – Für mich war klar: Ich konnte Fiktion als Realität verkaufen und umgekehrt. Ich war Schriftsteller. Qualitativ hatte ich mein Ziel erreicht. Ende 1996.

Apropos Absagen: Einigen Umschlägen mit Exposee, Vita und Leseprobe hatte ich eine Musterabsage zum Ausfüllen beigelegt. Ein selbst entworfenes Absageformular, mit der Bitte, mir einige Hinweise oder Tipps zum Schreiben zu geben. Ich setze mich eben gerne mit Literatur auseinander. Damals war Creative Writing weitgehend unbekannt, und es gab lediglich gefühlte fünf verklausulierte Sachbücher zum Thema. So bekam ich die Idee, die Quelle selbst anzuzapfen. Leider nutzte nur ein Lektor die Möglichkeit: „Wenn das Buch nur halb so witzig wäre wie die Musterabsage“. Ein bisschen mehr Sportsgeist hätte ich mir gewünscht. – Ich wollte doch nur lernen.

Aber es gab auch einen sehr von mir geschätzten Verlag, der mich in der eigens für mich komponierten Absage in Fettschrift gebeten hatte: „Bitte nichts mehr schicken!“ Sagen wir mal, ein kleiner Genickschlag. Ich schätze den Verlag immer noch – auch für seine Ehrlichkeit. So habe ich mir viel Geld erspart und wir uns beide Zeit.

1998 flatterte die ganz besondere Absage ins Haus, eine Meisterabsage, wie ich sie nenne, von KiWi: „Gut geschrieben, aber der letzte Kick fehlt mir noch. Halten Sie doch mal Kontakt zu meiner Kollegin“, gez. Martin Hielscher (nach Diktat verreist). Auch ich vereiste nach dem Diktat. Nach Kanada. Das war vorerst meine letzte Absage.

Das soll euch nicht auch so gehen, liebe Kollegen und Kolleginnen. Mir hat das vorher niemand gesagt. Deswegen tue ich das einfach mal hier, vielleicht ist ja noch jemand so stumpf wie ich, aber bei so einem Angebot MELDET MAN SICH DANN DA AUCH MAL! Ich glaube, ich bin deutlich geworden. Ich weiß nicht, warum mir das damals nicht klar war. Jedenfalls habe ich mich damals nicht bei seiner Kollegin gemeldet, sondern bin mit der Einstellung in den englischsprachigen Teil Kanadas gereist: Was Joseph Conrad kann, kann ich schon lange. Der wurde auch in seiner Zweitsprache verlegt, und zwar recht erfolgreich. Zum Thema Autorenhybris werde ich vielleicht auch mal etwas schreiben.

© Thorsten Nesch

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Zum 2. Teil geht es hier. – Mehr über Thorsten Nesch erfahrt Ihr hier.

So Ihr ebenfalls zu der kleinen Blütenlese „Best of: Verlagsabsagen“ beitragen möchtet, nur zu. Dafür könnt Ihr die Kommentarfunktion nutzen oder mir eine eMail mit Euren Erfahrungen senden, die dann wiederum in Gänze oder in Auszügen in weitere Beiträge zum Thema einfließen könnten.

„Passt nicht ins Programm“, „wir haben lange überlegt“, „haben in der Redaktionskonferenz über das Manuskript gesprochen“, „ist wirtschaftlich ein Wagnis“, „Ihr Manuskript konnte uns leider nicht überzeugen“, „wir sehen leider keine Möglichkeit für eine Veröffentlichung“ – so klingen Standardabsagen von Verlagen. Ich freue mich auf einschlägige Erfahrungen von Euch 😉

Gezielte Irreführung? Ein Nachtrag zum Sommertheater um Steinfeld und Co

In der Literaturgeschichte und im Literaturbetrieb sind Pseudonyme keine Seltenheit. Tatsächlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Autoren für eine Deckung entscheiden und Verlage Pseudonyme achtsam nutzen. Allerdings ist der Ruf, und zwar der von Autor und Verlag gleichermaßen, dann akut gefährdet, wenn es um ein zielgerichtetes Täuschungsmanöver geht.

Und genau darum scheint es sich beim vermeintlichen Schwedenkrimi „Der Sturm“ zu handeln, hinter dem nicht Per Johansson, sondern das Autoren-Duo Thomas Steinfeld und Martin Winkler steht. Und wofür sich der S. Fischer Verlag eben nicht nur ein Pseudonym und eine Mogelpackung, nämlich die Tarnung „Schwedenkrimi“, ausgedacht hat.

Wer mag da nur dahinter stecken? Foto (c) Gesine von Prittwitz

Wer mag da nur dahinter stecken? Foto (c) Gesine von Prittwitz

Dreist ist der Fall deshalb, weil der Verlag für Thomas Steinfeld, der amtierender Feuilleton-Chef der Süddeutschen Zeitung ist, einen aufwändig inszenierten Maskenball geplant hatte: Mit einer frei erfundenen Biografie zu Per Johansson, einer gefakten Übersetzerin aus dem Schwedischen und einem gefälschten Originaltitel griff man ebenso tief in die Trickkiste wie mit Testimonials von Hakan Nesser und Orhan Pamuk, die auf Buchcover und Buchrücken ebenfalls für die Narretei herhalten sollten. – Und vermutlich ist die Geschichte, dass ein Redakteur der WELT rein zufällig auf die gewitzte Idee gekommen sein soll, die Leiche zu sezieren, um schließlich Frank Schirrmacher mit viel Gedöns als Mordopfer zu identifizieren, auch nur Teil eines abgekarteten Spiels zwischen Autoren-Duo, Verlag und exklusiv ausgewählten Medien-Vertretern. Man kennt sich und ist sich gerne gefällig …

Ist die Affäre tatsächlich nur ein Sturm im Wasserglas, wie ich in meinem letzten Blogbeitrag noch einlenkend konstatierte? Oder verweist das Komplott nicht vielmehr auf haarsträubende Missstände in der Verlagsbranche, wo auf Teufel komm raus getrickst und gezinkt wird, um möglichst groß abzuzocken?

Tatsächlich wirft der Fall Steinfeld & Co auf den S. Fischer Verlag ein denkbar schlechtes Licht. So mancher, der das Spektakel verfolgt hat, dürfte sich inzwischen fragen: Wieso führt ein traditionsreicher Publikumsverlag mit guten Renommee Leser und Buchhändler gezielt hinters Licht? Welches Geschäftsmodell steckt hinter solchem Gebaren? Ist der Fall ein Unikat oder steht die Trickbetrügerei stellvertretend für eine gängige Praxis in der Branche? Und: Welche Achtung bringen Verlage Zielgruppen entgegen, die sie derartig verhohnepiepeln?

Da wurde in der vergangenen Woche viel Reputation verbrannt. Ein Imageverlust für den Verlag, womöglich die Branche insgesamt, könnte eine Folge aus diesem Sturm sein. Leser lassen sich nämlich nicht gerne zum Narren machen und Buchhändler nicht für gänzlich dumm verkaufen! Mit seiner Entscheidung, die falschen Angaben im Schwedenkrimi zu überkleben und mit einer zweiten, bereinigten Auflage an den Start zu gehen, dürfte der S. Fischer Verlag jedenfalls den Flurschaden nicht wettmachen können, den er gemeinsam mit sensationsgierigen Medien angerichtet hat.

Zu Teil 1 geht es hier: Ein Sturm im Wasserglas. Zum Sommertheater Steinfeld und Co

Ein Sturm im Wasserglas. Zum Sommertheater Steinfeld und Co

Vor gut zehn Jahren kam mir der Gedanke, dass Bücher unkonventionell inszeniert werden müssten. Was ich einst mit einem damaligen Stiefkind des Buchmarktes, nämlich dem Ratgeber vorhatte, ist heute quer durch alle Genres und Warengruppen gängige Praxis. Ohne Spektakel bzw. Kasperle- und Affentheater geht im Literaturbetrieb offensichtlich nichts mehr.

Das zumindest scheinen jene zu meinen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sich ein Buch an den Käufer bringen lässt. Dafür wird auf Teufel kommt raus und ungeachtet dessen, was zwischen den Buchdeckeln steht, geklimpert und getrommelt. Und zwar frei nach der Devise: Je schriller, desto besser! Und sollte sich einmal kein Aufhänger finden lassen, der zum Skandälchen taugt, dann kann man ja noch auf eine einstweilige Verfügung hoffen, die sich öffentlich ausschlachten lässt. In jedem Fall wissen sich die Verlage mit den sensationsgierigen Medien in einem Boot. Dass sich ein gutes Buch deshalb durchsetzt, weil es gut ist, daran scheint längst auch nicht mehr das seriöse Feuilleton zu glauben …

Das jedenfalls legt der jüngste Aufreger nahe, nämlich das Sommertheater, das derzeit rund um den Schwedenkrimi „Der Sturm“ veranstaltet wird. Mir führt der stilisierte Skandal, der sich an einem vermeintlichen Mord an einem Feuilletonchef entzündet hat, allerdings anderes vor Augen: Nämlich das Dilemma, in das sich der Literaturbetrieb mit seiner zwanghaften Haltung manövriert hat, möglichst viel Zirkus um Bücher zu veranstalten. Den Schaden davon tragen Autor(en), Verlag(e) und Feuilleton inzwischen zu gleichen Teilen.

Rekapitulieren wir kurz den Fall, d.h. die Vorab-Geschichte eines Krimis mit dem Titel „Der Sturm“ aus der Feder eines vermeintlichen Per Johansson, der am kommenden Donnerstag, den 23. August bei S. Fischer erscheint:

Kindsmord? Missbrauch? Viel Raum für Spekulationen ... Foto (c) Gesine von Prittwitz

Kindsmord? Missbrauch? Viel Raum für Spekulationen … Foto (c) Gesine von Prittwitz

Tatsächlich versuchte sich nicht Per Johansson, sondern der Kulturchef der Süddeutschen Zeitung Thomas Steinfeld, der bislang standesgemäß Sachbücher zu anspruchsvolleren Themen vorlegte, an einem literarischen Genre, das Intellektuellen offensichtlich nicht perfekt zu Gesicht steht. Und zwar nach allen Regeln der Handwerkkunst und gemeinsam mit einem Münchner Freund, der ein intimer Kenner der Materie sein soll, wie Steinfeld im Interview im Deutschlandradio am Samstagmorgen versicherte. Man habe lediglich ein Experiment gestartet, mit dem man herausfinden wollte, ob man befähigt sei, einen guten Krimi zu schreiben, so der Feuilletonchef der SZ über sein neues Buch.

Ins Gerede kam der Krimi von Steinfeld & Co allerdings nicht, weil das Experiment gelungen ist, sondern weil ein findiger Redakteur der WELT die Idee hatte, die Leiche zu sezieren. Nachdem sein Befund feststand, nämlich dass das Mordopfer der Feuilletonchef der FAZ, sprich: Frank Schirrmacher sei, begann in den Gazetten eine Hetzjagd. Und zwar nicht nach dem Mörder, sondern nach dem Autor, der seine Identität hinter dem Pseudonym Per Johansson verborgen hatte. Nachdem sich Thomas Steinfeld schließlich als Co-Autor des Krimis geoutet hatte, wurde wiederum der Verlag öffentlich angeprangert, weil er die Autorenschaft getarnt und einen deutschen Fall als Schwedenkrimi deklariert hatte.

So weit ist die Geschichte eigentlich reichlich banal. Ein Sturm im Wasserglas, der keinen Aufreger wert ist. Dass der Verlag für das Experiment des Feuilletonchefs ein Pseudonym aus der Taufe hob und aus dem Plot einen Schwedenkrimi machte, ist in der Branche üblich. Thomas Steinfelds Name ist unter Krimianhängern nicht zugkräftig genug (Feuilletonleser, so heißt es, bevorzugen andere Genres) und Schwedenkrimis sind en vogue. Dass der Verlag auf dieser Welle mitreiten wollte, ist ebenso legitim wie die Entscheidung für ein Pseudonym. Dumm gelaufen ist die Angelegenheit allerdings deshalb, weil der Fall dank kräftigen Zutuns sensationslüsterner Medien aus dem Ruder lief. Und das – ohne jegliches Mittun des Verlages, der sich von der Entwicklung überrascht sah und am Ende hilflos zurückruderte. Allerdings gilt auch hier: Die Geister, die ich rief …

Hätte man im Krimi des Feuilletonchefs der SZ keine Leiche ausgemacht, die dem Feuilletonchef der FAZ ähnlich sehen soll, dann wäre die Trickserei des Verlages mit Pseudonym und Mogelpackung „Schwedenkrimi“ vermutlich nie ans Licht gekommen. Aus strategischer Sicht ist der Fall jedenfalls gründlich misslungen. Wenn der Krimi Donnerstag dieser Woche in den Handel kommt, dann kräht im Medienwald kein Hahn mehr nach ihm. Dann treibt man dort längst die nächste Sau durchs Dorf. Und auch für Steinfeld & Co ist das Experiment nicht geglückt. Ob der Krimi etwas taugt, interessiert nach diesem Theater nicht einmal mehr Backstage. – Und die potenziellen Käufer und Leser? Die lassen sich ungerne ein X für ein U vormachen!

Und was bleibt vom Sturm im Wasserglas? Ein allseitiger Glaubwürdigkeitsverlust, aus dem die Beteiligten Lehren ziehen könnten. Und Frank Schirrmacher? Der ist quicklebendig und lacht sich vermutlich ins Fäustchen …

Zu Teil 2 geht es hier: Gezielte Irreführung? Ein Nachtrag zum Sommertheater um Steinfeld und Co