Kehlmann: jetzt mit Bart – bald mit neuem Roman?

Daniel Kehlmann ist in der Forschung angekommen: Das ehrwürdige Germanisten-Blatt „TEXT+KRITK“ aus München hebt ihn in der neuesten Ausgabe aufs Cover.

TEXT+KRITIK Daniel KehlmannEin ungewohnter Anblick: der Autor mit Bart. Aber da die Erfolgsstory von der „Vermessung der Welt“ ja auch schon einen ziemlich langen hat, passt das Bild doch ganz gut. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Mit im Bändchen dabei sind neben Friederike Mayröcker und Robert Menasse u.a.: Helmut Krausser mit der Annäherung „Ich und Kehlmann“ und ein Versuch, Kehlmanns Poetologie zu ergründen („Gebrochener Realismus“!).

Als Köder ganz an den Anfang gestellt wurde das Eingangskapitel „Scherrer kommt an“ aus, wie es bescheiden heißt, „einem neuen (dem neuen?, fragt man sich natürlich) Roman“. Für schlappe 16 Euro bei gerade mal 91 Seiten ist man dabei.

TEXT+KRITIK. Zeitschrift für Literatur. Heft 177, Januar 2008: Daniel Kehlmann. € 16,00

Lazarus in Las Vegas

Nick Cave and The Bad Seeds: Dig!!! Lazarus, Dig!!!

Das war auch für unsere Redaktion eine Überraschung: Wer sich zur Zeit auf die offizielle Webseite von Nick Cave and The Bad Seeds begibt, hat einige Neuigkeiten zu bestaunen.

Denn dort steht geschrieben, dass in nicht allzu ferner Zukunft ein neues Album mit dem irrwitzigen Titel „Dig!!! Lazarus, Dig!!!“ auf die Jünger herabfahren wird. Eigenen Verlautbarungen zufolge dreht sich das ganze um die Geschichte des heiligen Lazarus, versetzt in die Gegenwart:

Ever since I can remember hearing the Lazarus story, when I was a kid, you know, back in church, I was disturbed and worried by it. Traumatized, actually. We are all, of course, in awe of the greatest of Christ’s miracles – raising a man from the dead – but I couldn’t help but wonder how Lazarus felt about it. As a child it gave me the creeps, to be honest. I’ve taken Lazarus and stuck him in New York City, in order to give the song a hip, contemporary feel.

Der – zählt man den „Grinderman“-Exkurs nicht mit – Nachfolger zum Doppelalbum „Abattoir Blues/The Lyre of Orpheus“ darf mit Spannung erwartet werden, gilt das 2004 erschienene Werk doch als ein vorläufiger Höhepunkt in der langen und mitunter schmerzhaften Karriere Caves.

Von der Urwüchsigkeit des „Grinderman“-Projekts (Songs mit Titeln wie „No Pussy Blues“ sprechen da Bände) sei das neue Album jedoch eindeutig beeinflusst, wie man liest. Womit es auf jeden Fall wieder in eine etwas härtere Richtung geht. Trotz des biblischen Themas darf also eher kein Gospel mehr erwartet werden; das Cover im Las-Vegas-Stil indes erinnert schon fast an Elvis.

Einen Eindruck vom Titeltrack kann man sich (bis jetzt als einziger des Albums gestreamt) bereits verschafffen; obendrauf gibt’s ein paar sehr abgedrehte Stummfilme von okkulten Sitzungen mit Mr. Cave als Master of Ceremonies.

Die Tracklist:
1. „Dig, Lazarus, Dig!!!“
2. „Today’s Lesson“
3. „Moonland“
4. „Night of the Lotus Eaters“
5. „Albert Goes West“
6. „We Call Upon the Author“

7. „Hold on to Yourself“
8. „Lie Down Here (and Be My Girl)“
9. „Jesus of the Moon“
10. „Midnight Man“
11. „More News from Nowhere“

Vom Einemsen und anderen rätselhaften Tätigkeiten

Das 'Lexikon des Unwissens', mit Website
Das „Lexikon des Unwissens“ hat auch eine Homepage. Dort findet man bis auf die Errata wenig.

Warum erkälten wir uns? Warum gähnen, schlafen oder wachsen wir? Und was zum Himmel ist Einemsen?

Getreu dem Untertitel „Worauf es bisher keine Antwort gibt“ haben sich Kathrin Passig (eine Hälfte der trendigen „Zentralen Intelligenz Agentur“ aus Berlin) und Aleks Scholz einem interessanten Thema der Wissenschaftsgeschichte verschrieben: der Leerstelle.

Im einleitenden Kapitel („Wissenswertes über Unwissens“) diskutieren sie dieses Phänomen zunächst grundlegend. Eine wichtige Eigenschaft des Unwissens, so stellen sie fest, ist seine Flüchtigkeit:

„Unwissen ist ein flüchtiges Ding. Es verschwindet, taucht an anderer Stelle wieder auf, kurz: man kann ihm noch weniger über den Weg trauen als dem Wissen.“

Die Vorstellung, erfahren wir weiter, dass sich in den letzten hundert Jahren die Löcher des Unwissens im Schweizer Käse des Wissens mehrheitlich geschlossen haben, erweist sich als zu banal: durch Quantenmechanik und Relativitätstheorie beispielsweise haben sich viele neue Fragen ergeben; scheinbar geklärte halten einer kritische Überprüfung nicht stand (wie z.B. die Besiedelung Amerikas).

Die 42 im „Lexikon des Unwissens“ versammelten Wissenslücken – alphabetisch geordnet von Aal bis Wasser – bieten einen, im scherzhaft-gelehrten Ton um Verständlichkeit bemühten, Überblick über das oft vergebliche Streben der Wissenschaftler nach Erkenntnis oder aber ganz banalen Alltagsrätsel, denen einfach nicht beizukommen ist.

Geheimnisumwitterte Klassiker wie das Tunguska-Ereignis, das Voynich-Manuskript und die Dunkle Materie dürfen da natürlich nicht fehlen. Während über diese und ähnliche harte Nüsse in der erwartbaren Ausführlichkeit referiert wird, präsentieren Scholz und Passig aber auch kleinere Episoden, vornehmlich aus der Tierwelt, die auf geradezu pittoreske Weise dem sogenannten Phänomen des „Einemsens“ nachgehen (eine ungeklärte Eigenart von Igeln, sich mit dem eigenen Speichel einzureiben) oder die erstaunlichsten Wissenslücken über das Wesen der Aale und Tausendfüßler zutage fördern.

Doch sind dies zugleich die Sternstunden des Werks: wenn das Kuriosum sich mit der Kurzweil verbindet, wird die Lektüre zum intellektuellen Spaß (oder besser: Intellektuellen-Spaß), wozu, am Rande erwähnt, die jedem Kapitel vorangestellen Zitate von Daniel Düsentrieb bis Futurama ihr Übriges leisten. Eher zäh wird es, wenn das Autorenteam im gar zu sehr dozierenden Ton über eher wenig spannende Fragen wie dem Sinn von Körpergrößen, Trinkgeld, Herbstlaub oder – sic – Schlaf elaboriert. Hier lassen sich über lang oder kurz Ermüdungserscheinungen beim Lesen nicht leugnen.

Zum Schluss des Buches lädt eine Literaturliste zum weiteren Nachforschen auf eigene Faust ein. Und das ist nicht zuletzt eine der Leistungen des „Lexikons des Unwissens“: mehrheitlich die Neugier auf die Welt der Naturwissenschaften zu lenken, die im geisteswissenschaftlichen Diskurs oft etwas belächelt werden. Insbesondere Kathrin Passig hat so, als Germanistin und Bachmann-Preisträgerin von 2006, für eine Überraschung gesorgt, die nicht jeder von ihr erwartet hätte.

Kathrin Passig/Aleks Scholz: Lexikon des Unwissens. Worauf es bisher keine Antwort gibt. Rowohlt Berlin 2007, 256 Seiten, 16,90 €

Und im Internet unter lexikondesunwissens.de.

Dieser Beitrag erschien erstmals am 2. Dezember 2008 auf kritische-ausgabe.de