Von A nach B in 100 Seiten


Die Strecke ist frei für Frank Fischers wilde Fahrt

Reiseliteratur im Jahr 2010 – wer hätte das gedacht? Frank Fischer präsentiert die Südharzreise und macht das Genre Autobahnliteratur für die deutsche Literatur urbar.

Frank Fischer ist der Herausgeber des Feuilleton-Blogs (wunderbar!) Der Umblätterer. In seiner Eigenschaft als hochintellektueller Tausendsassa, hyperaktiver Schreiberling und Pop-Experte baut er auf einer Tradition auf, die von Goethe über Seumes Fußmarsch bis zu Handkes kurzem Brief zum langen Abschied gezogen werden kann, und verfasst, tatsächlich: einen Reisebericht.

„Die Südharzreise“ bewegt sich zwischen Leipzig und Göttingen auf einer Autobahn des Projektes „Deutsche Einheit“. Was es alles gibt! Gelungen: ein Stück Reiseliteratur, wie man es seit Jahren (Jahrzehnten?) nicht mehr gesehen hat. Fischer denkt nicht lange darüber nach, in welche Traditionslinie er sich begibt; mit grandiosem Gestus hetzt er im Minutentakt von Ort zu Ort, Raststätte zu Raststätte und Denkmal zu Denkmal. Die Beobachtungen sind minutiös und oft urkomisch.

Heute abend ist die Vorstellung des Buches in der Berliner ZERN Gallery. Die Südharzreise ist im SuKuLTuR Verlag erschienen, eine digitale Version – hier baut Fischer einen Radiohead, was sehr zu loben ist – steht kostenfrei auf zerstoerung.org bereit.

Und noch ein Hinweis in eigener Sache: Da der Autor ausdrücklich zur Nutzung der Common Rights seines Buches aufruft, wird es auch eine Sonderveröffentlichung im Daily Frown Verlag geben. Hierzu wird es in den nächsten Tagen auch noch eine gesonderte Ankündigung geben.

Der rasende Meyer

In seinem neuen Buch „Gewalten“ rast Clemens Meyer durch das Krisenjahr 2009 und zementiert weiter seinen Status im Literaturbetrieb.

Clemens Meyer am Leipziger Hauptbahnhof in der Kneipe, im Ruderboot auf der Saale, beim Pferderennen und im Fußballstadion. Beinharte Stories, die aber nie ins Machohafte abdriften. Stärker noch als im Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ tritt hier der durchs Alter (?) abgeklärte Erzähler hervor und, daher das Stichwort „Tagebuch“, stets ist Clemens Meyer als echter oder literarisierte Autor anwesend. Besonders beeindruckend gelingt neben der verschiedenen Verarbeitung autobiographischer Bezüge das Auftreten einiger Charakterere (wie z.B. Pitbull und Trinker-Thilo) aus „Als wir träumten“, deren Geschichte so eine weitere (dramatische) Ebene erhält.

Bisweilen etwas schwermütig oder ausufernd in seiner Naturmetaphorik hat Clemens Meyer es doch in diesem Buch geschafft, einen aktuellen Kommentar auf das Krisenjahr 2009 literarisch zu verpacken, der somit großes Lesevergnügen bereitet und die Reputation Meyers als feste Größe im Literaturbetrieb weiter zementieren wird.

Clemens Meyer: Gewalten. Ein Tagebuch. S. Fischer, 192 Seiten, 16,95 €