
Taubenversammlung auf der Piazza San Marco, Venedig
(Foto: Alexandre Buisse)
Relativ unbemerkt im Buchmesse-Taumel und sowieso im Schatten von Jonathan Franzens neuem Großroman hat Rowohlt ein schmales Gedichtbändchen auf den Markt geworfen, das ornithologisch dem Vogelfreund Franzen (siehe Originalumschlag) in nichts nachsteht.
Rolf Dieter Brinkmanns frühe Gedichte, die also jetzt unter dem Titel „vorstellung meiner hände“ vorliegen, ergänzen die in den „Standphotos“ gesammelten ersten Gedichtbände und zeigen den Formzertrümmerer noch in einer unentschlossenen Phase zwischen Tradition und Aufbruch. Wer etwa die Verskaskaden aus „Westwärts 1&2“ im Ohr hat, trifft hier auf einen Ausprobierenden, der auch gern zur Anapher greift:
man sagt: daß die vögel sterben
man sagt: daß die dunke mondseite unbewohnt ist
man sagt: daß so zu leben gut sei
Überhaupt Vögel: wenn es in diesen frühen Gedichten so etwas wie ein Leitmotiv gibt, dann ist es ganz klar ein gefiedertes. Brinkmanns Vögel signalisieren Jahreszeiten, drohen mit ihren Klauen, lachen über Vogelscheuchen; Mädchenwimpern werden zu „Nestern für Sperlinge“, hier fliegt eine Schwarzamsel durchs Bild, dort ein Kuckuck; die Vögel werden Sinnbild des Dichtens an sich – „Die Vögel und die Dichtung“:
Wieder sind
die Vögel in der Luft
und füllen sie mit Federn und Krallen (…)
es sind wieder Vögel
in der Luft, die stürzen als Worte
in Brücken
und Uhren.
Natürlich sind in „vorstellung meiner hände“ auch einige vogellose Gedichte enthalten, etwa das „Rondo für Maleen“, beat-inspiriertes wie „My Bonnie is over the Ocean“ oder gar eine Antwort auf Stefan Georges „totgesagten park“. Doch auch die früh-Brinkmannsche Vogelhochzeit soll nicht unerwähnt bleiben – was hiermit geschehen ist.