Gute Zeiten für Märchen


Schöne Märchenausgaben quer durch die Verlage

Ist das Lyrik-Regal oft leider übersichtlich gehalten, findet man doch im – wie es früher einmal hieß – gut sortierten Buchhandel immer noch ein reichhaltiges Angebot im Bereich „Märchen und Sagen“.

Wer einmal wieder die alten Bekannten Eisenhans, Rumpelstilzchen oder des Teufels rußigen Bruder, sprich also Grimms Märchen aufschlagen möchte, ist nun in der glücklichen Lage, aus einer ganzen Reihe von schön anzusehenden Komplettausgaben wählen zu können. Hier geht es also nicht um kindgerechte Auswahl, Bilderbücher oder Adaptionen, sondern die „Kinder- und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm“ nach der letzten Ausgabe von 1857.

Bei Reclam liegen drei handliche Bände im Schuber vor, die sämtliche Märchen mit Originalanmerkungen der Brüder Grimm, herausgegeben von Heinz Rölleke, enthalten. Wem der Einband zu blumig ist, der kann beim selben Verlag zur einbändigen Leinenausgabe greifen, die im dezent gestreiften Schutzumschlag angeboten wird. Ebenfalls in einem Band, aber nicht gebunden, bringt der Deutsche Klassiker Verlag die Rölleke-Ausgabe unters Volk: Hier steht die hochwertige Verarbeitung im Vordergrund, die häufigem Gebrauch standhält und allen wissenschaftlichen Anforderungen entspricht. Für den praktisch denkenden Studenten ist allerdings die Fischer-Ausgabe ein heißer Tipp: Neben dem Kompletttext liefert sie einen Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon sowie Daten zu Leben und Werk aus der TEXT + KRITK Redaktion.

Wer nun nicht auf den Geschmack gekommen sein sollte oder das Märchenlesen immer noch für Kinderkram hält, dem empfiehlt The Daily Frown die Lektüre dieses kurzen Leckerbissens:

Wie Kinder Schlachtens mit einander gespielt haben

Einstmals hat ein Hausvater ein Schwein geschlachtet, das haben seine Kinder gesehen; als sie nun Nachmittag mit einander spielen wollen, hat das eine Kind zum andern gesagt: „du sollst das Schweinchen und ich der Metzger seyn;“ hat darauf ein bloß Messer genommen, und es seinem Brüderchen in den Hals gestoßen. Die Mutter, welche oben in der Stube saß und ihr jüngstes Kindlein in einem Zuber badete, hörte das Schreien ihres anderen Kindes, lief alsbald hinunter, und als sie sah, was vorgegangen, zog sie das Messer dem Kind aus dem Hals und stieß es im Zorn, dem andern Kind, welches der Metzger gewesen, ins Herz. Darauf lief sie alsbald nach der Stube und wollte sehen, was ihr Kind in dem Badezuber mache, aber es war unterdessen in dem Bad ertrunken; deßwegen dann die Frau so voller Angst ward, daß sie in Verzweifelung gerieth, sich von ihrem Gesinde nicht wollte trösten lassen, sondern sich selbst erhängte. Der Mann kam vom Felde und als er dies alles gesehen, hat er sich so betrübt, daß er kurz darauf gestorben ist.