Kuhpfade und Kopfhörer-Soldaten

Ein Erinnerungskünstler wird ins Gedächtnis gerufen: Michael Krüger setzt Seamus Heaney in einer üppigen Anthologie ein angemessenes Denkmal.

Wer sich für eine deutsche Ausgabe der Gedichte von Seamus Heaney interessiert hat, war bisher auf Ausgaben angewiesen, deren neuester Stand bei 1998 liegt. Das hat sich jetzt geändert: Mit Die Amsel von Glanmore liegt seit diesem Monat eine schöne Auswahl quer durchs Gesamtwerk vor.

Zwischen Torf, Froschlaich und ausgetretenen Kuhpfaden wird einer zum Dichter: Da quakt und platscht es, so dass man sich am liebsten in den nächsten Flieger nach Irland setzen würde. Dass man aber gerade in der Zeit der blutigen IRA-Konflikte nicht nur beschauliches Landleben besingen konnte, zeigt spätestens der Teil Field Work:

One morning early I met armoured cars
In convoy, warbling along on powerful tyres,
and camouflaged with broken alder branches,
And headphoned soldiers standing up in turrets.

Einmal frühmorgens traf ich Schützenpanzer
Im Konvoi einherträllernd auf mächtigen Reifen,
Alle getarnt mit gebrochenen Erlenzweigen,
Und Kopfhörer-Soldaten, die aus Türmen ragten.

Zeit, Seamus Heaney zu entdecken: Mit diesem Band kann es losgehen!

Schimmernder Dunst über Leif Randt


Die schimmernde Oberfläche des Romans: in echt noch silberner!

Blut im Wasser in Coby County: Leif „Fitzgerald“ Randt schaut mit seinem gefeierten neuen Roman über die Schulter in die Zukunft.

Dass Schimmernder Dunst über Coby County pünktlich zum Erscheinen von allen großen Zeitungen rezensiert wird, ist eine gute Nachricht für den Berlin Verlag, der sich größte Mühe gegeben hat, den lang erwarteten zweiten Roman von Leif Randt bis in die Herstellung hinein (s.o.) zu einem Ereignis zu machen. Auf einige doch gar zu augenfällige Parallelen haben aber weder FAZ („Dieses schmale, sehr kluge, hellwache Buch“), SPIEGEL („Wohlstands-Wellness-Welt“), noch die Berliner Morgenpost („ein hochbegabter Oberflächenbetaster“) hingewiesen.

Ist Wim Endersson, wohlstandsgepäppelter Jung-Literaturagent mit Selbstzweifeln, nicht ein ferner Gruß an F. Scott Fitzgeralds Nick Carraway, der das Treiben im East Egg als teilnehmender Beobachter mitmacht und ins Nachdenken gerät? Ist nicht gerade das phantastisch anmutende East Egg aus dem Great Gatsby eine wunderbare Vorlage für das sterile Coby County, in dem Wim Endersson und Wesley Alec Prince ein dekadent-gedämpftes Partyleben führen?

It was a matter of chance that I should have rented a house in one of the strangest communities in North America. Twenty miles from the city a pair of enormous eggs, identical in contour and seperated only by a courtesy bay, jut out into the most domesticated body of salt water in the Western hemisphere, the great wet barnyard of Long Island Sound.

Die kühle Sprache, junge amerikanische Intellektuelle, natürlich stinkreich, und nicht zuletzt elegante Aufmachung beider Bücher weist auch auf das gar nicht so lang zurückliegende Blut im Wasser von Alexander Schimmelbusch zurück, ebenfalls ein Text, der für seine Welthaltigkeit, stilistische Präzision und hochsensible Beobachtungsgabe gelobt wurde.

Die Kälte der Luft, die in mein Gesicht weht, tut mir gut; die Lebenszeichen meines Körpers stabilisieren sich. Für einen Augenblick halte ich inne, im tiefen Schnee auf der Plattform, die flach über der Wiese schwebt, und versuche, mir den Ablauf der vergangenen Nacht ins Gedächtnis zu rufen: ohne Ergebnis.

Zwei Empfehlungen zum Neu- und Wiederlesen also, denn einen Nachteil hat Schimmernder Dunst über Coby County dann doch: Man hat die knapp 200 Seiten an einem Tag durch.

Leif Rand: Schimmernder Dunst über Coby County, Berlin Verlag 2011, 192 Seiten, 18,90 €