Auf Wiedersehen, heile Welt

Familienidylle auf Zeit: „Sommertöchter“ von Lisa-Maria Seydlitz ist ein überraschend guter Debütroman.

Eigentlich ist an diesem Buch zunächst nichts Außergewöhnliches. Ein Debütroman einer jungen Autorin, wie es viele gibt, denkt man: Es geht um Kindheit, Familie, Erwachsenwerden und den Verlust der vertrauten Zusammenhänge, natürlich um Freundschaft und Liebe. Die Erzählerin, Juno, deckt nach und nach ein verschüttetes Familiengeheimnis auf, im Wechsel mit Episoden aus einer glücklichen Kindheit mit Vater und Mutter, die ein jähes Ende findet.

Gerade in der Beschreibung der Vater-Tochter-Beziehung liegt aber die große Stärke dieses kleinen Romans: Lisa-Maria Seydlitz stellt die Elternteile in einen grellen Kontrast zueinander, auf der einen Seite die vernünftige, oft strenge Mutter, auf der anderen Seite der kindsköpfige, liebevolle Vater, den Juno abgöttisch liebt. Gerade dieser Vater ist es aber, den es wie aus heiterem Himmel immer tiefer in eine schwere Depression hineinreißt, bis er Juno schließlich vollständig entgleitet.

Wie nun diese Familienidylle zerbricht und Juno Jahre später die Bruchstücke wieder zusammensetzt und ein lange gehütetes Geheimnis ihres Vaters entdeckt: Das zu erzählen schafft Lisa-Maria Seydlitz mit einem unerhört guten Spannungsaufbau und großer Sensibilität, die dieses Buch doch ein wenig außergewöhnlich macht. Und wer selbst in den neunziger Jahren aufgewachsen ist, wird sich über einige Anspielungen auf Fernsehserien, Kassettenrekorder und Gameboys freuen. Der Daily Frown Lesetipp für den Sommer!

Lisa-Maria Seydlitz: Sommertöchter. DuMont, 208 Seiten, 18,99 €.

Zwischen Geysiren und Coca-Cola

Die schönsten Bücher kommen oft ganz unerwartet: So wie bei Pétur Gunnarsson und seinen berückend schönen Romanen aus dem isländischen Alltagsleben.

An der Bücherflut zum Island-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse 2011 hat sich der kleine Bonner Weidle Verlag mit einem kleinen Buch beteiligt, das man schnell übersehen könnte, wäre da nicht die wunderschön anzusehende Umschlaggestaltung Friedrich Forssmans, die an Urlaubsbilder der Siebziger Jahre denken lässt.

Pétur Gunnarsson, in der Heimat schon lange Kultautor, war bis dahin in Deutschland quasi ein Unbekannter. Sein Buch „punkt punkt komma strich“ ist Auftakt einer vierteiligen Geschichte des jungen Andri, der zwischen Geysiren und Coca-Cola, Bauernhof und den Beatles aufwächst. Eine Generationengeschichte, die das Alltagsleben in Island mit berückend schöner Prosa (hier ist auch dem Übersetzer Benedikt Grabinski zu danken) einfängt:

So kam der Frühling. Zuerst mit einem Bein, dann mit beiden. Die Menschen des Alltags legten ihren Schneesturm- und Pfützengang ab und schwebten befreit atmend zur Arbeit und nach Hause. Die Kinder drehten durch. Mit einem Mal waren sie all ihren Rotz los, die Turnschuhzeit begann mit Ballspielen, Seilspringen und Fangen.

Eine Entdeckung, die sich lohnt, auch nach der isländischen Bücherflut: Denn inzwischen ist der zweite Band „ich meiner mir mich“ erschienen, und wenn der Weidle Verlag sein Versprechen hält, geht die Reihe weiter. Und dann wird Pétur Gunnarsson beste Chancen haben, auch in Deutschland bald kein Unbekannter mehr zu sein.

Pétur Gunnarsson: punkt punkt komma strich/ich meiner mir mich. Aus dem Isländischen von Benedikt Grabinski. Weidle Verlag, jeweils 120 Seiten, 16,90 €.