Gedankenlesen in Weißensee

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Ein Abend im Zeichen der Grauzone: Wo könnte Daniel Ketteler besser aus diesem Roman zwischen Genie und Wahnsinn lesen als in Weißensee, wo 1920 Das Cabinet des Dr. Caligari entstand?

Der verrückte Wissenschaftler, die Paradefigur der Unterhaltungsindustrie, kehrt untermalt von Techno-Einlagen zurück. Die Stationen: Eine abenteuerliche Familiengeschichte in der Nervenheilanstalt, ein geheimnisumwitterter verschlossener Raum, in dem eine Gedankenlesemaschine entwickelt wird und ein Urlaubsressort für Pauschaltouristen. Die Figuren: Nervenarzt D., Tochter M. und eine gewisse Band namens Elektro Willi und Sohn. Ketteler liest in einem schnoddrigen Flow, die wahnwitzigen Ideen seiner Figuren sanft persiflierend:

Hier steht es weiter, schwarz auf weiß: die Energie, sie werde, „soweit uns bekannt, durch irgendwelche Hindernisse nicht aufgehalten, gelangt so zu dem Empfänger, durchdringt auch dort Kopfhaut, Schädelknochen und Hirnhäute und ruft dort wieder Hirnvorgänge mit zugehörigen Vorstellungen hervor. Die Übertragung erfolgt dann von Gehirn zu Gehirn!“

Das haarsträubende Ensemble der Grauzone wird von Alexander Graeff mit einem apokalyptischen Text, der kurz vor dem Millennium in Südamerika spielt, konterkariert und auch klanglich – diesmal allerdings mit Heavy Metal – ergänzt, später noch durch dunklen Surrealismus, in dem Kinder mit Pferdeköpfen eine gewisse Rolle spielen und Unheil in Form von schwarzen Hunden droht.

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Schade, dass in Weissensee außer einer Hinweistafel vor der Brotfabrik nicht viel von der Stummfilmära übrig geblieben ist. Der Caligari-Regisseur Robert Wiene und Cesare, der Somnambule, hätten an dieser Lesung unweit des Originalschauplatzes ihre helle Freude gehabt.

Literatur in Weißensee findet jeden 3. Sonntag im Monat statt. The Daily Frown berichtet als Medienpartner über die Lesungen.

Ausziehen mit Ty Segall

Ein Meer von Händen und nackte Körper in Wallung zeigt das Video zu Ty Segalls Stück „Thank God For The Sinners“.

Ohne zu sehr ins pornographische Detail zu gehen, wird hier doch mit einer überaus gut funktionierenden Erregungs-Ästhetik der maximale zwischenmenschliche Kontakt inszeniert. Nur dass es dem armen Sünder am Ende buchstäblich an die Gurgel geht, ist ein kleiner Ausflug in die Splatter-Welt, der etwas unerwartet kommt. Das Video reiht sich damit aber nahtlos in die musikalisch, wie auch in anderen Belangen grandios übersteuerte Welt Ty Segalls ein, der bei The Daily Frown ohnehin kein Unbekannter ist. Thank God!

Wohin am Indiebookday? (4)

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Am 23. März ist Indiebookday. The Daily Frown glüht schon mal vor und empfiehlt die besten Buchhandlungen mit unabhängigen Verlagen im Sortiment. Heute: Literatur Moths in München.

Am Isartor kann man das Karl-Valentin-Museum besuchen, ein Kino ist nicht weit – und wenn man den Weg in die Rumfordstraße einschlägt, landet man in der schönsten Buchhandlung der Stadt. Regina Moths setzt auf eleganten Minimalismus: Das Schaufenster mit dezenten Schriftzügen dekoriert, innen schlichte Holzregale und eng belegte Büchertische mit bevorzugt Independent-Programm. Buchpräsentationen sind fester Bestandteil, in Erinnerung ist der legendärer Auftritt von Illustrator Jim Avignon. Überhaupt: Ein Schwerpunkt, die Grafik und Buchkunst (man findet hier neben erlesenen Kleinverlagen auch die wunderschönen Sonderausgaben der Büchergilde Gutenberg) erkennt man schon am eindeutigen Geruch der Drucke aus dem Lubok Verlag, der den ganzen Laden durchströmt. Wer partout nichts findet oder auf gut Glück bei Regina Moths hereinschaut, wird aufs Beste beraten. Und dann kann man sich den Gang zur Hugendubel-Stammfiliale getrost sparen.

Lage: Rumfordstraße 48, Nähe S-Bahn-Haltestelle Isartor. Im Internet unter www.li-mo.com. Bestellungen per Telefon sind unter 089/291 613 26 möglich.

Kauftipp für den Indiebookday: Der originalgrafische Band Lubok 10 aus dem Lubok Verlag

Mehr über die Initiative des mairisch Verlags hier oder auf www.indiebookday.de

Wohin am Indiebookday? (3)

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Am 23. März ist Indiebookday. The Daily Frown glüht schon mal vor und empfiehlt die besten Buchhandlungen mit unabhängigen Verlagen im Sortiment. Heute: Die Connewitzer Verlagsbuchhandlung in Leipzig.

Kaum ein Leipziger, der diese großartige Buchhandlung mit Dependance in der Südvorstadt nicht kennt: Trotzdem kann die Connewitzer Verlagsbuchhandlung nicht oft genug empfohlen werden, tritt doch in der Leipziger Innenstadt auch die Konkurrenz – siehe Lehmann’s und Hugendubel – breit in Erscheinung. Bei Peter Hinke kann man aber sicher sein, dass die besonderen Bücher immer einen Platz haben. Neben breitem Vollsortiment nebst Literaturzeitschriften und einem Büchersofa im ersten Stock, das man gesehen haben muss, lohnen hier ganz besonders die Produktionen aus dem eigenen Verlag der genaueren Betrachtung: Ob es die gesammelten Werke der sächsischen Dichterin Lene Voigt oder junge Lyrik aus dem Deutschen Literaturinstitut ist, die Bücher sind liebevoll gemacht und damit auch eine Augenweide. Im Peterssteinweg kann man dann noch einmal Literatur nachtanken im Wörtersee und sich dann zum Lesen in ein Café auf der Karl-Liebknecht-Straße setzen. Was will man mehr?

Lage: Die Connewitzer Verlagsbuchhandlung findet man im Speck’s Hof (Passage), Nähe Nikolaikirche. Die Buchhandlung Wörtersee liegt im Peterssteinweg 7, südlich vom Wilhelm-Leuschner-Platz. Im Internet unter www.cvb.de. Bestellungen per Telefon sind unter 0341/96 03 446 möglich.

Kauftipp für den Indiebookday: Der Gedichtband streumen von Ulrike Almut Sandig aus dem eigenen Verlag

Mehr über die Initiative des mairisch Verlags hier oder auf www.indiebookday.de

Der innere Gartenbau des Netzes

karawaneDie nächste Oase ist nicht weit, wenn man Alexander Kluge folgt.

Alexander Kluge denkt über das Internet nach – ein Protokoll davon gibt es jetzt im Digitalverlag mikrotext zu lesen.

Manchmal braucht es nur eine gute Idee: mikrotext-Herausgeberin Nikola Richter hat ein Telefongespräch mit dem großen Mediendenker Alexander Kluge geführt und daraus das E-Book Die Entsprechung einer Oase gemacht, das auf kleinstem Raum Weltpolitik, Internet-Theorie, Urheberrecht und überhaupt die Verfasstheit des Subjekts im digitalen Zeitalter verhandelt.

Die direkte Anrede durch Kluge in der zweiten Person Singular, für Sachtexte eigentlich eher unüblich, baut hier eine angenehme Nähe auf. Stellenweise beschleicht einen das Gefühl, Kluge beim Denken zuschauen so können, etwa wenn er zu einem seiner anschaulichen Vergleiche greift:

Lassen Sie es mich literarisch als Gleichnis beschreiben: Überall ist Silizium. In einer Wüste ist zu viel Silizium, deswegen ist in der Wüste eine Oase etwas Schönes. Das Zuviel des Naturstoffs „Information“ im Internet führt zum Bedürfnis des Gartenbaus, zur Abschottung vor „Information“. Zum inneren Gartenbau innerhalb des Netzes. Es ist also wichtig, dass es im Internet Orte gibt, an die man sich mit einem bestimmten Interesse zurückzieht.

Damit ist man bereits an einer der zentralen Botschaften, vielleicht der wichtigsten, die Alexander Kluge in diesem E-Book formuliert, angelangt: Die oft beschworene mediale Überforderung, der Informationsüberfluss, eine der ältesten Vorwürfe an die Netzkultur (Schirrmacher, ick hör dir trapsen), ficht ihn nicht an. Gleichzeitig verfällt er aber auch nicht in blinde Affirmation: Das Netz, das Kluge „faszinierend“ findet, bildet Ruhepunkte, lädt zum Atemholen ein – solange man sich darauf einlässt (besser: die Freiheit nimmt), den Blick vom Großen und Ganzen abzuwenden. Sympathisch!

Alexander Kluge: Die Entsprechung einer Oase. Essay für die digitale Generation. mikrotext Verlag, 2013, ca. 50 Seiten, 2,99 €

Wohin am Indiebookday? (2)

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Am 23. März ist Indiebookday. The Daily Frown glüht schon mal vor und empfiehlt die besten Buchhandlungen mit unabhängigen Verlagen im Sortiment. Heute: Die Buchhandlung Böttger in Bonn.

Die Buchhandlung Böttger ist noch ein kleiner Geheimtipp in der Bonner Buchhandelswelt. Dabei hat sie eine strategisch sehr günstige Lage in der Nähe vom Hauptbahnhof – und dann auch noch im selben Gebäude wie die Sparkasse, wo man sich gleich mit Bargeld versorgen kann. Davon sollte man auf jeden Fall reichlich mitbringen, wenn man den bis unter die Decke mit Büchern vollgestopften Laden betritt. Was in staubigen Antiquariaten abschrecken mag, hat hier Methode: Alfred Böttger ist ein Kunst- und Literatur-Aficionado, der sich einfach nicht auf ein Gebiet festlegen kann. Also kann man aus einem äußerst reichhaltigen Angebot an Lyrik, bibliophilen Sonderausgaben und Verlagen aus der Region stöbern. Für den richtig großen Geldbeutel sind auch einige großformatige Bände (Stichwort Arno Schmidt) verfügbar. Lobenswert: Auf Nachfrage hilft der Chef auch bei der Suche nach schwer erhältlichen Titeln. Beim derzeitigen Buchhandelssterben ein Lichtblick unter den inhabergeführten Buchläden im Köln-Bonner-Raum!

Lage: Maximilianstraße 44, Nähe Hauptbahnhof. Im Internet unter www.buchhandlung-boettger.de. Bestellungen per Telefon sind unter 0228/35 02 71 9 möglich.

Kauftipp für den Indiebookday: Die Manon Lescaut von Turdej von Wsewolod Petrow aus dem Bonner Weidle Verlag

Mehr über die Initiative des mairisch Verlags hier oder auf www.indiebookday.de

Wohin am Indiebookday? (1)

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Am 23. März ist Indiebookday. The Daily Frown glüht schon mal vor und empfiehlt die besten Buchhandlungen mit unabhängigen Verlagen im Sortiment. Heute: Die Buchkönigin in Berlin-Neukölln.

Zwischen Hermannplatz und Weserstraße passt locker noch ein gutes Buch – und bei der Buchkönigin werden Hipster-Antifas ebenso glücklich wie junge Eltern. Im Schaufenster locken Flugschriften aus der Edition Nautilus, Sachbücher von orange press und auch der neue Tom Wolfe oder hübsche Kinderbücher. Das Sortiment im Laden selbst kann grob in Belletristik (kleines, aber feines Lyrik-Regal!), politisches Sachbuch, Kinderbücher und Graphic Novels unterteilt werden. Alles nah beieinander, so dass man beim Schmökern in der Kapitalismus-Kritik auch den Nachwuchs nicht aus den Augen verliert. Kleine Besonderheit: Im zweiten Raum haben die Besitzerinnen Nina Wehner und Hannah Wiesehöfer eine antiquarische Ecke eingerichtet, wo sich vergriffene Suhrkamp-Taschenbücher stapeln und auch etwas entlegenere fremdsprachige Titel der Entdeckung harren.

Lage: Hobrechtstraße 65, Nähe Hermannplatz. Im Internet unter www.buchkoenigin.de. Bestellungen per Telefon sind unter 030/224 949 00 möglich.

Kauftipp für den Indiebookday: Das Gespenst des Kapitals von Joseph Vogl aus dem diaphanes Verlag

Mehr über die Initiative des mairisch Verlags hier oder auf www.indiebookday.de