
Ibissur: Unter den Neuerscheinungen dieses Frühjahrs war diese eine der ungewöhnlicheren. Beginnt scheinbar mitten in der Handlung, gibt sich keine Mühe, Personen, Gegebenheiten und Hintergründe ausführlich zu erklären – und ist dann nach 138 Seiten schon wieder vorbei. Handlungsangabe: von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Roman Widder, Texte von ihm konnte man in einer Ausgabe der Edit lesen, selbst lesen hören konnte man ihn auf der diesjährigen Buchmesse in Leipzig, verbrachte einen Teil seines Studiums in Sibirien, womit sich vielleicht die Selbstverständlichkeit erklärt, mit der sich der Erzähler in dieser so fern und fremd wirkenden Welt bewegt. Außerdem denkt dieser Erzähler sehr viel nach, weshalb dieser Roman wohl im für seine erstklassigen Theorie-Bücher bekannten diaphanes Verlag erschienen ist, und in diesem Nachdenken verlieren sich buchstäblich Zeit und Raum:
Meine Uhr funktionierte hier nicht, es war wohl zu heiß in der Sonne. Ich fragte Tschepucha, aber er hatte vergessen, seine eigene Uhr aufzuziehen.
So wie die Uhren scheint in Ibissur auch die Zeit stillzustehen. Diesen Zustand erzählerisch einzufangen mit einer Leichtigkeit, die auf ihre ganz eigene Art schon wieder bedrohlich wird, war bis jetzt die Spezialität von Autoren wie Richard Obermayr, Leif Randt und Alexander Schimmelbusch – mit Roman Widder dürfte einer dazugekommen sein.
Roman Widder: Ibissur. Erzählung. Diaphanes Verlag, Berlin, 138 Seiten, 14,95 €