
Was alle Romane von Roberto Bolaño gemeinsam haben, ist das Punctum, frei nach Roland Barthes‘ Bemerkungen zur Photographie in Die helle Kammer, an dem sich die jedem Buch eigene Bizzarerie festmachen lässt.
In 2666 ist das unzweifelhaft der Karl-Marx-Traum aus dem zweiten Kapitel; im Lumpenroman das Gleichnis von den Anglern, die Fische mit ihren eigenen Jungen ködern. In Die Nöte des wahren Polizisten, das jetzt als letzter aus dem Nachlass rekonstruierter Bolaño-Roman in wieder einmal vorbildlicher Ausstattung im Hanser Verlag erschienen ist, ist es die Binnenerzählung des spanischen Rekruten im Zweiten Weltkrieg, der in russische Kriegsgefangenschaft gerät und verdächtigt wird, Mitglied der SS zu sein. Ein Missverständnis rettet ihn vor der Erschießung, aber erst nachdem er unter Folter fast seine Zunge verloren hat.
Manchmal tat er den Mund auf und erzählte mit viel Humor von seinen Schlachten. Andere Male tat er den Mund auf und zeigte allen, die es sehen wollten, die Zunge mit dem fehlenden Stück. Wenn man den Sevillaner darauf ansprach, erklärte er, das Stück Zunge sei mit der Zeit nachgewachsen.
Was man bei Romanen wie 2666 schnell vergisst, ist die Tatsache, dass Roberto Bolaño auch Gedichte geschrieben hat wie dieses, das man bei der New York Review of Books nachlesen kann. Eine Kurzrezension zum Frühwerk gibt es außerdem bei City Lights zu lesen, deren Blog sowieso eine große Empfehlung ist: der Friday Staff Pick zu Antwerp.