Weltverzauberung vor Ort

kookwalks

Martha, Martha: Ob den Namen zu schreiben auch Unglück bringt? Aussprechen sollte man ihn jedenfalls nicht laut in dem kleinen Viertel zwischen Alt-Moabit und Lessingbrücke, wenn man Annika Scheffel und Friederike Kenneweg folgt.

Das Folgen kann in diesem Fall ganz wörtlich genommen werden: Im Rahmen eines neuen Literaturformats, das kookbooks-Verlegerin Daniela Seel auf der Litfutur-Tagung in Hildesheim bereits angedeutet hatte, waren von 17. August bis zum 7. September sechs Autoren mit vier unterschiedlichen Programmen in Berlin unterwegs. Eine dieser mobilen Lesungen, kurz kookwalks, führte eben nach Moabit – und zeigte einen zu Unrecht unterschätzten Stadtteil als geheimnisvoll-verwunschenes Gebiet.

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Allein das würde schon genügen, die kookwalks als Institution für das Berliner Stadtmarketing einzurichten. Aber darum soll es hier nicht gehen, würde es doch die künstlerische Darbietung von Annika Scheffel und Friederike Kenneweg schmälern, die sich alle Mühe gegeben haben, ihren poetischen Spaziergang multimedial auszugestalten. Und wirklich: Jeder, der sich jemals über eine allzu trockene Wasserglas-Lesung mokiert hat, konnte hier das genaue Gegenteil des verstaubten Klischees erleben. Ausgehend vom alten, geschlossenen Hansa-Theater, dem Geburtsort der mysteriösen Hauptfigur, um die es in der kommenden Stunde gehen sollte, führte der walk durch Hinterhöfe, treppauf, treppab die Spree entlang, vor einen alten Trödelladen und unter modrige Brücken. Die Lesepassagen von Annika Scheffel unterstützte Friederike Kenneweg mit einem Fotoalbum, das sie als Beweismaterial für die unerhörten Ereignisse herumreichte. An ausgewählten Stellen kam eine Boombox zum Einsatz, die Zeugenaussagen über das immer gespenstischer anmutende Wesen, um das die Erzählung kreiste, sammelte. Audiodateien, vorher per E-Mail verteilt und auf den MP3-Player geladen, formten den Soundtrack für die Wege von Leseort zu Leseort.

Im Zusammenspiel gelang so tatsächlich etwas, was eine der größten Leistungen von Kunst sein kann: Die Weltverzauberung – vor Ort. Jeder Pflasterstein, jedes dahingeworfene Stück Müll auf der Straße war auf einmal potentiell wichtig, Teil der Geschichte. Und Moabit für kurze Zeit um eine literarische Figur reicher: Martha, Martha.

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Ebenfalls an den kookwalks beteiligt waren die Autorinnen und Autoren Martina Hefter, Simone Kornappel, Peter Weber und Lale Yavas. Bilder und Neuigkeiten auf kookberlin.wordpress.com.